[243][Die Begriffe Rasse und Gesellschaft]
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[[A 151]]Verehrte Anwesende, es ist vieles von dem, namentlich von den allgemeineren Dingen, die ich zu sagen hatte, in so ausgiebiger Weise von anderen gesagt worden, daß ich, entsprechend dem gestern festgestellten Grundsatz, nichts von dem zu wiederholen, was schon gesagt ist,
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 auch meinerseits darauf verzichte, darauf zurückzukommen, auch da, wo ich wohl vielleicht etwas anders formulieren würde. Es ist also nur eine Serie von Einzelbemerkungen, die ich zu machen habe. [243] Dieser Grundsatz wird in den gedruckten Vorträgen und Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages nirgendwo als solcher formuliert. Allerdings merkt der Frankfurter Stadtverordnete Max Ernst Quarck in seinem an den Vortrag von Sombart anschließenden Diskussionsbeitrag an, daß er der Ermahnung des Vorsitzenden Tönnies folge und nichts von dem wiederhole, was der Vortragende schon gesagt habe, vgl. Quarck, Diskussionsbeitrag, in: Verhandlungen DGS 1910, S. 93. 
Herr Dr. Ploetz hat seinen Vortrag damit begonnen, daß das Prinzip der Nächstenliebe Jahrtausende lang unsere Ethik beherrscht habe.
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 Ich frage: Wann? mit welchen Konsequenzen? Und herrscht sie heute gegenüber der rassenhygienisch „günstigeren“ Vergangenheit verstärkt? Gewiß, in den offiziellen Katechismen steht sie heute wie im Mittelalter. Aber wie eigentlich die Praxis des Lebens sich zu diesem offiziellen Postulat verhält und verhielt und die Auslese beeinflußt hat, ob heute rassenhygienisch ungünstiger als früher, – das eben wäre das Problem. Gewiß unterstand die Bevölkerung im Mittelalter in bezug auf die Chance der Fortpflanzung einer scharfen Auslese. Neben der Kindersterblichkeit die zunehmenden faktischen und auch rechtlichen Eheschranken für alle nicht selbständigen Existenzen, beides grade für die untern Staffeln der Gesellschaft besonders stark wirkend, – das ist rassenhygienisch gewiß nicht zu verachten. Aber andererseits hat das Prinzip der Nächstenliebe im Mittelalter Menschen von physisch und geistig nicht geringen Qualitäten in die Klöster oder in das Zölibat der Priesterschaft oder der Ritterorden getrieben und [244]von der Fortpflanzung ausgemerzt und ist das gleiche Prinzip auch durch systematische Unterstützung des Bettels verwirklicht worden. Wenn wir den Entwickelungsgang vom Mittelalter zur Neuzeit besehen, so scheint mir, daß auch auf dem Boden der christlichen Religion die Zurückschraubung dieses Prinzips Fortschritte gemacht hat, wie man sie bei einer Religion, die nun einmal gewisse biblische Fundamente hat, niemals hätte vermuten sollen. Ich erinnere daran, daß der Calvinismus Armut und Arbeitslosigkeit ein für allemal als selbstverschuldet oder als eine Folge von Gottes unerforschlichem Ratschluß ansah Ploetz, Die Begriffe Rasse und Gesellschaft und einige damit zusammenhängende Probleme, in: Verhandlungen DGS 1910, S. 111–136, hier S. 112. 
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 und demgemäß behandelte, also die „Schwachen“ von der Fortpflanzung in starkem Maß ausschloß, daß auf dem Boden dieser Religiosität wenigstens keine Stätte war für Nächstenliebe in dem Sinne, wie sie Herr Dr. Ploetz von seinem Standpunkt aus bedenklich finden könnte, und ich bezweifle ferner, ob die moderne Entwicklung im großen und ganzen einen Weg gegangen ist, der ein Überhand[A 152]nehmen grade der Menschenliebe innerhalb unserer Gesellschaft zu einer dringlichen Gefahr werden ließe[244] Weber verweist auf seine Studie: Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus von 1904/05. In „1. Kapitel Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese“ des zweiten Aufsatzes hebt er die Bedeutung der Calvinistischen Lehre hervor, daß die Menschen durch Gottes unergründlichen Ratschluß entweder zum Heil oder zur ewigen Verdammnis prädestiniert seien, erstmals in: AfSSp, Band 21, Heft 1, 1905, S. 1–110, MWG I/9, S. 222–425, hier S. 242–366, bes. S. 252. 
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. Auch das, was man üblicherweise Sozialpolitik nennt, und was einen sehr verschiedenen, unter Andren doch auch einen, im Geiste von Herrn Dr. Ploetz rassenhygienisch sehr erwünschten Sinn haben kann – den nämlich: den physisch und geistig Starken, aber in bezug auf das Portemonnaie Schwachen: – den, rassenhygienisch gewertet, Starken also, die sozial unten sind, die Möglichkeit des Heraufsteigens, die Möglichkeit der gesunden Fortpflanzung zu geben, auch das ist keineswegs notwendig ein Kind einer wahllosen Nächstenliebe. [244] In A folgt der Protokollzusatz: (Heiterkeit)
Herr Dr. Ploetz hat die Bemerkung gemacht, das In-Blüte-Stehen – es kommt ja auf die Wörtlichkeit nicht an – das In-Blüte-Stehen der gesellschaftlichen Zustände sei stets abhängig von der Blüte der Rasse.
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 So oder ähnlich! Meine Herrn, das ist, ganz einer[245]lei, welchen Begriff von „Gesellschaft“ und „Rasse“ man verwendet, eine ganz unbewiesene Behauptung, die ich auch nicht im mindesten nach dem gegenwärtigen Stand und mit den gegenwärtigen Mitteln unserer Forschung für erweislich halte. Ich weiß sehr wohl, daß es Theorien gibt, welche glaubten, auf dem Boden der Entwickelung des Altertums eine Stütze für diese oft aufgestellte These zu finden. Wenn eine Rasse im „Lebensprozeß“ alle ihre Anlagen bewahrt und sich günstig entwickelt, werden nach Ploetz auch „die dadurch getragenen gesellschaftlichen Bil[245]dungen in Blüte stehen“. Ploetz, Die Begriffe Rasse und Gesellschaft, in: Verhandlungen DGS 1910, S. 131. 
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 Es sei – so ist sogar von hervorragenden Historikern gelegentlich behauptet worden Bereits in seiner ab dem WS 1894/95 mehrfach gehaltenen Vorlesung „Allgemeine (,theoretische‘) Nationalökonomie“ behandelte Weber in einem den anthropologischen Grundlagen der Gesellschaft gewidmeten Paragraphen die biologistische Betrachtung von Geschichte unter dem Gesichtspunkt der Rassendegeneration, vgl. Weber, Allgemeine („theoretische“) Nationalökonomie. Vorlesungen 1894–1898, MWG III/1, S. 351–358, bes. S. 356. 
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 – der Untergang der Kultur des Altertums verschuldet worden dadurch, daß infolge der Kriege und der Heeresaushebung die Kräftigsten und Tüchtigsten, die den Erdball beherrschten, ausgemerzt worden seien. Tatsächlich ist nun nachweislich gerade umgekehrt die Entwickelung dahin gegangen, daß das römische Heer sich zunehmend aus sich selbst und aus Nicht-Italienern ergänzte, schließlich ganz und gar; daß fernerhin je länger je weniger die Bevölkerung des römischen Reiches in Anspruch genommen wurde für die Zwecke der Aushebung; daß je länger je mehr die Barbaren es waren, die die Verteidigung zu führen hatten, und es kann keine Rede davon sein, daß auch nur ein letzter Rest von dieser These übrig bliebe. Wir wissen außerdem heute genügend über die Gründe der großen Umwälzung der Kultur des Altertums, um sagen zu können, daß hier, soweit überhaupt ethnische Vorgänge, nicht die Ausmerzung, sondern die bewußte Ausschaltung der römischen Geschlechter aus den Offiziersstellen und aus der Verwaltung mitspielte, ein Geschehnis, welches nicht irgend welche für uns erkennbare „rassenbiologische“ Bedeutung gehabt hat, sondern, soweit es relevant war für das Schicksal des römi[246]schen Reiches, Traditionswerte ausschaltete, traditionslose Völker, Völker ohne Kultur, Barbaren in die Offiziersstellen, in die Verwaltung usw. berief, und daß das Schwinden des antiken Geschmacks und der antiken Bildungsschicht, das Schwinden der alten Traditionen des römischen Heeres, das Schwinden der alten Verwaltungspraxis dadurch und durch die ökonomisch ableitbaren Änderungen der Verwaltung so einleuchtend erklärbar ist, daß keine Spur irgend einer Rassentheorie als Ergänzung erforderlich ist – ich sage: erforderlich ist; denn ich gebe ohne weiteres zu, daß vielleicht dennoch solche Momente in einer für uns heute nicht mehr kenntlichen Weise mitgewirkt haben. Aber wir wissen dies nicht und werden es nie wissen, und es widerstreitet wissenschaftlicher Methodik, wo wir bekannte und zulängliche Gründe haben, diese zu Gunsten einer heute und für immer unkontrollierbaren Hypothese bei Seite zu schieben. – Nun aber überhaupt: „Die Blüte [A 153]der gesellschaftlichen Zustände ist abhängig von der Blüte der Rasse“. In seinem Aufsatz: Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur von 1896, spricht Weber davon, daß zu dieser „Kulturdämmerung“ „mannigfache Erklärungen“ gegeben werden, vgl. MWG I/6, S. 99–127, hier S. 100; hierzu merkt der Herausgeber Jürgen Deininger an, daß sich die weit verbreiteten modernen Meinungen kaum einzelnen Autoren zuordnen ließen, mit der Ausnahme des Buches von Seeck, Otto, Geschichte des Untergangs der antiken Welt, Band I. – Berlin: Siemenroth & Worms 1895 , vgl. ebd., S. 100, Anm. 8, sowie unten, S. 255, Anm. 16. 
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 Meine Herren, würde man unter „Rasse“ hierbei das verstehen, was der Laie darunter üblicherweise sich denkt: in Fortpflanzungsgemeinschaften gezüchtete erbliche Typen, dann wäre ich in ganz persönlicher Verlegenheit; ich fühle mich nämlich als Schnittpunkt mehrerer Rassen oder doch ethnischer[246] Vgl. dazu oben, S. 244 f., Anm. 4. 
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 Sondervolkstümer und glaube, es gibt in diesem Kreis sehr viele, die in ähnlicher Lage wären. Ich bin teils Franzose, teils Deutscher,[246]A: ethnischen
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 und als Franzose sicher irgendwie keltisch infiziert. Welche dieser Rassen – denn man hat auf die Kelten die Bezeichnung „Rasse“ angewendet – blüht denn nun in mir, resp. muß blühen, wenn die gesellschaftlichen Zustände in Deutschland blühen, resp. blühen sollen?  Max Webers Großmutter Emilie Fallenstein (1805–1881) war eine geborene Souchay, eine Enkelin von Jean Daniel Souchay (1736–1811), einem Prediger der französisch-reformierten Kirche in Frankfurt, und seiner Frau Lily Baumhauer (1743–1771). Vgl. Roth, Guenther, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte 1800–1950 mit Briefen und Dokumenten. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 2001, Anhang, S. 631–642 mit Verwandtschaftstafeln. 
Dr. Ploetz (unterbrechend): Das ist ja Systemrasse, was Sie jetzt behaupten! Das ist die Varietät! Ich habe gehandelt von der Vitalrasse, die nichts mit dieser Varietät zu tun hat. Alle diese Varietäten gehören mindestens zu einer Vitalrasse. 
 [247]Professor Max Weber (fortfahrend): Ich mußte die verschiedenen Möglichkeiten des Rassebegriffs durchgehen. Ich stelle mich also jetzt auf Ihren Boden und konstatiere, daß auch von da aus doch eine Menge Äußerungen gefallen sind, die einen direkt mystischen Charakter haben.
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 Was heißt es denn eigentlich: „die Rasse blüht“ oder schon: „die Rasse“ reagiert in bestimmtem Sinn? Was heißt es: die Rasse „ist eine Einheit“? – wenn nicht eine Blutseinheit? Soll über die Existenz dieser „Einheit“ das bloße Faktum der physisch normalen Fortpflanzungsfähigkeit – die ja bei Bastarden herabgesetzt ist – entscheiden? Und gehört zum „Erhaltungsgemäßen“ die Fähigkeit, bestimmte Kulturelemente zu entwickeln, – oder was sonst? Im letzteren Fall kämen wir mit dem Begriff der „Vitalrasse“ in das uferlose Gebiet der subjektiven Wertungen. Und dies Gebiet scheint mir nun Dr. Ploetz überall da zu betreten, wo er Zusammenhänge zwischen Rasse und Gesellschaft statuiert. Gewiß; wenn man annimmt, es bestehen nebeneinander bestimmte Rassen in irgend einem rein empirisch durch Merkmale bestimmbaren Sinn, und wenn man dann den Begriff „Gesellschaft“, der ja rein konventionell ist, ersetzt durch: gesellschaftliche Beziehungen und gesellschaftliche Institutionen, dann kann man sagen: die gesellschaftlichen Institutionen in ihrer Eigenart sind gewissermaßen die Spielregeln, bei deren faktischer Geltung für die Auslese bestimmte menschliche Erbqualitäten die Chancen haben, zu „gewinnen“: aufzusteigen, oder, was damit ja nicht identisch ist, sondern teilweise nach ganz anderen Gesetzen verläuft: – sich fortzupflanzen. Daß hier Unterschiede der Chancen bestehen, das ist nicht nur heute so, das wäre auch nicht anders in einem etwaigen, wie immer gearteten, sozialistischen Zukunftsstaat: – es werden in diesem sozialistischen Zukunftsstaat andere Erbqualitäten sein, welche zu Macht, Glück, Fortpflanzung und Züchtung gelangen, als in unserer heutigen Gesellschaft; irgend welche werden es aber auch dort mehr sein als andere. Man mag die Gesellschaft einrichten, wie man will, die Auslese steht nicht still, und wir können nur die Frage stellen: welche Erbqualitäten sind es, die unter der Gesellschaftsordnung X oder Y jene Chancen bieten. Das scheint mir eine rein [248]empirische Fragestellung, die akzeptabel ist für uns. Und ebenso die umgekehrte: welche Erbqualitäten sind die Voraussetzung dafür, daß eine Gesellschaftsordnung bestimm[A 154]ter Art möglich ist oder wird. Auch das läßt sich sinnvoll fragen und auf die existierenden Menschenrassen anwenden. Nimmt man aber diese Formulierungen, so sieht man sofort, daß dafür mit einem Begriff von Rasse, so wie Herr Dr. Ploetz ihn formuliert hat – wie ich wenigstens vorläufig glaube: ich überzeuge mich gerne des Gegenteils –[,] nichts anzufangen ist. Denn sein Rassenbegriff scheint mir ein bei weitem nicht hinlänglich differenzierter Begriff, und, m[eine] H[erren], das wird bestätigt, wenn wir uns fragen, was denn bisher eigentlich für die exakte soziologische Forschung herausgesprungen ist bei der Verwendung dieses speziellen Rassenbegriffs. Meine Herren, es sind äußerst geistreiche und interessante Theorien herausgekommen. Die Zeitschrift, die Herr Dr. Ploetz leitet,[247] Weber nimmt hier nicht nur Bezug auf die Rede von Ploetz, Die Begriffe Rasse und Gesellschaft, in: Verhandlungen DGS 1910, S. 111–136, er stützt sich auch auf dessen programmatischen Aufsatz: Ploetz, Begriffe (wie oben, S. 238, Anm. 7), mit handschriftlichen Anmerkungen Webers im Exemplar der UB Heidelberg. 
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 ist geradezu ein Arsenal von unermeßlichen, zum Teil mit einer beneidenswerten Fülle von Geist aufgestellten Hypothesen über die züchterische Wirkung aller möglichen Institutionen und Vorgänge, und niemand kann dankbarer für diese Anregungen sein, als ich. Aber daß es heutzutage auch nur eine einzige Tatsache gibt, die für die Soziologie relevant wäre, auch nur eine exakte konkrete Tatsache, die eine bestimmte Gattung von soziologischen Vorgängen wirklich einleuchtend und endgültig, exakt und einwandfrei zurückführte auf angeborene und vererbliche Qualitäten, welche eine Rasse besitzt und eine andere definitiv – wohlgemerkt: definitiv! – nicht, das bestreite ich mit aller Bestimmtheit und werde ich so lange bestreiten, bis mir diese eine Tatsache genau bezeichnet ist. [248] Alfred Ploetz hatte 1904 das „Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie einschließlich Rassen- und Gesellschafts-Hygiene“ gegründet und gab es seither heraus. 
Es ist beispielsweise nicht, – wie oft geglaubt wird, – richtig, daß die gegenseitige soziale Lage der Weißen und Neger in Nordamerika heute einwandsfrei auf Rassenqualitäten zurückgeführt werden könnte. Es ist möglich und für mich subjektiv im höchsten Grade wahrscheinlich, daß dabei auch, vielleicht stark, solche Erbqualitäten im Spiele sind. In welchem Maße und vor allem, in welchem Sinne aber, steht nicht fest. Meine Herren, man hat ja z. B. behauptet, und behauptet noch, und auch in der Zeitschrift des [249]Herrn Dr. Ploetz ist es von sehr angesehenen Herren behauptet worden, der Gegensatz zwischen Weißen und Negern dort beruhe auf „Rasseninstinkten“.
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 Ich bitte mir diese Instinkte und ihre Inhalte nachzuweisen. Sie sollen sich unter anderem darin offenbaren, daß die Weißen die Neger „nicht riechen“ können. Ich kann mich auf meine eigene Nase berufen; ich habe bei engster Berührung gar nichts Derartiges wahrgenommen.[249] Der Aufsatz von Heiderich, Hans, Nordamerikanische Bevölkerungs- und Rassenprobleme. Eine orientierende Skizze, in: Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie, 4. Band, Heft 4, 1907, S. 493–521, Heft 5, S. 685–708, Heft 6, S. 843–858, ist ein Beispiel für die Anschauung, die soziale Lage von Negern und Weißen sei auf Rasseninstinkte zurückzuführen. 
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 Ich habe den Eindruck gehabt, daß der Neger, wenn er ungewaschen ist, genau so riecht wie der Weiße, und umgekehrt. Ich berufe mich aber ferner darauf, daß man in den Südstaaten täglich das Schauspiel erleben kann, daß eine Lady auf dem Wagen sitzt und die Zügel in der Hand hält, dicht angeschmiegt aber an sie, Schulter an Schulter, der Neger, und daß ihre Nase offenbar darunter nicht leidet. Der Negergeruch ist, soviel ich bisher sehe, eine Erfindung der Nordstaaten, um ihre neuerliche Abschwenkung von den Negern zu erklären. Wenn wir, m[eine] H[erren], etwa die Möglichkeit hätten, Menschen heute bei der Geburt schwarz zu imprägnieren, so würden auch diese Menschen in der Gesellschaft von Weißen stets in einer etwas prekären, eigentümlichen Lage sein. Irgend ein Beweis dafür aber, daß die spezifische Art der dortigen Rassenbeziehungen auf angeborenen und vererbten Instinkten beruht, ist bisher nicht zuverlässig erbracht, obwohl ich jeden Augenblick zugeben will, daß der Beweis vielleicht einmal erbracht werden könnte. Aber vorerst fällt auf, daß diese „Instinkte“ [A 155]verschiedenen Rassen gegenüber ganz verschieden funktionieren, und zwar aus Gründen, die durchaus nichts mit Rassenerhaltungs-Erfordernissen zu tun haben. Wenn Neger und Indianer von den Weißen drüben so verschieden bewertet werden, so wird der Grund für die Indianer [250]von den Weißen stets dahin formuliert: „they didn’t Weber bezieht sich auf seine Reise in die USA, die er von Ende August bis November 1904 zusammen mit seiner Frau Marianne unternommen hatte. Neben seiner Teilnahme an dem Gelehrtenkongreß in St. Louis, der im September 1904 anläßlich der dortigen Weltausstellung stattgefunden hatte, führte ihn seine Reiseroute auch in die Südstaaten nach New Orleans. Webers Beschäftigung mit Amerika und sein dortiger Aufenthalt ist beschrieben von: Scaff, Lawrence A., Max Weber in America. – Princeton and Oxford: Princeton University Press 2011. 
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 submit to slavery“: sie waren keine Sklaven. Daß sie keine Sklaven waren, hat nun allerdings insofern in ihren spezifischen Qualitäten seinen Grund, als sie das Maß von Arbeit, welches der Plantagen-Kapitalismus verlangte, nicht aushielten – zweifelhaft, ob rein wegen erblicher Eigenheiten, oder auch ihren Traditionen zufolge – und die Neger es leisteten. Aber dieser Umstand bildet doch wohl weder bewußt noch unbewußt die Basis eines spezifisch verschieden reagierenden „Instinkts“ der Weißen. Vielmehr: Es ist die alte feudale Verachtung der Arbeit, also ein soziales Moment, das hier mitspielt, wobei ich ohne weiteres Herrn Dr. Ploetz zugebe … [250]A: did’n’t
(Dr. Ploetz (unterbrechend): Nicht in den Nordstaaten! Dort spielt das Moment der Verachtung der Arbeit nicht diese Rolle.) 
 Professor Max Weber (fortfahrend): Das ist erstens für die Gegenwart nicht mehr unbedingt richtig: und erst die Gegenwart kennt in den Nordstaaten die Negerverachtung, und zweitens: wenn Sie die Stellung der Schwarzen innerhalb der Gewerkvereine verfolgen, so bemerken Sie, daß sie zunehmend als blacklegs, als anspruchslose, aus Traditionsgründen anspruchslose, Arbeitswillige verachtet und gefürchtet sind, und endlich kann man leicht sich überzeugen, daß der bürgerliche Amerikaner von heute, wie jeder andere, seinen Darwin, seinen Nietzsche, unter Umständen seinen Dr. Ploetz gelesen hat und sich daraus entnommen hat: ein Mann – ich spreche das ohne den leisesten Anflug von Spott – ein Mann, der ein Aristokrat im modernen Sinne des Wortes sein will, muß irgend etwas haben, was er verachtet, und wir Amerikaner wollen Aristokraten im europäischen Sinne sein. Es handelt sich da einfach um einen Europäisierungsprozeß, der in Amerika zufällig diese Nebenerscheinung zeitigt. 
 Nun, meine verehrten Herren, damit noch zu ganz wenigen Schlußbemerkungen! 
 Die „Gesellschaft“ hat Herr Dr. Ploetz als ein Lebewesen bezeichnet, mit der bekannten, auch von ihm sehr eindringlich vorgetragenen Begründung ihrer Verwandtschaft mit Zellenstaaten und Ähnlichem.
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 Es kann sein, daß für die Zwecke des Herrn Dr. [251]Ploetz dabei etwas Fruchtbares herausspringt, – das weiß er natürlich selbst am besten – für die soziologische Betrachtung springt niemals durch die Vereinigung mehrerer präziserer Begriffe zu einem unbestimmten Begriffe etwas Brauchbares heraus. Und so liegt es hier. Wir haben die Möglichkeit, rationales Handeln der einzelnen menschlichen Individuen geistig nacherlebend zu verstehen. Wenn wir eine menschliche Vergesellschaftung, welcher Art immer, nur nach der Art begreifen wollten, wie man eine Tiervergesellschaftung untersucht, so würden wir auf Erkenntnismittel verzichten, die wir nun einmal beim Menschen haben und bei den Tiergesellschaften nicht. Dies und nichts anderes ist der Grund dafür, weshalb wir für unsere Zwecke im allgemeinen keinen Nutzen darin erblicken, diese ganz fraglos vorhandene Analogie zwischen Bienenstaat und irgendwelcher menschlichen, staatlichen Gesellschaft zur Grundlage irgendwelcher Betrachtungen zu machen.[250] Ploetz, Die Begriffe Rasse und Gesellschaft, in: Verhandlungen DGS 1910, S. 124 ff. 
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[251] In A folgt der Protokollzusatz: (Sehr richtig!)
[A 156]Schließlich, meine Herren, hat Herr Dr. Ploetz gesagt, die Gesellschaftslehre ist ein Teil der Rassenbiologie. 
 (Dr. Ploetz: Die Gesellschaftsbiologie, nicht die Gesellschaftslehre überhaupt!) 
 Prof. Max Weber: Ja, dann gestehe ich, liegt es vielleicht an mir, dann ist mir nicht ganz klar, wodurch sich Gesellschaftsbiologie von Rassenbiologie unterscheiden soll, es sei denn, daß eben die Beziehungen zwischen gesellschaftlichen Institutionen und Auslese bestimmter Qualitäten in der Art, wie ich das vorhin ausgeführt habe,
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 der Gegenstand gesellschaftsbiologischer Forschung sein soll. [251] Oben, S. 247 f. 
Ich möchte nur eine allgemeine Bemerkung daran knüpfen. Es scheint mir nicht nützlich, Gebiete und Provinzen des Wissens a priori, ehe dies Wissen da ist, abzustecken und zu sagen: das gehört zu unserer Wissenschaft und das nicht. Man hat dadurch nur die allerunfruchtbarsten Streitigkeiten vermehrt. Wir könnten natürlich sagen, daß, weil sich schließlich alle gesellschaftlichen Vorgänge auf der Erde abspielen und der Planet Erde ein Teil des Sonnensystems ist, alles, was sich abspielt, eigentlich Objekt der Astronomie sein müßte und nur zufällig, deswegen, weil es keinen [252]Zweck hat, Vorgänge auf der Erde mit dem Teleskop zu beobachten, mit anderen Hilfsmitteln behandelt werde. Aber kommt dabei nun etwas heraus? Ich möchte ganz ebenso bezweifeln, daß deshalb, weil unzweifelhaft Vorgänge, mit denen sich die Biologie befaßt, die Auslesevorgänge, berührt werden durch gesellschaftliche Institutionen und in sehr vielen Fällen auch wieder gesellschaftliche Institutionen in ihrer Ausprägung von Erbqualitäten der Rassen, daß deshalb es Sinn haben soll, irgend einen Gegenstand, irgend ein Problem, auf der einen Seite als Teil einer erst ad hoc zu konstruierenden Wissenschaft für diese zu konfiszieren. Was wir von den Herren Rassenbiologen erwarten und was – wie ich nicht zweifle, gerade auf Grund des Eindrucks, den ich von den Arbeiten des Herrn Dr. Ploetz und seiner Freunde gewonnen habe, nicht bezweifle – was wir von ihnen sicherlich irgend wann geleistet erhalten werden, das ist der exakte Nachweis ganz bestimmter Einzelzusammenhänge, also der ausschlaggebenden Wichtigkeit ganz konkreter Erbqualitäten für konkrete Einzelerscheinungen des gesellschaftlichen Lebens. Das, meine Herren, fehlt bisher. Das ist kein Vorwurf gegen eine so junge Wissenschaft, es muß aber als Tatsache konstatiert werden, und es dient vielleicht dazu, die utopistische Begeisterung, mit der ein solches neues Gebiet in Angriff genommen wird, nicht dahin ausarten zu lassen, daß dieses neue Gebiet die sachlichen Grenzen der eigenen Fragestellungen verkennt. Wir erleben es heute auf allen Gebieten. Wir haben erlebt, daß man geglaubt hat, man könnte die ganze Welt einschließlich z. B. der Kunst und was es sonst gibt, rein ökonomisch erklären. Wir erleben es, daß die modernen Geographen alle Kulturvorkommnisse „vom geographischen Standpunkt“ aus behandeln, wobei sie uns nun nicht etwa, was wir von ihnen wissen möchten, nachweisen, nämlich: welche spezifischen konkreten Komponenten von Kulturerscheinungen im einzelnen Fall durch klimatische oder ähnliche rein geographische Momente bedingt sind, sondern in ihren „geographischen“ Darstellungen etwa registrieren: „die russische Kirche ist intolerant“, und wenn wir sie fragen: inwiefern gehört diese Feststellung in die Geographie? dann sagen: Rußland ist ein örtlicher Bezirk, die russische Kirche örtlich verbreitet, [A 157]also Objekt der Geographie.
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 Ich glaube, daß die Einzelwissenschaften ihren [253]Zweck verfehlen, wenn jede von ihnen nicht das Spezifische leistet, was sie und grade nur sie leisten kann und soll, und ich möchte die Hoffnung aussprechen, daß es der biologischen Betrachtung gesellschaftlicher Erscheinungen nicht ähnlich ergehen möchte. [252] Weber könnte sich hier auf den Heidelberger Geographen Alfred Hettner bezie[253]hen, der einige Jahre nach einer ausführlichen Studienreise durch Rußland das Buch: Hettner, Alfred, Das europäische Rußland. Eine Studie zur Geographie des Menschen. – Leipzig und Berlin: Teubner 1905, veröffentlichte, vgl. sein Vorwort ebd., S. III–IV. Den Zustand der griechisch-katholischen Kirche in Rußland charakterisiert er aufgrund ihrer Isolierung gegenüber den europäischen Nachbarländern als primitiv, halb heidnisch und belastend für die wirtschaftliche und geistige Entwicklung der Nation, vgl. ebd., S. 80, 83. Weber kannte den Geographen persönlich: „Hettner’s ‚chorologische‘ Wissenschaften u. die logische Gleichsetzung der Astronomie (!) mit der Geographie scheint mir – unbeschadet meiner Freundschaft für den Autor – eine Plattheit […].“ vgl. Brief Max Webers an Friedrich Gottl vom 28. März 1906, MWG II/5, S. 62 f., hier S. 63, und Weber, Zur Rede Alfred Hettners über „Das europäische Rußland. Volk, Staat und Kultur“. Diskussionsbeitrag am 5. Juni 1905 in Heidelberg, MWG I/10, S. 695–699. 
2.
Der Vorsitzende Werner Sombart erteilt Ploetz als dem Vortragenden das Schlußwort (Verhandlungen DGS 1910, S. 157–165), da die Rednerliste erschöpft sei. Ploetz führt aus, daß die Rassenhygiene nicht auf Werturteilen beruhe. Ihr spezifisches „Objekt“ sei vielmehr ein „gesetzter Zustand“, die „Erhaltung des Lebens“, und im Bezug darauf suche sie die relevanten, in einem „Kausalnexus“ verbundenen Faktoren. Das „bloße Setzen eines Objekts“ sei kein Werturteil. Bei den Einwänden, die während der Diskussion seines Vortrages gemacht worden seien, sei nicht unterschieden worden zwischen wahlloser und selektorischer Ausscheidung von Individuen. Die Ausmerzung wirke nicht immer durch Tod, sondern auch durch schlechte Konstitution, die ihrerseits für einen sozialen Abstieg sorge. Es komme darauf an, daß eine Rasse sich möglichst lange erhalte, eine kurze Blüte sei nicht erstrebenswert, es wäre doch besser, wenn Griechenland noch von den alten Griechen bewohnt würde, als von den heute dort Lebenden. 
 [[A 159]]Professor Dr. Max Weber: Sie würden nicht diese Kultur haben! 
Dr. Ploetz: Aber doch eine andere Kultur! Wenn die Menschen dieselben Gehirne hätten …
Professor Dr. Max Weber: Die haben sie vielleicht noch!
 Dr. Ploetz: Aber doch eine andere Kultur! Wenn die Menschen dieselben Gehirne hätten …
Professor Dr. Max Weber: Die haben sie vielleicht noch!
Ploetz merkt an, daß diese nicht dasselbe leisten wie die damalige griechische Oberschicht. Er wünsche dem deutschen Volk eine glänzende Zukunft, [254]die nicht so abgeschnitten werde, wie dies bei den alten Griechen geschehen sei. Mit dem „Blühen der Rasse“ als Grundlage der Gesellschaftsbildung habe er die biologische Dauereinheit, nicht die anthropologische Varietät gemeint. 
 Professor Dr. Max Weber: Wir wissen nichts Beweisbares davon. 
 Ploetz entgegnet, er sei auch nicht gekommen, um irgendwelche Tatsachen zu verkünden. Zwischen ihm und einigen Diskutanten entspinnt sich ein Wortwechsel über den Zusammenhang von Rassenbiologie und Soziologie, sowie von intellektuell-moralischen Eigenschaften und Schichtzugehörigkeit. Ploetz hatte argumentiert, daß sich Minderbegabte, die nicht für ihr Auskommen sorgen oder sorgen können, in tieferen Schichten wiederfinden und die Wahrscheinlichkeit hoch sei, daß sie und ihre Nachkommen den Aufstieg nicht schafften oder eher noch weiter herabsinken würden, da sie ihre Defekte weitervererbten (vgl. Verhandlungen DGS 1910, S. 160). Die implizite Schlußfolgerung (hier nicht direkt ausgesprochen, aber der Bezug entspricht seinem rassenhygienischen Standpunkt, den er in seiner Rede bereits ausformulierte) ist demgemäß, die sozialpolitische Unterstützung von Armen aufzugeben zugunsten einer rassenhygienisch zu optimierenden Weiterentwicklung wertvoller geistiger und körperlicher Anlagen. Es folgen kontroverse Einwürfe vor allem von Tönnies, der zu bedenken gibt, daß physische Gesundheit nicht unbedingt mit geistiger Stärke zusammengehe. Schließlich bezieht sich Ploetz auf Max Webers Diskussionsbeitrag und auf dessen Äußerung, daß die Ethik der Nächstenliebe im Mittelalter nicht verhindert habe, daß die Schwachen von der Fortpflanzung ausgeschlossen worden seien. Ploetz sagt, daß er auch nicht der Meinung sei, „daß die heute herrschende Nächstenliebe bereits so funktioniert, daß nun dieser Prozeß ausgeschaltet würde“ (ebd., S. 161). 
 [[A 161]]Professor Dr. Max Weber : Immer weniger! 
[A 162]Dr. Ploetz: Herr Professor Weber wird mir zugeben, daß im Mittelalter der Ausmerzungsprozeß mit viel größerer Rücksichtslosigkeit gewaltet hat wie heute.
Professor Max Weber: Das gebe ich durchaus nicht ohne weiteres zu! Die Dinge liegen komplizierter.
Dr. Ploetz: Die ganze Mortalität, die Kindersterblichkeit! Ich wollte nur sagen, die Anerkennung der Herrschaft einer Ethik ist etwas anderes als ihre faktische Wirkung.
Professor Max Weber: Gewiß!
 [A 162]Dr. Ploetz: Herr Professor Weber wird mir zugeben, daß im Mittelalter der Ausmerzungsprozeß mit viel größerer Rücksichtslosigkeit gewaltet hat wie heute.
Professor Max Weber: Das gebe ich durchaus nicht ohne weiteres zu! Die Dinge liegen komplizierter.
Dr. Ploetz: Die ganze Mortalität, die Kindersterblichkeit! Ich wollte nur sagen, die Anerkennung der Herrschaft einer Ethik ist etwas anderes als ihre faktische Wirkung.
Professor Max Weber: Gewiß!
Ploetz kommt anschließend auf das „Mißverständnis“ zu sprechen, das zwischen ihm und Professor Weber vorgelegen habe: Er verwende in dem [255]Zusammenhang von „Blüte der Gesellschaft“ und „Blüte der Rasse“ den biologischen Begriff als den der „durchdauernden Lebenseinheit“ und Weber den der „anthropologischen Varietät“. Als Beispiel nennt Ploetz die alten Griechen und Römer, deren Niedergang auf ein allmähliches Schwinden der „geistigen Großtaten“ zurückzuführen und nicht mit sozialen Änderungen zu erklären sei. 
 Professor Max Weber: Aber wo steckt der Nachweis, daß die Rasse sich änderte? 
 Ploetz verweist darauf, daß im alten Griechenland jeder Einzelne von außergewöhnlicher Tüchtigkeit gewesen sei; diese sei durch Infektionen, die dem Körper die Kraft nähmen, zur Zeit des Perikles allmählich verlorengegangen, ebensolches sei durch „Mischheiraten“ mit Sklaven eingetreten. 
 Professor Max Weber: Das ist ja gerade umgekehrt! Der Staat hat sich ja grade umgekehrt gegen die Blutsunreinheit erst abgeschlossen in der Zeit des Perikles. 
Dr. Ploetz: Ja, soweit ich aus der Lektüre von Professor Seeck die Sache weiß, …
Professor Max Weber: Ein sehr bedenkliches Buch!
 Dr. Ploetz: Ja, soweit ich aus der Lektüre von Professor Seeck die Sache weiß, …
Professor Max Weber: Ein sehr bedenkliches Buch!
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 [255] Es handelt sich um das mehrbändige Werk: Seeck, Otto, Geschichte des Untergangs der antiken Welt. – Berlin: Siemenroth und Worms, dann Stuttgart: Metzler, das seit 1895 erschien und mehrere Auflagen erlebte. Weber charakterisiert mit Bezug auf den 1. Band schon 1896 Seecks leitende Annahme als „‚Darwinistische‘ Hypothese“, vgl. Weber, Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur, MWG I/6, S. 99-127, hier S. 101, und den Editorischen Bericht, ebd., S. 82–91, bes. S. 83 ff., sowie oben, S. 245, Anm. 6. 
 Ploetz merkt nur an, daß er die historische Forschung nicht kritisieren könne  und verweist auf den Gegensatz, der gemacht worden sei zwischen der  Macht einer Rasse und ihrer Ausbreitung durch Fortpflanzung. Sprächen die  Biologen von Macht, dann meinten sie immer Macht im biologischen Sinne. 
 [[A 163]]Professor Dr. Max Weber: Mißverständnis! Ich habe davon gesprochen: einerseits Chance, zur Macht innerhalb der Gesellschaft zu gelangen, und anderseits Chance, innerhalb der in der Gesellschaft gegebenen Bedingungen zur Fortpflanzung zu gelangen, und habe gesagt, daß beides von verschiedenen „Spielregeln“ abhängt, welche in den gesellschaftlichen Beziehungen gegeben sind. 
 [256]Ploetz wendet ein, daß das Zurückdrängen der Deutschen durch die Polen im Osten deswegen geschähe, weil die Polen in der „Fortpflanzungskraft“ stärker seien. 
 Professor Dr. Max Weber: Nicht „einfach deswegen“! 
 Ploetz entgegnet, daß es nicht wirtschaftliche Fähigkeiten der Polen seien, die die tüchtigen Deutschen vertrieben, es müßte schon die starke Fortpflanzungskraft der Polen sein. Anschließend verweist er darauf, daß er selbst vier Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt habe und die Abneigung der Amerikaner, seien sie nun gebildet oder ungebildet, gegen die Neger genau kenne. Ausschlaggebend sei nicht deren Geruch, auch wenn „z. B. in den Hotels die Neger gezwungen werden, sich tagtäglich von Kopf bis Fuß zu baden“. 
 Professor Dr. Max Weber: Andere tuns von selbst!
 e
 [256] In A folgt der Protokollzusatz: (Heiterkeit).
Ploetz fährt fort, daß sich nur die höheren Schichten waschen würden. Der Hauptgrund der Abneigung sei die Weigerung, mit dem Neger zu verkehren. Der Umgang mit dem nicht so intelligenten Neger kompromittiere den Weißen, der Neger verhalte sich hemmungslos und albern. Es gebe jetzt zwar schon Negerärzte, sie werden indessen von Ploetz als „Karikatur“ bezeichnet. 
 Professor Dr. Max Weber: Sie schließen ja die Neger von den Universitäten aus! Und eigene Universitäten haben sie natürlich erst in den Anfängen. 
Dr. Ploetz: Das muß doch zum Nachdenken zwingen, daß sogar die Gelehrten sie ausgeschlossen haben von den Universitäten, das muß doch seinen Grund haben.
Professor Dr. Max Weber: Mit Rücksicht auf den Protest ihrer weißen Studenten, selbstverständlich!
 Dr. Ploetz: Das muß doch zum Nachdenken zwingen, daß sogar die Gelehrten sie ausgeschlossen haben von den Universitäten, das muß doch seinen Grund haben.
Professor Dr. Max Weber: Mit Rücksicht auf den Protest ihrer weißen Studenten, selbstverständlich!
Ploetz entgegnet, daß die Neger wegen ihrer intellektuellen und moralischen Minderwertigkeit auch aus vielen anderen Einrichtungen ausgeschlossen werden würden. 
 [[A 164]]Professor Dr. Max Weber: Nichts dergleichen ist erwiesen. Ich möchte konstatieren, daß der bedeutendste soziologische Gelehrte, der in [257]den amerikanischen Südstaaten überhaupt existiert, mit dem sich kein Weißer messen kann, ein Neger ist, – Burghardt
 f
 Du Bois.[257]A: Burckhardt
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 In St. Louis auf dem Gelehrtenkongreß durften wir mit ihm frühstücken.[257] William Edward Burghardt Du Bois verbrachte in den 1890er Jahren einige Zeit in Europa und studierte in Berlin u. a. bei Gustav Schmoller, Adolph Wagner, Heinrich von Treitschke und Max Weber, vgl. The Autobiography of W.E.B. Du Bois, A Soliloquy on Viewing My Life from the Last Decade of Its First Century, ed. by Henry Louis Gates, Jr. – Oxford: University Press 2007, S. 102. Noch während seiner Amerika-Reise bat Weber Du Bois, die Auswirkungen der sozio-ökonomischen Bedingungen auf die Rassen darzustellen, da in Deutschland Rassen lediglich auf strikt anthropologischer Grundlage behandelt würden. Brief Max Webers an W.E.B. Du Bois, vor dem 8. November 1904, MWG II/4, S. 391 f. Dieser kam der Aufforderung nach: Du Bois, William Edward Burghardt, Die Negerfrage in den Vereinigten Staaten, in: AfSSp, Band 22, Heft 1, 1906, S. 31–79. Webers weitere Absicht, Du Bois’ „splendid work“, The Souls of Black Folk. Essays and Sketches. – New York: Allograph Press 1903, in deutscher Ausgabe und mit einem von ihm geschriebenen Vorwort herauszubringen, blieb unrealisiert, ebenso eine geplante Besprechung Du Bois’ über neuere Veröffentlichungen zum „race problem“ für das „Archiv“; vgl. Brief Max Webers an W.E.B. Du Bois vom 30. März 1905, MWG II/4, S. 437–439, Zitate: S. 437 f. 
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 Wenn aber ein Herr aus den Südstaaten dabei gewesen wäre, so wäre es ein Skandal geworden. Der hätte ihn natürlich intellektuell und moralisch minderwertig gefunden: wir fanden, daß er sich betrug, wie irgend ein Gentleman.  Das Frühstück fand am 23. oder 24. September 1904 in St. Louis statt. Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Georg Jellinek vom 24. September 1904, in: MWG II/4, S. 301. 
Ploetz hält entgegen, daß man wegen einer einzelnen Person keine Ausnahme machen könne. Das herrschende Urteil sei aus tausenden von Einzelerfahrungen hervorgegangen und daraus resultiere diese soziale Abgrenzung, und er fordert dazu auf, diese als „Naturerscheinung“ zu betrachten. 
 Professor Dr. Max Weber: Gewiß, aber nicht als Produkt von Tatsachen  und Erfahrungen, sondern von Massenglauben. 
 Ploetz wendet ein, daß in den Nordstaaten ein früheres Vorurteil zugunsten der Neger nun in Antipathie umgeschlagen sei. Der Vorsitzende Sombart verweist darauf, daß es zu weit führen würde, die Bedeutung der Biologie für die Negerfrage an dieser Stelle zu erörtern. Daraufhin kommt Ploetz zum Ende seiner Schlußbemerkungen. Er führt aus, daß die Biologen die Aus[258]tauschprozesse zwischen Individuen beschreiben und dafür einen Begriff bräuchten, um diese Prozesse von Auslese, Vererbung und Fortpflanzung zu umschreiben, dies leiste notwendig die Rassenbiologie. Den Austausch von Hilfe und den Schutz der Schwachen könne man mit dem Begriff der Gesellschaft erfassen oder auch einen anderen nehmen. Weiter führt er aus, daß er nicht alle gesellschaftlichen Erscheinungen der Rassenbiologie untergeordnet wissen wolle. 
 Der Vorsitzende Sombart ergreift an dieser Stelle das Wort, er fürchte, daß das Mißverständnis aufkomme, die soziologische Gesellschaft wolle keine gemeinsamen Forschungsgebiete mit der Rassenbiologie haben. Er wolle aber im Namen wohl fast aller Tagungsteilnehmer, „jedenfalls im Namen meines Freundes Max Weber“ auch ausdrücklich klarstellen: „das ist keineswegs die Auffassung“. 
 [[A 165]]Professor Dr. Max Weber: Sehr richtig! 
 Es folgt das Schlußwort des Vorsitzenden Sombart. 
3.
Der Vortrag von Ploetz und die Diskussion dazu hatten am Freitagvormittag, dem 21. Oktober 1910, stattgefunden. Am darauffolgenden Verhandlungstag, dem 22. Oktober, eröffnete der Vorsitzende Georg Simmel am Vormittag die Sitzung und erteilte zunächst, vor Eintritt in die Tagesordnung, Max Weber das Wort. 
 [[A 215]]Meine verehrten Anwesenden! Ich habe vor der Tagesordnung nur Folgendes zu sagen: Es ist in großen Tagesblättern in den Berichten über die gestrige Vormittagssitzung mir der Ausdruck zugeschrieben worden, die Beschäftigung mit Rassenproblemen habe kein Interesse für soziologische Fragen.
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 Ich nehme selbstverständlich die Schuld an diesem Mißverständnis auf mich, denn es sind nicht [259]nur die Herren Preßberichterstatter, sondern es sind auch Herren innerhalb dieser Gesellschaft gewesen, die mich so verstanden haben. Ich muß mich also mißverständlich ausgedrückt haben. Daß ich das nicht gemeint habe, geht aus allen Arbeiten, die ich über diese Fragen publiziert habe, hervor,[258] Max Weber dürfte sich hier auf die Frankfurter Zeitung beziehen. Diese berichtete am Freitag, dem 21. Oktober 1910, in ihrem Abendblatt über die Sitzung vom Freitagvormittag, in der Alfred Ploetz seinen Vortrag gehalten hatte. Auch alle Diskussionsredner wurden namentlich genannt und ihre Beiträge vergleichsweise ausführlich referiert. Webers Bemerkungen faßt der Bericht wie folgt zusammen: „Von der systematischen Verwendung des Rassenbegriffs erwartet Weber für die Wissenschaft keinen erheblichen Nutzen. Die Aufstellung von Gleichungen zwischen rassenmäßi[259]gen Phänomenen und Kulturtatsachen ist meist willkürlich oder mystisch. Als eine Summe von Mitteln zur Verständlichmachung konkreter Wirklichkeiten wird die Rassenforschung ihren Nutzen erweisen können. Eine Übersteigerung des Rassengedankens aber bewirkt methodologisch und sachlich nur Unklarheit.“ O. V., Erster Deutscher Soziologentag, in: Frankfurter Zeitung, Nr. 291 vom 21. Oktober 1910, Ab. Bl., S. 2. Andere Zeitungen berichteten erst später über die Freitagssitzung und auch ohne direkten Bezug auf Max Webers Äußerungen. 
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 und ich möchte deshalb den Ausdruck dahin interpretieren: ich habe gesagt, daß ein bestimmter, ein sehr bestimmter, von mehreren möglichen Rassenbegriffen meines Erachtens nicht diejenige Fruchtbarkeit für unsere – wohl gemerkt – Untersuchungen hat, die ihm vielfach zugeschrieben wird.  Vgl. unter anderem Weber, Erhebungen über Auslese und Anpassung (Berufswahl und Berufsschicksal) der Arbeiterschaft der geschlossenen Großindustrie, MWG I/11, S. 78–149, bes. S. 110–117, und Weber, Zur Psychophysik der industriellen Arbeit, MWG I/11, S. 162–380. Hier geht Weber auf die experimentalpsychologisch erfaßbaren Bedingungen der Leistungsfähigkeit ein, um Erkenntnisse zu den technischen und ökonomischen Veränderungen industrieller Arbeit zu gewinnen. Zur grundlegenden Frage nach Veranlagung oder sozialem Erwerb von Arbeitseignung sei der Beitrag von biologischen Vererbungstheorien zu bestimmten soziologischen Problemstellungen zu untersuchen, vgl. ebd., S. 365–380, so sei es für den Soziologen „recht nützlich“, ebd., S. 376, diese verschiedenen Vererbungstheorien zumindest in ihren Grundzügen zu kennen. 
Ich glaube ferner, und ich möchte das hinzufügen, obwohl es in die gestrige Debatte nicht hineingehörte, daß unsere Gesellschaft mit dem, was man im speziellen Sinn „Rassenbiologie“ nennt, mit einer Biologie, die in erster Linie nach den hygienischen Seiten der Rassenfrage fragt, nicht befaßt ist. Das ist eine Frage, die vor ein anderes Forum gehört, und ich befinde mich darüber mit Herrn Dr. Ploetz insbesondere in voller Übereinstimmung. Auf der anderen Seite kann nicht nachdrücklich genug betont werden, 1. daß die Lösung der weitaus größten Mehrzahl aller unserer Aufgaben ohne Berücksichtigung der rassenbiologischen Forschung gar nicht erledigt werden kann und daß 2. auch zu dem engsten Umkreis unseres eigentlichen Arbeitsbezirkes die Gesellschaftsbiologie, d. h. die [260]Frage, wie durch Rassendifferenzen und Rassenexistenzbedingungen gesellschaftliche Erscheinungen beeinflußt werden, so sehr gehört, daß es gar keinem Zweifel unterliegt – und auch darüber befinde ich mich z. B. mit Herrn Dr. Ploetz in voller Übereinstimmung –[,] daß wir früher oder später eine spezielle Abteilung für die fachmäßige Pflege und Diskussion dieser Probleme zu schaffen genötigt sein werden, genötigt zu sein hoffen, sobald die Interessenten selbst den Wunsch darnach äußern. 
 