[318][Das Recht der Nationalitäten]
[[A 72]]Wenn sich einmal jemand an das große Problem der rechtlichen Gestaltung der Nationalitätenbeziehung machen wollte, so wären eine der wichtigsten Quellen dafür die Schriften von Dragomanow,
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 und dann die Verhandlungen, die in Rußland während der Revolution geführt worden sind. Die Russen haben, weil die Art ihrer radikal revolutionären Stellung zur bestehenden Regierung ihnen einen archimedischen Punkt außerhalb aller bestehenden uns allen selbstverständlichen Ordnungen der Gesellschaft gibt, die Eigentümlichkeit, mit ihrem Intellekt die äußersten gedanklichen Konsequenzen zu erschöpfen. Darum sind hier vielleicht alle Möglichkeiten der Gestaltung des Problems aufgetaucht. Nun zu den Erörterungen von heute Vormittag.[318] Als sich Weber in den Jahren 1905/06 mit den revolutionären Bestrebungen in Rußland beschäftigte, setzte er sich auch mit dem Nationalitätenproblem im Zarenreich, besonders in Polen und in der Ukraine, auseinander. Eine wichtige Grundlage für seine Einschätzung der politischen Ereignisse waren die Schriften des ukrainischen Sozialisten und Historikers Michail P. Dragomanov, der sich für die kulturelle Selbständigkeit der einzelnen Volksgruppen auf demokratischer Grundlage einsetzte, vgl. Weber, Max, Zur Lage der bürgerlichen Demokratie in Rußland, in: MWG I/10, S. 86–279, hier S. 145 ff., sowie Mommsen, Wolfgang J., Einleitung, ebd., S. 1–54, bes. S. 12. 
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  Mit diesem Satz leitete Weber über zur Fortsetzung der Vormittagsdiskussion über den Vortrag von Paul Barth „Die Nationalität in ihrer soziologischen Bedeutung“, in: Verhandlungen DGS 1912, S. 21–48, sowie der Debatte, ebd., S. 49–54. Vgl. dazu Weber, Die Nationalität in ihrer soziologischen Bedeutung, oben, S. 312–315. 
