[896]Editorischer Bericht
Zur Entstehung
Die österreichische Regierung unter Ministerpräsident Graf Badeni erließ im April 1897 gleichlautende Sprachenverordnungen für Böhmen und Mähren.
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Damit löste sie bei den Deutschen in Österreich einen Sturm der Empörung aus. Die Deutschösterreicher sahen in den Verfügungen, die das Tschechische im Justizwesen und in bestimmten Bereichen der Verwaltung als innere Amtssprache gleichberechtigt neben das Deutsche stellten und damit von den Beamten in Zukunft die Beherrschung beider Sprachen verlangten, eine eindeutige Bevorzugung der traditionell zweisprachigen Tschechen, und es kam in Österreich zu zahlreichen Protestkundgebungen. [896] Abgedruckt in Sutter, Berthold, Die Badenischen Sprachenverordnungen von 1897, Band 1. – Graz, Köln: Böhlau Nachf. 1960, S. 274–278.
Bereits im Mai 1897 wandten sich die Professoren der deutschen Universität in Prag mit einer Petition an die beiden Häuser des österreichischen Reichsrates,
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in der sie ihrer Sorge Ausdruck verliehen, daß der nationale Friede, der bisher „durch Abgrenzung der nationalen Rechts- und Wirkungssphären“ gewahrt worden sei, nunmehr in Gefahr gerate. Die Verfügungen arbeiteten jenen in die Hände, die sich „die ,Revindication‘ des von den Deutschen durch mehrhundertjährige Arbeit in Böhmen erworbenen und zur Blüte gebrachten Gebietes, sowie die Zerstückelung Österreichs durch Aufrichtung eines selbständigen Königreiches Böhmen“ zum Ziel gesetzt hätten. Mit einem einzigen Federzug werde die deutsche Beamtenschaft ihrer Brauchbarkeit beraubt und von einer weiteren Laufbahn in Böhmen abgeschnitten. Dies werde nicht nur zu einer Überrepräsentanz der Tschechen bei den einzelnen Behörden führen, sondern auch verhängnisvolle Folgen für die deutsche Universität in Prag haben, die ihren Studenten keine für den Staatsdienst in Böhmen ausreichende Qualifikation mehr [897]bieten könne, so daß vor allem die Zukunft der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät in Frage gestellt sei. Diese Petition wurde von allen 81 Professoren der deutschen Universität in Prag unterzeichnet. Ihr schlossen sich im Sommer 1897 über 800 ordentliche Professoren im Deutschen Reich in einer Sympathiekundgebung an.Diese Petition vom 12. Mai 1897 wurde u. a. veröffentlicht im Prager Tagblatt, Nr. 134 vom 14. Mai 1897, S. 2f. Im Juni 1897 wurde sie im Deutschen Reich als Flugblatt verteilt. Ein Exemplar befindet sich im ZStA Potsdam, Alldeutscher Verband, Nr. 183, BI. 8.
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Unter ihnen befand sich auch Max Weber. [897] Eine Liste sämtlicher Unterzeichner bringen die Neue Freie Presse, Wien, Nr. 11 817 vom 17. Juli 1897, Mo.BI., S. 2, sowie die Münchner Neuesten Nachrichten, Nr. 326 vom 19. Juli 1897, und Nr. 332 vom 22. Juli 1897, Mo.BI.
In der deutschen wie auch in der österreichischen Öffentlichkeit fand diese Sympathiekundgebung großes Aufsehen.
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Wer ihr Urheber gewesen ist, ist unklar. Der Heidelberger Staatsrechtler Georg Jellinek und der Heidelberger Historiker Dietrich Schäfer wetteiferten um die Urheberschaft.Vgl. Berliner Tageblatt, Nr. 369 vom 23. Juli 1897, Ab.BI., und den dort zitierten Auszug aus der Wiener „Reichswehr“.
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Sicher ist nur, daß sie von Heidelberger Kreisen angeregt worden ist. Mitte Juli 1897 wurde sie an den Rektor und den Senat der deutschen Universität in Prag gesandt.Jellinek bezeichnete sich selbst als Urheber, wie aus Abschriften im Nachlaß seiner Frau Camilla Jellinek hervorgeht. BA Koblenz, Nl. Camilla Jellinek, 137, Nr. 2, S. 208. Auch das Berliner Tageblatt, Nr. 369 vom 23. Juli 1897, Ab.BI., sah in ihm den Urheber. Nach Veröffentlichung dieser und diverser anderer Pressenotizen sah sich demgegenüber Dietrich Schäfer veranlaßt, öffentlich festzustellen, daß die Kundgebung zwar von Heidelberg angeregt worden sei, „daß aber an ihrem Ursprung keine einzelne Persönlichkeit vor andern betheiligt ist.“ Heidelberger Tageblatt, Nr. 173 vom 28. Juli 1897. In seinen Erinnerungen von 1925 bezeichnete sich Schäfer als den eigentlichen Initiator der Adresse. Schäfer, Dietrich, Selbstbiographie, in: Deutscher Aufstieg. Bilder aus der Vergangenheit und Gegenwart der rechtsstehenden Parteien, hg. von Hans von Arnim und Georg von Below. – Berlin/Leipzig/Wien/Bern: Franz Schneider [1925], S. 448.
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Hauffen, Adolf, Zur Geschichte der deutschen Universität in Prag, in: Mittheilungen des Vereines für Geschichte der Deutschen in Böhmen, Jg. 38, 1900, S. 115.
Zur Überlieferung und Edition
Der Text kursierte offensichtlich in mehreren von einander leicht abweichenden Fassungen und Nachdrucken.
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Das Original oder die Originale, die an den Rektor und den Senat der deutschen Universität in Prag gesandt wurden, sind nicht mehr erhalten. Auch befinden sich weder im Österreichischen Staatsarchiv und im Allgemeinen Verwaltungsarchiv noch im Parla[898]mentsarchiv in Wien Abschriften. Hier wird daher der im BA Koblenz, Nachlaß Camilla Jellinek, 137, Nr. 2, S. 208, befindliche gedruckte Text zugrundegelegt (A). Für die Authentizität dieses Textes spricht die Tatsache, daß Georg Jellinek zumindest maßgeblichen Anteil an der Entstehung der „Kundgebung“ hatte. Darüber hinaus stimmt diese Fassung, bis auf eine Abweichung,Siehe die Abdrucke in: Heidelberger Tageblatt, Nr. 165 vom 18. Juli 1897, 1. Bl., S. 2, sowie in: Academische Revue. Zeitschrift für das Internationale Hochschulwesen, hg. von Paul von Salvisberg, München, III. Jg., 1897, S. 564.
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mit den Fassungen überein, die wiedergegeben werden in der Neuen Freien Presse, Wien, Nr. 11 817 vom 17. Juli 1897, Mo.Bl., S. 2, sowie in Hauffen, Adolf, Zur Geschichte der deutschen Universität in Prag, in: Mittheilungen des Vereines für Geschichte der Deutschen in Böhmen, Jg. 38, 1900, S. 115. [898] Im zweiten Absatz, erste Zeile, heißt es in der Neuen Freien Presse und bei Hauffen nur: „Professoren der Universitäten“ statt „Professoren der zwanzig Universitäten“. Vermutlich wurde der Zusatz „zwanzig“ gestrichen, da tatsächlich die ordentlichen Professoren von einundzwanzig Universitäten unterzeichnet hatten. Die in der Neuen Freien Presse und bei Hauffen wiedergegebene Fassung wird auch nachgedruckt in: Sutter, Berthold, Die Badenischen Sprachenverordnungen von 1897, Band 2. – Graz, Köln: Böhlau Nachf. 1965, S. 41.