MWG digital

Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

Die Bedeutung des Luxus.. Vortrag am 29. Oktober 1895 in Gießen
(in: MWG I/4, hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Rita Aldenhoff)
Bände

[734]Die Bedeutung des Luxus

[A(1) 3][Erster Bericht des Frankfurter Volksboten]

Der Luxus in dem Sinne, wie ihn die Volkswirtschaft versteht, als höhere Lebenshaltung, ist eine im wesentlichen erfreuliche Erscheinung, zumal, wenn sie den geringeren Volksschichten zugute kommt. Zu bekämpfen sind vielmehr die namentlich in Übergangszeiten, wie die unsrige, hervortretenden bedenklichen Nebenerscheinungen, die Auswüchse aller Art, vor allem die Herzlosigkeit des Luxus. In solchen Zeiten fällt der Kirche und ihrer inneren Mission eine ernste Aufgabe zu, durch verdoppelten Eifer in Predigt, Unterricht und Seelsorge den rechten Grund zu legen, aus dem aller sittliche Halt erwächst, und Volkssitte und Sittlichkeit in besonders treue Pflege zu nehmen, mit Wort und That, durch Vorbilder edler Geselligkeit in Vereinen und Veranstaltungen, durch Darbietungen guter Bilder und Schriften etc., auch den Bedürfnissen der verschiedenen Volksschichten in Bezug auf die Art der gottesdienstlichen Versorgung (Zeit, Ort und Kürze der Gottesdienste) mit mehr Verständnis und Beweglichkeit entgegen zu kommen, als sie der Landeskirche gemeiniglich eignen. Dann wird sich die höhere Lebenshaltung als keineswegs unempfänglich für christlichen Geist und christliche Frömmigkeit erweisen.

[735][A(2) 1][Zweiter Bericht des Frankfurter Volksboten]

Was bezeichnet man zunächst mit dem Wort „Luxus“ vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus? Volkswirtschaftlich unerheblich ist dafür das, was in der populären Betrachtung gerade im Vordergrund zu stehen pflegt: Das Maßlose im Aufwand. Das ist moralisch verwerflich, sozialpolitisch unerfreulich; wissenschaftlich macht es nichts aus. Die Wissenschaft beschäftigt sich nicht mit dem Maßlosen, sondern mit der regelmäßigen Erscheinung. „Luxus“ ist auch nicht zu verwechseln mit „Verschwendung“. Letzteres ist ein privatwirtschaftlicher Begriff, der seine Stätte findet bei der Erwägung des Verhältnisses der Einnahmen und Ausgaben des Einzelnen. Für den Begriff des „Luxus“ ist es dagegen wesentlich, daß sich innerhalb einer menschlichen Gemeinschaft, eines Gesammtverbrauchs, gewisse eigentümliche Verbrauchsformen finden, die gewissen Schichten eigentümlich sind.

Und dabei handelt es sich – und das ist das erste Merkmal, das festzustellen wäre – um den Verbrauch von Gütern, die wir für entbehrlich ansehen. Damit ist freilich ein Merkmal gegeben, das relativ, geschichtlich verschieden ist. Jede Zeit, jede Klasse empfindet als Luxus diejenigen Ausgaben einer anderen Zeit, einer anderen Klasse, die sie für entbehrlich achtet.

Ist aber die Entbehrlichkeit ausreichend, um eine Ausgabe zum Luxus zu stempeln? Gewisse einfache Formen der Genußmittel (Kaffee, Tabak etc.) werden wir Bedenken tragen, zum Luxusverbrauch zu werfen. Wenigstens herrscht darüber ein steter Zweifel. Bei anderen Formen sind wir dagegen nicht im Zweifel, z. B. bei dem Spitzentaschentuch, das im Osten zu jeder Konfirmation gehört und von dem Ärmsten erbettelt wird. Worauf beruht es, daß wir das als Luxus empfinden? Weil diese Aufwendung gemacht wird, gerade, weil es sich um ein entbehrliches Gut handelt, die stattfindet, weil sie über das Maß des Unentbehrlichena[735]A(2): Entbehrlichen hinausgeht.

Aus einer vergleichenden Zusammenstellung von Haushaltungsbudgets1[735] Vermutlich bezieht sich Weber hier auf eine an die Hörer verteilte Zusammenstellung, die uns nicht überliefert ist. Die aufgeführten Daten sind nicht nachweisbar. kann man nachweisen, daß dem Luxus der Begriff des [736]Standesgemäßen ganz wesentlich ist. Deutlich zeigt sich das an der Vergleichung des Budgets zweier Subalternbeamten (Nr. 4 und 5) mit einem Gehalt von 3400 und 3700 Mk. mit denen eines Arbeiters, der Armenunterstützung empfängt (Nr. 1) (Einkommen 1050 Mk.), eines Hausindustriellen2[736] Gemeint ist ein im Auftrag eines Unternehmers (Verlegers) tätiger Heimarbeiter. (Nr. 2) (Einkommen 1340 Mk.) und eines Fabrikarbeiters (Nr. 3) (Einkommen 1365 Mk.). Während Nr. 1 für die unbedingt unentbehrlichen Bedürfnisse (Nahrung, Wohnung, Kleidung, Erwärmung, Beleuchtung, Reinlichkeit) 87½ Prozent seiner Einnahmen aufwendet, für Nahrung allein 51 Prozent, Nr. 2 74 Prozent, Nr. 3 83 Prozent, so sind es bei Nr. 4 und 5 (der Subalternbeamten) nur 65 Prozent. Woher erklärt sich der Rückgang schon bei Nr. 2, und noch mehr bei Nr. 4 und 5? Bei Nr. 2, dem Hausindustriellen, einem fest eingesessenen Manne, sind die Ausgaben für die Erziehung der Kinder größer, als bei Nr. 1 und 3, weil er seine Kinder auf derselben Stufe der sozialen Existenz haben will, die er selbst hat, während das bei Nr. 1 und 3 angesichts der Ungewißheit der Zukunft zurücktritt. Dafür spart der Hausindustrielle besonders an Kleidung, während das steigende Selbstgefühl des Fabrikarbeiters zu einem höheren Aufwand gerade hierfür führt. Bei den Subalternbeamten gar treten die Sorgen für die standesgemäße Erziehung der Kinder ganz in den Vordergrund. Dafür hungern und darben die Eltern. Sie stehen in Aufwendung für Nahrung schlechter, als selbst der Arbeiter. Während ihr Einkommen nur zweiundeinhalbmal so hoch ist, als das des Hausindustriellen, so belaufen sich die Aufwendungen für Kleidung sechs- bis siebenmal so hoch. Diese unverhältnismäßige Steigerung der Ausgaben für Kleidung geht bis etwa zu den Einkommen von 5000 Mk. Von da an erhöht sich diese Ausgabe höchstens im Verhältnis zum Einkommen. Dafür tritt dann das Wohnungsbedürfnis in den Vordergrund, und die Ausgaben dafür, sowie für Repräsentation steigen ganz unverhältnismäßig, bis zu den Einkommen von etwa 10 000 Mk. Darüber hinaus hört das Gesetz auf, und es beginnt der rein individuelle Luxus, Ausgaben, die nicht mehr durch den Standesbegriff diktiert werden.

Der Begriff des Standesgemäßen hat auch geschichtlich eine besondere Rolle gespielt. Nicht die Bequemlichkeit steht in der Geschichte des Luxus im Vordergrund – Reifröcke und dergl. sind [737]geradezu unbequem –, sondern die Erkennbarmachung des Standes nach außen.

Bei einem Blick auf die Entwicklungsgeschichte des Luxus ergiebt sich, daß die ursprünglichen Formen des Luxus weit abweichen von der, die wir jetzt sehen. Er hatte zwei Eigenschaften, die jetzt verloren gegangen sind. Er war erstens Quantitätsluxus (Massenluxus). Qualitativ lebt der König zu Karl’s des Großen Zeit nicht besser, als der Bauer. Was seine Gastmähler auszeichnet, sind die ungeheuren Mengen, die Zahl der Ochsen, die geschlachtet wurden, u.s.w. Zum zweiten ist er akuter Luxus: er tritt nicht dauernd im Alltagsleben auf, sondern bei besonderen Gelegenheiten: Hochzeiten, Beerdigungen und dergl. Reste von beiden Formen finden sich bei uns noch hie und da.

Mit welchen Mitteln arbeitete der Luxus der Vergangenheit? Ganz überwiegend mit einem Mittel, einer ungeheuren Verschwendung von Menschenmaterial. Sie beruht auf der Gesellschaftsverfassung, der Billigkeit des Menschenmaterials durch Eroberungskriege. Mit der Einstellung der Eroberungskriege war dieser Form des Luxus der Garaus gemacht und damit auch der Kultur des Altertums. Noch lange stehen die Menschenbesitzer an der Spitze der Kultur. Sie sind aber nicht mehr Träger eines nennenswerten Luxus.

Die weitere Entwickelung, die zur modernen Form des Luxus führt, hängt zusammen mit der Entwickelung der Städte und der Arbeitsteilung. Damit droht er, den Charakter des Standesgemäßen zu verlieren, Vorrecht der höchsten Klassen zu sein. Daher die Erscheinung, daß nun von oben her gegen den Luxus vorgegangen wird. Einmal nach oben; keiner soll über den Stand der Genossen hinausgehen, keiner besser als der andere produzieren oder konsumieren. Vor allem aber werden Luxusverordnungen nach unten erlassen, weil in deren Luxus sich die drohende Verschiebung der Stände offenbart. Über diese luxusfeindlichen Bestrebungen ist die Geschichte hinweggegangen mit dem definitiven Siege des Fabriksystems, mit dem Augenblick, wo diesem allein die Zukunft gehörte.

Dadurch ist zweierlei herbeigeführt worden. Erstens die Demokratisierung des Luxus. Die Fabrik war ursprünglich keineswegs eine Konkurrentin des Handwerks. Sie stellte ursprünglich nicht notwendige Lebensbedürfnisse her, sondern produzierte Luxusartikel billiger in Massen. Das setzt sich jetzt noch in den billigen Imitationsartikeln (nachgemachte, unechte Artikel) fort.

[738]Zweitens aber durchbricht die neue Zeit auch nach oben hin die Schranken. Die ungeheuren Abstände der Vermögen stellen zugleich die oberen großbürgerlichen Klassen vor das Problem einer Umgestaltung des Luxus derart, daß diese Vermögen Verwendung finden.

Dadurch empfängt der großbürgerliche Luxus der modernen Zeit seinen Charakter. Er ist nicht mehr akuter, gelegentlicher, sondern chronischer, dauernder Luxus; er beginnt das ganze Leben zu durchdringen. Der Luxus verliert damit weiter den vorherrschenden Charakter des Quantitätsluxus; er wird Qualitätsluxus. Damit ist die schrankenlose Entwicklungsfähigkeit des Luxus begonnen. Nicht minder geht dem Luxus das spezifisch ständische verloren. Der alte Luxus war unbequem. Er wurde getragen um des Standes willen. Der großbürgerliche Luxus wird Komfort. Das englische Wort ist uns dafür geläufig, weil diese Entwickelung in England am weitesten fortgeschritten ist. In England vollzieht sich aber dieser Luxus in der Tiefe des Hauses und des Familienlebens, weniger in der äußeren Pracht der Gebäude, wie bei uns. So tritt überhaupt das Zurschautragen als Merkmal des Luxus zurück. Nur im Tafelluxus hat sich ein Rest des alten Quantitätsluxus erhalten. Das sind Überbleibsel alter Barbarei. In England gilt es z. B. nicht mehr für fein, in Diamanten zu erscheinen. Daran pflegt man die Irländerin zu erkennen.

Nun noch ein Wort der Beurteilung, nicht der moralischen, d. h., wie wirkt der moderne Luxus auf den einzelnen – das kann unter gleichen ökonomischen Bedingungen sehr verschieden sein; es kann einer über oder auch unter seinem Luxus stehen – sondern der volkswirtschaftlichen. Es besteht eine dumpfe und unklare Vorstellung von einer spezifischen Schädlichkeit des Luxus auf Grund einer falschen geschichtlichen Auffassung, daß er die Nationen verweichlicht, den Untergang des Altertums herbeigeführt habe.3[738] Daß der Luxus zu Dekadenz und dem Untergang Roms geführt habe, ist einer der ältesten Topoi zu diesem Thema. Webers Formulierung läßt nicht vermuten, daß er hier an einen bestimmten Autor gedacht hätte. Das trifft nicht zu. Ganz andere Gründe haben das bewirkt. In der römischen Kaiserzeit waren die Völker viel weniger luxuriös, als unsere Väter vor dreißig Jahren. Man kann auch nicht sagen, daß in England die Schichten, die Träger des größten Luxus sind, physisch degeneriert (körperlich entartet) seien.

[739]Der Luxus ist, nationalökonomisch betrachtet, ein Symptom (Zeichen) bestimmter, gesellschaftlicher Erscheinungen. Darum ist es fraglich, ob man diese Erscheinungen kuriert, indem man das Symptom angreift.

Die Demokratisierung des Luxus ist unaufhaltsam. Nur ein Stillstand der volkswirtschaftlichen Entwickelung könnte sie aufhalten. Ist sie nun optimistisch oder pessimistisch zu beurteilen? Das kann nur für die einzelne Zeit entschieden werden. Für die gegenwärtige ist die fortgesetzte Zunahme der Lebensansprüche in den unteren Klassen ein Beweis, daß sie noch nicht am Aufsteigen verzweifelt haben. Die Voraussetzung für einen weiteren Fortschritt in dieser Richtung ist, daß im Vordergrund des modernen Güteraustauschs die Massenartikel stehen. Darin ist vorerst keine Änderung zu erwarten. Der alte Satz, daß die Kaufkraft der Massen das entscheidende ist, trifft, so trivial er schon sein mag, auch für die Gegenwart zu.

Vom politischen Standpunkte ist zu sagen, daß nach den bisherigen Erfahrungen erst auf einer gewissen Stufe der Lebenshaltung die politische Urteilsfähigkeit beginnt, die sich in bewußter Zugehörigkeit zu einer Partei kundgiebt. Auf einer gewissen Stufe beginnt die Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie. Die letzten englischen Wahlen haben einen Zusammenbruch des englischen Sozialismus gebracht.4[739] Bei den Unterhauswahlen 1892 konnten sich drei als „Independents“ gewählte Vertreter der Arbeiterschaft durchsetzen. 1893 wurde, durch diesen Erfolg ermutigt, die „Independent Labour Party“ gegründet, die jedoch bei den folgenden Wahlen im Juli 1895 im Unterhaus keinen Sitz erringen konnte. Cole, George Douglas Howard, British Working Class Politics, 1832–1914. – London: Routledge & Kegan 1965, S. 136 und 147. Er ist aber nur scheinbar, weil er nur darauf beruht, daß die augenblicklich noch immer anhaltende, schwere Krisis die Organisationen der sich aus dem niedersten Proletariat herausarbeitenden Arbeiter zur Auflösung gebracht und sie von dem höheren Stand der Lebenshaltung heruntergeworfen hat.5Anspielung auf die wirtschaftliche Krise zwischen 1893 und 1896, in deren Verlauf es zu einem erheblichen Anstieg der Arbeitslosigkeit kam.

Von der jüngeren nationalökonomischen Schule ist den Geistlichen manchmal empfohlen worden, den Arbeitern Bedürfnisse anzuerziehen.6Wer der Urheber der erwähnten Empfehlung ist, konnte nicht ermittelt werden. Es kann sich selbstverständlich dabei nicht um Getränke und dergl. handeln, sondern darum, daß die steigende Lebenshal[740]tung, die Qualität der Bedürfnisse in die Hut genommen werden soll. Es ist nicht wahr, daß vermehrtes Einkommen, freie Zeit und dergl. nur den Ausgaben für Getränke zugute kommen. Die Haushaltungsbudgets zeigen, daß, wenn in der niedrigsten Schicht der Einkommen eine plötzliche Zunahme des Einkommens stattfindet, die Zunahme des Getränkekonsums der des Einkommens gleichkommt. Bei den oben erwähnten Budgets tritt das nur bei dem Manne ein, der Armenunterstützung empfing. Schon bei dem Arbeiter, der eben darüber erhaben ist, findet man einen Rückgang des Getränkekonsums. Die Erziehung zu qualitativ erfreulicher Verwendung des Einkommens ist um so wahrscheinlicher in den Schichten mit höherer Lebenshaltung.

Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Bedenken gegen erhöhte Lebenshaltung zum Teil beruhen auf den in Deutschland gemachten Erfahrungen, daß sie nicht günstig sei für das kirchliche Verhalten. Hier gilt es aber Vorsicht im Urteil. Es ist nicht unmöglich, daß unsere kirchlichen Zustände selbst daran schuld sind. Es trifft außerhalb Deutschlands nicht zu, und überall da nicht, wo Sekten verbreitet sind. Die Schwierigkeiten werden vermehrt durch den Umstand, daß die aus dem Proletariat aufsteigenden Massen weniger zugänglich sind gegenüber den Formen der Landeskirche. Nicht ökonomische Gesetze führen dazu, sondern andere Ursachen.

Wie steht es mit der Zukunft dieser Demokratisierung des Luxus? Darauf ist keine sichere Antwort zu geben. Das hängt mit der Zukunft der Arbeiterklasse überhaupt zusammen. Es ist nicht sicher, ob nicht der aristokratischen Entwicklung unter den Arbeitern, wie sie in England stattfindet, unter uns die Grenzen sehr eng gezogen sind. Es handelt sich in Deutschland um die unerfreuliche Thatsache, daß eine Scheidung dieser Arbeiteraristokratie, der gelernten Arbeiter von den ungelernten, absolut nicht als dauernde Erscheinung feststeht.7[740] Zum Phänomen und zum Begriff „Arbeiteraristokratie“ siehe oben, S. 393, Anm. 22. Bei Krisen sinkt, namentlich auf dem Lande, diese Aristokratie zu den ungelernten Arbeitern zurück. Vielleicht kann die höhere Lebenshaltung, die einer angenommen hat, ihn gerade davor behüten.

Und wie steht es mit dem Luxus der oberen Schichten der Gesellschaft? Es ist ein alter Streit für und gegen den Luxus. Ist es erwünschter, daß das Geld unter die Leute gebracht wird, oder nicht? [741]Zwei Vorurteile sind zu beseitigen. Einmal hat man den Satz auf gestellt: Der Luxus der Reichen ernährt die Armen.8[741] Dieser Satz wird dem französischen Historiker und Politiker Adolphe Thiers zugeschrieben. Vgl. Sommerlad, Theo, Luxus, in: HdStW 52, 1900, S. 654. Das trifft, wenn man sich auf den engen Standpunkt der augenblicklichen Teilung der Arbeit stellt, in dem Sinne zu, daß eine akute Einschränkung der Konsumtion der besitzenden Klasse die Brotlosigkeit gewisser Volksklassen herbeiführen würde. Ebenso selbstverständlich ist es aber vom Standpunkte einer umfassenderen Betrachtung, daß das Verschwinden des Verbrauchs von Gütern, die lediglich den Bedürfnissen gewisser Schichten dienen, die Verwendung der frei gewordenen Kräfte im Interesse der Massenversorgung herbeiführt. Ferner ist kein Zweifel, daß ein Luxusverbrauch der höchsten Klassen von erheblicher Breite die Kapitalbildung ungünstig beeinflussen kann. Das kann nur denen erwünscht erscheinen, die in der wachsenden Kapitalbildung eine Bedrohung des Volkswohls sehen. Das ist falsch. Denn Kapitalbildung liegt im Interesse der Macht des Volkes.

Es ist kein öconomischer Grund erfindlich, der es forderte, daß der Luxus in irgend einer Gesellschaftsklasse gepflegt werden müsse. Aber es muß daran festgehalten werden, daß der Luxus ein Symptom ist, das günstig oder ungünstig zu beurteilen ist je nach den damit verknüpften Nebenerscheinungen. Wenn er z. B. eine rückständige Form aufweist, wie das Luxusfressen, das sich nur in wenig verfeinerter Form fortsetzt, wenn er Veranlassung bietet, rückständige Formen der Arbeitsverfassung zu erhalten, wie z. B. bei den irländischen Spitzen, die ihren Wert nur der langen Dauer der darauf verwendeten Handarbeit verdanken.

Als Massenerscheinung ist der Luxus der herrschenden Klassen lediglich Symptom ihrer Herrschaft und der Vermögensunterschiede, und er ist nicht zu beurteilen, ohne darüber ein Urteil abzugeben. Und dies Urteil hängt davon ab, was diese Vermögen politisch leisten, was sie der Volkswirtschaft leisten. Das ist zu verschiedenen Zeiten verschieden zu beurteilen.

Man betrachtet heute vielfach die volkswirtschaftlichen Fragen vom finanziellen Standpunkt. So wird auch die Frage einer Luxussteuer aufgeworfen.9Luxussteuern wurden in Preußen seit Ende des 17. Jahrhunderts erhoben. Seitdem waren Anwendungsbereich und volkswirtschaftlicher Nutzen der Luxussteuern umstritten. Mamroth, Karl, Luxussteuern, in: HdStW 52, 1900, S. 660–668. Die Voraussetzung ist dabei, daß damit sozial[742]politische Erfolge zu erzielen seien. Das ist derselbe Irrtum, wie man ihn bezüglich der Börsensteuer10[742] Die Besteuerung der an der Börse abgeschlossenen Geschäfte begann in Deutschland mit dem Gesetz vom 1. Juli 1881, das 1885 und 1894 jeweils novelliert und verschärft wurde. Friedberg, R., Börsensteuer, in: HdStW 22, 1899, S. 1017–1023. hegt. Finanzwirtschaftlich sind beide vielleicht sehr angemessen. Ein Irrtum aber ist es, wenn man meint, mit einer solchen Steuer den Luxus zu beseitigen. Das wird so wenig der Fall sein, als das Sinken der Kapitalzinsen das Kapital schädigt. Höchstens werden die Schichten verdünnt, die sich Luxus leisten können.

Ökonomisch gehört somit der Luxus zu den irrelevanten, unerheblichen Erscheinungen der Volkswirtschaft.