MWG digital

Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

Rezension von: Bodo Lehmann, Die Rechtsverhältnisse der Fremden in Argentinien. 1894
(in: MWG I/4, hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Rita Aldenhoff)
Bände

[306][Rezension von:]

[A 326]B[odo] Lehmann. Die Rechtsverhältnisse der Fremden in Argentinien. 8. (148 S.) Buenos Aires 1889 (Berlin, Hermann Bahr).

Der Verfasser verfolgt mit der verdienstlichen und anspruchslos auftretenden kleinen Schrift nicht eigentlich wissenschaftliche Zwecke, sondern [A 327]will dem ihm in seiner amtlichen Thätigkeit als Konsul in Buenos Aires entgegengetretenen Bedürfniß einer übersichtlichen Zusammenstellung der für die Fremden wichtigsten Bestimmungen des argentinischen Rechts genügen.

Die Darstellung, welche mit einer kurzen historischen Einleitung beginnt und dann nach einander die Verfassung und die staatsrechtliche Stellung des Fremden, das Eherecht, das materielle bürgerliche Recht, die Behördenorganisation und das Civilprozeßrecht, Strafgesetzgebunga[306]A: Straßgesetzgebung und Strafprozeß, die geltenden Staats-, speziell Handelsverträge, speziell das Auslieferungsverfahren, endlich einige „praktische Materien“,1[306]Vgl. Kapitel VIII der Schrift Lehmanns. namentlich die bei Eintreibung von Forderungen zu beachtenden Rechtssätze behandelt, läßt erkennen, daß der Verfasser das geltende Recht und die Praxis beherrscht und entspricht dem Zweck der Bearbeitung. In einigen Partien ist sie allerdings inzwischen durch die ziemlich lebhaft fortschreitende Gesetzgebung der letzten Jahre antiquirt. Wünschenswerth wäre eine Behandlung der Rechtsstellung der Kolonisationsgesellschaften und der Bedingungen des Landerwerbes durch Kolonisten gewesen, die Zahl der nicht naturalisirten Kolonisten ist z. B. in der Provinz Entrerios2Über die landwirtschaftlichen Verhältnisse in der argentinischen Provinz Entrerios berichten auch Max Webers Artikel „Argentinische Kolonistenwirthschaften“, oben, S. 286–303. nicht unerheblich, da die Landausbeutung dort meist rein kapitalistisch, nicht als dauernde bäuerliche Ansiedlung von Landwirthen, sondern von Geschäftsleuten je nach den Preiskonjunkturen des Getreides als reiner Raubbau betrieben wird. – Die Staatsschul[307]denverhältnisse, welche für uns jetzt im Mittelpunkt des Interesses stehen, zieht der Verfasser nicht in den Bereich der Erörterung.

Wie lange die geradezu privilegirte Rechtslage der nicht naturalisirten Fremden in Argentinien noch bestehen bleiben wird, steht dahin; die Bewegung geht in neuester Zeit entschieden auf Beseitigung ihrer Sonderstellung und Aufnahme in den Unterthanenverband, sicherlich zum Heile des Landes, dessen heillos zerrüttetem politischen Leben damit (relativ) gesunderes Blut zugeführt würde. Von der praktischen Bedeutung der formalen Rechtsvorschriften bekommt man naturgemäß aus der Zusammenstellung kein zulängliches Bild. Über die derzeitigen höchst erbärmlichen Zustände der einheimischen Justiz, speziell der jueces de paz,3D.h. die Friedensrichter. zumal im Innern des Landes, schweigt des Verfassers Höflichkeit aus leicht begreiflichen Gründen.