[299][Über Ethik]
[A [1r]]Wer sich der Pflicht selbst zu dem materialen Problem Stellung zu nehmen entzieht, sollte nicht einen derart absprechenden Ton anschlagen wie Kaisers Kritik es tut.
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[299] Satz in A von Marianne Weber (?) gestrichen.
Das Verfahren, zunächst zu definieren, was Schuld bedeutet und dann daraus zu erschließen, daß
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 folglich ein PflichtenkonfliktA: das
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 ein logischer Widerspruch sei, also auch nicht entstehen könne, ist eine rein scholastische Leistung. Es besteht nun einmal die Tatsache: daß menschliches Handeln imA: Pflichtenkonflikt,
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 Dienst einer allgemeinen IdeeVon der Hand Marianne Webers: in dem > im
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 oder eines konkreten Zweckes an unvermeidliche Mittel und nicht beabsichtigte, aber unvermeidlich (wahrscheinlich oder möglicherweise) zu erwartende Nebenerfolge gebunden ist. Jene Idee oder jener Zweck können dabei dem Handelnden als unbedingt oder im denkbar höchsten Maß verpflichtend entgegengelten,In A folgt: 〈eine〉
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 diese Mittel und diese Nebenerfolge andererseits als ganz ebenso abzulehnende negative Werte. Keine formale Regel kann dann die Entscheidung liefern. Ebensowenig gibt es formale Regeln darüber, in welchem Umfang der einzelne überhaupt sein Handeln an einer Verantwortlichkeit für dessen Resultat zu orientieren hat oder umgekehrt, diese Verantwortlichkeit der Welteinrichtung oder Gott zuschieben und sich an der Reinheit der eigenen Absicht genügen lassen darf oder soll. [299] Offenbar von Emil Lask, Logik (wie oben, S. 81, Anm. 43), S. 8, übernommener Begriff; Bedeutung etwa: sich als geltend (oder: in ihrer Geltung) aufdrängen.
Noch viel weniger gibt es formale Regeln, welche die Dignität der untereinander in unaustragbarem Konflikt liegenden Werte, deren Realisierung gleichmäßig aufgegeben sein kann, im Verhältnis zueinander bestimmen könnten
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. Am allerwenigsten kann endlich eine formale Ethik die Entscheidung da fällen, wo die Realisierung außerethischer Werte eine Verletzung ethischer Normen heischt. Sie ist andererseits aber auch nicht einmal in der Lage zu sagen, daß jede gleichartige Verletzung einer ethischen Norm ethisch gleich negativ zu bewerten sei, wie es doch ihr rein formaler [300]Charakter zu erheischen schien. Denn auch ethisch ist die Bewertung eine andere, je nachdem die Verletzung im Dienst eines außerethischen, aber als überindividuell geglaubten Wertes oder anderweit motiviert erfolgt. A: könnte
[A [1v]]Genug, die formale Ethik hat sich damit zu bescheiden, daß ihre Sätze kein Mittel sind, materiale Entscheidungen auch nur auf ethischem Gebiet selbst, geschweige denn bei Konflikten der Wertsphären zu deduzieren. Ein Versuch dazu bleibt ähnlich steril, wie wenn man aus logischen Sätzen etwa materiale chemische Sachverhalte deduzieren wollte. Auch die Kantischen
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 Imperative sind gültige Analysen gewisser einfachster Tatbestände des Verfahrens beim ethischen Urteil. Gleichviel aber, welches die Art ihrer Funktion bei materialen Entscheidungen ethischer Art infolgedessen sein mag, jedenfalls enthalten sie keinerlei Entscheidungen für die ethisch-irrationalen Konflikte der verschiedenen Wertsphären[300] Von der Hand Marianne Webers: kantischen > Kantischen
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. Von der Hand Marianne Webers: der Wertsphäre > der verschiedenen Wertsphären  
Es ist Flachheit, die Idee einer „individuellen Bestimmung“, also eine primär keineswegs in der ethischen Sphäre heimische Idee mit dem Begriff einer „Ausnahme von einer ethischen Regel“ nach Art der Regeln der Schulgrammatik gleichsetzen oder umgekehrt aus der Nichtverbindlichkeit der Forderung künstlerischer Wertrealisierung für den seiner Bestimmung nach nicht künstlerischen Menschen irgendwelche Schlüsse über die Tragweite ethischer Sachverhalte zu ziehen. 
 In unerträglicher Weise zeigt sich die Konsequenz des Versuchs, mit rein formalen Mitteln einer Erörterung materialer Wertkonflikte beizukommen bei der Behandlung der Geschlechtlichkeitsprobleme.
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 Um hier überhaupt etwas zu leisten, muß – charakteristisch genug – das Problem in die Sphäre des juristisch FormalenVon der Hand Marianne Webers: In unerträglicher Weise zeigt sich die Konsequenz des Versuchs, mit rein formalen Mitteln einer Erörterung materialer Wertkonflikte beizukommen bei der Behandlung der Geschlechtlichkeitsprobleme. > Der Versuch, mit rein formalen Mitteln einer Erörterung materialer Wertkonflikte beizukommen, muß bei der Behandlung der Geschlechtlichkeitsprobleme völlig versagen.
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 gezogen, Ehe und Standesamt gleichgesetzt, der Glaube an den Ewigkeitswert und die daran haftende tiefe Paradoxie der Unvergänglichkeitshoffnung der Liebe zu einem kontraktlichen Versprechen der Dauer abgeplattet, schließlich die Verantwortlichkeit des [301]Liebenden und Geliebten für die Seele des anderen Teils in eine Art juristischer „Schadenhaftung“ umgedeutet werden. Es kann kaum eine vernichtendere Kritik des ethischen Formalismus geben, als solche für ihn unvermeidlichen Plattheiten. Von der „Wortklauberei“ mag dabei ganz abgesehen und nur dem Erstaunen Ausdruck gegeben werden, daß [A 2]bei der kaum sehr tiefen Kritik des Ausdrucks „naturfremd“ die in diesem Fall selbstverständliche Bedeutung von „Natur“ als des dem betreffenden spezifischen Wert sinngemäß Adäquaten zu Gunsten einer flachen Analogie aus dem Gebiete der Technik bei Seite geschoben wird. Das steht auf einer Linie mit der Vorstellung, daß Sinn und Zweck miteinander identisch seien. Es ist alles in allem kein Zufall, daß ethische Auseinandersetzungen nur fruchtbar sind, wenn sie durch konkrete materiale Urteile, die einander gegenüber gestellt werden, ein Objekt erhalten, und ich finde dieseA: formalen
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 kritische Auseinandersetzung ebenso steril wie jede Auseinandersetzung mit ihr. Methodologische Erörterungen einer materialen Darlegung voranzustellen, heißt den logischen Sachverhalt auf den Kopf stellen. Wenn die sachliche Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer Aussage feststeht, dann kann man nach der Methode fragen. [301] Maschinenschriftliche Unterstreichung.
