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Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

[460][A 753] [Charismatismus.]
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[460] In A geht der Überschrift voran: Kapitel IX. In A folgt nach der Überschrift eine Inhalts- und Seitenübersicht.

Die bürokratische, ganz ebenso wie die ihr in so vielem antagonistische, patriarchale Struktur sind Gebilde, zu deren wichtigsten Eigenarten die Stetigkeit gehört, in diesem Sinne also: „Alltagsgebilde“. Zumal die patriarchale Gewalt wurzelt in der Deckung des stets wiederkehrenden, normalen Alltagsbedarfs und hat daher ihre urwüchsige Stätte in der Wirtschaft, und zwar in denjenigen ihrer Zweige, welche mit normalen, alltäglichen Mitteln zu decken sind. Der Patriarch ist der „natürliche Leiter“ des Alltags. Die bürokratische Struktur ist darin nur ihr ins Rationale transponiertes Gegenbild. Auch sie ist Dauergebilde und, mit ihrem System rationaler Regeln, auf Befriedigung berechenbarer Dauerbedürfnisse mit normalen Mitteln zugeschnitten. Die Deckung alles über die Anforderungen des ökonomischen Alltags hinausgehenden Bedarfs dagegen ist, je mehr wir historisch zurücksehen, desto mehr, prinzipiell gänzlich heterogen und zwar: charismatisch, fundamentiert gewesen. Das bedeutet: die „natürlichen“ Leiter in psychischer, physischer, ökonomischer, ethischer, religiöser, politischer Not waren weder angestellte Amtspersonen noch Inhaber eines als Fachwissen erlernten und gegen Entgelt geübten „Berufs“ im heutigen Sinne dieses Wortes, sondern Träger spezifischer, als übernatürlich (im Sinne von: nicht jedermann zugänglich) gedachter Gaben des Körpers und Geistes. Dabei wird der Begriff „Charisma“ hier gänzlich „wertfrei“ gebraucht. Die Fähigkeit zur Heldenekstase des nordischen
b
A: arabischen
„Berserkers“, der wie ein tollwütiger Hund in seinen Schild und um sich herum beißt[,] bis er im rasenden Blutdurst losstürzt, oder des irischen Heros Cuculain oder des homerischen Achilleus, ist ein – wie man für die Berserker lange behauptet hat, durch akute Vergiftung künstlich erzeugter – manischer Anfall
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[460] Max Weber folgt hier der Sichtweise des Indogermanisten Hermann Güntert, der sich gegen die von der zeitgenössischen ethnologischen Forschung vertretene These wandte, die Berserkerwut sei auf den Genuß berauschender Getränke, Wurzeln, Pilze oder auf die Vergiftung durch Fliegenschwamm zurückzuführen. Vgl. Güntert, Hermann, Über altisländische Berserker-Geschichten (Beilage zum Jahresbericht des Heidelberger Gymnasiums 1912). – Heidelberg: J. Hörning 1912, S. 24 f.
(man hielt in Byzanz eine Anzahl zu solchen An[461]fällen veranlagter „blonder
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A: [461]veranlagten „blonden
Bestien“
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[461] Gemeint sind wohl die skandinavischen Waräger und Angelsachsen, die seit den siebziger Jahren des 11. Jahrhunderts die kaiserliche Garde in Byzanz bildeten. Der Ausdruck „blonde Bestie“ wird in Anlehnung an Friedrich Nietzsche verwendet, der damit das zeitweise Durchbrechen des „Raubthier-Gewissens“ bei den „vornehmen Rassen“ bezeichnete. In dieser Hinsicht seien „römischer, arabischer, germanischer, japanesischer Adel, homerische Helden, skandinavische Wikinger“ gleich. Vgl. Nietzsche, Genealogie der Moral, S. 21 f.
ebenso wie früher etwa die Kriegselefanten);
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Zur Kriegführung wurden Elefanten vor allem in der Antike eingesetzt, etwa von den Königen der Seleukidendynastie, vom Perserkönig Darius III., von Hannibal in den Punischen Kriegen und später auch von den Römern. Die voranstürmenden Elefanten sollten Verwirrung auslösen, in die feindlichen Reihen eindringen, die gegnerischen Truppen niedertrampeln und durch ihr Geschrei die Pferde der Kavallerie scheu machen und diese zum Rückzug zwingen. (Vgl. Delbrück, Hans, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, Band 1: Das Alterthum. – Berlin: Georg Stilke 1900, S. 183–194, 522–524; hinfort: Delbrück, Geschichte der Kriegskunst I). An dieser Stelle bezieht sich Weber vermutlich auf 1. Makkabäer 6, 33 ff., wo geschildert wird, daß der König des Seleukidenreiches Antiochus V. Eupator im Kampf gegen die Israeliten unter Judas Makkabäus (162 v. Chr.) die Trompeten blasen ließ und den Elefanten roten Wein und Maulbeersaft vorhalten ließ, um sie für die bevorstehende Schlacht wild zu machen.
die Schamanenekstase ist an konstitutionelle Epilepsie geknüpft,
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Der Schamane ist – wie Weber, Hinduismus, MWG I/20, S. 450, ausführt – ein Ausdruck für „magisch-ekstatische Exorzisten“. Nach den polytheistischen Vorstellungen der turko-tatarischen Völker verfügte er über die Macht, mit den Geistern der Erde, des Himmels und mit den lokalen Ahnen in Kontakt zu treten. Die These, daß die schamanische Fähigkeit zur ekstatischen Geisterbeschwörung von einer „konstitutionellen Epilepsie“ abhängig gewesen und daß ihr erstes Auftreten einer Berufung zum Schamanen gleichgekommen sei, findet sich in: Chantepie de la Saussaye, Pierre Daniël, unter Mitwirkung von Thomas Achelis, Die sogenannten Naturvölker, in: Lehrbuch der Religionsgeschichte, hg. von Pierre Daniël Chantepie de la Saussaye, Band 1, 3. Aufl. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1905, S. 17–56, Zitat: S. 54.
deren Besitz und Erprobung die charismatische Qualifikation darstellt – beides also für unser Gefühl nichts „Erhebendes“, ebensowenig wie die Art der „Offenbarung“ etwa des heiligen Buchs der Mormonen,
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Der Gründer der Mormonensekte („Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage“) Joseph Smith jun. war der Verfasser von: The Book of Mormon: An Account Written by [462]the Hand of Mormon, Upon Plates Taken From the Plates of Nephi. By Joseph Smith junior, Author and Proprietor. – Palmyra: E. B. Grandin 1830. Er galt den Gläubigen als „Prophet“, der aufgrund der göttlichen Offenbarung des „Book of Mormon“ und seiner Orakelsprüche zum unangefochtenen Leiter der theokratischen Organisation der Sekte berufen war. Vgl. Meyer, Eduard, Ursprung und Geschichte der Mormonen. Mit Exkursen über die Anfänge des Islâms und des Christentums. – Halle a.S.: Max Niemeyer 1912, S. 42 (hinfort: Meyer, Mormonen), und dazu den Editorischen Bericht, oben, S. 456 f.
die, wenigstens vielleicht vom Standpunkt der Wertung, ein plumper „Schwindel“ genannt werden müßte. Allein darnach fragt die Soziologie nicht: der Mormonenchef ebenso wie jene „Helden“ und „Zauberer“ bewährten sich in dem Glauben ihrer Anhänger als charismatisch Begabte. Kraft dieser Gabe („Charisma“) und – wenn die Gottesidee schon deutlich konzipiert war – kraft der darin liegenden göttlichen Sendung übten sie ih[462]re Kunst und Herrschaft. Dies galt für Ärzte und Propheten ganz ebenso wie für Richter, militärische Führer oder Leiter von großen Jagdexpeditionen. Es ist für einen geschichtlich wichtigen Spezialfall (die Entwicklungsgeschichte der frühen
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[462]A: früheren
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Max Weber bezieht sich hier auf das Werk des Juristen und Kirchenrechtlers Rudolph Sohm, Kirchenrecht. Dieser charakterisierte die frühe kirchliche Verfassung – entgegen der vorherrschenden Sichtweise – nicht als rechtliche, sondern „charismatische Organisation“ (ebd., S. 26). Nur der urchristlichen Kirche (der „Ekklesia“) war nach Sohm die charismatische Prägung eigen. Diese wurde alsbald durch die katholische Kirchenverfassung abgelöst. Der im Text überlieferte Ausdruck „früheren“ wurde durch „frühen“ ersetzt, weil es sich um das frühe, apostolische Zeitalter der Kirchengeschichte handelt. Zu den Hintergründen der Sohm-Debatte vgl. die Einleitung, oben, S. 37–41.
christlichen Kirchengewalt) Rudolf Sohms Verdienst, die soziologische Eigenart dieser Kategorie von Gewaltsstruktur gedanklich [A 754]konsequent und daher notwendigerweise, rein historisch betrachtet, einseitig herausgearbeitet zu haben.
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Max Weber bezieht sich hier auf das Werk des Juristen und Kirchenrechtlers Rudolph Sohm, Kirchenrecht. Dieser charakterisierte die frühe kirchliche Verfassung – entgegen der vorherrschenden Sichtweise – nicht als rechtliche, sondern „charismatische Organisation“ (ebd., S. 26). Nur der urchristlichen Kirche (der „Ekklesia“) war nach Sohm die charismatische Prägung eigen. Diese wurde alsbald durch die katholische Kirchenverfassung abgelöst. Der im Text überlieferte Ausdruck „früheren“ wurde durch „frühen“ ersetzt, weil es sich um das frühe, apostolische Zeitalter der Kirchengeschichte handelt. Zu den Hintergründen der Sohm-Debatte vgl. die Einleitung, oben, S. 37–41.
Aber der prinzipiell gleiche Sachverhalt kehrt, obwohl auf religiösem Gebiet oft am reinsten ausgeprägt, sehr universell wieder.
Im Gegensatz gegen jede Art bürokratischer Amtsorganisation kennt die charismatische Struktur weder eine Form oder ein geordnetes Verfahren der Anstellung oder Absetzung noch der „Karriere“ oder des „Avancements“, noch einen „Gehalt“, noch eine geregelte Fachbildung des Trägers des Charisma oder seiner Gehilfen, noch eine Kontroll- oder Berufungsinstanz, noch sind ihr örtliche Amtssprengel oder exklusive sachliche Kompetenzen zugewiesen, noch endlich bestehen von den Personen und dem Bestande ihres rein persönlichen Charisma unabhängige ständige Institutionen nach Art bürokratischer „Behörden“. Sondern das Charisma kennt nur innere Bestimmtheiten und Grenzen seiner selbst. Der Träger des Charisma ergreift die ihm angemessene Aufgabe und verlangt Gehorsam und Gefolgschaft kraft seiner Sendung. Ob er sie findet, entscheidet der Erfolg. Erkennen diejenigen, an die er sich gesendet fühlt, seine Sen[463]dung nicht an, so bricht sein Anspruch zusammen. Erkennen sie ihn an, so ist er ihr Herr, so lange er sich durch „Bewährung“ die Anerkenntnis zu erhalten weiß. Aber nicht etwa aus ihrem Willen, nach Art einer Wahl, leitet er dann sein „Recht“ ab, – sondern umgekehrt: die Anerkennung des charismatisch Qualifzierten ist die Pflicht derer, an welche sich seine Sendung wendet. Wenn die chinesische Theorie das Herrenrecht des Kaisers von der Anerkennung des Volkes abhängig macht,
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[463] Gemeint sind die Schriften des konfuzianischen Philosophen Mencius. Vgl. Legge, James, The Chinese Classics, Vol. 2: The Works of Mencius. – Oxford: University Press 1861, S. 167 (hinfort: Legge, Works of Mencius). Nähere Ausführungen zur Anerkennung des Monarchen durch das Volk finden sich bei Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S. 174–179.
so ist das ebensowenig Anerkennung einer Volkssouveränität, wie die Notwendigkeit der „Anerkennung“ des Propheten in der altchristlichen Gemeinde durch die Gläubigen.
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Bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts n. Chr. bekleideten die christlichen Propheten als Wanderprediger, neben den „Aposteln“ und „Lehrern“, zentrale Ämter in den Gemeinden der frühen Kirche. Zu den von ihnen ausgeübten Funktionen zählten die Stellenbesetzung, die Absolution, die Durchführung der Eucharistie und die Verwaltung des Kirchenguts. Nach Sohm, Kirchenrecht, S. 58 f., basierte die Stellung des Propheten auf der Erwählung „durch Gott“ und der Anerkennung der Gemeinde, welche die Wirksamkeit des Gotteswortes im Propheten bezeugte. Zudem mußten sich die Propheten durch ekstatische Visionen und eine unangreifbare Lebensführung vor der Gemeinde legitimieren. Vgl. auch Harnack, Adolf, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, 2 Bände, 2. Aufl. – Leipzig: J. C. Hinrichs 1906, hier: Band 1, S. 280–297 (hinfort: Harnack, Mission I, II).
Sondern es kennzeichnet den charismatischen, an der persönlichen Qualifikation und Bewährung haftenden Charakter der Monarchenstellung. Das Charisma kann sein und ist selbstverständlich regelmäßig ein qualitativ besondertes: dann folgt daraus von innen her, nicht durch äußere Ordnung, die qualitative Schranke der Sendung und Macht seines Trägers. Die Sendung kann sich ihrem Sinn und Gehalt nach an eine örtlich, ethnisch, sozial, politisch, beruflich
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[463]A: beruflich,
oder irgendwie sonst abgegrenzte Gruppe von Menschen richten und tut dies normalerweise: dann findet sie in deren Umkreis ihre Grenze. Die charismatische Herrschaft ist in allen Dingen, und so auch in ihrer ökonomischen Substruktion,
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Von (lat.) „substructio“: Unterbau.
das gerade Gegenteil der bürokratischen. Ist diese an stetige Einnahmen, daher wenigstens a potiori an Geldwirtschaft und Geldsteuern gewiesen, so lebt das Charisma [464]in und doch nicht von dieser Welt. Das will richtig verstanden sein. Nicht selten zwar perhorresziert es ganz bewußt den Geldbesitz und die Geldeinnahme als solche, wie der heilige Franz
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[464] Dem Verbot, Geld anzunehmen, widmete Franziskus von Assisi in der „Regula non bullata“ des Minderbrüderordens von 1221 das Kapitel VIII „Quod fratres non recipiant pecuniam“. Abgedruckt in: Analekten zur Geschichte des Franciscus von Assisi, hg. von Heinrich Boehmer. – Tübingen, Leipzig: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1904, S. 8 (hinfort: Analekten).
und viele seinesgleichen. Allein natürlich nicht als Regel. Auch ein genialer Seeräuber kann ja eine „charismatische“ Herrschaft im hier gemeinten wertfreien Sinn üben, und die charismatischen politischen Helden suchen Beute und darunter vor allem gerade: Gold. Immer aber – das ist das Entscheidende – lehnt das Charisma den planvollen rationalen Geldgewinn, überhaupt alles rationale Wirtschaften, als würdelos ab. Darin liegt sein schroffer Gegensatz auch gegen alle „patriarchale“ Struktur, welche auf der geordneten Basis des „Haushalts“ ruht. In seiner „reinen“ Form ist das Charisma für seine Träger nie private Erwerbsquelle im Sinn ökonomischer Ausnutzung nach Art eines Tausches von Leistung und Gegenleistung, aber auch nicht in der anderen einer Besoldung, und ebenso kennt es keine Steuerordnung für den sachlichen Bedarf seiner Mission. Sondern es wird, wenn seine Mission eine solche des Friedens ist, ökonomisch mit den erforderlichen Mitteln entweder durch individuelle Mäzenate oder durch Ehrengeschenke, Beiträge und andere freiwillige Leistungen derjenigen, an welche es sich wendet, ausgestattet, oder – wie bei den charismatischen Kriegshelden –
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[464]A: Kriegshelden,
gibt die Beute zugleich einen der Zwecke und die materiellen Mittel der Mission ab. Das „reine“ Charisma ist –
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Gedankenstrich fehlt in A.
im Gegensatz gegen alle (in dem hier gebrauchten Sinn des Worts) „patriarchale“ Herrschaft
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Siehe den Text „Patrimonialismus“, oben, S. 247–259.
– der Gegensatz aller geordneten Wirtschaft: es ist eine, ja geradezu die Macht der Unwirtschaftlichkeit, auch und gerade dann, wenn es auf Güterbesitz ausgeht, wie der [A 755]charismatische Kriegsheld. Es kann dies, weil es, seinem Wesen nach, kein stetiges „institutionelles“ Gebilde ist, sondern, wo es in seinem „reinen“ Typus sich auswirkt, das gerade Gegenteil. Die Träger des Charisma: der Herr wie die Jünger und Gefolgsleute, müssen, um ihrer Sendung genügen zu können, außerhalb der Bande dieser [465]Welt stehen, außerhalb der Alltagsberufe ebenso wie außerhalb der alltäglichen Familienpflichten. Der Ausschluß der Annahme kirchlicher Ämter durch das Ordensstatut der Jesuiten,
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[465] Nach Anschauung Ignatius’ von Loyola galt ehrgeiziges Streben nach kirchlichen Ämtern als unvereinbar mit dem Gebot des unbedingten Gehorsams innerhalb des Jesuitenordens (Societas Jesu). Ein explizites Verbot, kirchliche Ämter zu übernehmen, läßt sich den Satzungen des Ordens allerdings nicht entnehmen. Vgl. Institutum Societatis Iesu. Volumen Secundum: Examen et Constitutiones. Decreta Congregationum Generalium. Formulae Congregationum. – Florentiae: Ex Typographia A SS. Conceptione 1893, S. 93 f. (hinfort: Institutum Societatis Iesu), sowie die Studie von Gothein, Eberhard, Ignatius von Loyola und die Gegenreformation. – Halle a.S.: Max Niemeyer 1895, S. 364–367, als Handexemplar Max Webers überliefert (Arbeitsstelle der Max Weber-Gesamtausgabe, BAdW München).
die Besitzverbote für die Mitglieder der Orden oder auch – nach der ursprünglichen Regel des Franziskus
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Gemeint ist die „Regula non bullata“ (vgl. oben, S. 464, Anm. 10). Eine entsprechende Textstelle findet sich in Kapitel VII „De modo serviendi et laborandi“: „Caveant sibi fratres, ubicumque fuerint, in heremitoriis vel in aliis locis, quod nullum locum sibi approprient nec alicui defendant.“ Vgl. Analekten (wie oben, S. 464, Anm. 10), S. 8.
– für den Orden selbst, das Zölibat des Priesters und Ordensritters, die faktische Ehelosigkeit zahlreicher Träger eines prophetischen oder künstlerischen Charisma sind alle der Ausdruck der unvermeidlichen „Weltabgewendetheit“ derjenigen, welche Teil („ϰλῆρος“) haben am Charisma. Je nach der Art des Charisma und der seinen Sinn realisierenden Lebensführung (z. B. ob religiös oder künstlerisch) können aber dabei die ökonomischen Bedingungen der Teilhaberschaft äußerlich gerade entgegengesetzt aussehen. Es ist ebenso konsequent, wenn moderne charismatische Bewegungen künstlerischen Ursprungs „selbständige Berufslose“ (in der Alltagssprache ausgedrückt: Rentiers) als die normalerweise qualifizierteste Gefolgschaft des charismatisch Berufenen bezeichnen,
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Hier spielt Max Weber auf den Stefan-George-Kreis an, den er bereits 1910 in einem Brief an Dora Jellinek und dann auch auf dem Ersten Deutschen Soziologentag in Frankfurt am Main als Beispiel einer „künstlerischen Sektenbildung“ angeführt und „das spezifische Charisma“ einer solchen Gemeinschaft beschrieben hatte. (Vgl. Weber, Geschäftsbericht (wie oben, S. 54, Anm. 27), S. 58, und den Brief Max Webers an Dora Jellinek vom 9. Juni 1910, MWG II/6, S. 560, sowie die Einleitung, oben, S. 54). Der Ausdruck „selbständige Berufslose“ stammt aus der Berufsstatistik und umschreibt die Gruppe derjenigen, die von Rente oder Pension leben und keiner beruflichen Tätigkeit nachgehen. Zu dieser Gruppe zählten um 1900 auch Studierende. In der Anfangszeit waren die meisten Kreismitglieder, ebenso wie George selbst, „berufslos“. In einem Gespräch zwischen Max Weber und Stefan George soll der Dichter seine Unabhängigkeit von wirtschaftlichen Bedingungen betont haben. Vgl. dazu Wolters, Friedrich, Stefan George [466]und die Blätter für die Kunst. Deutsche Geistesgeschichte seit 1890. – Berlin: Georg Bondi 1930, S. 476.
[466]wie das ökonomisch das gerade Umgekehrte fordernde Armutsgebot des mittelalterlichen Klosterbruders es war.
Der Bestand der charismatischen Autorität ist ihrem Wesen entsprechend spezifisch labil: Der Träger kann das Charisma einbüßen, sich als „von seinem Gott verlassen“ fühlen, wie Jesus am Kreuz,
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Matthäus 27,46: „Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut und sprach: Eli, Eli, lama asabthani? das ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
sich seinen Anhängern als „seiner Kraft beraubt“ erweisen: dann ist seine Sendung erloschen, und die Hoffnung erwartet und sucht einen neuen Träger. Ihn aber verläßt seine Anhängerschaft, denn das reine Charisma kennt noch keine andere „Legitimität“ als die aus eigener, stets neu bewährter Kraft folgende. Der charismatische Held leitet seine Autorität nicht wie eine amtliche „Kompetenz“ aus Ordnungen und Satzungen und nicht wie die patrimoniale Gewalt aus hergebrachtem Brauch oder feudalem Treueversprechen ab, sondern er gewinnt und behält sie nur durch Bewährung seiner Kräfte im Leben. Er muß Wunder tun, wenn er ein Prophet, Heldentaten[,] wenn er ein Kriegsführer sein will. Vor allem aber muß sich seine göttliche Sendung darin „bewähren“, daß es denen, die sich ihm gläubig hingeben, wohlergeht. Wenn nicht, so ist er offenbar nicht der von den Göttern gesendete Herr. Dieser sehr ernsthafte Sinn des genuinen Charisma steht offensichtlich in radikalem Gegensatz zu den bequemen Prätentionen des heutigen „Gottesgnadentums“ mit seiner Verweisung auf den „unerforschlichen“ Ratschluß Gottes, „welchem allein der Monarch verantwortlich sei“,
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Max Weber spielt hier offensichtlich auf Äußerungen Wilhelms II. an, der unter Anknüpfung an mittelalterliche Vorstellungen sein persönliches Regiment rechtfertigen wollte. {Vgl. dazu die Einleitung, oben, S. 46). Mehrfach sprach er öffentlich von der besonderen Stellung der Hohenzollern zu Gott, so z. B. bei einer Gedenkrede auf seinen Großvater am 31. August 1897: „das ist das Königtum von Gottes Gnaden, das Königtum mit seinen schweren Pflichten, seinen niemals endenden, stets andauernden Mühen und Arbeiten, mit seiner furchtbaren Verantwortung vor dem Schöpfer allein, von der kein Mensch, kein Minister, kein Abgeordnetenhaus, kein Volk den Fürsten entbinden kann.“ Vgl. Die Reden Kaiser Wilhelms II., Band 2 : 1896–1900, hg. von Johannes Penzler. – Leipzig: Philipp Reclam jun. [1904], S. 61; ähnlich auch am 25. August 1910 in Königsberg, in: dass., Band 4: 1906–1912, hg. von Bogdan Krieger, ebd. [1913], S. 204.
– während der genuin-charismatische Herrscher gerade umgekehrt den Beherrschten verantwortlich ist. Dafür nämlich und ausschließlich dafür: daß gerade er [467]persönlich wirklich der gottgewollte Herr sei. Der Träger einer in wichtigen Resten noch echt charismatischen Gewalt, wie es z. B. (der Theorie nach) diejenige des chinesischen Monarchen war, klagt sich, wenn es seiner Verwaltung nicht gelingt[,] eine Not der Beherrschten zu bannen, handele es sich um Überschwemmungen oder unglückliche Kriege, öffentlich vor allem Volk seiner eigenen Sünden und Unzulänglichkeiten an, wie wir dies noch in den letzten Jahrzehnten erlebt haben.
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[467] Gemeint sind hier die öffentlichen Sündenbekenntnisse der chinesischen Kaiser, die nach Webers Ausführungen in der Konfuzianismusstudie (MWG I/19, S. 177 f.) vom „Feudalzeitalter“ bis in das 19. Jahrhundert hinein vorgekommen seien. Noch am 6. Oktober 1899 findet sich in der „Peking Gazette“, einer englischsprachigen Ausgabe der Regierungsverlautbarungen, ein Dekret, in dem der Kaiser seine Sünden als Ursache einer Dürre darstellte.
Versöhnt auch diese Buße die Götter nicht, so gewärtigt er Absetzung und Tod, der oft genug als Sühnopfer vollzogen wird. Diesen sehr spezifischen Sinn hat z. B. bei Meng-tse (Mencius) der Satz, daß des Volkes Stimme „Gottes Stimme“ (nach ihm: die einzige Art, in der Gott spricht!) sei: mit Aufhören der Anerkennung des Volkes ist (wie ausdrücklich gesagt wird) der Herr ein einfacher Privatmann und[,] wenn er mehr sein will, ein strafwürdiger Usurpator.
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Vgl. Legge, Works of Mencius (wie oben, S. 463, Anm. 7), S. 167. Auch Plath, China (wie oben, S. 59, Anm. 62), S. 470, griff das im Okzident beheimatete „vox populi, vox dei“ auf und übertrug es auf chinesische Denkweisen, die im Schu-king (Shu-ching), einem der klassischen Bücher, festgehalten worden seien. Dort heißt es in Plaths Übersetzung: „der Himmel sieht – durch mein Volk sieht er; der Himmel hört es – durch mein Volk hört er’s“. Von Mencius sei diese Stelle weitläufig erörtert und dahingehend interpretiert worden, „wie auch der Fürst bei der Wahl seiner Beamten und bei Straferkenntnissen die Volksstimme berücksichtigen müsse“ (ebd., S. 470).
In ganz unpathetischen Formen findet sich der diesen höchst revolutionär klingenden Sätzen entsprechende Tatbestand unter primitiven Verhältnissen wieder, wo der charismatische Charakter fast allen primitiven Autoritäten[,] mit Ausnahme der Hausgewalt im engsten Sinn, anhaftet und der Häuptling oft genug einfach verlassen wird, wenn der Erfolg ihm untreu ist.
[A 756]Die, je nachdem, mehr aktive oder mehr passive rein faktische „Anerkennung“ seiner persönlichen Mission durch die Beherrschten, auf welcher die Macht des charismatischen Herrn ruht, hat ihre Quelle in gläubiger Hingabe an das Außerordentliche und Unerhörte, aller Regel und Tradition Fremde und deshalb als göttlich Angesehene, wie sie aus Not und Begeisterung geboren wird. Die genuin [468]charismatische Herrschaft kennt daher keine abstrakten Rechtssätze und Reglements und keine „formale“ Rechtsfindung. Ihr „objektives“ Recht ist konkreter Ausfluß höchst persönlichen Erlebnisses von himmlischer Gnade und göttergleicher Heldenkraft und bedeutet Ablehnung der Bindung an alle äußerliche Ordnung zugunsten der alleinigen Verklärung der echten Propheten- und Heldengesinnung. Sie verhält sich daher revolutionär alles umwertend und souverän brechend mit aller traditionellen oder rationalen Norm: „es steht geschrieben – ich aber sage euch“.
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[468] Matthäus 5, 21–22: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten […]. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichts schuldig […].“
Die spezifische charismatische Form der Streitschlichtung ist die Offenbarung durch den Propheten oder das Orakel oder der aus streng konkreten und individuellen, aber absolute Geltung beanspruchenden Wertabwägungen heraus gefundene „salomonische“ Schiedsspruch eines charismatisch qualifizierten Weisen. Hier liegt die eigentliche Heimat der „Kadi-Justiz“ im sprichwörtlichen – nicht im historischen Sinn des Worts. Denn die Justiz des islamischen Kadi in seiner realen historischen Erscheinung ist gerade gebunden an die heilige Tradition und deren oft höchst formalistische Auslegung und erhebt sich zu regelfreier individueller Wertung des Einzelfalles nur da – da aber allerdings –[,] wo jene Erkenntnismittel versagen.
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Skeptisch über die praktische Anwendbarkeit der Scharia (des geistlichen Gesetzes) äußerte sich der Orientalist Snouck Hurgronje in seiner Studie über Mekka. In der populären Auffassung sei der Kadi zum rein „geistlichen Richter geworden, dessen kanonisches Gesetz man bloß auf gewisse Angelegenheiten anzuwenden pflegt“. Die osmanische Regierung sei in vielen Fällen dazu übergegangen, „das Kriminalrecht und die wichtigsten Theile des sonstigen Rechts außer dem Familienrecht“ an sich zu ziehen. Vgl. Snouck Hurgronje, Mekka (wie oben, S. 266, Anm. 44), S. 182.
Die echt charismatische Justiz tut dies immer: sie ist in ihrer reinen Form der extremste Gegensatz formaler und traditioneller Bindung und steht der Heiligkeit der Tradition ebenso frei gegenüber wie rationalistische Deduktionen aus abstrakten Begriffen. Es ist hier nicht zu erörtern, wie sich die Verweisung auf das „aequum et bonum“ in der römischen Rechtspflege
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„Nach Billigkeit und Recht“. Gemeint ist das römische Rechtsprinzip der „Billigkeit“ oder „Gerechtigkeit“ im Einzelfall, das Grundlage des „Amtsrechtes“ der Prätoren war. Auf seiner Basis wurde seit den Anfängen der Republik allmählich das überlieferte „strikte“ Volks- oder Zivilrecht umgeformt und den gewandelten politischen und sozialen Rahmenbedingungen angepaßt. Vgl. Sohm, Rudolph, Ein Lehrbuch der Geschichte [469]und des Systems des römischen Privatrechts, 11. Aufl. – Leipzig: Duncker & Humblot 1903, S. 27, 71, und oben, S. 188–193.
und der ursprüngliche Sinn der englischen [469]„equity“
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Die „equity“ war eine auf ‚richterlicher Billigkeit‘ beruhende Rechtsprechung. Sie entwickelte sich aus der Amtsstellung des mittelalterlichen Lord Kanzlers zu einer eigenständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit ohne Geschworene. Neben dem Gewohnheits- oder Volksrecht (common law) und der Gesetzgebung (statute law) gilt die equity als dritte Quelle des englischen Rechtssystems. Weber folgt hier der Darstellung von Julius Hatschek, Englisches Staatsrecht I (wie oben, S. 20, Anm. 24), S. 142–149, der von dem „mittelalterlich-germanischen Grundgedanken“ des Gegensatzes von Königs- und Volksrecht ausgeht und den ursprünglichen Sinn der equity darin sieht, „den rigor des Volksrechtes“ zu mildern (ebd., S. 143). Vgl. auch Gneist, Englische Verfassungsgeschichte (wie oben, S. 180, Anm. 43). S. 318, sowie Weber, Recht § 6, S. 2 (WuG1, S. 483), und dass. § 8, WuG1, S. 509 (MWG I/22-3).
zur charismatischen Justiz im allgemeinen und zur theokratischen Kadi-Justiz des Islam im speziellen verhalten
h
[469] In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber an: 1) Vgl. § 2 und § 5 der Rechtssoziologie.
. Beide sind aber Produkte teils einer schon stark rationalisierten Rechtspflege, teils abstrakt naturrechtlicher Begriffe, und jedenfalls das „ex fide bona“ enthält eine Verweisung auf die guten „Sitten“ des Geschäftsverkehrs
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Die „fides bona“ des römischen Rechts definiert Weber, Recht § 2, S. 38 (WuG1, S. 436), als den „guten Glauben und die Redlichkeit des reinen Geschäftsverkehrs“. Zur Bedeutung der „fides bona“ als Rechtsnorm vgl. ebd., S. 38 ff. (WuG1, S. 436 ff.).
und bedeutet also ebenso wenig noch eine echte irrationale Justiz wie etwa unser „freies richterliches Ermessen“.
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Das sog. „freie richterliche Ermessen“ bezieht sich auf diejenigen Fälle, die gesetzlich nicht oder nur unzureichend geregelt sind. Um diese Gesetzeslücken zu schließen, hat der Richter die Aufgabe, im Rahmen der ihm zustehenden Rechtsauslegung Rechtssätze zu modifizieren bzw. neue durch Analogieschluß zu entwickeln. Diese Art der Rechtsschöpfung ist aber an das bestehende Recht gebunden und nicht völlig frei, wie dies die Vertreter der Freirechtsschule zu Beginn des 20. Jahrhunderts forderten. Vgl. dazu auch oben, S. 188, Anm. 58.
Derivate charismatischer Justiz sind dagegen natürlich alle Arten des Ordals als Beweismittel. Indem sie aber an Stelle der persönlichen Autorität eines Charismaträgers einen regelgebundenen Mechanismus zur formalen Ermittlung des göttlichen Willens setzen, gehören sie schon in das Gebiet jener „Versachlichung“ des Charisma, von welcher bald die Rede sein soll.
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Siehe den Text „Umbildung des Charisma“, unten, S. 494–497, 517–534, und den Text „Erhaltung des Charisma“, unten, S. 558–563.
Einen historisch besonders wichtigen Fall der charismatischen Legitimierung von Institutionen stellt nun diejenige des politischen Charisma dar: die Entwicklung des Königtums.
[470]Der König ist überall primär ein Kriegsfürst. Das Königstum wächst aus charismatischem Heldentum heraus. In seiner aus der Geschichte der Kulturvölker bekannten Ausprägung ist es nicht die entwicklungsgeschichtlich älteste Form der „politischen“ Herrschaft, d. h. einer über die Hausgewalt hinausreichenden, von ihr prinzipiell zu scheidenden, weil nicht in erster Linie der Leitung des friedlichen Ringens des Menschen mit der Natur gewidmeten, sondern den gewaltsamen Kampf einer Menschengemeinschaft mit anderen leitenden Gewalt. Seine Vorfahren sind die Träger aller derjenigen Charismata, welche die Abhilfe außerordentlicher äußerer und innerer Not oder das Gelingen außerordentlicher Unternehmungen verbürgten. Der Häuptling der Frühzeit, der Vorläufer des Königtums, ist noch eine zwiespältige Figur: patriarchales Familien- oder Sippenhaupt auf der einen Seite, charismatischer Anführer zur Jagd und zum Kriege, Zauberer, Regenmacher, Medizinmann,
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[470]A: Medizinmacher,
also Priester und Arzt, und endlich Schiedsrichter auf der anderen Seite. Nicht immer, aber oft spalten sich diese charismatischen [A 757]Funktionen in ebensoviele Sonder-Charismata mit besonderen Trägern. Ziemlich oft steht neben dem aus der Hausgewalt geborenen Friedenshäuptling (Sippenhaupt) mit wesentlich ökonomischen Funktionen der Jagd- und Kriegshäuptling, und dann wird der letztere
k
Lies: der letztere (d. h. der Jagd- und Kriegshäuptling) als ein Titel bzw. als eine Position
im Gegensatz zum ersteren durch Bewährung seines Heldentums in mit freiwilliger Gefolgschaft unternommenen erfolgreichen Zügen auf Sieg und Beute erworben (deren Aufzählung noch in den assyrischen Königsinschriften,
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[470] Eine entsprechende Darstellung findet sich in den Inschriften des assyrischen Königs Asurnasirpal II. (885–860 v. Chr.). Vgl. Schrader, Eberhard (Hg.), Sammlung von assyrischen und babylonischen Texten in Umschrift und Übersetzung, Band 1. – Berlin: H. Reuther 1889, S. 51–126, bes. S. 61, 67.
untermischt mit den Zahlen der erschlagenen Feinde und dem Umfang der mit ihren abgezogenen Häuten bedeckten Stadtmauern eroberter Plätze, Jagdbeute und für Bauzwecke mitgeschleppte Libanonzedern umfaßt). Der Erwerb der charismatischen Stellung erfolgt dann ohne Rücksicht auf die Stellung in den Sippen und Hausgemeinschaften, überhaupt ohne Regel irgendwelcher Art. Dieser Dualismus zwischen Charisma und Alltag findet sich sowohl bei den Indianern, z. B. im Irokesenbunde, wie in [471]Afrika und sonst sehr häufig.
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[471] Weber bezieht sich hier auf Ausführungen von Heinrich Schurtz und Kurt Breysig. Letzterer erläuterte anhand des um 1570 gegründeten Bundes der nordamerikanischen Irokesenstämme – ähnlich wie Schurtz an afrikanischen Beispielen – die Unterschiede zwischen „Friedens-“ und „Kriegshäuptlingen“. Während bei den Irokesen die Friedenshäuptlinge als ständige Führer der Sippen nicht in den Krieg zogen, qualifizierten sich die beiden Kriegsoberhäuptlinge durch persönliche Tapferkeit, Weisheit und Beredsamkeit im Rat als Führer im Kriegsfalle. Vgl. Schurtz, Altersklassen, S. 324–326, und Breysig, Geschlechterverfassung (wie oben, S. 253, Anm. 16), S. 496. Breysig behauptete, daß die Kriegshäuptlinge die einzigen wirklichen Stammes- bzw. Bundesämter mit „staatenbildenden Kräften“ gewesen seien.
Wo Krieg und Jagd auf große Tiere fehlen, fehlt auch der charismatische Häuptling, der „Fürst“, wie wir ihn zur Vermeidung der üblichen Verwirrung im Gegensatz zum Friedenshäuptling nennen wollen. Es kann dann, besonders wenn Naturschrecknisse, namentlich Dürre oder Krankheiten häufig sind, ein charismatischer Zauberer eine im wesentlichen gleichartige Macht in Händen haben: ein Priesterfürst. Der Kriegsfürst mit seinem je nach Bewährung oder aber auch je nach Bedarf im Bestande labilen Charisma wird zur ständigen Erscheinung, wenn der Kriegszustand chronisch wird. Ob man nun dann das Königtum, und mit ihm den Staat, erst mit der An- und Eingliederung von Fremden, Unterworfenen in die eigene Gemeinschaft anfangen lassen will, ist an sich eine bloß terminologische Frage: den Ausdruck „Staat“ werden wir weiterhin zweckmäßigerweise für unsern Bedarf wesentlich enger zu begrenzen haben. Sicher ist, daß die Existenz des Kriegsfürsten als regulärer Erscheinung an dem Bestande einer Stammesherrschaft über Unterworfene anderer Stämme und auch an dem Vorhandensein individueller Sklaven nicht hängt, sondern lediglich an dem Bestande des chronischen Kriegszustandes und einer auf ihn abgestellten umfassenden Organisation. Richtig ist auf der anderen Seite, daß die Entfaltung des Königtums zu einer regulären königlichen Verwaltung wenigstens ungemein häufig erst auf der Stufe der Beherrschung arbeitender oder zinsender Massen durch eine Gefolgschaft königlicher Berufskrieger auftritt, ohne daß doch die gewaltsame Unterwerfung fremder Stämme ein absolut unentbehrliches Zwischenglied der Entwicklung wäre: die innere Klassenschichtung
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[471]A: inneren Klassenschichten
infolge der Entwicklung des charismatischen Kriegsgefolges zu einer herrschenden Kaste kann ganz die gleiche soziale Dif[472]ferenzierung mit sich bringen. In jedem Fall aber strebt die Fürstengewalt und streben ihre Interessenten, die Fürstengefolgschaft, sobald die Herrschaft stetig geworden ist, nach „Legitimität“, d. h. nach einem Merkmal des charismatisch berufenen Herrschers. Dies kann auf der einen Seite durch Legitimierung vor einer anderen, in
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[472] In A folgen Auslassungszeichen und der Zusatz der Erstherausgeber: (Hier bricht das Manuskript ab.) Vgl. dazu den Editorischen Bericht, oben, S. 454.