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Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

[866][Eingabe an den Evangelischen Oberkirchenrat zum Entwurf einer neuen Agende]

[A o.P]Die Mehrheit der Provinzialsynoden
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[866] Die mehrheitlich zustimmenden Stellungnahmen der Provinzialsynoden zum Agendenentwurf befinden sich in den Akten des Evangelischen Oberkirchenrats im Evangelischen Zentralarchiv in Berlin unter der Signatur: EO Generalia VIII9 adhibendum b und d.
hat sich zu dem Entwurf einer landeskirchlichen Agende in der Weise gutachtlich geäußert, daß wir, die Unterzeichneten, mit schweren Besorgnissen über den weiteren Verlauf dieser wichtigen Angelegenheit erfüllt sind. Es hat sich uns daher als Pflicht aufgedrängt, uns vor dem Zusammentreten der Generalsynode mit den nachfolgenden Bedenken und Wünschen vertrauensvoll an die oberste Behörde der Landeskirche zu wenden. Weil wir auch den Schein der Agitation in wichtigen kirchlichen Fragen scheuen, haben wir es nicht darauf angelegt, öffentlich Unterschriften für diese Eingabe zu sammeln. Wir sind aber gewiß, daß wir im Namen vieler treuer und lebendiger Glieder unserer evangelischen Kirche das Wort nehmen.
Ist es auch eine unerfüllbare Forderung, daß jeder Einzelne für seine individuelle Erfassung des christlichen Glaubensinhalts in der kirchlichen Agende einen durchweg zutreffenden Ausdruck erhalte, so wollen wir doch nicht verhehlen, daß wir gehofft hatten, es würde bei der neuen Bearbeitung der Agende mehr als es geschehen darauf Bedacht genommen werden, neben den althergebrachten gottesdienstlichen Formen auch solche darzubieten, die dem evangelischen Bewußtsein der Gegenwart einen klaren Ausdruck verschaffen, und so den Fortschritt, den unsere Landeskirche durch die Union gewonnen hat, deutlich an den Tag treten zu lassen. Doch verzichten wir bei dem vorgeschrittenen Stand der Verhandlungen auf so weitgehende Wünsche. Vielmehr nehmen wir die Vorlage des Oberkirchenraths als die gegebene Grundlage an.
In erster Linie steht uns der Wunsch, daß es in den freien Willen der Gemeinden gestellt werden möge, die neue Agende in Gebrauch zu nehmen oder bei ihren bisherigen Ordnungen zu bleiben, sowie daß überhaupt die Verpflichtung auf die Agende nicht in einem [867]äußerlich gesetzlichen Sinn gefaßt werde, entsprechend dem Wort, mit welchem Luther der von ihm dargebotenen neuen Gottesdienstordnung das Geleite gab:
„Vor allen Dingen will ich gar freundlich gebeten haben, auch um Gotteswillen, alle diejenigen, so diese unsere Ordnung im Gottesdienst sehen oder nachfolgen wollen, daß sie ja kein nöthig Gesetz daraus machen noch Jemandes Gewissen damit verstricken oder fahen
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[867] Das heißt: fangen.
, sondern, der christlichen Freiheit nach, ihres Gefallens brauchen, weil, wo, wenn und wie lange es die Sachen schicken und fordern“.
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Deutsche Messe und Ordnung des Gottesdiensts. 1526. Vorrede, in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesammtausgabe, 19. Band. – Weimar: Böhlau 1897, S. 72.
Wir freuen uns voraussetzen zu dürfen, daß etwas anderes nicht beabsichtigt wird. Aber auch im Falle der Verwirklichung dieser Absicht bleibt es uns Gewissenssache, daß die neue Agende da, wo ihre Einführung durch Mehrheitsbeschluß erfolgt, kein lebendiges und aufrichtiges Gemeindeglied, sei es Geistliche oder Laien, in Gewissensnoth bringe und keiner gesetzlichen unevangelischen Art in unserer Kirche Raum schaffe. Beides aber scheint uns unvermeidlich, wenn es bei den im Entwurf dargebotenen Formularen sein Bewenden hat, noch mehr, wenn die Wünsche der Mehrheiten verschiedener Provinzialsynoden erfüllt werden sollten. Wir sehen ab von einzelnen Wendungen in den formulirten Ansprachen und Gebeten des Entwurfs. Wir fassen nur die Stellen ins Auge, an welchen es sich um das feierliche Bekenntniß des Glaubens der Betheiligten handelt. Daß hierfür das sogenannte apostolische Glaubensbekenntniß die unserer Kirche durch die Geschichte gegebene und gebotene Formulirung sei, ist auch unsere Überzeugung. Es muß aber dem Einzelnen, seinem freien Glauben und Gewissen vorbehalten bleiben, wie er sich innerlich zu dem Wortlaut dieses altehrwürdigen Glaubensbekenntnisses stellen kann und will. Und die agendarischen Formen des Bekenntnißaktes müssen so gestaltet sein, daß diese Freiheit nicht ausgeschlossen wird.
Was dem Bekenntniß zum christlichen Glauben nach evangelischem Verständniß erst seinen Werth giebt, ist die Freiheit und unmittelbare Wahrhaftigkeit der persönlichen Zustimmung. Es darf [868]auch nicht der Schein entstehen, als begnügte sich die evangelische Kirche mit der pietätvollen Unterwerfung unter eine gegebene Überlieferung. Sonst wird das Kleinod unserer Kirche, die eigene, freie Glaubensüberzeugung des Christen, dem Interesse einer doch nur scheinbaren und nicht wirklich durchzusetzenden Uniformirung der Geister geopfert. Ebenso darf der evangelischen Christenheit das Recht nicht verschränkt werden, das ihre Pflicht ist, jedes im Laufe der Geschichte aufgekommene Bekenntniß in seinen Einzelheiten aus dem wachsenden Verständniß des Wortes Gottes zu deuten und zu berichtigen. Muß daher zwar die Agende, die kein Ausdruck des individuellen Glaubens sein kann, auch für das Bekenntniß feste Formen und Ordnungen bieten, so darf sie doch nicht zugleich vorschreiben wollen, in welcher Weise der Einzelne sich dieselben anzueignen hat. Das muß Sache des einzelnen Gewissens bleiben. Wer darin eingreift, versündigt sich an dem innersten Heiligthum des persönlichen Glaubens, in welchem jeder seinem Herrn steht und fällt, und sucht andern das Gewissen zu machen. Die Agende aber würde, hierzu mißbraucht, aus einem Mittel für die Förderung des gemeinsamen und persönlichen Glaubens und des kirchlichen Lebens zu einem Joch für unzählige Gewissen werden. Von diesen Grundsätzen aus, mit welchen unseres Erachtens die evangelische Kirche steht und fällt, haben wir an mehreren Stellen der Agende, theils gegenüber dem Entwurf, theils gegenüber den Mehrheitsbeschlüssen der Synoden, schwere Bedenken. Doch können wir für ihre Erledigung uns hinwiederum bei allen Punkten auf Vorschläge einzelner oder mehrerer Synoden oder auf Voten beträchtlicher Minoritäten berufen.
Im Hauptgottesdienst müßte es, entsprechend den Vorschlägen der Rheinischen und Schlesischen Provinzialsynode, bei der Bestimmung der alten Agende bleiben, daß in allen Gemeinden an Stelle des vom Geistlichen gesprochenen Apostolikums das Luther’sche oder ein anderes kirchlich genehmigtes Glaubenslied (z. B. Allein Gott in der Höh’ sei Ehr’!) gesungen werden kann. Es ist nicht wahrscheinlich, daß viele Gemeinden von dieser Befugniß Gebrauch machen werden. Da aber das Lied der eigentlich angemessene Ausdruck des gemeinsamen Bekenntnisses ist und das gesprochene Bekenntniß nur der Kürze halber an dessen Stelle tritt, so ist das Verbot der bisher zulässigen, sachgemäßen Form nur als Ausfluß jener irrigen Tendenz zu verstehen und stellt das vom Geistlichen gespro[869]chene Bekenntniß in ein falsches Licht. Dadurch gewinnt die Frage, die praktisch nicht sehr in’s Gewicht fällt, eine weittragende principielle Bedeutung.
Noch wichtiger erscheint uns, daß bei der Ordination, nach dem Votum der Rheinischen, Westpreußischen, Sächsischen und Schlesischen Synode, die im Entwurf dargebotene Ordnung beibehalten und die Recitation des Apostolikums durch den Ordinanden nicht in die Handlung eingeschoben werde. Liturgisch ist ein solcher Bekenntnißakt, wie allgemein anerkannt wird, hier nicht am Platz. Sachlich ist er überflüssig, weil der Ordinand sich durch Übernahme des Gelübdes ohnehin zum Glauben der Kirche, wie er in ihren Bekenntnissen bezeugt ist, bekennt. Zudem ist er unangemessen, weil kein Grund vorliegt, eines dieser Bekenntnisse vor den andern hervorzuheben. Die preußische Landeskirche stünde denn auch, falls sie diesen Bekenntnißakt einschöbe, damit gegenüber sämmtlichen evangelischen Ordinationsordnungen alter und neuer Zeit einzig da. Wird trotzdem an dieser Forderung festgehalten, so ist das wieder nur als Äußerung jener falschen Tendenz zu verstehen, die auf katholisch-gesetzliche Bindung des Glaubens ausgeht, und darum doppelt zurückzuweisen. Die Folge einer solchen Maaßnahme könnte nur die sein, für viele unserer Ordinanden schwere Gewissenskämpfe heraufzubeschwören, sie in der gesunden Entwicklung ihres Glaubens zu hemmen oder gar zu innerer Unwahrhaftigkeit zu verführen.
Was endlich Taufe und Confirmation betrifft, so beanstanden wir keineswegs den Gebrauch des Apostolikums im Zusammenhang dieser Handlungen. Wir haben aber das Bedenken, daß sämmtliche im Entwurf vorgelegte Formulare, wenn man den Wortlaut genau nimmt – und wie dürfte man dies bei so wichtiger Sache anders? – kaum einem andern Verständniß Raum lassen, als daß die Pathen, die erwachsenen Täuflinge und die Confirmanden auf den Wortlaut des Apostolikums verpflichtet werden sollen, was doch aus den eben dargelegten Gründen unevangelisch ist. Werden sie aber belehrt, daß das nicht die Meinung sei, so steht zu befürchten, daß die Aufmerksamkeit von dem Mittelpunkt, dem Bekenntniß zu Jesus Christus, abgezogen und bei der nöthigen inneren Auseinandersetzung des eigenen Glaubens mit der dargebotenen Formulirung festgehalten wird. Dadurch muß aber die Klarheit, Kraft und Innerlichkeit des Bekenntnisses Schaden leiden. Die Handlungen selbst for[870]dern auch eine solche mißverständliche Stellung des Apostolikums in keiner Weise. Die Taufe soll nach dem Taufbefehl vollzogen werden. Das durch die Sache Gebotene und der Schrift Entsprechende ist darum, daß auch die Fragen bei der Taufe der Kinder wie der Erwachsenen dem Taufbefehl entsprechend gestellt werden. Es ist unser lebhafter Wunsch, daß eine solche Fragestellung in der Agende für zulässsig erklärt werde, wie derselbe auch auf mehreren Synoden laut geworden ist.
Die Confirmation ist von ihrer Entstehung her in erster Linie ein seelsorgerlicher Akt und verträgt als solcher nicht die Bindung an streng vorgeschriebene Formen. Auch greift hier, wo es sich um die Jugend handelt, die pädagogische Rücksicht bestimmend ein und läßt es nicht als rathsam erscheinen, den Kindern ein formulirtes Bekenntniß abzuverlangen, dessen Tragweite sie nicht zu überblicken vermögen. Das gilt selbst für solche Fälle, in denen sie noch in voller Unbefangenheit den allgemeinen Glauben als den ihren bekennen können. Vollends wird es unweise, wo diese Unbefangenheit entschwunden und doch die Reife noch nicht vorhanden ist, die zwischen dem Glauben und seiner Formulirung zu unterscheiden vermag. Leicht wird dann die Handlung, in der sich die Confirmanden freudig zu ihrem evangelischen Glauben bekennen sollen, zu einer Gewissensbedrängniß oder einer Versuchung. Hier fordert die Sache wahrlich selbst dringender als an irgend einem andern Punkt möglichste Freiheit. In der Praxis hat solche Freiheit auch bisher geherrscht. Die Einschränkung derselben würde viele Geistliche mit dem in Conflict bringen, was sie als ihre seelsorgerliche Pflicht empfinden. Die erbauliche Kraft der Handlung, die zum guten Theil auf ihrem seelsorgerlichen Charakter beruht, würde darunter leiden. An keiner andern Stelle würde sich bei unserem evangelischen Volk, dem die Confirmation ans Herz gewachsen ist, die Einführung eines gesetzlichen Elements in das Heiligthum des persönlichen Glaubens empfindlicher rächen als an dieser. Wir bitten daher dringend um ein Formular für die Confirmation, das für die Gestaltung der Handlung möglichst viel Spielraum läßt und insbesondere eine Fragestellung enthält, durch welche die Kinder in einer ihrem Alter und ihrer Reife angemessenen Weise zum Bekenntniß ihres Glaubens aufgefordert werden.
Alle diese unsere einzelnen Wünsche sind schließlich nichts anderes als der eine Wunsch, es möge in den Formularen neben der [871]Gebundenheit an die Überlieferung, die in ihr wohl mit Recht ein natürliches Übergewicht hat, doch auch die evangelische Freiheit soweit zur Geltung kommen, daß alle Gemeinden die neue Agende mit gutem Gewissen und freudig in Gebrauch nehmen können. Wir bitten den evangelischen Oberkirchenrath noch einmal so ehrerbietig wie dringend, er wolle in diesem Sinn seines hohen Amtes walten, damit die neue Agende zu einem Quell des Segens für die ganze Landeskirche und für Niemand ein Anstoß des Gewissens werde.