MWG digital

Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

Vertrauliches Anschreiben und Programmentwurf für eine neue Tageszeitung. 1896
(in: MWG I/4, hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Rita Aldenhoff)
Bände

[890][Vertrauliches Anschreiben und Programmentwurf für eine neue Tageszeitung]

[B 34r]Vertraulich. Februara[890]A: Ende Januar 1896.

P.P.

Ergebenst unterzeichnetes Komitee hat Ursache anzunehmen, daß diese vertrauliche Zuschrift bei Ihnen sympathisches Verständnis oder zum mindesten diskrete Aufnahme finden wird. Jedenfalls bitten wir um freundliches Gehör für die Mitteilung eines Planes, der in mehrfacher Richtung von allgemeinem Interesse sein dürfte.
Es ist von uns, die wir zur Zeit eine Gruppe von etwa 800 erklärten Gesinnungsgenossen vertreten,
bA: Sie hatten die Freundlichkeit, das mit No. 17 der Chr[istlichen] W[elt] 1895 Ihnen zugegangene Erklärungsformular zu unterzeichnen und dadurch Ihr Interesse an dem Zustandekommen der geplanten Tageszeitung zu bekunden. Nach mancherlei Vorverhandlungen sind die Unterzeichneten zu einem Komitee zusammengetreten, das die Verwirklichung des Planes mit allem Nachdruck betreiben will. ; In A folgt nach Absatz: Es ist unter Zustimmung der am 8. Januar in Frankfurt versammelten Zeichner von Beiträgen für das Unternehmen von uns beschlossen worden, die Herausgabe einer wo möglich vom 1. Oktober d[ieses] J[ahres] an in Frankfurt a.M. erscheinenden neuen TageszeitungcIn A nicht hervorgehoben. vorzubereiten. Über den Geist des Blattes giebt der unter A beiliegende Programmentwurf Aufschluß. Es ist nicht zu erwarten, daß jeder Punkt und jede Wendung in diesem SchriftstückdA: diesen Schriftstücken den Wünschen und Ansichten aller derer entspricht, die sich für unsern Plan unter irgend einem Gesichtspunkte erwärmen. Wir hoffen aber doch im großen und ganzen das getroffen zu haben, was unsre Freunde von uns erwarten. Es wäre ja leicht, durch größere Allgemeinheit einen größeren Kreis zustimmender Männer zu gewinnen. Aber wir glauben dieses speciellereeA: ein spezielleres Programm zunächst einem engeren FreundeskreisefA: Ihnen und später, beim Hervortreten des Blattes,gB: Blattes der Öffentlichkeit vorlegen [891]zu sollen. Unsre erste Bitte ist nun, daß auch Sie diesen Entwurfh[891]A: Sie, geehrter Herr, diese Entwürfe prüfen und, wenn Sie im Grundzuge damit übereinstimmen, aber erhebliche Bedenken zu äußern oder wichtige Ergänzungen vorzuschlagen haben, mit Ihren Randbemerkungen uns baldigstiA: und wenn Sie erhebliche Bedenken zu äußern oder wichtige Ergänzungen vorzuschlagen haben, die Blätter mit Ihren Randbemerkungen uns baldigst – spätestens bis zum 15. Februar – wieder zugehen lassen möchten.

Die Zusammensetzung des Komitees verbürgt, daß unsre Zeitung nicht die politische, socialpolitische oder kirchenpolitische Richtung eines einzelnen Mitunterzeichneten einseitig verfolgen wird.kFehlt in A. Die Bildung einer tüchtigen Redaktion ist im Werke.lA: wird keine Schwierigkeiten haben. Mit einem bewährten politischen Redakteur2Gemeint ist entweder Hellmut von Gerlach oder Heinrich Oberwinder. Beide hatten, bevor sie in die Redaktion der „Zeit“ eintraten, die christlich-soziale, von Adolf Stoecker herausgegebene Tageszeitung „Das Volk“ redigiert. Wenck, Martin, Die Geschichte der Nationalsozialen von 1895 bis 1903. – Berlin: Buchverlag der „Hilfe“ 1905, S. 48f. stehen wir wegen der Übernahme der obersten Leitung in Verhandlung. An der Gewinnung der besten geistigen Kräfte wird nicht gespart werden. Unser Blatt soll durch die Qualität seines Inhalts sich durchsetzen, nicht durch die Quantität des Stoffes.

Noch bedürfen wir der Mittel. Auf einemA: jene Anfrage in No. 17 der Chr[istlichen] W[elt]1[891] Die christliche Welt. Evangelisch-Lutherisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände, Leipzig, Nr. 17 vom 25. April 1895, Sp. 399–403. hin sind 25 000 Mark gezeichnet worden als Geschenke, Darlehen und Anteilscheine. Das war für jenen VersuchnA: jene Anfrage ein sehr dankenswerter, viel verheißender Erfolg. Wir brauchen aber das Fünffache und sind der Zuversicht, daß es uns werden wird, da nun ein größeres Komitee hinter dem Plane steht und die Freunde sehen, daß wir Ernst machen. Ehe wir aber zu dem letzten Mittel eines Aufrufs vor der Öffentlichkeit greifen, suchen wir auf diesem vertraulichen Wege [B 34v]einen größeren Kreis zustimmender Freunde zu gewinnen. Wir würden glücklich sein, auch Sie dazu zählen zu dürfen. Wenn das der Fall ist, so bitten wir SieoA: versuchen wir diesen Weg des Appells an unsere schon gewonnenen Abonnenten und Kontribuenten, und bitten zweitens um Angabe von Adressen, insbesondere angesehener oder vermögender Personen, an die wir uns weiter mit einiger Aussicht auf Erfolg vertrauensvoll wenden könnten. Es wird sich ebenso darum handeln, [892]Beiträge zum Zeitungsfonds zu gewinnen, wie Namen zur Unterzeichnung unsrer ersten Abonnements-Einladung, wie endlich Mitarbeiter.

Drittens fragen wir an, ob Sie selbst geneigt wären, einen Beitrag zu zeichnen und bitten dafür Beilage B zu benutzen.pA: [892] sofern Sie noch keinerlei Beitrag gezahlt oder gezeichnet haben, dies in einer der von Beilage B vorgesehenen Weisen noch zu thun, oder wenn Sie es schon gethan haben, Ihren Beitrag zu erhöhen. Seitens derer, die bereits gezeichnet haben und es dabei bewenden lassen, bedarf es keiner neuen Zeichnung. Was die unter aqA: A des Formulars gewünschten Geschenke anlangt, so bemerken wir, daß auch jede kleine Summe ihren idealen und realenrA: materialen Wert hat.

Die verehrten Adressaten, die unsere Entscheidung für Frankfurt a.M. als Erscheinungsort statt für Berlin bedauern, bitten wir zu erwägen, daß die politische Atmosphäre Berlins für unseren Plan z.Z. wenig freundlich ist, daß das Gleiche annähernd vom ganzen Osten gilt, daß dagegen in Frankfurt a.Μ. wie im Süden und Westen die Bedingungen allem Anschein nach außerordentlich günstig liegen. Kommen wir hier zum Ziele, so dürfen wir hoffen, daß auch in Berlin unser Werk glückliche NachfolgesA: Nachfolger finden wird.

Das Blatt soll hier etwa Mittags 12 Uhr ausgegeben werden, wird also noch am Nachmittag und Abend im weiteren Umkreis den Abonnenten zugestellt werden, jedenfalls aber am anderen Morgen auch bei den fernen Posten zur Austragung gelangen.

Als Preis sind 3 bis 5 Mark vierteljährlich in Vorschlag. Wir bitten für etwaigen Bescheid über pekuniäre Beihilfe Anlage B zu benutzen und Erwiderungen überhaupt an den mitunterzeichneten Pfarrer Foerster in Frankfurt a.Μ., Jahnstraße 43, zu richten.tIn A und B folgen die gedruckten Namen des vorbereitenden Komitees. Vgl. oben, S. 887.

[895][Anlage A]N1 Überschrift fehlt in MWG I/4; hier für MWG digital ergänzt.

[B 36r]Vertraulich. A.

I. Zweck der Zeitung.

1. Eine sachliche und gewissenhafteaA: [893] unparteiische Berichterstattung über alle wichtigen Vorkommnisse des politischen, socialen und kirchlichen Lebens der Gegenwart. Sorgfältige PreßübersichtbA: Preßrevue.

2. Herausarbeitung der politischen, socialen, ethischen und religiösen Ideen, die jeder künftigen Reformarbeit zu Grunde liegen müssen.

3. Sammlung der national und social denkenden Kreise des Volkes, die durch das heutige Parteileben nicht befriedigt sind.

II. Leitideen.

1. Wir stehen auf nationalem Boden, indem wir die wirtschaftliche wie politische Machtentfaltung der deutschen Nation nach Außen für die Voraussetzung aller socialen Reform im Innern halten. Wir wünschen eine feste und stetigecA: zielbewußte, auswärtige Politik und werden militärische, kolonialpolitische und ähnlichedA: colonialpolitische u.s.w. Fragen vom nationalen Standpunkte aus beurteilen, ohne auf eine freimütigeeA: die Kritik unsrer militärischen und kolonialen EinrichtungenfA: Institutionen zu verzichten.

2. Wir stehen auf dem Boden der deutschen Reichsverfassung und wünschen ein kräftiges Zusammenwirken der Monarchie und der Volksvertretung. Wir treten für die ungeschmälerte Erhaltung der staatsbürgerlichen Rechte aller Volksgenossen ein.gFehlt in A.

3. Wir halten fest an der historisch gewordenen, das Privateigentum in sich schließenden Wirtschaftsordnung, innerhalb deren wir die Emporentwicklung der Arbeiterklasse wie des ländlichen Kleinbesitzes für möglich halten und verfechten werden. Als unpraktisch verwerfen wir die Utopieen des radikalen Socialismus, ebenso aber auch alle reaktionären Bestrebungen, diehIn A folgt: bestehende, nicht mehr lebensfähige [894]Rechtsformen und Wirtschaftsverhältnisse aufrechtzuerhalten oder wiedereinzuführeni[894]A: Eigentumsverhältnisse unbedingt aufrechtzuerhalten suchen.

4. Wir verlangen eine thatkräftige Socialreform in volkstümlichem und freiheitlichem Geiste. Wir sind für Aufrechterhaltung des allgemeinen Reichstags-Wahlrechts und gegen das preußische Dreiklassensystem. Wir fordern Verwirklichung der politischen und wirtschaftlichen Vereinsfreiheit.kFehlt in A. Wir verlangen Selbständigkeit des StaateslA: Staats gegenüber jeder Gefährdung der Gesamtinteressen durch das Großkapital und die Großindustrie.mIn A folgt: Wir stehen für das allgemeine Wahlrecht und gegen das preußische Dreiklassensystem. Wir fordern Verwirklichung der politischen und wirtschaftlichen Vereinsfreiheit. Für den deutschen Osten wünschen wir unter gleichzeitiger Verhinderung fremdländischernA: internationaler Einwanderung innere Kolonisation und Einschränkung der Latifundien, in deren Ausdehnung wir eine nationale Gefahr erblicken, ebenso wie in dem politischen und socialen Übergewicht ihrer Besitzer.

[B 36v]5. Wir sind für Regelung der Frauenfrage im Sinne weiterer Zulassung des weiblichen Geschlechts zu geeigneten Berufen und größereroFehlt in A. Sicherung seiner persönlichen und ökonomischen Stellung auf dem Boden des bürgerlichen Rechts.

6. Wir wollen mitarbeiten an der Stärkung der idealen Mächte im Volksleben, in deren Mittelpunkt uns die evangelische Wahrheit steht. Zu diesem Zweck erstreben wirpA: liegt uns die Belebung der evangelischen Landeskirchen im Sinne der ReformationqIn A folgt: am Herzen , unter Abweisung aller hierarchischen und intoleranten Strömungen. Ebenso bekämpfen wir im Interesse des konfessionellen Friedens alle antinationalenrA: Strömungen in denselben, sowie der antinationalen und kulturfeindlichen Bestrebungen innerhalb der katholischen Kirche.

7. Wir gedenken die gesamte Kunst und Wissenschaft, abgesehen von der reinen Fachgelehrsamkeit, aufmerksam zu beobachten und von dem Standpunkte einer hohen und weiten ideal-christlichen Bildung aus zu beurteilen.

[895][Anlage B]N2 Überschrift fehlt in MWG I/4; hier für MWG digital ergänzt.

[B 35r]An B.

Herrn Pfarrer Foerster

Frankfurt a.Μ.

Jahnstraße 43.

Die Mitteilungen des vorbereitenden Komitees habe ich empfangen und erkläre mich daraufhin bereit,

  1. zur Gründung der Tageszeitung einen Beitrag von________Mark a fonds perdu beizusteuern, welcher je nach Bedarf von mir eingezogen werden darf;
  2. sobald die Zeitung zu stande gekommen ist, sie durch ein nach Vereinbarung (jedoch nicht mit mehr als 3 %) zu verzinsendes Darlehen von_______Mark zu unterstützen;
  3. durch Übernahme eines Anteilscheins von________Mark (nicht unter 500) der Gesellschaft beizutreten, die als Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht (oder als Actiengesellschaft) die Herausgabe der Zeitung in die Hand nehmen wird.

Ort: (bitte genau) Name: (bitte deutlich)

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– Das Nichtgewollte bitte durchzustreichen. –s[895] Fehlt in A.