[71]Editorischer Bericht
Zur Entstehung
Die Entstehung des Textes geht indirekt auf eine Anregung Paul Göhres, des Generalsekretärs des Evangelisch-sozialen Kongresses, zurück. In der ersten Nummer der im November 1891 gegründeten Mitteilungen des Evangelisch-sozialen Kongresses schlug Göhre vor, andere Geistliche sollten dem Beispiel des sächsischen Pfarrers Borchardt
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folgen und „Studien über die soziale Lage ihrer Gemeindeglieder“ anfertigen.[71]Vgl. Borchardts Artikel „Zur sozialen Frage auf dem Lande“, in: Der Arbeiterfreund. Zeitschrift des Central-Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen, 28. Jg., 1890, S. 213–224.
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Göhre versprach sich davon einerseits eine Intensivierung des Kontakts zwischen den Geistlichen und ihren Gemeindemitgliedern, andererseits aber auch die Entwicklung praxisnaher Strategien der evangelischen Kirche zur Besserung sozialer Notstände.Göhre, Paul, Die ,Evangelisch-sozialen Zeitfragen‘, in: Mitteilungen des Evangelisch-sozialen Kongresses, Nr. 1 vom 24. Nov. 1891, S. 4.
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Ebd.
Der Vorschlag Göhres wurde von konservativer Seite heftig angegriffen. Die Conservative Correspondenz, das offizielle Organ der Deutschkonservativen Partei, veröffentlichte unter der Überschrift „Privatenqueten“ einen Artikel,
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der auf die vermeintliche Gefahr einer propagandistischen „Ausschlachtung“ der – in ihren Augen stets lückenhaften – Privatenqueten durch die Sozialdemokratie hinwies. Dieser, von der offiziösen Norddeutschen Allgemeinen Zeitung nachgedruckte Artikel,Nr. 20 vom 17. Febr. 1892.
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den Göhre dann seinerseits in den Mitteilungen des Evangelisch-sozialen Kongresses erneut veröffentlichte,Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 83 vom 19. Febr. 1892, Mo. Bl.
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bot den unmittelbaren Anlaß für Max Weber, mit einer Reihe von Artikeln in den Mitteilungen des Evangelisch-sozialen Kongresses zu dem Vorschlag Göhres Stellung zu nehmen. Göhre, Paul, Dr. Borchardt und die Konservative Korrespondenz, in: Mitteilungen des Evangelisch-sozialen Kongresses, Nr. 3 vom 1. März 1892, S. 2.
Es ist anzunehmen, daß es Göhre war, der Weber zu den Artikeln aufforderte und ihm Zugang zu dem Publikationsorgan des Evangelisch-sozialen Kongresses verschaffte. Weber hatte Göhre vermutlich auf dem ersten [72]Kongreß 1890, vielleicht durch Vermittlung seines Vetters, des jungen Theologen Otto Baumgarten, kennengelernt.
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[72]Vgl. das Teilnehmerverzeichnis, in: Bericht über die Verhandlungen des Ersten Evangelisch-sozialen Kongresses, abgehalten zu Berlin vom 27. bis zum 29. Mai 1890. – Berlin: Vaterländische Verlagsanstalt 1890, S.162 und 167. Zum Verhältnis von Max Weber und Otto Baumgarten und ihrer engen Zusammenarbeit in der Evangelisch-sozialen Bewegung siehe oben, S. 26.
Weber hatte gerade begonnen, sich in das Material über die Lage der ostelbischen Landarbeiter einzuarbeiten, dessen Auswertung ihm der Verein für Socialpolitik übertragen hatte.
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Bereits der erste Eindruck, den er sich in wenigen Tagen hatte verschaffen können, ließ ihn die mit der Erhebung des Vereins für Socialpolitik verbundenen Mängel klar sehen. Er griff daher bereitwillig den Vorschlag Göhres auf, Geistliche zu Studien über soziale Fragen innerhalb ihrer Gemeinde anzuregen. Hatte Göhre noch an die Befragung und Beobachtung der Gemeindemitglieder im allgemeinen gedacht, lenkte Weber nun mit seiner Artikelreihe das Interesse auf die spezielle Lage der Landarbeiter. Weber erhoffte sich von einer solchen Enquete nicht nur objektivere Ergebnisse, vielmehr glaubte er auch, daß durch lokale Beobachtungen die subjektiven Bestrebungen der betreffenden Landarbeiter, denen er größere Bedeutung als den tatsächlichen materiellen Lebensbedingungen beimaß, deutlicher zu Tage treten würden als bei der Erhebung des Vereins für Socialpolitik.Max Weber hatte Mitte Februar/Anfang März 1892 mit der Auswertung begonnen. Vgl. Riesebrodt, S. 24.
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Vgl. unten, S. 78.
Die Abhandlung erschien in drei Folgen im April, Juni und Juli 1892. Weber verfaßte sie parallel zu seiner Auswertung der Erhebung des Vereins für Socialpolitik.
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Neben einer Kritik an den Mängeln dieser Erhebung gingen auch erste Ergebnisse, zu denen Weber bei der Auswertung gelangt war, in die Artikelfolge ein. Noch bevor die dritte Folge erschienen war, beschloß das Aktionskomitee des Evangelisch-sozialen Kongresses auf Vermittlung Paul Göhres am 22. Juni 1892, die von Weber vorgeschlagene Enquete über die Lage der Landarbeiter durchzuführen.Vgl. Anm. 8. Die ersten Manuskripte Webers gingen im Juli im Verlag Duncker & Humblot ein. Riesebrodt, S. 24.
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„Aus der letzten Sitzung des Aktionskomitees“, in: Mitteilungen des Evangelisch-sozialen Kongresses, Nr. 6 vom 1. Juli 1892, S. 6.
[73]Zur Überlieferung und Edition
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt dem Text, der in drei Folgen jeweils unter der Überschrift „,Privatenquêten‘ über die Lage der Landarbeiter“ in den Mitteilungen des Evangelisch-sozialen Kongresses, hg. vom Aktionskomitee des Evangelisch-sozialen Kongresses, Berlin, Nr. 4 vom 1. April 1892, S. 3–5, Nr. 5 vom 1. Juni 1892, S. 3–6, und Nr. 6 vom 1. Juli 1892, S. 1–5, erschienen ist (A). Jede der Folgen ist jeweils am Ende mit „Dr. Μ. W.“ gezeichnet; diese Zeichnung wird im nachfolgenden Abdruck vernachlässigt. Webers eigene Anmerkungen binden in A mit Sternchen an. Diese wurden durch die Indizierung mit in offene Klammern gesetzte Ziffern ersetzt. Am Ende des zweiten Artikels verweist Weber auf einen Druckfehler im ersten Artikel. Dieser Druckfehler wird hier (S. 74) mit Verweis auf die entsprechende Anmerkung Webers verbessert.