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Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

[667]Editorischer Bericht

Zur Entstehung

Seit 1895 drängte Wilhelm II. auf den Bau einer deutschen Schlachtflotte, durch die das politische und militärische Gewicht des Deutschen Reiches gegenüber Großbritannien entsprechend gesteigert werden sollte. Doch bestand bei den Parteien im Reichstag, insbesondere dem Zentrum, welches eine parlamentarische Schlüsselstellung besaß, zunächst keinerlei Bereitschaft, sich auf ein so ambitiöses und kostspieliges Projekt einzulassen, zumal die Beziehungen zwischen der Reichsleitung und dem Reichstag damals auf einem Tiefpunkt angekommen waren. Auch in Regierungskreisen wurden die Aussichten, eine größere Flottenvorlage durch den Reichstag zu bringen, sehr gering eingeschätzt und die Rückwirkungen der in diesem Zusammenhang zu erwartenden Auseinandersetzungen auf andere Bereiche der Reichspolitik ungünstig beurteilt. In Konteradmiral Alfred von Tirpitz, der im Juni 1897 zum Staatssekretär des Reichsmarineamts berufen worden war, fand der Kaiser schließlich eine Persönlichkeit, die entschlossen war, den Bau einer Schlachtflotte ungeachtet der bestehenden politischen Widerstände mit allen verfügbaren Mitteln durchzusetzen. Tirpitz war bestrebt, durch ein kluges und in der Form maßvolles Auftreten gegenüber dem Reichstag die bestehenden parlamentarischen Widerstände gegen eine Flottenvorlage zu überwinden. Dazu gehörte auch, daß er den Parlamentariern nicht länger formal das Recht zur freien Entscheidung über das Flottenbauprogramm absprach, im Unterschied zu der bisherigen Praxis bei den Heeresvorlagen. Gleichzeitig bemühte er sich, durch eine großangelegte Propagandakampagne, die vor allem auf eine Beeinflussung der Presse gerichtet war, die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit einer starken Flotte zu überzeugen und auf diese Weise die widerstrebenden Parteien des Reichstags zu einer Änderung ihrer Haltung in der Flottenfrage zu bewegen.
Die am 30. November 1897 eingebrachte sogenannte erste Flottenvorlage war hinsichtlich der quantitativen Anforderungen relativ maßvoll gehalten; sie beschränkte sich auf die Errichtung von nur zwei Geschwadern zu je [668]acht Schlachtschiffen innerhalb der nächsten sechs Jahre. Im übrigen vermied es Tirpitz sorgfältig, die eigentliche politische und strategische Zielsetzung des Flottenbaus, nämlich den Bau einer gegen England gerichteten Schlachtflotte, die gegebenenfalls sogar einen Kampf mit der britischen Nordseeflotte werde aufnehmen können, offen darzulegen; er stellte vielmehr die defensive Funktion der zu schaffenden Flotte in den Vordergrund: „Die Aufgabe der Schlachtflotte ist die Verteidigung der heimischen Küsten. Ausschließlich hiernach ist Zahl und Größe der Schiffe bemessen“, hieß es in der dem Reichstag mit der Vorlage des Flottengesetzes zugeleiteten amtlichen Begründung. „Größeren Seemächten gegenüber“ habe die deutsche Flotte im Kriegsfalle „lediglich die Bedeutung einer Ausfallflotte.“ Hingegen sei „jede weitergehende Verwendung“ der Schlachtflotte angesichts ihrer vorgesehenen geringen Stärke „ausgeschlossen.“
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[668] Zitiert nach Berghahn, Volker R., und Deist, Wilhelm, Rüstung im Zeichen der wilhelminischen Weltpolitik. Grundlegende Dokumente 1890–1914. – Düsseldorf: Droste 1988, S. 153.
Tirpitz beabsichtigte über den beantragten Zeitraum von sechs Jahren hinaus die dauernde Indiensthaltung der Schiffe und damit eine entsprechende Berücksichtigung im jährlichen Reichshaushalt sowie die Ersetzung der Linien- und Küstenpanzerschiffe nach 25 Jahren, der großen Kreuzer nach 20 Jahren und der kleinen Kreuzer nach 15 Jahren.
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Vgl. Entwurf eines Gesetzes, betreffend die deutsche Flotte, in: Sten. Ber. Band 162, Anlagen, Band 1, Nr. 4, S. 1.
Der Reichstag sollte so ein für alle Mal auf die Bereitstellung entsprechender Haushaltsmittel zur planmäßigen Fortführung des Flottenbaus auch in künftigen Haushaltsjahren festgelegt werden.
In Zusammenhang mit der von dem Nachrichtenbüro des Reichsmarineamts betriebenen offiziösen Propagandakampagne für den Bau einer deutschen Schlachtflotte, die sich an zahlreiche Zielgruppen, nicht zuletzt auch an die Akademikerschaft, richtete,
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Siehe dazu insbesondere: Marienfeld, Wolfgang, Wissenschaft und Schlachtflottenbau in Deutschland 1897–1906. – Frankfurt am Main: E. S. Mittler und Sohn 1957; Deist, Wilhelm, Flottenpolitik und Flottenpropaganda. – Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1976, S. 102f., und vom Bruch, Rüdiger, Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung. Gelehrtenpolitik im Wilhelminischen Deutschland (1890–1914). – Husum: Matthiesen 1980, S. 66–92.
steht auch die von Dezember 1897 bis März 1898 von der in München erscheinenden Allgemeinen Zeitung veranstaltete Flottenumfrage.
Bereits im Juli 1897 hatte das Reichsmarineamt Kontakt mit der süddeutschen Presse aufgenommen, um dem Schlachtflottenbau förderliche Artikel zu lancieren. Neben der Badischen Landeszeitung (Karlsruhe), dem Schwäbischen Merkur (Stuttgart) und der Fränkischen Morgenzeitung [669](Nürnberg) wurde auch die Allgemeine Zeitung (München) für die Propaganda gewonnen.
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[669] Kehr, Eckart, Schlachtflottenbau und Parteipolitik 1894–1901. – Berlin: Ebering 1930, S. 111f.
Die Allgemeine Zeitung war bereits zuvor durch ihre flottenfreundliche Haltung, die im süddeutschen Raum die Ausnahme war, aufgefallen.
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Vgl. Foerster, Raimund, Politische Geschichte der Preußischen und Deutschen Flotte bis zum ersten Flottengesetz von 1898. – Dresden: Limpert 1928, S. 119f.
Im November 1897 hielt sich Tirpitz längere Zeit in München auf; es ist wahrscheinlich, daß sich bei dieser Gelegenheit auch Kontakte zum Chefredakteur der Allgemeinen Zeitung ergaben, als deren Resultat die schließlich von der Zeitung veranstaltete Umfrage angesehen werden könnte.
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Vgl. Deist, Flottenpolitik (wie Anm. 3), S. 102f.
Im Dezember 1897 wurde folgender Fragebogen an 1800 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens verschickt:
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Abgedruckt in: Allgemeine Zeitung, München, Außerordentliche Ausgabe, Nr. 333 vom 2. Dez. 1897, sowie Außerordentliche Beilage, Nr. 1 vom 11. Jan. 1898.
„1. Halten Sie eine starke Flotte im Falle eines Krieges für nothwendig:
a) Zur Vertheidigung der deutschen Küsten und Häfen gegen feindliche Angriffe?
b) Zum Schutz gegen eine Blockade, im besonderen zur Offenhaltung der Verkehrswege für Ein- und Ausfuhr?
2. Halten Sie eine starke Flotte für nothwendig als Machtfaktor für die deutsche Politik, besonders auch in Europa? Wird die Bedeutung unsrer Freundschaft für die Politik anderer Staaten durch die Flotte wesentlich erhöht?
3. Halten Sie eine starke Flotte für nothwendig:
a) Zur Erhaltung und Förderung des auswärtigen Handels und der Handelsschifffahrt?
b) Zur Wahrung und Förderung unsrer gesammten wirthschaftlichen Machtstellung im Auslande?
c) Zum Schutze der im Auslande ansässigen Reichsangehörigen und der deutschen Unternehmungen?
4. Halten Sie die beabsichtigte Flottenverstärkung für vereinbar mit dem Stande der Reichs- und Staatsfinanzen?
5. Welche Folgen würden nach Ihrer Ansicht eintreten, wenn die deutschen Küsten in einem Kriege von einer feindlichen Flotte vollständig (effektiv) blockirt wären und Deutschland nach einem unglücklichen Kriege von der Seegeltung aus geschlossen würde?“
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Zitiert nach: ebd., Außerordentliche Beilage, Nr. 1 vom 11. Jan. 1898.
Zu den Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, an die die Umfrage gesandt wurde, gehörte eine große Zahl von Wissenschaftlern. Neben einer Reihe von Nationalökonomen wie Lujo Brentano, Carl Johannes Fuchs, Georg von Mayr, August Meitzen, Karl Oldenberg und Adolph Wagner
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Marienfeld, Wissenschaft und Schlachtflottenbau, S. 110–115.
[670]wurde auch Max Weber angeschrieben.
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[670] Ebd., S. 115. Vgl. auch Kehr, Schlachtflottenbau und Parteipolitik, S. 403–405, und Mommsen, Max Weber2, S. 82.
Allerdings ist uns nichts über die näheren Umstände bekannt, die zur Berücksichtigung Max Webers geführt haben. Bis Anfang 1898 gingen der Redaktion der Allgemeinen Zeitung mehr als 400 Stellungnahmen zu, 64 davon von Professoren,
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Vom Bruch, Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung, S. 77.
darunter auch die nachstehend abgedruckte Erklärung von Max Weber. Die Ergebnisse dieser Umfrage wurden in den Monaten Januar bis März 1898 in mehreren außerordentlichen Beilagen der Allgemeinen Zeitung, München, veröffentlicht,
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Allgemeine Zeitung, München, Außerordentliche Beilagen, Nr. 1 bis Nr. 20 vom 11. Jan. bis 3. Febr. 1898, Nachträge: Nr. 22 und Nr. 23 vom 5. und 6. März 1898.
also kurz vor den entscheidenden zweiten und dritten Lesungen der Flottenvorlage im Reichstag.
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Die zweite Lesung fand am 23., 24. und 26. März, die dritte, entscheidende Lesung, in der die Vorlage angenommen wurde, am 28. März 1898 statt. Sten. Ber. Band 161, S. 1697–1801 und 1816–1843.
Die Stellungnahme Max Webers wurde, wie aus der dem Beitrag vorangestellten redaktionellen Vorbemerkung „[Nr.] 46. Prof. Max Weber. Heidelberg, Dez. 1897“ hervorgeht, im Dezember 1897 verfaßt. Weber hat sie vermutlich in der zweiten Monatshälfte geschrieben, da in ihrem Schlußteil auf eine Reichstagsrede des Staatssekretärs des Reichsamts des Innern Arthur Graf von Posadowsky-Wehner vom 13. Dezember 1897 angespielt wird.
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Siehe unten, S. 673.
An sonstigen Aktionen zugunsten der Unterstützung der Flottenvorlage von seiten der Professorenschaft hat sich Max Weber, soweit wir wissen, nicht mehr beteiligt.
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Vgl. die bei Marienfeld, Wissenschaft und Schlachtflottenbau, S. 110–115, aufgeführte Liste der sog. „Flottenprofessoren“.

Zur Überlieferung und Edition

Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt dem Text, der in der Allgemeinen Zeitung, München, Außerordentliche Beilage, Nr. 3 vom 13. Januar 1898, S. 4f., erschienen ist (A). Von seiten der Zeitungsredaktion war dem Text vorangestellt: „46. Prof. Max Weber. Heidelberg, Dez. 1897.“