Wortbildmarke BAdW

MWG digital

Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

[693]Die Landarbeiter in den evangelischen Gebieten Norddeutschlands

1.

[Werbetext]

[A o.P.]Diese in zwanglosen Heften erfolgende Publikation
a
[693]B: Publication
kommt in einem Augenblick sehr zeitgemäß, in welchem die Gründe der „Leutenoth“
b
B: „Leutenot“
des platten Landes die öffentliche Aufmerksamkeit beschäftigen. Über die Lage der Landarbeiter ein objektives Bild zu gewinnen[,] ist fast unmöglich. Die Leute selbst nach ihren Verhältnissen zu fragen[,] geht kaum an, sie stehen dazu im Allgemeinen auf einem zu tiefen Niveau. Die bisherigen Enquêten –
c
B: Enquêten (
Ende der vierziger, Anfang der siebziger, Anfang der neunziger Jahre –
d
B: Jahre)
1
[693] Dies bezieht sich auf die Erhebungen des preußischen Landesökonomiekollegiums von 1848/49, des Kongresses deutscher Landwirte von 1872/73 und des Vereins für Socialpolitik von 1891/92. Die Ergebnisse wurden veröffentlicht in: Lengerke, Arbeiterfrage; Goltz, Lage, und in den Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bände 53–55.
fußen einseitig auf Angaben der Arbeitgeber
e
In B nicht hervorgehoben.
. Der Evangelisch-soziale Congreß
g
B: Kongreß
f
In B hervorgehoben.
hat den glücklichen Gedanken gehabt und durch seinen früheren Generalsekretär Paul Göhre
h
B: Generalsekretär, Paul Göhre,
ausführen lassen[,] die Landgeistlichen
i
In B nicht hervorgehoben.
als unparteiische
k
In B nicht hervorgehoben.
Gewährsmänner heranzuziehen, und es ist gelungen, durch diese indirekt auch die Arbeiter, welche ihrer Seelsorge unterstehen
l
B: ihren Seelsorgern Aussagen machten
, zu Worte kommen zu lassen. Darin liegt das Einzigartige
m
B: Eigenartige
des Materials, welches hier verarbeitet ist. Die ersten Hefte, welche Sachsen, Ost-Hannover, Schleswig-Holstein umfassen[,] werden für den im Mai in Kiel tagenden Congreß
2
Der Evangelisch-soziale Kongreß tagte am 25. und 26. Mai 1899 in Kiel.
und dessen Teilnehmer von besonderem Interesse sein.
n
Fehlt in B. Es folgen statt dessen die bibliographischen und Preisangaben der ersten beiden Hefte.

[694]2.

[A 1]Vorbemerkung des Herausgebers

Das Material der nachstehend beginnenden Publikation entstammt einer Erhebung, welche das „Aktionskomité“ des Evangelisch-sozialen Kongresses im Herbst 1892 zu veranstalten beschloß und zu Neujahr 1893 ins Werk setzte durch Versendung des nachstehenden, vom damaligen Generalsekretär, jetzigen Pastor a. D. Paul Göhre unter Mitwirkung des Herausgebers entworfenen, vom Aktionskomité geprüften und gebilligten

Fragebogens:

I. Zur allgemeinen Orientierung.

1. Ursprungsort des Berichts (Regierungsbezirk, Kreis, Parochie)?
2. Aus wieviel und welchen Dörfern und selbständigen Gutsbezirken besteht diese Parochie? Auf welche von ihnen erstrecken sich die mitgeteilten Beobachtungen?
3. Wieviel giebt es innerhalb der Parochie: a. im großen bewirtschaftete Güter? b. mittlere Bauerngüter, welche regelmäßig fremder Arbeitskräfte bedürfen? c. kleine, regelmäßig von der Familie allein bewirtschaftete?
4. Welche Arten von Arbeitskräften verwenden regelmäßig a. die großen Güter? b. die bäuerlichen Wirtschaften? Nämlich: a. lediges, vom Arbeitgeber beköstigtes Gesinde? b. verheiratetes, vom Arbeitgeber beköstigtes Gesinde? c. Arbeiter, die durch Kontrakt oder Angeld zu regelmäßiger Arbeit auf Gütern oder bei Bauern verpflichtet sind und aa. in vom Arbeitgeber gestellten Wohnungen auf dem Gute oder in den Dörfern, bb. in eigenen Wohnungen wohnen (Dienstleute, Instleute, Deputanten, Gutstagelöhner)? d. Arbeiter, die Land in Pacht nehmen und dafür zeitweise im Jahre Arbeit leisten (Heuerlinge, Kötter, Arröder)? e. Arbeiter, welche auf eignem Besitze wohnen (Eigentümer, Stellenbesitzer, Büdner, Häusler), oder in Dörfern sich einmieten (Einlieger, Hochmieter, Bauerspeicher) und gegen Tagelohn regelmäßig oder nur zeitweise auf Arbeit gehen? f. welche sonstigen Arbeiter?
[695]5. Falls es dem Herrn Referenten möglich ist, wird um Mitteilung des Zahlenverhältnisses gebeten, in dem diese verschiedenen Kategorien der Arbeiter am Orte unter einander stehen, auch der Zahl der Arbeiter, die von den einzelnen Wirtschaften bestimmter Größe (die anzugeben wäre) gewöhnlich gehalten werden, sowie, ob in diesen Verhältnissen sich in den letzten zwei Jahrzehnten etwas geändert hat zu Gunsten oder Ungunsten einer bestimmten Kategorie.
6. Werden neben den Kategorien ad 4 oder den sonstigen einheimischen Arbeitern [A 2]von entfernter liegenden Ortschaften oder aus anderen Gegenden oder dem Auslande Arbeiter zur Ernte oder für den Sommer (Sachsengänger, Wanderarbeiter) herangezogen? Woher? Welchen Geschlechts? Welchen Alters? In welcher ungefähren Zahl?
7. Ist ein Pfarracker – Schulacker, Stiftungsacker – vorhanden? Wie groß ist er? Wie wird er benutzt? Wenn verpachtet – wie hoch ist der Pachtzins jetzt und früher? An wieviel Parteien wird er verpachtet? An Bauern, Kleinstellenbesitzer oder Tagelöhnerfamilien? Und zwar in letzterem Falle, welcher Kategorie?
8. Falls dem Herrn Referenten bekannt ist, bitte mitzuteilen: a. übliche Fruchtfolge bei den Bauern; werden Handelsgewächse gebaut (Zuckerrüben, Tabak, Hopfen, Raps u.s.w.)? b. übliche Art der Regulierung bei Erbschaften; Häufigkeit von Teilungen im Erbfall oder auf Spekulation; c. Häufigkeit des Besitzwechsels; d. Häufigkeit der Pachtverhältnisse; e. ob jederzeit Gelegenheit zu
a
[695]A: zum
Parzellenkauf oder -Pacht vorhanden ist? f. Höhe der pro ha üblichen Pacht, sowie die Dauer der üblichen Pachtzeit bei Parzellenpacht?
9. Konfession und Nationalität der Bevölkerung im allgemeinen und der Arbeiter im besonderen (es wird gebeten, bei der nachfolgenden Darstellung etwaige daraus sich ergebende Unterschiede mit zu berücksichtigen und ausdrücklich mit anzugeben[)]?

[696]II. Allgemeine Lage der Arbeiter.

A. In materieller Beziehung:
1. Falls es vorkommt, daß Leute mit eignem Grundbesitz oder selbständige Kleinpächter zeitweise oder regelmäßig Lohnarbeit suchen, bis zu welcher Größe des Besitzes findet dies statt?
2. Wohnungsverhältnisse der Arbeiter: Und zwar wird gebeten, diese getrennt zu erörtern a. auf größeren Gütern; – b. in Dörfern: Wieviel Räumlichkeiten haben die Familien der verschiedenen Arbeiterkategorien – auf den Gütern, in den Dörfern – zur Verfügung? Wie sind diese beschaffen (Größe, Luft- und Lichtverhältnisse, Baufälligkeit u.s.w.)? Mit was für Hausgerät sind sie gewöhnlich ausgestattet? Wie sind speziell die Schlafräume (ihr gesundheitlicher Wert, Trennung der Geschlechter, der Eltern und Kinder, Zahl der Betten im Verhältnis zur Zahl der Familienglieder u.s.w.)? Bei welcher Kategorie von Arbeitern sind die Wohnungsverhältnisse am günstigsten? Bestehen besondere Arbeiterhäuser und welcher Art (Zahl der Familien in einem Hause, etwaige Mißstände in gesundheitlicher und sittlicher Beziehung)? Wie sind die Schlafräume für das Gesinde beschaffen? Wie werden auswärtige Arbeiter (Sachsengänger u.s.w.) untergebracht (gesundheitliche und sittliche Mißstände dabei)? Legen die Arbeiter Wert auf die Qualität der Wohnungen überhaupt und in welcher Beziehung? Welche Wünsche und Beschwerden sind dem Herrn Referenten bezüglich der Wohnungsverhältnisse seitens der Arbeiter zu Ohren gekommen? Welchen Mietzins müssen die in den Dörfern eingemieteten Arbeiter (Einlieger), falls solche vorhanden, für ihre Wohnungen zahlen, oder eventuell, wie viel Arbeitstage müssen sie ihrem Vermieter dafür oder auch für das ihnen zur Nutzung überlassene Land leisten? Wie stellen sich die betreffenden Leute zu der letzteren Art des Entgelts?
3. Wie beschaffen sich die einzelnen Arbeiterkategorien ihren Bedarf an Brennwerk (Freiholz, Deputatholz, Holzdiebstahl)?
4. Wo kaufen die Arbeiter ihre Bedarfsgegenstände ein (Entfernung des nächsten Marktortes)? In welchem Umfange besteht Klein- und Hausierhandel am Orte (Zahl der Kramläden u.s.w.)? Mit welchen Waren und mit welcher Wirkung auf Lebens[A 3]haltung, Hauseinrichtung, Luxusbedürfnisse? Welche Kategorien der Arbeiter sind bei Kaufleuten, Hausierern, Wirten verschuldet und mit wel[697]chen Summen etwa (Beispiele)? Werden sie in diesem Falle von diesen und wie ausgebeutet?
5. Landesübliche Ernährungsweise durchschnittlich situierter Arbeiterfamilien: a. Kosten der Nahrung: Zu welchem Preise sind a. Kartoffeln (1 Scheffel, 1 Zentner etc.); b. ein Pfund, Kilo, oder eine sonstige dem Gewicht nach anzugebende Einheit Roggenbrot; c. Milch; d. ein Pfund Fleisch (Rind-, Schweinefleisch, Speck) an Ort und Stelle im Laufe des letzten Jahres oder einer sonstigen näher anzugebenden Zeitspanne käuflich gewesen? b. übliche Kost: Welche Kategorien von Arbeitern werden vom Arbeitgeber beköstigt? Ganz oder teilweise? Ist es den Arbeitern lieber, sich selbst beköstigen zu können, oder von den Arbeitgebern beköstigt zu werden? In letzterem Falle, wie steht es mit der Beköstigung ihrer Angehörigen? Und welche Wirkung hat es auf das Familienleben, wenn sie allein, oder auch die Frauen bei dem Arbeitgeber mit beköstigt werden? Unterscheiden sich die verschiedenen Arbeiterkategorien in ihrer Ernährungsweise und wie? Wie ist insbesondere die Kost zusammengesetzt a. bei denjenigen Arbeitern, die sich selbst beköstigen? b. bei dem Gesinde? c. bei den vom Arbeitgeber beköstigten Arbeitern? Namentlich, wie steht es bei diesen einzelnen Kategorien mit folgenden Verhältnissen: Wie oft giebt es in der Woche Fleischkost? In welchem Umfange findet wöchentlich Brotkonsum statt, zu- oder abnehmend? In welchem Umfange werden Brotsurrogate, Kartoffelmehl u.s.w. gebraucht? Wie groß etwa ist der Umfang des wöchentlichen Konsums an Zerealien (Erbsen, Graupen, Reis, Linsen)? Ist er zu- oder abnehmend? Wie groß ist der Konsum von Butter und Käse? Ist Kaffee ein allgemeines Bedürfnis? Welche Unterschiede sind in der Ernährung der Arbeiter gegenüber anderen Ständen vorhanden (Bauern und etwa vorhandenen Industriearbeitern)? c. Konsum alkoholischer Getränke: Welche Arbeiterkategorien huldigen ihm und in welchem ungefähren Umfange (Angabe des wöchentlichen oder täglichen Konsums von einzelnen typischen Beispielen). Ist derselbe bei den einzelnen Kategorien zu- oder abnehmend? Aus welchen Gründen? Welche sichtbaren Wirkungen hat die Verteuerung des Branntweins erzielt? Wie steht es mit dem Ersatz des Branntweins durch Bier oder sonstige Getränke? In welchem Umfange kommt Alkoholgenuß bei Frauen und Kindern vor?
6. Arbeitsgelegenheit: Ist solche, soviel dem Referenten bekannt, regelmäßig vorhanden? Insbesondere auch im Winter, an Ort und [698]Stelle? Oder für welche Arbeiterkategorien nicht? Wenn nicht, wie beschäftigen sich die Arbeiter und deren Angehörige während der arbeitslosen Zeit? Finden sie in solchen Fällen außerhalb der Landwirtschaft Beschäftigung? Wo? Mit ausreichendem Verdienst oder inwiefern nicht und weshalb nicht? Falls am Orte nicht genügend Arbeitskräfte vorhanden sind, welche Folgen haben sich daraus für die Gesinnung, Leistungsfähigkeit und sittliche Qualität der vorhandenen Arbeiter zu erkennen gegeben? Kommt es häufig vor, daß die einzelnen Arbeiter – auch abgesehen von der Nötigung durch Arbeitslosigkeit – abwechselnd zeitweise in der Landwirtschaft, zeitweise in der Industrie (Fabrik- oder Hausindustrie) oder in anderen Berufen und in welchen thätig sind? Von welchen Kategorien am meisten? Zu- oder abnehmend? Lassen sich Folgen für den Erwerb, die Arbeitstüchtigkeit und die sittliche Qualität der Leute aus dieser Doppelarbeit erkennen?
7. Arbeitszeit: Wenn es bekannt sein sollte, wann pflegt die Arbeit zu beginnen und zu enden: im Sommer? im Winter? Welche Pausen sind innerhalb der Arbeitszeit üblich? Ist die Arbeitszeit der Frauen kürzer? Und um wieviel? Welche Klagen [A 4]oder Wünsche über die Arbeitszeit sind dem Herrn Referenten seitens der Arbeiter zu Ohren gekommen? In welchem Umfange kommt ein Arbeiten über die gewöhnliche Zeit hinaus vor? Wie verhalten sich die Arbeiter dazu? Kommt Überanstrengung vor? Wie steht es bei den verschiedenen Kategorien von Arbeitern mit der Sonntagsheiligung? In welchem Umfange und was wird auch am Sonntag für den Arbeitgeber gearbeitet? In welchem Umfange und was wird für die eigene Wirtschaft gearbeitet? Wie stellen sich die Arbeiter zu jeder von beiden Eventualitäten? Wenn Sonntagsruhe im allgemeinen besteht, wie wird der Sonntag und die sonstige Freizeit von den Arbeitern verwendet?
8. Welchen Einfluß hat die Einführung von Maschinenarbeit auf die Arbeitszeit, Lohnhöhe und die Art des Arbeitens gehabt? Aus welchen Thatsachen ist dieser Einfluß ersichtlich? Welche Thatsachen lassen erkennen, ob die Maschinenarbeit die wirtschaftliche Lage der Arbeiter im allgemeinen verbessert oder verschlechtert? Hat insbesondere und eventuell in welchem Umfange die Einführung der Dreschmaschine die Möglichkeit zum Lohnerwerb während des Winters verringert?
9. Wie steht es bei den verschiedenen Kategorien der Arbeiter mit [699]der Versorgung in Krankheitsfällen seitens der Arbeitgeber? Wie ist das Urteil der Arbeiter darüber?
10. Wie steht es mit der Armenfürsorge der Gemeinden, bezw. der Güter? In welcher Form wird die Unterstützung (Unterkunft, Kost u.s.w.) gewährt? Was halten die Arbeiter von der bestehenden Armenfürsorge? Inwieweit erachtet der Herr Referent die bestehenden Zustände für nicht befriedigend?
B. Familienleben.
1. Bei welchen Kategorien von Arbeitern ist das Zusammenwirken der einzelnen Familienglieder zum gemeinsamen Unterhalte wirtschaftlich am erfolgreichsten organisiert? Wie ist es dann organisiert? Läßt sich namentlich erkennen, ob die Lohnarbeit der Frau oder die Beschäftigung in der eigenen Wirtschaft materiell auf die Gestaltung des Budgets günstiger wirkt? Aus welchen Ursachen?
2. Wie hoch ist durchschnittlich das Alter der Männer und Mädchen bei der Heirat? Bestehen hierbei Unterschiede der Landarbeiter gegenüber a. den Bauern, b. Industriearbeitern? Ist kirchliche Einsegnung die Regel? Kommen wilde Ehen vor? Aus wirtschaftlichen Gründen? In welchem Umfange? Mit welcher sittlichen Wirkung auf die Beteiligten? Wie urteilen die Arbeiter darüber? Wird das eheliche Zusammenleben oft antizipiert? Aus welcher Veranlassung? Was ist die Meinung der Arbeiterschaft darüber? Wird ein solcher geschlechtlicher Umgang junger Leute von den Eltern absichtlich geduldet oder gar begünstigt? Findet häufig geschlechtlicher Verkehr ohne nachfolgende Ehe statt? Kommt es vor, daß junge Eheleute aus Arbeiterkreisen auch noch nach der kirchlichen Trauung aus wirtschaftlichen Gründen (welchen?) von einander getrennt leben? Wo? Wie lange? Wie urteilen die Beteiligten darüber? Wird von Eheleuten die eheliche Treue gewahrt?
3. Stellung der Frau im Hause. Lassen sich hierin irgendwelche Unterschiede gegenüber den anderen ländlichen Gesellschaftsschichten (Bauern, Industriearbeitern u.s.w.) oder unter den einzelnen Arbeiterkategorien erkennen? Und welche? Erwirbt die Frau mit? In welchen Arbeiterkategorien? Wodurch? Wieviel etwa (im Verhältnis zum Lohnerwerb des Mannes)? Bei welchen Arbeiterkategorien ist sie vorwiegend in der eigenen Wirtschaft beschäftigt? Welchen Einfluß hat einerseits die Lohnarbeit, andererseits die Hausarbeit der Frau auf die Gestaltung des Familienlebens? Insbe[700]sondere hebt eine von beiden ihre Stellung dem Manne gegenüber? [A 5]Aus welchen Ursachen? Sind die Frauen einer von beiden besonders geneigt oder abgeneigt? Warum? Führt die Lohnarbeit der Frau zu anderweitigen Mißständen (Gefährdung der Gesundheit, Sittlichkeit, Vernachlässigung der Kindererziehung)? Findet eine Verschonung der Wöchnerinnen mit Arbeit statt und in welcher Art? Schonen die Wöchnerinnen sich selbst? Wie stellen sich die Ehemänner dazu?
4. Kinder: wie groß pflegt durchschnittlich die Anzahl der Kinder in den verschiedenen Arbeiterkategorien zu sein? Wie groß ist etwa die Kindersterblichkeit? Macht sich ein Bestreben bemerkbar, die Kinderzahl einzuschränken: bei den Bauern? bei den etwaigen grundbesitzenden Arbeitern? bei den anderen Arbeiterkategorien? Werden die Kinder der Arbeiter der verschiedenen Kategorien regelmäßiger oder unregelmäßiger getauft und konfirmiert als bei den anderen ländlichen Gesellschaftsschichten? Ist das religiöse Interesse der Konfirmanden bei den Arbeiterkindern stärker oder weniger stark als bei den Kindern der anderen Schichten? Welche Mißstände treten bei der Erziehung der Kinder in den Arbeiterfamilien hervor? Die Kinder welcher Arbeiterkategorien werden am meisten zur Lohnarbeit verwendet? Oder von den Eltern zur Beihilfe in der eigenen Wirtschaft? In welchem Umfange, welchem Alter, zu welchen Arbeiten, mit welcher durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit? Machen sich Folgen bemerkbar für den Schulbesuch, für die Gesundheit, die sittliche und geistige Entwickelung der Kinder und welche? Wie stellen sich die Arbeiter der verschiedenen Kategorien selbst zur Arbeit ihrer Kinder? Bestehen Kleinkinderschulen? In welcher Organisation? Zu welchen Zwecken gegründet? Von den Kindern welcher Kategorien, wie stark und weshalb besucht? Wie urteilen die Arbeiter über sie?
5. Beschäftigung der Halberwachsenen zwischen Schulentlassung und Militärdienstzeit: Welcher Bruchteil der konfirmierten Arbeiterjugend geht jährlich zu andern Berufen über? Zu- oder abnehmend? Von welchen Arbeiterkategorien am meisten und am wenigsten? Zu welchen Berufen am liebsten? Aus welchen Gründen? Liefern sie ihren Lohnverdienst an die Eltern ab oder welchen Bruchteil davon? Wie ist das gegenseitige Verhältnis in solchen Fällen? Bleiben die Halberwachsenen im Hause der Eltern wohnen? Werden sie von den letzteren und inwiefern ausgebeutet?
[701]6. Alte und invalide Familienangehörige: In welchem Umfange und welcher Weise wird für dieselben gesorgt? Und zwar seitens der Angehörigen? Seitens der Arbeitgeber? Ist ihr Verhältnis zu ersteren den Geboten christlicher Liebe entsprechend? Hat das Alters- und Invaliditätsgesetz hier Wirkungen gehabt und welche? Wie beurteilen die Leute dies und die übrigen sozialpolitischen Gesetze? Werden von einzelnen Arbeitgebern oder ganzen Gemeinden Versuche gemacht, erwerbsunfähige oder mit Erwerbsunfähigkeit bedrohte Personen vom Orte fernzuhalten oder zum Fortziehen zu veranlassen? Welcher Art sind diese Versuche, und wie wirken sie auf die Stimmung der Arbeiter?

III. Einkommensverhältnisse im Speziellen.

1a. Freie, in barem Gelde abgelohnte Tagelöhner: (Bitte anzugeben, ob solche Leute zugleich eigne Wirtschaften besitzen.) Wie hoch belief sich in letzter Zeit (in welcher?) der bare Tagelohn solcher a. männlicher, b. weiblicher Tagelöhner, welche a. nur in barem Gelde oder b. in barem Gelde neben – voller oder teilweiser – Beköstigung abgelohnt wurden, während der verschiedenen Jahreszeiten, und zwar a. wenn sie dauernd, und b. wenn sie nur zeitweise (in der Ernte, im Sommer) beschäftigt wurden – soweit dies dem Herrn Referenten bekannt? Findet vorwiegend [A 6]Akkordlöhnung oder Tagelöhnung statt? Wie hoch stellt sich der durchschnittliche tägliche Akkordverdienst absolut oder im Verhältnis zum Tagelohnverdienst? Was ziehen die Arbeiter vor? Aus welchen (vermeintlichen oder wirklichen) Gründen? Was wird neben dem Barlohn gewährt (Kartoffelland, Wohnungszuschüsse, Erntegetreide, sog. Nachreche u.s.w.)? Sind zusammenhängende Angaben über das Jahreseinkommen solcher Tagelöhnerfamilien durch Befragung derselben zu erhalten, so sind solche Angaben äußerst erwünscht. An welchen Wochentagen wird in den verschiedenen Betrieben der Lohn ausgezahlt? b. Vorwiegend oder teilweise in Naturalien abgelohnte, in dauerndem Kontraktverhältnis stehende Arbeiter, einschließlich des verheirateten Gesindes: Sind detaillierte Budgets auch solcher Arbeiter durch Befragung zu erlangen, so ist deren [702]Angabe sehr erwünscht
1)
[702][A 6] In diesem Falle würden vor allem die Einnahmen anzugeben sein, und zwar speziell was der Arbeiter erhält an: Wohnung (Zahl der Räume, Größe, wieviel Familien in einem Hause zusammen) – umsonst? gegen welches Entgelt in Geld oder Arbeit? – Gartenland, Acker (Größe, Qualität, Ansicht der Leute darüber) – für welche Feldfrüchte? wieviel ernten sie etwa davon? geben sie Entgelt dafür? – Futter und Weide oder nur Weide für welches Vieh? im eigenen Stall? im herrschaftlichen Stall? – Deputate an Feldfrüchten der einzelnen Art (ist der etwaige Hofgänger dabei einbegriffen)? – Wo noch Dreschanteil vorkommt: Anteilsquote, Ertrag in den letzten Jahren, Dreschzeit? – Etwaige sonstige (Fleisch-, Holz-, Milch-)Deputate? – Brennwerk? – Fuhren (welcher Art)? – Endlich die Lohnsätze: festen Jahreslohn? oder Tagelohn? in ersterem Fall: ist der Lohn für den etwaigen Hofgänger mit eingeschlossen? bei Tagelohn: an wieviel Arbeitstagen wird gearbeitet? ist der Herr verpflichtet Arbeit zu geben? werden Abzüge gemacht? wie hoch beläuft sich der Gesamtertrag? Was zahlt der Mann dem Hofgänger an Lohn? |
. Eventuell wird wenigstens folgendes ermittelt werden können: a. Welchen Teil ihres Nahrungsbedarfs decken die Arbeiter aus den Naturalien ihrer Löhnung nach ihrer Angabe? b. Was müssen sie an Nahrungsmitteln und sonstigen Bedürfnissen regelmäßig zukaufen? Fleisch? Brot? Milch? Kartoffeln? Backen sie selbst? Schlachten sie ein? In zu- oder abnehmendem Maße? c. In welchem Umfange wird von ihnen – und den andern Arbeiterkategorien – die Kleidung selbst hergestellt? Was wird davon zugekauft? Kommt es vor, daß von ihnen aa. Getreide, bb. selbstgezüchtete oder im jugendlichen Alter angekaufte Schweine oder Kälber, cc. Eier, Geflügel, Milch, Butter u.s.w. verkauft werden? Wieviel etwa? Legen die Arbeiter Wert darauf zu verkaufen? Aus welchen Gründen? d. Hofgängerverhältnisse: Wenn die Arbeiter (zumal im Osten) dem Arbeitgeber noch einen Dienstboten (Hofgänger, Scharwerker) zu stellen haben: aa. woher rekrutieren sich diese Hofgänger? Wie alt pflegen sie zu sein? Welchen Geschlechts? bb. Wie hoch ist der ihnen von ihrem Dienstherrn (Gutstagelöhner) gezahlte bare Lohn? cc. Wie werden sie untergebracht und behandelt? dd. Welche Mißstände treten in dem ganzen Verhältnis hervor? ee. Wie stellen sich die beteiligten Arbeiter zu ihm? c. Ledige Knechte (Pferde-, Ochsenknechte) und Mägde bei freier Station: Wie hoch ist der übliche Jahreslohn auf den verschiedenen Arten von Gütern?
2a. Wenn die Arbeiter Land – eigenes, gepachtetes, zugewiesenes – bewirtschaften, ist dem Herrn Referenten bekannt, a. was sie mit Vorliebe bauen? b. wieviel sie etwa (in Scheffeln, Zentnern u.s.w.) pro ha oder Morgen ernten? Beziehentlich für wieviel und für was für Vieh sie Futter gewinnen? c. pflegt dieses [A 7]Land für die Arbeiter [703]leicht erreichbar oder abgelegen zu sein, und wie sind die Leute mit seiner Bodenqualität zufrieden? b. Welche von den verschiedenen Kategorien der Arbeiter halten eigenes Vieh? Welcher Art? Wieviel etwa? Im eigenen Stalle? Oder wo sonst? c. Gilt den Arbeitern wie deren Frauen a. die Bewirtschaftung eigenen, gepachteten oder zur Nutzung überlassenen Landes, b. die Haltung eigenen Viehes für wünschenswert? Aus welchen Gründen? Eventuell, weshalb angeblich nicht? Unterscheiden sich die selbstwirtschaftenden Arbeiter von den andern nach irgend einer – sittlichen, geistigen, physischen – Richtung? Inwiefern? Gilt der Erwerb oder Pacht von Grundeigentum bei fortdauernder Tagelohnarbeit für erwünscht? Warum oder eventuell warum nicht? d. Kommt a. durch Zukauf, b. durch Pachtung, c. oder sonstwie ein Aufsteigen von Arbeitern in den Stand der selbständigen Kleinbauern vor? Aus welchen Kategorien? Wie oft etwa? Mit welchem Ergebnis für die Beteiligten? Gilt es für erstrebenswert? Eventuell warum nicht? e. Findet ein Übergang aus einer Kategorie von Arbeitern in die andere häufig statt? Z. B. von den Instleuten zu den Einliegern u.s.w. und umgekehrt? In welchem Sinne? Weshalb? Etwa aus Abneigung gegen Naturallohn? Und worauf gründet sich diese eventuell? f. Welche der verschiedenen Kategorien ist nach Auffassung a. der Arbeiter selbst, b. des Herrn Referenten im ganzen materiell am besten und welche am schlechtesten gestellt? Wieso?

IV. Ethische und soziale Verhältnisse.

1a. Woher rekrutieren sich die verschiedenen Kategorien der Landarbeiter? Was waren ihre Eltern? b. In welchem Umfange findet a. Auswanderung ins Ausland, b. Abzug in die Fabrikgegenden und die Städte c. oder beides statt? Zu- oder abnehmend? Familienweise oder einzeln? Relativ gut oder schlecht Situierte? Wirtschaftlich Tüchtige oder Untüchtige? Sittlich Hochstehende oder nicht? Kirchliche oder Unkirchliche? Von welchen Kategorien am meisten? Welche Gründe pflegen die Arbeiter für beides anzugeben? c. Findet zeitweilige Abwanderung (Sachsengängerei u.s.w.) nach auswärts statt? Von welchen Arbeiterkategorien? Von welchen Geschlechts- und Altersklassen? Tüchtige oder Untüchtige? Mit welchen geisti[704]gen und sittlichen Folgen bei der Rückkehr für die Beteiligten? Für den ganzen Ort? Namentlich bei Mädchen (6. Gebot, Abtreibung)? d. Findet häufig Wechsel des Arbeitgebers am Orte statt? Vom Bauernhof zum Gut oder umgekehrt? Aus welchen vermeintlichen oder wirklichen Gründen seitens des Arbeiters? e. Ist ein Einfluß a. der Wanderarbeiter, b. von Arbeitern anderer Erwerbsarten auf die verschiedenen Kategorien der ländlichen Arbeiter zu spüren und welcher? f. Wie verhalten sich die Leute zu technischen landwirtschaftlichen Nebengewerben (Zuckerfabriken, Branntweinbrennereien u.s.w.)? Wie verhalten sie sich zu der Einführung von Maschinen? Welche Gedanken machen sie sich darüber? Welche Einwirkung hat objektiv die Einführung von Maschinen auf die materielle und seelische Lage, die Gesinnung der Arbeiter? Welche Maschinen werden angewendet?
2a. Wird seitens der Arbeiter gespart? Seitens welcher Kategorien am meisten? Zu welchen Zwecken? b. Besteht das Bedürfnis nach Lektüre? Bei welchen Arbeiterkategorien am meisten? Nach Lektüre welcher Art? Welche Zeitungen werden vorwiegend gehalten? Wie und von wem wird für dies Bedürfnis gesorgt? c. Wie stellen sich die verschiedenen Arbeiterkategorien zur Schulbildung? Insbesondere auf welche Kenntnisse legen sie besonderen Wert? d. Besteht bei den verschiedenen Arbeiterkategorien in verschieden hohem Maße aufrichtige kirchliche Gesinnung? Bei [A 8]welchen am meisten? Warum wohl; auch mit aus wirtschaftlichen Ursachen? Wie ist es damit im Vergleich zu den anderen Ständen (Bauern und eventuell vorhandenen gewerblichen Arbeitern) bestellt? e. Wenn konfessionelle Mischung besteht, wie verhalten sich die Angehörigen der verschiedenen Konfessionen zu einander nach Leistungsfähigkeit, Seßhaftigkeit, Familiensinn? Wie vertragen sie sich unter einander? f. Sind kirchliche Elemente die wirtschaftlich Tüchtigsten oder das Gegenteil? g. Macht die seelsorgerliche Behandlung der verschiedenen Kategorien der Arbeiter Schwierigkeiten? Bei welchen am meisten? Mit aus wirtschaftlichen Ursachen, und eventuell welchen? Wie steht es damit im Vergleich mit den übrigen Landbewohnern? h. Hat das kirchliche Gebührenwesen Einfluß auf das Verhältnis der Arbeiter zur Kirche? Welchen? In welcher Weise werden die Arbeiter zu den kirchlichen Lasten herangezogen? Wer trägt sie hauptsächlich? Und wie?
3a. Bestehen „patriarchalische“ Beziehungen zwischen den Ar[705]beitgebern und Arbeitern, d. h. väterliche Fürsorge auf der einen, treue Anhänglichkeit auf der andern Seite? In welchen Einrichtungen und Thatsachen kommt dies zum Ausdruck? Wie äußern sich die Arbeiter über ihre Arbeitgeber? Wie über Gutsbeamte und Vorarbeiter? Wird von den Arbeitgebern und Beamten der richtige Ton in der Behandlung angeschlagen? Berücksichtigen sie das berechtigte Selbstbewußtsein der Arbeiter oder inwiefern nicht? Wie steht es mit der Bestrafung der Leute in Fällen schlechter Leistungen (Züchtigung, Geldstrafen, Lohnabzüge)? Kommen unsittliche Beziehungen der Besitzer, Beamten u.s.w. zu dem weiblichen Gesinde, den Arbeiterinnen und Tagelöhnerfrauen vor? b. Beziehungen zwischen den Arbeitern der einzelnen Kategorien: schließen sie sich gegenseitig mehr ab oder zusammen? Aus welchen augenscheinlichen oder angeblichen Gründen? Wie ist ihr Verhältnis zu den etwa ansässigen gewerblichen Arbeitern? Zu den Wanderarbeitern?
4. Finden sich Ansätze zu Landarbeiterverbänden? Welcher Art? In welchem Umfange findet Kontraktbruch statt? Finden sich Arbeitgeberverbände, und wie wirken diese auf die Stimmung der Arbeiter der verschiedenen Kategorien?
5. Wie steht es mit der sozialdemokratischen Agitation? Worauf richtet sie sich (z. B. Gesindeordnung)? Bei welcher Kategorie von Arbeitern ist dieselbe am wirkungsvollsten? Was für Leute leiten sie und wie?
6. Wie urteilt der Herr Referent über die sittliche Tüchtigkeit der Arbeiter im Verhältnis zu früher?
Mit einem Begleitschreiben,
1
[705] Das Begleitschreiben ist veröffentlicht in: Mitteilungen des Evangelisch-sozialen Kongresses, Nr. 1 von Januar 1893, S. 6f. Es ist datiert mit „Neujahr 1893“ und unterzeichnet von den Vorsitzenden des Evangelisch-sozialen Kongresses Moritz August Nobbe und Adolf Stoecker sowie vom Generalsekretär Paul Göhre.
welches die Berichterstatter ersuchte, ihre Angaben grundsätzlich nur durch Befragung der Landarbeiter selbst zu beschaffen und jede etwa notwendig werdende Abweichung hiervon deutlich erkennbar zu machen, ging dieser Fragebogen an die sämtlichen zu ermittelnden ca. 15 000 evangelischen Geistlichen Deutschlands, – auch an die städtischen, da die Ausscheidung der rein ländlichen Gemeinden aus der Gesamtheit nicht durchführ[706]bar war. Als Ablieferungstermin war zuerst der 15. März, dann der 1. Mai 1893 festgesetzt. Die bis zum 1. Juni, an welchem Tage der Generalsekretär über die Ergebnisse der Enquete dem in Berlin tagenden Vierten evangelisch-sozialen Kongreß berichtete, eingegangenen rund 1000 Antworten verteilten sich folgendermaßen auf die einzelnen Gebiete:
2
[706] Die folgende Tabelle hat Weber dem Jahresbericht des Generalsekretärs Paul Göhre entnommen. Sie ist veröffentlicht in: Bericht über die Verhandlungen des Vierten Evangelisch-sozialen Kongresses, abgehalten zu Berlin am 1. und 2. Juni 1893. – Berlin: Rehtwisch & Langewort 1893, S. 7.
|
[A 9]
Provinz Ostpreußen 32Thüringische Staaten48
Provinz Westpreußen14Provinz Westfalen und Lippe21
Provinz Posen17Provinz Hessen-Nassau und
Waldeck
46
Provinz Schlesien58
Provinz Pommern50Großherzogtum Hessen70
Provinz Brandenburg95Rheinprovinz22
Großherzogtum Mecklenburg24Elsaß-Lothringen2
Provinz Sachsen und Anhalt141Baden43
Königreich Sachsen54Württemberg92
Provinz Schleswig-Holstein24Bayern52
Provinz Hannover, Oldenburg und Braunschweig72
Einzelne trafen noch nachträglich ein. Über die definitive Anzahl der auf die einzelnen Gebiete entfallenden und der nachstehenden Bearbeitung – nach Ausscheidung der nicht ganz wenigen für die Verarbeitung ungeeigneten – zu Grunde gelegten Arbeiten geben die einzelnen Abschnitte der Bearbeitung je an ihrer Spitze Aufschluß. –
Die Art der Verarbeitung und Publikation wurde vom Aktionskomité dem – seither aus dem Komité ausgeschiedenen – Generalsekretär und dem Herausgeber anheimgestellt. Daß eine Publikation nicht früher als jetzt, 6 Jahre nach Beginn der Enquete-Arbeiten, erfolgte, hat, soweit der unterzeichnete Herausgeber dabei in Betracht kommt, seinen Grund zunächst in rein persönlichen Verhältnissen: Übernahme und sodann zweimaliger Wechsel des Lehramts, in einem Falle verbunden mit Übergang zu einem andern Lehrfach, eine zuerst leichtere, dann nachhaltigere Erkrankung machten die Fortführung der anfänglich von mir selbst begonnenen Verarbeitung immer wieder unmöglich. Daneben kam auch in Betracht, daß die nicht ganz unbedeutenden Kosten einer solchen Publikation nicht wohl von mir allein getragen werden konnten. Eine etwaige Gewäh[707]rung eines Zuschusses seitens des Kongresses aber hätte dessen Leitung eine Verantwortlichkeit für den Inhalt dieser Publikation zugeschoben, welche sie schwerlich zu übernehmen und ich keinesfalls ihr abzutreten geneigt gewesen wäre. Es standen aber nicht ohne weiteres ein zur Übernahme eines Teils des Risikos bereiter Verlag und geeignete Bearbeiter zur Verfügung, zumal auch den letzteren pekuniäre Opfer zugemutet werden mußten. Dem angesichts dieser Schwierigkeiten an sich naheliegenden Gedanken, den übernommenen Auftrag zurückzugeben, habe ich nicht nachgegeben, da alsdann die Chancen einer Verarbeitung des Materials überhaupt sehr ungünstig gestanden haben würden. Nachdem nunmehr eine Anzahl geeigneter Bearbeitungen einzelner Gebiete vorliegen, welche durch Herren meines Seminars – unter meiner Leitung und Kontrolle und in Bezug auf einige Äußerlichkeiten der Stoffverteilung nach einer einheitlichen Veranlagung, im übrigen aber in voller wissenschaftlicher Selbständigkeit – durchgeführt sind, kann mit der Publikation begonnen werden. Es werden zunächst diejenigen norddeutschen Gebiete, über welche besonders zahlreiches und brauchbares Material in den Berichten vorliegt, zur Behandlung gelangen: In den beiden ersten Heften das Ebenen-Gebiet zwischen Weser und Elbe und Schleswig-Holstein, im dritten Mittel- und Niederschlesien und die Südhälfte der Mark,
3
[707] Siehe die in Anmerkung 11 und 12 des Editorischen Berichts aufgeführten Titel, oben, S. 688f.
im vierten – im Lauf des folgenden Jahres erscheinend – der Nordosten von der Elbe bis zur russischen Grenze.
4
Ein viertes Heft in der von Weber herausgegebenen Reihe ist nicht mehr erschienen. Das Material wurde dagegen in den Dissertationen zweier seiner Schüler verarbeitet. Siehe Anm. 16 des Editorischen Berichts, oben, S. 689.
Oberschlesien und Posen müssen ebenso wie Rheinland und Westfalen von der Bearbeitung ausgeschlossen bleiben, da aus den großen rein katholischen Gebieten natürlich jede Berichterstattung fehlte und auch in Gebieten mit [A 10]stark konfessioneller Mischung, wie die Konfessionsstatistik ergiebt, gerade das Land und auf dem Lande wiederum die sozial tieferstehenden Schichten – speziell also die Landarbeiter – Träger des Katholizismus zu sein pflegen, die Berichterstattung aus diesem Grunde ziemlich spärlich und oft mangelhaft ist und meist nur einzelne rein oder fast rein protestantische Inseln umfaßt. Der von mir mit katholischen Schü[708]lern erörterte Gedanke, den Versuch eines Angehens des katholischen Klerus (z. B. Westfalens) um Beantwortung eines dem vorstehenden ähnlichen Fragebogens zu machen,
5
[708] Einer der Schüler Webers und Enquetebearbeiter, Andreas Grunenberg, wandte sich an den Bischof von Münster mit dem Vorschlag, eine der Enquete des Evangelisch-sozialen Kongresses vergleichbare Erhebung unter den katholischen Geistlichen Westfalens durchzuführen. Briefe Andreas Grunenbergs an Max Weber vom 18. Juli und vom 26. Juli 1899, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. Diese Erhebung kam nicht zustande. Stattdessen führte die Landwirtschaftskammerder Provinz Westfalen 1904 eine Enquete durch, bei der die Fragebögen des Vereins für Socialpolitik verwendet wurden. Vgl. Schlotter, Peter, Die ländliche Arbeiterfrage in der Provinz Westfalen. – Leipzig: Hirschfeld 1907.
wäre für mich als Protestanten nach Lage der Verhältnisse wohl leider aussichtslos gewesen, er hätte überdies vermutlich das Mißtrauen der Ordinariate erregt und den etwa zur Beantwortung bereiten Geistlichen Unbequemlichkeiten verursachen können. – In einem Schlußheft
6
Dieses Heft ist nicht erschienen.
zu den Bearbeitungen Norddeutschlands sollen 1) einige Berichte, welche in besonders gelungener Weise entweder besonders typische oder besonders eigenartige Verhältnisse schildern – selbstverständlich unter Wahrung der in dem Aufforderungsschreiben zugesagten Anonymität – ihrem Wortlaut nach ganz oder teilweise wiedergegeben werden und werde ich 2) ein kurzes Resumé der Resultate zu geben suchen. Ad 1 wird auch die Diaspora berücksichtigt werden können. Ad 2 werde ich Gelegenheit haben, mich auch darüber zu äußern, in welchen Beziehungen ich der angestellten Erhebung einen selbständigen wissenschaftlichen Wert beimesse. Hier sei nur daran erinnert, daß ihr Zweck ein doppelter war: 1) eine Kontrolle des gleichartigen, durch Befragung der ländlichen Unternehmer erhobenen Materials der Untersuchungen des Vereins für Sozialpolitik (cf. die Schriften desselben Band 53–55) durch ein wenigstens indirektes Angehen auch der Landarbeiter zu versuchen; ob und mit welchem Ergebnis dies gelungen ist, wird an dem gedachten Ort zu besprechen sein – 2. aber und namentlich: den evangelischen Landgeistlichen eine erneute Anregung und zugleich, an der Hand eines methodisch gegliederten Frageschemas, die erleichterte Möglichkeit zu geben, in ihrem eigenen und ihrer Gemeinde Interesse sich einen Einblick in die ökonomisch-sozialen Existenzbedingungen ihrer Gemeindeangehörigen zu verschaffen. Denn man ging von der Ansicht aus, daß es [709]zwar sicherlich nicht Sache des geistlichen Amts als solchen sein könne, Wirtschaftspolitik zu treiben und im Interessenstreit Partei zu ergreifen, daß aber der Geistliche die psychologischen Konsequenzen der modernen Wirtschaftsentwicklung und Klassenbildung, ihren notwendigen und möglichen Einfluß auf die traditionellen Grundlagen des Familienlebens und auf die Art der Beziehungen des Menschen zu seiner Arbeit kennen und in ihrem Zusammenhang durchschauen müsse, wenn er die spezifisch modernen Lebenskämpfe und Versuchungen, in welche seine Gemeindeglieder hineingestellt sind, mit brüderlicher Gerechtigkeit verstehen und beeinflussen wolle. Die Veranstaltung der Enquete fiel noch in eine Zeit, wo diese Ansicht auch von den größten deutschen Kirchenregimentern teils ausdrücklich teils stillschweigend gebilligt wurde.
Hiemit steht es heute bekanntlich anders. Nach unsern deutschen Verhältnissen wird der vielbesprochene „Wechsel der Majoritäten“ parlamentarischer Staaten vertreten durch den Wechsel der in den leitenden Schichten jeweils geltenden politischen und sozialpolitischen Moden, welche, unberechenbar in ihrer Entstehung, in ihrer phasenreichen Unbeständigkeit alle Schäden des Parlamentarismus in etwas anderer Form und ohne dessen immerhin auch vorhandene Vorzüge mit sich bringen. Sie fügen zu jenen Schäden überdies jene Unaufrichtigkeit hinzu, zu welcher ein halb patriarchalisches, halb bureaukratisches Regime genötigt ist, welches im Interesse des von ihm bean[A 11]spruchten Prestiges gegenüber den Unterthanen einen erfolgten Systemwechsel als solchen nicht eingestehen kann. Es hat sich hinlänglich gezeigt, daß auch der sozialpolitische Anlauf des Jahres 1890
7
[709] Durch die kaiserlichen Februarerlasse 1890 wurde eine neue Phase der Sozialpolitik eingeleitet, die allerdings nur bis 1894/95 andauerte.
trotz aller subjektiven Aufrichtigkeit der Absichten vorerst doch nur eine solche unstete Mode war, zum Teil überdies entstanden aus einer politisch überaus naiven und ethisch nicht sehr hoch zu stellenden Spekulation auf den Dank der zu beglückenden Massen. Den Epigonen des Fürsten Bismarck war weniger als ihm selbst bekannt, daß das Wort: „sie haben ihren Dank dahin“
8
Matthäus 6,2: „Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin.“
auch an einer solchen sozialpolitischen Werkheiligkeit sich in vollstem Maße vollzieht. Daher war, als der erwartete „Dank“ ausblieb, Enttäuschung und planloser Ingrimm die naturgemäße Folge. Die politisch [710]leitenden Stellen wurden jetzt, je mehr sie in ihrer traurigen Angst vor dem roten Gespenst das Bedürfnis hatten, sich selbst als starke Regierung zu fühlen, desto mehr dazu reif, das Werkzeug jener geschickten Geschäftsleute zu werden, welche nunmehr der Anschauung zum Siege verhalfen, daß es auch in der Sozialpolitik nur eine ultima ratio gebe: Pulver und Blei. Die Aufgabe, welche sich aus dieser bis weit in die Kreise des Liberalismus unausgesprochen gemachten Voraussetzung ergab, war eine an sich sehr einfache: jede Beschleunigung der als unvermeidlich angesehenen gewaltsamen Lösung steigert die Sicherheit des Erfolges. Es ist nach manchen Vorgängen der letzten Jahre kaum zu bezweifeln, daß unsere innere Politik – halb unbewußt – mit dem Gedanken an diese Aufgabe wenigstens gelegentlich zu spielen begonnen hatte.
9
[710] 1894/95 kam es unter dem Einfluß des saarländischen Schwerindustriellen Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg und auf Betreiben des preußischen Ministerpräsidenten Graf Botho Eulenburg zu einer konservativen Wende. Dabei wurden vom Kaiser, um neue Gesetze gegen die Sozialdemokratie durchsetzen zu können, zeitweilig Staatsstreichpläne, d. h. die Entmachtung des Reichstags oder die Abschaffung des demokratischen Wahlrechts, erwogen.
Die Rückwirkung jener Grundstimmung auf die Sozialpolitik war fühlbar genug. Sie traf mit voller Wucht diejenigen Geistlichen, welche denVersuch gewagt hatten, sich zwischen die im sozialen Interessenkampf stehenden Parteien zu stellen.
10
Gemeint sind vor allem Paul Göhre, Hermann Kötzschke, Julius Werner und Johannes Wittenberg, die 1895/96 wegen ihrer sozialpolitischen Tätigkeit als Geistliche in Konflikt mit den evangelischen Kirchenbehörden gerieten. Siehe dazu: Pollmann, Klaus Erich, Landesherrliches Kirchenregiment und soziale Frage. – Berlin: de Gruyter 1973, S. 237–244.
Vom Standpunkt einer Politik, welche früher oder später doch zum gewaltsamen Kampf schreiten zu müssen glaubt, waren sie unsichere Dienstpflichtige und ein Hindernis vor der Front. Die unschöne Beflissenheit, mit welcher die maßgebenden kirchlichen Instanzen Preußens diese Schwenkung – naturgemäß ohne sie als solche einzugestehen – mitmachten,
11
Mit dem Zirkularerlaß des Evangelischen Oberkirchenrats vom 16. Dezember 1895 wurde der 1890 gewährte sozialreformerische Freiraum für Geistliche wieder empfindlich eingeschränkt. Huber, Ernst Rudolf und Huber, Wolfgang, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Band 3: Staat und Kirche von der Beilegung des Kulturkampfs bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. – Berlin: Duncker & Humblot 1983, S. 694–698 und 725–730.
lieferte einen Beitrag zur Erkenntnis des Zusammenhangs zwischen der Unkirchlichkeit und Glaubensfeindschaft der evangelischen Massen [711]und der landeskirchlichen Organisation des evangelischen Christentums in Deutschland.
So kommt es, daß die folgenden Arbeiten, vorbereitet in einer Zeit sozialpolitischer Hochflut in den Kreisen der evangelischen Geistlichkeit – einer Hochflut, die naturgemäß auch manchen vergänglichen und thörichten Schaum aufwarf – erst erscheinen in einem Zeitpunkt tiefster Ebbe auf dem gleichen Gebiet in den gleichen Kreisen. Sie werden einerseits einen Beitrag zur Prüfung der Meinung liefern können, daß die evangelischen Geistlichen der Befähigung zu besonnener und klarer Erfassung der Vorgänge des Wirtschaftslebens ermangeln. Und sie werden für die Herren Geistlichen selbst, soweit sie mitgearbeitet haben, ein Erinnerungszeichen sein können an eine dahingegangene Zeitspanne, welche ein regeres und trotz mancher Unreifheiten erfreulicheres Leben innerhalb der evangelischen Kirche Deutschlands sich anbahnen sah, als die Gegenwart fortzuentwickeln vermocht hat. |

3.

[Anmerkung des Herausgebers]

[A VI]1) Die Nichtbenutzung des berufsstatistischen Zahlenmaterials von 1895, soweit es vorliegt,
1
[711] Weber bezieht sich auf die Berufszählung im Deutschen Reich vom 14. Juni 1895, deren Ergebnisse in Band 102–111 der Statistik des Deutschen Reiches, Neue Folge, veröffentlicht wurden. Die Bände 102–110 erschienen 1897, Band 111 „Die berufliche und soziale Gliederung des deutschen Volkes“ 1899.
hat ihren Grund, wie ich auch für Heft 1 hier nachtragen möchte, darin, daß die Zahlen zunächst der kritischen Würdigung bedürfen und s. Z. im Zusammenhang für sich behandelt werden sollen.