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Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

[247][A 679] Patrimonialismus.
a
[247] In A geht voraus: Kapitel VII. In A folgt nach der Überschrift eine Inhalts- und Seitenübersicht.

Von den vorbürokratischen Strukturprinzipien ist nun das weitaus wichtigste die patriarchale Struktur der Herrschaft. Ihrem Wesen nach ruht sie nicht auf der Dienstpflicht für einen sachlichen, unpersönlichen „Zweck“
b
A: „Zweck“,
und der Obödienz gegenüber abstrakten Normen, sondern gerade umgekehrt auf streng persönlichen Pietätsbeziehungen. Ihr Keim liegt in der Autorität eines Hausherrn innerhalb einer häuslichen Gemeinschaft. Seiner persönlichen autoritären Stellung ist gemeinsam mit der sachlichen Zwecken dienenden bürokratischen Herrschaft: die Stetigkeit des Bestandes, der „Alltagscharakter“. Beide finden ferner ihre innere Stütze letztlich in der Fügsamkeit der Gewaltunterworfenen gegenüber
c
A: an
„Normen“. Diese sind aber bei der bürokratischen Herrschaft rational geschaffen, appellieren an den Sinn für abstrakte Legalität, ruhen auf technischer Einschulung, bei der patriarchalen dagegen ruhen sie auf der „Tradition“: dem Glauben an die Unverbrüchlichkeit des immer so Gewesenen als solchen. Und die Bedeutung der Normen ist für beide grundverschieden. Bei der bürokratischen Herrschaft ist es die gesatzte Norm, welche die Legitimation des konkreten Gewalthabers zum Erlaß eines konkreten Befehls schafft. Bei der patriarchalen Herrschaft ist es die persönliche Unterwerfung unter den Herrn, welche die von diesem gesetzten Regeln als legitim garantiert, und nur die Tatsache und die Schranken seiner Herrengewalt entstammen ihrerseits „Normen“, aber ungesatzten, durch die Tradition geheiligten Normen. Immer aber geht die Tatsache, daß dieser konkrete Herr eben der „Herr“ ist, im Bewußtsein der Unterworfenen allen anderen voraus; und soweit seine Gewalt nicht durch die Tradition oder durch konkurrierende Gewalten begrenzt ist, übt er sie schrankenlos und nach freiem Belieben, vor allem: regelfrei. Während für den bürokratischen Beamten im Prinzip gilt: daß sein konkreter Befehl nur soweit reicht, als er sich dafür auf eine spezielle „Kompetenz“, die durch eine „Regel“ festgestellt ist, stützen kann. Die objektive Grundlage der bürokratischen Macht ist ihre durch spezialistische Fachkenntnis [A 680]begründete technische Unentbehrlichkeit. Bei [248]der Hausautorität sind uralte naturgewachsene Situationen die Quelle des auf Pietät ruhenden Autoritätsglaubens. Für alle Hausunterworfenen das spezifisch enge, persönliche, dauernde Zusammenleben im Hause mit seiner äußeren und inneren Schicksalsgemeinschaft. Für das haushörige Weib die normale Überlegenheit der physischen und geistigen Spannkraft des Mannes. Für das jugendliche Kind seine objektive Hilfsbedürftigkeit. Für das erwachsene Kind die Gewöhnung, nachwirkende Erziehungseinflüsse und festgewurzelte Jugenderinnerungen. Für den Knecht seine Schutzlosigkeit außerhalb des Machtbereichs seines Herrn, in dessen Gewalt sich zu fügen er von Kindheit an durch die Tatsachen des Lebens eingestellt ist. Vatergewalt und Kindespietät ruhen primär nicht auf realem Blutsband, so sehr dessen Bestehen für sie normal sein mag. Gerade die primitiv patriarchale Auffassung behandelt vielmehr, und zwar auch nach der (keineswegs „primitiven“) Erkenntnis der Zusammenhänge von Zeugung und Geburt, die Hausgewalt durchaus eigentumsartig: die Kinder aller in der Hausgewalt eines Mannes, es sei als Weib oder Sklavin, stehenden Frauen gelten ohne Rücksicht auf physische Vaterschaft, sobald er es so will, als „seine“ Kinder, wie die Früchte seines Viehs als sein Vieh. Neben Vermietung (in das mancipium)
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[248] Im älteren und klassischen römischen Recht konnte der Hausvater seine Kinder veräußern. Durch den Rechtsakt der Übertragung (mancipatio) blieb das Kind zwar personenrechtlich frei, stand aber in einem sklavenartigen Gewaltverhältnis zum Erwerber („in mancipio esse“), das nur durch Freilassung gelöst werden konnte. Die sog. mancipium-Gewalt war Bestandteil der patria potestas.
und Verpfändung von Kindern und auch Weibern ist der Kauf fremder und Verkauf eigener Kinder noch in
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[248] Fehlt in A; in sinngemäß ergänzt.
entwickelten Kulturen eine geläufige Erscheinung. Er ist geradezu die ursprüngliche Form des Ausgleichs von Arbeitskräften und Arbeitsbedarf zwischen den verschiedenen Hausgemeinschaften. So sehr, daß als Form der Eingehung eines „Arbeitsvertrags“ seitens eines freien Selbständigen noch in babylonischen Kontrakten der zeitlich befristete Selbstverkauf in die Sklaverei sich findet.
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Überliefert sind Kontrakte zur zeitlich begrenzten „Selbstvermietung“ oder „Selbstverknechtung“ unter den Nachfolgern des babylonischen Königs Hammurabi aus dem 17. und 16. Jahrhundert v. Chr. Abgedruckt sind einige in: Kohler, Josef und Arthur Ungnad, Hammurabi’s Gesetz, Band 3: Übersetzte Urkunden, Erläuterungen. – Leipzig: Eduard Pfeiffer 1909, S. 149–153 (hinfort: Hammurabi’s Gesetz III). In den Erläuterun[249]gen der Herausgeber wird der Vergleich zum modernen „Arbeitsvertrag“ hergestellt (ebd., S. 243). Der Terminus „Selbstverkauf“ findet sich hingegen bei Theodor Mommsen, der im Zusammenhang des römischen Schuldrechts von „Nexum“ bzw. „bedingte[m] Selbstverkauf“ sprach. Vgl. Mommsen, Theodor, Nexum, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abtheilung, Band 23, 1902, S. 348–355, Zitat: S. 348.
Daneben dient der Kin[249]deskauf anderen, speziell religiösen Zwecken (Sicherung der Totenopfer), als Vorläufer der „Adoption“.
Innerhalb des Hauses entwickelte sich allerdings eine soziale Differenzierung, sobald Sklaverei als reguläre Institution entstand und das Blutsband an Wirklichkeit gewachsen war: nun wurden die Kinder als freie Gewaltunterworfene („liberi“) von den Sklaven unterschieden.
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Im alten römischen Recht sind die „liberi“ (die „Gelösten“) die zwar bürgerlich freien, aber privatrechtlich im Eigentum des Vaters stehenden und seiner Gewalt unterworfenen Personen. Ihnen gegenüber standen die – ebenfalls zum Haus gehörenden – unfreien „servi“ (die „Gefesselten“). Vgl. Mommsen, Römisches Staatsrecht III,13 (wie oben, S. 143, Anm. 37), S. 62 f.
Freilich galt der Willkür des Gewalthabers gegenüber die Scheidewand wenig. Darüber, wer sein Kind sein solle, entschied er allein. Er konnte im römischen Recht noch der historischen Zeit prinzipiell seinen Sklaven letztwillig zum Erbherren machen (liber et heres esto)
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Es handelt sich hierbei um die testamentarische Erbeinsetzungsformel für den Sklaven, der nach dem Tod des pater familias nicht nur dessen Erbe, sondern auch freigelassen werden sollte. Ohne die Bestätigung der römischen Volksversammlungen (Komitien) war das Testament allerdings ungültig. Vgl. Mommsen, ebd., S. 58. Beide Formeln waren getrennt üblich als „liber esto“ (ebd., S. 62) und „heres esto“; in der Kombination, wie Weber sie anführt, dagegen nur als Ausnahme bei Gaius, Institutiones 2,186, überliefert.
und sein Kind als Sklaven verkaufen. Aber solange dies nicht geschah, schied den Sklaven vom Hauskind die Chance des letzteren, selbst Hausherr zu werden. Meist ist ihm
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[249]Lies: dem Sklaven
diese Gewalt allerdings verwehrt oder beschränkt. Wo ferner sakrale und von der politischen Gewalt, zunächst im militärischen Interesse geschaffene Schranken der Verfügungsgewalt bestanden, galten sie nur oder doch wesentlich stärker für die Kinder. Aber diese Schranken wurden erst sehr allmählich fest.
Objektive Grundlage der Zusammengehörigkeit ist überall, im vormuhammedanischen Arabien
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Bei den kriegerischen Nomaden Arabiens galt die Erhaltung des „Chaij“, der „Gemeinschaft der Weidereviergenossen“, als oberstes Ziel. Der Sippenverband war [250]streng patriarchalisch organisiert. Frauen hatten zukünftige Krieger zu gebären. Mädchen galten als unnütze Esser, die daher häufig nach ihrer Geburt lebendig begraben wurden. Vgl. Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung. Eine Einführung. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1907, S. 131 f. (hinfort: Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter).
z. B. ganz ebenso wie noch nach [250]der Terminologie mancher hellenischen Rechte der historischen Zeit,
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Der Erhaltung des Oikos diente die nahezu unbeschränkte Verfügungsgewalt des Familienvaters über Ehefrau, Kinder und Sklaven. Nach griechischem Recht waren sie unmündig, die Kinder konnten vom Vater verstoßen, in früher Zeit auch verkauft, zur Adoption freigegeben oder verheiratet werden. Die Rechtsvorstellungen der Frühzeit sind meist nur indirekt überliefert (z. B. bei Aristoteles, Politik 1270a 11–29; Platon, Gesetze 5, 740a ff.; 11, 924c ff.). Das 1884 gefundene „Recht von Gortyn“ aus der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. zeigt zwar bereits eine Beschränkung der väterlichen Gewalt, erlaubte aber immer noch dessen freie Verfügung über die Erbtochter oder die öffentliche Verstoßung des Adoptivsohnes. Vgl. Weber, Agrarverhältnisse3, S. 96, und Meyer, Eduard, Geschichte des Alterthums, Band 2, 1. Aufl. – Stuttgart: J. G. Cotta 1893, S. 86 ff., 300 f., 568 (hinfort: Meyer, Geschichte des Alterthums II1).
überhaupt aber nach den meisten ungebrochen patriarchalen Rechtsordnungen, die rein tatsächliche perennierende Gemeinschaft von Wohnstätte, Speise, Trank und alltäglichen Gebrauchsgütern. Ob Inhaber der Hausgewalt auch ein Weib sein kann, ob der älteste oder (wie zuweilen in der russischen Großfamilie)
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In der Regel herrschte in der russischen Großfamilie die agnatische Erbfolge, d. h. die Leitung des Familienverbandes wurde dem Bruder oder ältesten Sohn des Verstorbenen übertragen. Nur in Ausnahmefällen wurde die Leitung der Witwe oder einem von den Familienmitgliedern Gewählten (sog. Ältester, der sich durch Tüchtigkeit auszeichnete) übertragen. Letztgenannter Fall war durch eine Studie über eine Großfamilie in Kursk belegt. Vgl. Leroy-Beaulieu, Anatole, Das Reich der Zaren und die Russen. Autorisirte deutsche Ausgabe von L. Pezold, Band 1, 2. Aufl. – Sondershausen: Friedrich August Eupel (Otto Kirchhoff) 1887, S. 403 f.; dort alle Angaben (hinfort: Leroy-Beaulieu, Reich der Zaren I).
der ökonomisch tüchtigste Sohn es wurde, konnte sehr verschieden geordnet sein und hing von mannigfachen ökonomischen, politischen und religiösen Bedingungen ab, ebenso, ob die Hausgewalt durch heteronome Satzung Beschränkungen erfuhr und welche, oder ob dies, wie in Rom und China,
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In China lagen bis zu den Reformen 1905 alle Fragen des Familienrechts in den Händen des Familienvaters bzw. -rats. In die Hausgewalt wurde von alters her nicht eingegriffen, da das gesamte chinesische Staatswesen, insbesondere die Stellung des Kaisers, auf dem familiären Pietätsverhältnis beruhte. (Vgl. Parker, Edward Harper, China. Her History, Diplomacy, and Commerce. From the Earliest Times to the Present Day, Second Edition. – London: John Murray 1917, S. 310 f.) In Rom wurde die patria potestas erst während des Prinzipats durch Gesetze des Privat- und Strafrechts eingeschränkt.
im Prinzip nicht der Fall war. Bestanden solche heteronome Schranken, so konnten diese, wie heute durchweg, krimi[251]nal- und privatrechtlich sanktioniert sein,
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[251] Im Deutschen Kaiserreich wurden Abtreibung, Kindesmord, absichtliche Verwechslung oder Aussetzung von Kindern strafrechtlich geahndet. Trotz des rechtlichen Schutzes der körperlichen Unversehrtheit begrenzte selbst noch das BGB die „unbeschränkte Geschäfts- und Prozeßfähigkeit“ der verheirateten Frau. Darauf verweist Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter (wie oben, S. 249 f., Anm. 5), S. 413 ff.
oder nur sakralrechtlich, wie in Rom,
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Als sakralrechtlich verboten galten im alten Rom Mißbräuche der väterlichen Hausgewalt, z. B. der Verkauf von Ehefrau und verheiratetem Sohn. (Vgl. Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Band 1, 9. Aufl. – Berlin: Weidmann 1902, S. 58 f.). Der Täter verfiel der strafenden Gewalt der Gottheiten und konnte von jedem straffrei getötet werden. Kindesaussetzung fiel nicht unter das Verbot, sondern war bei Mißgeburten sogar vorgeschrieben.
oder, wie ursprünglich überall nur durch die Tatsache des „Brauchs“, dessen unmotivierte Verletzung Unzufriedenheit der Gehorchenden und soziale Mißbilligung erregte. Auch dies war ein wirksamer Schutz. Denn alles innerhalb dieser Struktur ist letztlich immer durch die eine grundlegende Macht der „Tra[A 681]dition“, des Glaubens an die Unverbrüchlichkeit des „ewig Gestrigen“, festgelegt. Der Talmudsatz: „Niemals ändere der Mensch einen Brauch“,
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Weber zitiert hier aus Gemara zu Mischna VII, 1, d. h. den Erläuterungen der Amoräer (jüdischer Schriftgelehrter) zu den gesetzlichen Vorschriften des Talmud. Dort heißt es – in Abweichung zu Webers Zitierweise –: „R[abbi] Tanchum bar Chanilai hat gesagt: Niemals ändere ein Mensch den Brauch (weiche von der herkömmlichen Sitte ab) […]“. Die Stelle findet sich im Traktat Baba Mezia (Fol. 86b), in: Der babylonische Talmud in seinen haggadischen Bestandtheilen. Wortgetreu übersetzt und durch Noten erläutert von August Wünsche, 2. Halbband, 2. Abtheilung. – Leipzig: Otto Schulze 1888, S. 103 (hinfort: Wünsche, Talmud). Vgl. die entsprechende Referenzstelle bei Weber, Protestantische Ethik II, S. 91, Fn. 49.
ruht in seiner praktischen Wirksamkeit außer auf der durch die innere „Eingestelltheit“ bedingten Macht des Gewohnten rein als solchem ursprünglich auf der Furcht vor unbestimmten magischen Übeln, welche den Neuerer selbst und die soziale Gemeinschaft, die sein Tun billigt, von Geistern, deren Interessen dadurch irgendwie berührt wurden, treffen könnten. Was dann mit Entwicklung der Gotteskonzeptionen durch den Glauben ersetzt wird: daß die Götter das Althergebrachte als Norm gesetzt haben und es deshalb als heilig schirmen würden. Die Pietät der Tradition und die Pietät gegen die Person des Herrn waren die beiden Grundelemente der Autorität. Die Macht der ersteren, auch die Herren bindenden Motive, kam den formal rechtlosen Gewaltunterworfenen, z. B. den Sklaven, zugute, deren Lage unter dem traditionsgebundenen Patriarchalismus des Orients daher wesentlich geschützter war als dort, wo sie, wie in [252]den karthagisch-römischen Plantagen,
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[252] Vgl. dazu die näheren Ausführungen unten, S. 557, mit Anm. 44–47.
Objekt rationaler[,] durch jene Schranken nicht mehr gebändigter Ausnutzung wurden. –
Die patriarchale Herrschaft ist nicht die einzige auf Traditionsheiligkeit ruhende Autorität. Neben ihr steht vor allem, als selbständige Form einer normalerweise traditionellen Autorität, die Honoratiorenherrschaft, auf deren Eigenart wir schon gelegentlich zu sprechen kamen
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Siehe Weber, Recht § 1, S. 6 (WuG1, S. 390 f.), sowie den Text „Herrschaft“, oben, S. 141–144, und den Text „Bürokratismus“, oben, S. 177, 207 und 224–229.
und noch öfter zu sprechen kommen werden.
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Siehe unten, S. 343–370, und den Text „Umbildung des Charisma“, unten, S. 507–513, und Weber, Die Stadt, MWG I/22-5, S. 146 f.
Sie besteht überall da, wo soziale Ehre („Prestige“) innerhalb eines Kreises Grundlage einer Herrschaftsstellung mit autoritärer Befehlsgewalt wird – was bei weitem nicht bei jeder sozialen Ehre der Fall ist. Was sie von der patriarchalen Herrschaft scheidet, ist das Fehlen jener, mit der Zugehörigkeit zu einem Hausverband, grundherrlichen, leibherrlichen, patrimonialen Verband verknüpften und dadurch motivierten, spezifischen Pietätsbeziehungen persönlicher Art: Kindes- und Diener-Pietät. Die spezifische Autorität des Honoratioren (insbesondre des durch Vermögen, Bildungsqualifikation oder Lebensführung Ausgezeichneten im Kreise der Nachbarn) beruht dagegen gerade nicht auf Kindes- oder Diener-Pietät, sondern auf „Ehre“. Wir wollen diesen Unterschied prinzipiell festhalten, obwohl natürlich hier wie immer die Übergänge gänzlich flüssige sind. Grundlage, Qualität und Tragweite der Autorität der „Honoratioren“ sind untereinander sehr verschieden. Es wird davon bei gelegeneren Anlässen zu reden sein
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[252] In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber an: 1) Vgl. unten S. 349 f. (Anm. d. Herausgeb.)
.
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Der Verweis läßt sich trotz der anders lautenden Formulierung im Rahmen des Textes auflösen, siehe unten, S. 343–350 und 359–370.
Jetzt aber haben wir es nur mit der patriarchalen Herrschaft, als der formal konsequentesten Strukturform einer auf Traditionsheiligkeit ruhenden Autorität, zu tun.
Bei ganz reiner Ausprägung ist die Hausherrschaft mindestens rechtlich schrankenlos und geht beim Tode oder sonstigen Wegfall des alten gleich schrankenlos auf den neuen Hausherrn über, der z. B. auch die geschlechtliche Benutzung der Weiber seines Vorgängers (eventuell also seines Vaters) einfach miterwirbt. Das Neben[253]einanderstehen mehrerer Inhaber der Hausgewalt mit konkurrierender Autorität ist nicht beispiellos, aber naturgemäß selten. Die Abspaltung von Teilen der Hausgewalt, z. B. selbständige Autoritätsstellung einer Hausmutter neben der normalerweise übergeordneten Autorität[,] kommt vor. Wo sie bestand, hing sie mit der ältesten typischen Arbeitsteilung: derjenigen zwischen den Geschlechtern, zusammen. Die weiblichen Häuptlinge, wie sie sich z. B. unter den Sachems der Indianer
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[253] Die Sachem oder „Friedensvorsteher“ waren die männlichen Oberhäupter der (Teil-)Geschlechter („Sachemschaften“) bei den nordostamerikanischen Irokesen. Die Nachfolge wurde in einem Mischverfahren aus Erblichkeit, Wahl und Anerkennung geregelt. Zwei Kandidaten aus der Sippe des Vorgängers (die Zugehörigkeit erfolgte rein nach der Mutterfolge) stellten sich dem Geschlechterrat zur Wahl und wurden schließlich durch den übergeordneten Stammesrat bestätigt. Im Geschlechterrat hatten zwar auch Frauen das Stimmrecht, konnten aber selber nicht zum Sachem gewählt werden. Vgl. dazu Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter (wie oben, S. 249 f., Anm. 5), S. 39, sowie Morgan, Lewis H., Die Urgesellschaft. Untersuchungen über den Fortschritt der Menschheit aus der Wildheit durch die Barbarei zur Zivilisation. Übersetzt von W. Eichhoff unter Mitwirkung von Karl Kautsky, 1. Aufl. – Stuttgart: J.H.W. Dietz 1891, S. 60, 72 (hinfort: Morgan, Urgesellschaft), und Breysig, Kurt, Die Entstehung des Staates aus der Geschlechterverfassung bei TIinkit und Irokesen, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, Jg. 28, Heft 2, 1904, S. 483–527, bes. S. 495 f. (hinfort: Breysig, Geschlechterverfassung).
finden, die nicht selten vorkommenden weiblichen Nebenhäuptlinge (wie etwa die Lukokescha
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[253]A: Lukakescha
im Reiche des Muata Jamvo)
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Die Lukokescha war die oberste Würdenträgerin im Reich der Lunda, eines Reichs der Bantu im Süden des Kongobeckens, das seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert bestand. Neben dem König, dem Muata Jamwo („Herr der Schlange“), hatte die Lukokescha ihren eigenen Hof und regierte über einzelne Dörfer und Distrikte, die nur ihr gegenüber tributpflichtig waren. Die Neuwahl des Muata Jamwo und der Lukokescha erfolgte durch vier oberste Räte und bedurfte der Zustimmung des jeweils anderen obersten Herrschers. Als „Mutter“ aller Muata Jamwos mußte die Lukokescha formell unverheiratet und kinderlos bleiben. Vgl. Pogge, Paul, Im Reiche des Muata Jamwo. Tagebuch meiner im Auftrag der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung Aequatorial-Afrika’s in die Lunda-Staaten unternommenen Reise (Beiträge zur Entdeckungsgeschichte Afrika’s, Heft 3). – Berlin: Dietrich Reimer 1880, sowie Schurtz, Heinrich, Afrika, in: Helmolt, Hans F. (Hg.), Weltgeschichte, Band 3, 1. Aufl. – Leipzig, Wien: Bibliographisches Institut 1901, S. 389–574, hier: S. 463–465 (hinfort: Schurtz, Afrika).
mit ihrer in ihrem Bereich selbständigen Autorität, gehen historisch meist (wenn auch nicht immer) auf die Funktion der Frauen als ältester Trägerin der eigentlichen „Wirtschaft“: der auf Bodenanbau und Speisenzubereitung ruhenden stetigen Nahrungsfürsorge zurück oder sind die Folge des durch gewisse Arten der Mi[254]litärorganisation bedingten gänzlichen Ausscheidens der waffenfähigen Männer aus dem Hause.
Wir haben früher, bei Besprechung der Hausgemeinschaft, gesehen,
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[254] Siehe Weber, Hausgemeinschaften, MWG I/22-1, S. 126–154.
wie deren urwüchsiger Kommunismus sowohl auf sexuellem wie auf ökonomischem Gebiet [A 682]zunehmenden Schranken unterworfen wird, die „Geschlossenheit nach Innen“ immer weiter um sich greift, der rationale „Betrieb“ aus der kapitalistischen Erwerbsgemeinschaft des Hauses sich abgliedert und das Prinzip des „Rechnens“ und des festen Anteils immer weiter um sich greift, Frau, Kinder, Sklaven persönlich und vermögensrechtlich eigne Rechte gewinnen. Das alles sind ebenso viele Einschränkungen der ungebrochenen Hausgewalt. Als Gegenpol zu der Entwicklung des aus der Erwerbswirtschaft des Hauses entstehenden und von ihr sich aussondernden kapitalistischen „Betriebs“ lernten wir ferner die gemeinwirtschaftliche Form einer inneren Gliederung des Hauses: den „Oikos“ kennen.
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Siehe Weber, Hausgemeinschaften, MWG I/22-1, S. 154–161. Dort charakterisiert Max Weber den von Rodbertus geprägten Begriff als „autoritär geleitete[n] Großhaushalt eines Fürsten, Grundherrn, Patriziers“, dessen Hauptziel die „organisierte naturale Deckung des Bedarfs des Herrn“ sei (ebd., S. 155). Die dortige Passage endet mit einem Vorverweis (ebd., S. 161 mit Anm. 92) auf die hier vorliegenden Ausführungen.
Hier haben wir jetzt diejenige Form der Herrschaftsstruktur zu betrachten, welche auf dem Boden des Oikos und damit auf dem Boden der gegliederten Hausgewalt erwachsen ist: die patrimoniale Herrschaft.
Zunächst nur eine Dezentralisation der Hausgemeinschaft ist es, wenn auf ausgedehntem Besitz Unfreie (auch: Haussöhne) mit eigener Behausung und eigener Familie auf Landparzellen ausgesetzt und mit Viehbesitz (daher: peculium) und Inventar ausgestattet werden. Aber gerade diese einfachste Form der Entwicklung des Oikos führt unvermeidlich zu einer inneren Abschwächung der vollen Hausgewalt. Da zwischen Hausherrn und Haushörigen Vergesellschaftungen durch verbindliche Kontrakte ursprünglich nicht stattfinden – die Abänderung des gesetzlichen Inhalts der Vatergewalt durch Kontrakt ist ja in allen Kulturstaaten auch heute noch rechtlich unmöglich
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Der Jurist und Staatsrechtler Georg Jellinek verweist auf den besonderen rechtlichen Status der Vatergewalt, die eben nicht nach Art des Privatrechts ein „von der Person in beliebigem Umfange lösbares Recht“ darstelle, sondern „einen in der Regel nicht [255]willkürlich zu ändernden oder aufzulösenden rechtlichen Zustand“ beschreibe. In diesem sehr begrenzten Sinne sei das Familienrecht öffentliches Recht und somit nicht beliebig abänderbar. Der Staat gestatte nur in Ausnahmefällen die „Annahme an Kindesstatt“ (BGB § 1765). Vgl. Jellinek, System2 (wie oben, S. 7, Anm. 26), S. 88 f.
[,] so regeln sich die inneren und äußeren Bezie[255]hungen zwischen Herren und Unterworfenen auch in diesem Fall lediglich nach dem Interesse des Herrn und der inneren Struktur des Gewaltverhältnisses. Dies Abhängigkeitsverhältnis selbst bleibt ein Pietäts- und Treueverhältnis. Eine auf solcher Grundlage beruhende Beziehung aber, mag sie auch zunächst eine rein einseitige Herrschaft darstellen, entfaltet aus sich heraus stets den Anspruch der Gewaltunterworfenen auf Gegenseitigkeit, und dieser Anspruch erwirbt durch die „Natur der Sache“ als „Brauch“ soziale Anerkennung. Denn während für den kasernierten Sklaven die physische Peitsche, für den „freien“ Arbeiter diejenige des Lohnes und der drohenden Arbeitslosigkeit die Leistung garantiert, der Kaufsklave relativ billig zu ersetzen sein muß (sonst rentiert seine Verwendung überhaupt nicht), die Ersetzung des „freien“ Arbeiters aber gar nichts kostet –
h
[255] Gedankenstrich fehlt in A.
so lange andere Arbeitswillige da sind –[,] ist der Herr bei dezentralisierter Ausnutzung seiner Haushörigen in weitem Maß auf deren gutwillige Pflichterfüllung und immer auf die Erhaltung ihrer Prästationsfähigkeit angewiesen. Auch der Herr „schuldet“ also dem Unterworfenen etwas, zwar nicht rechtlich, aber der Sitte nach. Vor allem – schon im eignen Interesse – Schutz nach außen und Hilfe in Not, daneben „menschliche“ Behandlung, insbesondere eine dem „Üblichen“ entsprechende Begrenzung der Ausbeutung seiner Leistungsfähigkeit. Auf dem Boden einer nicht dem Gelderwerb, sondern der Deckung des Eigenbedarfs des Herrn dienenden Herrschaft ist eine solche Beschränkung der Ausbeutung ohne Verletzung der Interessen des Herrn namentlich deshalb möglich, weil in Ermangelung qualitativer, prinzipiell schrankenlos ausdehnbarer Bedarfsentfaltung seine Ansprüche nur quantitativ von denen der Unterworfenen verschieden sind. Und sie ist dem Herrn positiv nützlich, weil nicht nur die Sicherheit seiner Herrschaft, sondern auch deren Erträge stark von der Gesinnung und Stimmung der Untertanen abhängen. Der Unterworfene schuldet der Sitte nach dem Herrn Hilfe mit allen ihm verfügbaren Mitteln. Ökonomisch schrankenlos [256]ist diese Pflicht in außerordentlichen Fällen, z. B. zur Befreiung von Schulden, Ausstattung von Töchtern, Auslösung aus der Gefangenschaft usw.
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[256] Die Fälle, zu denen der römische Klient gegenüber seinem Herrn verpflichtet war (Zahlung von Lösegeld, Geldbußen, Ausstattung der Tochter und Aufwendungen für die Magistratur), führt Theodor Mommsen, Römisches Staatsrecht III,13 (wie oben, S. 143, Anm. 37), S. 84, Anm. 1, mit den entsprechenden Quellenbelegen bei Dionysos und Plutarch an. Max Weber fügt dem – wie aus einer Parallelstelle (Weber, Agrarverhältnisse3, S. 147) hervorgeht – die Auslösung aus der Gefangenschaft an und verweist in diesem Zusammenhang auf ältere, altbabylonische und attische, Verhältnisse.
Persönlich schrankenlos ist seine Hilfspflicht im Fall von Krieg und Fehde. Er leistet Heerfolge als Knappe, Wagenlenker, Waffenträger, Troßknecht – so in den Ritterheeren des Mittelalters und in den schwerbewaffneten Hoplitenheeren der Antike – oder auch als privater Vollkrieger des Herrn. Dies letztere galt wohl auch für die römischen Klienten, die auf precarium: ein jederzeit widerrufliches, der Funktion nach wahrscheinlich dienst[A 683]lehenartiges Verhältnis, gesetzt waren. Es galt für die Parzellenpächter (coloni) schon in der Zeit der Bürgerkriege.
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Im Bürgerkrieg gegen Cäsar seien – wie Weber an anderer Stelle ausführte – die Kolonen von ihren Grundherren bereits zur Kriegshilfe aufgeboten worden und hätten insofern die Funktion der Klienten übernommen. Allerdings beurteilte Weber die soziale Lage der Kolonen in republikanischer Zeit im Vergleich zu den mit precarium ausgestatteten Klienten noch schlechter, da diese noch nicht einmal Besitzschutz gegenüber Dritten genossen hätten. (Vgl. auch den Glossar-Eintrag, unten, S. 793). In spätrepublikanischer Zeit habe der Kolone selber oft nur Vieh besessen und den zu bearbeitenden Boden mit Inventar von seinem Herrn gepachtet, von dem er durch Verschuldung vollständig abhängig war. Vgl. Weber, Agrarverhältnisse3, S. 148, 167 f., sowie Weber, Die Stadt, MWG I/22-5, S. 278 mit Anm. 223, und S. 294.
Ebenso natürlich für die Hintersassen von Grundherren und Klöstern im Mittelalter.
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Die Heerpflicht im fränkischen Reich betraf auch die freien Hintersassen, d. h. die im Rahmen von Grundherrschaften dienst- und abgabepflichtigen Bauern. Die Heerpflicht der Hintersassen, deren Ausgestaltung in den Stammesrechten große Unterschiede aufwies und auch die Teilnahme an Fehden und Turnieren einschließen konnte, wurde im deutschen Reich unter Heinrich IV. (1056–1106), als sich das spezialisierte Reiterheer der Vasallen durchsetzte, abgeschafft. Vgl. Mayer, Ernst, Deutsche und französische Verfassungsgeschichte vom 9. bis zum 14. Jahrhundert, Band 1. – Leipzig: A. Deichert 1899, S. 119–127.
Ganz ebenso waren aber schon die Heere des Pharao und der orientalischen Könige und großen Grundherrn zum nicht geringen Teil patrimonial aus dessen Kolonen rekrutiert, aus dem Herrenhaushalt ausgestattet und ernährt. Gelegentlich, namentlich für den Flottendienst, aber nicht nur für ihn, finden sich Aufgebote von Sklaven, die im antiken Orient [257]mit der Besitzmarke des Herrn versehen waren.
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[257] Die Sklaven des alten Orients waren teilweise mit einem Mal gezeichnet, das ihnen entweder auf die linke Hand oder die Stirn gebrannt bzw. geschnitten wurde. Weber führte an anderer Stelle als Beispiele die im altbabylonischen Reich (ca. 1830–1531 v. Chr.) angesiedelten assyrischen Soldaten und die Matrosen des Pharaos im Neuen Reich (1550–1070/69 v. Chr.) an. Vgl. Weber, Agrarverhältnisse3, S. 75, 86, sowie Thurnwald, Richard, Staat und Wirtschaft in Babylon zu Hammurabis Zeit (2. Teil), in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Band 82, 1904, S. 64–88, hier: S. 68.
Im übrigen leistet der Hintersasse Frohnden und Dienste, Ehrengeschenke, Abgaben, Unterstützungen, dem Rechte nach je nach Bedarf und Ermessen des Herrn, der Tatsache nach gemäß eingelebtem Brauch. Von Rechts wegen
i
[257]A: Rechtswegen
bleibt es dem Herrn natürlich unbenommen, ihn nach Gutdünken des Besitzes zu entsetzen, und auch die Sitte hält es ursprünglich für selbstverständlich, daß er über die nachgelassenen Personen und Güter nach Gutdünken verfügt. Wir wollen diesen Spezialfall patriarchaler Herrschaftsstruktur: die mittels Ausgabe von Land und eventuell Inventar an Haussöhne oder andere abhängige Haushörige dezentralisierte Hausgewalt, eine „patrimoniale“ Herrschaft nennen.
Alles[,] was an Stetigkeit und zunächst rein tatsächlicher Begrenzung der Willkür des Herrn in die patrimonialen Beziehungen hineinwächst, entsteht durch den zunächst rein faktischen Einfluß der Übung. An sie knüpft dann die „heiligende“ Macht der Tradition an. Neben den überall sehr starken, rein tatsächlichen Reibungswiderständen gegen alles Ungewohnte als solches wirkt die Mißbilligung etwaiger Neuerungen des Hausherrn durch seine Umwelt und seine Furcht vor religiösen Mächten, welche überall die Tradition und die Pietätsverhältnisse schützen. Schließlich und nicht zuletzt aber auch seine begründete Befürchtung, daß jede starke Erschütterung des traditionellen Pietätsgefühls durch unmotivierte, als ungerecht empfundene Eingriffe in die traditionelle Verteilung von Pflichten und Rechten sich an seinen eigenen Interessen, speziell auch den ökonomischen, schwer rächen könnte. Denn der Allmacht gegenüber dem einzelnen Abhängigen steht auch hier die Ohnmacht gegenüber ihrer Gesamtheit zur Seite. So hat sich fast überall eine dem Recht nach labile, faktisch aber sehr stabile Ordnung gebildet, welche den Bereich der freien Willkür und Gnade des Herrn zugunsten des Bezirks der Bindung durch die Tradition zurückschiebt. Diese traditio[258]nelle Ordnung kann sich der Herr veranlaßt sehen[,] in die Form einer Hof- und Dienstordnung zu bringen, nach Art der modernen Arbeitsordnungen in der Fabrik, nur daß diese rational geschaffene Gebilde zu rationalen Zwecken sind, jene Ordnungen dagegen ihre bindende Macht gerade daraus schöpfen, daß sie nicht nach dem zukünftigen Zweck, sondern nach dem von altersher Bestehenden fragen. Die erlassene Ordnung entbehrt natürlich der rechtlichen Verpflichtung für den Herrn. Wenn er aber, entweder infolge des unübersichtlichen Umfangs seines an Haushörige ausgetanen Besitzes oder wegen dessen weit zerstreuter Lage oder wegen kontinuierlicher politisch-militärischer Inanspruchnahme besonders stark auf den guten Willen derjenigen angewiesen ist, von welchen er seine Einkünfte bezieht, so kann sich im Anschluß an solche Ordnungen eine genossenschaftliche Rechtsbildung vollziehen, die eine sehr starke faktische Bindung des Herrn an seine eigenen Verfügungen entwickelt. Denn jede solche Ordnung macht die ihr Unterstellten aus bloßen Interessengenossen zu Rechtsgenossen (einerlei ob im juristischen Sinn), steigert dadurch ihr Wissen von der Gemeinsamkeit ihrer Interessen und damit die Neigung und Fähigkeit, sie wahrzunehmen, und führt dazu, daß die Gesamtheit der Unterworfenen nun dem Herrn, zunächst nur gelegentlich, dann regelmäßig als eine geschlossene Einheit gegenübertritt. Das ist ganz ebenso die Folge der „leges“ (= „Statuten“, nicht: „Gesetze“), die namentlich in Hadrians Zeit für die kaiserlichen Domänen erlassen wurden,
25
[258] Die lex Hadriana fixierte die Rechte und Pflichten der Domäneninsassen auf den kaiserlichen Gütern (saltus), so z. B. Pachtzinszahlungen und Frondienste der Kolonen. Im ausgehenden 19. Jahrhundert war die lex Hadriana durch zwei, im Gebiet der Provinz Africa proconsularis aufgefundene Inschriften bekannt (vgl. die Edition der 1892 bei Ain Wassel aufgefundenen Inschrift bei: Bruns, Karl Georg (Hg.), Fontes iuris Romani antiqui, 1. Teil, 6. Aufl., besorgt von Theodor Mommsen und Otto Gradenwitz. – Freiburg i. Br., Leipzig: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1893, S. 382–384). Ein von Theodor Mommsen ediertes Dekret des Kaisers Commodus (180–192) belegte, daß die Kolonen des kaiserlichen saltus Burunitanus in Afrika Beschwerde gegen den Domänenpächter erhoben, da er von ihnen umfassendere Frondienste verlangte, als sie durch die frühere Domänenordnung (lex Hadriana) festgelegt worden seien. Insofern traten sie als „Rechtsgenossen“ auf. Vgl. Mommsen, Theodor, Decret des Commodus für den saltus Burunitanus, in: Hermes, Band 15, 1880, S. 385–411, 478–480, sowie Webers frühere Erwähnung des Falls in: Weber, Römische Agrargeschichte, MWG I/2, S. 322 f., und Schulten, Adolf, Die römischen Grundherrschaften. Eine agrarhistorische Untersuchung. – Weimar: Emil Felber 1896 (hinfort: Schulten, Römische Grundherrschaften).
wie der „Hof[259]rechte“ des Mittelalters gewesen.
26
[259] Als „Hofrecht“ verstand man im Hoch- und Spätmittelalter das im Bereich des grundherrlichen Hofes und der von diesem abhängigen Grundherrschaft geltende Recht sowie dessen Niederschlag als materielle Rechtsquelle. Es betraf die Angehörigen der Grundherrschaft (familia, Hörige) und bestimmte das Verhältnis der Hörigen zum Grundherrn sowie das Verhältnis der Hörigen untereinander.
Bei konsequenter Entwicklung wird dann das „Weistum“ des „Hofgerichts“ unter Beteiligung der Hofhörigen die Quelle authentischer Interpretationen der Ordnung.
27
Mit der Anwendung der Genossenschaftstheorie auf die grundherrschaftliche Hofgerichtsbarkeit folgt Max Weber der Auffassung Otto von Gierkes, nach der „die Weisthümer […], welche uns gerade aus den hörigen Genossenschaften am zahlreichsten erhalten sind, weil das Bedürfniß schriftlicher Aufzeichnung und Feststellung hier am größten war, […] eine sehr weitgehende und in den eigentlich genossenschaftlichen Angelegenheiten wenig beschränkte Autonomie der Hofgemeinden“ zeigen. Vgl. Gierke, Genossenschaftsrecht I (wie oben, S. 16, Anm. 1), S. 170.
Es besteht nun eine Art von „Konstitution“, – nur daß eine solche im modernen Sinn [A 684]der Produktion immer neuer Gesetze und der Machtverteilung zwischen Bürokratie
j
[259] Textverderbnis in A; zu erwarten wäre: und Parlament
bei der zweckvollen Reglementierung gesellschaftlicher Beziehungen dient, die Weistümer dagegen der Ausdeutung der Tradition als solcher. Nicht nur diese nur stellenweise vollendete Entwicklung, sondern schon die früheren Stadien der Stereotypierung patrimonialer Beziehungen durch die Tradition bedeuten eine starke Zerbröckelung des reinen Patriarchalismus. Ein streng traditionsgebundenes spezifisches Herrschaftsgebilde: die Grundherrschaft, entsteht, welche den Herrn und den Grundholden durch feste, einseitig nicht lösliche, Bande aneinanderknüpft. Dies in der ganzen Welt verbreitete grundlegend wichtige Institut ist in seinen Schicksalen an dieser Stelle nicht weiter zu verfolgen. –
Patrimoniale Herrschaftsverhältnisse haben als Grundlage politischer Gebilde eine außerordentliche Tragweite gehabt. Ägypten erscheint, wie wir sehen werden
k
In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber an: 1) Vgl. unten S. 326 (Anm. d. Herausgeb.)
,
28
Siehe unten, S. 321–326.
der Sache nach fast wie ein einziger ungeheurer patrimonial regierter Oikos des Pharao. Die ägyptische Verwaltung hat Züge von Oikenwirtschaft immer beibehalten, und das Land wurde von den Römern im wesentlichen wie eine riesige [260]kaiserliche Domäne behandelt.
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[260] Octavian (später: Augustus) machte Ägypten 30 v. Chr. zur römischen Provinz mit Sonderstatus. Die Verwaltung wurde – unter Ausschluß des Senats – einem direkten Vertreter des Princeps, dem Praefectus Aegypti, unterstellt. Die Domänengüter der Ptolemäer gingen in das Eigentum des Princeps über, die Einkünfte flossen direkt in die kaiserliche Privatschatulle. Ägypten galt daher schon in der antiken Überlieferung als „Privatbesitz“ des Kaisers (z. B. „domui retinere“ bei Tacitus, Historiae 1, 11). Vgl. insbes. Marquardt, Joachim, Römische Staatsverwaltung, 1. Band, 2. Aufl. – Leipzig: S. Hirzel 1881, S. 441 (hinfort: Marquardt, Römische Staatsverwaltung I), sowie unten, S. 326.
Der Inkastaat
30
Der Inkastaat (ca. 1200–1532) erhielt seine innere straffe Organisation – so die These von Konrad Haebler – unter Inka Yupanqui (1438–1471). Die Untertanen des „theokratisch-absolutistische[n]“ Staates waren vom 25. bis 50. Lebensjahr voll arbeits- und kriegsdienstpflichtig. Die Bestellung der Felder erfolgte unter Aufsicht eines Beamten, wobei die Erträge zu je einem Drittel an den Herrscher und die Priesterschaft gingen und nur das letzte Drittel den Untertanen verblieb. Die Erträge wurden nebst Bekleidungsstücken und anderen Bedarfsartikeln in großen Magazinen für Kriegs- und Notzeiten gespeichert. Vgl. Haebler, Konrad, Amerika, in: Helmolt, Hans F. (Hg.), Weltgeschichte, Band 1. – Leipzig, Wien: Bibliographisches Institut 1899, S. 325 ff., Zitat: S. 335.
und namentlich der Staat der Jesuiten in Paraguay
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Die Jesuiten hatten ihre Provinz „Paraquaria“, die zwischen 1610 und 1768 bestand und neben dem heutigen Paraguay auch Teile von Brasilien, Uruguay, Argentinien und Bolivien umfaßte, in Niederlassungen (Reduktionen) aufgeteilt. Den Kern des Jesuitenstaates bildeten 30 Reduktionen, denen jeweils ein Priester und ein Vikar vorstanden. Auf ihnen arbeiteten die christianisierten Indios, die einem strengen Arbeits- und Tagesrhythmus unterworfen waren und ihren Arbeitsertrag in Magazinen abzuliefern hatten, aus denen sie Nahrung und Kleidung erhielten.
waren vollends ausgeprägt fronhofartige Gebilde. Aber regelmäßig bilden die direkt in Form einer Grundherrschaft verwalteten Besitzungen des Fürsten nur einen Teil seines politischen Machtbereichs, der außerdem noch andre, nicht direkt als Domäne des Fürsten betrachtete, sondern nur politisch von ihm beherrschte Gebiete umfaßt. Aber auch die reale politische Macht der Sultane des Orients, der mittelalterlichen Fürsten und der Herrscher des fernen Ostens gruppierte sich dennoch um diese großen, patrimonial bewirtschafteten Domänen als Kern. In diesen letztgenannten Fällen ist das politische Gebilde als Ganzes der Sache nach annähernd identisch mit einer riesenhaften Grundherrschaft des Fürsten.
Von der Verwaltung dieser Domänen geben vor allem die Reglements der Karolingerzeit,
32
Die bekannteste Ordnung dieser Art ist das „Capitulare de villis“ (von Weber erwähnt in: Agrarverhältnisse3, S. 176), das – nach heutigem Forschungsstand – Karl der Große zwischen 790 und 800 erlassen haben soll. Die Datierung war zur Zeit Max Webers hingegen sehr umstritten. Inhaltlich behandelte das Capitulare neben der Beschreibung der materiellen Domänenausstattung die Versorgungspflichten des fiscus [261]gegenüber dem reisenden Königshof, den Schutz der Hörigen, die Aufsichtspflichten der Verwalter sowie die Organisation der landwirtschaftlichen und gewerblichen Arbeit. Benjamin-Edme-Charles Guérard (1797–1854), der als Hauptexeget des Capitulare galt, bezeichnete es daher als eine Haus- und Geschäftsordnung für die Verwaltung der kaiserlichen Domänen. In den überlieferten Vorlesungsmanuskripten Max Webers (GStA PK, VI. HA, NI. Max Weber, Nr. 31, Band 2, BI. 269–270) findet sich ein Exzerpt zu Guérards Kommentar und Übersetzung des „Capitulare de villis“. Vgl. Guérard, Benjamin-Edme-Charles, Explication du Capitulaire de Villis, in: Mémoires de l’institut impérial de France, Académie des inscriptions et belles-lettres, Tome 21, I, 1857, S. 165–309.
nächst ihnen die erhaltenen Ordnungen [261]der kaiserlichen Domänen Roms
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Vgl. die bereits erwähnten Domänenordnungen, die lex Hadriana und das Dekret des Commodus (oben, S. 258 mit Anm. 25); weitere inschriftlich überlieferte Konstitutionen der Kaiserzeit nannte Schulten, Römische Grundherrschaften (wie oben, S. 258, Anm. 25), insbes. S. 110 f., 119, oder Weber, Römische Agrargeschichte, MWG I/2, S. 343 (eine Konstitution Konstantins II. aus dem Jahre 357).
ein anschauliches Bild. In riesenhaftem Maßstabe enthielten die vorderasiatischen und hellenistischen Herrschaftsgebilde Gebietsteile, deren Bevölkerung als Grundholden oder persönliche Hörige des Monarchen galten und nach Art von Domänen von seinem Haushalt aus verwaltet wurden.
Wo nun der Fürst seine politische Macht, also seine nicht domaniale
l
[261]A: dominiale
,
34
„Domanial“ bezieht sich hier auf die Herrschaftsbefugnisse, die aus dem Besitz einer Domäne resultieren. Als „dominium“ oder „Domäne“ wurde anfangs „jedes herrschaftliche Grundeigentum im Gegensatz zu dem Besitze der Hintersassen“ bezeichnet, also auch „das private, nicht nur das in den Händen von Staat und Landesherrn befindliche“, Vgl. Praetorius, Domänen in wirtschaftlicher Hinsicht, in: HdStW3, Band 3, 1909, S. 520–529, Zitat: S. 521.
physischen Zwang gegen die Beherrschten anwendende Herrschaft über extrapatrimoniale Gebiete und Menschen: die politischen Untertanen, prinzipiell ebenso organisiert wie die Ausübung seiner Hausgewalt, da sprechen wir von einem patrimonialstaatlichen Gebilde. Die Mehrzahl aller großen Kontinentalreiche haben bis an die Schwelle der Neuzeit und auch noch in der Neuzeit ziemlich stark patrimonialen Charakter an sich getragen.
Auf rein persönliche, vornehmlich private Haushaltsbedürfnisse des Herrn ist die patrimoniale Verwaltung ursprünglich zugeschnitten. Die Gewinnung einer „politischen“ Herrschaft, das heißt der Herrschaft eines Hausherrn über andere, nicht der Hausgewalt unterworfene Hausherrn bedeutet dann die Angliederung von, soziologisch betrachtet, nur dem Grade und Inhalt, nicht der Struktur nach verschiedenen Herrschaftsbeziehungen an die Hausgewalt. Welches der Inhalt der politischen Gewalt ist, entscheidet sich nach sehr ver[262]schiedenen Bedingungen. Die beiden für unsere Vorstellung spezifisch politischen Gewalten: Militärhoheit und Gerichtsgewalt, übt der Herr in voller Schrankenlosigkeit
m
[262]A: Schrankenlosigkeit,
über die ihm patrimonial Unterworfenen als Bestandteil der Hausgewalt. Die „Gerichtsgewalt“ des Häuptlings den nicht Hausunterworfenen gegenüber ist dagegen in allen Epochen bäuerlicher Dorfwirtschaft eine wesentlich nur schiedsrichterliche Stellung: in dem Fehlen der selbstherrlichen, Zwangsmittel anwendenden Autorität liegt auf diesem Gebiet die kenntlichste Scheidung der „bloß“ politischen Herrschaft von der Hausherrschaft. Aber mit steigender Machtstellung strebt der Gerichtsherr durch Usur[A 685]pation von „Bann“-Gewalten nach immer ausgeprägterer Herrenstellung bis zu, praktisch angesehen, oft völliger Gleichheit mit der prinzipiell schrankenlosen Hausgerichtsgewalt. Eine besondre politische „Militärhoheit“ über nicht Haushörige oder – bei Sippenfehden – Versippte kennt die Frühzeit nur in Form der Gelegenheitsvergesellschaftung zum Raubzug oder zur Abwehr eines solchen und dann normalerweise in Unterordnung unter einen ad hoc gewählten oder erstandenen Führer, dessen Herrschaftsgewalt wir in ihrer Struktur noch erörtern werden.
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[262] Siehe den Text „Charismatismus“, unten, S. 470–472, und den Text „Umbildung des Charisma“, unten, S. 483 f.; es könnte sich hier auch um einen Pauschalhinweis auf die Ausführungen zur charismatischen Herrschaft handeln.
Die perennierende Militärhoheit eines politischen Patrimonialherrn wird dann gleichfalls nur eine dem Grade nach von der patrimonialen Heerfolgepflicht verschiedene Aufgebotsgewalt gegenüber den politisch Beherrschten. Das patrimonial verwaltete politische Gebilde selbst aber kennt als vornehmlichste Pflicht der Beherrschten gegenüber dem politischen Herrn, ganz ebenso wie eine patrimoniale Herrschaft und von ihr nur dem Grade nach verschieden, vor allem dessen rein materielle Versorgung. Zunächst dem intermittierenden
n
A: interessierenden
politischen „Gelegenheitshandeln“ entsprechend, in der Form von Ehrengeschenken und Aushilfe in besonderen Fällen. Mit zunehmender Kontinuierlichkeit und Rationalisierung der politischen Herrengewalt aber in immer umfassenderem, den patrimonialen Verpflichtungen immer gleichartigerem Umfang, so daß im Mittelalter Herkunft von Pflichtigkeiten aus politischer oder aus patrimonialer Gewalt oft sehr schwer zu unterscheiden sind. In klassischer Form [263]vollzieht sich diese Versorgung des Herren in allen auf Naturalwirtschaft angewiesenen Flächenstaaten der Antike, Asiens und des Mittelalters so, daß die Tafel, Kleidungs-, Rüstungs- und sonstigen Bedürfnisse des Herrn und seines Hofhalts als Naturallieferungen auf die einzelnen Abteilungen des Herrschaftsgebiets umgelegt sind und der Hof da, wo er jeweils sich aufhält, von den Untertanen zu unterhalten ist. Die auf Naturalleistung und Naturalabgabe rechnende Gemeinwirtschaft ist die primäre Form der Bedarfsdeckung patrimonialistischer, politischer Gebilde. Der uns überlieferte Unterschied der persischen Hofhaltung, welche für die Stadt, in welcher der König sich aufhielt, schwere Lasten bedeutete,
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[263] Unter der altpersischen Dynastie der Achämeniden (559–330 v. Chr.) hatten die Städte – neben den regulären Tributleistungen – den König und seinen Hof bei Reisen und Kriegsfahrten zu verpflegen. Dies berichtet Eduard Meyer, Geschichte des Alterthums III1, S. 87, gestützt auf detaillierte Angaben bei Theopomp (fr. 124 f., wiedergegeben bei Athenaios, Das Gelehrtenmahl 4, 145a). Vgl. dazu auch Weber, Agrarverhältnisse3, S. 126.
von der geldwirtschaftlichen hellenistischen, welche für sie eine Verdienstquelle war,
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Die hier angesprochene Zäsur in der Wirtschaftspolitik läßt sich auf die Zeit Alexanders d.Gr. datieren. Offensichtlich folgt Max Weber der Bewertung von Johann Gustav Droysen, bei dem es fast gleichlautend heißt: „Aus einigen Andeutungen ist zu schließen, daß Alexander das System der Naturallieferungen aufhob; in demselben Maaße, wie früher des Großkönigs Anwesenheit eine Stadt oder Landschaft aussog, sollte sie fortan durch den Aufenthalt des königlichen Hoflagers gewinnen.“ (Vgl. Droysen, Johann Gustav, Geschichte des Hellenismus, 1. Teil, 2. Halbband, 2. Aufl. – Gotha: Friedrich Andreas Perthes 1877, S. 295). Droysen stützte sich in seiner Aussage auf eine Stelle in der pseudoaristotelischen „Oikonomika“ (Oekon. II, 38, p. 1353a, 24–28), die er allerdings verkürzte und damit fälschlich auslegte. Dort heißt es lediglich, daß die Satrapen (nicht: die Städte) überschüssige Naturalien, die der König nicht in Anspruch genommen hatte, verkaufen und den Erlös behalten durften.
illustriert die ökonomische Wirkung. Mit Entwicklung des Handels und der Geldwirtschaft kann aus jener oiken-mäßigen Bedarfsdeckung des patrimonialen Herrschers ein erwerbswirtschaftlicher Monopolismus herauswachsen, wie im größten Maßstab in Ägypten, wo schon der Pharao der naturalwirtschaftlichen Frühzeit Eigenhandel trieb,
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Im Alten Reich (ca. 2707/2657–2170/2120 v. Chr.) trieben die Pharaonen Handel mit Syrien, Libanon und dem Land Punt an der Somaliküste, um Hölzer, Gold und Weihrauch zu erhalten. Der Fernhandel scheint ihr Privileg gewesen zu sein. Vgl. Meyer, Geschichte des Altertums I,22 (wie oben, S. 37, Anm. 48), S. 155, 195 f., mit An- und Unterstreichungen im Handexemplar Max Webers zu S. 155 (Arbeitsstelle der Max Weber-Gesamtausgabe, BAdW München).
die Ptolemäerzeit und erst recht die Römerherrschaft aber ein System der verschiedensten Monopole neben zahllo[264]sen Geldsteuern einführte,
39
[264] Die Ptolemäer hatten neben dem sonst üblichen Münz- und Bergwerksmonopol auch – um nur einige zu nennen – Monopole für die Salz- und Natrongewinnung sowie für die Produktion von Öl, Papyrus und Textilien. Ulrich Wilcken listet für die Ptolemäer- und Römerzeit mehr als 200 verschiedene Abgabearten auf, wovon die meisten Geldsteuern waren. Erst unter den Römern wurde die Kopfsteuer und wohl auch eine Badsteuer eingeführt. Vgl. Wilcken, Ostraka (wie oben, S. 173, Anm. 31), bes. S. 595; dass. ist bei Weber, Agrarverhältnisse3, S. 126, als maßgebliche Literatur zur geldwirtschaftlichen Entwicklung angegeben.
die an Stelle der alten leiturgischen Bedarfsdeckung der Epochen vorwiegender Naturalwirtschaft getreten waren. Denn mit Rationalisierung seiner Finanzen gleitet der Patrimonialismus unvermerkt in die Bahnen einer rationalen bürokratischen Verwaltung mit geregeltem Geldabgabesystem hinüber. Während das alte Kennzeichen der „Freiheit“ das Fehlen der nur aus patrimonialen Beziehungen ableitbaren regelmäßigen Abgabenpflicht und der Freiwilligkeitscharakter der Leistungen für den Herrscher ist, müssen mit voller Entfaltung der Herrengewalt auch „freie“, d. h. nicht der Patrimonialgewalt des Herren unterworfene Untertanen dazu durch leiturgische oder steuermäßige Leistungen beitragen, die Kosten seiner Fehden und Repräsentation zu bestreiten. Der Unterschied beider Kategorien drückt sich dann regelmäßig nur in der engeren und festeren Begrenzung jener Leistungen und in gewissen Rechtsgarantien für die „freien“, d. h. nur politischen, Untertanen aus.
Welche Leistungen der Fürst von den extrapatrimonial, also politisch Beherrschten in Anspruch nehmen kann, hängt von seiner Macht über sie, also vom Prestige seiner Stellung und von der Leistungsfähigkeit seines Apparats ab, ist aber stets weitgehend traditionsgebunden. Ungewöhnliche und neue Leistungen zu fordern kann er nur unter günstigen Umständen wagen. Namentlich dann, wenn ihm eine Militärtruppe, über die er unabhängig von dem guten Willen der Untertanen verfügen kann, zur Seite steht.
[A 686]Diese nun kann bestehen: 1. aus patrimonial beherrschten Sklaven, Deputatisten oder Kolonen. Tatsächlich haben schon die Pharaonen und mesopotamischen Könige, ebenso aber private große Patrimonialherren der Antike (z. B. die römische Nobilität) und des Mittelalters (die seniores)
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Die fränkischen „seniores“ waren Grundherren, die mit ihrem Dienstgefolge je nach Mannschaftsgröße einen gesonderten Heereskörper bildeten. Sie waren für die Aushebung, Ausrüstung, Verpflegung ihrer Leute zuständig und hafteten für deren Verhalten [265]bei den Kriegszügen und deren mögliches Fernbleiben. Vgl. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte II (wie oben, S. 34, Anm. 28), S. 209–214.
ihre Kolonen, im Orient auch Leibeige[265]ne mit eingebrannten Eigentumsmarken, als persönliche Truppe verwendet. Zu einer ständig zur Verfügung stehenden Militärmacht eigneten sich indessen wenigstens die auf Land ansässigen bäuerlichen Kolonen schon deshalb wenig, weil sie ökonomisch sich selbst und den Herren zu sustentieren hatten, also normalerweise nicht abkömmlich waren[,] und weil ein Übermaß, d. h. eine die Tradition überschreitende Inanspruchnahme[,] ihre lediglich traditionsgebundene Treue ins Wanken bringen konnte. Daher hat der Patrimonialfürst seine Macht über politische Untertanen regelmäßig auf eine speziell dazu gebildete, in ihren Interessen mit ihm völlig solidarische Truppe zu stützen gesucht.
Dies konnte 2. eine vom Landbau gänzlich losgelöste Sklaventruppe sein. Und in der Tat hatte, nach der im Jahre 833 endgültig vollzogenen Auflösung des arabisch-theokratischen, nach Stämmen gegliederten Heerbanns,
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Im Jahr 833 begann der Abbasiden-Kalif al-Muʿtaṣim (833–842), ein hauptsächlich aus türkischen Sklaven bestehendes Söldnerheer zu bilden. (Vgl. Zetterstéen, Karl Vilhelm, ʿAbbāsiden, in: Enzyklopädie des Islam, Band 1, 1913, S. 14–16, hier: S. 15). Damit wurde die Heeresverfassung, wie sie in der Frühphase des Islam bis zur Herrschaft der Abbasiden bestanden hatte, endgültig abgelöst. Julius Wellhausen beschrieb die in dieser Phase enge Verknüpfung von „national“-arabischen und islamisch-theokratischen Elementen. Das volle Bürgerrecht erhielten nur muslimische Araber, die dem Heer angehörten. Das Heer selbst war nach den arabischen Stämmen gegliedert, ihre Häuptlinge die Befehlshaber. In den Eroberungsgebieten wurde – so Wellhausen – die Theokratie nach militärischen Prinzipien („als Heer“) organisiert. Vgl. Wellhausen, Julius, Das Arabische Reich und sein Sturz. – Berlin: Georg Reimer 1902, S. 16 f., 45.
dessen beutegieriger Glaubenseifer Träger der großen Eroberungen
o
[265]A: Forderungen
gewesen war, das Khalifenreich und die meisten seiner orientalischen Zerfallsprodukte
p
A: Zufallsprodukte
sich jahrhundertelang auf Kaufsklavenarmeen gestützt.
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Der Zerfall des Kalifenreichs vollzog sich von der Mitte des 9. bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts. Neben den abbasidischen Kalifen bedienten sich beispielsweise die Samanidenstaaten im westlichen Persien (874–999/1003) sowie die Bujiden in Mesopotamien und Persien (945–1055) türkischer Soldaten. In Ägypten stützten sich die Fatimiden (909–1171) außerdem auf Berber- und Beduinentruppen.
Die Abbasiden machten sich durch den Ankauf und die militärische Ausbildung türkischer Sklaven, welche, stammfremd, mit ihrer ganzen Existenz an die Herrschaft des Herrn geknüpft schienen, vom nationalen Heerbann und seiner im Frieden lockeren Disziplin unabhängig, und schufen sich [266]eine disziplinierte Truppe. Wie alt die aus gekauften Negern bestehenden Sklaventruppen der großen Familien im Hedschas, vor allem der verschiedenen einander die Stadt Mekka streitig machenden Geschlechter waren, ist nicht sicher.
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[266] „Hedschas“ (arab.: al-Ḫiğāz) ist eine Landschaft am Roten Meer, die durch die heiligen Städte Mekka und Medina bedeutsam wurde. Bereits in vormuslimischer Zeit kauften die reichen Bewohner Mekkas Sklaven und Söldner aus Afrika. Als Leibgarden spielten sie zwischen 960 und 1200 eine wichtige Rolle im Kampf der Geschlechter um die Leitung der Stadt. Vgl. Lammens, Henri und Wensinck, Arent Jan, Mekka, in: Enzyklopädie des Islam, Band 3, 1936, S. 514–525, hier: S. 517.
Dagegen scheint sicher, daß diese Negersoldaten, im Gegensatz zu den Soldtruppen sowohl wie zu den ebenfalls als Soldaten vorkommenden Freigelassenen hier, in Mekka, tatsächlich ihren Zweck: eine ganz persönlich an den Herrn und seine Familie gekettete Truppe zu sein, erfüllt haben, während jene anderen Kategorien gelegentlich die Rolle von Prätorianern gespielt, den Herrn gewechselt und zwischen mehreren Prätendenten optiert haben.
44
Vermutlich bezieht sich Max Weber hier – wie auch in Weber, Die Stadt, MWG I/22-5, S. 95 – auf Snouck Hurgronje, Christiaan, Mekka, Band 1: Die Stadt und ihre Herren. – Den Haag: Martinus Nijhoff 1888, S. 95 (hinfort: Snouck Hurgronje, Mekka). Dort erwähnt er die sog. „Scherifensklaven“, leibeigene schwarze Soldaten des Scherif und seines mächtigsten Verwandten. Denselben Namen trugen die Freigelassenen, die mit einem Kommando oder Amt betraut, eigene Sklaventruppen hatten und – je nach Lage und gebotenem Lohn – die Partei wechselten.
Die Zahl der Negertruppen hing bei den konkurrierenden Familien von der Größe der Einkünfte, diese direkt von dem Umfang des Grundbesitzes und indirekt von der Teilnahme an der Ausbeutung der wallfahrenden Pilger ab, eine Geldquelle,
q
[266]A: Goldquelle,
welche die in Mekka residierenden Geschlechter monopolisierten und unter sich repartierten.
45
Überfälle auf die wallfahrenden Pilger nach Mekka gab es bereits im 8. Jahrhundert unter den Aliden. Die Scherife (seit 960) bestritten einen Teil ihrer Einnahmen durch Plünderungen fremder Pilger sowie durch Erhebung einer Kopfsteuer von Pilgern, die in Mekka keinen Schutzherren hatten. Vgl. Snouck Hurgronje, ebd., S. 66, 69 f.
Ganz anders verlief dagegen die Verwendung der abbasidischen
r
A: abessinischen
46
Die Emendation folgt den Ausführungen Max Webers über die türkischen Soldatensklaven unter den Abbasiden, oben, S. 265, Zeile 18.
Türkensklaven und der ägyptischen Kaufsklaventruppe: der Mameluken. Ihren Offizieren gelang es, die Herrschaft über die nominellen Herrscher an sich zu reißen;
s
A: reißen,
obwohl die Truppen, speziell in Ägypten, offiziell Sklaventruppen blieben und neben [267]der Erblichkeit durch Ankauf ergänzt wurden,
47
[267] Die Mameluken eigneten sich in Ägypten unter der Herrschaft der Aijubiden (1171–1250) die Macht an. Ergänzt wurden sie durch den Einkauf türkischer oder tscherkessischer Sklaven, die militärisch ausgebildet wurden. Vgl. Becker, Carl Heinrich, Egypten, in: Enzyklopädie des Islam, Band 2, 1927, S. 4–24, bes. S. 9 f., und Kramers, Johannes Hendrik, Mamlūken, ebd., Band 3, 1936, S. 235–241.
waren sie der Sache und schließlich auch dem Recht nach Pfründner, denen zuletzt das ganze Land zunächst als Pfandinhaber für ihren Sold, dann als Grundherrn zugewiesen war und deren Emire die gesamte Verwaltung beherrschten, bis das Blutbad Muhammed Ali’s sie vernichtete.
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Muḥammed ͑Alī Pasha, der Gouverneur in Ägypten, ließ bei einem Fest am 1. März 1811 in der Zitadelle von Kairo ca. 300 Mameluken töten. Damit begann die Verfolgung und Niederschlagung der Mameluken in ganz Ägypten. Vgl. Kramers, Johannes Hendrik, Muḥammed ͑Alī Pasha, in: Enzyklopädie des Islam, Band 3, 1936, S. 734–738, hier: S. 735.
Die Kaufsklavenarmee setzte bedeutende Barkapitalien des Fürsten zum Ankauf voraus; außerdem war ihr guter Wille von Soldzahlung abhängig, also von Geldeinnahmen des Fürsten. Die Entwicklung, welche die seldschukkischen und mamelukischen Truppen nahmen, die Anweisung auf die Steuererträgnisse von Land und Untertanen, schließlich deren Überweisung als Dienstland an die Truppen und also die Verwandlung dieser in Grundherren,
49
Max Weber beschreibt hier die von Carl Heinrich Becker dargestellte Entwicklung des Militärlehens, das von dem Seldschuken-Wesir Niẓām al-Mulk 1087 zu einem festen System ausgebaut und in ähnlicher Form in Ägypten unter dem Aijubiden Saladin (1137–1193) eingeführt worden und den Mameluken zugute gekommen sei. Vgl. unten, S. 393, Anm. 46.
war dagegen geeignet, die Feudalisierung der Wirtschaft zu befördern. Die außerordentliche Rechtsunsicherheit der steuerzahlenden Bevölkerung gegenüber der Willkür der Truppen, denen ihre Steuerkraft verpfändet war, konnte den Verkehr und damit die Geldwirtschaft unterbinden, und tatsächlich ist der Rückgang oder Stillstand der Verkehrswirtschaft im Orient seit der Seldschukkenzeit in sehr starkem Maß durch diese Umstände bedingt gewesen.
[A 687]3. Die osmanischen Herrscher, bis ins 14. Jahrhundert wesentlich nur durch den anatolischen Heerbann gestützt, gingen, da dessen Disziplin und ebenso diejenige ihrer turkmenischen Söldner
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Die ersten osmanischen Herrscher, Osman I. (ca. 1281–1326) und Orhan (1326–1360), stützten sich noch auf die Heerordnung, die in den anatolischen Fürstentümern auf den Stämmen beruht hatte, und auf turkmenische Krieger. Diese waren vor allem zu Eroberungen und zum Schutz der Grenzgebiete eingesetzt worden und bildeten den Kern der irregulären, schwer kontrollierbaren Reitertruppe (akıncı). Vgl. Matuz, Josef, [268]Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte, 2. Aufl. – Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1990, S. 27–44 (hinfort: Matuz, Osmanisches Reich), und Kramers, Johannes Hendrik, Türken, in: Enzyklopädie des Islam, Band 4, 1934, S. 1033–1048, bes. S. 1034–1038.
für die [268]großen europäischen Eroberungen nicht ausreichten, im 14. Jahrhundert (erstmalig 1330) zu der berühmten Form der Knabenaushebung (Dewshirme) aus unterworfenen stammes- und glaubensfremden Völkern (Bulgaren, Bosnier,
t
[268]A: Beduinen,
Albanesen, Griechen) für das neugebildete Berufsheer der „Janitscharen“ (jeni cheri
u
A: chai
= neue Truppe) über.
51
Die Janitscharen (türk.; TI.: yeni çeri) bildeten die Kerntruppe der osmanischen Infanterie. Eingeführt wurden sie vermutlich unter Orhan (1326–1360). Es ist aber umstritten, ob die Rekrutierung bereits seit 1330 in Form der Knabenlese erfolgte. Sie bezog sich vor allem auf die christliche Bevölkerung in Griechenland, Makedonien, Albanien, Serbien, Bulgarien und Bosnien-Herzegowina. Die im überlieferten Text in diesem Zusammenhang genannten „Beduinen“ (vgl. textkritische Anm. t) wurden daher emendiert. Vgl. Mordtmann, Johann Heinrich, Dewshirme, in: Enzyklopädie des Islam, Band 1, 1913, S. 992 f. (hinfort: Mordtmann, Dewshirme).
Im Alter von 10–15 Jahren alle 5 Jahre, zuerst in Zahl von 1000, dann in steigendem Umfang (Sollstärke zuletzt 135 000 Mann)
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Die von Max Weber genannte Zahl konnte in der zeitgenössischen Literatur nicht belegt werden.
ausgehoben, wurden die Knaben etwa 5 Jahre gedrillt und im Glauben unterrichtet (aber ohne direkten Glaubenszwang), dann in die Truppen eingereiht. Der ursprünglichen Regel nach sollten sie ehelos und asketisch unter dem Patronat des Bektaschiordens, dessen Gründer der Schutzheilige war,
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Die Janitscharen unterstanden der Obhut des Derwischordens der Bektaschi. Laut späterer Geschichtskonstruktion soll der halblegendäre Mystiker Hadschi Bektasch Weli (arab.; TI.: Ḥādjdji Bektāsh Welī; überliefertes Todesjahr: 1337) die Janitscharen unter Orhan eingesegnet haben. Die asketischen und zölibatären Forderungen deuten jedoch auf christliche Einflüsse hin. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts löste sich die strenge Form des Zusammenlebens der Janitscharen zunehmend auf. Vgl. Tschudi, Rudolf, Bektāsh, in: Enzyklopädie des Islam, Band 1, 1913, S. 720 f.
in Baracken und von der Teilnahme am Handel ausgeschlossen leben, waren nur der Gerichtsbarkeit der eigenen Offiziere unterstellt und auch sonst hochprivilegiert, hatten Offiziersavancement nach der Anciennität, Alterspension, wurden bei eigener Waffengestellung durch Tagesgelder im Feldzug entlohnt, waren dagegen im Frieden auf bestimmte, gemeinsam verwaltete Einkünfte angewiesen. Die hohen Privilegien machten die Stellen begehrenswert, auch Türken suchten ihre Kinder anzubringen. Die Janitscharen andererseits versuchten sie für ihre eigenen Familien zu monopolisieren. Die Folge war, daß der Eintritt zu[269]nächst auf Verwandte, dann auf Kinder der Janitscharen beschränkt wurde und die Dewshirme seit Ende des 17. Jahrhunderts praktisch wegfiel (letzte – nicht durchgeführte – Anordnung 1703).
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[269] 1703 ordnete Sultan Ahmed III. (1703–1730) noch eine Aushebung von 1000 Christenkindern an, die vermutlich aber nicht mehr durchgeführt wurde. Vgl. Mordtmann, Dewshirme (wie oben, S. 268, Anm. 51), S. 993.
Die Janitscharentruppe war der wichtigste Träger der großen europäischen Expansion von der Eroberung Kontantinopels bis zur Belagerung Wiens,
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Gemeint ist hier die Zeitspanne von der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen im Jahr 1453 bis zur erfolglosen Belagerung Wiens im Jahr 1683.
aber ein Korps von derart rücksichtsloser Gewalttätigkeit und den Sultanen selbst so oft gefährlich, daß 1825 auf Grund eines Fetwa des Scheich-ul-Islam, wonach die Gläubigen den Kriegsdienst lernen sollten, eine auf Aushebung unter den Moslems beruhende Truppe errichtet und die revoltierenden Janitscharen in einem gewaltigen Blutbad vernichtet wurden.
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Mit dem 1826 (nicht 1825) gefaßten Fetwa bekräftigten der Ulema und der Scheich ül-lslam Kadızâde Mehmet Tâhir Efendi die Entscheidung des Sultans Mahmud II. (1808–1839), die Truppen umzustrukturieren. Daraufhin kam es in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni 1826 zu einer Revolte der Janitscharen in den Kasernen von Konstantinopel. Mit Hilfe der bewaffneten muslimischen Bevölkerung wurde der Aufstand von Sultan Mahmud II. blutig niedergeschlagen. Es wurden mehrere tausend Janitscharen getötet oder des Landes verwiesen. Vgl. Schurtz, Heinrich, Die Janitscharen, in: PrJbb, Band 112, 1903, S. 450–479, bes. S. 477 ff., und Menzel, Theodor, Das Korps der Janitscharen, in: Beiträge zur Kenntnis des Orients, Band 1 (Jahrbuch der Münchner Orientalischen Gesellschaft 1902/03). – Berlin: Hermann Paetel o. J., S. 47–94, bes. S. 88 ff.
4. Die Verwendung von Söldnern. Diese war zwar an sich nicht notwendig an Geldformen des Soldes gebunden. In der Frühzeit der Antike finden sich Söldner auch bei stark vorwiegender naturalwirtschaftlicher Entlohnung. Aber das Lockende war doch immer der Teil des Soldes, der in Edelmetall geleistet wurde. Der Fürst mußte also, ebenso wie bei den Kaufsklavenarmeen für deren Ankauf über einen Schatz, so für die Söldner über laufende Betriebsmittel in Form von Geldeinnahmen verfügen, entweder indem er Eigenhandel oder Eigenproduktion für den Absatz trieb, oder indem er von den Untertanen, auf die Söldner gestützt, Geldabgaben erhob, um diese damit zu entlohnen. In beiden Fällen, namentlich aber im letzteren, mußte also Geldwirtschaft bestehen. Wir finden denn auch in den Staaten des Orients, und mit Beginn der Neuzeit auch im Okzident, die charakteristische Erscheinung: daß mit steigender Geldwirtschaft sich die Chancen der Militärmonarchien eines auf Söldner [270]gestützten Despoten wesentlich steigern. Im Orient blieb sie seitdem geradezu die nationale Herrschaftsform, im Okzident haben die Signoren der italienischen Städte
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[270] Ernst Salzer wies Soldtruppen im Dienst der Signoren „Ezzelino von Romano, Hubert Palavicino, Wilhelm von Montferrat“ bereits für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts nach. Die Signorie bezeichnet die Aneignung absoluter fürstlicher Gewalt durch den Podestà, den capitano del popoli oder einen anderen Träger begrenzter Amtsgewalt. Insofern ist sie von Salzer als „illegitim“ bezeichnet worden. Vgl. Salzer, Ernst, Über die Anfänge der Signorie in Oberitalien. Ein Beitrag zur italienischen Verfassungsgeschichte. – Berlin: E. Ebering 1900, bes. S. 144 f., 238, 266 (hinfort: Salzer, Signorie), sowie Weber, Die Stadt, MWG I/22-5, S. 226 f.
ebenso wie seinerzeit die antiken Tyrannen und weitgehend auch „legitime“ Monarchen ihre Machtstellung auf Soldtruppen gestützt. Die Soldtruppen waren naturgemäß dann am engsten durch Interessensolidarität mit der Herrschaft des Fürsten verknüpft, wenn sie den Untertanen gänzlich stammfremd gegenüberstanden, mit ihnen also gegenseitigen Anschluß weder suchen noch finden konnten. Tatsächlich haben die Patrimonialfürsten denn auch ganz regelmäßig, von den Krethi und Plethi (Kretern und Philistern) Davids
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Laut biblischer Überlieferung (2. Samuel 8, 18; 15, 18; 20, 7 und 20, 23) bezeichnete „Krethi und Plethi“ die Leibwache von König David, die sich aus fremden Söldnern zusammensetzte, so daß vermutet wurde, daß es sich um Kreter und Philister gehandelt haben könnte. Neuere Funde zur Zeit Max Webers auf Kreta schienen sogar zu bestätigen, daß Kreta die ursprüngliche Heimat der Philister gewesen sei. Vgl. Greßmann, Hugo, Nachbarvölker Israels, in: RGG1, Band 4, 1913, Sp. 640.
bis zu den Schweizern der Bourbonen[,] mit Vorliebe Landfremde für ihre Leibwache geworben.
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Seit 1616 unterhielt der französische König zu seinem persönlichen Schutz ein „Regiment der Schweizer Garde“, das eine von insgesamt fünf Kompanien der königlichen Leibgarde der Bourbonen bildete. Berühmt wurde das Regiment wegen seines Untergangs am 10. August 1792, als es in aussichtsloser Lage Ludwig XVI. zu verteidigen suchte.
Fast aller radikale „Despotismus“ ruhte auf solcher Basis.
Oder 5. der Patrimonialfürst stützt sich auf Leute, welche ganz wie die Grundholden mit Landlosen beliehen waren, aber statt wirtschaftlicher nur [A 688]militärische Dienste zu leisten hatten und im übrigen Privilegien ökonomischer oder anderer Art genossen. Die Truppen der altorientalischen Monarchen hatten zum Teil diesen Charakter, so namentlich die sog. Kriegerkaste Ägyptens,
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Der Ausdruck „Kriegerkaste“ geht auf Herodot, Historien 2, 164, zurück, der von einer festen Kasteneinteilung Ägyptens ausging. Nach Herodot, Historien 2, 168, gehörten die Krieger („machimoi“) wegen der zinsfreien und erblich gewordenen Ackerlose zu einer der bevorzugten Kasten.
die mesopotami[271]schen Lehenskrieger
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[271] Mit den mesopotamischen Lehenskriegern könnte Weber die Rid-sabê („Hauptleute“) und Ba’iru („Fischer“, „Jäger“) zur Zeit Hammurabis (1728–1688 v. Chr.) meinen. Sie erhielten Land und Vieh zur Nutzung, wofür sie als Entgelt Kriegsdienst zu leisten hatten. Vgl. Thurnwald, Babylon (wie oben, S. 184, Anm. 53), S. 660 f., sowie Weber, Agrarverhältnisse3, S. 75.
und die hellenistischen Kleruchen,
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Die Soldaten der hellenistischen Reiche erhielten von den Königen ein Stück Land („kleros“), das sie zum Wehrdienst verpflichtete und das nach Waffengattung und Rang verschieden bemessen wurde. Die meisten Militärkolonien in Kleinasien gingen wohl auf die Seleukiden (321/312–64/63 v. Chr.) zurück, die das Land an die „Makedones“ abgabenfrei vergaben. Vgl. Hermann, Karl Friedrich, Lehrbuch der Griechischen Staatsaltertümer, 3. Abt., 6. Aufl., bearb. von Heinrich Swoboda. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1913, S. 199–207; dort auch die Gleichsetzung von „kleroi“ und Lehnsland.
in der Neuzeit die Kosaken. Dies Mittel, sich auf diese Weise eine persönliche Militärmacht zu verschaffen, stand natürlich auch anderen, nicht fürstlichen Patrimonialherren offen und wurde von ihnen verwendet, wovon wir noch bei Erörterung der „plebejischen“ Spielarten des Feudalismus zu reden haben
v
[271] In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber an: 1) Vgl. unten S. 381–384 (Anm. d. Herausgeb.)
.
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Siehe den Text „Feudalismus“, unten, S. 381–388 und 396–398.
Auch solche Truppen standen mit besonderer Zuverlässigkeit dann zur Verfügung, wenn sie der Umwelt gegenüber stammfremd, also mit der Herrschaft des Fürsten in ihrer ganzen Existenz verknüpft waren. Auch die Landbeleihung ist daher oft gerade an Landfremde erfolgt. Doch gehört die Stammfremdheit keineswegs zu den unbedingten Notwendigkeiten.
Denn 6. die Interessensolidarität der dem Fürsten als Berufskrieger, als „Soldaten“ also, verpflichteten Schicht mit ihm war auch ohnedies tragfähig genug und ließ sich durch die Art der Auswahl der Truppen – wie bei den Janitscharen – oder durch privilegierte Rechtsstellung gegenüber den Untertanen erheblich steigern. Der Patrimonialfürst hat da, wo er sein Heer nicht aus Stammfremden oder Pariakasten, sondern aus Untertanen – also durch „Aushebung“ – rekrutierte, ziemlich allgemein bestimmte Maximen sozialen Charakters befolgt. Fast immer sind die besitzenden
w
A: bestehenden
Schichten, in deren Hand soziale und ökonomische Macht lag, von der Rekrutierung zum „stehenden Heer“ ausgenommen oder ist ihnen die Möglichkeit und damit der regelmäßig befolgte Anreiz gegeben worden, sich davon durch Loskauf zu befreien. Der Patrimonialfürst stützte sich insofern also in seiner Militärmacht regelmäßig auf die [272]besitzlosen oder doch die nichtprivilegierten, namentlich die ländlichen Massen. Er entwaffnete so seine möglichen Konkurrenten um die Herrschaft, während umgekehrt das Honoratiorenheer, sei es das Heer einer Stadtbürgerschaft oder eines Stammesverbandes von Vollfreien, regelmäßig die Waffenpflicht und damit die Waffenehre zum Privileg einer Herrenschicht macht. Dieser Auslese aus den negativ Privilegierten, namentlich den ökonomisch negativ privilegierten Schichten pflegte ein ökonomischer Sachverhalt in Kombination mit einer militär-technischen Entwicklung unterstützend entgegenzukommen. Nämlich einerseits die mit zunehmender Intensität und Rationalisierung des ökonomischen Erwerbes zunehmende ökonomische Unabkömmlichkeit, andererseits die mit zunehmender Bedeutung der militärischen Einschulung zunehmende Umwandlung der Kriegstätigkeit zu einem dauernden „Beruf“. Beides konnte unter bestimmten ökonomischen und sozialen Voraussetzungen zur Entwicklung eines Honoratiorenstandes geschulter Krieger führen: das Feudalheer des Mittelalters ebenso wie das Hoplitenheer der Spartaner waren solche Erscheinungen. Beide beruhten letztlich auf der ökonomischen Unabkömmlichkeit der Bauern und einer der kriegerischen Schulung einer Herrenschicht entsprechenden Art von Kriegstechnik. Aber das patrimonialfürstliche Heer beruht umgekehrt auf der Voraussetzung: daß auch die besitzenden Schichten ihrerseits ökonomisch unabkömmlich waren oder wurden, wie etwa das kaufmännische und gewerbliche Bürgertum der antiken und mittelalterlichen Städte, und daß diese Unabkömmlichkeit in Verbindung mit der Militärtechnik und dem politischen Bedürfnis des Herrn nach einem stehenden Heer die Aushebung von „Soldaten“ für den dauernden Dienst, nicht zu Gelegenheitsfeldzügen, erforderte. Daher finden wir die Entstehung des Patrimonialismus und der Militärmonarchie nicht nur als Konsequenz rein politischer Umstände: der Vergrößerung des Herrschaftsgebietes und des dadurch entstehenden Bedürfnisses nach dauerndem Grenzschutz (so im Römerreich),
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[272] Das Römerreich erreichte unter Kaiser Trajan in den Jahren 106 bis 117 durch die Errichtung der Provinzen Dakien, Arabien, Mesopotamien, Armenien und Assyrien seine größte Ausdehnung. Zur Grenzsicherung war daher ein stehendes Heer mit fremden Hilfstruppen erforderlich, das patrimoniale Züge trug. Max Weber hatte die durch die Eroberungen verursachten Veränderungen bereits 1896 beschrieben: „Das alte […] Bür[273]gerheer war schon zu Ende der Republik in ein vom Staat ausgerüstetes Heer mit proletarischer Rekrutierung verwandelt, – die Stütze der Cäsaren. Die Kaiserzeit schuf dann das nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich, stehende Berufsheer.“ (Vgl. Weber, Soziale Gründe, S. 72). Die Umwandlung des römischen Reiches in eine Militärmonarchie erfolgte dann seit der Dynastie der Severer (193–235).
sondern sehr oft auch als Folge ökonomischer Wandlun[273]gen: der zunehmenden Rationalisierung der Wirtschaft, in Verbindung also mit einer berufsmäßigen Spezialisierung und Scheidung zwischen „Militär“- und „Zivil“-Untertanen, wie sie der Spätantike und dem modernen Patrimonialstaat in gleicher Weise [A 689]eignete. Die ökonomisch und sozial privilegierten Schichten aber pflegt alsdann der Patrimonialfürst in der Form in sein Interesse zu ziehen, daß ihnen die leitenden Beamtenstellungen in dem zu disziplinierten und geschulten Dauerverbänden („Truppenkörpern“) zusammengeschlossenen und gegliederten stehenden Heer zur ausschließlichen Besetzung offengehalten werden, die nun ebenfalls einen spezifischen „Beruf“ mit sozialen und ökonomischen Chancen nach Art der bürokratischen Beamten darbieten. Statt Honoratiorenkrieger zu sein, werden sie nun in eine berufsmäßige „Offiziers“-Laufbahn eingegliedert und mit ständischen Privilegien ausgestattet.
Ein entscheidender Bestimmungsgrund endlich für den Grad, in welchem das fürstliche Heer „patrimonialen“ Charakter hat, das heißt: rein persönliches Heer des Fürsten ist und ihm also auch gegen die eigenen politisch beherrschten Stammesgenossen zur Verfügung steht, ist vor allem ein rein ökonomischer Sachverhalt: die Equipierung und Verpflegung des Heeres aus Vorräten und Einkünften des Fürsten. Je vollständiger dieser Tatbestand vorliegt, desto unbedingter befindet sich das in diesem Fall ohne den Fürsten zu jeder Aktion unfähige, in seiner ganzen militärischen Existenz auf ihn und seinen nicht militärischen Beamtenapparat angewiesene Heer in seiner Hand, wobei natürlich mannigfache Übergänge zwischen einem solchen reinen Patrimonialheer und den auf Selbstequipierung und Selbstverpflegung beruhenden Heeresformen existiert haben. Die Beleihung mit Land bildet z. B., wie wir sehen werden,
65
Siehe den Text „Feudalismus“, unten, S. 381–397.
eine Form der Abwälzung der Ausrüstungs- und Unterhaltslasten vom Herrn auf den Soldaten selbst, damit aber auch, unter Umständen[,] eine empfindliche Abschwächung seiner Verfügungsgewalt. –
[274]Nun aber beruht fast nirgends die politische Herrengewalt des Patrimonialfürsten ausschließlich auf der Furcht vor seiner patrimonialen Militärmacht. Gerade wo dies am meisten der Fall war, bedeutete es im Effekt, daß er dann auch seinerseits von diesem Heer so stark abhängig wurde, daß die Soldaten, – beim Tode des Herrn, bei unglücklichen Kriegen und in ähnlichen Fällen, – sich einfach verliefen oder auch direkt streikten, Dynastien ein- und absetzten, durch Donative und Versprechungen hohen Lohnes für den Fürsten stets neu gewonnen werden mußten und auch ihm abspenstig gemacht werden konnten, wie dies im Römerreich die Folge des severischen Militarismus
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[274] Bei dem Heidelberger Althistoriker Alfred von Domaszewski heißt es über die Donative (vgl. den Glossar-Eintrag, unten, S. 786 f.): „Das Regiment des Septimius Severus bezeichnet den Sieg des orientalischen Geistes, dem der Wertmesser auch militärischer Tüchtigkeit im Gelde liegt und so hat denn Septimius Severus gleich Antonius, der zuerst die römische Welt orientalisieren wollte, den Sold der Soldaten in Denaren auszahlen lassen, die mit dem Wappen der Legionen geprägt waren.“ Vgl. Domaszewski, Alfred von, Der Truppensold der Kaiserzeit, in: Neue Heidelberger Jahrbücher, 10. Jg., 1900, S. 218–241, Zitat: S. 231 (hinfort: v. Domaszewski, Truppensold). Max Weber stützte sich bei früheren Ausführungen über die Donative explizit auf die Untersuchungen v. Domaszewskis (vgl. Weber, Agrarverhältnisse3, S. 181).
und im orientalischen Sultanismus eine regelmäßige Erscheinung war. Der plötzliche Zusammenbruch patrimonialfürstlicher Gewalten und ihre ebenso plötzliche Neuentstehung, eine starke Labilität der Herrschaftsverbände also, war die Folge davon. Im Höchstgrade war dies das Schicksal der Herrscher in dem klassischen Gebiet der Patrimonialheere: dem vorderasiatischen Orient, der zugleich die klassische Stätte des „Sultanismus“ war.
In aller Regel aber ist der politische Patrimonialherr mit den Beherrschten durch eine Einverständnisgemeinschaft verbunden, welche auch unabhängig von einer selbständigen patrimonialen Militärgewalt besteht und auf der Überzeugung beruht, daß die traditionell geübte Herrengewalt das legitime Recht des Herren sei. Der von einem Patrimonialfürsten in diesem Sinne „legitim“ Beherrschte soll also hier „politischer Untertan“ heißen. Seine Stellung unterscheidet sich von der des freien Ding- und Heergenossen dadurch, daß er für politische Zwecke steuer- und dienstpflichtig ist. Von der des patrimonialen leibherrlichen Hintersassen unterscheidet sie sich zunächst durch die wenigstens im Prinzip bestehende Freizügigkeit, die er mit dem freien, also nur grundherrlich, nicht leibherrlich abhängigen [275]Hintersassen teilt. Ferner dadurch, daß seine Dienste und Steuern im Prinzip traditionelle, also fest bemessene sind, ebenfalls wie beim Grundholden. Von beiden aber dadurch, daß er über seinen Besitz, und zwar im Gegensatz zum freien Grundholden einschließlich seines Grundbesitzes, soweit frei verfügen kann, als die geltende Ordnung dies überhaupt zuläßt[,] und daß er ihn nach allgemeiner Regel vererbt, sich ohne Konsens des Herrn verheiraten kann und nicht vor dem grundherrlichen oder Hausbeamten, sondern vor einem der verschiedenen Gerichte Recht nimmt, soweit er [A 690]nicht zur Selbsthilfe durch Fehde greift, wozu er, solange kein allgemeiner Landfriede die Fehde verbietet, als berechtigt gilt. Denn im Prinzip steht ihm das eigene Waffenrecht zu. Und damit auch die eigene Waffenpflicht. Diese aber wird hier zu einer Aufgebotspflicht gegenüber dem Fürsten. Trotz der überwiegenden Bedeutung anfangs der Lehens- und später der Soldheere schärften
x
[275]A: schärfen
die englischen Könige den politischen Untertanen die Pflicht des eigenen Waffenbesitzes und der Selbstequipierung, abgestuft nach dem Vermögen, ein.
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[275] Die Wehrordnung „Assisa de Armis habendis in Anglia“ von 1181 schrieb den Waffenbesitz für alle freien Männer vor und teilte sie nach immobilem und mobilem Vermögen in drei Klassen ein. Unter Heinrich III. wurde 1252 die Bewaffnung aller männlichen Untertanen zwischen dem 16. und 60. Lebensjahr – unterteilt in fünf Klassen – verordnet. Diese „assises of arms“ bildeten die Grundlage für die englische Miliz. Vgl. Delbrück, Hans, Die Geschichte der Kriegskunst, Band 3: Das Mittelalter. – Berlin: Georg Stilke 1907, S. 178–180 (hinfort: Delbrück, Geschichte der Kriegskunst III).
Und bei den aufrührerischen deutschen Bauern des 16. Jahrhunderts spielte der überkommene eigene Waffenbesitz noch eine Rolle.
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Im sog. deutschen Bauernkrieg (1524/25 bis 1527) beruhten die einzelnen Aufstände der Bauern gegen ihre Obrigkeiten vor allem im Südosten Deutschlands auf selbständiger Bewaffnung und Organisation. Neben Schwert, Lanze, Pfeil und Bogen wurden dabei z. T. auch Harnisch, Armschienen, Sturmhaube und Krebs (eiserner Harnisch) getragen. Durch die bäuerliche Pflicht zur bewaffneten Gerichtshilfe und die Einberufung von Bauern zum Landsturm seit Mitte des 13. Jahrhunderts waren die Waffenverbote aus der Zeit des Landfriedens aufgehoben worden und hatten die Bauern ihre Bewaffnung verbessert. Vgl. Fehr, Hans, Das Waffenrecht der Bauern im Mittelalter, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung, 35. Band, 1914, S. 111–211, und dass., 38. Band, 1917, S. 1–114.
Nur stand diese „Miliz“ der bloß politischen Untertanen prinzipiell lediglich zu traditionellen Zwecken, als Landwehr also, zu Gebote, nicht aber zu beliebigen Fehden des Patrimonialfürsten. Auch das Berufs- oder Patrimonialheer des Fürsten konnte, obwohl der Form nach Sold[276]heer, dennoch der Sache nach, wenn es tatsächlich aus den Untertanen rekrutiert war, dem Charakter eines Milizaufgebotes, und andererseits konnte die Untertanenmiliz gelegentlich dem Berufsheer nahekommen. Die Schlachten im hundertjährigen Krieg sind neben den Rittern sehr stark durch die englische freibäuerliche Yeomanry mit geschlagen worden,
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[276] Die Aussage Max Webers konnte in der zeitgenössischen Literatur nicht belegt werden. Die Siege der Engländer von Crécy (1346), Maupertuis (1356) und Azincourt (1415) gegen das zahlenmäßig überlegene französische Ritterheer gingen insbesondere auf die Erfolge der Langbogenschützen zurück. Diese wurden aber – so die Aussage von Delbrück, Geschichte der Kriegskunst III (wie oben, S. 275, Anm. 67), S. 484 – durch Söldner und nicht durch die Bauernmilizen gestellt. Stubbs, der die Bedeutung der yeomanry als Schicht der bäuerlichen, unterhalb der Gentlemen stehenden Freisassen im Mittelalter beschreibt, erwähnt ihre Verwendung als Soldaten und Bogenschützen, stellt aber keinen Zusammenhang zum Hundertjährigen Krieg her. Vgl. Stubbs, William, The Constitutional History of England in its Origin and Development, Vol. 3. – Oxford: Clarendon Press 1878, S. 550 ff.
und sehr viele Heere von Patrimonialfürsten nahmen eine Mittelstellung zwischen Patrimonialheer und Aufgeboten ein. Je mehr aber solche Streitkräfte Aufgebote und je weniger sie spezifisch patrimoniale Eigenheere des Fürsten waren, desto fester war der Fürst in der Art seiner Verwendung beschränkt und vor allem, indirekt, in seiner politischen Macht gegenüber den Untertanen an die Tradition gebunden, zu deren Verletzung ein Aufgebotsheer ihm nicht unter allen Umständen Beihilfe geleistet hätte. Es war daher geschichtlich nicht gleichgültig, daß die englische militia etwas anderes war als ein patrimoniales Heer des Königs, daß sie vielmehr auf dem Waffenrecht des freien Mannes ruhte. Die militia ist zum guten Teil militärische Trägerin der großen Revolution gegen die traditionsverletzenden Steueransprüche der Stuarts gewesen,
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Die Auseinandersetzungen zwischen dem Parlament und den beiden Stuarts, Jakob I. (1603–1625) und Karl I. (1625–1649), betrafen insbesondere die Einführung neuer Steuern und Zölle, die der König ohne Parlamentszustimmung erhob. Der Konflikt eskalierte 1637 anläßlich eines Prozesses, bei dem der Unterhausabgeordnete John Hampdon sich weigerte, das von Karl I. 1635 eingeführte sog. Schiffsgeld zu zahlen.
und um die Herrschaft über die militia drehten sich zuletzt, in diesem Punkt unausgleichbar, die Verhandlungen Karls I. mit dem siegreichen Parlament.
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Die Verhandlungen zwischen Karl I. und dem Parlament die Miliz betreffend begannen bereits nach der Flucht des Königs aus London zu Beginn des Jahres 1642 und zogen sich bis zum Sommer 1647 hin. Die entsprechenden Vorschläge und Antworten sind abgedruckt bei: Gardiner, Samuel Rawson (ed.), The Constitutional Documents of the Puritan Revolution 1628–1660. – Oxford: Clarendon Press 1889, S. 169 ff., 208 ff.; vgl. [277]auch dessen einleitende Erläuterungen zu den Vorgängen: S. XL ff.; Max Weber hatte sich bereits früher (Weber, Protestantische Ethik II, S. 92, Fn. 51) auf die Quellensammlung von Gardiner gestützt. In der Forschungsliteratur betonte Maitland, Constitutional History (wie oben, S. 191 f., Anm. 67), S. 279, 326, die Rolle der militia in der Kontroverse zwischen Krone und Parlament.
[277]Die durch politische Herrschaft bedingte Steuer- und Fronpflicht der Untertanen war im Gegensatz zur grund- und leibherrlichen nicht nur quantitativ regelmäßig durch Tradition eindeutiger und fester begrenzt, sondern sie wurde auch juristisch davon geschieden. In England z. B. lastete die „trinoda necessitas“: 1. Festungs-, 2. Wege- und Brückenbau, 3. Heereslast auf dem Besitze der Freien als solchen im Gegensatz zu den Hintersassen.
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Die „trinoda necessitas“ stammt aus der Heeresverfassung der angelsächsischen Zeit (800–1066), die auf dem feudalen Gedanken des Grund- und Eigentumsbesitzes beruhte. Der König beanspruchte das Recht, die Freien zu Heeresleistungen und Instandhaltungsarbeiten heranzuziehen. Seit Alfred dem Großen (871–899) scheinen die Lasten nach dem Vermögen aufgeteilt worden zu sein, so daß größere Besitzer das Heeresaufgebot stellen mußten und die kleineren Gemeinfreien zum Burgenbau, Wachdienst und zur Wegebesserung herangezogen wurden. (Vgl. Gneist, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 180. Anm. 43). S. 26 mit Anm. 4a, und ders., Das Englische Parlament in tausendjährigen Wandelungen vom 9. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. – Berlin: Allgemeiner Verein für Deutsche Literatur 1886, S. 24 f.). Max Weber schließt sich offenbar der neueren Forschungsthese von Julius Hatschek an, daß der König sich auch in der Normannenzeit (seit Wilhelm dem Eroberer) direkt an die Barone gehalten habe. Die Unterbelehnung sei allein deren Angelegenheit gewesen, so daß der König keine Forderungen an die Hintersassen stellen konnte. Vgl. Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 132.
In Süd- und Westdeutschland wurde die gerichtsherrliche Fron noch im 18. Jahrhundert von den aus der Leibherrschaft folgenden Pflichtigkeiten gesondert und war dort, nach Verwandlung der Leibherrschaft in einen Rentenanspruch, die einzige überhaupt noch bestehende persönliche Fronpflicht.
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Die Beständigkeit der süd- und westdeutschen Gerichtsherrschaft, die fast immer in der Hand des Territorialherrn lag, beruhte darauf, daß sie nicht in erster Linie personal (wie die Leibherrschaft), sondern territorial (als Recht gegenüber allen Mitgliedern der Landgemeinde) ausgelegt wurde. Sie manifestierte sich noch im 18. Jahrhundert in Form von Frondiensten. Naturalleistungen oder Frongeldzahlungen, die stets von allen der Gemeinde zugehörigen Gerichtsinsassen geleistet werden mußten, d. h auch von Unfreien, Frauen und Ausländern. Dagegen bestand im 18. Jahrhundert – so die These von Theodor Ludwig – kein Zusammenhang mehr zwischen „Frohnbarkeit und Leibeigenschaft“. Der badische Markgraf betrachtete die Leibeigenschaft vielmehr als Rentenquelle, für deren Verlust er sich ausreichend entschädigen ließ. Vgl. Ludwig, Theodor, Der badische Bauer im achtzehnten Jahrhundert (Abhandlungen aus dem Staatswissenschaftlichen Seminar zu Straßburg i.E., hg. von Georg Friedrich Knapp, Heft 16). – Straßburg: Karl J. Trübner 1896, S. 20 ff., Zitat: S. 43.
Die Traditionsgebundenheit der Lasten des freien Mannes [278]aber gilt überall. Die traditionswidrig, kraft besonderer Verfügung, der sich die Untertanen mit oder ohne besonderes Übereinkommen mit dem Herrn gefügt hatten, von ihm erhobenen Steuern behielten oft in ihrem Namen (Ungeld oder Malatolta
y
[278]A: Maletolte
)
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[278] Das Ungeld (ital.: mala tolta) war eine Umsatz- und Verbrauchssteuer, die in den deutschen Reichsstädten seit dem 13. Jahrhundert – später in allen Städten – auf Güter, wie etwa Getreide, Vieh, Wein oder Bier, mit 1 bis 5% des Wertes angerechnet wurde. Das Ungeld wurde seit dem 16. Jahrhundert von den Landesfürsten erhoben (Akzise).
das Kennzeichen ihrer ursprünglich abnormen Herkunft. Aber freilich liegt es an sich in der Tendenz der Patrimonialherrschaft, die extrapatrimonialen politischen Untertanen ebenso schrankenlos der Herrengewalt zu unterwerfen[,] wie die patrimonialen und alle Herrschaftsbeziehungen als einen persönlichen, der Hausgewalt und dem Hausbesitz entsprechenden Besitz des Herren zu behandeln. Es war im ganzen eine Frage der Machtlage, neben der eigenen Militärmacht vor allem auch, wie später zu erwähnen sein wird,
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Es könnte sich hierbei um einen Pauschalhinweis auf den Text „Staat und Hierokratie“ handeln, wo der Einfluß der religiösen auf politische Gewalten eingehend behandelt wird (unten, S. 613–679), spezieller könnte auch die von Max Weber sog. „Domestikation der Beherrschten“ (unten, S. 614) mit Hilfe religiöser Mächte gemeint sein (siehe dazu unten, S. 516 f., 580–587, 599 f., 614 f.). Der Hinweis der Erstherausgeber (vgl. textkritische Anm. z) auf den Bereich „Religiöse Gemeinschaften“ (MWG I/22-2), der nach der Kapitelanordnung von WuG1 nach „oben“ geführt hätte, also die Verweisrichtung abänderte, könnte sich auf die Aussagen Max Webers in Abschnitt 5, MWG I/22-2, S. 198, und Abschnitt 11, MWG I/22-2, S. 388, beziehen, ist aber weniger stichhaltig als eine Auflösung im Text „Staat und Hierokratie“.
der Art und Macht bestimmter religiöser Einflüsse, wie weit dies gelang
z
In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber an: 1) Vgl. dazu oben die „Religionssoziologie“ (passim). (Anm. d. Herausgeb.)
. Einen Grenzfall in dieser Hinsicht stellte das neue Reich in Ägypten und auch noch das Ptolemäerreich dar, wo der Unterschied von Königskolonen und freien Bodenbesitzern, Königsdomänen und anderem Lande praktisch so gut wie verschwunden war.
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Das Neue Reich umfaßt die Zeit von der 18. bis zur 20. Dynastie (1550–1070/69 v. Chr.), die hauptsächlich durch die Ramessiden geprägt wurde; die Ptolemäer herrschten von 323 bis 30 v. Chr. Für ihre Regierungszeit lag die Untersuchung von Rostowzew, Michael, Kolonat (Rom), in: HdStW3, Band 5, 1910, S. 913–921, insbes. S. 913 (hinfort: Rostowzew, Kolonat), vor. Die Einkünfte aus Königsland sowie die Abgaben aus Privatland gingen direkt an die Kasse des Pharaos. Mit Ausnahme des vom König an Tempel oder Günstlinge verschenkten Landes lastete auf allem Grund und Boden eine Abgaben- und Leiturgiepflicht. Vergeben wurde das Land an kleine, freie Pächter.
[A 691]Die Art nun, wie der Patrimonialfürst die Untertanenleistungen sich sichert, zeigt neben Zügen, die denen in anderen Formen der [279]Herrschaft verwandt sind, auch Besonderheiten. Namentlich ist zwar dem Patrimonialfürstentum nicht ausschließlich eigen, wohl aber bei ihm am höchsten entwickelt, die leiturgische Deckung des politischen und ökonomischen Herrenbedarfs. Form und Wirkung können verschieden sein. Hier interessieren uns diejenigen Vergesellschaftungen der Untertanen, welche aus dieser Quelle entstehen. Immer bedeutet für den Herrn die leiturgische Organisation der Bedarfsdeckung eine Sicherung der ihm geschuldeten Pflichtigkeiten durch die Schaffung von dafür haftbaren heteronomen und oft heterokephalen Verbänden. Wie die Sippe für die Schuld der Sippengenossen, so haften nun diese Verbände dem Fürsten für die Pflichtigkeiten aller einzelnen. Tatsächlich waren z. B. bei den Angelsachsen die Sippen die ältesten Verbände, an welche der Herr sich hielt.
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[279] Daß die Sippen im angelsächsischen Reich (449–1066) diese Funktion hatten, belegte Julius Hatschek mit Gesetzesauszügen von König Æthelstan (924–939) und der Könige von Kent Hlothere und Edric (beide ca. 673–685). Vgl. Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 85 f., sowie Gneist, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 180, Anm. 43), S. 41 f., und Brunner, Heinrich, Geschichte der englischen Rechtsquellen im Grundriß. Mit einem Anhang über die normannischen Rechtsquellen. – Leipzig: Duncker & Humblot 1909, S. 7.
Sie schuldeten ihm die Garantie der Obödienz ihrer Glieder. Daneben trat die solidarische Haftung der Dorfgenossen für die politischen und ökonomischen Pflichtigkeiten der Dorfinsassen. Wir sahen früher,
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Der Bezug ist unklar. Gemeint sein könnten die Ausführungen in Weber, Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen, MWG I/22-1, S. 100, sowie Weber, Recht § 2, S. 64 ff. (WuG1, S. 449 ff.), dort (S. 65 (449)) mit einem Verweis auf den „später zu besprechenden leiturgischen Charakter der normannischen Verwaltung“.
wie daraus die erbliche Bindung der Bauern an das Dorf als Konsequenz folgen und wie das Recht des Einzelnen auf Teilnahme am Bodenbesitz dadurch eine Pflicht zur Teilnahme an der Herauswirtschaftung des Bodenertrags und damit im Interesse auch der dem Herrn geschuldeten Abgaben werden konnte.
Die radikalste Form leiturgischer Sicherungen ist nun die Übertragung dieser Art von erblicher Gebundenheit des Bauern an seine Funktionen auf andere Berufsverbände: Haftbarmachung also der zu diesem Zweck vom Herrn geschaffenen oder als zu Recht bestehend anerkannten und obligatorisch durchgeführten Zünfte,
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Max Weber referiert hier – ohne sich festzulegen – drei Thesen zum Ursprung der Zünfte, die zu seiner Zeit heftig umstritten waren. Die erste Position, die sog. Hofrechtstheorie, war vor allem von Karl Nitzsch (Ministerialität und Bürgerthum im 11. und 12. Jahrhundert. Ein Beitrag zur deutschen Städtegeschichte. – Leipzig: B. G. Teubner [280]1859; hinfort: Nitzsch, Ministerialität) vertreten worden. Sie besagte, daß die Zunftverfassung auf die Organisation von Fronhofhandwerkern zurückging. Hinter der zweiten Äußerung steckt die genossenschaftstheoretische Erklärung, daß die Zünfte auf freien Einungen basierten. Diese Position war insbesondere von Georg von Below (Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung (1888), in: ders., Territorium und Stadt. Aufsätze zur deutschen Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte. – München: R. Oldenbourg 1900, S. 303–320) vertreten worden. Die dritte Position – die sog. Ämtertheorie – hatte in Friedrich Keutgen (Ämter und Zünfte. Zur Entstehung des Zunftwesens. – Jena: Gustav Fischer 1903; hinfort: Keutgen, Ämter und Zünfte) ihren bekanntesten Fürsprecher. Seine These lautete: Die Obrigkeit habe die Gewerbetreibenden zu Kontrollzwecken eingeteilt. Über vermeintliche Ansätze einer leiturgischen Organisation des Handwerks in Rom, Asien und Israel vgl. Weber, Die Stadt, MWG I/22-5, S. 187 f. und 262.
Gil[280]den und anderer Berufseinungen für spezifische Fronden oder Abgaben ihrer Angehörigen. Als Entgelt dafür und vor allen Dingen im eigenen Interesse der Erhaltung der Prästationsfähigkeit pflegt der Herr die betreffenden gewerblichen Betriebe für die Mitglieder dieser Verbände zu monopolisieren und den Einzelnen und seinen Erben mit seiner Person und seinem Besitz an die Mitgliedschaft zu binden. Die dergestalt garantierten Pflichtigkeiten können sowohl Leistungen sein, welche im Bereich des betreffenden spezifischen Gewerbes liegen: z. B. Beschaffung und Reparatur von Kriegsmaterial, als auch andere, z. B. gewöhnliche militärische oder steuerliche Leistungen. Man hat gelegentlich angenommen, daß auch die indischen Kasten wenigstens teilweise leiturgischen Ursprungs seien,
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Die Referenzliteratur, auf die Max Weber hier anspielt, ließ sich nicht eindeutig ermitteln. Er greift die These – ebenfalls ohne Autoren- oder Literaturangaben – auch in der Studie über „Hinduismus und Buddhismus“ auf (Weber, Hinduismus, MWG I/20, S. 208). Dort verweist er zu den „Kasten-Entstehungstheorien“ eingangs auf die Werke von Émile Senart, Céléstin Bouglé und John Collinson Nesfield (ebd., S. 50, Fn. 1). Nesfield hatte die These vertreten, daß der Ursprung der Kasten in der Berufsgemeinschaft bestanden habe und hatte Parallelen zu den mittelalterlichen Zünften gezogen. Senart bestritt hingegen, daß es für diese These ausreichende Belege gebe. (Vgl. Senart, Émile, Les castes dans l'Inde. Les faits et le système. – Paris: Ernest Leroux 1896, S. 185, 196 f.). Für Weber war die Zunftorganisation ihrem Schwerpunkt nach jedoch fast immer „zwangsweise staatliche Leiturgieorganisation“ (vgl. Weber, Agrarverhältnisse3, S. 57).
doch spricht vorerst kein hinlänglich großes Material dafür. Ebenso ist es sehr zweifelhaft, wie weit die Heranziehung der frühmittelalterlichen Zünfte zu militärischen und anderen politischen oder spezifischen Leistungen und ihre Konstituierung als Offiziat
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Veraltete Bezeichnung (von lat. „officium“) für: öffentliche Dienstleistung, Amt. In der zeitgenössischen Literatur zur Entstehung des Zunftwesens sprach der wichtigste Vertreter der Hofrechtstheorie Nitzsch von der „Officialität“ und bezeichnete damit diejenigen Ämter in der Stadt, die hofrechtlichen Ursprungs waren. (Vgl. Nitzsch, Ministerialität [281](wie oben, S. 279 f., Anm. 79), S. 320 f.). Die Auffassung des Handwerks als Amt („officium“) sah ein Teil der Forscher in den frühmittelalterlichen Verordnungen des „Capitulare de villis“ bestätigt. Vgl. dazu Müller, Walther, Zur Frage des Ursprungs der mittelalterlichen Zünfte. Eine Wirtschafts- und Verfassungsgeschichtliche Untersuchung. – Leipzig: Quelle & Meyer 1910, S. 8 f., der die zeitgenössische Kontroverse um die Begriffsbesetzung zusammenfaßt.
ein wirklich [281]wesentlicher Faktor bei der sehr universellen Verbreitung des Zunftwesens gewesen sei.
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Die These, daß die militärischen Leistungen, also die Übernahme öffentlich-rechtlicher Funktionen, der mittelalterlichen Zünfte maßgebend für deren Verbreitung und Bedeutung gewesen sei, hatte zuerst der Rechtshistoriker Wilhelm Eduard Wilda vertreten. Vgl. Wilda, Wilhelm Eduard, Das Gildenwesen im Mittelalter. – Halle: Renger 1831, S. 340 f.
Im ersten Fall sind jedenfalls magisch-religiöse und ständische neben rassenmäßigen Unterschieden, im letzteren freie Einungen das Primäre gewesen. Dagegen ist im übrigen der leiturgische Zwangsverband eine sehr allgemein verbreitete Erscheinung gewesen. Zwar keineswegs nur in Patrimonialherrschaften, aber allerdings gerade in ihnen häufig mit der rücksichtslosesten Konsequenz durchgeführt. Denn ihnen liegt die Auffassung des Untertanen als eines für den Herrn und die Deckung seines Bedarfs existierenden Wesens besonders nahe, daher auch die Auffassung, daß die Bedeutung seiner ökonomischen Berufstätigkeit für die Fähigkeit entsprechender leiturgischer Dienste an den Herrn die Ratio seiner Existenz sei. Besonders im Orient: in Ägypten und teilweise im Hellenismus, dann wieder im spätrömischen und byzantinischen Reich war demgemäß die leiturgische Bedarfsdeckung vorherrschend. Minder konsequente Durchführungen finden sich aber auch im Okzident und haben z. B. in der englischen Verwaltungsgeschichte eine erhebliche Rolle gespielt. Die leiturgische Bindung pflegt hier keine erhebliche Fesselung der Person, sondern wesentlich eine solche des Besitzes, speziell des Grundbesitzes zu sein. Gemeinsam mit den orientalischen Leiturgien aber ist ihr das Bestehen eines garantierenden Zwangsverbandes mit solidarischer Haftung für die Pflichtigkeiten aller [A 692]Einzelnen einerseits und die mindestens faktische Verknüpfung mit einer Monopollage andererseits. Dahin gehört zunächst das Institut der Friedensbürgschaft (in England „frank-pledge“):
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„frankpledge“ bezeichnet die Friedensbürgschaft (auch „fritborg(h)“ oder „francum plegium“ genannt), die im anglonormannischen Reich zu einem bedeutsamen Rechtsinstitut wurde. Sie bestand darin, daß Zwangsverbände von 100 bzw. 10 freien Männern die „gegenseitige Haftung für Polizeizwecke“ zu übernehmen hatten. Vgl. Hatschek, Ju[282]lius, Die Selbstverwaltung in politischer und juristischer Bedeutung. – Leipzig: Duncker & Humblot 1898, S. 187–195, Zitat: S. 192; dort (S. 194) auch die wörtliche Erwähnung der „Zwangsverbände“ (hinfort: Hatschek, Selbstverwaltung). Auch Otto Gierke betonte den Zwangscharakter der Friedensbürgschaften als „vom Staate selbst erzwungene Genossenschaften“. Vgl. Gierke, Genossenschaftsrecht I (wie oben, S. 16, Anm. 1), S. 235, sowie Webers Polemik gegen die Anwendung des Genossenschaftsbegriffs auf englische Verhältnisse, vgl. Weber, Recht § 2, S. 61–66 (WuG1, S. 447–450).
der zwangsweisen kollektiven Bürgschaft der [282]Nachbarn für das polizeiliche und politische Wohlverhalten jedes einzelnen von ihnen. Sie findet sich in Ostasien (China und Japan) ebenso wie in England. Zum Zwecke der polizeilichen Friedensgarantie waren die Nachbarn in Japan in Fünferverbände,
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Die Fünferverbände hießen während der Tokugawa-Herrschaft (1603–1867) „goningumi“. Sie waren auf der Gemeindeebene ein Zusammenschluß von fünf benachbarten Familienoberhäuptern, die gegenüber der öffentlichen Gewalt wechselseitig für das Wohlverhalten ihrer Familienmitglieder zu bürgen hatten. Vgl. Rathgen, Japans Volkswirtschaft, S. 48 f. Den Vergleich zu England – mit entsprechenden Literaturhinweisen – zog in der zeitgenössischen Literatur neben Rathgen auch Tokuzo Fukuda, Japan (wie oben, S. 36, Anm. 45), S. 51, Anm. 1.
in China in Zehnerverbände
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Die aus zehn Familien bestehenden Haftungsverbände („p’ai“) wurden zu verschiedenen Zeiten als verwaltungstechnisches Mittel der Regierung eingesetzt, z. B. von einzelnen Ch’in-Fürsten (4. Jahrhundert v. Chr.) oder von der Han-Dynastie (206 v. Chr.–210 n. Chr.). Auch in den Reformvorschlägen Wang An-shihs 1070 wurden sie erwähnt. Nach Webers Aussage in der Konfuzianismus-Studie (Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 269) waren die Zehnerverbände noch bis in die Gegenwart von Bedeutung. Vgl. auch Hermann, Chinesische Geschichte (wie oben, S. 59, Anm. 62), S. 32, Anm. 3, und S. 88.
gegliedert und registriert und wurden solidarisch für einander haftbar gemacht. Ansätze zu einer entsprechenden Organisation waren in England schon in vornormannischer Zeit vorhanden.
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Hier schließt sich Max Weber der herrschenden Forschungsmeinung an, die u. a. von Gneist, Pollock, Maitland und – in Anlehnung an diese – von Hatschek vertreten wurde. Hatschek datierte die Entstehung des ursprünglich angelsächsischen Instituts der Friedensbürgschaft auf die Wende des 10. zum 11. Jahrhundert, während die ältere Forschung die normannische Herkunft belegt hatte. Mit seiner These, daß die Friedensbürgschaft durch Dänenkönig Knut II. d.Gr. (König von England 1016–1035) gesetzlich verankert worden sei, kommt Hatschek der heutigen Forschungsansicht sehr nahe. Diese konstatiert eine Verbreitung des Instituts vorwiegend in den Gebieten dänischen Rechts von Essex bis Yorkshire. Vgl. Hatschek, Selbstverwaltung (wie oben, S. 281 f., Anm. 83), S. 187 ff.
Die normannische Verwaltung aber arbeitete umfassend mit dem Mittel der Bildung solcher Zwangsverbände. Das Erscheinen des Verklagten vor Gericht, die Auskunfterteilung der Nachbarn über kriminelle Schuld und Unschuld, aus der sich die Jury entwickelt hat, das Erscheinen als Urteilsfinder im Gericht und die Urteils[283]fällung selbst, die Milizgestellung, die militärische trinoda necessitas
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[283] Zur „trinoda necessitas“ (vgl. oben, S. 277, Anm. 72) gehörte bereits in angelsächsischer Zeit das „watch and ward“, d. h. die Verfolgung eines Täters und die Landesverteidigung. Vgl. Hatschek, ebd., S. 210.
und später die verschiedensten anderen öffentlichen Lasten wurden unter solidarischer Strafhaftung der Beteiligten Zwangsverbänden auferlegt, die wenigstens zum Teil eigens zu diesem Zweck gebildet wurden, und innerhalb deren vornehmlich der Grundbesitz für die auferlegte Verpflichtung haftbar gemacht wurde. Die Verbände strafte der König sowohl pro falso iudicio
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Für die Regierungszeit von König Heinrich II. von England (1154–1189) finden sich erste Belege, daß ganze Grafschaften „pro falso judicio“, d. h. wegen eines falschen Urteils des Grafschaftsgerichts, gestraft worden sind. (Vgl. Hatschek, ebd., S. 203–205). Dies galt auch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wie Hatschek, Englisches Staatsrecht I (wie oben, S. 20, Anm. 24), S. 41, mit Referenz auf den englischen Rechtsgelehrten William Blackstone anführte.
als wegen sonstiger Verstöße gegen die unter ihre Kollektivhaft gestellten öffentlichen Pflichten. Sie ihrerseits wieder hielten sich an Person und Besitz ihrer Mitglieder, und die politischen Lasten wurden so ganz regelmäßig als mit dem greifbarsten Besitz, dem Grund und Boden[,] der einzelnen verknüpft gedacht. Von dieser Funktion aus sind die leiturgischen Zwangsverbände später die Quelle der englischen Kommunalverbände und damit des selfgovernment
a
[283]A: self govemment
geworden,
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Die These findet sich bei Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 88. Er behauptete, daß Grafschaft, Hundertschaft und Zehntschaft durch die Auferlegung öffentlicher Pflichten von Verwaltungsbezirken in „passive Verbände“ verwandelt worden seien. Diese Pflichtgenossenschaften „allein bilden die Grundlage des vielgerühmten englischen Selfgovernment“.
hauptsächlich auf dem doppelten Wege, daß 1. die Subrepartition der vom Herrn geforderten Pflichtigkeiten ihre innere, autonom geordnete Angelegenheit wurde, und daß 2. gewisse ihnen obliegende, aber nur von besitzenden Mitgliedern zu erfüllende und daher auf diese abgewälzte Pflichten wegen des Einflusses, den sie gewährten, zu ständischen Rechten der betreffenden Schichten wurden, welche sie nun für sich monopolisierten. So das Friedensrichteramt. Im übrigen aber hatte jede politische Verpflichtung innerhalb patrimonialer Verwaltung die naturgemäße Tendenz[,] zu einer auf konkreten Vermögensobjekten, vor allem Grundstücken, daneben etwa Werkstätten und Verkaufsstellen, lastenden festen Leistungspflicht zu werden, die [284]sich von der Person des Pflichtigen ganz loslöste. Dies mußte überall da geschehen, wo die leiturgische Kollektivpflicht nicht auch die Person als solche erblich band, sobald die von ihr belasteten Objekte veräußerlich blieben oder wurden. Denn der Herr hatte dann im allgemeinen keine Wahl, als sich für die Erfüllung seiner Forderungen an das zu halten, was dauernd sichtbar und für ihn greifbar blieb: an die „visible profitable property“, wie es in England hieß,
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[284] Seit der Herrschaft der Tudors (1485–1603) wurde die Kommunalsteuer auf der Basis des „sichtbaren, nutzbaren Realbesitz[es] in der Gemeinde“ erhoben. Vgl. Gneist, Rudolf, Die heutige englische Communalverfassung und Communalverwaltung oder das System des Selfgovernment in seiner heutigen Gestalt (Das heutige englische Verfassungs- und Verwaltungsrecht, II. Haupttheil). – Berlin: Julius Springer 1860, S. 113 (hinfort: Gneist, Englisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht II); ders., Geschichte des Selfgovernment in England oder die innere Entwicklung der Parlamentsverfassung bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts (Ergänzungsband zur 1. Aufl. des II. Haupttheils des Englischen Verfassungs- und Verwaltungsrechts). – Berlin: Julius Springer 1863, S. 286, Zitat: S. 363 (hinfort: Gneist, Selfgovernment).
und das waren eben wesentlich Grundstücke. Es erforderte ja einen sehr bedeutenden Zwangsapparat des Herrn, um auch der pflichtigen Personen jeweils direkt habhaft zu werden, und eben darauf beruhte das System der Zwangsverbände, welches diese Aufgabe jenen zuschob. Aber auch für sie bestanden, wenn kein Zwangsapparat des Herrn ihnen zur Seite stand, die gleichen Schwierigkeiten. – Eine leiturgische Bedarfsdeckung konnte also im Effekt in sehr verschiedene Gestaltungen ausmünden: im einen Grenzfall in eine dem Herrn gegenüber weitgehend selbständige lokale Honoratiorenverwaltung, verbunden mit einem System von traditionell der Höhe und Art nach gebundenen und je auf spezifischen Vermögensobjekten haftenden spezifischen Lasten. Im anderen Grenzfall in eine universelle persönliche Patrimonialhörigkeit der Untertanen, welche den Einzelnen an die Scholle, den Beruf, die Zunft, den Zwangsverband erblich band, und die Untertanen dabei, innerhalb höchst labiler Schranken, welche letztlich nur durch die Rücksicht auf deren dauernde Prästationsfähigkeit sich bestimmten, ganz willkürlichen Forderungen des Herrn aussetzte. Je entwickelter technisch die eigene patrimoniale Machtstellung des Herrn und vor allem seine [A 693]patrimoniale Militärmacht war, deren er gegebenenfalls auch gegen die politischen Untertanen sicher sein konnte, desto mehr konnte der zweite Typus: das universelle Untertanenverhältnis, durchgesetzt werden. Die Mehr[285]zahl der Fälle lag naturgemäß in der Mitte zwischen beiden. Von der Bedeutung und Art der Militärmacht des Herrn, seines Patrimonialheeres also, soll später die Rede sein.
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[285] Eine entsprechende Passage findet sich oben, S. 262–274. Zur Unstimmigkeit dieses Verweises vgl. den Editorischen Bericht, oben, S. 236, Anm. 5, und S. 239.
Neben dem Heer aber war Art und Grad der Entwicklung des amtlichen Zwangsapparats, über den er verfügte, von Bedeutung für Art und Maß der Inanspruchnahme der Untertanen, welche er technisch durchsetzen konnte. Und stets war es weder möglich, noch, wenn der Herr ein Optimum von persönlicher Machtstellung erstrebte, für ihn zweckmäßig, alle Dienste, deren er benötigte, die Form von durch Kollektivhaft gesicherten Leiturgien annehmen zu lassen. Er bedurfte unter allen Umständen eines Beamtentums.
Schon die großen Domänengebilde, die des Fürsten, die also im einfachsten Fall einen Herrenhofhalt mit einem Komplex von grundherrlich abhängigen Besitzungen und diesen Besitzungen dauernd zugehörigen Grundholdenhaushalten umfassen, erfordern eine organisierte „Verwaltung“ und also, je größer ihr Umkreis wird, desto mehr: zweckmäßige Funktionsteilung. Erst recht die angegliederte politische Verwaltung. Es entstehen dadurch die patrimonialen Ämter. Die Kronämter, welche aus der Haushaltsverwaltung stammten,
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Die Deutung der fränkischen königlichen Hofverwaltung als einer erweiterten Hausverwaltung und die ausführliche Schilderung der einzelnen Hofämter findet sich erstmals paradigmatisch ausgeführt bei: Waitz, Georg, Deutsche Verfassungsgeschichte. Die Verfassung des Fränkischen Reichs, Band 3, 3. Aufl. – Berlin: Weidmann 1883, S. 493–643 (hinfort: Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte III3).
finden sich in irgendwie ähnlicher Art durch die ganze Welt wieder: neben dem Hauspriester und eventuell Leibarzt vor allem die Leiter der ökonomischen Verwaltungszweige: Aufseher über Speisevorräte und Küche (Truchseß), über den Keller (Kellermeister und Mundschenk), über die Stallungen (Marschall, Connetable = comes stabuli), über das Gesinde und die Vasallen (Hausmeier), über die Frondienstpflichtigen (Fronvogt), über die Kleidungs- und Rüstungsvorräte (Intendant), über Schatzkammer und Einkünfte (Kämmerer), über den prompten Gang der Hofhaltsverwaltung als ganzes (Seneschall) und welche Funktionen sonst die Bedürfnisse der Verwaltung des Hauses herausdifferenzieren mögen, wie dies in groteskem Gra[286]de noch in diesem Jahrhundert der Hofhalt der alten Türkei zeigte.
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[286] Durch die Jungtürkische Revolution 1908/09 wurden die Befugnisse des Sultans beschnitten und die Zivilliste, die Aufwendungen des Staates für den Sultan und seinen Hofhalt, abgeschafft (vgl. dazu auch den Editorischen Bericht, oben, S. 236). Unter Sultan Abdul Hamid II. (1876–1909) wurden aus der Zivilliste 3000 Personen für den Hofhalt bezahlt, darunter u. a. der Zeremonienmeister, Palastmarschälle, Adjutanten, 30 Ärzte, Kämmerer, „der ,Sedjadedji‘ (betraut mit der Verwahrung des großherrlichen Gebetsteppichs), der ,Cafedij Baschi‘ (Chef der Kaffeebereiter)“. Vgl. Morawitz, Charles, Die Türkei im Spiegel ihrer Finanzen. – Berlin: Carl Heymann 1903, S. 109.
Alles[,] was über die direkt hauswirtschaftlichen Geschäfte hinausgeht, wurde zunächst demjenigen dieser Hausverwaltungszweige angegliedert, dem es dem Objekt nach am nächsten lag. So etwa die Führung des Reiterheeres dem Stallaufseher (Marschall). Allen Beamten liegt neben der eigentlichen Verwaltung persönliche Bedienung und Repräsentation ob, und es fehlt, im Gegensatz zur bürokratischen Verwaltung, die berufsmäßige Fachspezialisierung. Wie die bürokratischen Beamten, so pflegen die Patrimonialbeamten gegenüber den Beherrschten ständisch differenziert zu werden. Die „sordida munera“ und „opera servilia“ der grund- oder leibherrlich Beherrschten werden überall, in der Spätantike ebenso wie im Mittelalter, von jenen höheren, höfischen, administrativen amtlichen Diensten und Leiturgien geschieden, welche den „Ministerialen“ zufallen und, wenigstens im Dienste großer Herren, späterhin als auch eines freien Mannes nicht unwürdig gelten.
Der Herr rekrutiert seine Beamten zwar zunächst und in erster Linie aus den ihm persönlich kraft leibherrlicher Gewalt Unterworfenen, Sklaven und Hörigen. Denn ihres Gehorsams ist er unbedingt sicher. Aber eine politische Verwaltung ist nur sehr selten mit ihnen allein ausgekommen. Nicht nur die Mißstimmungen der Untertanen, unfreie Leute an Macht und Rang über alle andern emporsteigen zu sehen, sondern auch der direkte Bedarf und die Anknüpfung an die vorpatrimonialen Formen der Verwaltung nötigte die politischen Herren fast durchweg, ihr Beamtentum auch extrapatrimonial zu rekrutieren. Und andrerseits bot der Herrendienst freien Leuten so erhebliche Vorteile, daß die anfangs unvermeidliche Ergebung in die persönliche Herrengewalt in den Kauf genommen wurde. Denn allerdings: wo immer möglich, hielt der Herr darauf, daß der Beamte extrapatrimonialer Provenienz in die gleiche persönliche Abhängigkeit von ihm sich begab, wie die aus Unfreien rekrutierten Beamten. [287]Das ganze Mittelalter hindurch mußte in politischen Gebilden von spezi[A 694]fisch patrimonialer Struktur der Beamte „familiaris“ des Fürsten werden (so z. B. auch, wie der beste Sachkenner mir bestätigte, im anjouvischen
b
[287]Lies: angiovinischen
Patrimonialstaat in Süditalien).
3
[287] Wen Max Weber an dieser Stelle meint, konnte nicht zweifelsfrei ermittelt werden, da die hier vertretene These in der Forschungsliteratur nicht nachgewiesen werden konnte und es sich vermutlich um eine mündliche Mitteilung gehandelt hat. In Frage käme Otto Cartellieri, der seit 1910 Professor in Heidelberg war und in seiner Habilitationsschrift u. a. das Regierungssystem Karls von Anjou in Sizilien für die Jahre 1265 bis 1282 behandelt hatte. Nach seiner Beschreibung waren die höchsten Beamten Franzosen, die mit großen sizilianischen Lehen ausgestattet wurden und so den Haß der einheimischen Stände auf sich zogen. (Vgl. Cartellieri, Otto, Peter von Aragon und die sizilianische Vesper (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, Heft 7). – Heidelberg: Carl Winter 1904, S. 98–138). Ebenso könnten die Heidelberger Mediävisten Dietrich Schäfer oder Karl Hampe gemeint sein, während der damals bedeutendste Kenner der italienischen Verfassungsgeschichte Julius von Ficker (Innsbruck) bereits 1902 verstorben war.
Der freie Mann, der in Deutschland Ministeriale wird, trägt seinen Grundbesitz dem Herrn auf und empfängt ihn, entsprechend vermehrt, als Dienstland wieder zurück. Wenn bei der ausgedehnten Erörterung über die Herkunft der Ministerialen ihr unfreier historischer Ursprung heute nicht mehr zweifelhaft erscheint,
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Max Weber bezieht sich hier auf eine Diskussion über die Entstehung der Ministerialität in Deutschland, in der Georg Caro, Werner Wittich und Philipp Heck in den Jahren 1905 bis 1907 die ältere Lehre angriffen, wonach die Ministerialen im Frühmittelalter aus unfreien und besitzlosen Haus- und Hofdienern hervorgegangen und erst im 11. Jahrhundert durch genossenschaftliche Verbindung und Erwerb der Lehnsfähigkeit zum Stand des niederen Adels aufgestiegen seien. Dagegen vertraten sie die Ansicht, daß die im Haus- und Hofdienst stehenden Ministerialen zum größeren Teil von Anfang an frei oder wenigstens halbfrei gewesen seien. Der an dieser Position geübten Kritik Friedrich Keutgens, die die ältere Lehre modifizierte, schließt sich Weber in seinen Ausführungen an: Die Ministerialen waren zwar von Beginn an rechtlich unfrei, vermochten aber durch ihre Lehnsfähigkeit und politisch bedeutsame Herrendienste ihren Aufstieg zum niederen Adel vorzubereiten. Vgl. Keutgen, Friedrich, Die Entstehung der deutschen Ministerialität, in: Vierteljahrschrift für Social- und Wirtschaftsgeschichte, Band 8, 1910, S. 1–16, 169–195 und S. 481–547.
so ist auf der andern Seite auch sicher, daß das spezifische Gepräge dieser Schicht als eines „Standes“ gerade durch jenen massenhaften Eintritt freier, ritterlich lebender Leute geschaffen wurde. Überall im Okzident, besonders früh in England, sind die Ministerialen in der Schicht des „Rittertums“ als ebenbürtiger Bestandteil aufgegangen.
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In England sei dieser Vorgang – so die These von Julius Hatschek – bereits in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zum Abschluß gekommen. Als Grund nannte er die Gleichbehandlung von Rittern und Ministerialen durch die Common Law-Gerichte, was [288]dann schließlich auch die Gleichstellung von Rittertehen und Ministerialenland nach sich gezogen hätte. Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 246 ff.
Das bedeutete praktisch ei[288]ne weitgehende Stereotypierung ihrer Stellung und also eine feste Begrenzung der Ansprüche des Herrn, denn es verstand sich darnach von selbst, daß er von ihnen nur die ständisch-konventionellen ritterlichen Dienste, keine andern, verlangen konnte und daß überhaupt sein Verkehr mit ihnen sich in den Formen der ritterlichen Standeskonvention zu bewegen hatte.
Die Stellung der Ministerialen stereotypierte sich weiter, wenn der Herr „Dienstordnungen“ erließ und so ein „Dienstrecht“ schuf, welches sie ihm gegenüber als Rechtsgenossen zusammenschloß, wie dies die Dienstrechte des Mittelalters taten. Dann monopolisierten die Genossen die Ämter, setzten feste Grundsätze und insbesondre das Erfordernis ihrer Zustimmung für die Aufnahme Fremder in den Verband der Ministerialen durch, fixierten die Dienste und Gebührnisse und bildeten in jeder Hinsicht einen ständisch abgeschlossenen Verband, mit dem der Herr paktieren mußte. Der Herr kann nun den Ministerialen seines Dienstlehens nicht mehr entsetzen, ohne daß ein Urteil, und das heißt im Okzident: ein Urteil eines aus Dienstmannen zusammengesetzten Gerichts, ihn des Verlusts schuldig erkennt. Und der Gipfel der Macht der Beamten wird schließlich erstiegen, wenn sie oder ein Teil von ihnen, etwa die Großbeamten am Hofe, den Anspruch erhoben, der Herr solle seine leitenden Großbeamten nur nach Vorschlag oder maßgeblichem Gutachten der andern wählen. Versuche, diese Forderung durchzusetzen, sind gelegentlich aufgetaucht. Allerdings sind in fast allen denjenigen Fällen, wo dem Herren wirklich mit Erfolg ein maßgebliches Gutachten seiner Berater über die Wahl seiner höchsten Beamten aufgedrängt wurde, diese Berater nicht Beamte (und speziell nicht Ministerialen), sondern es ist der versammelte „Rat“ seiner großen Lehensträger oder der Honoratioren des Landes, speziell ständischer Vertreter. Wenn aber die klassisch-chinesische Tradition den Idealkaiser seinen ersten Minister nach Befragung der am Hof anwesenden Großen, wer der Tüchtigste sei, berufen läßt,
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Das Verfahren zur Bestimmung des ersten Ministers ist im Shu-ching, dem Klassischen Buch der Urkunden, für die Zeit der legendären Kaiser Yao, Shun und Yü (nach der Tradition: 2233–2178 v. Chr.) beschrieben. Vgl. Plath, China unter den drei ersten Dynastieen (wie oben, S. 59, Anm. 62), S. 451–592, hier: S. 479 f.
so ist es immerhin fraglich, ob dabei eigen[289]ständige Honoratioren und Vasallen oder doch Beamte gemeint sind; die Barone Englands, welche im Mittelalter wiederholt die gleiche Forderung erhoben, waren dagegen nur zum kleinen Teil Beamte und erhoben sie nicht in dieser ihrer Qualität.
7
[289] Seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts stritten in England Krone und Stände um das Recht der Ämterbesetzung (patronage). Insbesondere die großen Magnaten pochten auf ihr Recht „im Anschlusse an die erblichen Hofämter und Lehensrechte“. Vgl. Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 251 f.
Solchen ständischen Monopolen auf die Ämter und Stereotypierungen der Amtsleistungen sucht der Herr überall, wo er kann, durch Berufung entweder von ihm leibherrlich Abhängiger oder umgekehrt gänzlich Landfremder, deren ganze Existenz nur auf der Beziehung zum Herrn ruht, zu entgehen. Je mehr Ämter und Amtspflichten stereotypiert sind, desto näher liegt der Versuch, sich bei der Entstehung zugleich neuer Amtsaufgaben und der Kreierung von Ämtern für sie von jenen Monopolen zu emanzipieren, und tatsächlich ist auch speziell bei solchen Gelegenheiten der Versuch gemacht und unter Umständen durchgeführt worden. Allein naturgemäß stößt der Herr dabei stets auf den entrüsteten Widerstand der einheimischen Amtsanwärter und unter Umständen auch der Untertanen. Soweit es sich dabei um einen Kampf der lokalen Honoratioren um das Monopol der Lokalämter handelt, ist davon später zu sprechen
c
[289] In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber an: 1) Vgl. oben S. 452 f. (Anm. d. Herausgeb.)
.
8
Siehe unten, S. 343–351. Die Verweisauflösung der Erstherausgeber ist an falscher Stelle eingefügt. Sie bezieht sich auf den nächsten Verweis, unten, S. 290 mit Anm. 10.
Aber überall, wo der Herr typische [A 695]und einträgliche Ämter schafft, stößt er auf Versuche, sie für eine bestimmte Schicht zu monopolisieren, und es ist Machtfrage[,] wieweit er diesen wuchtigen Interessen sich zu entziehen vermag.
Die monopolistische Rechtsgenossenschaft der Dienstleute und dadurch auch die genossenschaftliche Verbindung des Herrn mit seinen Dienstmannen war zwar vornehmlich dem okzidentalen Recht bekannt. Aber Spuren davon finden sich auch anderwärts. Auch in Japan galt (nach Rathgen) das „Han“ (= „Zaun“
d
A: „Zaum“
), die Gemeinschaft des Daimyo mit seinen freien Antrustionen oder Ministerialen (Samurai), als der Inhaber der dem Herren zustehenden nutzba[290]ren Herrenrechte.
9
[290] Max Weber bezieht sich hier auf Rathgen, Japans Volkswirtschaft. Karl Rathgen übersetzte „han“ als „Zaun“ (ebd., S. XVII, 40) und definierte es als eine auf gegenseitiger Verantwortlichkeit basierende Genossenschaft zwischen Herr (Daimyō) und Vasall (Samurai). Ausdrücklich wandte er sich gegen die Gleichsetzung von Daimyat (Landesherrschaft) und „han“; erweiternd führte er die von Japanern vertretene Ansicht an, daß das Amt nicht dem Daimyō selbst, sondern dem „han“ als Ganzem übertragen werde (ebd., S. 44, Anm. 1). „han“ wird heute als rein geographische Einheit verstanden und als „Domäne“ oder „Lehen“ übersetzt.
Aber allerdings ist – aus früher erörterten Gründen
10
Siehe Weber, Recht § 2, S. 71–73 (WuG1, S. 452 f.), mit einem Vorverweis auf die Stelle hier; siehe aber auch die Ausführungen über den Ständestaat im Text „Feudalismus“, unten, S. 410–413.
– die Durchbildung des Genossenrechts nirgends so konsequent wie im Okzident vollzogen worden.
Die Stereotypierung und monopolistische Appropriation der Amtsgewalten durch die Inhaber als Rechtsgenossen schafft den „ständischen“ Typus des Patrimonialismus.
Das Monopol der Ministerialen auf die Hofämter ist ein Beispiel auf dem Gebiet der Hofdienstpräbenden; demjenigen der politischen Ämter gehört das Monopol der englischen Anwälte („bar“) auf die Richterstellen („bench“) an,
11
Die großen englischen Juristeninnungen (vgl. oben, S. 190 mit Anm. 65) konnten zunächst die Ausbildung der höheren Anwälte („barrister“) monopolisieren und dann die Rekrutierung der Richter für die höchsten Gerichtshöfe auf ihren Kreis beschränken. „Bar“ und „bench“ bildeten folglich einen Stand.
im Kirchendienst endlich sind die Monopole der Ulema
e
A: Ulemas
13
„Ulemas“ – wie es im überlieferten Text hieß – ist der deutsche (doppelte) Plural zu der arabischen Pluralform „ʿulamāʾ“ (vgl. den Glossar-Eintrag, unten, S. 807) und wurde daher emendiert.
auf die Kadi-, Mufti- und Imam-Stellen und die zahlreichen Monopole ähnlicher Graduierter im Okzident auf die geistlichen Pfründen erwachsen. Aber während im Okzident die Stereotypierung der Amtsstellungen der Ministerialen zugleich ein ziemlich festes ständisches Genossenrecht des Einzelnen in dem speziell ihm verliehenen Amt mit sich führte, war dies im Orient im ganzen weit weniger der Fall. Hier wurde zwar die Ämterverfassung in starkem Maße stereotypiert, dagegen blieb die Person des Amtsinhabers in sehr weitem Grade frei amovibel, – wie wir sehen werden,
12
Siehe unten, S. 312–314, und den Text „Feudalismus“, unten, S. 384–397.
eine Folge des Fehlens bestimmter ständischer Voraussetzungen der okzidentalen Entwicklung und der teils politisch, teils öko[291]nomisch bedingten, andersartigen militärischen Machtstellung des orientalischen Herrschers.
Das patrimoniale Beamtentum kann mit fortschreitender Funktionsteilung und Rationalisierung, namentlich mit dem Anwachsen des Schreibwerks und der Herstellung eines geordneten Instanzenzuges, bürokratische Züge annehmen. Aber seinem soziologischen Wesen nach ist das genuin patrimoniale Amt von dem bürokratischen um so verschiedener, je reiner der Typus jedes von beiden ausgeprägt ist.
Dem patrimonialen Amt fehlt vor allem die bürokratische Scheidung von „privater“ und „amtlicher“ Sphäre. Denn auch die politische Verwaltung wird als eine rein persönliche Angelegenheit des Herrn, der Besitz und die Ausübung seiner politischen Macht als ein durch Abgaben und Sporteln nutzbarer Bestandteil seines persönlichen Vermögens behandelt. Wie er die Macht ausübt, ist daher durchaus Gegenstand seiner freien Willkür, soweit nicht die überall eingreifende Heiligkeit der Tradition ihr mehr oder minder feste oder elastische Schranken zieht. Soweit es sich nicht um traditionell stereotypierte Funktionen handelt, also namentlich in allen eigentlich politischen Angelegenheiten, entscheidet sein rein persönliches jeweiliges Belieben auch über die Abgrenzung der „Kompetenzen“ seiner Beamten. Diese – wenn man den spezifisch bürokratischen Begriff überhaupt hier zuläßt – sind zunächst völlig flüssig. Selbstverständlich enthält das Amt irgend einen inhaltlichen Zweck und Auftrag. Aber sehr häufig in ganz unbestimmter Begrenzung zu andren Beamten. Dies ist allerdings bei den meisten Trägern von Herrenrechten ursprünglich überhaupt so, nicht nur bei den patrimonialen Beamten. Nur konkurrierende Herrenrechte schaffen zunächst stereotypische Abgrenzungen und damit etwas der „festen Kompetenz“ ähnliches. Dies ist aber bei den patrimonialen Beamten Folge der Behandlung des Amts als persönlichen Rechts des Beamten, nicht, wie im bürokratischen Staat, Folge sachlicher Interessen: der Fachspezialisierung und daneben des Strebens nach Rechtsgarantien für die Beherrschten. Es sind daher vor allem konkurrierende ökonomische Interessen der verschiedenen [A 696]Beamten, welche diese „Kompetenz“-artige feste Begrenzung der Amtsgewalten schaffen. Soweit nicht heilige Tradition bestimmte Amtshandlungen des Herrn oder der Diener verlangt, sind diese Produkte freien Beliebens, und Herr und Beamter lassen sich daher jeden Fall ihres Tätig[292]werdens bezahlen. Entweder von Fall zu Fall oder nach typischen Taxen. Die Verteilung dieser Sportelquellen ist alsdann ein treibendes Motiv für die allmählich fortschreitende Abgrenzung der Amtsbefugnisse, wie sie dem Patrimonialstaat für politische Zwecke ursprünglich fast ganz fehlte. Um ihrer Sportelinteressen willen erzwangen die englischen Anwälte die Rekrutierung der Richter ausschließlich aus ihrer Mitte
f
[292]A: Mitte,
und ihre eigene Rekrutierung ausschließlich aus ihren von ihnen selbst vorgebildeten Lehrlingen
14
[292] Die vier großen Londoner Anwaltsinnungen (inns of court) bildeten die Barrister aus und nur diese konnten nach mehrjähriger Advokatentätigkeit ein Richteramt erhalten. Nach Gneist sei die Advokatur seit dem 15. Jahrhundert „allmälig die ausschließliche Vorstufe zum Richteramt“ geworden. Vgl. Gneist, Englisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht I (wie oben, S. 190, Anm. 65), S. 502 ff., Zitat: S. 504.
und schlossen dadurch im Gegensatz zu andern Ländern die im römischen Recht von den Universitäten Graduierten, mithin die Rezeption dieses Rechts selbst aus. Um Sportelinteressen kämpften die weltlichen Gerichtshöfe mit den kirchlichen, die Common Law-Gerichte
g
A: Common-Law Gerichte
mit den Kanzleigerichten,
15
Der Court of Chancery (in der zeitgenössischen Literatur zumeist als „Kanzler“- und nicht „Kanzleigerichtshof“ bezeichnet) formierte sich unter Eduard III. (1327–1377) als eigenständiger Gerichtshof unter Leitung des Kanzlers. Im Gegensatz zu den großen, nach dem Common law verfahrenden Gerichtshöfen (vgl. unten, Anm. 16) urteilte er nach Billigkeit (equity). Das Equity-Verfahren zeichnete sich durch Schnelligkeit und geringere Kosten aus; es erlaubte die Vorladung des Beklagten unter Strafandrohung sowie dessen Einvernahme unter Eid. Vgl. Hatschek, Englisches Staatsrecht I (wie oben, S. 20, Anm. 24), S. 142–149, der auch explizit auf die Konkurrenz bei den Gerichtssporteln hinweist.
die drei großen Gerichtshöfe (Exchequer, Common Pleas, Kings Bench)
16
Seit der Wende zum 14. Jahrhundert sonderten sich die großen Gerichte vom Hofgericht ab und bildeten folgende Aufgabenabgrenzung aus: Der Court of Exchequer war zuständig für die Finanz- und streitige Gerichtsbarkeit, der Court of Common Pleas für gewöhnliche Zivilprozesse zwischen Privatpersonen und die King’s Bench für die dem König noch persönlich vorbehaltenen Justiz-, Hoheits- und Strafsachen. Vgl. Hatschek, Englisches Staatsrecht II (wie oben, S. 190, Anm. 65), S. 158 ff.; dort auch die Schreibweise „Kings Bench“ statt „King’s Bench“.
untereinander und mit allen lokalgerichtlichen Gewalten. Meist nicht in erster Linie, nie ausschließlich rationale sachliche Erwägungen, sondern Kompromisse von Sportel-Interessen entscheiden über die Zuständigkeit, die sehr oft für die gleiche Sache eine konkurrierende war, in welchem Fall dann die Gerichte durch allerhand Lockungsmittel, beson[293]ders bequeme Prozeßfiktionen, billigere Tarife usw. miteinander um die Gunst des rechtsuchenden Publikums konkurrierten.
Allein dies ist schon ein Zustand sehr weit vorgeschrittener Perennität und Stereotypierung der Ämter, wie er selbst bei großen und dauernden politischen Bildungen erst allmählich erreicht wurde. Der Anfang ist durchaus der Zustand des „Gelegenheits“-Beamten, der durch den konkreten sachlichen Zweck umschriebenen Vollmacht und der Auslese nach persönlichem Vertrauen, nicht nach sachlicher Qualifikation. Wo die Verwaltung großer politischer Gebilde patrimonial organisiert ist, da führt uns, wie in charakteristischer Art z. B. in Assyrien noch in der Periode höchster Expansion, jeder Versuch einer Ermittlung von „Kompetenzen“ ins Bodenlose einer Flut von Amtstiteln mit fast ganz willkürlich wechselndem Sinn.
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[293] Seine größte Ausdehnung hatte das Assyrerreich unter den Sargoniden (722–ca. 627 v. Chr.). Wie wenig ein Titel über das tatsächliche Amt aussagte, zeigt das Beispiel des Mundschenks, der in der Sargonidenzeit als Feldherr und besonderer Vertrauter des Königs an Kriegszügen teilnahm. Zu weiteren Beispielen für die willkürliche Zuweisung von Titeln und Ämtern durch die assyrischen Könige vgl. Klauber, Ernst, Assyrisches Beamtentum nach Briefen aus der Sargonidenzeit (Leipziger Semitistische Studien 5, 3). – Leipzig. J. C. Hinrichs 1910, das o.g. Beispiel ebd., S. 73 f.
Denn bei der Angliederung der politischen an die rein ökonomischen Geschäfte des Herrn erscheinen die ersteren sozusagen als Außenschläge,
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„Außenschläge“ bezeichnen im Rahmen der geregelten Feldgraswirtschaft die vom Wirtschaftshof entfernt gelegenen bzw. schlechteren Böden. Früher dienten die Außenschläge im Gegensatz zu den „Binnenschlägen“ nur als Weideflächen, dann – im ausgehenden 19. Jahrhundert – auch zum mehrjährigen Fruchtwechsel.
die nur je nach Bedarf und Gelegenheit ausgenutzt werden: die politische Verwaltung ist zunächst „Gelegenheitsverwaltung“, mit deren Erledigung der Herr jeweils denjenigen Mann – meist einen Hofbeamten oder Tischgenossen – betraut, der ihm im konkreten Fall der persönlich qualifizierte scheint und vor allem, der persönlich nächststehende ist. Denn ganz persönliches Belieben und persönliche Gunst oder Ungnade des Herrn sind nicht nur der Tatsache nach – was natürlich überall vorkommt –[,] sondern dem Prinzip nach der letzte Maßstab für alles. Auch für das Verhältnis der Beherrschten zu den Beamten. Diese letzteren „dürfen“, was sie gegenüber der Macht der Tradition und den Interessen des Herrn an der Erhaltung der Fügsamkeit und Leistungsfähigkeit der Untertanen „können“. Es fehlen die festen bindenden Normen und Reglements der bürokratischen Verwaltung. Nicht nur für jede ungewohnte oder sachlich [294]erhebliche Aufgabe wird von Fall zu Fall verfügt, sondern ebenso im ganzen, nicht durch feste Rechte von Einzelpersonen beschränkten, Bereich der Herrenmacht. Deren gesamte Ausübung durch die Beamten bewegt sich so auf zwei oft unvermittelt nebeneinander liegenden Gebieten: demjenigen, wo sie durch bindende und geheiligte Tradition oder feste Rechte Einzelner in gebundener Marschroute verläuft[,] und demjenigen der freien persönlichen Willkür der Herren. Der Beamte kommt dadurch unter Umständen in Konflikte. Ein Verstoß gegen die alten Bräuche kann ein Frevel gegen vielleicht gefährliche Mächte sein, ein Ungehorsam gegen Befehle des Herrn ist ein frevelhafter Bruch seiner Banngewalt, welcher den Frevler, nach englischer Terminologie, der „misericordia“
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[294] Das normannische Lehnswesen kannte die „misericordia“ als Strafsystem, das sich aus der militärischen Disziplin ableitete; es ermöglichte dem König als oberstem Kriegsherrn, bei Gehorsamsverstößen eine Buße am beweglichen Gut zu verhängen, im Gegensatz zum angelsächsischen Recht, wo die Buße in einer fixen Geldsumme bestand und durch die urteilsfindende Gemeinde verhängt wurde, hing sie im normannischen Recht von der Einschätzung des Königs bzw. seiner Beauftragten sowie vom Stand der zu bestrafenden Person ab. Vgl. Gneist, Selfgovernment (wie oben, S. 284, Anm. 90), S. 81 f., und ders., Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 180, Anm. 43), S. 150 ff., dort spricht Gneist von einer „arbiträre[n] Strafgewalt“ der normannischen Könige (ebd., S. 161).
des Herrn: seinem arbiträren Bußrecht, anheimfallen läßt. Tradition und Herrenbann liegen überall in unschlichtbarem Grenzstreit. Auch wo schon längst typische politische Amtsgewalten mit festen Amtssprengeln [A 697]bestehen – wie z. B. für den englischen Sheriff der Normannenzeit
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Unter den Normannenkönigen (1066–1135) oblag dem Sheriff (vice-comes) die Leitung der Gerichts-, Militär- und Finanzverwaltung der Grafschaft. Seine Kompetenzen wurden jedoch zunehmend beschnitten, indem Prozesse über die Kronlehen (die oben erwähnte „misericordia“) und schwere Straffälle („placita coronae“) jederzeit an den Königshof gezogen werden konnten. Kontrollierend griffen die reisenden Richter des Königs in die Rechtsprechung des Sheriffs ein. Vgl. Gneist, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 180 mit. Anm. 43), S. 145 ff.
[,] suspendiert, eximiert, korrigiert der Herr im Prinzip nach freier Willkür.
Die gesamte Stellung des patrimonialen Beamten ist also, im Gegensatz zur Bürokratie, Ausfluß seines rein persönlichen Unterwerfungsverhältnisses unter den Herrn und seine Stellung zu den Untertanen nur dessen nach außen gewendete Seite. Auch wo der politische Beamte persönlich kein Hofhöriger ist, beansprucht der Herr schrankenlosen Amtsgehorsam. Denn die Amtstreue des patrimonialen Beamten ist nicht sachliche Diensttreue gegenüber sachlichen [295]Aufgaben, welche deren Ausmaß und Inhalt durch Regeln begrenzen, sondern sie ist Dienertreue, streng persönlich auf den Herrn bezogen und Bestandteil seiner prinzipiell universellen Pietäts- und Treuepflicht. In den Germanenreichen bedroht der König auch freie Beamte im Fall des Ungehorsams mit Ungnade, Blendung, Tod.
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[295] Die königlichen Beamten, in erster Linie Grafen, des merowingischen Reiches waren zu unbedingtem persönlichem Gehorsam verpflichtet, ansonsten drohte ihnen – so die Gesetze der Könige Chlotar, Childebert und Chilperich – der Verlust des Amtes, des mit dem Amt verbundenen Gutes sowie körperliche Strafen bis hin zur Todesstrafe. (Vgl. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte II,24 (wie oben, S. 167, Anm. 18), S. 33 und 127). Auch die burgundischen Könige drohten ihren Beamten bei Nichtbefolgung königlicher Befehle mit schweren Strafen. Vgl. Dahn, Felix, Die Könige der Germanen. Das Wesen des ältesten Königthums der germanischen Stämme und seine Geschichte bis zur Auflösung des karolingischen Reiches. Nach den Quellen dargestellt, Band 11: Die Burgunden. – Leipzig: Breitkopf & Härtel 1908, S. 127, 249.
Weil und insofern der Beamte persönlich der Herrengewalt unterworfen ist, nimmt er Andern gegenüber teil
h
[295]A: Teil
an dessen Würde. Nur der Königsbeamte, einerlei welchen Standes, hat in den Germanenreichen erhöhtes Wehrgeld, nicht der freie Volksrichter, und der hofhörige Beamte steigt, obwohl ein Unfreier, überall leicht über die freien Untertanen. Alle, nach unseren Begriffen ein „Reglement“ darstellenden Dienstordnungen bilden also, wie alle öffentliche Ordnung eines patrimonial regierten Staates überhaupt, letztlich ein System rein subjektiver, auf die Verleihung und Gnade des Herrn zurückgehender Rechte und Privilegien von Personen. Es fehlt die objektive Ordnung und die auf unpersönliche Zwecke ausgerichtete Sachlichkeit des bürokratischen Staatslebens. Das Amt und die Ausübung der öffentlichen Gewalt geschieht für die Person des Herrn einerseits und des mit dem Amt begnadeten Beamten andererseits, nicht im Dienst „sachlicher“ Aufgaben. –
Die Patrimonialbeamten finden ihre typische materielle Versorgung ursprünglich, wie jeder Hausgenosse, am Herrentisch und aus der Herrenkammer. Die Tischgemeinschaft, als urwüchsiger Bestandteil der häuslichen Gemeinschaft, hat von da aus eine weitreichende symbolische Bedeutung erlangt und weit über den Umfang ihres autochthonen Gebietes hinausgegriffen, was uns hier nicht weiter interessiert. Die Patrimonialbeamten jedenfalls, speziell ihre höchsten Chargen, haben überall sehr lange Zeit das Recht auf Spei[296]sung an der Tafel des Herren in Fällen ihrer Anwesenheit bei Hofe bewahrt, auch wenn längst die Herrentafel aufgehört hatte, für ihren Unterhalt die entscheidende Rolle zu spielen.
Jedes Ausscheiden der Beamten aus dieser intimen Gemeinschaft bedeutet naturgemäß eine Lockerung der unmittelbaren Herrengewalt. Der Herr konnte zwar den Beamten in seinem ökonomischen Entgelt völlig auf Gnade und Willkür, also ganz prekär, stellen. Aber bei einem größeren Beamtenapparat war dies nicht durchführbar, und einmal maßgebend gewordene Reglements darüber zu verletzen ist gefährlich. Aus der Versorgung im Haushalt entwickelte sich daher naturgemäß sehr früh für die Patrimonialbeamten mit eigenem Hausstand die Ausstattung mit einer „Pfründe“ oder einem „Lehen“. Wir bleiben zunächst bei der Pfründe. Dies wichtige Institut, welches in aller Regel zugleich die Einräumung eines festen „Rechts auf das Amt“, eine Appropriation also, bedeutet, hat die mannigfachsten Schicksale erfahren. Sie war zunächst – so in Ägypten, Assyrien, China – ein auf die Kammer- und Speichervorräte des Herrn (Königs oder Gottes) angewiesenes, in aller Regel lebenslängliches Naturaldeputat. Durch die Auflösung des gemeinsamen Tisches der Tempelpriester im alten Orient z. B. entstanden Naturaliendeputate, angewiesen auf die Speicher des Tempels. Diese Deputate wurden später veräußerlich und auch in Bruchteilen (z. B. Deputatsansprüche für einzelne Tage jedes Monats) Gegenstand des Verkehrs,
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[296] Max Weber beschreibt den Vorgang an anderer Stelle ausführlicher für das babylonische Reich (vgl. Weber, Agrarverhältnisse3, S. 80). Es handelt sich um urkundlich bezeugte Übertragungen (Verkauf, Veräußerung, Verpachtung) von Einkommensrechten einzelner Deputatempfänger. In einer Inschrift aus dem 17. Regierungsjahr des Darius (504 v. Chr.) findet sich die Angabe, daß ein Tempelbeamter seine Einkommensrechte an Korn, Tierhäuten und Tafelanteilen vom 8. und 16. Tage eines jeden Monats verkauft habe. Vgl. Peiser, Felix E., Keilschriftliche Acten-Stücke aus Babylonischen Städten. Von Steinen und Tafeln des Berliner Museums in Autographie, Transscription und Übersetzung. – Berlin: Wolf Peiser 1889, S. 38–41, dort auch weitere Belege für Übertragungen, jedoch ohne Tagesangaben; vgl. dazu auch die Hinweise von Josef Kohler in: Peiser, Felix, Babylonische Verträge des Berliner Museums in Autographie, Transscription und Übersetzung. Nebst einem juristischen Excurs von Josef Kohler. – Berlin: Wolf Peiser 1890, S. XXXII f.
also eine Art von naturalwirtschaftlichem Vorläufer der modernen Staatsschuldrenten. Wir wollen diese Art von Pfründen Deputatpfründen nennen. Die zweite Art der Pfründe ist die Sportelpfründe: die Anweisung auf bestimmte Sporteln, welche der Herr oder sein [297]Vertreter für Amtshandlungen zu erwarten hat. Sie schichtet den Beamten von dem Haushalt [A 698]des Herrn noch weiter ab, weil sie auf Einnahmen ruht, die noch mehr extrapatrimonialen Ursprungs sind. Diese Art von Pfründen sind schon in der Antike Gegenstand rein geschäftlicher Verwertung gewesen. Ein sehr großer Bruchteil derjenigen Priestertümer z. B., welche den Charakter eines „Amts“ besaßen (und nicht freie Berufe oder umgekehrt Erbbesitz von Geschlechtern waren), wurden in der antiken Polis im Wege der Versteigerung besetzt.
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[297] In der zeitgenössischen Literatur wurde der Kauf und Verkauf von Priesterstellen als Verfallserscheinung der hellenistischen Zeit diskutiert, aber nicht die von Weber angesprochene Form der Versteigerung, wie sie bei der Vergabe von Steuerpachten üblich war. Walter Otto revidierte seine ursprüngliche Verfallsthese durch zwei, an der kleinasiatischen Küste aufgefundene Inschriften, die den Verkauf von Priesterstellen bereits zur Zeit Alexanders d.Gr. belegten. Er kam daher zum Schluß, „in dem Handel mit Priesterstellen keine hellenistische, sondern eine altgriechische Sitte zu sehen“, was er mit Dionysos und Varro zu stützen suchte. Vgl. Otto, Walter, Kauf und Verkauf von Priestertümern bei den Griechen, in: Hermes, Band 44, 1909, S. 594–599, Zitat: S. 597 f., sowie Weber, Agrarverhältnisse3, S. 111 (dort ebenfalls mit der Ansicht, daß es sich um eine alte Sitte handele), und Weber, Die Stadt, MWG I/22-5, S. 185 mit Anm. 144 (mit Angaben zur Forschungsdiskussion der Zeit) und S. 251.
Wieweit ein faktischer Pfründenhandel in Ägypten und im antiken Orient sich entwickelt hat, ist unbekannt. Bei der herrschenden Auffassung des Amts als „Nahrung“
i
[297]A: „Nahrung“,
lag aber auch dort die Entwicklung an sich nahe. Die Pfründe konnte schließlich – dann stand sie dem „Lehen“ am nächsten – auch als Landpfründenzuweisung von Amts- oder Dienstland zur eigenen Nutzung
j
A: Nutzung,
bestehen, und dies bedeutete ebenfalls eine sehr fühlbare Verschiebung der Lage des Pfründners in der Richtung der Selbständigkeit gegenüber dem Herren. Keineswegs haben die Beamten und „Degen“ des Herrn
24
Das altgermanische Wort „thegn“ bezeichnete ursprünglich das Kind, wurde aber auch oft im übertragenen Sinn für den freien Gefolgsmann benutzt, der seinem Herrn durch Eid und Mahl zur Treue verpflichtet war. Es hat keinen semantischen Bezug zum gleichlautenden Wort für die Schlagwaffe, das vom französischen „dague“ abgeleitet ist.
die Abschichtung von der Tischgemeinschaft, welche ihnen eigne Wirtschaft und eignes ökonomisches Risiko aufbürdete, durchweg gern gesehen. Aber überwiegend drängte der Wunsch nach Begründung von Familien und nach Selbständigkeit auf ihrer Seite, auf seiten des Herrenhaushalts aber schon die Notwendigkeit, die mit wachsender Zahl der Tischgenossen in ihren [298]Ausgaben ins Ungeheure und Unkontrollierbare wachsende, und dabei allen Wechselfällen der Einnahmeschwankungen ausgesetzte Eigenwirtschaft zu entlasten, dahin. Nur war es klar, daß bei einem weltlichen Beamten mit Familie die Abschichtung sofort über die bloße lebenslängliche Appropriation der Pfründe hinaus zur erblichen Appropriation drängte. Soweit diese in der Form des Lehens erfolgte, werden wir diesen Prozeß in einem andern Zusammenhang erörtern
k
[298] In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber an: 1) Vgl. unten Kap. 730. (Anm. d. Herausgeb.)
.
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[298] Siehe unten, S. 388–390, 397–411. Die Bezugsstelle findet sich im nachfolgenden Text „Feudalismus“, worauf auch die Erstherausgeber hinwiesen (vgl. textkritische Anm. k), und nicht – wie die Verweisformulierung nahelegt – in einem anderen Werk.
Auf dem Boden der Pfründe spielte er sich besonders in den ersten Zeiten des patrimonialbürokratischen modernen Staats ab. Und zwar über die ganze damalige Welt hin, am stärksten aber bei der päpstlichen Kurie, in Frankreich und – infolge der geringen Beamtenzahl in geringem Maße – in England. Es handelte sich dabei durchweg um Sportelpfründen, mit welchen persönlich Vertraute oder Günstlinge mit der Erlaubnis, einen mehr oder minder proletarisch gestalteten Vertreter, der die wirkliche Arbeit tat, zu bestellen, ausgestattet oder welche gegen feste Pachten oder Pauschalsummen an Reflektanten vergeben wurden. Dabei wurde die Pfründe ein patrimonialer Besitz des Pächters oder Käufers und die mannigfachsten Übergänge
l
A: Übungen
bis zur Erblichkeit und Veräußerlichkeit finden sich. Zunächst so, daß der Beamte gegen eine Abfindungssumme eines Reflektanten auf seine Pfründe verzichtet, dabei aber dem Herrn gegenüber, da er jene ja gegen Entgelt gepachtet bzw. gekauft hat, das Recht in Anspruch nimmt, ihm den Nachfolger vorzuschlagen. Oder das Beamtengremium als Ganzes, z. B. ein Gerichtskollegium, nimmt das Recht dieses Vorschlages in Anspruch und regelt dann im gemeinsamen Interesse der Kollegen die Bedingungen der Abtretung an einen andern. Natürlich aber wünschte der Herr, der die Pfründe doch vergeben und ursprünglich nie lebenslänglich vergeben hatte, an dem Gewinn dieser Ämterabtretung irgendwie beteiligt zu bleiben und suchte auch seinerseits Grundsätze für sie aufzustellen. Das Resultat sah sehr verschieden aus. Für die Kurie ebenso wie für die Fürsten wurde der Ämterhandel, also die Kapitalisa[299]tion der Sportelchancen durch massenhafte Schaffung von Sportelpfründen als Sinekuren, eine höchst wichtige Finanzoperation zur Deckung ihres außerordentlichen Bedarfs. Im Kirchenstaat rührten die Vermögen der „Nepoten“ zu einem erheblichen Teil aus der Ausbeutung von Sportelpfründen her. In Frankreich ergriff die faktische Erblichkeit und der Handel mit den Pfründen von den Parlamenten (höchsten Gerichtsbehörden)
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[299] Neben dem höchsten Gerichtshof (parlement) in Paris hatten sich bis zum Ende des Ancien régime in 13 Provinzen weitere oberste Gerichtshöfe etabliert. Mitte des 14. Jahrhunderts setzte sich – ausgehend von Paris – die Käuflichkeit der Parlamentssitze durch. Die Abgaben an die Parlamentsräte hießen „épices“, da es sich zunächst um Gewürze und Süßigkeiten handelte. Im 15. Jahrhundert entwickelten sie sich zu Gerichtssporteln. Vgl. Holtzmann, Robert, Französische Verfassungsgeschichte von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis zur Revolution. – München, Berlin: R. Oldenbourg 1910, S. 238 f. und 335–339 (hinfort: Holtzmann, Französische Verfassungsgeschichte); in der nachfolgenden Passage (bis S. 300) stützt sich Max Weber auf die Darstellung von Holtzmann.
aus
m
[299]A: aus,
alle Staffeln des Beamtentums, Finanz- ebenso wie Verwaltungsbeamte bis zu den prévôts
n
A: prévots
und baillis.
27
Die Ämterkäuflichkeit setzte sich – so Holtzmann – in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts „bei den Baillis und Prévôts, bei den Leutnants der Baillis und bei allen Finanzbeamten der Krone“ durch (ebd., S. 342). Prévôts und Baillis waren königliche Beamte der Lokalverwaltung, letztere mit zeitlich begrenzten Kontrollfunktionen. Ursprünglich übten sie ähnliche Funktionen wie die Königsboten der Karolinger aus und standen in einem direkten Dienstverhältnis zum König.
Der resignierende Beamte verkaufte seine Pfründe an den Nachfolger. Die Erben eines verstorbenen Beamten nahmen das gleiche Recht (survivance)
28
Die „survivance“ (eigentl.: Relikt, Überbleibsel) war eine Gnadenverleihung des Königs an einzelne Räte oder Beamte, die deren Erben das Recht zusicherte, die Stelle des Amtsinhabers ebenfalls verkaufen zu dürfen. Sie entband den Amtsinhaber zugleich von einer frühzeitigen Amtsniederlegung, um die Nachfolge zu sichern (ebd., S. 342 f.).
in Anspruch, da das Amt ein Vermögensobjekt geworden war. 1567 wurde nach allerhand vergeblichen Versuchen der [A 699]Abstellung die königliche Kasse durch Zahlung einer festen Summe (droit de résignation)
o
A: resignation)
durch den Nachfolger finanziell am Geschäft beteiligt,
29
Weber meint hier eine Verordnung von Karl IX. über die „Gebühr für die Amtsniederlegung“ (droit de résignation), die bei Holtzmann, ebd., S. 343, erwähnt wird.
1604 aber in Gestalt der nach ihrem Erfinder Charles Paulet so genannten „Paulette“
30
Die „Paulette“ war eine vom Amtsinhaber jährlich zu leistende Abgabe an den Pächter der Krone zur Sicherung der Stelle für seinen Erben. Diese galt für die königlichen Justiz- und Finanzbeamten, d. h. auch für die Parlamentsmitglieder. Eingeführt wurde [300]sie im Dezember 1604 auf Vorschlag von Charles Paulet, dem Sekretär Heinrichs IV., durch eine Verfügung des königlichen Rats. Vgl. ebd., S. 343.
das Ganze in ein [300]System gebracht. Die survivance wurde anerkannt, das droit de résignation
p
[300]A: resignation
der Krone bedeutend reduziert, dagegen hatte der Beamte jährlich 1% des Kaufpreises des Amtes an die Krone zu zahlen, und die Erträge wurden ihrerseits von der Krone jährlich verpachtet (zuerst an Paulet).
31
Die Angaben stützen sich auf Holtzmann (ebd., S. 343 f.), der ebenfalls erwähnt, daß Paulet eine jährliche Pachtsumme von 900.000 Livres an die Krone abführen konnte.
Steigende Sportelchancen der Beamten bedingten steigende Kaufwerte der Pfründen, diese steigende Gewinnste des Pächters und der Krone. Die Folge dieser Appropriation des Amts aber war die faktische Unabsetzbarkeit der betreffenden Beamten (vor allem: der Parlamentsmitglieder). Denn um ihn abzusetzen, mußte ihm der Kaufwert der Pfründe zurückerstattet werden, und dazu entschloß sich die Krone nicht leicht. Erst die Revolution beseitigte die Amtsappropriation am 4. August 1789 radikal und hatte dafür über 16 Milliarde zu zahlen.
32
Der Sachverhalt wird bei Holtzmann (ebd., S. 344) geschildert, aber ohne Angabe der von Max Weber genannten Summe.
Der König dagegen konnte durch die Parlamente, wenn er ihnen
q
A: ihm
seinen Willen aufzwingen wollte, äußersten Falles durch Generalstreik (Massen-Demission, die ihn zur Rückzahlung des gesamten Kaufwerts der betreffenden Pfründen genötigt hätte) lahm gelegt werden, wie dies auch bis zur Revolution wiederholt geschehen ist.
33
Zu diesem Mittel griff das Pariser Parlament gelegentlich im 18. Jahrhundert, z. B. unter Ludwig XV. im Dezember 1770, allerdings ohne bleibenden Erfolg, wie Weber weiter unten, S. 310 f., ausführt. Vgl. auch Holtzmann, ebd., S. 350, 353.
Appropriierte Pfründen waren eine der wichtigsten Grundlagen der in Frankreich so wichtigen „Noblesse de robe“, einer ständischen Gruppe, die zu den Führern des „tiers état“ gegen König und Grund- oder Hofadel gehörte.
34
Die „noblesse de robe“ war „eine Amtsaristokratie (altbürgerlichen Standes)“, so Holtzmann, ebd., S. 351. Sie stand Mitte des 17. Jahrhunderts als treibende Kraft der Parlamente gegen das Königtum auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Sie galt, da sie nicht dem alten Geburtsadel („noblesse de race“) angehörte, als Teil des dritten Standes und übernahm eine Führungsrolle im Vorfeld der Revolution (ebd., S. 355 f., 484).
Dem Schwerpunkt nach
r
r–r(bis S. 308: zu schädigen.) Petitdruck in A.
ist die Ausstattung der christlichen Geistlichkeit im Mittelalter in dieser Art durch Land- und Sportelpfründen beschafft worden. Das Ursprüngliche, seit überhaupt eine [301]ökonomische Sicherstellung des Kirchendienstes nach Art eines „Berufs“ nötig geworden war, bildete ihre Versorgung aus den durch Opfer dargebotenen Mitteln der Gemeinde, verbunden mit völliger persönlicher Abhängigkeit des Klerus vom Bischof, der über jene Mittel verfügte. Dies war in der alten Kirche auf dem Boden der Städte, der damaligen Träger des Christentums, die normale Form. Also eine – neben andren Besonderheiten – patriarchal abgewandelte Form der Bürokratie. Im Okzident schwand der städtische Charakter der Religion, und das Christentum breitete sich auf das in der Naturalwirtschaft steckende flache Land mit aus. Die Stadtsässigkeit der Bischöfe hört teilweise, im Norden, auf.
35
[301] Die Stadtsässigkeit der Bischöfe war auf altkirchlichem Gebiet beheimatet, wo jede Stadt ihren Bischof hatte. Das stadtreiche Italien hatte daher viele Bistümer, das fränkische Reich, Deutschland und Britannien nur wenige. Die „geistliche Versorgung“ wurde deshalb durch Wanderbischöfe (meist iroschottische Mönche) und Chorbischöfe gewährleistet. Letztere finden sich im Frankenreich im 8. und 9. Jahrhundert, lebten teilweise auf dem Land und galten als Gehilfen der stadtsässigen Bischöfe. Vgl. Heussi, Karl, Kirchliche Beamte, geschichtlich, in: RGG1, Band 1, 1909, Sp. 985–992, Zitat: Sp. 988 f.
Die Kirchen werden zum erheblichen Teil „Eigenkirchen“,
36
Die Entstehung des Eigenkirchenwesens (zum Begriff „Eigenkirche“ vgl. den Glossar-Eintrag, unten, S. 787) beruhte nach Ansicht von Ulrich Stutz, der den Begriff eingeführt hatte, auf der Tatsache, daß in „germanischer Zeit auf dem kirchlichen Gebiet“ die Städte „den dominirenden Einfluß“ verloren und „das platte Land […] die Führung“ übernommen habe. Das Ende der „unbestrittenen Vorherrschaft der Stadtkirche im engern Sinn, d. h. der Kathedrale“ habe die für das Eigenkirchenwesen charakteristische „Dezentralisation in einer Rechts- und Wirthschaftsordnung“ vorbereitet, „die die Städte ignorirte“. Vgl. Stutz, Ulrich, Geschichte des kirchlichen Benefizialwesens von seinen Anfängen bis auf die Zeit Alexanders III., Band 1,1, 3. Aufl. – Berlin: H. W. Müller 1895, S. 326.
sei es der Bauerngemeinde, sei es der Grundherren, die Geistlichen nicht selten Hörige des Letzteren. Und auch die rücksichtsvollere Form der Ausstattung der Kirchen mit festen Renten oder mit Pfarrhufen durch deren weltliche Erbauer und Eigentümer bedingte, daß diese auch das Einsetzungs- und selbst Absetzungsrecht der Pfarrer beanspruchten, bedeutete also naturgemäß eine tiefgehende Schwächung der Herrengewalt des Bischofs und außerdem ein starkes Abflauen der religiösen Interessen bei der Geistlichkeit selbst. Die Bischöfe suchten schon im Frankenreich, aber meist vergebens, durch Herstellung des gemeinsamen Lebens wenigstens die Kapitelgeistlichkeit vor der Verpfründung zu bewahren.
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Die Übertragung des monastischen Ideals des „gemeinsamen Lebens“ (vita communis) auf Kleriker geht in fränkischer Zeit auf den Bischof Chrodegang von Metz [302](† 766) zurück. Er verpflichtete den Metzer Kathedralklerus auf die Ideale des Gemeinbesitzes und der Gesinnungsgemeinschaft, die die Annahme mehrerer Benefizien ausschloß. In einer durch Amalar von Metz überarbeiteten Form wurde die Regel auf der Aachener Synode von 817 allen Domkapiteln und Kollegiatkapiteln des Reiches vorgeschrieben. Mit der Auflösung der „vita communis“ der Kapitel in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts kam es zur Auflösung der Einheit von Amt und Pfründe und wurde mit der Aufteilung des Kapitelvermögens in individuelle Benefizien die Pfründenkumulation des Klerus begünstigt.
Die Klosterreformationen hatten den Kampf gegen den [302]Ersatz des Klosterkommunismus durch die – für die orientalische Kirche ganz typische – Verwandlung der Mönche in (oft aushäusig wohnende) Pfründner
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Max Weber meint hier die in der griechischen Kirche im 11. und 12. Jahrhundert vorkommende Pfründenausstattung von Adeligen, das sog. Adelphaton. Vgl. dazu auch unten, S. 429 mit Anm. 25.
und der Klöster selbst in Versorgungsanstalten des Adels stets aufs Neue zu führen. Dagegen die Präbendalisierung der geistlichen Stellen konnte er
s
[302] Gemeint ist: der Bischof
nicht hindern. Die Bischofssprengel des Nordens, zumal wo man wirklich an der städtischen Residenz festhielt, waren im Gegensatz zum Süden, wo jede der zahlreichen Städte ihren Bischof hatte, sehr groß und bedurften der Teilung. Die Entstehung der Kirchen und ihre Einnahmequellen aus Eigenkirchen hinderten,
t
A: hinderte,
mochten auch allmählich die kanonischen Zustände durchzusetzen versucht werden, doch eine Behandlung der Unterhaltsmittel als freien Amtsvermögens in der Hand des Bischofs. Mit der Parochie entstand die Pfründe.
39
Die Ausbreitung des Christentums auf dem Land führte zu einer Unterteilung der Bistumssprengel in Pfarreien (parochiae), ein Prozeß der im fränkischen Reich hauptsächlich im 8. und 9. Jahrhundert vollzogen wurde und mit der Entwicklung des Eigenkirchenwesens einherging. Unter den Karolingern wurde die materielle Versorgung der Priester geregelt und sichergestellt: „Anstelle des willkürlich angesetzten stipendium“ erhielten sie „jetzt die Kirche und ihr Zubehör als beneficium oder Pfründe“. Vgl. Werminghoff, Albert, Verfassungsgeschichte der deutschen Kirche im Mittelalter (Grundriß der Geschichtswissenschaft, Band 2, Abschnitt 6). – Leipzig: B. G. Teubner 1907, S. 18 f., Zitate: S. 19 (hinfort: Werminghoff, Verfassungsgeschichte).
Nur teilweise verleiht sie der Bischof. Die Pfründenbestellung und das Pfründenvermögen waren im okzidentalen Missionsgebiet durch mächtige weltliche Stifter beschafft,
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Eigenkirchenherren oder „laikale Grundherren“ – wie Werminghoff sie nannte – waren „vornehmlich der König, die weltlichen Großen, aber auch kirchliche Anstalten[,] wie z. B. Kollegiatstifter und Klöster.“ (ebd., S. 19).
welche den Grundbesitz, der Substanz nach, in der eigenen Hand behalten wollten. Das Gleiche galt für die Stellung der von den, die Kirche akzeptierenden und ordnenden, weltli[303]chen Herrschern zunächst fast ganz frei eingesetzten und als wichtige Vertrauensmänner mit politischen Rechten beliehenen Bischöfe selbst gegenüber den Primatansprüchen der Zentralgewalt. Die Entwicklung der Kirchenhierarchie glitt so in die Bahn einer Dezentralisierung, zugleich aber einer Appropriation der Patronage und damit einer Unterwerfung der Kirchenbeamten unter die Macht der weltlichen Herren, deren präbendale Haus[A 700]priester oder feudale Gefolgsleute jene zu werden begannen. Keineswegs nur feudale Fürsten waren es, welche die Schriftgelehrten, dabei aus den Banden der Sippe losgelösten Kleriker als billige und qualifizierte Arbeitskräfte, in deren Hand eine erbliche Appropriation des Amts nicht zu befürchten stand, begehrten. Auch die überseeische Verwaltung Venedigs z. B. lag in den Händen von Kirchen und Klöstern, bis zum Investiturstreit, der in der Schaffung der städtischen Bürokratie Epoche machte, weil nun, infolge der Trennung von Staat und Kirche, der Treueid der Geistlichen, die Wahlinitiative, Wahlkontrolle, Wahlbestätigung und Investitur durch den Dogen fortfiel.
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[303] Venedigs Investiturstreit fand nach der Darstellung des Historikers Heinrich Kretschmayr in der Mitte des 12. Jahrhunderts statt. Der Doge Domenico Morosini (1148–1156) verzichtete auf unmittelbare Einflußnahme bei geistlichen Wahlen, Wahlbestätigung sowie Belehnung mit Ring und Stab. Die Entmachtung der Geistlichkeit erfolgte zugunsten des kapitalkräftigen Patriziats und der von ihm geschaffenen Behördenorganisation. In den venezianischen Kolonien Tyrus und Akkon legt die Erwähnung von Regierungsbeamten für die Jahre 1170 bzw. 1176 die bereits vollzogene Ablösung der kirchlichen Gewalten nahe. Vgl. Weber, Die Stadt, MWG I/22-5, S. 157 mit Anm. 45, sowie Kretschmayr, Venedig I (wie oben, S. 224 f., Anm. 37), S. 246 f., 338 f., 368 f.
Die Kirchen und Klöster hatten bis dahin die Kolonien entweder direkt gepachtet und verwaltet oder doch faktisch den Mittelpunkt der Niederlassung gebildet, als Schiedsrichter nach innen, Interessenvertreter nach außen fungiert. Die deutsche Reichsverwaltung der salischen Kaiser und deren politische Machtstellung ruhte vornehmlich auf der Verfügung über das Kirchengut und speziell auf der Obödienz der Bischöfe. Gegen diese Ausnutzung der geistlichen Pfründen für weltliche Zwecke richtete sich ebenso die bekannte Reaktion der gregorianischen Epoche.
42
Gemeint ist die Reformbewegung des 11. Jahrhunderts, die mit dem Investiturstreit zwischen Papst Gregor VII. (vgl. den Eintrag im Personenverzeichnis, unten, S. 764) und Heinrich IV. einen Höhepunkt (1076/77) erreichte.
Ihr Erfolg war bedeutend, aber nur ein höchst begrenzter. Zunehmend zwar bemächtigten sich die Päpste der eignen Verfügung über erledigte Pfründen, ein Prozeß, der zu Anfang des 14. [304]Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreichte.
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[304] Insbesondere die Päpste Clemens IV. (1265–1268), Johannes XXII. (1316–1334) und Benedikt XII. (1334–1342) erließen Verordnungen, nach denen vakant gewordene Bistümer und Ämter samt ihrer materiellen Ausstattung eingezogen werden durften und die Vergabe ausschließlich dem Papst vorbehalten wurde. Dies betraf auch – wie es 1317 hieß – „alle mit Seelsorge verbundenen Benefizien, die widerrechtlich zu mehreren in der Hand eines Inhabers seien“. Die Folge dieser Verordnungen sei – so der Kirchenhistoriker Werminghoff – „ein Schacher um kleinste wie größte Pfründen an der Kurie“ gewesen. Vgl. Werminghoff, Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 302, Anm. 39), S. 70.
Damals wurde die Pfründe einer der Gegenstände des „Kulturkampfs“ des 14. und 15. Jahrhunderts. Denn die geistliche Pfründe stellte den Grundstock derjenigen Güter dar, welche im Mittelalter überhaupt Zwecken der „Geisteskultur“ dienten. Zumal im späteren Mittelalter bis zur Reformation und Gegenreformation entwickelte sie sich zur materiellen Basis für die Existenz derjenigen Klasse, welche damals deren Träger war. Denn indem die Päpste die Universitäten mit der Verfügung über Pfründen ausstatteten,
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Wenn auch die Mehrzahl der mittelalterlichen Universitäten durch weltliche Institutionen oder Personen gestiftet worden war, wurde ihre Ausstattung und fortdauernde finanzielle Sicherung doch auf die Grundlage kirchlicher Pfründen gestellt. Diese waren formell einer benachbarten Kollegiatskirche zugehörig, zu deren Pfründnern die damit regelmäßig besoldeten Professoren der Universität durch päpstliches Privileg bestellt wurden. Vgl. Paulsen, Friedrich, Die Gründung der deutschen Universitäten im Mittelalter, in: HZ, Band 45, 1881, S. 251–311, hier: S. 258 ff., sowie Denifle, Heinrich, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400. – Berlin: Weidmann 1885, bes. S. 313, 779, 793.
außerdem aber ihrerseits massenhaft solche an persönliche Günstlinge, darunter aber speziell auch Gelehrte unter Entbindung von der eigenen Wahrnehmung der Amtspflichten verliehen, ermöglichten sie die Entstehung jener spezifischen mittelalterlichen Intellektuellenschicht, welche neben den Mönchen den erheblichsten Anteil an der Erhaltung und Entwicklung wissenschaftlicher Arbeit hatte. Sie schufen aber zugleich, durch rücksichtslose Ignorierung der nationalen Unterschiede bei der Pfründenverleihung, jenen heftigen nationalistischen Widerstand der Intellektuellen, namentlich der nordischen Länder gegen Rom, welcher einen so starken Einschlag in der konziliaren Bewegung bildete.
45
Die sog. „konziliare Bewegung“ wurde insbesondere von Frankreich und England getragen und fand ihren Niederschlag in den Reformkonzilien von Pisa, Konstanz und Basel in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Das Konstanzer Konzil behauptete 1415 die Suprematie der Konzile über den Papst und setzte den als nicht rechtmäßig [305]anerkannten Papst Johannes (XXIII.) ab. Der neue Papst Martinus V. schloß 1418 mit den drei „nationes“ (der deutschen, englischen, romanischen) ein Konkordat, das auch die Besetzung der Kirchen und kirchlichen Pfründen durch den Papst regelte. Das Konstanzer Konzil war das erste, das in Analogie zur Pariser Universität nach „nationes“ zusammentrat und vor allem durch deren führende Theologen Pierre d'Ailli und Jean Gerson geprägt wurde. (Vgl. Werminghoff, Albert, Reformkonzile, in: RGG1, Band 4, 1913, Sp. 2129–2134). Daß die Pfründenpraxis der Päpste „den Widerspruch der Nationen während der Refomkonzilien“ hervorgerufen habe, behauptete Werminghoff, Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 302, Anm. 39), S. 72. – Auf diesen Zusammenhang wies Max Weber in seinem Diskussionsbeitrag zum Vortrag von Paul Barth auf dem Zweiten Deutschen Soziologentag am 21. Oktober 1912 hin. Vgl. Weber, Max, Diskussionsbeitrag, in: Verhandlungen des Zweiten Deutschen Soziologentages vom 20.–22. Oktober 1912 in Berlin. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1913, S. 49–52 (MWG I/12), bes. S. 52.
Vor allem aber bemächtigten sich trotz der kanoni[305]schen Verbote stets erneut Könige und Barone der Verfügung über geistliche Pfründen. In größtem Maßstabe die englischen Könige seit dem 13. Jahrhundert.
46
Im folgenden stützt sich Max Weber auf die Ausführungen von Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 249 ff., über den englischen König „in seiner Eigenschaft als Eigenkirchenherr“ (ebd., S. 249).
Vor allen Dingen, um sich billige und zuverlässige Arbeitskräfte für ihre Büros zu sichern und sich von dem Angewiesensein auf die Ministerialen, deren Dienste an erblich appropriiertem Dienstland hafteten, stereotypiert und für eine rationale Zentralverwaltung unbrauchbar waren, zu befreien. Ein eheloser Kleriker war billiger als ein Beamter, welcher eine Familie zu unterhalten hat. Und er kommt ferner nicht in die Lage, nach erblicher Appropriation seiner Pfründe zu streben. Kraft seiner Gewalt über die Kirche, die hier ihre sehr materielle Bedeutung hatte, verschaffte der König den Klerikern, die so massenhaft an die Stelle des älteren Beamtentypus traten, daß noch heute der Name der ständigen Beamten (clerc) daran erinnert, Pensionen (corrodia)
u
[305]A: (collatio)
aus Kirchengut.
47
„Corrodia“ (Singular: corrodium, von lat. conrado, corrado: „zusammenkratzen“, „aufbringen“) ist ein Begriff des mittelalterlichen englischen Rechts, der ursprünglich die Unterhaltsverpflichtung des Vasallen gegenüber seinem Herrn bezeichnete. Hier sind damit – in enger Anlehnung an Hatschek, ebd., S. 249 – die Unterhaltsleistungen oder Pensionen gemeint, die der König in seiner Funktion als Eigenkirchenherr von den Kathedral- oder Stiftskirchen für die von ihm beschäftigten „Beamtenkleriker“ verlangen konnte. Der in der Erstausgabe überlieferte Begriff „collatio“, der im Kirchenrecht die Amtsübertragung meint, wurde daher emendiert. Bei Hatschek (ebd., S. 250) findet sich auch der Hinweis auf den „heutigen englischen Sprachgebrauch“ von „clerk (= clericus)“, bei Weber „clerc“.
Die Macht der großen Barone brachten eigene oder dem Kö[306]nig abgenötigte Verfügungen über massenhafte Pfründen in deren Hand. Ein umfangreicher Pfründenhandel (brocage)
48
[306] Hatschek beschreibt das Problem des „Ämterkauf[s]“ bzw. „Ämterhandel[s]“ (brocage) und weist darauf hin, daß es bereits Ende des 14. Jahrhunderts Versuche zu dessen Eindämmung gegeben hätte (ebd., S. 251–254).
begann. Daher die wachsenden Frontstellungen im Kampf der Beteiligten:
v
[306]A: beteiligten:
Kurie, König, Barone[,] um die Pfründen in der Zeit des Konziliarismus. Bald stehen König und Parlament in der Monopolisierung der Pfründen für die einheimischen Verfügungsberechtigten und Anwärter dem Papst gegenüber, bald verständigt sich der König mit dem Papst zu beiderseitigem Vorteil auf Kosten der einheimischen Interessenten. Vor allem aber ist die Präbendalisierung der geistlichen Ämter als solche durch die Päpste nicht angetastet worden. Auch die tridentinische Reform hat an der Präbendalisierung der Masse der geistlichen Stellen, speziell der regulären Parochialgeistlichen und das heißt an einem begrenzten[,] aber doch fühlbaren „Recht auf das Amt“ auf deren Seite[,] nicht rütteln können.
49
Das Konzil von Trient (1545–1563) erließ Reformdekrete betreffend die Häufung von Pfründen (Sessio VII vom 3. März 1551), zur Besetzung von Pfarreien und zur Neuordnung der Pfarrbezirke (Sessio XXIV vom 11. Nov. 1563). Damit versuchte das Tridentinum, die seit der Merowingerzeit sich verstärkende Verselbständigung der Parochialgeistlichen zu unterbinden. Diese hatten als Geistliche der Hauptkirchen in ländlichen Sprengeln nicht nur das Aufsichtsrecht über die anderen Landgeistlichen, sondern verwalteten auch die Pfründen bzw. Pfarreinkommen zunehmend ohne Zustimmung des Bischofs, da sie diese im Laufe der Zeit als selbständiges Eigentum erworben hatten.
Und die Säkularisationen der Neuzeit in Verbindung mit der Übernahme der ökonomischen Lasten für die Kirche und ihre Beamten auf das Staatsbudget legte diese erst recht fest. Erst die „Kulturkämpfe“ und namentlich die „Trennung von Staat und Kirche“ gaben
w
A: gab
der hierarchischen Gewalt Möglichkeit und Anlaß, ihr Streben nach Beseitigung des „Rechts am Amt“, nach Ersetzung der Präbendalisierung durch „ad nutum
x
A: notam
amovible“
50
Der lateinisch-französische Ausdruck „auf Befehl abrufbar“ bezeichnet die im französischen Konkordat von 1801 für Frankreich, Belgien, Holland und das linke Rheinufer festgelegte Art der Einsetzung der als „Desservants“ bezeichneten Kleriker. Diese standen keinem festen oder nur einem zeitweilig vakanten Pfarrsprengel vor, erhielten statt einer Pfründe nur ein geringes Gehalt und konnten vom Bischof jederzeit von ihrer Funktion abberufen werden. Vgl. Sägmüller, Johannes Baptist, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl. – Freiburg i. Br.: Herder 1909, S. 246 (hinfort; Sägmüller, Katholisches Kirchenrecht). Die Verschreibung der Erstausgabe „ad notam“ wurde emendiert.
Kirchenbedienstete in der ganzen Welt in stei[307]gendem Maße durchzusetzen – eine der ohne allen Lärm sich vollziehenden, aber wichtigsten Verschiebungen der Kirchenverfassung.
Der Pfründenhandel ist im wesentlichen auf die Sportelpfründe beschränkt, also Produkt eindringender Geldwirtschaft mit ihren Folgen: Anwachsen der Geldsporteln und steigende Möglichkeit und Neigung, sie zu einer Vermögensanlage zu [A 701]machen, ist durch die Bildung von Geldvermögen bedingt. Eine Entwicklung des Pfründenhandels von dem Umfang und der Art des späteren Mittelalters und namentlich der beginnenden Neuzeit – 16.–18. Jahrhundert – haben andere Epochen nicht gekannt. Wohl aber waren prinzipiell gleichartige Vorgänge sehr verbreitet. Die immerhin bedeutenden Ansätze in der Antike wurden schon besprochen.
51
[307] Siehe oben, S. 296–299.
In China war die Amtspfründe infolge der noch zu besprechenden Eigenart
52
Siehe unten, S. 326–335.
der dortigen Amtsverfassung nicht appropriiert, daher auch nicht formell käuflich.
53
In China wurden die Staatsämter seit der Han-Dynastie (206 v. Chr.–220 n. Chr.) entsprechend dem durch Prüfungen erreichten Grad zugeteilt, in Zeiten finanzieller Engpässe verkaufte die Regierung Lizentiaten- oder Doktorgrade, um dadurch die Staatskasse aufzufüllen. Dies geschah, wie Édouard Biot, Essai (wie oben, S. 205, Anm. 92), S. 534, berichtet, besonders häufig unter der Ming-Dynastie (1368–1644) und seit Beginn des 19. Jahrhunderts auch unter der Qing-Dynastie (1644–1912).
Die Erlangung eines Amts war freilich auch dort meist nur durch Geld – aber in Form der Bestechung – möglich. Mit Ausnahme des eigentlichen formell zugelassenen Pfründenhandels ist dagegen im übrigen die Pfründe eine universelle Erscheinung. In prinzipiell gleicher Art wie im Okzident ist insbesondre Pfründenversorgung das Ziel des Studiums und der akademischen oder anderweiten Grade in China und im Orient. Die charakteristische Strafe für politisches Übelverhalten in China: Einstellung der Examina in einer Provinz
54
Per kaiserlichem Dekret wurden z. B. 1766 die Söhne von Aufständischen der Präfektur Ningbo in der Provinz Zhejiang von der Zulassung zur ersten Staatsprüfung ausgeschlossen. Kurz darauf wurde diese Bestimmung für dauerhaft erklärt. Dieses Beispiel erwähnte Zi, Examens littéraires (wie oben, S. 59 f., Anm. 64), S. 25, 249. Nach der Niederschlagung des Boxeraufstandes hieß es im Entwurf der Friedensbedingungen: „Wo Ausschreitungen stattgefunden haben, sollen die Examina auf fünf Jahre aufgehoben werden (eine altchinesische Weise der Demütigung).“ Zitiert nach Hermann, Chinesische Geschichte (wie oben, S. 59, Anm. 62), S. 431. Vgl. auch den von Weber erwähnten Fall in: Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 301 mit Anm. 58.
und also zeitweiliger Ausschluß ihrer Intellektuellen[308]schicht von den Amtspfründen[,] bringt dies am plastischsten zum Ausdruck. Und auch die Tendenz zur Pfründenappropriation findet sich überall, nur mit verschiedenem Resultat. Namentlich wirkt ihr nicht selten das eigne Interesse der qualifizierten Pfründenanwärter wirksam entgegen. Die Pfründe der islamischen „Ulema“,
y
[308] A: „Ulemas“
57
Zur Emendation vgl. die Erläuterung, oben, S. 290, Anm. 13.
Komma fehlt in A; sinngemäß ergänzt.
d. h. des Standes der geprüften Aspiranten auf die Ämter des Kadi (Richter)
z
A: Kadi-(Richter-)
, Mufti (durch „Fetwa“ respondierender geistlicher Jurist) und Imam (Priester), wurde z. B. vielfach nur auf kurze Zeit (1–1½ Jahre) verliehen,
55
[308] Die genannten Amtsfristen sind nur für die Richter (Kadis) der kleineren Städte des Osmanischen Reiches belegt. Die Kandidaten wählten – nach Joseph von Hammer – die Statthalterschaft, in der sie arbeiten wollten, wurden dann auf sechs Monate zu „Expectanten“ ernannt und erhielten daraufhin erst eine Richterstelle auf 18 Monate. Dies entspräche den Angaben Max Webers von anderthalb Jahren. Die Muftis wurden hingegen lebenslänglich ernannt. Die Imame oder Vorbeter waren in kleineren Städten oft mit den Kadis identisch und dürften daher auch sonst an gleiche Amtsfristen gebunden gewesen sein. Vgl. v. Hammer, Osmanisches Reich II (wie oben, S. 36, Anm. 43). S. 372 ff., Zitat: S. 386.
um ihren Besitz unter den Anwärtern reihum
a
A: Reihum
gehen lassen zu können und auch um den Gemeingeist nicht zugunsten von Appropriationsgelüsten der Einzelnen zu schädigen.
r
r(ab S. 300: Dem Schwerpunkt nach)r Petitdruck in A.
Zu den ständigen, normalen Bezügen des patrimonialen Beamten: Deputat, eventuell Landrente und Sporteln[,] treten noch, unstet ihrer Natur nach, die Geschenke seines Herrn bei besonderen Verdiensten oder außergewöhnlich guter Laune des letzteren. Der Thesauros, Hort, Schatz des Herrn, in natura aufgespeicherte Edelmetall-, Schmuck- und Waffenvorräte und eventuell seine Gestüte liefern das Material dafür. Vor allem aber die Edelmetalle. Weil von der Möglichkeit, die konkreten Verdienste der Beamten zu lohnen, deren guter Wille abhängig war, so war überall der Besitz des „Hortes“ die unentbehrliche Grundlage der patrimonialen Herrschaftsgewalt. In dem Rotwälsch der Skaldenkunstsprache wird der König durch den Decknamen „Ringebrecher“ bezeichnet.
56
Die Skalden (von altnord. skáld) waren Verfasser von Preis- und Schmähgedichten in Norwegen und Island, besonders in der Zeit vom 9. bis zum 11. Jahrhundert. Die in ihren Werken nachgewiesene Bezeichnung der Könige als hring-brjótr („Ringebrecher“) verweist auf den Brauch der Monarchen, ihre Zahlungen mit Bruchstücken von Goldringen abzuleisten. Vgl. Grimm, Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, bearb. von Moritz Heyne, Band 8. – Leipzig: S. Hirzel 1893, Sp. 984.
Der Gewinn [309]oder Verlust des Hortes entscheidet oft Prätendentenkriege, denn gerade inmitten der Herrschaft der Naturalwirtschaft bedeutet ein Edelmetallschatz eine nur um so größere Macht. Wir werden auf die ökonomischen Zusammenhänge, welche dadurch bedingt sind, späterhin noch einzugehen haben.
58
[309] Siehe den Text „Feudalismus“, unten, S. 421 f.
Jede präbendale Dezentralisation der patrimonialen Verwaltung, jede durch die Verteilung der Sportelchancen unter die Konkurrenten bedingte Fixierung der Kompetenzen, jede Pfründenappropriation vollends bedeutet im Patrimonialismus nicht eine Rationalisierung, sondern eine Stereotypierung. Insbesondre die Appropriation der Pfründe, welche die Beamten oft – wie wir sahen
59
Siehe oben, S. 295–302.
– faktisch unabsetzbar macht, kann im Effekt wie eine moderne Rechtsgarantie der „Unabhängigkeit“ der Richter wirken, obwohl sie ihrem Sinn nach etwas völlig andres ist: Schutz des Rechts des Beamten auf sein Amt, während man im modernen Beamtenrecht durch die „Unabhängigkeit“, d. h. Unabsetzbarkeit der Beamten außer durch Urteil, Rechtsgarantien für ihre Sachlichkeit im Interesse der Beherrschten erstrebte. Die rechtlich oder faktisch im appropriierten Besitz der Pfründe befindlichen Beamten konnten die Regierungsgewalt des Herren höchst fühlbar beschränken, insbesondre jeden Versuch einer Rationalisierung der Verwaltung durch Einführung einer straff disziplinierten Bürokratie vereiteln und die traditionalistische Stereotypierung der politischen Gewaltenverteilung aufrecht erhalten. Die französischen „Parlamente“, Kollegien von Amtspfründnern, in deren Hand die formale Legalisierung und teilweise auch die Ausführung königlicher Befehle lag,
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Es handelt sich um das Recht der Protokollierung der königlichen Erlasse (droit d’enregistrement) und das Recht, Verwaltungsverordnungen (arrêts de règlements) selbständig zu erlassen. Beide Befugnisse führten bereits im 14. Jahrhundert zu Konflikten zwischen Parlament und König, vor allem weil sich aus dem Registrierungsrecht das Recht zu Einwänden (droit de remontrances) entwickelte, das teilweise zur Verweigerung der Registrierung führte. Vgl. Holtzmann, Französische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 299, Anm. 26), S. 218 f. In der nachfolgenden Passage (bis S. 311) stützt sich Weber auf die Darstellung von Holtzmann.
haben Jahrhunderte lang stets erneut dem König Schach geboten und die Durchführung aller ihrem traditionellen Recht abträglichen Neuerungen vereitelt. Zwar galt im Prinzip der patrimoniale Grundsatz: daß ein Beamter seinem [310]Herren nicht widersprechen darf, auch hier. Wenn der König in Person sich in die Mitte der Amtspfründnerschaft begab („lit [A 702]de justice“)[,]
61
[310] Bezeichnung für die Sitzungen des Parlaments, die der König selbst auf einem reich geschmückten Divan („lit“) präsidierte. Durch seine Anwesenheit wurde das Parlament – entsprechend seiner historischen Wurzeln – wieder zur curia regis und seine Mitglieder zu Beratern des Herrn. Holtzmann, Französische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 299, Anm. 26), S. 219, 251.
so konnte er formell die Legalisierung jedes beliebigen Befehls erzwingen, denn in seiner Gegenwart hatte jeder Widerspruch zu schweigen, und das gleiche versuchte er durch direkte schriftliche Anweisung (lettre du jussion
b
[310]A: justice
).
62
Der ausdrückliche Befehl des Königs zur Registrierung erfolgte durch die „lettres de jussion“. Der terminus technicus ist zuerst 1694 nachgewiesen und leitet sich vom lateinischen „jussio“ ab. Die „lettres de justice“ waren dagegen Briefe des Königs, mit denen er in das Zivilrecht eingriff und Ausnahmen oder Aufschub der Gesetzesanwendung forderte (ebd., S. 350, 363 ff.). Aus diesem Grund wurde hier die im Text überlieferte Verschreibung emendiert.
Allein kraft ihres appropriierten Eigenrechts am Amt pflegten selbst dann die Parlamente sofort nachher sehr oft durch „remontrance“
63
Das bereits lange praktizierte Recht, Einwände oder Vorhaltungen (remontrances) gegen die königlichen Erlasse zu äußern, mußte Karl VIII. im Jahr 1493 den Parlamenten auch offiziell zugestehen (ebd., S. 350).
die Gültigkeit der der Tradition zuwiderlaufenden Verfügung dennoch wieder in Frage zu stellen und ihren Anspruch, selbständige Träger von Herrenmacht zu sein, nicht selten durchzusetzen. Die praktische Geltung der für diese Situation grundlegenden Pfründenappropriation freilich blieb selbstverständlich labil und von der Machtlage zwischen Herrn und Pfründeninhaber abhängig. Insbesondre auch davon, ob der Herr die finanziellen Mittel hatte, die appropriierten Pfründnerrechte abzulösen und an ihrer Stelle eine ganz von ihm persönlich abhängige Bürokratie schaffen zu können. Noch 1771 hat Louis XV. durch einen Staatsstreich versucht, das beliebte Generalstreik-Mittel der in den „Parlamenten“ sitzenden Amtspfründner: Massenkündigung des Amts, um so den König, der ja die nun zurückzuerstattenden Amtskaufsummen nicht erschwingen konnte, gefügig zu machen, zu brechen.
64
Auslöser für den nach dem Kanzler Maupeou benannten Staatsstreich war ein Edikt Ludwigs XV. vom Dezember 1770, das die Parlamentsmacht beschneiden wollte und alle gesetzgeberische Gewalt wieder dem König zusprach. Die Massendemission der Parlamentsräte wurde am 20. Januar 1771 angenommen. Verlauf und Einzelheiten der Auseinandersetzung finden sich bei Holtzmann (ebd., S. 353 f.).
Die Demission der Beamten wurde angenommen, eine [311]Rückzahlung der Kaufgelder aber fand nicht statt, die Beamten wurden als ungehorsam interniert, die Parlamente wurden aufgelöst, Ersatzbehörden auf neuer Grundlage geschaffen, die Appropriation der Ämter für die Zukunft abgeschafft. Aber dieser Versuch der Herstellung des arbiträren Patrimonialismus[,] und das hieß: des vom Herrn frei absetzbaren Beamtentums[,] schlug fehl. Gegenüber dem Sturm der Interessenten nahm 1774 Louis XVI. die Dekrete zurück, die alten Kämpfe zwischen König und Parlament lebten aufs neue auf, und erst die Einberufung der Generalstände von 1789
65
[311] Sie wurden auf Drängen der Parlamente für den 1. Mai 1789 einberufen (ebd., S. 356).
schuf eine völlig neue, sehr bald über die Privilegien der beiden kämpfenden Gewalten: des Königtums und des Amtspfründnertums, in gleicher Weise zur Tagesordnung übergehende
c
[311]A: übergehende,
Situation.
Eine spezifisch besonderte, später noch näher kasuistisch zu betrachtende Situation
66
Siehe unten, S. 343–361.
ergab sich für diejenigen Beamten, durch welche der Herr die lokale Verwaltung der einzelnen, ursprünglich meist allen Dingverbänden
67
Die fränkischen Könige übernahmen im 6. Jahrhundert die germanischen Gaubezirke, in denen sich die Rechtsgenossen zum Thing, der politischen, speziell der Gerichtsversammlung, regelmäßig getroffen hatten. An die Spitze dieser geographischen Einheiten stellten die Könige nun ihre lokalen Beamten (comites). Vgl. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte II,24 (wie oben, S. 167, Anm. 18), S. 159 ff.
entnommenen, zuweilen aber auch im Anschluß an die einzelnen großen Domänen gebildeten Verwaltungsbezirke leitete. Neben der auch hier (namentlich in Frankreich) häufigen Appropriation der Pfründen durch Kauf als Motiv
d
A: Motive
der Stereotypierung und der Abspaltung selbständiger Gewalten von der Herrenmacht, wirkte hier die unvermeidliche Rücksichtnahme auf die allgemeinen Bedingungen der Autorität eines auf solchen exponierten Posten, fern von dem Rückhalt an der persönlichen Machtgeltung des Herrn, stehenden Beamten dezentralisierend und stereotypierend ein. Nur unter dafür günstigen Verhältnissen konnte dort ein ganz und gar, ökonomisch und sozial, von Herrengunst abhängiger reiner Beamter persönliche Autorität gewinnen. Das war, im allgemeinen wenigstens, dauernd nur auf dem Boden eines so präzis funktionierenden rationalen Apparats[,] wie ihn die moderne Bürokratie mit all ihren ökonomischen und verkehrstechnischen Vor[312]aussetzungen darstellt, möglich, schon weil unter diesen Bedingungen das Fachwissen auch die Macht gibt. Unter den allgemeinen Bedingungen des Patrimonialismus, also einer Verwaltung, welche zwar an „Erfahrung“ und allenfalls an konkrete „Fertigkeiten“ (Schreiben), aber nicht an rationales „Fachwissen“ als Bedingung geknüpft ist, war dagegen für die Stellung des lokalen Beamten sein Eigengewicht an sozialer Autorität innerhalb seines lokalen Amtssprengels entscheidend, die überall in erster Linie auf ständischer Prominenz der Lebensführung zu beruhen pflegt. Die besitzende, zumal grundbesitzende, Schicht der Beherrschten kann daher leicht die lokalen Ämter monopolisieren. Wir werden davon bald näher zu reden haben.
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[312] Siehe unten, S. 346–348.
Nur bei ganz straffer Selbstregierung eines dazu spezifisch befähigten Herrn gelingt es diesem, das gerade entgegengesetzte Prinzip: Regierung durch ökonomisch und sozial völlig von ihm abhängige Besitzlose, aufrecht zu erhalten, in stetem, fast durch die ganze Geschichte patrimonialer Staaten sich hinziehenden Kampf mit den lokalen Honoratioren. Die als Interessentenkreis fest [A 703]zusammenhaltende ämterbesitzende Honoratiorenschicht ist meist auf die Dauer übermächtig gegenüber dem Herrn. Der Fall, daß Beamte sich vom Herrn in Zeiten, wo er ihrer dringend bedarf, versprechen lassen, er werde sie lebenslänglich und nach ihnen ihre Kinder im Amt lassen, kehrt über die ganze Erde hin ebenso wieder, wie im Merowingerreich.
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Die für die merowingischen Könige typische „Schwäche mächtig gewordenen Familien gegenüber, welche mit Erfolg danach strebten[,] in den einzelnen Gauen die obrigkeitlichen Rechte sich anzueignen“, zeigte sich erstmals deutlich am „Edictum Chlotarii“ (613). In diesem machte König Chlotar II. dem austrasischen und burgundischen Adel für dessen Unterstützung im Kampf gegen Brunhilde das Zugeständnis, daß die lokalen Richter und Grafen nur noch aus den in der Grafschaft ansässigen Grundherren ausgewählt werden dürften. Dieses Edikt begünstigte die sich in der Folgezeit durchsetzende Erblichkeit der Grafen- und Richterämter erheblich. Vgl. Waitz, Georg, Deutsche Verfassungsgeschichte. Die Verfassung des Fränkischen Reichs, Band 2,1, 4. Aufl. – Berlin: Weidmann 1882, S. 379.
Mit jedem Fortschritt der Appropriation der Ämter zerfällt die Herrengewalt, namentlich auch die politische, nun einerseits in ein Bündel von persönlich durch spezielle Privilegien appropriierten, höchst verschieden umgrenzten, in ihrer einmal gegebenen Umgrenzung aber für den Herrn nicht ohne gefährlichen Widerstand der Amtsinteressenten antastbaren Herrschaftsrechten Einzelner – ein [313]Gebilde also, welches starr, neuen Aufgaben nicht anpassungsfähig, der abstrakten Reglementierung unzugänglich, ein charakteristisches Gegenbild gegen die zweckvoll abstrakt geordneten und gegebenenfalls jederzeit neu zu ordnenden „Kompetenzen“ der bürokratischen Struktur darstellt. Und auf der anderen Seite steht, auf denjenigen Gebieten, wo jene Appropriation des Amtes nicht vollzogen ist, die prinzipiell ganz freie Willkür des Herrn, welche insbesondere neue, nicht in die appropriierten Befugnisse fallende Verwaltungsaufgaben und Machtstellungen, frei schaltend, persönlichen Günstlingen überträgt. Der politische „Patrimonialverband“ kann als Ganzes mehr dem stereotypierten oder mehr dem arbiträren Schema zuneigen. Ersteres ist mehr im Okzident, letzteres in ziemlich starkem Maße im Orient der Fall gewesen, wo die theokratischen und patrimonialmilitärischen Grundlagen der durch stets neue Eroberer usurpierten Gewalt den sonst naturgemäßen Dezentralisations- und Appropriationsprozeß weitgehend kreuzten.
Die alten Hofbeamten werden im Verlauf jenes Stereotypierungsprozesses rein repräsentierende Würdenträger und pfründengenießende Sinekuristen, ganz besonders gerade bei den Beamten der größten Herren, welche zunehmend nicht mehr Unfreie, sondern vornehme Herren als Hofbeamte in ihren Dienst nehmen, die naturgemäß die Befassung mit Alltagsgeschäften ablehnen.
Das patrimoniale politische Gebilde kennt weder den Begriff der „Kompetenz“ noch den der „Behörde“ im heutigen Sinn, und zwar bei zunehmender Appropriation besonders wenig. Die Trennung von amtlichen und privaten Angelegenheiten, amtlichem und privatem Vermögen und Herrenbefugnissen der Beamten ist nur beim arbiträren Typus einigermaßen durchgeführt, mit zunehmender Präbendalisierung und Appropriation schwindet sie. Die Kirche hat zwar im Mittelalter die freie Verfügung über den aus Pfründeneinkommen stammenden Erwerb wenigstens für den Todesfall zu verhindern gesucht.
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[313] Die Erträge aus Pfründen vom Todestag ihres Inhabers bis zum Tag der Investitur eines Nachfolgers, die sog. „Interkalargefälle“, erlagen oft – eine Folge des Eigenkirchenwesens – dem Zugriff des Fürsten, anderer Kleriker oder benachbarter Klöster. Dagegen bestimmten das Konzil von Chalkedon (451), Papst Gregor I. (593 und 594) sowie später das Tridentinum, daß die Interkalargefälle durch einen oder mehrere vom Kapitel zu bestimmende Ökonomen treuhänderisch zu verwalten seien. Vgl. Sägmüller, Katholisches Kirchenrecht (wie oben, S. 306, Anm. 50), S. 887.
Auf der anderen Seite hatte die weltliche Gewalt [314]ihr „jus spolii“ zeitweise auch auf den Privatnachlaß des toten Geistlichen erstreckt.
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[314] Das Spolienrecht („ius spolii“) garantierte seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts einem Eigenkirchenherrn den Anspruch auf den Nachlaß eines Klerikers seiner Eigenkirche. Seit 1183 nahmen auch die deutschen Könige dieses Recht mit Bezug auf Bischöfe (an Reichskirchen) und Äbte (an Reichsabteien) wahr. Der Zugriff auf den Nachlaß hing von den jeweils getroffenen Vereinbarungen ab und konnte auch die gesamte Habe des Verstorbenen umfassen. Vgl. Stutz, Ulrich, „Regalie“, in: RE3, Band 16, 1905, S. 536–544, hier: S. 540.
Aber mindestens bei voller Appropriation fällt Amts- und Privatvermögen praktisch einfach in Eins.
Ganz allgemein fehlt dem auf rein persönlichen Unterordnungsbeziehungen beruhenden Amt der Gedanke der sachlichen Amtspflicht. Was von ihm existiert, schwindet vollends mit der Behandlung des Amts als einer Pfründe oder eines appropriierten Besitztums. Die Ausübung der Gewalt ist in erster Linie persönliches Herrenrecht des Beamten: außerhalb der festen Schranken heiliger Traditionen entscheidet auch er, wie der Herr, von Fall zu Fall, d. h. nach persönlicher Willkür und Gnade. Infolgedessen ist der Patrimonialstaat auf dem Gebiete der Rechtsbildung der typische Vertreter eines Nebeneinander von unzerbrechlicher Traditionsgebundenheit einerseits und andererseits eines Ersatzes der Herrschaft rationaler Regeln durch „Kabinettsjustiz“ des Herrn und seiner Beamten. Statt der bürokratischen „Sachlichkeit“ und des auf der abstrakten Geltung gleichen objektiven Rechtes ruhenden Ideals der Verwaltung „ohne Ansehen der Person“ gilt das gerade entgegengesetzte Prinzip. Schlechthin alles ruht ganz ausgesprochenermaßen auf „Ansehen der Person“, d. h. auf der Stellungnahme zu dem konkreten Antragsteller und seinem konkreten Anliegen und auf rein persönlichen Beziehungen, [A 704]Gnadenerweisungen, Versprechungen, Privilegien. Auch die Privilegien und Appropriationen, die der Herr verleiht, gelten – so namentlich Landschenkungen auch in noch so definitiver Form – sehr oft als im Fall einer höchst schwankend bestimmbaren „Undankbarkeit“ widerruflich und sind überdies infolge der persönlichen Deutung aller Beziehungen in ihrer Geltung über seinen Tod hinaus unsicher. Man legt sie also dem Nachfolger zur Bestätigung vor. Das kann, je nach der stets labilen Machtlage zwischen Herrn und Beamten, sowohl als Forderung einer Pflicht gelten und also den Weg von der Widerruflichkeit zur dauernden Appropria[315]tion als „wohl erworbenes Sonderrecht“
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[315] Das „wohlerworbene Recht“ (ius quaesitum) definierte der Verwaltungsrechtler Otto Mayer als „das auf besondere Rechtstitel“ gegründete Recht. Es beschränke die landesherrlichen Hoheitsrechte durch spezielle Gegenrechte, die zugunsten der Untertanen auf Basis der Rechtsordnung bereits wirksam geworden seien. Vgl. Mayer, Otto, Deutsches Verwaltungsrecht I (wie oben, S. 159 f., Anm. 3), S. 30.
abgeben – wie es auch umgekehrt dem Nachfolger den Anlaß geben kann, durch Kassierung von solchen Sonderrechten der eigenen Willkür wieder freie Bahn zu schaffen –, ein Mittel, welches bei der Herausbildung des okzidentalen patrimonial-bürokratischen Staates der Neuzeit wiederholt angewendet worden ist.
Auch wo die Befugnisse der Beamten in ihrem Verhältnis zum Herrn und dessen Macht über sie durch Genossenrechte und Appropriation der Ämter stereotypiert sind, bleibt die rein faktische Übung im weitesten Umfange maßgebend für ihre Machtlage zueinander und gibt daher jede zufällige längere, auch rein persönlich bedingte Schwäche der Zentralgewalt Anlaß zu Abbröckelungen ihrer Macht durch Entstehung von neuen, ihr abträglichen Gewohnheiten. Auf dem Boden dieser Verwaltungsstruktur ist daher in einem spezifisch hohen Grade die rein persönliche Befähigung des Herrn, seinen Willen zur Geltung zu bringen, absolut entscheidend für das stets labile Maß von realem Gehalt seiner nominellen Macht. Insoweit mit Recht hat man die „Mittelalter“ die „Zeitalter der Individualitäten“ genannt.
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Diese These ist Teil einer auf das europäische Mittelalter bezogenen Kontroverse, die durch Jacob Burckhardts berühmte Bemerkung, daß erst im Italien der Renaissance der Mensch zum „geistige[n] Individuum“ geworden sei, ausgelöst wurde (vgl. Burckhardt, Jacob, Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch, 2. Aufl. – Leipzig: E. A. Seemann 1869, S. 104 ff., Zitat: S. 104). Daß das Mittelalter gerade im Vergleich zu Renaissance und Moderne die Zeit einer stärker ausgeprägten Individualität gewesen sei, behaupteten dagegen die Historiker Karl Lamprecht, Über Individualität und Verständnis für dieselbe im deutschen Mittelalter, in: ders., Deutsche Geschichte, Band 12, 1. und 2. Aufl. – Berlin: Weidmann 1909, S. 3–48, und Dietrich Schäfer, Weltgeschichte der Neuzeit, Band 1. – Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn 1907, S. 13, sowie der Literaturhistoriker Samuel Singer, Mittelalter und Renaissance. Die Wiedergeburt des Epos und die Entstehung des neueren Romans. Zwei akademische Vorträge (Sprache und Dichtung. Forschungen zur Linguistik und Literaturwissenschaft, Heft 2). – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1910, S. 3–28.
Der Herr sucht auf die verschiedenste Art die Einheit seiner Herrschaft zu sichern und sie sowohl gegen Appropriation der Ämter seitens der Beamten und ihrer Erben wie gegen andere Arten der Entstehung von ihm unabhängiger Herrschaftsgewalten in der Hand [316]von Beamten zu schützen. Zunächst durch eigene regelmäßige Bereisung seines Machtgebiets. Nicht nur weil sie infolge mangelhafter Verkehrsmittel ihren Unterhalt abwechselnd aus den Vorräten der Domänen an Ort und Stelle verzehren mußten, waren namentlich die deutschen Monarchen des Mittelalters fast ständig unterwegs. Dies Motiv war nicht unbedingt zwingend: sowohl die englischen und französischen Könige wie – worauf es ja allein ankommt – ihre Zentralbehörden hatten schon früh eine faktisch – wenn auch, wie das „ubicunque fuerimus in Anglia“ zeigt,
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[316] Die anglonormannischen Könige regierten ihr Reich bis zur Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert ohne feste Residenz und saßen an wechselnden Orten zu Gericht. Obwohl der Court of King’s Bench unter Heinrich III. (1216–1272) bereits aus einem stetig besetzten Hofgerichtskollegium bestand und ein eigenes Lokal in der Westminsterhalle hatte, beanspruchte der König weiterhin den persönlichen Vorsitz. Dieser Charakter des Hofgerichts als „Curia coram Rege, ubicunque fuerimus in Anglia“ blieb jahrhundertelang erhalten. (Vgl. Gneist, Englisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht I (wie oben, S. 190, Anm. 65), S. 115 f.). In Frankreich wurde Paris im 13. Jahrhundert Sitz für das Hofgericht und die oberste Finanzbehörde, während das Parlament bis ins 14. Jahrhundert noch an wechselnden Orten zusammengerufen wurde. Vgl. Holtzmann, Französische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 299, Anm. 27), S. 198.
erst allmählich eine rechtlich – feste Residenz und ebenso schon die Perserkönige.
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Während Susa, die ehemalige Hauptstadt des Elamiterreichs, vermutlich schon vor Kyros II. (559–529 v. Chr.) als Hauptresidenz galt und durch die Königsstraße auch verkehrstechnischer Mittelpunkt des altpersischen Reiches war, zogen die Könige während der heißen Sommermonate nach Egbatana und im Winter nach Babylon. In den Schatzhäusern dieser drei Residenzstädte befanden sich u. a. die Verwaltungsakten des Reiches. Vgl. Meyer, Eduard, Geschichte des Alterthums III1, S. 28 f., 32, 47, 66, der jeweils die antike Überlieferung anführt.
Vielmehr war entscheidend, daß nur ihre stets erneute persönliche Gegenwart ihre Autorität den Untertanen lebendig erhielt. Der Regel nach ist dies persönliche Reisen des Herrn weiterhin durch das „missatische“ System, d. h. systematisches Bereisenlassen des Landes durch von ihm geschickte Sonderbeamte (die karolingischen Missi dominici,
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Vgl. dazu die Erläuterung unten, S. 397, Anm. 55.
die englischen reisenden Richter)
77
Trotz eines frühen Belegs aus dem Jahr 1131 setzte erst Heinrich II. (1154–1189) die Einrichtung eines weit gespannten Systems reisender königlicher Richter (iusticiarii) durch. Neben der Kontrolle der lokalen Verwaltung (z. B. der Sheriffs, Vicegrafen, Grafschaftsgerichte) zogen diese die Strafgerichtsbarkeit in schweren Fällen an sich und entschieden – wegen der uneinheitlichen Rechtsprechung der Grafschafts- und Gutsgerichte – auch zivilrechtliche Fragen. Vgl. Gneist, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 180, Anm. 43), S. 224 ff.
ergänzt oder ersetzt worden, welche periodisch die Gerichts- und Beschwerdeversamm[317]lungen der Volksgenossen abhielten. Von den Beamten ferner, welche der Herr auf nicht jederzeit kontrollierbare Außenposten setzt, verschafft er sich allerhand persönliche Garantien: in gröbster Form durch Stellung von Geiseln, in feinerer Art durch Zwang zu regelmäßigem Besuch des Hofes – die ein um das andere Jahr alternierende Residenzpflicht der japanischen Daimyos am Hof des Shogun in Verbindung mit dem Zwang, die Familie dauernd dort zu belassen,
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[317] Die Verpflichtung der Damiyō, ein um das andere Jahr in Edo (heute Tokio), den Sitz der Tokugawa-Shōgune, zu residieren, hieß „sankinkōtai“ (vgl. unten, S. 391). Im Zusammenhang damit mußte der Daimyō während seiner alljährlichen Abwesenheit Frau und Kinder als Unterpfand in Edo wohnen lassen. Die alternierende Residenzpflicht wurde unter den ersten drei Tokugawa-Shōgunen (1603–1651) eingeführt und erst 1862 abgemildert. Vgl. Rathgen, Japans Volkswirtschaft, S. 36 f., 63.
war ein Beispiel dafür –, durch obligatorische Einstellung der Beamtensöhne in den Hofdienst (Pagenkorps), durch Besetzung der wichtigen Stellen mit Verwandten oder Verschwägerten – ein, wie schon bemerkt,
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Der Bezug ist unklar. Denkbar ist, daß die unten (S. 339) erwähnten Prätendentenkämpfe in England gemeint sind. Diese Auflösung widerspricht aber der Verweisformulierung „wie schon bemerkt“.
sehr zweischneidiges Mittel –, durch kurze Amtsfristen (wie sie ursprünglich den Grafen des Frankenreichs
80
Die Amtsdauer der königlichen Grafen war im Frankenreich anfänglich nicht formell geregelt und oblag allein der Willkür des Königs. Erst als im 10. Jahrhundert das Grafschaftsamt lehnbar wurde, wurde es in der Regel auf Lebenszeit besetzt. Vgl. Guttenberg, Erich Freiherr von, Iudex h.e. comes aut grafio. Ein Beitrag zum Problem der fränkischen „Grafschaftsverfassung“ in der Merowingerzeit, in: Festschrift Edmund E. Stengel zum 70. Geburtstag am 24. Dezember 1949 dargebracht von Freunden, Fachgenossen und Schülern. – Münster, Köln: Böhlau 1952, S. 93–129, hier: S. 122.
und ebenso einem erheblichen Teil der islamischen Amtspfründen
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Die Kadis hatten z. B. eine Amtszeit von 1 bis 1½ Jahren, wie Weber oben, S. 308 mit Anm. 55, ausführt.
eigneten), durch Ausschluß der Beamten von Amtssprengeln, in welchen sie Grundbesitz oder Sippenanhang haben (China),
82
Das Verbot gehörte – wie Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 204, mitteilt – nach der Reichseinigung (221 v. Chr.) zu den Machtmitteln der kaiserlichen Zentralregierung und wurde erst nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs 1912 aufgehoben. Darauf verweist Morse, Hosea Ballou, The Gilds of China with an Account of the Gild Merchant or Co-hong of Canton, 2nd ed. – New York: Russell & Russell 1967, S. 5 mit Anm. 1.
durch möglichste Verwendung nur von Zölibatären zu gewissen wichtigen [A 705]Ämtern (darauf beruht die große Bedeutung nicht nur des Zölibats für die Bürokratisierung der Kirche, sondern vor allem auch der Verwen[318]dung der Kleriker im Königsdienst, vor allem dem englischen).
83
[318] Vom 13. Jahrhundert bis zur „Reformation“ wurden in England die obersten Staatsämter überwiegend mit Geistlichen besetzt. Damit trat der Klerus, der auf Widerruf angestellt war, an die Stelle der alten Erbämter. Vgl. Hatschek, Englisches Staatsrecht II (wie oben, S. 190, Anm. 65), S. 569.
Ferner durch planmäßige Überwachung der Beamten mittels geheimer Spione oder offizieller Kontrollbeamter (so der chinesischen „Zensoren“),
84
Zum chinesischen „Zensor“ vgl. unten, S. 330, Anm. 24, sowie die Ausführungen in: Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 204.
die namentlich gern aus den Kreisen der ganz vom Herrn abhängigen Hörigen oder unbemittelten Pfründnern genommen werden, endlich durch Schaffung konkurrierender Amtsgewalten innerhalb desselben Bezirks (wie etwa des coroner gegenüber dem Sheriff).
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Etwa seit dem Jahr 1000 ließen die englischen Könige die Grafschaften durch Sheriffs verwalten, die Gerichts-, Militär- und Finanzkompetenzen besaßen. Um die Verselbständigung der bald erblich gewordenen Funktion zu unterbinden, richteten die Könige seit 1194 in jeder Grafschaft vier coroners (coronatores) zur Unterstützung und zur Kontrolle der Sheriffs ein. Die coroners wurden formell durch die Grafschaftsversammlung gewählt und waren als Beamte dem König verpflichtet. Sie hatten über die der Krone vorbehaltenen Gerichtsfälle zu entscheiden und schränkten somit den Aufgabenbereich des Sheriffs ein, der mit der Leitung des Gerichtswesens betraut war. Vgl. Hatschek, Selbstverwaltung (wie oben, S. 282 f., Anm. 83), S. 197, sowie Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 93 ff.
Namentlich die Verwendung von Beamten, welche nicht aus sozial privilegierten Schichten stammten und daher über keine eigene soziale Macht und Ehre verfügten, sondern diese gänzlich vom Herrn entlehnten, womöglich von Ausländern, war ein universelles Mittel, sich ihrer Treue zu versichern. Wenn Claudius dem Senatsadel drohen ließ, das Reich im Gegensatz zu den ständischen Ordnungen des Augustus gänzlich mit Hilfe seiner freigelassenen Klientel zu regieren,
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Der Einfluß von Freigelassenen auf die Regierungstätigkeit des Claudius ist von Sueton, Claudius 28 f., beschrieben worden. Die Drohung gegen die Senatoren, ihrem Stand die Staatsgeschäfte zu entziehen, „um die Provinzen und Heere den römischen Rittern und seinen Freigelassenen anzuvertrauen“, geht dagegen auf Nero zurück (Sueton, Nero 37, 3). (Vgl. dazu Weber, Die Stadt, MWG I/22-5, S. 296, Anm. 278). Augustus hatte zuvor eine entgegengesetzte Politik betrieben und für das Amt der procuratores die Freigelassenen durch Männer aus dem Ritterstand ersetzt. Damit wollte er einen eigenen Beamtenstand für die Staatsverwaltung schaffen.
Septimius Severus und seine Nachfolger die gemeinen Soldaten ihrer Armee statt des Römeradels in die Offiziersstellen beriefen,
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Gemeint ist die Auflösung der Prätorianergarde durch Septimius Severus im Sommer 193 und die Ersetzung der Prätorianer durch altgediente Legionäre. Bei Cassius [319]Dio (75, 2, 4), heißt es dazu: „Besonders übel nahmen ihm [Septimius Severus] aber einige, daß er das Herkommen aufgab, wonach die Leibgarde ausschließlich aus Italien, Spanien, Makedonien und Norikum genommen wurde […].“
sehr viele orientalische Großwesire und zahl[319]reiche „Günstlinge“ der Monarchen der Neuzeit, speziell die technisch erfolgreichsten Machtinstrumente der Fürsten und eben deshalb die dem Adel verhaßtesten, so oft aus dem Dunkel emporgehoben wurden, so wirkten dabei stets die gleichen Interessen der Fürsten.
Zu den verwaltungsrechtlich in ihren Konsequenzen wichtigsten Mitteln, die Kontrolle der Zentralverwaltung des Fürsten über die Lokalbeamten aufrecht zu erhalten, gehörte die Spaltung der Kompetenzen der letzteren. Entweder so, daß nur die Finanzverwaltung in die Hand besonderer Beamten gelegt, oder so, daß für jeden Verwaltungssprengel Zivil- und Militärbeamte nebeneinandergestellt wurden, was ja auch technisch nahe lag. Der militärische Beamte blieb dann in der Beschaffung der ökonomischen Mittel seiner Verwaltung abhängig von der ihm gegenüber selbständigen Zivilverwaltung, und diese bedurfte für die Erhaltung ihrer Macht der Mitwirkung des militärischen Beamten. Schon die Pharaonenverwaltung des neuen Reichs schied offenbar die Magazinverwaltung vom Kommando
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Unter den Pharaonen des Neuen Reichs (1550–1070/69 v. Chr.) wurde die Offiziersausbildung eingeführt und dem Heer gesondert Schreiber für den Verwaltungsdienst zugewiesen. Diese Mitteilung von Thurnwald, Altes Ägypten (wie oben, S. 206, Anm. 96), S. 770, deutet auf die Trennung der Verwaltungszweige hin.
– wie dies auch technisch nicht wohl anders möglich war. Die hellenistische Zeit, namentlich im Ptolemäerreich, brachte dann in der Entwicklung und Bürokratisierung der Steuerpacht das Mittel, die Finanzen, gesondert vom Militärkommando, in der Hand des Fürsten zu behalten.
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Diese Entwicklung wurde durch Ptolemaios II. Philadelphos (283–246 v. Chr.) eingeleitet. Aus seiner Regierungszeit stammt der sog. Steuerpächter-Papyrus, der die Vergabe der Steuerpacht an private Personen bzw. Gesellschaften gesetzlich regelte und zugleich die staatlichen Kontrollmechanismen beschrieb. (Vgl. die von Weber, Agrarverhättnisse3, S. 187, genannte Papyrus-Edition: Revenue Laws of Ptolemy Philadelphus, Edited from a Greek Papyrus in the Bodleian Library, with a Translation, Commentary, and Appendices by Bernard Pyne Grenfell and an Introduction by John Pentland Mahaffy. – Oxford: Clarendon Press 1896). Unter Ptolemaios II. wurde auch die Militärgewalt für die einzelnen Gaue an Strategen übergeben.
Die römische Prinzipatsverwaltung stellte – außer, aus konkreten politischen Gründen, in bestimmten Gebieten (namentlich Ägypten und einigen Grenzmarken) – dem kaiserlichen Oberkommandanten ebenso wie dem senatorischen Statthalter den [320]kaiserlichen Prokurator für das Finanzwesen als selbständigen und zweithöchsten Provinzialbeamten zur Seite und schuf gesonderte Avancements für die eine und die andere Verwaltung.
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[320] Im Jahr 27 v. Chr. wurde unter Augustus das römische Reich in kaiserliche und senatorische Provinzen geteilt. In allen Provinzen erhoben die dem Kaiser direkt unterstellten Prokuratoren die Einnahmen des Fiskus. In den senatorischen Provinzen standen sie neben den gesellschaftlich höherstehenden, jährlich wechselnden Prokonsuln. Einen Sonderstatus hatten außer Ägypten kleinere Gebiete, wie z. B. Raetien, Noricum oder Judäa. Sie wurden wie Domänen des Kaisers behandelt und für ihn von Prokuratoren (in Ägypten: Präfekten) verwaltet. (Vgl. Marquardt, Römische Staatsverwaltung I (wie oben, S. 260, Anm. 29), S. 548, 555 f., und Mommsen, Römisches Staatsrecht3 (wie oben, S. 143, Anm. 37), Band II/2, S. 859, sowie Tacitus, Historiae 1, 11, 2). Die Prokuratoren waren vom Princeps oder Kaiser direkt abhängige Beamte (ursprünglich Sklaven und Freigelassene), während die Prokonsuln römische Bürger mit bereits herausragenden Stellungen waren, die im Anschluß an ein Konsulat oder auf besondere Verleihung durch Volks- oder Senatsbeschluß das Amt in den Provinzen antraten. Es steht hier also bürokratisches gegen honoratiorenmäßiges Avancement.
Die diokletianische Staatsordnung spaltet die gesamte Verwaltung des Reichs in Zivildienst und Militärverwaltung, von den praefecti praetorio
e
[320]A: praetorii
als Reichskanzlern und den „magistri militum“ als „Reichsfeldherren“ angefangen bis zu den „praesides“ einerseits, den „duces“ andererseits hinab.
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Die Trennung der Verwaltungsbereiche wurde von Diokletian (305–313) begonnen und von Konstantin d.Gr. (306–337) vollendet. Durch die Einführung des magister militum („Heermeister“) durch Konstantin verlor das Amt des praefectus praetorio (ursprünglich: der Vorsteher der kaiserlichen Garde) seinen militärischen Charakter und wurde zum obersten zivilen Amt im Reich. Vgl. Mommsen, Römisches Staatsrecht II,23 (wie oben, S. 143, Anm. 37), S. 1117 und 1121 (dort auch die Schreibweise „praefectus praetorio“). In der Provinzialverwaltung stellte Diokletian die duces limitum, beauftragt mit der militärischen Sicherung der Grenzen, neben die praesides. „Praeses provinciae“ war in der diokletianisch-konstantinischen Staatsordnung der amtliche Titel für die unterste Stufe der Statthalter. Vgl. ebd., II,13, S. 263.
Im späten, namentlich im islamischen, Orient wurde die Scheidung des Militärkommandanten (Emir) vom Steuereinnehmer und -pächter (Amil)
f
A: (tmil)
fester Grundsatz aller starken Regierungen.
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Sicher belegt ist die Scheidung der militärischen und finanziellen Verwaltung in den Provinzen des Kalifenreichs für die frühe Abbasidenzeit. Die Abbasiden-Kalifen beherrschten im 8. und 9. Jahrhundert den größten Teil des islamischen Orients. Vgl. Becker, Steuerpacht und Lehnswesen, S. 84.
Man hat mit Recht bemerkt, daß fast jeder Fall einer dauernden Vereinigung dieser beiden Kompetenzen, also die Vereinigung von militärischer und ökonomischer Macht jedes Verwaltungssprengels in einer Hand, die alsbaldige Tendenz zur Loslösung des betreffenden Statthalters von der Macht der Zentralgewalt zur Folge ge[321]habt hat.
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[321] Diese These vertrat Carl Heinrich Becker (ebd.) und illustrierte sie am Beispiel des tulunidischen Statthalters Ahmed in Ägypten, der neben der militärischen auch die Gewalt über die Finanzen erstritt und sich damit von der Zentralgewalt der Abbasiden-Kalifen in Bagdad löste.
Die steigende Militarisierung des Reichs in der Zeit der Kaufsklavenheere
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Im Kalifenreich begann die Zeit der Kaufsklavenheere im 9. Jahrhundert; vgl. oben, S. 265.
mit den entsprechend steigenden Ansprüchen an die Steuerkraft der Untertanen und dem stets erneuten Zusammenbruch der Finanzen, der pfandweisen Überlassung oder Okkupation der Steuerverwaltung durch die Truppen endete dann auch entweder im Zerfall des Reichs oder im Benefizialwesen. –
[A 706]Wir wollen uns das Funktionieren patrimonialer Verwaltungen und namentlich die Mittel, durch welche der Herr seine Machtstellung gegenüber den Appropriationstendenzen der Beamten zu behaupten suchte, mit ihren Konsequenzen an einigen historisch wichtigen Beispielen veranschaulichen.
Die erste mit voller Konsequenz durchgeführte patrimonialbürokratische Verwaltung, die wir kennen, war die des antiken Ägypten. Sie war offenbar ursprünglich gänzlich aus der Königsklientel entwickelt, d. h. aus einem Personal heraus, welches der Pharao seiner hofhörigen Dienerschaft entnahm, während später allerdings die Rekrutierung der Beamten notgedrungen auch extrapatrimonial, durch Avancement aus der technisch dafür allein brauchbaren Schreiberklasse erfolgte, immer aber den Eintritt in ein patrimoniales Abhängigkeitsverhältnis zum Herrn bedeutete. Die alles überragende Bedeutung der von oben her systematisch geordneten Wasserregulierung und die Bauten in Verbindung mit der langen von Feldarbeit freien Zeit, welche die Heranziehung der Bevölkerung zu Frondiensten in einem sonst nirgends möglichen Umfang gestattete, führten schon im alten Reich dazu, daß die gesamte Bevölkerung in eine Klientelhierarchie eingespannt wurde, innerhalb deren der Mann ohne Herren als gute Prise galt und gegebenenfalls einfach in die Fronkolonnen des Pharao eingegliedert wurde. Das Land war ein Fronstaat, der Pharao führte u. a. auch die Geißel als Attribut, und die zuerst von Sethe korrekt übersetzten Immunitätsprivilegien aus dem 3. Jahrtausend betreffen Dispens von Tempelhintersassen oder [322]Beamtenpersonal von der Aushebung zu Frondiensten.
1
[322] Max Weber bezieht sich hier auf eine Buchkritik von Kurt Sethe, die im Dezember 1912 in den Göttingischen gelehrten Anzeigen erschienen ist (Sethe, Décrets royaux), und nicht auf eine eigenständige Urkundenedition des Göttinger Ägyptologen. In seiner Besprechung von Raymond Weills Studie über die Königsdekrete im Alten Reich übersetzte Sethe einige der dort präsentierten Urkunden neu, weil sie seiner Meinung nach sprachlich ungenügend übertragen worden waren. Es handelt sich hierbei um Immunitätsprivilegien aus der Zeit von der 5. bis zur 11. Dynastie (ca. 2504/2454–1976 v. Chr.), die für die oberägyptischen Tempel Koptos und Abydos ausgestellt worden waren.
Teils in Eigenbetrieb, teils in unfreier gewerblicher Heimarbeit, teils im landwirtschaftlichen Kolonenbetrieb, teils durch monopolisierten Eigenhandel, teils durch Abgaben deckte der Pharao den Bedarf seines Oikos. Verkehrswirtschaftliche Erscheinungen, Markttausch insbesondere, mit geldartigem Tauschgut (Uten,
2
Uten bzw. Deben waren gebogene Kupferdrähte von 90,96 Gramm, die im Neuen Reich (1550–1070/69 v. Chr.) als Wertmesser verwendet wurden. Vgl. Weber, Agrarverhältnisse3, S. 89, und das dort (ebd., S. 184) genannte Werk von Erman, Adolf, Ägypten und ägyptisches Leben im Altertum, Band 2. – Tübingen: H. Laupp 1885, S. 657 (hinfort: Erman, Ägypten). Max Weber verwendet hier die 1910 bereits veraltete Transkription „Uten“ statt der neueren „Deben“, vgl. dazu Meyer, Eduard, Münzwesen II. Orientalisches und griechisches Münzwesen, in: HdStW3, Band 6, 1910, S. 824–832, hier: S. 825 mit Anm. 2 (hinfort: Meyer, Münzwesen).
Metallstäbe) bestanden. Aber die Bedarfsdeckung des Pharao ruhte, wie die erhaltenen Rechnungen beweisen,
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Rechnungen zur Magazinverwaltung sind beispielsweise für den Hof in Memphis aus der Regierungszeit Sethos I. (nach heutiger Chronologie: 1290–1279/78 v. Chr.) überliefert. Sie waren Max Weber in der Übertragung von Wilhelm Spiegelberg bekannt und belegen insbesondere die Brotversorgung der Arbeiter. Vgl. Weber, Agrarverhältnisse3, S. 86, 184, dort auch der Hinweis auf Spiegelberg, Wilhelm (Hg.), Rechnungen aus der Zeit Setis I. (circa 1350 v. Chr.). Mit anderen Rechnungen des Neuen Reiches, 2 Bände. – Straßburg: Karl J. Trübner 1896.
dem Schwergewicht nach auf Magazinen und Naturalwirtschaft, und zu außerordentlichen Bau- und Transportleistungen bot er die Untertanen, wie die Quellen ergeben,
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Ausführlich belegt und auch von Max Weber erwähnt (Weber, Agrarverhältnisse3, S. 87) waren die Arbeiten in den Brüchen von Ḫammamât unter Ramses IV. (vermutlich handelt es sich aber um Ramses II., 1279–1213 v. Chr.), der mehrere Tausend Leute – zumeist Soldaten und Leibeigene – einsetzte. Dies geht aus der von Heinrich Brugsch transliterierten Felseninschrift hervor, die für die Steinbrucharbeiten ein Menschenaufgebot von 9268 Köpfen angab. Vgl. Brugsch, Heinrich, Die Ägyptologie. Abriß der Entzifferungen und Forschungen auf dem Gebiete der ägyptischen Schrift, Sprache und Alterthumskunde. – Leipzig: Wilhelm Friedrich 1891, S. 227 f. (hinfort: Brugsch, Ägyptologie); dazu auch Erman, Ägypten (wie oben, Anm. 2), S. 627–630, und zum Problem der Datierung von Ramses: Meyer, Eduard, Geschichte des Altertums, Band 2, 2. Aufl. – Stuttgart, Berlin: J. G. Cotta Nachfolger 1928, S. 601 ff.
zu Tausenden auf. Nachdem die großen privaten Grundherrschaften [323]und Nomarchenherrschaften, deren Entstehen und Bedeutung die Quellen des alten Reichs bezeugen
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[323] Grundbesitzakkumulationen von Privatleuten und Nomarchen, d. h. leitenden Beamten eines Provinzbezirkes, sind durch Grabinschriften der 4. bis 6. Dynastie (ca. 2639/2589–2216/2166 v. Chr.) belegt. Vgl. Weber, Agrarverhältnisse3, S. 84; dort findet sich der Hinweis auf eine Studie von Murray, Margaret Alice, The Descent of Property in the Early Periods of Egyptian History, in: Proceedings of the Society of Biblical Archaeology, Vol. 17, Twenty-Sixth Session, Sixth Meeting, 5th November 1895, S. 240–245, und auf die bekannte Grabinschrift des Beamten Mten, vgl. dazu auch: Meyer, Geschichte des Altertums I,22 (wie oben, S. 37, Anm. 48), S. 176–183, mit Markierungen im Handexemplar Max Webers (Arbeitsstelle der Max Weber-Gesamtausgabe, BAdW München). Ähnlich wie Eduard Meyer verwendet auch Weber die Bezeichnung „Nomarch“, die erst in ptolemäischer und römischer Zeit üblich wurde, für die vorangehenden Phasen der ägyptischen Geschichte.
und welche im mittleren Reich eine Zwischenzeit feudalen Regimes heraufführten, nach der Fremdherrschaft, ähnlich wie in Rußland nach der Tatarenzeit,
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Rußland stand seit den Siegen der Mongolen in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts bis 1480 unter der Herrschaft der „Goldenen Horde“. In dieser Zeit sanken die durch Erbteilungen verkleinerten Grundherrschaften der Fürsten und Bojaren, aber auch der Bischöfe und Klöster zur Bedeutungslosigkeit herab. Es setzte sich vor allem die Vergabe von kleinen Dienstgütern durch, die seit dem 15. Jahrhundert auch den Bojaren und freien Dienern aufgezwungen wurden. Die Folgen waren, wie Weber, Agrarverhältnisse3, S. 85, bereits früher ausgeführt hatte, daß die Grundlagen des „vormongolischen ständisch gegliederten Staatswesen[s] mit dem Mittelpunkt Kiew: die feudalen Gebilde, der Lehnsadel und alle oder doch die meisten seiner Grundherrschaften“ verschwunden waren.
geschwunden waren, standen als privilegierte Schichten über der Masse wesentlich nur die schon im alten Reich mit Immunitäten versehenen, von den Ramessiden mit enormem Besitz bewidmeten Tempel und die Beamten.
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Max Weber skizziert hier die Entwicklung vom Mittleren Reich (2119–1794/93 v. Chr.) über die Fremdherrschaft der Hyksos, eines asiatischen Hirtenvolkes (1648/45–1539/36 v. Chr.), bis zur Herrschaft der Ramessiden (1292–1070/69 v. Chr.). Unter deren Herrschaft befand sich ca. des Kulturbodens in Tempelbesitz, so die These von Erman, Adolf, Zur Erklärung des Papyrus Harris, in: Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin, Jg. 1903, 1. Halbband (Jan.–Juni), S. 456–474, bes. S. 472 ff.
Den Rest bildeten die Untertanen, politische und patrimoniale, ohne sichere Scheidung. Auch innerhalb der zweifellos patrimonial Abhängigen stehen eine Fülle von Bezeichnungen für Hörige und Unfreie nebeneinander, deren ökonomische Lage und sozialer Rang offenbar verschieden waren, für uns aber vorerst nicht auseinanderzuhalten sind und vielleicht auch nicht streng voneinander geschieden waren. Soweit die Untertanen nicht zu Fronen herangezogen waren, scheint ihre Steuerleistung an die Beamten gegen [324]Pauschalien vergeben worden zu sein. Durch Prügel und ähnliche Mittel erzwangen diese die Deklaration des abgabepflichtigen Besitzes, so daß sich die Steuererhebung typisch als ein plötzlicher Überfall der Beamten mit Flucht der Pflichtigen und Jagd auf sie abspielte. Der Unterschied von patrimonialen Kolonen des Pharao und den
g
[324]A: der
freien politischen Untertanen, von Eigenland des Pharao und privatem Besitz der Bauern bestand offenbar,
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[324] Vermutlich bezieht sich Max Weber auf die Besitzverhältnisse in der Ptolemäerzeit, die von Michael Rostowzew, Kolonat (wie oben, S. 278, Anm. 76), S. 913, im „Handwörterbuch der Staatswissenschaften“ geschildert worden waren und auf die Weber in seinem dortigen Beitrag mehrfach verwiesen hatte (vgl. Weber, Agrarverhältnisse3, insbes. S. 129–132). Obwohl der gesamte Grund und Boden rechtlich dem König gehörte, scheint es auch Privatbesitz gegeben zu haben, d. h. Boden, den der König verkauft, als Erbpacht oder in anderer Form vergeben hatte. Das übrige Land gehörte dem König direkt als Domäne oder Götterland und wurde von Bauern bzw. Pächtern bearbeitet, die in der Umgangssprache Laoi (λαοὶ) hießen und den römischen Kolonen vergleichbar waren.
war aber augenscheinlich von wesentlich technischer und vielleicht labiler Bedeutung. Denn die Bedarfsdeckung des fürstlichen Haushalts wurde, wie es scheint, zunehmend leiturgisch. Der Einzelne wurde an seine fiskalische Funktion dauernd gebunden und durch die Funktion an den lokalen Verwaltungsbezirk, dem er durch Abstammung oder Grundbesitz oder Gewerbebetrieb – das einzelne ist unbekannt – zugehörte oder zugewiesen war. Die Berufswahl war faktisch weitgehend frei, ohne daß doch zu sagen wäre, ob nicht[,] im Fall der Notwendigkeit für [A 707]die fürstliche Bedarfsdeckung, Zwang zur erblichen Bindung geübt worden wäre. Kasten im spezifischen Sinn existierten nicht.
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Die Ansicht, daß es in Ägypten Kasten gegeben hätte, ging auf Herodot (Historien 2, 164) zurück. Dagegen hatte in der zeitgenössischen Herodot-Auslegung beispielsweise Alfred Wiedemann aufgrund von Inschriften bewiesen, daß es keinen Berufs- oder Heiratszwang innerhalb bestimmter Gruppen gegeben habe. Vgl. Wiedemann, Alfred, Herodots zweites Buch mit sachlichen Erläuterungen. – Leipzig: B. G. Teubner 1890, S. 573.
Ebenso konnte der politische sowohl wie der patrimoniale Untertan faktisch freizügig sein, rechtlich aber war diese Freizügigkeit durchaus prekär, sobald die Bedürfnisse des fürstlichen Haushalts die Heranziehung des Untertanen zu seinen Pflichten an den Ort erforderten, an den er gehörte. Diesen Ort bezeichnete die spätere hellenische
h
Zu erwarten wäre: hellenistische
Terminologie als die idia, die römische als die origo des Einzelnen,
i
A: einzelnen,
und dieser Rechtsbegriff hat in der ausgehenden Antike eine [325]weittragende Rolle gespielt.
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[325] „idia“ bezeichnete die Zugehörigkeit zu einem Ort (Wohnort oder Landparzelle), an dem der Einzelne seine öffentlichen Pflichten (z. B. Hand- und Spanndienste, Zwangsarbeiten) zu leisten hatte. In Ägypten wurde dieser verwaltungsrechtliche Begriff durch die Ptolemäer eingeführt, obwohl die Einrichtung bereits vorher bestanden hatte. Das römische Pendant ist der Begriff „origo“, aus dem die spätklassischen Juristen eine Bürger- und Steuerrechtslehre entwickelten, die ihren Niederschlag in den Verwaltungsreformen des Septimius Severus (193–211) fand. Vgl. Rostowzew, Kolonat (wie oben, S. 278, Anm. 76), S. 913 f.
Aller Landbesitz oder Gewerbebetrieb galt als belastet mit den Robott- oder anderen Leistungspflichten: als Funktionsentgelt, und hatte also die Tendenz, sich dem Charakter einer Pfründe anzunähern. Deputatpfründen oder Landpfründen waren der Entgelt für spezifische Amtsfunktionen sowohl wie für die militärischen Dienstpflichten. Patrimonial – und dies war der für die Machtstellung des Pharao entscheidende Punkt – war auch das Heer. Es wurde mindestens im Kriegsfall aus den Magazinen des Königs equipiert und verpflegt. Die Krieger, deren Nachfahren die Machimoi der ptolemäischen Zeit darstellten, waren mit Landparzellen bewidmet und wurden sicher von jeher auch zum Polizeidienst verwendet.
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Bereits im Alten Reich (ca. 2707/2657–2170/2120 v. Chr.) wurden zumeist Fremde zu Kriegs- und Polizeidiensten herangezogen und mit einem Landlos ausgestattet. Dies waren hauptsächlich nubische Nomaden, die sog. Mazoi, Madoy oder (koptisch) Matoi, deren Namen später synonym für die Polizisten und Soldaten verwendet wurde. Vgl. Meyer, Geschichte des Alterthums II1 (wie oben, S. 250, Anm. 6), S. 460; ders., Geschichte des Altertums I,22 (wie oben, S. 37, Anm. 48), S. 42, 195 f., 254, sowie Brugsch, Ägyptologie (wie oben, S. 322, Anm. 4), S. 243 f., 300, der eine direkte Verbindung zwischen den „Mazoi“ und den Machimoi herstellt.
Zu ihnen traten, bezahlt aus dem durch Eigenhandel gespeisten Hort des Königs, Söldner. Die vollkommene Entwaffnung der Massen, deren Widerstand nur etwa in Form von Renitenz oder Streit wegen ungenügender Ernährung bei den Fronleistungen aufflammte, machte ihre Beherrschung zu einer einfachen Aufgabe. Die geographischen Bedingungen, vor allem die bequeme Wasserstraße des Flusses und die sachliche Notwendigkeit einheitlicher Wasserpolitik erhielten die Einheitlichkeit der Herrschaft bis zu den Katarakten mit geringen Unterbrechungen aufrecht.
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Der legendenumwobene König Menes (ca. 3032/2982–3000/2950 v. Chr.) gilt als Begründer des ägyptischen Reiches, weil er Nord- und Südreich vereinigte und die Nubier bis zum ersten Katarakt (nahe dem heutigen Assuan) zurückdrängte. Das so geschaffene Reich wurde von den Pharaonen zentral regiert. Ausnahmen bildeten die Zeiten der Fremdherrschaft, so z. B. unter den libyschen Söldnern (ca. 946/45–715/12 v. Chr.), wo das Reich in mehrere, sich befehdende Militärstaaten zerbrach. Vgl. Brea[326]sted, James Henry, Geschichte Ägyptens. Dt. von Hermann Ranke, 2. Aufl. – Berlin: Karl Curtius 1911, S. 18 f., 36 f.
Die [326]Avancementschance und die Abhängigkeit von königlichen Magazinen genügte anscheinend, um eine weitgehende Appropriation der Beamtenpfründen zu hindern, welche ja überhaupt bei Sportelpfründen und Landpfründen technisch näher liegt als bei den hier vorherrschenden Deputatpfründen. Die zahlreichen Immunitätsprivilegien zeigen durch ihre eigene Fassung, die gehäuften Versprechungen der Unverletzlichkeit und die Strafdrohungen gegen Beamte, welche sie verletzen werden, daß der Herrscher seinerseits, gestützt auf seine patrimoniale Macht, tatsächlich diese Privilegien als prekär behandeln durfte,
j
[326]A: dürfte,
so daß Ansätze zu einem ständischen Staatswesen hier völlig fehlen und der Patriarchalismus voll erhalten blieb. Die weitgehende Aufrechterhaltung der Naturalpfründe einerseits, das starke Zurücktreten privater Grundherrschaften andererseits im neuen Reich wirkten zusammen zugunsten der Erhaltung der Patrimonialbürokratie. Die völlig durchgeführte Geldwirtschaft der Ptolemäerzeit hat sie nicht erschüttert, sondern eher befestigt, indem sie die Mittel zur Rationalisierung der Verwaltung an die Hand gab. Die leiturgische Bedarfsdeckung, speziell die Fronen, traten zurück zugunsten eines höchst umfassenden Steuersystems, ohne daß doch jemals der Anspruch des Fürsten auf die Arbeitskraft der Untertanen und die Bindung der letzteren an ihre idia aufgegeben wäre, die denn auch beide sofort wieder praktisch wurden, als mit dem 3. Jahrhundert n. Chr. die Geldwirtschaft verfiel.
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Die These vom Rückgang der Geldwirtschaft im Römerreich seit Anfang des 3. Jahrhunderts n. Chr. war zuerst von Meyer, Eduard, Die wirtschaftliche Entwickelung des Altertums. Ein Vortrag, gehalten auf der dritten Versammlung Deutscher Historiker in Frankfurt a.M. am 20. April 1895. – Jena: Gustav Fischer 1895, S. 61 (hinfort: Meyer, Wirtschaftliche Entwickelung), vertreten worden.
Das ganze Land erschien fast als eine einzige große Domäne des königlichen Oikos, neben welchem als annähernd gleichwertig in der Hauptsache nur die Oiken der Tempelgeistlichkeit standen. Dementsprechend ist es denn auch von den Römern rechtlich behandelt worden.
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Zur Sonderstellung Ägyptens innerhalb des römischen Imperiums vgl. oben, S. 260, Anm. 29.
Einen ganz wesentlich anderen Typus stellte das chinesische Reich dar. Wasserregulierung, vor allem Kanalbau – aber hier, wenigstens in Nord- und Mittelchina – vorwiegend zu Verkehrszwec[327]ken[,] und ungeheure militärische Bauten,
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[327] Die Anfänge der Wasserregulierung datiert die Legende – wie Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 210, schreibt – auf die Zeit des Kaisers Yü (nach der Tradition: 2183–2178 v. Chr.). Die Kanäle dienten zunächst gegen Überschwemmungen, dann im Süden des Landes zur Bewässerung der Felder, in Nord- und Mittelchina dagegen zum Transport von Salz und Tributen. Der bekannteste ist der Kaiserkanal, dessen Anfänge auf das 5. Jahrhundert v. Chr. zurückgehen und der unter der Yüan-Dynastie (1280–1367) vollendet wurde. Vgl. Gandar, Canal Impérial (wie oben, S. 59, Anm. 64), bes. S. 7–10, sowie Morse, Trade (wie oben, S. 222, Anm. 32), S. 3, 14. – Mit den militärischen Bauten ist wohl insbesondere der Bau der großen Mauer gemeint; vgl. dazu unten, S. 333 f. mit Anm. 34.
möglich natürlich auch hier nur durch Anspannung der Untertanenfronen, Magazine zur Aufspeicherung der Abgaben, aus denen die Beamten ihre Pfründen bezogen und das Heer equipiert und verpflegt wurde, und in der sozialen Schichtung ein noch vollständigeres Fehlen der Grundherrschaft als in Ägypten waren auch hier die Grundlagen der Macht der Patrimonialbürokratie. In historischer Zeit aber [A 708]fehlte die leiturgische Bindung, welche vielleicht in der Vergangenheit einmal bestanden hatte oder doch einzuführen versucht worden war, worauf gewisse Andeutungen der Tradition und einige Rudimente allerdings schließen lassen könnten.
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Der Sinologe August Conrady berichtete über eine Art leiturgischer Bindung im chinesischen Altertum. Vgl. Conrady, China (wie oben, S. 37, Anm. 47), S. 492. Die von ihm herangezogene Quelle – das Kuo-yü – umfaßt Erzählungen aus der Teilstaatenzeit zwischen 1000 und 453 v. Chr. Demnach hätten die Herrscher die Bevölkerung in vier Klassen (Krieger, Bauern, Handwerker, Kaufleute) eingeteilt und sie entsprechend ihrer Berufe angesiedelt. Insofern habe es feste Wohnsitze und Abgaben für bestimmte Familien und deren Gewerbe gegeben, – nach Conrady – eine kastenähnliche Abschließung. Vgl. auch Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 275.
Die tatsächliche Freizügigkeit und freie Berufswahl – offiziell existierte eigentlich keins von beiden – scheint jedenfalls in historischer Vergangenheit nicht dauernd angetastet worden zu sein.
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In der zeitgenössischen Literatur wird für fast alle Epochen der chinesischen Geschichte, ausgehend von der Chou-Dynastie, von einem strengen Landzuweisungs- und Abgabensystem berichtet, das mit Freizügigkeit und freier Berufswahl nicht vereinbar scheint. Die Mobilität von Land und Leuten war wohl seit der Ch’in-Herrschaft (221–206 v. Chr.) möglich, so daß Gegenmaßnahmen unter den Dynastien der Wei (386–534) und der T’ang (618–907) nicht dauerhaft griffen. Vgl. Sacharoff, J., Über das Grundeigenthum in China, in: Arbeiten der Kaiserlich Russischen Gesandtschaft zu Peking über China, sein Volk, seine Religion, seine Institutionen, socialen Verhältnisse etc., Band 1. – Berlin: F. Heinicke 1858, S. 1–43, sowie Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 278 mit Anm. 65 (mit Referenz auf den von Weber eingeführten Sacharoff); dort behandelt Weber das Problem ebenfalls aus staatsrechtlicher Perspektive, ohne Erwähnung der ansonsten in der Literatur betonten sakralrechtlichen Bindungen.
Einige faktisch erbliche unreine Berufe [328]existierten,
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[328] Als „unreine Berufe“ galten die verschiedenen Dienste bei Festen (darunter das Musizieren), Haus- und Gerichtsdienste, Prostitution und Schauspielerei. Vgl. die Zusammenstellung bei Hoang, L’administration (wie oben, S. 59, Anm. 64), S. 122–124, und Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 276; dort (Fn. 29) mit dem Hinweis Max Webers auf die Studie von Hoang.
sonst fehlt jede Spur von Kaste oder sonstigen ständischen oder Erbprivilegien, außer einem praktisch gleichgültigen, auf einige Generationen verliehenen Titularadel.
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Adelstitel wurden für Beamte mit außerordentlichen Verdiensten und deren Nachkommen sowie für die Hinterbliebenen von denjenigen, die bei der Ausübung der kaiserlichen Dienste verstarben, verliehen. Wie Édouard Biot, Essai (wie oben, S. 205, Anm. 92), S. 535–537, ausführte, waren mit diesen Titeln keinerlei konkrete Privilegien verbunden, sie konnten sogar jederzeit vom Kaiser zurückgerufen werden. Vgl. auch die kurze Erwähnung dieses „Titularadel[s]“ bei Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 278.
Der Patrimonialbürokratie standen hier als bodenständige Macht, neben Kaufmannsgilden und Zünften,
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Die Gilden und Zünfte (hui) hatten – unabhängig von der Regierung – eine eigene Organisation und ein eigenes Recht mit absoluter Jurisdiktionsgewalt über ihre Mitglieder entwickelt. Sie wurden daher in der zeitgenössischen Literatur entsprechend den europäischen Gilden und Zünften als genossenschaftliche Institutionen betrachtet. Vgl. Morse, Hosea Ballou, The Gilds of China. With an Account of the Gild Merchant or Cohong of Canton. – London u. a.: Longmans, Green and Co. 1909, S. 20 f., 27, sowie Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 155 f., dort auch die direkte Erwähnung von Morse (ebd., S. 155, Fn. 44).
wie sie sich überall finden, wesentlich nur die in engerem Kreis der Familie durch Ahnenkult und für den weiteren Kreis der Namensgleichheit durch Exogamie verbundenen Sippen gegenüber, deren Älteste
k
[328]A: älteste
in den Dörfern eine praktisch höchst wirksame Machtstellung behielten.
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Gemeint sind die Dorf- bzw. Sippenältesten (nicht die ältesten Sippen, wie es im überlieferten Text hieß). Ursprünglich wurden die „Ältesten“ von einem Teil der Dorfbewohner gewählt und fungierten als Verwalter, Schlichter und Repräsentanten. Diese Funktionen wurden ihnen von den Regierungsbeamten der Kreisverwaltung (ti-pao) zunehmend strittig gemacht. Über Zusammenstöße zwischen Dorf- und Regierungsvertretern berichtete u. a. die Peking Gazette. Vgl. dazu Smith, Arthur Henderson, Village Life in China. A Study in Sociology. – Edinburgh, London: Oliphant, Anderson and Ferrier 1899, S. 228, und Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 268–272, mit Referenz auf Smith (ebd., S. 270, Fn. 25).
Entsprechend dem ungeheuren Umfang des Reichs und der im Verhältnis zur Volkszahl geringen Anzahl von Beamten war die chinesische Verwaltung nicht nur extensiven Charakters, sondern entbehrte unter durchschnittlichen Herrschern auch der Zentralisation. Die Anweisungen der Zentralbehörden wurden von den Unterinstanzen vielfach mehr als [329]unmaßgebliche Ratschläge, denn als bindende Vorschriften behandelt. Das Beamtentum war hier wie überall unter solchen Umständen genötigt, mit den Widerständen des Traditionalismus, deren Träger die Sippenältesten und Berufsverbändc waren, zu rechnen und sich irgendwie mit ihnen zu vertragen, um überhaupt fungieren zu können. Andererseits wurde aber, gegenüber der ungemein zähen Macht dieser Gewalten, offenbar nicht nur eine relativ weitgehende Vereinheitlichung des Beamtentums in seinem allgemeinen Charakter erreicht, sondern vor allem dessen Umwandlung in eine auf lokaler Honoratiorenmacht ruhende und daher der Reichsverwaltung gegenüber selbständige Schicht von Territorialherren oder Lehensbaronen gehindert. Dies, obwohl einerseits die Anlage von legal und illegal im Amt erworbenen Vermögen in Grundbesitz hier wie überall beliebt war und obwohl andererseits die chinesische Ethik die Pietätsbande zwischen dem Amtsanwärter und seinen Lehrern, Amtspatronen und Vorgesetzten ganz besonders eng knüpfte. Namentlich die Patronage und die Sippenbeziehungen der Beamten mußten die Tendenz haben, faktisch erbliche Amtsbaronien mit festen Klientelen zu schaffen. Solche waren auch offenbar immer wieder im Entstehen begriffen, und vor allen Dingen verklärt die Tradition den Feudalismus als das historisch Ursprüngliche,
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[329] Gemeint ist hier die konfuzianisch geprägte Tradition, die – so die These des Sinologen Otto Franke – die Reichseinigung durch Shih Huang-ti als die Zerstörung der „göttlichen Ordnung“, nämlich des von den Konfuzianem präferierten Feudalstaats, darstellte. Vgl. Franke, Ostasiatische Neubildungen (wie oben, S. 59, Anm. 62), S. 180, sowie die unten, S. 398, Anm. 57, angegebene Stelle. Eine idealisierende Beschreibung der feudalen Verwaltung der Teilstaatenzeit liegt im Chou-Ii (wörtlich: „Die Riten der Chou“) vor, das nach dem Zusammenbruch des alten Systems, vermutlich im ersten Jahrhundert n. Chr., entstanden ist. Vgl. auch Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 179, sowie den Glossar-Eintrag, ebd., S. 553.
und zeigen die klassischen Schriften faktische Erblichkeit der Ämter als ganz normal und überdies das Recht der großen Zentralbeamten, bei der Ernennung der Kollegen gehört zu werden.
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Dem Shu-ching („Klassisches Buch der Urkunden“) ist zu entnehmen, daß die höchsten Regierungsämter zur Zeit der beiden ersten Dynastien durch Angehörige der alten Familien besetzt wurden – also faktisch erblich waren. Dort wird ebenfalls die Befragung der Großen bei der Besetzung der neun höchsten Reichsämter unter dem legendären Kaiser Shun erwähnt. Diese Angaben finden sich bei Plath, China unter den ersten drei Dynastieen (wie oben, S. 59, Anm. 62), S. 476, 484.
Die kaiserliche Patrimonialherrschaft hat nun, um sich der stets wieder [330]drohenden Appropriation der Ämter zu erwehren, die Patronageklientelen und die Entstehung lokaler Honoratiorenmonopole auf die Ämter hintanzuhalten,
Na
MWG I/22-4: hintan zuhalten, Emendation in MWG digital.
neben den sonst üblichen Maßregeln: kurze Amtsfristen, Ausschluß der Anstellung in Gebieten, wo der Beamte seinen Sippenanhang hat, Überwachung durch Spione (die sog. Zensoren),
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[330] Unter den Dynastien der Ch'in und Han (221 v. Chr.–220 n. Chr.) wurden kaiserliche Inspektoren zur Überwachung der Provinzialverwaltungen entsandt. Der zuständige Großkanzler hieß yü-shih (Zensor). Davon zu unterscheiden ist das seit der Ming-Dynastie (1368–1644) bestehende Zensorat (tu ch’a yuan), das sich zu einer Kontrollbehörde für die höchsten Staatsgremien, einschließlich der Kontrolle des Kaisers selbst, entwickelte. Vgl. Franke, China (wie oben, S. 37, Anm. 47), S. 91 ff. – Die Angaben zur dreijährigen Amtsfrist und zum Ausschluß von Zivilbeamten in der Heimatprovinz finden sich bei Morse, Trade (wie oben, S. 222, Anm. 32), S. 60.
das hier in der Welt zum erstenmal auftauchende Mittel amtlicher Qualifikationsprüfungen und amtlicher Führungszeugnisse eingeführt.
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Die Staatsprüfung als Voraussetzung für die Amtsübernahme wurde bereits unter der Han-Dynastie (206 v. Chr.–220 n. Chr.) eingeführt. Es bildete sich ein dreistufiges Prüfungssystem heraus, wobei die Ergebnisse – auch der Zwischenprüfungen – öffentlich bekanntgegeben wurden. Zu den „Führungszeugnissen“ vgl. Anm. 26.
Rang- und Amtsfähigkeit bestimmen sich in der Theorie ausschließlich, in der Praxis sehr weitgehend nach der Zahl der bestandenen Examina, die Belassung des Beamten in seinem Amt, sein Avancement in ein höheres oder seine Degradation zu einem niederen vollzog sich auf Grund seiner Konduite, deren Resümee bis in die Gegenwart periodisch nebst Motiven, etwa nach Art der Quartalszeugnisse deutscher Gymnasiasten, öffentlich bekanntgegeben wurde.
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Beurteilungen von Beamten, teilweise in Form von Rechenschaftsberichten, teilweise auf der Basis von Berichten der Vorgesetzten und Zensoren, erschienen in regelmäßigen Abständen in der „Hauptstädtischen Zeitung“ (Ching-pao). Sie war eine Art Hofzirkular mit kaiserlichen Verordnungen, Eingaben von Beamten u. a.; ihre Anfänge lassen sich auf die Tang-Dynastie (618–907) datieren. Von 1873 bis 1900 erschien eine englische Ausgabe des „Ching-pao“ unter dem Titel „Translation of the Peking Gazette“. In seiner Konfuzianismus-Studie bezieht sich Max Weber auf die Bekanntgabe von Beamtenbeförderungen und -degradierungen in der „Peking Gazette“ aus den Jahren 1874 bis 1897. Vgl. Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 314 und 173 f., Fn. 71 (postume Rangerhöhungen); allgemein zur „Peking Gazette“, ebd., S. 132 mit Anm. 34.
Formal betrachtet ist dies die radikalste Durchführung bürokratischer Sachlichkeit, die es geben kann, und also eine ebenso radikale Abkehr von den auf persönlicher Gunst und Gnade ruhenden Amtsstellungen der genuinen Patrimonialbeamten. Und ob auch immer die Käuflichkeit der Pfründen und die Bedeutung persönlicher Patronage bestehen blieben – was selbst[331]verständlich war –, so ist dennoch, teils negativ durch das intensive Konkurrenz[A 709]verhältnis und Mißtrauen, welches die Beamten untereinander trennt, teils positiv durch die universell gewordene soziale Wertung der durch Examina erworbenen Bildungspatente, sowohl die Feudalisierung wie die Appropriation und die Amtsklientel soweit gebrochen worden, daß die ständischen Konventionen des Beamtentums jene ganz spezifisch bürokratischen, utilitarisch orientierten, durch den klassizistischen Bildungsunterricht geprägten bildungsaristokratischen, als höchste Tugenden die Würde der Geste und der contenance pflegenden, Züge annahmen,
l
[331]A: annahm,
welche seitdem das chinesische Leben sehr stark geprägt haben.
Das chinesische Beamtentum wurde trotzdem keine moderne Bürokratie. Denn die sachliche Scheidung der Kompetenzen wurde nur in einem, angesichts des ungeheuren Verwaltungsobjekts sehr geringen Maße durchgeführt: die Möglichkeit dazu war technisch eine Folge davon, daß die gesamte Verwaltung des befriedeten Reichs Zivilverwaltung war, das relativ sehr kleine Heer einen Sonderkörper bildete und, wie gleich zu erörtern,
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[331] Siehe unten, S. 332–335.
andere Maßregeln als die Kompetenzspaltung die Obödienz der Beamten gewährleisteten. Aber die positiven Gründe des Unterlassens der Kompetenzspaltung waren prinzipieller Art. Der spezifisch moderne Begriff des Zweckverbands und Spezialbeamtentums, welcher z. B. bei der allmählichen Modernisierung der englischen Verwaltung eine solche Rolle spielte,
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Die 1832 einsetzende „civil service reform“ versuchte, die Vormachtstellung der ländlichen Gentry und ihres Patronagesystems zu beseitigen. Julius Hatschek nannte als wichtigste Punkte die Wahlreformen, die Einführung einer Staatsprüfungskommission für die Zulassung der Beamten zum Staatsdienst sowie die Ausbildung einer lokalen und zentralen Verwaltungsorganisation mit der entsprechenden Gesetzgebung. Vgl. Hatschek, Englisches Staatsrecht I (wie oben, S. 20, Anm. 24), S. 4 ff., sowie Gneist, Englisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht I (wie oben, S. 190, Anm. 65), S. 600 ff. Der „spezifisch moderne Begriff des Zweckverbandes“ konnte in der zeitgenössischen Literatur zu England nicht belegt werden; vgl. auch den Glossar-Eintrag, unten, S. 808.
ist radikal antichinesisch und würde allen ständischen Tendenzen des chinesischen Beamtentums zuwiderlaufen. Denn dessen durch die Examina kontrollierte Bildung war in fast keiner Hinsicht Fachqualifikation, sondern das gerade Gegenteil davon. Neben der [332]den Charakter einer Kunst an sich tragenden kalligraphischen Fähigkeit spielte vor allem stilistische Vollkommenheit und die vorschriftsmäßig an den Klassikern
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[332] Damit sind die vier klassischen Bücher und die fünf kanonischen Schriften gemeint, deren Kenntnis bei allen Staatsprüfungen auf dem Weg zum Mandarinentum erforderlich war. Darunter befanden sich das Urkundenbuch (Shu-ching), das Ritenbuch (Li-chi) und das Liederbuch (Shih-ching), aber auch die Philosophie von Mencius und ein dem Konfuzius zugeschriebenes Werk. Vgl. de Groot, Johann Jakob Maria, Die Religionen der Chinesen, in: Die orientalischen Religionen (Die Kultur der Gegenwart, hg. von Paul Hinneberg, Teil I, Abt. III,1). – Berlin, Leipzig: B. G. Teubner 1906, S. 162–193 (hinfort: de Groot, Religionen der Chinesen), hier: S. 163 f.
orientierte Gesinnung die weit überwiegende Rolle bei der Bearbeitung der zuweilen etwa an die Themata unserer traditionellen patriotischen und moralischen deutschen Aufsätze erinnernden Prüfungsarbeiten. Die Prüfung war eine Art Kulturexamen und stellte fest, ob der Betreffende
m
[332]A: betreffende
ein Gentleman, nicht aber, ob er mit Fachkenntnissen ausgerüstet war. Die konfuzianische Grundmaxime, daß ein vornehmer Mensch kein Werkzeug sei, das ethische Ideal also der universellen persönlichen Selbstvervollkommnung, dem
n
A: den
okzidentalen sachlichen Berufsgedanken radikal entgegengesetzt, stand der Fachschulung und den Fachkompetenzen im Wege und hat ihre Durchführung immer erneut verhindert. Darin lag die spezifisch antibürokratische und patrimonialistische Grundtendenz dieser Verwaltung, welche ihre Extensität und technische Gehemmtheit bedingte. China war andererseits dasjenige Land, welches die ständische Privilegierung am exklusivsten auf die konventionelle und offiziell patentierte literarische Bildung abgestellt hat, insofern also formal der vollkommenste Repräsentant der spezifisch modernen befriedeten und bürokratisierten Gesellschaft, deren Pfründenmonopole einerseits und deren spezifisch ständische Schichtung andererseits überall auf dem Prestige der patentierten Bildung beruht. Ansätze zu einer spezifischen Bürokratenethik und Bürokratenphilosophie finden sich zwar in einigen literarischen Denkmälern Ägyptens.
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Die Belehrungen von Beamten sind Teil der ägyptischen Weisheits- oder Lebenslehren, die es von der Mitte des dritten Jahrtausends v. Chr. bis in die römische Kaiserzeit gab. Zumeist waren sie in Form von Ermahnungen des Vaters an den Sohn abgefaßt, wobei es sich eigentlich um Belehrungen des Lehrers an seinen Schüler handelte. Vgl. unten, S. 452, Anm. 74.
Aber nur in China hat eine bürokratische Lebensweisheit: der Konfuzianismus, systematische Vervollkomm[333]nung und prinzipielle Geschlossenheit gefunden. Von der Wirkung auf die Religion und auf das Wirtschaftsleben war schon früher die Rede.
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[333] Der Bezug ist unklar. Weber, Religiöse Gemeinschaften, Abschnitte 4 und 7, MWG I/22-2, S. 187 und 233 f., benennt Grundzüge der konfuzianischen Ethik, aber nicht deren Einfluß auf das Wirtschaftsleben, so daß der Verweis sich möglicherweise auf Passagen der Konfuzianismus-Studie bezieht.
Die Einheit der chinesischen Kultur ist wesentlich die Einheit derjenigen ständischen Schicht, welche Trägerin der bürokratischen klassisch-literarischen
o
A: klassisch-literarischer
Bildung und der konfuzianischen Ethik mit dem dieser spezifischen, schon früher erörterten
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Siehe Weber, Religiöse Gemeinschaften, Abschnitte 7, 11 und 12, MWG I/22-2, S. 233 f., 275, 405, 423 f. und 426, aber auch Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 476, dort ist explizit vom „konfuzianischen Vomehmheitsideal“ die Rede.
Vornehmheitsideal ist. Der utilitarische Rationalismus dieser Standesethik hat eine feste Schranke in der Anerkennung traditioneller magischer Religiosität und ihres Ritualkodex als Bestandteil der Standeskonvention, darunter vor allem der Pflicht der Ahnen- und Elternpietät. Wie der Patrimonialismus genetisch aus den Pietätsbeziehungen der Hauskinder gegenüber der hausväterlichen Autorität entstanden ist, so gründet der Konfuzianismus die Subordinationsverhältnisse der Beamten zum Fürsten, der niederen zu den höheren Beamten, vor allem auch der Untertanen zu den Beamten und zu dem Fürsten [A 710]auf die Kardinaltugend der Kindespietät. Der spezifisch mittel- und osteuropäische patrimoniale Begriff des Landesvaters
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Vermutlich meint Max Weber hier – wie aus seinem 1904 in St. Louis gehaltenen Vortrag „The Relations of the Rural Community to Other Branches of Social Science“ (MWG I/8, S. 200–243, hier: S. 230 f. mit Anm. 31) hervorgeht – die Besonderheit der patriarchalischen slawischen Sozialverfassung, die durch „die fügsame Unterwerfung unter die leitende […] väterliche Gewalt des Familienhauptes“ geprägt worden sei. So die These von Meitzen, August, Siedelung und Agrarwesen der Westgermanen und Ostgermanen, Kelten, Römer, Finnen und Slawen, Band 2. – Berlin: Wilhelm Hertz 1895, S. 271.
und etwa die Rolle, welche die Kindespietät als Grundlage aller politischen Tugenden in dem streng patriarchalischen Luthertum spielt, ist die entsprechende, nur im Konfuzianismus weit konsequenter durchgeführte Gedankenreihe. Außer durch das Fehlen einer Grundherrenschicht, also eines lokalen herrschaftsfähigen Honoratiorentums, ist diese Entwicklung des Patrimonialismus in China ermöglicht worden durch die hier besonders weitgehende Befriedung des Weltreichs seit der Fertigstellung der großen Mauer, welche die [334]Hunneneinbrüche für lange Jahrhunderte nach Europa hin ablenkte,
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[334] Max Weber schreibt hier den Bau – und auch Abschluß – der großen Mauer offensichtlich dem Reichseiniger Shih Huang-ti (246–210 v. Chr.) zu. Vgl. Weber. Konfuzianismus, MWG I/19, S. 210, mit der Relativierung dieser Aussage in der Überarbeitung von 1920. Wie Heinrich Hermann, Chinesische Geschichte (wie oben, S. 59, Anm. 62), S. 45, mitteilte, gab es durchaus die Vorstellung, daß ein Feldzug gegen die nördlichen Steppenvölker im Jahre 214 v. Chr. die Hunnenwanderung und deren Vordringen in Europa im 4. und 5. Jahrhundert n. Chr. ausgelöst haben könnte. Beide Thesen waren jedoch schon zur Zeit Max Webers nicht unumstritten. Erste Anfänge eines nördlichen Grenzwalls datierte man zwar auf die Regierungszeit Shih Huang-tis, den Abschluß der Arbeiten dagegen aber erst auf die Regierungszeit der Ming-Dynastie (1368–1644). Außerdem wurden bereits Zweifel geäußert, ob es sich bei den in den chinesischen Quellen als „Hsiung-nu“ bezeichneten nördlichen Völkern tatsächlich um die Hunnen gehandelt habe und somit eine direkte Verbindung zu den „Hunneneinbrüchen“ in Europa hergestellt werden könne.
und seitdem die Expansion nur auf Gebiete sich richtete, welche mit den Streitkräften eines relativ überaus geringen Berufsheeres in Abhängigkeit zu halten waren. Den Untertanen gegenüber hat die konfuzianische Ethik die Theorie des Wohlfahrtsstaats sehr ähnlich, nur weit konsequenter, entwickelt,
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Wie aus später veröffentlichten Ausführungen deutlich wird, lag für Weber das Besondere der konfuzianischen Beamtenethik in der Sorge des Staates für das materielle und ethische Wohlergehen der Untertanen. In Weber, Max, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Religionssoziologische Skizzen, in: AfSSp, Band 41, Heft 1, 1915, S. 1–87, hier: S. 46, heißt es: „Schon in den klassischen Büchern ist es das ,Wohl‘, und das heißt vor allem: die materielle Prosperität und gute Erziehung der Untertanen, was den ,Zweck‘ der Fürstenwürde ausmacht.“ (Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 212 f., textkritische Anm. p).
wie etwa die patrimonialistischen Theoretiker des Okzidents im Zeitalter des aufgeklärten Despotismus, und wie, theokratisch und seelsorgerisch gefärbt, auch die Edikte des buddhistischen Königs Açoka
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Nach seiner Konversion zum Buddhismus – datiert auf das Jahr 260 v. Chr. – erließ König Açoka eine Reihe von Edikten, in denen er die Grundsätze seiner religiös-moralischen Regierungsführung erläuterte und seinen Untertanen deren Befolgung auferlegte. Überliefert sind die sog. heiligen Edikte in Form von Felsen-, Höhlen- und Säuleninschriften. Sie waren u. a. durch den deutschen Indologen Georg Bühler (1837–1898) transkribiert worden und lagen in einer englischen Übersetzung von Vincent A. Smith vor (Smith, Vincent A., Asoka. The Buddhist Emperor of India (Rulers of India 1). – Oxford: Clarendon Press 1901, S. 152; hinfort: Smith, Asoka), auf die sich Weber in seiner Hinduismus-Studie stützte (Weber, Hinduismus, MWG I/20, S. 376 f.).
sie repräsentieren. Ansätze von Merkantilismus finden sich. Aber die Praxis sah wesentlich anders aus. In die zahlreichen lokalen Fehden der Sippen und Dörfer griff der Patrimonialismus normalerweise nur im Notfall ein, und auch Eingriffe in die Wirtschaft waren fast stets fiskalisch bedingt [335]und[,] wo dies nicht der Fall war, scheiterten sie, bei der unvermeidlichen Extensität der Verwaltung, fast immer an der Renitenz der Interessenten. Die Folge scheint in normalen Zeiten eine faktisch weitgehende Zurückhaltung der Politik gegenüber dem Wirtschaftsleben gewesen zu sein, welche dann schon sehr früh auch in theoretischen „laissez-faire“-Prinzipien ihre Stütze fand.
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[335] Wie der in Amerika promovierte Chen Huan-Chang in seiner Arbeit über die konfuzianischen wirtschaftstheoretischen Anschauungen schrieb, konnte die chinesische Regierung ihrem Anspruch, regulierend in die wirtschaftlichen Abläufe im Sinne einer gerechten Güterverteilung und Wettbewerbsbeschränkung einzugreifen, praktisch nicht nachkommen, so daß sie auf ältere konfuzianische Theorien zurückgriff. In dem Kapitel „Laissez-faire policy“ zitiert Chen aus den Werken des Philosophen Tung Chung-shu (179–104 v. Chr.) und insbesondere des Historikers Ssu-ma Ch’ien (145–90 v. Chr.), der sich in seinem Traktat über die „Handelsbilanz“ für eine vom Staat möglichst ungehinderte wirtschaftliche Aktivität ausgesprochen hatte. Vgl. Chen Huan-Chang, The Economic Principles of Confucius and His School. – New York: Columbia University, Longmans, Green & Co. 1911, S. 168–180, sowie dessen Erwähnung bei Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 131, Fn. 1, und die entsprechenden Hinweise auf Ssu-ma Ch’ien, ebd., S. 325 f., 463 f.
Innerhalb der einzelnen Sippenverbände kreuzte sich das Bildungsprestige des geprüften Amtsanwärters, der von allen Sippenmitgliedern als Vertrauensmann und Berater und, wenn er im Amte saß, als Spender von Patronagen angegangen wurde, mit der traditionellen Autorität der Sippenältesten, welche in den lokalen Angelegenheiten zumeist ausschlaggebend blieb.
Alle Mittel der Verwaltungstechnik hinderten nicht, daß auch für rein bürokratische Patrimonialgebilde das Normale ein Zustand blieb, bei welchem die einzelnen Bestandteile des Machtgebiets, je entlegener vom Herrensitz, desto mehr sich der Beeinflussung durch den Herrn entziehen. Das nächstgelegene Gebiet bildet den Bereich direkter patrimonialer Verwaltung des Herrn vermittels seiner Hofbeamten: die „Hausmacht“ des Herrn. Daran schließen sich die Außenprovinzen, deren Statthalter ihr Gebiet ihrerseits patrimonial verwalten, aber, schon infolge der unzulänglichen Verkehrsmittel, die Abgaben nicht mehr in brutto, sondern die Überschüsse nach Deckung des lokalen Bedarfes, regelmäßig aber nur feste Tribute abführen und dabei mit zunehmender Entfernung immer selbständiger in der Verfügung über die Militär- und Steuerkraft des Bezirks dastehen. Dies erzwingt
p
[335]A: Dieser zwingt
schon die aus dem Fehlen moderner Verkehrs[336]mittel folgende Notwendigkeit selbständiger schneller Entschließungen der Beamten bei feindlichen Angriffen auf die „Marken“, deren Beamte überall mit sehr starker Amtsgewalt bewidmet sind (in Deutschland daher die Träger der stärksten Territorialstaatsentwicklung: Brandenburg und Österreich).
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[336] Die Marken waren seit fränkischer Zeit Grenzregionen des Reiches, die zum Zwecke besonderer militärischer Erfordernisse dem Oberbefehl eines Präfekten unterstellt wurden. Die Markgrafschaft Brandenburg geht zurück auf den Askanier Albrecht den Bären (ca. 1100–1170), der nach Eroberungen im Jahr 1134 vom König mit der sächsischen Nordmark belehnt wurde und sich seit 1144 „Markgraf von Brandenburg“ nannte. Das spätere Österreich ging aus der bayerischen Ostmark hervor, die 976 als Reichslehen bei bayerischer Lehnsabhängigkeit den Babenbergern verliehen worden war. Im Konflikt mit den Welfen wurde die Mark 1156 zum Herzogtum Österreich erhoben und die entsprechende Würde durch Kaiser Friedrich I. dem Babenberger Heinrich II. Jasomirgott gegen Verzicht auf das Herzogtum Bayern zugesichert.
Bis endlich zu den entferntesten Gebieten, deren nur noch nominell abhängige Herren zur Zahlung eines Tributes lediglich durch stets erneute Erpressungskampagnen anzuhalten waren, wie sie der Assyrerkönig ganz ebenso wie noch in der neuesten Zeit die Herrscher vieler Negerreiche
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So ließ beispielsweise der König der Aschanti (an der Goldküste Afrikas) noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Tribute durch Erpressungskampagnen bei den unterworfenen Ländern und Stämmen eintreiben. Vgl. Cruickshank, Brodie, Ein achtzehnjähriger Aufenthalt auf der Goldküste Afrika’s. Aus dem Englischen übersetzt. – Leipzig: Dyk o. J. [1855], S. 26 f., 156–158 (hinfort: Cruickshank, Goldküste Afrika’s); von Max Weber, Die Stadt, MWG I/22-5, S. 108, als Referenzliteratur angegeben.
alljährlich abwechselnd nach irgendeinem der Außenschläge ihrer prätendierten, durchweg labilen, teilweise direkt fiktiven Machtgebiete unternahmen. Die beliebig absetzbaren, aber auf festen Tribut und feste Militärkontingente gesetzten persischen Satrapen
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Die Einteilung des Perserreiches in 20 Satrapien ging auf Darius (Großkönig von 522 bis 486 v. Chr.) zurück, ebenso die Einführung fester Tribute, die – nach Größe und Vermögen abgestuft – von den Provinzen jährlich zu erbringen waren (Herodot, Historien 3, 89–91, und dazu Meyer, Geschichte des Alterthums III1, S. 84 f.). Die Satrapen waren zu absolutem Gehorsam gegenüber dem König verpflichtet und wurden durch besondere Beamte, die „Augen“ und „Ohren“ des Königs, kontrolliert. Vgl. Bausani, Alessandro, Die Perser. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. – Stuttgart: W. Kohlhammer 1965, S. 20 (hinfort: Bausani, Die Perser).
einerseits, die einem „Landesherren“ sehr nahestehenden, immerhin im Fall der Pflichtverletzung versetzbaren japanischen Daimyos
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Für geringere Vergehen oder Mißwirtschaft konnten die Daimyō versetzt werden. Diese Form der Strafversetzung hieß „kunigaye“ (Gebietstausch) und war von den ersten drei Tokugawa-Shōgunen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eingeführt worden. Vgl. Rathgen, Japans Volkswirtschaft, S. 39, und unten, S. 390 f.
anderer[337]seits, bilden
q
[336]A: andererseits bilden,
zwei Typen, zwischen denen in der Mitte die „Statthalter“ der meisten orientalischen und asiatischen großen Reiche mit ihrer praktisch stets labilen Abhängigkeit zu stehen pflegen. Unter [A 711]den großen Kontinentalreichen war jene Art von politischen Konglomeratsgebilden von jeher der verbreitetste, bei großer Konstanz der entscheidenden Grundzüge in der Einzelgestaltung naturgemäß sehr variable Typus. Auch das chinesische Reich bis in die Neuzeit weist trotz der Einheitlichkeit seiner Beamtenschicht diese Züge eines Konglomerats von zum Teil nur nominell abhängigen Satrapien auf, welche sich um die direkt verwalteten Kernprovinzen gruppierten.
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[337] Max Weber folgt hier offensichtlich der These von Parker, Edward Harper, China. Her History, Diplomacy and Commerce From the Earliest Times to the Present Day. – London: John Murray 1901, S. 22 und 43 (hinfort: Parker, China), der die satrapenartige Organisation von der Han-Dynastie (206 v. Chr.–220 n. Chr.) bis in die Anfangszeit der Qing-Dynastie (1644–1912) datiert. Zu den Kernprovinzen zählten unter ihrer Herrschaft Tientsin mit der Hauptstadt Peking sowie die Provinzen Shantung, Shensi und Honan. Diese standen unter direkter Verwaltung, während die anderen 14 Provinzen von Gouverneuren bzw. Vizekönigen verwaltet wurden. Vgl. Morse, Trade (wie oben, S. 222, Anm. 32), S. 63 f.
Insbesondere behielten auch hier, wie in den persischen Satrapien,
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Im alten Perserreich waren die Provinzen oft an reiche oder adelige Familien in Pacht gegeben; z. B. hatte das Haus Murashu aus Babylon die Provinz Nippur in Pacht und zahlte dafür jährlich an die Kasse von Darius I. (522–486 v. Chr.) eine festgelegte Summe in Silber. Vgl. Bausani, Die Perser (wie oben, S. 336, Anm. 40), S. 21.
die lokalen Behörden die Einnahmen aus ihren Provinzen in der Hand und bestritten daraus die Kosten der lokalen Verwaltung vorab; die Zentralregierung erhielt nur ihren zwar rechtlich, aber nur schwer und gegen leidenschaftlichen Widerstand der Provinzialinteressenten faktisch zu erhöhenden Tribut.
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Durch ein kaiserliches Edikt war 1713 die Grundsteuer verbindlich und unabänderlich festgelegt worden (vgl. Morse, Trade (wie oben, S. 222, Anm. 32), S. 86), was – nach Webers Interpretation in der Konfuzianismus-Studie – den verzweifelten Versuch der Zentralregierung darstellte, durch die Festschreibung der Besteuerungshöhe die von den Provinzialbeamten zu leistenden Tribute rechtlich zu fixieren. Vgl. Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 218 f. sowie Parker, China (wie oben, Anm. 42), S. 199 f.
Die Frage, wieweit die sehr fühlbaren Reste dieses Zustandes zugunsten rationaler Gliederung der Zentral- und Lokalgewalt und der Schaffung einer kreditwürdigen Zentralgewalt beseitigt werden sollen und können, bildet wohl das wichtigste Problem der modernen chinesischen Verwal[338]tungsreform
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[338] Die Reformversuche vor dem Zusammenbruch des chinesischen Kaiserreichs im Oktober 1911 betrafen vor allem das Ausbildungswesen für Beamte sowie das Finanz- und Währungswesen. Die Zentralregierung hatte keine Kontrolle über die Münzprägung und die Steuereinnahmen in den Provinzen. Sie konnte also nicht über regelmäßige Einkünfte verfügen, so daß sie zunehmend auf ausländische Kredite angewiesen war. Vgl. insbesondere Franke, Ostasiatische Neubildungen (wie oben, S. 59, Anm. 62), S. 22 ff., 72 ff., 312 ff.
und hängt natürlich mit der Frage jener Beziehungen der Zentral- zu den Provinzialfinanzen, also ökonomischen Interessengegensätzen zusammen.
Die Dezentralisation erreicht, wie einerseits in der bloßen Kontingents- und Tributpflicht, so andererseits im Teilfürstentum einen Grenzfall. Da alle Herrschaftsbeziehungen, ökonomische wie politische, als privater Besitz des Herrn gelten, so ist Teilung im Erbgang eine durchaus normale Erscheinung. Diese Teilung gilt aber regelmäßig nicht als eine Konstituierung ganz selbständiger Gewalten: sie ist keine „Totteilung“ im deutsch-rechtlichen Sinn,
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Unter „Totteilung“ verstand man im frühen deutschen Recht die vollständige Aufteilung des Erbgutes. Diese Form der Erbregelung, welche eine Substanz- oder auch Realteilung war, erfuhr im Verlauf des Mittelalters gegenüber der Erbregelung, die nur bestimmte Nutzungsrechte unter Wahrung der Einheit der Erbsubstanz mit einschloß, eine Abschwächung.
sondern meist zunächst nur eine Verteilung der Einkünfte und Herrenrechte zur selbständigen Ausübung unter mindestens fiktiver Aufrechterhaltung der Einheit. Diese rein patrimoniale Auffassung der Fürstenstellung äußerte sich z. B. im Merowingerreich in der geographisch höchst irrationalen Art der Teilung: es mußten die besonders stark mit ertragreichen Domänen oder anderen Quellen hoher Einkünfte besetzten Gebietsteile so verteilt werden, daß die Einnahmen der einzelnen Teilfürsten ausgeglichen wurden.
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Max Weber bezieht sich hier auf die beiden wichtigsten Reichsteilungen der merowingischen Epoche von 551 (nach dem Tod Chlodwigs) und von 561 (nach dem Tod Chlotars I.). In beiden Fällen wurde das fränkische Reich unter den Söhnen entsprechend „der rein privatrechtlichen vermögensrechtlichen Auffassung“ aufgeteilt. Vgl. dazu Dahn, Felix, Die Könige des Germanen. Das Wesen des ältesten Königthums der germanischen Stämme und seine Geschichte bis zur Auflösung des karolingischen Reiches. Nach den Quellen dargestellt, Band 7: Die Franken unter den Merovingen, Abt. 1–3. – Leipzig: Härtel und Breitkopf 1894–95, hier: Abt. 3, S. 446–453, Zitat: S. 447 (hinfort: Dahn, Germanen VII).
Die Art und das Maß von Realität der „Einheit“ kann sehr verschieden stark sein. Unter Umständen bleibt ein reiner Ehrenvorrang bestehen. Der Metropolitensitz Kiew mit dem Großfürstentitel spielt in der Teilfürstenperi[339]ode Rußlands
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[339] Der kirchlich-politische Aufstieg Kiews erfolgte unter Wladimir (Großfürst ca. 980–1015) und seinem Sohn Jaroslaw (Großfürst 1016–1018, 1019–1054). Die Zerteilung des Großfürstentums begann bereits unter den Nachfolgern Jaroslaws. Im 12. und 13. Jahrhundert symbolisierten die Titel „großer Kagan“ und „Metropolit von Kiew und ganz Rußland“ die faktisch nicht mehr vorhandene Einheit. Auch nach der Verlegung des Metropolitensitzes 1299 nach Wladimir und 1326 nach Moskau blieb der Titel für das kirchliche Oberhaupt erhalten. Vgl. Zscharnack, Leopold, Kiew, in: RGG1 Band 3, 1912, Sp. 1103, und Völker, Karl, Rußland, in: RGG1, Band 5, 1913, Sp. 90–105, hier: Sp. 91.
dieselbe Rolle wie Aachen und Rom mit dem Kaisertitel bei der Teilung des Karolingerreichs.
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Nach dem Tod Kaiser Ludwigs des Frommen besiegelten dessen Söhne im Vertrag von Verdun (843) die Teilung des deutschen Reiches in das westfränkische, das ostfränkische und das lotharingische Mittelreich. Die Herrschaft über das Mittelreich, das die traditionellen Krönungsorte, Aachen und Rom, einschloß, war fortan mit der römischen Kaiserwürde verbunden. Diese symbolisierte trotz des Gebiets- und Einflußverlusts des Mittelreiches gegenüber den beiden anderen Reichen (besonders durch die Verträge von Meersen 870 und Ribemont 880) die Einheit des zerfallenden Reiches. Vgl. Sickel, Wilhelm, Die Kaiserkrönungen von Karl bis Berengar, in: HZ, Band 82, 1899, S. 1–37.
Das Reich Dschingis Khans galt als Gesamtbesitz seiner Familie, der Großkhantitel sollte theoretisch dem jüngsten Sohne zufallen, tatsächlich wurde er durch Designation oder Wahl vergeben.
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Dschingis Khan hatte vor seinem Tod im August 1227 das Mongolenreich unter seinen Söhnen und Enkeln aufgeteilt und seinem dritten Sohn Ogdai die Oberleitung als Großkhan zugewiesen. Das eigentliche Entscheidungsgremium, das 1206 auch Dschingis Khan (bis dahin: Temudschin) zum Oberhaupt ernannt hatte, war der kurultai, die Versammlung der mongolischen Fürsten und Unterkhane. Sie proklamierte erst 1229 Ogdai zum Nachfolger, während in der Zwischenzeit dessen Bruder Tuli die Reichsverweserschaft innegehabt hatte. Vgl. Helmolts Weltgeschichte, Band 2, 1. Aufl. – Leipzig, Wien: Bibliographisches Institut 1902, S. 92 f., 170 f.
Faktisch entziehen sich die Teilfürsten freilich überall regelmäßig der zugemuteten Unterordnung. Gerade die Vergebung großer Amtsgewalten an Mitglieder der herrschenden Familie kann statt der Erhaltung der Einheit den Zerfall oder – wie in den Rosenkriegen
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Die Kämpfe zwischen den Häusern York und Lancaster um den Königsthron in den Jahren 1455 bis 1485 wurden erst später nach den Feldabzeichen der beiden verfeindeten Adelshäuser als „Rosenkriege“ bezeichnet.
– Prätendentenkämpfe begünstigen. Wieweit sich dementsprechend, bei Umgestaltung der patrimonialen Ämter in erblich appropriierte Gewalten[,] die Erbteilung auch auf sie überträgt, hängt von verschiedenen Umständen ab. Einerseits insbesondere von dem Maß des Verfalls oder umgekehrt der Aufrechterhaltung ihres Amtscharakters. Bei hoher Entwicklung der Machtstellung des Patrimonialbeamtentums kann daher gerade in Teilfürstenreichen ein einheitlicher Beamter dem Teilfürsten ge[340]genüber die reale Reichseinheit repräsentieren (so der karolingische Hausmeier),
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[340] Das fränkische Reich zerfiel unter den Merowingern in verschiedene Teilreiche, z. B. Burgund, Neustrien und Austrien, die jeweils eigene Hausmeier hatten. Pippin II. der Mittlere (um 640–714) besiegte 687 den konkurrierenden, neustrischen Hausmeier und stellte damit die Reichseinheit her. Seitdem behandelten die Arnulfinger das Hausmeiertum als Erbgut ihres Geschlechts. Bereits Pippins Sohn Karl Martell war seit 737 der faktische Alleinherrscher im fränkischen Reich.
dessen Wegfall die definitive Teilung begünstigte. Aber naturgemäß verfielen auch gerade diese patrimonial voll appropriierten höchsten Ämter – so das karolingische Hausmeiertum
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Karl Martell teilte – dem geltenden Erbrecht entsprechend – im Jahre 741 mit Zustimmung der Großen das Hausmeieramt unter seine Söhne Karlmann und Pippin III., den Jüngeren. Dieser einte durch den Verzicht seines Bruders 747 das Amt erneut und konnte aufgrund der erreichten Machtbasis 751 den letzten König der Merowinger ablösen und sich selbst zum König krönen lassen.
– leicht der Teilung. Die Abstreifung dieses die Dauerhaftigkeit der Patrimonialgebilde sehr stark gefährdenden Erbteilungsprinzips ist in sehr verschiedenem Maße und auch aus verschiedenen Motiven durchgeführt worden. Ganz generell stehen der Erbteilung in politisch bedrohten Ländern politische Bedenken entgegen und empfahl sich jedem Monarchen überhaupt auch im offensichtlichen Interesse der Erhaltung seiner Familie der Ausschluß der Erbteilung. Aber dies machtpolitische Motiv hat doch nicht immer genügt. Teils ideologische, teils tech[A 712]nisch-politische Motive mußten jener Tendenz zu Hilfe kommen. Der chinesische Monarch wurde, nach der Durchführung der bürokratischen Ordnung, einerseits mit einer derartigen magischen Würde bekleidet,
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In den kanonisierten Schriften des Konfuzianismus wurde die magisch-charismatische Stellung des Kaisers festgeschrieben und ihre Wurzeln in vorhistorische Zeiten verlegt. Der Kaiser war als „Sohn des Himmels“ für den Schutz seines Landes und Volkes zuständig und hatte das Wohlwollen der Ahnen und Geister durch regelmäßige Opfer sicherzustellen. Der Konfuzianismus wurde unter der Han-Dynastie (206 v. Chr.–220 n. Chr.) zur offiziellen Staatslehre erhoben. Vgl. de Groot, Religionen der Chinesen (wie oben, S. 332, Anm. 29), S. 163 ff., sowie Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 332–335.
daß diese begrifflich unteilbar blieb, andererseits wirkten
r
[340]A: wirkte
die ständische Einheit der Bürokratie und ihre Avancementsinteressen im Sinn der technischen Unteilbarkeit des politischen Gebildes. Der japanische Shogun und Daimyo blieben begrifflich „Ämter“, und der besondere vasallitische Charakter der Amts- und Militärverfassung (der „Han“-Begriff, von dem noch zu [341]reden ist)
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[341] Der Bezug ist unklar. Die wörtliche Erwähnung des „han“-Begriffs findet sich bereits oben, S. 289; die Darstellung der japanischen Amts- und Militärverfassung erfolgt dagegen im Text „Feudalismus“, unten, S. 390 f., dort aber ohne Erläuterung des „han“-Begriffs. Vgl. dazu auch den Editorischen Bericht, oben, S. 236.
begünstigte die Erhaltung der Einheit der Herrenstellung. Die religiös bedingte Einheit des islamischen Khalifats hinderte nicht den Zerfall des rein weltlichen Sultanats, welches in den Händen der Sklavengenerale entstand, in Teilreiche.
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Die Abbasiden-Kalifen (750–1258) verliehen den Sultantitel als Herrschaftstitel erstmals 1055 an den Seldschuken Tughril Beg. Damit begann die Verselbständigung des Sultanats, das seit 1258 mehrere islamische Machthaber und schließlich die Mameluken in Ägypten ausübten. Unter den Mameluken, die aus ehemaligen Sklaven der Sultans- und Emirsgarden hervorgegangen waren, entstand die Theorie von der weltlichen Gewalt des Sultanats. Vgl. Zetterstéen, Karl Vilhelm, Sulṭān, in: Enzklopädie des Islam, Band 4, 1934, S. 587–591, und Matuz, Osmanisches Reich (wie oben, S. 267 f., Anm. 50), S. 14 f.
Aber die Einheit der disziplinierten Sklavenheere wirkte hier in der Richtung der Erhaltung der Einheit der einmal konstituierten Throne: die Teilung ist im islamischen Orient schon deshalb niemals heimisch geworden. Wenn sie schon im antiken Orient fehlte, so war wohl wesentlich die notwendige Einheit der staatlichen Wasserwirtschaft der technische Grund für die Erhaltung dieses Grundsatzes, dessen Entstehung aber wohl in dem ursprünglichen Charakter des Fürstentums als Stadtkönigtum ihren historischen Ausgangspunkt hatte. Denn naturgemäß ist eine Herrengewalt über eine einzelne Stadt technisch gar nicht oder schwer teilbar im Vergleich mit einer ländlichen Territorialherrschaft. Jedenfalls aber waren teils religiöse, teils amtsrechtliche, teils und namentlich technische und militärische Gründe für das Fehlen der Erbteilung orientalischer patrimonialer Monarchengewalten maßgebend. Eine Teilung, wie etwa die der Diadochen,
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Nach dem Tod Alexanders d.Gr. im Jahr 323 v. Chr. begannen die Kämpfe unter dessen Feldherren, den sog. Diadochen (griech.: Nachfolger). Das Großreich wurde unter ihnen folgendermaßen aufgeteilt: Antigonos herrschte in Lykien, Pamphylien und Phrygien, Antipatros in Makedonien, Ptolemaios in Ägypten, Seleukos in Babylonien und Lysimachos in Thrakien. Die Diadochenzeit fand durch die Schlacht bei Ipsos 301 v. Chr. einen gewissen Abschluß, so daß sich seit 280 v. Chr. drei hellenistische Großreiche un[342]ter den Ptolemäern, Seleukiden und Antigoniden herausbilden und stabilisieren konnten.
fand statt, wo mehrere selbständige stehende Heere unter besonderen Herren nebeneinander stehen, nicht aber aus Anlaß von Erbfällen im Herrenhause. Der Amtscharakter wirkte auch im Okzident in der gleichen Richtung, wo immer er der Herrengewalt anhaftete. Dem Kaisertum Roms blieb die Teilung fremd. Erst mit dem endgül[342]tigen Schwinden des Magistratscharakters des römischen „princeps“ zugunsten des „dominus“ der diokletianischen Ordnung
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Max Weber schließt sich offensichtlich der These von Theodor Mommsen an, daß sich die „Entwickelung der Monarchie vom Oberamt zum Herrenthum mit größter Genauigkeit“ an der begrifflichen Verwendung von „princeps“ und „dominus“ ablesen lasse. Während der „princeps“ ein ,primus inter pares‘ gewesen sei, beanspruche der „dominus“ – oft auch verbunden mit seiner Vergöttlichung – Untertänigkeit. Diokletian schrieb als erster die förmliche Anrede „dominus“ vor. Vgl. Mommsen, Römisches Staatsrecht II,23 (wie oben, S. 143, Anm. 37), S. 760–763, Zitat: S. 761.
zeigt sich eine Tendenz zur Teilung, die aber rein politisch-militärisch und nicht patrimonial bedingt war und alsbald wieder an der Geschlossenheit jener
s
[342]A: jeder
militärisch (in der Rekrutierung) schon längst gesonderten Reichshälfte Halt machte.
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Max Weber meint hier wohl die westliche Reichshälfte, in der ein Großteil der Staatslasten auf private Grundbesitzungen verlagert worden war, wodurch ein zwar formell freier und dienstpflichtiger, aber an den Boden gebundener Bauernstand entstanden war, das sog. Kolonat. Somit folgt Weber der generellen These von Theodor Mommsen über den Zusammenhang von Kolonat und Militärverfassung. (Vgl. Mommsen, Theodor, Das römische Militärwesen seit Diocletian, in: Hermes, Band 24, 1889, S. 195–279, bes. S. 242 ff.). In der Datierung dieses Instituts weicht Weber allerdings von Mommsen ab, der es erst in der nachkonstantinischen Zeit beginnen ließ. Weber deutete bereits in seiner Habilitationsschrift an, daß eine vereinheitlichende Reorganisation der Staatsfinanzen durch zahlreiche Exemtionen verhindert worden sei, so daß der Staat gezwungen war, bestehende Besitzunterschiede anzuerkennen. (Vgl. Weber, Römische Agrargeschichte, MWG I/2, S. 289 f.). Auch Ludo Moritz Hartmann sah – gegen Mommsen – in der Unterscheidung von Provinzen, die Kolonen stellen, und solchen, die eine Ablösesumme (pretium) zahlen durften, ein Indiz für das höhere Alter des Instituts. Vgl. Hartmann, Ludo Moritz, über den römischen Colonat und seinen Zusammenhang mit dem Militärdienste, in: Archaeologisch-epigraphische Mittheilungen aus Österreich-Ungarn, 17. Jg., 1894, S. 125–134, bes. S. 132 ff.
Der Ursprung der Magistratur und Monarchie aus
t
A: und
der Kommandogewalt über das Bürgerheer blieb derart wirksam bis in die späteste Zeit. Auch im Okzident blieb unteilbar in erster Linie, was ganz und gar als „Amt“ galt: neben den nicht appropriierten Ämtern vor allem die Kaiserwürde. Im übrigen wirkten im Okzident wie überall alle weitblickenden Machtinteressen der Monarchen in der Richtung der Beschränkung oder des Ausschlusses der Teilbarkeit. Namentlich daher bei erobernden Neugründungen. Sowohl das englische wie das süditalische Normannenreich und die spanischen Eroberungsreiche blieben unteilbar, wie es die ersten Völkerwanderungsreiche auch waren. Sonst aber ist die [343]Unteilbarkeit unter starker Mitwirkung zweier untereinander sehr verschiedener Motive durchgeführt worden. Für die Königtümer Deutschlands und Frankreichs dadurch, daß sie – auch Frankreich wenigstens der Form nach – Wahlmonarchien wurden.
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[343] Im nachkarolingischen ostfränkisch-deutschen Reich wählten die vornehmsten Fürsten und seit 1346 die sieben Kurfürsten den König. Im westfränkisch-französischen Reich wurde Hugo Capet 987 von den Grafen aus dem Haus der Robertiner zum König gewählt, jedoch blieb hier das Prinzip der Sohnesfolge vorherrschend.
Dagegen für die sonstigen patrimonialisierten und vor allem auf Grund einer dem Okzident spezifischen Voraussetzung: der Entwicklung der ständischen Territorialkörperschaften. Weil und soweit diese – die Vorläufer der modernen Staatsanstalt – als Einheit gelten, gilt auch die Gewalt des „Landesherrn“ als unteilbar. Indessen hier kündigt sich schon der moderne „Staat“ an. Innerhalb des Patrimonialismus dagegen findet sich vom haushörigen Patrimonialbeamten bis zum Tributärfürsten und bis zum nur nominell abhängigen Teilkönig eine ganze Stufenleiter von faktischen Selbständigkeitsgraden der lokalen Gewalten innerhalb des patrimonialen Herrschaftsverbandes.
Eine spezifische Problematik erzeugt nun das stete Ringen der Zentralgewalt mit den verschiedenen zentrifugalen lokalen Gewalten für den Patrimonialismus dann, wenn der Patrimonialherr mit seinen ihm persönlich zur Verfügung stehenden Macht[A 713]mitteln: eigenem Grundbesitz und anderen Einkommensquellen, mit ihm persönlich solidarischen Beamten und Soldaten, nicht einer bloßen in sich nur nach Sippen und Berufen gegliederten Masse von Untertanen gegenübersteht, sondern wenn er als ein Grundherr neben und über anderen Grundherren steht, welche als eine lokale Honoratiorenschicht eine eigenständige Autorität innerhalb ihrer Heimatsbezirke genießen. Dies war, im Gegensatz zu China und Ägypten seit dem neuen Reich,
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D.h. zwischen 1550 und 1070/69 v. Chr.; vgl. auch die Erläuterung oben, S. 278, Anm. 76.
schon in den antiken und mittelalterlichen politischen Patrimonialgebilden Vorderasiens der Fall, am stärksten aber in den okzidentalen politischen Herrschaftsverbänden seit der römischen Kaiserzeit. Eine Vernichtung dieser eigenständigen lokalen patrimonialen Gewalten kann der Patrimonialfürst nicht immer wagen. Einzelne römische Kaiser (Nero) haben zwar, besonders in Afrika, in starkem Umfang zu dem Mittel der Ausrottung der priva[344]ten Grundherren gegriffen.
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[344] Bei Plinius denn Älteren (Naturalis historia 18, 35) heißt es, daß sechs Grundbesitzer die Hälfte des prokonsularischen Afrika besessen hätten, „als Kaiser Nero sie töten ließ“. Vgl. Weber, Agrarverhältnisse3, S. 65, sowie Weber, Die Stadt, MWG I/22-5, S. 296, Anm. 279, und Schulten, Römische Grundherrschaften (wie oben, S. 258, Anm. 25), S. 28, 120.
Allein dann müssen entweder, wenn die eigenständige Honoratiorenschicht ganz verdrängt werden soll, eigene Mittel der Verwaltungsorganisation zur Verfügung stehen, welche sie mit annähernd gleicher Autorität innerhalb der lokalen Bevölkerung ersetzen. Oder es entsteht in Gestalt der Pächter oder Grundherren, welche nun an die Stelle der einheimischen gesetzt werden, nur ein neuer Honoratiorenstand mit ähnlichen Prätensionen. In gewissem Umfang schon für den vorderasiatischen, prinzipiell für den hellenistischen und kaiserlich-römischen Staat war das spezifische Mittel der Schaffung eines lokalen Verwaltungsapparates die Städtegründung,
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Gemeint ist vor allem die Verleihung des römischen Bürgerrechts an neu gegründete oder bereits bestehende Gemeinden in eroberten Gebieten. Im spätrömischen Reich wurden die Stadträte (decuriones) zunehmend mit der Durchführung staatlicher Aufgaben belastet, die sie aus eigenen Mitteln zu bestreiten hatten.
und eine ganz ähnliche Erscheinung finden wir auch in China, wo noch die Unterwerfung der Miaotse im letzten Jahrhundert mit ihrer Urbanisierung identisch war.
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Die Miao (oder in zeitgenössischer Schreibweise „Miaotse“) sind eine Gruppe von Völkern und Stämmen, die u. a. in den gebirgigen Teilen Südchinas leben, und immer wieder ihre Unabhängigkeit von China zu behaupten suchten. In der Provinz Kueichou fand von 1868 bis 1872 ein Krieg gegen die Miao statt, in dem diese fast vollständig vernichtet wurden. Die wenigen Überlebenden wurden in die Städte umgesiedelt, die zur Beherrschung dieser Provinz und zur Sicherung ihrer Handelswege gegründet worden waren. Vgl. v. Richthofen, China (wie oben, S. 59, Anm. 62), S. 280–283, 503 f., sowie Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 130 f. mit Anm. 21.
Wir werden uns mit dem allerdings sehr verschiedenen Sinn, den dies Mittel in diesen Fällen gehabt hat, später zu befassen haben.
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Siehe den Text „Feudalismus“, unten, S. 421, aber auch Weber, Die Stadt, MWG I/22-5, S. 115 ff., 246 ff.
Jedenfalls aber erklärt sich daraus, daß, ganz allgemein gesprochen, die zeitliche und örtliche ökonomische Grenze der Städtegründung im Römerreich auch die Grenze der überkommenen Struktur der antiken Kultur wurde. Die Grundherrschaften gewannen naturgemäß um so mehr an politischem Gewicht, je mehr die Städtegründung versagte, und das hieß im allgemeinen: je mehr das Reich ein Binnenreich wurde. Für den spätantiken
u
[344]A: spät antiken
Staat sollte dann seit Konstantin die Bischofsgewalt die [345]Stütze der Reichseinheit werden. Die ökumenischen Konzilien wurden die spezifischen Reichsversammlungen.
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[345] Nach der Anerkennung des Christentums durch Konstantin d.Gr. 313 lehnte sich die Kirche in ihrer Organisation an die des spätrömischen Reiches an. Der Kaiser berief 325 die Bischöfe aus allen Teilen des Reiches nach Nicäa. Als Vertreter ihrer Diözesen und Provinzen repräsentierten die versammelten Bischöfe nicht nur die Einheit der Kirche, sondern auch die des römischen Reiches, weshalb das Konzil von Nicäa auch als erste Reichssynode bezeichnet wurde. (Vgl. dazu Sohm, Rudolph, Kirchengeschichte im Grundriß, 10. Aufl. – Leipzig: E. Ungleich 1896, S. 36–41). Als ökumenische, d. h die gesamte Kirche umfassende, Konzilien werden heute von der griechischen und römisch-katholischen Kirche die sieben Konzilien zwischen 325 (Nicäa) und 787 (2. Konzil zu Nicäa über den Bilderstreit) anerkannt.
Es wird noch zu erwähnen sein,
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Der Bezug ist unklar. Siehe oben, S. 300–307, oder den Text „Staat und Hierokratie“, unten, S. 579–587. Beide Stellen passen aber nicht ganz zu dem hier angesprochenen Sachverhalt.
warum die durch den Staat universalisierte und politisierte Kirche, weil sie gerade infolge dieser Politisierung sich ungemein schnell regionalisierte, diese Stütze nicht in genügendem Maße bleiben konnte. Im frühmittelalterlichen Patrimonialstaat wurde wiederum in anderer Form die Kirche zu einer ähnlichen Rolle ausersehen. So im Frankenreich und in anderer Art innerhalb der Feudalstaaten. Speziell in Deutschland versuchte der König, zunächst mit dem größten Erfolg, den lokalen und regionalen Gewalten ein Gegengewicht gegenüberzustellen durch Schaffung eines mit dem weltlichen konkurrierenden, kirchlichen politischen Honoratiorenstandes der Bischöfe, welche, weil nicht erblich, und nicht lokal rekrutiert und interessiert, in ihren universell gerichteten Interessen mit dem König völlig solidarisch schienen, und deren vom König ihnen verliehene grundherrliche und politische Gewalten auch rechtlich ganz in der Hand des Königs blieben. Deshalb war speziell für das deutsche Königtum das Unternehmen der Päpste, die Kirche entweder direkt bürokratisch zu organisieren, also die Kirchenämter ganz in die eigene Hand zu bekommen, oder doch ihre Besetzung nach kanonischer Regel unabhängig vom Königtum durch Klerus und Gemeinde vornehmen zu lassen, – d. h. der Sache nach: durch einen lokalen geistlichen Honoratiorenstand von Domkapitularen, welche mit den lokalen weltlichen Honoratioren durch verwandtschaftliche und persönliche Beziehungen verknüpft waren –, ein Kampf um die Grundlage seiner spezifischen politischen Machtmit[346]tel gegenüber den lokalen Gewalten.
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[346] Das Wormser Konkordat (1122) nahm dem König das Recht auf die Investitur von Bischöfen und legte das Wahlrecht in die Hände von Klerus und Volk einer Diözese. Im 12. Jahrhundert gelang es dem in den Domkapiteln vertretenen Klerus, dieses Recht ausschließlich für sich zu behaupten. (Vgl. Below, Georg von, Die Entstehung des ausschliesslichen Wahlrechts der Domkapitel. Mit besonderer Rücksicht auf Deutschland (Historische Studien, Heft 11). – Leipzig: Veit & Comp. 1883). Im Verlauf des 13. Jahrhunderts gerieten allerdings die Domkapitel durch das Zulassungskriterium der ‚Stiftsfähigkeit‘, d. h. der Notwendigkeit des Nachweises einer bestimmten Zahl adeliger Ahnen, zunehmend in die Hände des lokalen Adels. Vgl. Schulte, Aloys, Der Adel und die deutsche Kirche im Mittelalter. Studien zur Sozial-, Rechts- und Kirchengeschichte. – Stuttgart: Ferdinand Enke 1910, S. 32 ff. und 244 f.
Und eben deshalb fand die Kirchengewalt dabei leicht die Unterstützung der weltlichen Honoratioren gegen den König. Eine Kombination von Entwaffnung und Theokratisierung (so bei den Juden und in Ägypten)
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Kyros II. (559–529 v. Chr.) ermöglichte durch die Eroberung Babylons den Juden die Rückkehr aus dem Exil und gab 536 v. Chr. den Befehl zum Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem, der durch Provinztribute und den persischen Königshort finanziert wurde. Die Priesterschaft von Jerusalem war steuerfrei. Vgl. Meyer, Geschichte des Alterthums III1, S. 88. – Auf Betreiben von Darius I. (522–486 v. Chr.) wurde in Ägypten das Hierogrammatenkollegium – als oberstes Gremium der Priester des Landes – wiederbelebt. Vgl. Meyer, Eduard, Geschichte des alten Ägyptens. – Berlin: G. Grote 1887, S. 391 f.
ver[A 714]bunden mit der Ausnutzung der schroffen nationalen Gegensätze und der Interessenkollisionen lokaler Honoratioren hat, soviel sich sehen läßt, die labile Einheit des Perserreichs über zwei Jahrhunderte lang erhalten.
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Gemeint ist das alte Perserreich unter der Herrschaft der Achämeniden von Kyros II. bis Artaxerxes III. (von 559 bis 330 v. Chr.). Die nachfolgend erwähnten Kämpfe führten zur Verselbständigung der machtvollen Satrapen (nach 479 v. Chr.).
Jedenfalls aber finden sich schon im babylonischen und persischen Reich Spuren jener typischen Auseinandersetzungen zwischen den lokalen Honoratiorenschichten und der Zentralgewalt, wie sie später im okzidentalen Mittelalter zu einer der wichtigsten Determinanten der Entwicklung wurden.
Die lokale Grundherrenschicht verlangt überall zunächst und vor allem: daß der Patrimonialfürst ihre eigene patrimoniale Gewalt über ihre Hintersassen unangetastet lasse oder direkt garantiere. Also vor allem Ausschluß von Eingriffen der Verwaltungsbeamten des Herrschers auf dem Gebiet ihrer Grundherrschaft: Immunität. Der Grundherr als solcher soll die Instanz sein, durch deren Vermittlung der Herrscher mit den Hintersassen überhaupt in Beziehung tritt, an ihn soll man sich wegen krimineller und steuerlicher Haftung dieser letzteren halten, ihm soll die Stellung der Rekruten, die Leistung [347]und Subrepartition des Steuersolls
v
[347]A: Steuersolds
für sie überlassen bleiben. Daneben wird natürlich, da der Grundherr die Prästationsfähigkeit der Hintersassen an Fronen und Abgaben für sich selbst auszunutzen wünscht, deren Leistung an den Patrimonialfürsten möglichst herabgesetzt oder doch fixiert werden. Immunitätsprivilegien, welche verschieden große Bruchteile solcher Ansprüche erfüllen, finden sich schon im 3. Jahrtausend in Ägypten (zugunsten von Tempeln und Beamten)
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[347] Offensichtlich sind hier die bereits erwähnten und von Kurt Sethe neu übersetzten Immunitätsprivilegien gemeint (Sethe, Décrets royaux); vgl. oben, S. 321 mit Anm. 1.
und dann im babylonischen Reich (hier auch zugunsten privater Grundherren).
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Felix E. Peiser erwähnt solche Verleihungen für die Frühzeit des babylonischen Reiches, in der „Übergangszeit aus dem Feudal- ins Centralsystem“. Die Freibriefe galten für die Familienbesitzungen des alten Adels und nahmen sie von dem Zugriff der Staatsgewalt aus. Staatsbeamte durften die Gebiete nicht betreten oder deren Bewohner verhaften, ebenso waren diese Besitzungen von Staatsfronden ausgenommen. Vgl. Peiser, Felix E., Skizze der babylonischen Gesellschaft (Mitteilungen der Vorderasiatischen Gesellschaft, Heft 3). – Berlin: Wolf Peiser 1896, S. 145–176 (Sonderpaginierung: S. 1–32), Zitat: S. 8; sowie Weber, Agrarverhältnisse3, S. 69, 77, dort führt Weber eine Inschrift aus der Regierungszeit Asarhaddons (680–669 v. Chr.) an. Diese ist abgedruckt und übersetzt bei Winckler, Hugo, Altorientalische Forschungen, 1. Reihe, Band 6. – Leipzig: Eduard Pfeiffer 1897, S. 497–503, darin bestätigt Asarhaddon dem Adeligen Mušizib-Marduk die Rechte an den Familiengütern.
Bei konsequenter Durchführung bedeuten jene Prätentionen die Exemtion der Grundherrschaften von den vom Patrimonialherren sonst als Trägern von Rechten und Pflichten ihm gegenüber konstituierten Kommunalverbänden, Dorfgemeinden also und eventuell Städten. In der Tat zeigt schon die Antike in dem hellenistischen Reich
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Vermutlich ist hier das ptolemäische Ägypten gemeint. In der zeitgenössischen Forschung gab es Ansätze, die These von der einheitlichen Boden- und Wirtschaftsverfassung Ägyptens zu durchbrechen und differenzierte Besitzverhältnisse nachzuweisen, so z. B. bei Μ. Rostowzew (vgl. dazu oben, S. 324, Anm. 8).
und ebenso die römische Kaiserzeit diesen Zustand. Zunächst gehört der grundherrliche Besitz des Monarchen selbst meist zu den
w
A: dem
von allen Kommunalverbänden eximierten Gebieten. Die Folge war, daß hier neben den monarchischen Beamten eventuell der Domänenpächter als solcher neben den
x
A: dem
patrimonialen auch politische Herrschaftsrechte ausübte. Daneben aber auch, wachsend im römischen Reich, private Großgrundherrschaften,
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Die Latifundien (landwirtschaftliche Großbetriebe) wurden z. B. durch die lex agraria (111 n. Chr.) von Staats- in Privatland umgewandelt. Sie erhielten dadurch eigene juris[348]diktionelle und verwaltungstechnische Befugnisse, die sie als autonome (quasimunizipiale) Territorien neben den vorhandenen Stadtgemeinden etablierten und sie damit deren Aufsicht entzogen. Sie waren für die Steuereintreibung und Truppenaushebung zuständig. Der terminus technicus für diese Grundherrschaften heißt „possessiones“. Vgl. Weber, Römische Agrargeschichte, MWG I/2, S. 336, und Schulten, Römische Grundherrschaften (wie oben, S. 258, Anm. 25), S. 19, 107 ff.
deren Territoria nun neben den Stadtgebieten etwa eine solche [348]Stellung einnahmen, wie die aus der feudalen Epoche überkommenen preußischen Gutsbezirke im Osten.
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Die preußischen Gutsbezirke waren noch bis 1927 selbständige Kommunal- und Ortspolizeibezirke, die trotz einiger Beschränkungen über alte Privilegien verfügten. Von der Patrimonialgerichtsbarkeit war die patrimoniale Polizeigewalt geblieben, die der Gutsbesitzer ausübte. Außerdem war er Amts- und Wahlvorsteher seines Bezirks. Im Jahr 1896 standen in Preußen neben 36.194 Landgemeinden immer noch 16.058 Gutsbezirke. Vgl. Puhle, Hans-Jürgen, Politische Agrarbewegungen in kapitalistischen Industriegesellschaften. Deutschland, USA und Frankreich im 20. Jahrhundert. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1975, S. 45.
Mit noch ganz anderer Wucht aber machten sich die Ansprüche der lokalen grundherrlichen Gewalten innerhalb der okzidentalen Reiche des Mittelalters geltend, wo die auf eine nach festen Traditionen geschulte Bürokratie und auf ein stehendes Heer gestützte Monarchie der Antike fehlte. Hier hat noch die Monarchie der beginnenden Neuzeit gar keine Wahl gehabt[,] als mit den Grundherren Kompromisse zu schließen, solange sie nicht ein eigenes Heer und eine eigene Bürokratie schaffen und aus eigenen Mitteln beide besolden und das erstere equipieren konnte. Die Spätantike, vollends die byzantinische Monarchie hatte gleichfalls den regionalen Interessen Konzessionen machen müssen. Selbst die Heeresrekrutierung war schon vom 4. Jahrhundert an zunehmend eine regionale geworden. Die rein lokale Verwaltung legte die Dekurionatsverfassung der Städte
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Seit der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. hatten die Mitglieder des städtischen Rats (decuriones) nicht nur die Pflicht, die Steuern einzutreiben, sondern hafteten auch persönlich für das von der Gemeinde zu erbringende Steuersoll. Hinzu kam der Zwang, öffentliche Lasten (munera) zu übernehmen. Vgl. auch Weber, Römische Agrargeschichte, MWG I/2, S. 232, 283–285, 330–333.
und die Verwaltung durch die Grundherren in die Hände der lokalen Honoratioren. Immerhin lagerte über diesen Schichten doch die Kontrolle und Reglementierung der spätrömischen und dann der byzantinischen Zentralgewalt. Im Okzident fehlte dies völlig. Im Gegensatz zu den (offiziellen) Grundsätzen der chinesischen Verwaltung und auch zu Prinzipien, welche okzidentale Herrscher immer wieder einmal zu erzwingen suchten, gelang es hier den Grundherren sehr bald durchzusetzen, daß der Lokalbeamte des Herrschers mit Grundbesitz in sei[349]nem Amtsbezirk ansässig sein – wie dies bei den englischen Scheriffs und Friedensrichtern
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[349] In England setzten die Stände 1258 und 1259 durch, daß der Sheriff in der Grafschaft ansässig und aus einem Kreis von angesehenen Grundbesitzern gewählt werden müsse. Für den Friedensrichter wurde 1360 Vergleichbares verfügt. Vgl. Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 255–261.
ebenso der Fall war und ist wie bei den preußischen Landräten
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Die preußischen Landräte versahen die Verwaltung des Kreises im Auftrag des Königs, waren aber zugleich Repräsentanten des kreiseingesessenen ritterschaftlichen Adels, dem sie selbst angehörten. Rudolf Gneist zieht den Vergleich zu den englischen Friedensrichtern und verweist auf eine nicht näher spezifizierte „Anordnung, daß der Landrath im Kreise ansässig und zu den angesehensten Grundbesitzern desselben gehören solle“. Gneist, Englisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht I (wie oben, S. 190, Anm. 65), S. 690.
– also der lokalen grundherrlichen Honoratiorenschicht angehören mußte. Das Präsentationsrecht für lokale staatliche Ämter hat sich in Preußen [A 715]für die Landräte bis in den Staat des 19. Jahrhunderts erhalten.
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Erst durch die Kreisordnung vom 13. Dezember 1872 für die fünf (später sechs) Provinzen Preußens, d. h. Ost- und Westpreußen, Schlesien, Pommern, Brandenburg und Sachsen, wurden die Reste des altständischen Präsentationsrechts beseitigt. Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I (wie oben, S. 162, Anm. 8), S. 180–183, und Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV (wie oben, S. 218 f., Anm. 22), S. 357 f.
Die präsentationsberechtigten Gremien waren der Sache nach in Händen der Grundherren des Kreises.
y
[349]A: Kaisers.
Und den ganz großen Baronen gelang es im Mittelalter, weit darüber hinaus, wenn auch nicht rechtlich, so doch faktisch, Ämterpatronagen großer Gebiete an sich zu reißen. Überall ging die Tendenz der Entwicklung dahin: die Gesamtheit der Untertanen des Patrimonialfürsten zu „mediatisieren“, zwischen sie und den Fürsten die lokale Honoratiorenschicht als alleinige Innehaberin der politischen Ämter aller Art einzuschieben, beiden die direkte Beziehung zueinander abzuschneiden, den Untertan wie den Fürsten für ihre gegenseitigen Ansprüche auf Steuer- und Heeresdienst einerseits, auf Gewährung von Rechtsschutz andererseits allein an den lokalen Amtsinhaber unter Ausschluß jeder Kontrolle des Fürsten zu weisen und zugleich das politische Amt selbst rechtlich oder faktisch erblich in eine Familie oder doch in einen lokalen Honoratiorenkonzern zu appropriieren.
Der Kampf zwischen patrimonialer Fürstengewalt und den natürlichen Tendenzen der lokalen patrimonialen Interessenten hat die [350]verschiedensten Resultate gezeitigt. Der Fürst nimmt vor allem fiskalisches und militärisches Interesse an den der Mediatisierung unterworfenen Untertanen: daß ihre Zahl, die Zahl der Bauernnahrungen
z
[350]A: Bauernwohnungen
also, komplett bleibt und daß sie nicht von den patrimonialen Lokalgewalten für deren Zwecke so ausgebeutet werden, daß ihre Prästationsfähigkeit für den Fürsten leidet, daß der Fürst die Macht behält, sie direkt für seine Zwecke zu besteuern und militärisch aufzubieten. Die lokalen Patrimonialherren ihrerseits beanspruchen, die Bauern dem Fürsten gegenüber in allen Dingen zu vertreten. Der Satz: „nulle terre sans seigneur“ hatte im Mittelalter, neben der noch zu erörternden
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[350] Siehe den Text „Feudalismus“, unten, S. 401 f.
lehensrechtlichen, insbesondere auch die praktisch verwaltungsrechtliche Bedeutung,
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In diesem Sinn führt Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 261, das auf den Franzosen Philippe de Beaumanoir (um 1247–1296) zurückgehende Rechtssprichwort an.
daß vom Standpunkt der fürstlichen Verwaltung aus eine Dorfgemeinde der Bauern als Verband mit eigenen Befugnissen nicht zu existieren habe, jeder Bauer in einen Patrimonialverband gehöre und durch seinen Patrimonialherren vertreten werde,
a
A: wird,
so daß der Fürst sich nur an den Herrn, nicht an dessen
b
A: deren
Hintersassen zu wenden befugt sei. Nur ausnahmsweise ist dieser letztere Standpunkt restlos durchgeführt worden und dann stets nur zeitweilig. Jedes Erstarken der Fürstenmacht bedeutet irgendwelche direkte Interessiertheit des Fürsten an allen Untertanen. Allein in aller Regel hat der Fürst sich zu Kompromissen mit den lokalen Patrimonialgewalten oder anderen Honoratioren veranlaßt gesehen. Neben der Rücksicht auf den zu befürchtenden[,] oft gefährlichen Widerstand, dem Fehlen des eigenen militärischen und bürokratischen Apparats zur effektiven Übernahme der Verwaltung, waren dafür vor allem die lokalen Honoratioren entscheidend. Die lokale Verwaltung des spätmittelalterlichen England und vollends des ostelbischen Preußen im 18. Jahrhundert hätte vom Fürsten überhaupt ohne Benutzung des Adels schon rein finanziell nicht bestritten werden können.
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Neben der Polizei- und Gerichtspflege belasteten die Tudors und Stuarts die Lokalgewalten vor allem mit Aufgaben der Armen- und Wohlfahrtspflege. (Vgl. dazu unten, S. 358 mit Anm. 11). Den Landräten im ostelbischen Preußen oblag die Regelung von Steuer- und Polizeiangelegenheiten, die Erhaltung der Wege, insbesondere aber die [351]Organisation des militärischen Marsch- und Fuhrwesens in ihrem Kreis. Vgl. Hintze, Behördenorganisation (wie oben, S. 223, Anm. 34), S. 256–269.
Ein Produkt dieser Situation war in [351]Preußen wohl die faktische Monopolisierung der Offiziersstellen und starken Vorzugschancen in der staatlichen Ämterlaufbahn (vor allem gänzliches Absehen von den sonst gültigen Qualifikationserfordernissen oder doch faktisch weitgehender Dispens davon)
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Durch ein Immediatgesuch beim Kaiser konnte sich der Offiziersanwärter von der Beibringung des Reifezeugnisses dispensieren lassen. Dies geschah unter Kaiser Wilhelm I. ausdrücklich zugunsten der Bewerber aus dem altpreußischen Landadel. Noch in den Jahren 1901 bis 1912 wurden über 1000 Kandidaten ohne Zeugnis zum Fähnrichsexamen zugelassen. Vgl. Demeter, Karl, Das Deutsche Offizierkorps in seinen historisch-soziologischen Grundlagen. – Berlin: Reimar Hobbing 1930, S. 88–100.
durch den Adel, und die noch bis heute bestehende Übermacht des Rittergutsbesitzes in allen lokalen ländlichen Verwaltungskörperschaften.
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Von 408 Landräten und Oberamtmännern entstammten – laut einer Statistik des preußischen Innenministeriums aus dem Jahr 1910 – mehr als die Hälfte (241 Landräte) dem alten, agrarischen Adel. Vgl. Süle, Tibor, Preußische Bürokratietradition. Zur Entwicklung von Verwaltung und Beamtenschaft in Deutschland 1871–1918. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S. 194.
Wollte der Fürst eine solche Appropriation der gesamten lokalen Staatsverwaltung durch die lokalen Patrimonialherren vermeiden, so hatte er, solange ihm nicht sehr bedeutende eigene Einnahmen zu Gebote standen, keine Wahl[,] als sie in die Hände einer andern Honoratiorenschicht zu legen, deren Zahl und Machtstellung bedeutend genug war, um sich gegenüber den großen Patrimonialherren zu behaupten. In England entsprang dieser Situation das Institut der Friedensrichter, welches seine charakteristischen Züge in der Zeit der großen Kriege mit Frankreich empfing.
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Gemeint ist die Zeit des sog. Hundertjährigen Krieges von 1337 bis 1453. Zu den Forschungsthesen vgl. unten, S. 352, Anm. 86.
Die reine Patrimonialverwaltung der Grundherren und ihre Gerichtsbarkeit, ebenso aber die von dem Feudaladel beherrschten lokalen Ämter (der Sheriff) waren infolge der ökonomisch bedingten Auflösung der Hörigkeitsverhältnisse nicht zur Bewältigung reiner Ver[A 716]waltungsaufgaben imstande, und die Krone hatte auch das Interesse, die patrimonialen und feudalen Gewalten beiseite zu schieben, worin sie von den „Commons“ entschieden unterstützt wurde. Die neuen Verwaltungsaufgaben aber waren hier wie anderwärts wesentlich polizeilicher Natur und hingen mit dem ökonomisch bedingten steigenden Bedürfnis nach Befriedung zusammen. Denn daß eine infolge der Kriegszustände gestiegene Unsicherheit den Grund abgegeben [352]habe, wie meist gesagt wird,
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[352] Die These konnte in der zeitgenössischen Forschungsliteratur nicht belegt werden. Die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen im Zeitalter des Hundertjährigen Krieges beschrieb Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 177 f., und erläuterte die gesellschaftspolitischen Hintergründe der „Einrichtung des Friedensrichteramts“ (ebd., S. 257–261; Zitat; S. 259). Die vielfältigen sozialen und polizeilichen Aufgaben der Friedensrichterverwaltung benannte Gneist, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 180, Anm. 43), S. 298–300.
ist unglaubhaft, da das Institut dauernd bestehen blieb. Es war die wachsende Marktverflechtung der Wirtschaften, welche die Unsicherheit wachsend stark empfinden ließ. Dazu traten
c
[352]A: treten
dann, charakteristisch genug, die Arbeitslosen- und Nahrungsmittelpreisfrage, welche die steigende Geldwirtschaft aufrollte.
d
A: aufrollten.
Sicherheits-, Gewerbe- und Konsumpolizei waren daher die ursprünglichen Kernpunkte der höchst vielseitigen Friedensrichtergeschäfte. Ihr Personal aber stellten die privaten Interessenten. Die Krone suchte, indem sie für jede Grafschaft eine beliebig große Anzahl lokaler Honoratioren, faktisch und bald auch rechtlich vorwiegend der Schicht der durch ein Grundrentenminimum qualifizierten, ritterlich lebenden Grundbesitzer des betreffenden Bezirks entnommen, unter Ernennung zu conservatores pacis mit einem Komplex von sich im Lauf der Zeit stetig vermannigfaltigenden polizeilichen und kriminal-richterlichen
e
A: kriminal richterlichen
Befugnissen, formell widerruflich, faktisch lebenslänglich, ausstattete und dabei die Ernennung sich selbst, die Oberaufsicht den Reichsgerichten vorbehielt,
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Durch das Winchester-Statut von 1285 wurden die conservatores pacis eingeführt, aber erst unter Eduard III. wurde ihre Stellung gesetzlich präzisiert. Ein Statut von 1360 bestimmte, daß die Friedensrichter (justices of the peace) vom König ernannt und in der Grafschaft ansässig sein sollten. Die Kontrollinstanz war das Reichsgericht der King’s Bench. Das Grundrentenminimum wurde erst 1439 auf ein jährliches Einkommen von 20 Pfund festgeschrieben. Vgl. Hatschek, ebd., S. 256 ff. und 479, sowie Gneist, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 180, Anm. 43), S. 298 ff.
diese Schicht der sogenannten „gentry“ im Gegensatz zu den ganz großen Patrimonialherren, den Baronen, auf die Seite des Fürsten zu ziehen. Einem der Friedensrichter, dem Lord Lieutenant,
f
A: Lieutnant,
fiel die Kommandogewalt über die Miliz zu.
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Das Amt bestand seit Eduard VI. (1547–1553), erhielt seine eigentliche Bedeutung aber erst mit dem Aufstieg der Miliz im 18. Jahrhundert. Als einer der vornehmsten Grundbesitzer der Grafschaft befehligte der Lord-Lieutenant die Miliz. Vgl. Gneist, Selfgovernment (wie oben, S. 284, Anm. 90), S. 316 f., 361, sowie Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 484, 684.
Ein regulärer bürokratischer „Instan[353]zenzug“ vor den Entscheidungen des Friedensrichters existierte nicht oder doch nur[,] auf der Höhe der patrimonialen Machtansprüche der Krone, in Gestalt der sogenannten „Star chamber“, welche eben deshalb von der gentry in der Revolution des 17. Jahrhunderts vernichtet wurde.
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[353] „Star Chamber“ war eine volkstümliche Bezeichnung für den Staatsrat in seiner Funktion als Strafbehörde. Eingerichtet unter den Tudors in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zur Eindämmung von Parteilichkeit und Bestechlichkeit der Sheriffs, Geschworenen und Großen, entwickelte sich die „Sternkammer“ unter den Stuarts durch die fehlende gesetzliche Regulierung zu einer willkürlich funktionierenden Institution, die u. a. in die Kompetenzen der Friedensrichter eingriff. Durch das Lange Parlament wurde sie 1641 mit allen ihren Nebeninstituten abgeschafft. Gneist, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 180, Anm. 43), S. 508, 557–559, und Gneist, Selfgovernment (wie oben, S. 284, Anm. 90), S. 344 f.
Es gab nun nur – in der Praxis in wachsendem Umfang – die Möglichkeit, konkrete Angelegenheiten durch besondere Verfügung (writ of Certiorari) vor die Zentralinstanzen zu ziehen,
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Das „writ of certiorari“ war von der ,Glorious revolution‘ (1688) bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts ein durch königliches Schreiben (writ) verfügtes Abberufungsverfahren (certiorari), wodurch das Obergericht – zumeist der Court of King’s Bench – polizeigerichtliche Entscheidungen der Friedensrichter zur Überprüfung an sich ziehen oder anderen Gerichten zuweisen, aber auch bereits gefällte Urteile annulieren konnte. Vgl. Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 479, und Gneist, Selfgovernment (wie oben, S. 284, Anm. 90), S. 368.
was ursprünglich ganz nach freiem Belieben erfolgen konnte. Praktisch bedeutete dies alles: daß auf die Dauer kein König wirksam gegen diejenige Schicht, welche die Friedensrichter stellte, zu regieren vermochte. Es gelang der Krone, die oft wiederholten Versuche, die Friedensrichterbestellung von der Wahl der lokalen Honoratioren direkt abhängig zu machen, abzuschlagen und die Ernennung in der eigenen Hand, unter Vorbehalt des Vorschlagsrechtes bestimmter Ratgeber der Krone, zu behalten.
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Der Kampf um die Bestellung der Friedensrichter war seit Eduard III. (1327–1377) virulent. Die von Max Weber beschriebene Situation spiegelt den gesetzlich fixierten Anspruch der Krone unter Heinrich V. (1413–1422) und Heinrich VI. (1422–1461) wider. Danach sollten die Friedensrichter durch den König auf Vorschlag des Kanzlers und Staatsrats ernannt werden; de facto habe sich aber die „ständische Bestellung von Friedensrichtern“ behauptet, so die These von Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 477.
Dies bedeutete, daß jenen Großbeamten, namentlich dem Kanzler, damit eine oft direkt pekuniär ausgenutzte Patronage in die Hand gegeben war. Allein sowohl dieser Patronage der Kontrollbeamten wie der offiziellen Rechtsstellung
g
[353]A: Rechtstellung
der Krone selbst gegenüber war die Solidarität der [354]Gentry stark genug, um es zu erzwingen, daß die Friedensrichterstellen ihr Monopol blieben, und unter Elisabeth beschwerte man sich darüber, daß tatsächlich die Empfehlung der vorhandenen Friedensrichter über die Neueinstellung von solchen entscheide.
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[354] Diese Beschwerde trug der Abgeordnete Glascock am 12. Dezember 1601 im Parlament vor. Der Lord Keeper, der für die Ernennung der Friedensrichter zuständig war, verlasse sich blind auf die Stellungnahmen der „justices of assize“ und diese wiederum auf die Voten der örtlichen Friedensrichter. Es gebe also keine Kontrolle über die tatsächliche Qualifikation eines Friedensrichters. Vgl. Cobbett's Parliamentary History of England. From the Norman Conquest, in 1066. To the Year, 1803, Vol. 1. – London: R. Bagshaw 1806, Sp. 953 f., sowie die ausführliche Wiedergabe bei Beard, Charles Austin, The Office of Justice of the Peace in England in its Origin and Development (Studies in History, Economics and Public Law, Vol. 20, No. 1). – New York: The Columbia University Press 1904, S. 140 f., und der kurze Hinweis bei Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 477, auf den sich Webers Aussage vermutlich stützt.
Wie alle königlichen Beamten, war der Friedensrichter ursprünglich auf Sporteln und Tagegelder angewiesen. Allein bei der Niedrigkeit dieser Einnahmen wurde es Standeskonvention der Grundbesitzer, die Sporteln zu verschmähen.
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Wie die von Hatschek, ebd., S. 478, angeführten Beispiele aus der Regierungszeit Richards II. (1377–1399) und Elisabeths l. (1558–1603) zeigen, betrug das Tagegeld 4 oder 5 Shilling. So galt bereits unter Richard II. die Nichtzahlung von Diäten als „Ehrensache für Lords und Bannerets“, bald aber auch die „Nichtannahme der wages“ insgesamt. Vgl. Gneist, Selfgovernment (wie oben, S. 284, Anm. 90), S. 181, und Gneist, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 180, Anm. 43), S. 305, Anm. 3d.
Die Zensus-Qualifikation
h
[354]A: Konsums-Qualifikation
der Friedensrichter wurde noch im 18. Jahrhundert erheblich erhöht.
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Unter Georg II. (1727–1760) wurde die Zensus-Qualifikation der Friedensrichter – und nicht ihre „Konsums-Qualifikation“, wie es im überlieferten Text hieß – auf einen Grundbesitz von 100 Pfund jährlichen Reinertrags erhöht. Vgl. Gneist, Selfgovernment (wie oben, S. 284, Anm. 90), S. 367, sowie Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 685.
Als normale Vorbedingung wurde ein bestimmter Grundwert mindestens gefordert. Die typische und zunehmende englische Verpachtung des Besitzes setzte die Arbeitskraft gerade der ländlichen Gentry für diese Amtsgeschäfte frei. Was das Stadtbürgertum anlangt, so war die Beteiligung aktiver Geschäftsleute aus jenem Grund schwierig, der sie überall aus dem Kreise der „Honoratioren“ ausschließt: wegen ihrer ökonomischen Unabkömmlichkeit. Aus ihren Kreisen traten wohl öfters ältere, vom aktiven Geschäft zurückgezogene Leute, weit häufiger aber jene zunehmenden Schichten der Gildege[355]nossen, welche aus Unternehmern nach Erwerb hinlänglichen [A 717]Vermögens zu Rentiers geworden waren, in das Friedensrichteramt ein. Die charakteristische Verschmelzung der ländlichen und der bürgerlichen Rentnerkreise zum Typus des „Gentleman“ wurde durch die gemeinsame Beziehung zum Friedensrichteramt kräftig gefördert. Bei all diesen Kreisen wurde es nun Standessitte, die Söhne schon in jungen Jahren, nach absolviertem humanistischem Bildungsgang, sich zum Friedensrichter ernennen zu lassen.
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[355] Diese Entwicklung datiert Gneist, Selfgovernment (wie oben, S. 284, Anm. 90), S. 367, auf das 18. Jahrhundert.
Das Friedensrichteramt war nun eine unbesoldete Amtsstellung, dessen, für die Qualifizierten, obligatorische Übernahme an sich, formell betrachtet, eine Leiturgie darstellte, deren effektive Ausübung oft nur auf kurze Frist übernommen wurde. Nur ein Teil (allerdings in der Neuzeit ein zunehmender Teil) der Friedensrichter versahen überhaupt ihre Amtsfunktionen tatsächlich. Für den Rest war das Amt titular und eine Quelle von sozialer Ehre. Soziales Prestige und soziale Macht waren auch der Grund, daß diese, bei wirklicher Teilnahme an den Amtsgeschäften, sehr wesentliche Arbeit verursachende Stellung dennoch
i
[355]A: demnach
dauernd in genügendem Maße auch zur effektiven Ausübung gesucht war und blieb. Die anfänglich vorhandene und Jahrhunderte hindurch sehr scharfe Konkurrenz von Berufsjuristen unterlag: sie wurden durch die Niedrigkeit
j
Zu ergänzen wäre: der Einnahmen
und den späteren faktischen Verzicht der Gentry auf Einnahmen aus dem Amt allmählich herausgedrängt. Der einzelne Laienfriedensrichter ließ sich durch seinen persönlichen Anwalt beraten, im ganzen aber wurde mit Hilfe der zur Verfügung gestellten Clercs nach Tradition und sehr weitgehend auch nach billigem Ermessen entschieden, was der Friedensrichterverwaltung ihre Volkstümlichkeit und ihr eigentümliches Gepräge verlieh. Es liegt also hier einer der äußerst seltenen Fälle vor, wo trotz zunehmender Amtsgeschäfte dennoch das Berufsbeamtentum durch das Honoratiorenamt in friedlichem Wettkampf vollkommen verdrängt wurde. Nicht irgend ein spezifischer „Idealismus“ der interessierten Kreise, sondern der immerhin bedeutende und von außen her so gut wie ganz selbständige – formell nur durch die Vorschrift, daß alle irgend erheblichen Angelegenheiten nur kollegial, von mindestens 2 [356]Friedensrichtern gemeinsam erledigt werden konnten,
4
[356] Die Vorschriften betrafen die regelmäßig stattfindenden Gerichtssitzungen oder Kommissionen, die sich zu Kontroll- und Berufungsinstanzen in den Grafschaften entwickelten. Vgl. dazu unten, S. 357 mit Anm. 9.
materiell aber durch die starken, aus der Standeskonvention folgenden Pflichtvorstellungen kontrollierte – Einfluß, welchen sie
k
[356]Lies: die Friedensrichterverwaltung
verlieh, waren der Anreiz für die Gentry, sich dazu zu drängen. Diese Verwaltung vermittelst der Friedensrichter hat in England alle anderen lokalen Verwaltungsinstanzen (außerhalb der Städte) praktisch fast bedeutungslos werden lassen. Die Friedensrichter in der Zeit der Blüte dieses als nationales Palladium gepriesenen „selfgovernment“
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Julius Hatschek sah bereits im 17. Jahrhundert durch die Reglementierungen der Tudors und Stuarts eine massive Umwandlung „des alten von Gneist so verherrlichten unabhängigen Selfgovernment“. Vgl. Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 480.
waren faktisch fast die einzigen, effektive Verwaltungsarbeit leistenden Beamten in den
l
A: dem
lokalen Verwaltungssprengeln
m
A: Verwaltungssprengel
(Grafschaften), neben denen sowohl die alten Zwangsleiturgieverbände, wie die patrimoniale Verwaltung durch Grundherren[,] wie jede Art von patrimonialbürokratischem Regime des Königs zur Bedeutungslosigkeit zusammengeschrumpft waren. Es war einer der radikalsten Typen der Durchführung einer reinen „Honoratiorenverwaltung“, welche die Geschichte auf dem Boden großer Länder gekannt hat. Dem entsprach Art und Inhalt der Amtsführung. Die Justiz der Friedensrichter, diejenige also, welche für die Masse der Bevölkerung praktisch bedeutsam war – denn die Reichsgerichte in London waren für sie räumlich und vor allem, wegen der ungeheuren Sporteln, ökonomisch ebenso weit entfernt, wie für die römischen Bauern der Prätor
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Der praetor urbanus, seit 367 v. Chr. jährlich gewählt, war einer der höchsten Beamten in der römischen Republik und im Kaiserreich. Ihm oblag die oberste Gerichtsbarkeit; für die römischen Bauern waren hingegen die Munizipial- oder Gutsgerichte zuständig.
oder die russischen der Zar – trug bis in die Gegenwart hinein sehr stark den Charakter der „Kadijustiz“ an sich.
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Zur englischen „Kadijustiz“ vgl. die bereits erwähnte (oben, S. 189 mit Anm. 61) Untersuchung von Albrecht Mendelssohn Bartholdy, Imperium des Richters, die sich auf Fälle der Jahre 1906 und 1907 stützte.
Ihre Verwaltung zeigt als einen aller Honoratiorenverwaltung unvermeidlich charakteristischen Zug die „Minimisierung“ und den Gelegenheitscharakter der verwaltenden Amtstätigkeit. Diese hatte nicht den [357]Charakter eines „Betriebes“. Sie war vor allem, soweit sie nicht in Listenführung (wie zuerst namentlich beim custos rotulorum)
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[357] Unter den Friedensrichtern nahm der custos rotulorum („Bewahrer der Urkunden“) eine herausragende Stellung ein. Ihm oblag die Betreuung des Gerichtsarchivs, die Vereidigung der anderen Friedensrichter sowie die Bestellung der Schreiber (clerks of the peace). Seit einer Verfügung von 1545 war seine Ernennung allein dem König vorbehalten, der gewisse Rechtskenntnisse zur Vorbedingung machte. Vgl. Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 480.
bestand, überwiegend repressiven Charakters, unsystematisch, der Regel nach faktisch nur auf direkt fühlbare grobe Verstöße oder auf Anrufung eines Geschädigten reagierend, zu einer stetigen und intensiven Bearbeitung positiver Verwaltungsaufgaben aber, oder zu einer konsequenten, von einheitlichen Gedanken ausgehenden „Wohlfahrts“-[A 718]Politik technisch ganz ungeeignet, weil sie grundsätzlich als nebenamtliche Arbeit von „gentlemen“ galt. Zwar wurde es Grundsatz, daß bei den „Quarter Sessions“ der Friedensrichter mindestens einer von ihnen rechtskundig sein müsse: dieser oder diese wurden in der erteilten „commission“ namentlich aufgeführt (Quorumklausel);
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Nach Rudolf Gneist wurde die Quorum-Klausel unter Heinrich VI. (1437–1461) eingeführt. Sie forderte, daß bei den Quartalsitzungen der Friedensrichter („Quarter Sessions“) rechtskundige Personen anwesend sein sollten. Da nur sie die Untersuchungs- und Urteilsbefugnis innehatten, wurden diese in der Klausel der „Commission“ namentlich erwähnt: „quorum aliquem vestrum A.B.C.D. unum esse volumus“. Verfügte eine Grafschaft nicht über rechtskundige grundansässige Friedensrichter, hatte der Lordkanzler das Recht, fremde Rechtsgelehrte zu ernennen. Vgl. Gneist, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 180, Anm. 43), S. 305, Zitat: ebd., Anm. 3d. Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 258, Anm. 2, führt einen früheren Beleg aus dem Jahr 1357 an.
dadurch wahrte sich die Zentralverwaltung zugleich einen gewissen Einfluß auf die Persönlichkeit der effektiv fungierenden Friedensrichter. Allein seit dem 18. Jahrhundert verlor selbst dies seine Geltung: alle aktiv Mitwirkenden wurden unter die „Quorum“ aufgenommen.
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Im 18. Jahrhundert strebten die Erstgeborenen der angesehenen Grafschaftsfamilien häufig eine gewisse juristische Vorbildung an, so daß schließlich alle ernannten Friedensrichter als rechtskundige Mitglieder („Quorum“) aufgenommen wurden. Dadurch sollte die Ernennung von grafschaftsfremden Rechtsgelehrten unterlaufen werden. Vgl. Gneist, Selfgovernment (wie oben, S. 284, Anm. 90), S. 367.
Zwar hatte der Untertan zu gewärtigen, daß er bei allen nur denkbaren Vorgängen seines Lebens, vom Wirtshausbesuch und Kartenspiel oder der standesgemäßen Wahl seiner Tracht angefangen bis zur Höhe der Kornpreise und der
n
[357]A: die
Zulänglichkeit gezahlter Löhne, [358]von der Arbeitsscheu bis zur Ketzerei, die Polizei- und Strafgewalt der Friedensrichter zu spüren bekommen könne. Endlos waren die Statuten und Verordnungen, welche von den Friedensrichtern und nur von ihnen die Durchführung ihrer durch Zufallsanlässe bedingten Vorschriften erwarteten. Aber ob und wann, durch welche Mittel und wie nachhaltig sie eingriffen, stand der Sache nach weitgehend in ihrem Belieben. Der Gedanke einer planvollen Verwaltungsarbeit im Dienste bestimmter Ziele konnte in ihren Kreisen nur ausnahmsweise entstehen, und nur die kurze Periode der Stuarts, vor allem der Laudschen Verwaltung, sah den Versuch, von oben her ein konsequentes System einer „christlichen Sozialpolitik“ durchzuführen,
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[358] Die Bemühungen von Erzbischof Laud, den Einfluß der Lokalgewalten zugunsten eines zentralistisch-bürokratischen Verwaltungssystems zu brechen, schildert Gneist, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 180, Anm. 43), S. 557 f. Die oben genannten, detaillierten Auflagen für eine von den Friedensrichtern zu betreibende Wohlfahrtspolitik setzten schon unter den Tudors, namentlich unter Elisabeth I., ein. Vgl. die Zusammenstellung bei Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 191, Anm. 66), S. 480–485. Als „christliche Sozialpolitik“ wurde ein breites Spektrum kirchlicher und christlicher Bewegungen des 19. Jahrhunderts bezeichnet, die in kritischer Haltung zum Kapitalismus und Liberalismus soziale Reformen durchsetzen wollten. Im deutschen Kaiserreich trat insbesondere die staatlich-konservative Richtung um Adolf Stoecker und Adolph Wagner wirksam hervor, die ein ähnliches Programm wie Bischof Laud verfolgte. Auf den autoritären und „charitativ-soziale[n]“ Aspekt der Laudschen Politik ging Hermann Levy ein, der in Lauds System eine Mischung von „katholisierende[m] Anglikanertum“ und „weltliche[m] Absolutismus“ sah. Vgl. Levy, Ökonomischer Liberalismus, S. 47, 92.
welches aber, begreiflicherweise, schließlich am Widerstande eben jener Kreise scheiterte, denen die Friedensrichter vorwiegend entnommen wurden.
Der extensive und intermittierende Charakter der Friedensrichterverwaltung als solcher, ebenso aber die Art des Eingreifens der Zentralbehörden in ihren Gang, teils abrupt für konkrete Einzelfälle und dann praktisch wirksam, teils generell durch Anweisungen, welche praktisch oft nur den Wert von guten Ratschlägen hatten, erinnert in manchem scheinbar an die Art des Funktionierens der chinesischen Verwaltung, auf deren Gang diese Merkmale äußerlich auch zutreffen. Allein der Unterschied ist ein ungeheurer. Hier wie dort freilich ist der entscheidende Sachverhalt der: daß die patrimonialbürokratische Verwaltung auf lokale Autoritäten stößt, mit denen sie sich irgendwie ins Einvernehmen setzen muß, um funktionieren zu können. Allein in China stehen den gebildeten Verwaltungsbeamten [359]die Sippenältesten und Berufsverbände gegenüber.
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[359] Zu den Sippenältesten, Kaufmannsgilden und Zünften in China vgl. oben, S. 328 mit Anm. 20 und 21.
In England den fachgebildeten Richtern der gebildete Honoratiorenstand der grundbesitzenden Gentry. Die Honoratioren Chinas sind die klassisch-literarisch für die Beamtenlaufbahn Gebildeten, Pfründeninhaber oder Pfründenanwärter, und stehen also auf der Seite der patrimonialbürokratischen Gewalt, in England war dagegen gerade der Kern der Gentry ein freier, nur empirisch in der Beherrschung von Hintersassen und Arbeitern geschulter, zunehmend humanistisch gebildeter Großgrundbesitzerstand, eine Schicht also, die in China ganz fehlt. China stellt den reinsten Typus des von jedem Gegengewicht, soweit überhaupt möglich, freien und dabei noch nicht zum modernen Fachbeamtentum raffinierten Patrimonialbürokratismus dar. Die englische Friedensrichterverwaltung dagegen bildete in ihrer Blütezeit eine Kombination des ständischen Patrimonialimus mit der reinen eigenständigen Honoratiorenverwaltung und gehörte der letzteren weit mehr als dem ersteren an. Diese Verwaltung war ursprünglich formal eine solche kraft Untertanen-Leiturgie – denn eine solche stellte die Übernahmepflicht des Amtes dar. Im Effekt aber waren es, der faktischen Machtlage nach, nicht Untertanen, sondern freie „Genossen“ eines politischen Verbandes, „Staatsbürger“ also, durch deren freie Mitwirkung der Fürst seine Gewalt ausübte. Vor allem steht deshalb diese Verwaltung abseits des typischen politischen Übereinander eines fürstlichen Patrimonialhofhalts und privater Patrimonialherrschaften mit Privatuntertanen; denn gerade parallel mit dem Zerfall der Privathörigkeit entwickelte sie sich. Der Sache nach war freilich die englische „Squirearchie“,
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Julius Hatschek definiert „Squirearchie“ als die „Parteihierarchie des Grundbesitzes im 18. Jahrhundert“. Seit dem Ministerium Walpole (1730–1742) habe sich die straffe Organisation der Grundbesitzerinteressen, insbesondere der Whigpartei, mittels Patronage, Bestechung und informeller Absprachen durchgesetzt. Vgl. Hatschek, Englisches Staatsrecht II (wie oben, S. 190, Anm. 69), S. 8 ff.
deren [A 719]Ausdruck sie war, eine Honoratiorenschicht durchaus grundherrlichen Gepräges. Ohne spezifische, feudale und grundherrliche Antezedenzien wäre der eigenartige „Geist“ der englischen Gentry nie entstanden. Die besondre Art von „Männlichkeitsideal“ des angelsächsischen Gentleman trug und trägt unvertilgbar die Spuren davon an sich. Wesentlich in der formalen Strenge der Konventionen, in dem [360]sehr stark entwickelten Stolz und Würdegefühl, in der geradezu ständebildenden gesellschaftlichen Bedeutung des Sports äußert sich dieser Einschlag. Aber er wurde durch die steigende Vermischung mit spezifisch bürgerlichen, städtischen Rentner- und auch aktiven Geschäftskreisen angehörigen Schichten schon vor dem Eindringen des Puritanismus ziemlich stark inhaltlich umgestaltet und rationalisiert, in ähnlicher Richtung[,] wie die später zu besprechende Mischung von Geschlechtern und popolo grasso in Italien
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[360] Die entsprechende Bezugsstelle findet sich in: Weber, Die Stadt, MWG I/22-5, S. 204. Dort beschreibt Weber den in Florenz auf das 13. Jahrhundert zu datierenden Prozeß der Verschmelzung des grundbesitzenden, stadtsässigen Adels mit den aufstrebenden Schichten „mit Universitätsbildung oder Kapitalbesitz“. Aus dem reichen Großbürgertum („popolo grasso“) gingen die oberen sieben Zünfte (später als „arti maggiori“ bezeichnet) hervor, die 1266 Anteil an der Stadtverwaltung erhielten. Die oberen Zünfte umfaßten Richter, Notare, Bankiers und Großhändler sowie Ärzte und Drogisten, im Gegensatz zu den Handwerkern und Kleinunternehmern der „arti minori“. Vgl. dazu Doren, Alfred, Studien aus der Florentiner Wirtschaftsgeschichte, Band 2: Das Florentiner Zunftwesen vom vierzehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert. – Stuttgart, Berlin: J. G. Cotta 1908 (hinfort: Doren, Florentiner Zunftwesen), S. 32 f. sowie S. 18, 38 f.
es hervorbrachte. Der moderne Typus ist daraus aber erst durch den Puritanismus und dessen über den Bereich seiner strikten Anhänger hinausreichenden Einfluß geworden, und zwar im Wege einer sehr allmählichen Angleichung der squirearchischen[,] halbfeudalen und der asketischen, moralistischen und utilitarischen Züge, die noch im 18. Jahrhundert schroff nebeneinander im unversöhnten Gegensatz standen. Das Friedensrichteramt war eins der wichtigsten Mittel, jenem eigentümlichen Vornehmheitstypus gegenüber dem Ansturm kapitalistischer Gewalten Einfluß nicht nur auf die Verwaltungspraxis und die hohe Intaktheit des Beamtentums, sondern auch auf die gesellschaftlichen Anschauungen über Ehre und Sitte zu erhalten. Für die Bedingungen moderner Städte war die ehrenamtliche Friedensrichterverwaltung durch gebildete Laien technisch nicht durchführbar. Langsam nahm die Zahl der besoldeten städtischen Friedensrichter zu (Mitte des vorigen Jahrhunderts ca. 1300 von über 18 000; von letzteren ca. 10 000 Titulare).
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Die Angaben entsprechen den Berechnungen von Rudolf Gneist, Englisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht II (wie oben, S. 284, Anm. 90), S. 188–190. Gneist hatte auf der Basis der „Parliamentary Papers“ von 1853 und 1856 – sowie eigenständiger Ergänzungen – für England und Wales eine Gesamtzahl von 18.284 Grafschaftsfriedensrichtern ermittelt, wovon 8.236 aktive und 10.048 tituläre gewesen seien. Die städtischen Friedensrichter bezifferte er auf 1.300.
Aber die fehlende Syste[361]matik der englischen Verwaltungsorganisation und die Mischung patriarchaler mit reinen Zweckverbands-Organisationen blieb die Folge davon, daß die rationale Bürokratie nur als Flickwerk, je nach ganz konkreten Einzelbedürfnissen, in die alte Honoratiorenverwaltung eingefügt wurde. Politisch wichtig war diese letztere durch die starke Schulung der besitzenden Klassen in der Führung von Verwaltungsgeschäften und der starken konventionellen Hingabe und Identifikation mit dem Staat. Ökonomisch wichtig war vor allem die unvermeidliche Minimisierung der Verwaltung, welche, bei immerhin starker konventioneller Bindung der „Geschäftsethik“[,] doch der Entfaltung der ökonomischen Initiativen fast ganz freie Bahn gab. Vom Patrimonialismus aus gesehen, bildet die Friedensrichterverwaltung einen äußersten Grenzfall desselben.
In allen andern historisch bedeutsamen Fällen eines Miteinander von Patrimonialfürstentum und grundherrlichen Honoratioren waren diese letzteren ihrerseits Patrimonialherren und ging beim Entstehen der Patrimonialbürokratie in der beginnenden Neuzeit das ausdrückliche oder stillschweigende Kompromiß der beiden Gewalten dahin: daß den lokalen Patrimonialherren die Herrschaft und die ökonomische Verfügung über ihre Hintersassen soweit garantiert wird, als das Steuer- und Rekruten-Interesse des Fürsten es zuläßt, daß sie die lokale Verwaltung und niedere Gerichtsbarkeit über ihre Hintersassen gänzlich in der Hand haben und diese dem Fürsten und seinen Beamten gegenüber vertreten, daß ferner alle oder doch ein großer Teil aller Staatsämter, namentlich alle oder doch fast alle Offizierstellen ihnen reserviert werden, daß sie ferner für ihre Person und ihren Grundbesitz von Steuern befreit sind und als „Adel“ weitgehende ständische Privilegien in bezug auf Gerichtsstand, Art der Strafen und Beweismittel genießen, darunter namentlich (meist): daß nur sie fähig sind, eine Patrimonialherrschaft auszuüben, also „adlige“ Güter mit Leibeigenen, Hörigen oder andern patrimonial abhängigen Bauern zu besitzen. Von derartigen ständischen Privilegien eines vom Fürsten unabhängigen Adels waren in dem England der Gentryverwaltung nur noch Reste vorhanden. Die Machtstellung der englischen Gentry innerhalb der lokalen Verwaltung ist die Kehrseite der Übernahme einer Leiturgie-artigen Belastung mit einer höchst zeitraubenden
o
[361]A: zeit-
und [A 720]kostspieligen Ehrenamtspflicht. [362]Dergleichen kannte die kontinentale europäische Ordnung wenigstens in der Neuzeit nicht mehr. Eine Art von Dienst-Leiturgie lag allerdings in der Zeit von Peter dem Großen bis zu Katharina II.
p
[362]A: II.,
auf dem russischen Adel.
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[362] Durch einen Ukas vom 14. (25.) Januar 1722 machte Peter I. den Adelsrang von den zu leistenden Staatsdiensten abhängig. Aufgehoben wurde diese Dienstverpflichtung 1762 bzw. 1785. (Vgl. unten, S. 363, Anm. 22). – Die nachfolgenden Passagen über Rußland (bis S. 367 unten) stützen sich insbesondere auf den Abschnitt „Der Adel und der Tschin“ in: Leroy-Beaulieu, Reich der Zaren I (wie oben, S. 250, Anm. 7), S. 268–320. Max Weber verwendet im folgenden die russischen Termini häufig in der dort vorgelegten Transkription.
Die Monopole Peters des Großen beseitigten die bisherigen sozialen Rang- und Rechtsverhältnisse des russischen Adels zugunsten zweier einfacher Grundsätze: 1. Sozialen Rang (tschin) verleiht nur der Dienst im patrimonialbürokratischen (bürgerlichen oder militärischen) Amt, und zwar der Höhe nach je nachdem in 14 Rangklassen der patrimonialbürokratischen Ämterhierarchie:
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Mit der Rangtabelle vom Januar 1722 wurden die alten Moskauer Hofränge (der Bojaren und Knäsen) und das ältere Rangsystem („mestničestvo“) beseitigt (vgl. dazu unten, S. 365, Anm. 28). Wie Leroy-Beaulieu, Reich der Zaren I (wie oben, S. 250, Anm. 7), S. 292, beschreibt, wurden nun bürgerliche Ämter und sogar geistliche Würden den militärischen Graden gleichgestellt und „in einer parallelen Doppelreihe von 14 numerirten Rängen“ eingeordnet.
Da für den Eintritt in die Amtskarriere kein Monopol des bestehenden Adels und auch keine Grundbesitzqualifikation erfordert war, sondern (wenigstens der Theorie nach) eine Bildungsqualifikation, so schien dies dem chinesischen Zustand nahezustehen.
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Sehr plastisch beschreibt Leroy-Beaulieu, ebd., S. 297, die – vermeintliche – Abhängigkeit von Universitätsgrad und Rang (tschin bzw. čin): „das Abgangsexamen von einer Gymnasialanstalt verleiht das Recht auf die letzte Stufe der bureaukratischen Hierarchie. So hat der Student, der die Universität bezieht, schon den Fuß auf der Leiter und jedes Diplom läßt ihn eine Sproße höher steigen.“ Dabei verweist er auch auf Parallelen zum chinesischen „Mandarinenthum“ (ebd., S. 292, 297; zum chinesischen System vgl. auch oben, S. 330 mit Anm. 25). Daß die Realität in Rußland anders aussah, belegt eine Vielzahl von Erlassen unter Peter I., die von dem Bestreben getragen sind, eine Grundausbildung für den Verwaltungsdienst durchzusetzen und diese für die Söhne des Adels und die Amtsanwärter verpflichtend zu machen. Vgl. Wittram, Reinhard, Peter I. Czar und Kaiser. Zur Geschichte Peters des Großen in seiner Zeit, Band 2. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht o. J. [1964], S. 198–201.
– 2. Nach zwei Generationen erlöschen in Ermangelung der Übernahme von Ämtern die Adelsrechte.
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Ein solches Gesetz Peters I. erwähnt Leroy-Beaulieu, Reich der Zaren I (wie oben, S. 250, Anm. 7), S. 300, in nahezu gleichlaufenden Formulierungen wie Max Weber, aber ohne nähere Angaben.
Auch dies scheint dem chinesischen [363]Zustand verwandt.
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[363] Ständische Privilegien waren in China von den bestandenen Examina abhängig, finanzielle Vorteile jedoch von der Besetzung einer Staatsstelle, die aber nicht erblich waren. Vgl. dazu Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 301 f. und 315 f.
Aber die russischen Adelsrechte erhielten nun neben anderen Privilegien vor allem auch das ausschließliche Recht: mit Leibeigenen besiedeltes Land zu besitzen.
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Katharina II. bestätigte im Adelsprivileg von 1785 den Adeligen das nur ihnen vorbehaltene Recht, „besiedeltes Land“, d. h. Güter mit Leibeigenen, zu besitzen. (Vgl. Leroy-Beaulieu, Reich der Zaren I (wie oben, S. 250, Anm. 7), S. 311).
Dadurch war der Adel mit dem Vorrecht grundherrlichen Patrimonialismus in einer Art verknüpft, welche China durchaus fremd war. Der Verlust der Adelsrechte als Folge nicht geleisteten Fürstendienstes wurde unter Peter III. und Katharina II. abgeschafft.
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Durch einen Ukas vom 18. Februar (1. März) 1762 über die „Freiheit des Adels“ hob Peter III. die Dienstpflicht des Adels auf. Dies wurde von Katharina II. in ihrem umfangreichen Adelsprivileg im Jahr 1785 bestätigt. Vgl. Leroy-Beaulieu, ebd., S. 300.
Aber der tschin und die amtliche Rangliste (tabel o rangach)
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Die von Peter I. eingeführte Rangliste („tabel’ o rangach“) wurde offiziell erst durch die Provisorische Regierung im März 1917 abgeschafft. Vgl. Browder, Robert Paul, Alexander F. Kerensky (Hg.), The Russian Provisional Government 1917. Documents, Vol. 1. – Stanford: Stanford University Press 1961, S. 210 f. Wie Leroy-Beaulieu, Reich der Zaren I (wie oben, S. 250, Anm. 7), S. 292, berichtet, bildete sie im ausgehenden 19. Jahrhundert noch die Grundlage für die Bestimmung des gesellschaftlichen Status. Die von Weber verwendete Schreibweise findet sich bei Leroy-Beaulieu (ebd.).
blieben die offizielle Grundlage der sozialen Schätzung, und der mindestens zeitweilige Eintritt in ein Staatsamt blieb eine Standeskonvention für junge Adlige. Zwar war die Patrimonialherrschaft der adligen Grundherren auf dem Gebiet des Privatgrundeigentums so gut wie universell im Sinn des Satzes „nulle terre sans seigneur“, da es außerhalb des adligen Grundbesitzes nur Grundherrschaften der fürstlichen Domänen- und Apanagengüter und der Geistlichkeit und Klöster gab, freies Grundeigentum in andern Händen dagegen gar nicht oder nur in einzelnen Resten (die Odnodworzy) oder als Militärlehen (Kosaken).
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„Odnodworzy“ (TI.: odnodvorcy) waren Einhöfer, d. h. Besitzer eines einzigen Hofes oder Gutes, das sie als Freie bebauen, persönlich besitzen und vererben konnten. Da sie in den Grenzprovinzen des alten Moskowiens angesiedelt waren, vermutet Leroy-Beaulieu, ebd., S. 243, daß sie ursprünglich als militärische Kolonisten gegen die Tataren eingesetzt worden waren. Zu den Kosaken vgl. den Glossar-Eintrag, unten, S. 794.
Die ländliche Lokalverwaltung lag also, soweit sie nicht Domänenverwaltung war, ganz in den Händen des grundbesitzenden Adels. Aber eigentliche politische Macht und soziales Prestige, vor allem auch alle Chancen ökonomischen Aufstiegs, wie sie die Handhabung politi[364]scher Macht hier wie überall, ganz nach chinesischer Art, zeigt, hingen nur am Amt oder direkt an höfischen Beziehungen. Es war natürlich eine Übertreibung, wenn Paul I. einem fremden Besucher erklärte: ein vornehmer Mann sei der und nur der, mit dem er spreche und nur so lange er mit ihm spreche.
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[364] Diese Worte Pauls I. sind durch Louis Philippe Comte de Ségur d’Aguesseau, Mémoires. Souvenirs et anecdotes. Correspondance et pensées du prince de Ligne, tome second (Bibliothèque des mémoires relatifs à l’histoire de France pendant le 18e siècle avec avant-propos et notes par Jean François Barrière, tome 20). – Paris: Firmin Didot frères, fils et Cie 1859, S. 179, in französisch überliefert. Wiedergegeben ist das Zitat – in deutscher Übersetzung – bei Leroy-Beaulieu, Reich der Zaren I (wie oben, S. 250, Anm. 7), S. 289.
Allein tatsächlich konnte sich die Krone gegenüber dem Adel, selbst Trägern der gefeiertsten Namen und Besitzern der ungeheuersten Vermögen, Dinge gestatten, welche kein abendländischer noch so großer Potentat sich gegenüber dem letzten seiner, dem Recht nach unfreien Ministerialen herausgenommen hätte. Diese Machtstellung des Zaren ruhte einerseits auf der festen Interessensolidarität der einzelnen[,] die Verwaltung und das durch Zwangsrekrutierung beschaffte Heer leitenden Tschin-Inhaber mit ihm und andrerseits auf dem völligen Fehlen einer ständischen Interessensolidarität des Adels untereinander. Wie die chinesischen Pfründner, so fühlten sich die Adligen als Konkurrenten um den Tschin und alle Chancen, welche die Fürstengunst bot. Der Adel war daher in sich durch Koterien tief gespalten und dem Fürsten gegenüber vollkommen machtlos, und er hat sich auch bis in die Zeiten der modernen Organisation der Lokalverwaltung,
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Gemeint ist wohl die Lokalverwaltungsorganisation der Zemstva, die 1864 unter Alexander II. eingeführt wurden.
die eine teilweise neue Situation schuf, nur ganz ausnahmsweise und dann stets vergeblich zu Versuchen gemeinsamen Widerstandes zusammengefunden, obwohl er durch Katharina II. ausdrücklich das Versammlungs- und Kollektiv-Petitionsrecht erhalten hatte.
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In der „Gnadenurkunde für den Adel“ gestattete Katharina II. 1785 den Adeligen, sich auf der Gouvernements- und Bezirksebene als Korporation zu konstituieren und jederzeit Petitionen an die Krone bringen zu dürfen. Vgl. auch Leroy-Beaulieu, Reich der Zaren I (wie oben, S. 250, Anm. 7), S. 315 f.
Dieser durch die Konkurrenz um die Hofgunst bedingte völlige Mangel an Standessolidarität des Adels war nicht erst die Folge der Ordnungen Peters des Großen, sondern entstammte bereits dem älteren System des „Mjestnitschestwo“, welches seit der Aufrichtung des moskowiti[365]schen Patrimonialstaals die soziale Klassifikation der Honoratioren beherrschte.
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[365] Die Entstehung des „mestničestvo“, eines komplizierten Systems von Rang- und Amtszuweisungen nach Herkunft und Verdiensten, wird heute auf das 15. Jahrhundert datiert. Es geht zeitlich einher mit der Entwicklung des zentralisierten Einheitsstaats unter der Vorrangstellung des Moskauer Großfürstentums (heute von 1480 bis 1703 datiert), dem die anderen Fürsten und Teilfürsten ihr Land, ihre Dienste und ihre Selbständigkeit zu unterstellen hatten. Vgl. dazu auch die Beschreibung von Leroy-Beaulieu, ebd., S. 288–292, sowie den Hinweis Max Webers auf eine Studie von Paul Milukow im überlieferten Originalmanuskript, unten, S. 710 mit Anm. 1,
Der soziale Rang hing von Anfang her an der Würde des vom Zaren, dem universellen Bodeneigentümer, verliehenen Amts, an welcher als materieller [A 721]Entgelt der Besitz des Dienstlehens – „pomjestje“ von mjesto, Stellung – hing.
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„Pomjestje“ (Tl.: pomest’e) ist die Bezeichnung für das Dienstgut, d. h. das als Gegenleistung für den Dienst zur Nutzung überlassene Land. Nach Leroy-Beaulieu, Reich der Zaren I (wie oben, S. 250, Anm. 7), S. 286, ist es mit dem Lehen oder beneficium vergleichbar. Massenhafte Dienstgutverleihungen erfolgten unter Iwan III. (1462–1502).
Der Unterschied des alten Mjestnitschestwo gegenüber der petrinischen
q
[365]A: peterinischen
Ordnung war im letzten Grunde lediglich, daß einerseits das Dienstlehen, andrerseits der dem ersten Erwerber oder einem späteren Vorbesitzer durch Amtsstellung zugewachsene Rang erblich allen seinen Nachfahren appropriiert war und nun das gegenseitige Rangverhältnis der adligen Familien unter einander relativ dauernd regelte. Je nach 1. dem Amtsrang seines in der Amtshierarchie höchstgestiegenen Vorfahren und 2. je nach der Zahl der Generationen, die zwischen der höchsten bisherigen[,] von einem von diesen Vorfahren innegehabten Amtsstellung und seinem eignen Eintritt in den Dienst lagen, begann der junge Adlige mit einer verschiedenen Amtsstellung. Kein Adliger von höherem Amtsadel seiner Familie konnte nach feststehender Standessitte ein Amt annehmen, welches ihn dem Befehl eines Beamten aus einer Familie mit niedrigerem Amtsadel unterstellte, so wenig wie er an einer Tafel, – auch auf Lebensgefahr, wenn es die Tafel des Zaren war
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Leroy-Beaulieu, ebd., S. 291, gibt den Bericht eines Chronisten über einen Bojaren wieder, der sich weigerte, den vom Zaren angewiesenen Platz am Tisch einzunehmen und daraufhin unter Protest – er werde lieber geköpft, als einen ihm ungebührenden Platz einzunehmen – abgeführt wurde.
– jemals einen Platz unterhalb eines nach dem „Mjestnitschestwo“ ihm dem Familienrang nach untergeordneten Beamten noch so hoher persönlicher Amtsstellung ak[366]zeptieren durfte. Das System bedeutete einerseits eine empfindliche Einschränkung des Zaren in der Auswahl seiner höchsten Verwaltungsbeamten und Heerführer, über die er sich nur unter großen Schwierigkeiten und dem Risiko, daß die Proteste und Widersetzlichkeiten selbst auf dem Schlachtfelde nicht schwiegen, hinwegsetzen konnte.
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[366] Um die Auseinandersetzungen auf dem Schlachtfeld einzudämmen, verbot Iwan IV. („der Schreckliche“) 1550 den Generälen den Streit mit Adeligen niederen Ranges. Vgl. Leroy-Beaulieu, ebd., S. 290, Anm. 1.
Auf der andren Seite nötigte es den Adel, und je höher sein ererbter Rang war, desto mehr, in den höfischen und patrimonialbürokratischen Dienst hinein, um seine soziale Geltung und seine Ämterchancen nicht zu verlieren[,] und verwandelte ihn so fast restlos in einen „Hofadel“ (dworjanstwo von dwor, Hof).
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Die heutigen Schreibweisen lauten: „dvorjanstvo“ und „dvor“.
Der eigne Grundbesitz als Grundlage der Rangstellung trat immer weiter zurück. Die wotschinniki,
r
[366]A: wotschianiki
Inhaber eines wotschina, einer nicht ursprünglich als Dienstland verliehenen, sondern „allodialen“ und von den Vorfahren vererbten Grundherrschaft, schwanden dahin zugunsten des pomjeschtschiki, bis dieses die heut alleinherrschende Bezeichnung für „Gutsherr“ wurde.
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Die „Wotschinniki“ (Tl.: votčinniki) waren zumeist alte Fürsten oder Teilfürsten, die ihr Land kraft eigenen Rechts besaßen. Von den Zaren wurden sie noch im ausgehenden 16. Jahrhundert gezwungen, ihren erblichen Besitz gegen Dienstgüter (pomest’e) einzutauschen, wodurch sie zu „Pomjeschtschiki“ (pomeščiki) herabsanken. Vgl. Leroy-Beaulieu, ebd., S. 286 f., dort auch der Hinweis auf die sprachliche Verwendung von „pomeščiki“ und der Vergleich der „Wotschina“ (votčina) mit dem Allod in Westeuropa.
Nicht der Besitz adligen Landes, sondern der eigne und ererbte Amtsrang schuf den sozialen Rang. Der
s
A: Den
Anknüpfungspunkt der Entwicklung dieses von dem Patrimonialfürstentum des Zaren raffiniert benutzten Systems der Verknüpfung aller sozialen Macht mit Herrendienst ist zu finden 1. in einem erst später zu erörternden
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Siehe den Text „Charismatismus“, unten, S. 469–472, und den Text „Umbildung des Charisma“, unten, S. 513–517, an beiden Stellen aber nicht zu Ende geführt.
Institut (die Königsgefolgschaft) in Verbindung mit 2. der Sippensolidarität, welche den einmal erworbenen Dienstrang und die damit verbundenen Chancen der Gesamtheit der Sippengenossen zu appropriieren suchten. Diesen Zustand traf Peter der Große an und suchte[,] ihn zu vereinfachen, indem er die Familienranglisten (rasrjadnaja perepis), welche über die Rangansprüche der adligen Sippen Auskunft gaben,
t
A: gab,
ver[367]brennen ließ
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[367] Aufgrund einer mißverständlichen Formulierung bei Leroy-Beaulieu, Reich der Zaren I (wie oben, S. 250, Anm. 7), S. 291 f., schreibt Weber die Verbrennung der alten Rangregister bzw. Dienstbücher Peter I. zu. Tatsächlich wurden die „razrjadnaja perepis“ (bei Leroy-Beaulieu: „rasrädnüja knigi“, ebd., S. 291) bereits 1682 durch dessen Vater Fedor III. Alexejewitsch verbrannt.
und sein fast rein an der persönlichen Amtsstellung klebendes Tschin-Schema an die Stelle setzte. Es war der Versuch, die Sippenehre, welche bisher der Entwicklung der Standessolidarität, ebenso wie den Interessen des Zaren an der freien Auslese seiner Beamten im Wege gestanden hatte, auszuschalten, ohne doch eine gegen den Zaren sich wendende Standessolidarität entstehen zu lassen. In der Tat gelang dies. Der Adel blieb, soweit er den sozialen Rang des tschin suchte, durch rücksichtslose Konkurrenz darum, soweit er aber reiner Grundherr blieb, durch den haßerfüllten Gegensatz gegen den tschinownik – die allgemeine Bezeichnung für Beamte
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Die Gegensätze zwischen den grundbesitzenden und den ärmeren Staatsdienern („tschinownik“‚ „činovnik“) eskalierten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, so daß die unteren Beamten von den adeligen Gegnern als „frisirte[s] Proletariat“ beschimpft wurden. Vgl. Leroy-Beaulieu, ebd., S. 301.
– tief in sich gespalten. Das Monopol des Leibeigenenbesitzes schuf keinen solidarischen Stand, weil die Tschinkonkurrenz dazwischentrat und nur das Amt nebenher die großen Gelegenheiten zur Bereicherung bot. Der Zustand war in dieser Hinsicht der gleiche wie im spätkaiserlichen und byzantinischen Reich, ebenso schon in den antiken babylonischen, persischen und hellenistischen Vorläufern und ebenso auch in ihren islamitischen Erben: die Bedeutung des grundherrlichen Patrimonialismus – welche, wie wir sahen,
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Siehe oben, S. 324–326 und 333–335.
in China gänzlich fehlte – führte auch dort überall weder zu einer bestimmt gearteten Verknüpfung der Grundherrenschicht mit den staatlichen Ämtern, noch zur Entstehung [A 722]eines einheitlichen Adelsstandes auf der Basis der Grundherrschaft, soviele Ansätze dazu auch vorhanden waren. Der für die spätrömische Verwaltung zunehmend wichtigen Schicht der „possessores“ stand, ebenso wie in den hellenistischen Reichen,
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In den hellenistischen Monarchien, z. B. im ptolemäischen Ägypten, im Makedonen- und Seleukidenreich, wurden Ratgeber, Beamte und Offiziere des Königs mit Ehrenbezeichnungen ausgestattet und in ein Rangsystem gebracht. Ausgehend von Alexander d.Gr., der in seinen letzten Regierungsjahren nach persischem Vorbild die Hoftitel einführte, dominierte dieses System im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. Bei den Makedonen [368]verdrängten schon unter Alexander d.Gr. die sog. „Freunde“ (Philoi) den alten grundbesitzenden Adel am Hof des Königs (die „Gefährten“, Hetairoi).
das fürstliche Patrimonialbeamtentum, im [368]spätrömischen Reich,
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In der römischen Kaiserzeit standen den – zumeist aus den alten Senatorengeschlechtern stammenden – Großgrundbesitzern (possessores) die nichtadeligen Beamten gegenüber, die aufgrund der fehlenden senatorischen Rangzuweisung nach ihrem Jahresgehalt klassifiziert wurden, spätestens seit Hadrian. Vgl. Mommsen, Römisches Staatsrecht III,13 (wie oben, S. 143, Anm. 37), S. 564. Die diokletianisch-konstantinische Reform brachte ein ausgefeiltes Rangordnungssystem des Beamtenapparats, das seinen Niederschlag in der Notitia Dignitatum (ca. 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts) fand. Vgl. Karlowa, Römische Rechtsgeschichte I (wie oben, S. 193, Anm. 70), S. 828 f.
eine nach der Höhe des Pfründeneinkommens in Rangklassen gegliederte Schicht, beziehungslos gegenüber, wie schon in den frühantiken orientalischen Reichsbildungen.
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Unter den altorientalischen Reichen (Ägypten, Sumer, Babylonien und Assyrien) ist der Unterschied zwischen den Geschlechterverbänden und den vom König geschaffenen Verwaltungsverbänden zum Beispiel für das altbabylonische Reich inschriftlich belegt. Vgl. Thurnwald, Babylon (wie oben, S. 184, Anm. 53), S. 652–660.
Und in den islamischen Reichen gab[,] ihrem theokratischen Charakter entsprechend, sozialen Rang zunächst das Bekenntnis zum Islam, Ämterchancen aber die kirchlich geleitete Vorbildung und sonst die freie Gunst des Herren ohne dauernd und nachhaltig wirksame Adelsmonopole. Vor allem konnte auf diesem Boden ein grundlegendes Element alles mittelalterlichen westeuropäischen Adels nicht entstehen: eine zentrale Orientierung der Lebensführung durch eine bestimmte Art von traditioneller und durch Erziehung gefestigter Gesinnung: die persönliche Beziehung der ganzen Lebensweise, die gemeinsame ständische Ehre als eine Anforderung an jeden Einzelnen und ein alle Standeszugehörigen innerlich einigendes Band. Zahlreiche ständische Konventionen entwickelten sich auf russischem Boden ebenso wie innerhalb der Honoratiorenkreise aller jener Reiche. Aber es lag nicht nur in jener schon erwähnten
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Siehe oben, S. 365 f.
Zwiespältigkeit der Grundlagen sozialen Ranges, daß sie zu einem einheitlichen gesinnungsmäßigen Zentrum der Lebensführung auf der Grundlage der „Ehre“ nicht führen konnten. Sondern sie setzten überhaupt nur sozusagen von außen ökonomische Interessen oder das nackte soziale Prestige-Bedürfnis in Bewegung, nicht aber boten sie einheitlichen Impulsen des Handelns einen elementaren inneren Maßstab der Selbstbehauptung und Bewährung der eignen Ehre dar. Die eigne soziale Ehre und die Beziehung zum Herrn fielen entwe[369]der innerlich ganz auseinander: so bei den eigenständigen Honoratioren; oder aber sie waren eine nur an äußerliches Geltungsbedürfnis appellierende „Karriere“chance, so beim Hofadel, dem Tschin, dem Mandarinentum und allen Arten von nur auf freier Herrengunst beruhenden Stellungen. Andrerseits waren wieder die appropriierten Pfründen aller Art als solche zwar eine geeignete Grundlage für ein Gefühl von Amts- und Honoratioren„würde“ nach Art der noblesse de robe, aber keine spezifische Basis für eine eigne persönliche, auf „Ehre“ abgestellte Beziehung zum Herren und einer darauf beruhenden spezifischen inneren Lebenshaltung. Der okzidentale Ministeriale auf seiten der durch Herrengunst, der alte englische Gentleman der „Squirearchie“
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[369] Zum Ausdruck „Squirearchie“ vgl. oben, S. 359, Anm. 13.
auf seiten der durch eigenständige Honoratiorenqualität bedingten sozialen Ehre waren beide, in untereinander sehr verschiedener Art, Träger eines eigentümlichen, persönlichen ständischen Würdegefühls, welches die persönliche „Ehre“, nicht nur das amtsbedingte Prestige, zur Grundlage hatte. Aber bei dem Ministerialen ist es völlig offenkundig und bei dem altenglischen Gentleman leicht einzusehen, daß die innere Lebenshaltung beider durch das okzidentale Rittertum mitbedingt war. Die Ministerialen sind mit diesem vollständig verschmolzen, der englische Gentleman hat umgekehrt neben den mittelalterlichen[,] rein ritterlichen Zügen mit zunehmender Entmilitarisierung der Honoratiorenschicht zunehmend andre, bürgerliche Züge in sein
u
[369]A: ihr
Männlichkeitsideal und seinen
v
A: ihren
Lebensstil aufgenommen, und in dem puritanischen Gentleman erstand neben der Squirearchie ein dieser ebenbürtiger Typus sehr heterogener Provenienz, mit welchem nun die verschiedensten gegenseitigen Angleichungs-Entwicklungen einsetzten. Immerhin aber lag das ursprüngliche spezifisch mittelalterliche Orientierungszentrum beider Schichten außerhalb ihrer selbst im feudalen Rittertum. Dessen Lebenshaltung aber wurde zentral durch den feudalen Ehrbegriff und dieser wieder durch die Vasallentreue des Lehensmannes bestimmt, den einzigen Typus einer Bedingtheit ständischer Ehre sowohl einerseits durch eine dem Prinzip nach einheitliche Stellungnahme von innen heraus, wie andrerseits durch die Art der Beziehung zum Herrn. Da die spezifische Lehens[370]beziehung stets ein extrapatrimoniales Verhältnis darstellt, liegt sie in dieser Hinsicht jenseits der Grenzen der patrimonialen Herrschaftsstruktur. Allein es ist leicht einzusehen, daß sie andrerseits durch die ihr eigne, rein persönliche [A 723]Pietätsbeziehung zum Herrn so stark bedingt ist
w
[370]A: ist,
und so sehr den Charakter einer „Lösung“ eines praktischen „Problems“ der politischen Herrschaft eines Patrimonialfürsten über und vermittelst lokaler Patrimonialherren darstellt, daß sie systematisch am richtigsten als ein spezifischer äußerster „Grenzfall“ des Patrimonialismus behandelt wird.