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Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

[77][A 181][Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen]
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[77]A: Kapitel I. Wirtschaft und Gesellschaft im allgemeinen. In A folgt die Zwischenüberschrift: § 1. Wesen der Wirtschaft. Wirtschafts-, wirtschaftende und wirtschaftsregulierende Gemeinschaft.

Die Vergemeinschaftungen haben ihrer ganz überwiegenden Mehrzahl nach irgendwelche Beziehungen zur Wirtschaft. Unter Wirtschaft soll hier nicht, wie ein unzweckmäßiger Sprachgebrauch will, jedes zweckrational angelegte Handeln verstanden werden.
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[77] Diese Definition von Wirtschaft war um die Jahrhundertwende allgemein verbreitet und fand Aufnahme in Meyers Konversationslexikon. Eine Encyklopädie des allgemeinen Wissens, Band 16, 4. gänzl. umgearb. Aufl. – Leipzig/Wien: Verlag des Bibliographischen Instituts 1890, S. 690 f., wo Wirtschaft als „jede auf die Befriedigung von Bedürfnissen, demgemäß auf Erzeugung und Verwendung von Gütern gerichtete schaffende Thätigkeit des Menschen“ definiert wurde. Diese Definition wurde auch in der 6. Auflage von 1908 beibehalten.
Ein nach den Lehren irgendeiner Religion zweckmäßig eingerichtetes Gebet um ein inneres „Gut“ ist für uns kein Akt des Wirtschaftens. Auch nicht jedes Handeln oder Schaffen, welches dem Prinzip der Sparsamkeit folgt. Nicht nur ist eine, noch so bewußt bei einer Begriffsbildung geübte, Denkökonomie
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Der Begriff wurde von Ernst Mach geprägt, wie Weber in seinem Aufsatz „Energetische“ Kulturtheorien, in: AfSSp, Band 29, 1909, S. 575–598 (MWG I/12), hier: S. 575 f. [[MWG I/12, S. 145-182, hier: S. 149f.]], ausführte. Für Mach beruht Denkökonomie „auf der Vermeidung aller unnötigen Gedanken, auf der größten Sparsamkeit der Denkoperationen“, die durch Wissenschaft erreicht wird. Deren Aufgabe ist es, „möglichst vollständig die Thatsachen mit dem geringsten Gedankenaufwand darzustellen“. D.h. Wissenschaft soll Erfahrungen zusammenfassen, so daß die Ergebnisse jedermann verfügbar sind, ohne daß die Erfahrungen erneut gemacht werden müssen. Mach, Ernst, Populärwissenschaftliche Vorlesungen. – Leipzig: Johann Ambrosius Barth 1896, S. 209–212; ders., Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Historisch kritisch dargestellt. – Leipzig: F. A. Brockhaus 1883, S. 461 f.
gewiß kein Wirtschaften, sondern auch etwa die Durchführung des künstlerischen Prinzips der „Ökonomie der Mittel“ hat mit Wirtschaften nichts zu tun und ist, an Rentabilitätsmaßstäben gemessen, ein oft höchst unökonomisches Produkt immer erneuter vereinfachender Umschaffensarbeit. Und ebenso ist die Befolgung der universellen technischen Maxime des „Optimum“: relativ größter Erfolg mit geringstem Aufwand, rein an sich noch nicht Wirtschaften, sondern: [78]zweckrational orientierte Technik. Von Wirtschaft wollen wenigstens wir hier vielmehr nur reden, wo einem Bedürfnis oder einem Komplex solcher, ein, im Vergleich dazu, nach der Schätzung des Handelnden, knapper Vorrat von Mitteln und möglichen Handlungen zu seiner Deckung gegenübersteht und dieser Sachverhalt Ursache eines spezifisch mit ihm rechnenden Verhaltens wird. Entscheidend ist dabei für zweckrationales Handeln selbstverständlich: daß diese Knappheit subjektiv vorausgesetzt und das Handeln daran orientiert ist. Alle nähere Kasuistik und Terminologie bleiben hier außer Erörterung. Man kann unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten wirtschaften. Einmal zur Deckung eines gegebenen eigenen Bedarfs. Dieser kann Bedarf für alle denkbaren Zwecke, von der Nahrung bis zur religiösen Erbauung sein, wenn dafür im Verhältnis zum Bedarf knappe Güter oder mögliche Handlungen erforderlich werden. Es ist an sich konventionell, daß man allerdings in spezifisch betontem Sinn an die Deckung der Alltagsbedürfnisse, an den sog. materiellen Bedarf denkt, wenn von Wirtschaft die Rede ist. Gebete und Seelenmessen können in der Tat ebensogut Gegenstände der Wirtschaft werden, wenn die für ihre Veranstaltung qualifizierten Personen und deren Handeln knapp und daher nur ebenso gegen Entgelt zu beschaffen sind, wie das tägliche Brot. Die künstlerisch meist hoch gewerteten Zeichnungen der Buschmänner
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[78] Als Buschmänner wird ein Volksstamm im südlichen Afrika bezeichnet, der ohne festgelegten Stammesverband in kleinsten Gruppen als Jäger und Sammler lebte. Die Höhlenzeichnungen der Buschmänner, die in Deutschland vor allem Gustav Fritsch bekannt gemacht hat, wurden in der zeitgenössischen Literatur als handwerklich gute Malereien beschrieben und oft als Wandschmuck gedeutet. Fritsch, Gustav, Drei Jahre in Südafrika. Reiseskizzen nach Notizen des Tagebuchs zusammengestellt. – Breslau: Ferdinand Hirt 1868, S. 99, 101; Hahn, Theophilus, Die Buschmänner. Ein Beitrag zur südafrikanischen Völkerkunde, 4. Teil, in: Globus. Illustrirte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde mit besonderer Berücksichtigung der Anthropologie und Ethnologie, Band 18, 1870, S. 120–123.
sind nicht Objekte der Wirtschaft, überhaupt nicht Produkte von Arbeiten im ökonomischen Sinn. Wohl aber werden Produkte künstlerischen Schaffens, die meist weit niedriger gewertet zu werden pflegen, Gegenstände wirtschaftlichen Handelns, wenn der spezifisch ökonomische Sachverhalt: Knappheit im Verhältnis zum Begehr, sich einstellt. Gegenüber der Wirtschaft zur Deckung des eigenen Bedarfs ist die zweite Art des [79]Wirtschaftens Wirtschaft zum Erwerb: die Ausnutzung des spezifisch ökonomischen Sachverhalts: [A 182]Knappheit begehrter Güter, zur Erzielung eigenen Gewinns an Verfügung über diese Güter.
Das soziale Handeln kann nun zur Wirtschaft in verschiedenartige Beziehung treten.
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[79] Dieser Satz hat weder zu den vorherigen noch zu den nachfolgenden Ausführungen eine direkte Anbindung und ist als nachträglicher Einschub anzusehen. Vgl. den Editorischen Bericht, oben, S. 72.
Gesellschaftshandeln kann, seinem von den Beteiligten subjektiv irgendwie erfaßten Sinne nach, ausgerichtet sein auf rein wirtschaftliche Erfolge: Bedarfsdeckung oder Erwerb. Dann begründet es Wirtschaftsgemeinschaft. Oder es kann sich des eigenen Wirtschaftens als Mittel
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A: Mittels
für die anderweiten Erfolge, auf die es ausgerichtet ist, bedienen: wirtschaftende Gemeinschaften. Oder es finden sich wirtschaftliche mit außerwirtschaftlichen Erfolgen in der Ausgerichtetheit eines Gemeinschaftshandelns kombiniert. Oder endlich: es ist keins von alledem der Fall. Die Grenze der beiden erstgenannten Kategorien ist flüssig. Ganz streng genommen ist der erstgenannte Tatbestand ja nur bei solchen Gemeinschaften vorhanden, welche durch Ausnutzung des spezifisch ökonomischen Sachverhalts Gewinn zu erzielen streben. Also bei den Erwerbswirtschaftsgemeinschaften. Denn alle auf Bedarfsdeckung, gleichviel welcher Art, gerichteten Gemeinschaften bedienen sich des Wirtschaftens nur soweit, als dies nach Lage der Relation von Bedarf und Gütern unumgänglich ist. Die Wirtschaft einer Familie, einer milden Stiftung oder Militärverwaltung, einer Vergesellschaftung zur gemeinsamen Rodung von Wald oder zu einem gemeinsamen Jagdzuge stehen darin einander gleich. Gewiß scheint ein Unterschied zu bestehen: ob ein Gemeinschaftshandeln wesentlich deshalb überhaupt zur Existenz gelangt, um dem spezifisch ökonomischen Sachverhalt bei der Bedarfsdeckung gerecht zu werden, wie dies unter den Beispielen z. B. bei der Rodungsvergesellschaftung der Fall ist, oder ob primär andere Zwecke (Abrichtung für den Kriegsdienst) verfolgt werden, die nur, weil sie eben faktisch auf den ökonomischen Sachverhalt stoßen, das Wirtschaften erzwingen. Tatsächlich ist das aber eine sehr flüssige und nur so weit deutlich vollziehbare Scheidung, als das Gemeinschaftshandeln Züge aufweist, die auch beim Fortdenken des ökonomischen Sach[80]verhalts, bei Unterstellung also einer Verfügung über praktisch unbeschränkte Vorräte von Gütern und möglichen Handlungen der möglichen Art, die gleichen bleiben müßten.
Auch ein weder wirtschaftliche noch wirtschaftende Gemeinschaften darstellendes Gemeinschaftshandeln aber kann in seiner Entstehung, seinem Fortbestand, der Art seiner Struktur und seines Ablaufs durch wirtschaftliche Ursachen, welche auf den ökonomischen Sachverhalt zurückgehen, mitbestimmt sein und ist insoweit ökonomisch determiniert. Umgekehrt kann es seinerseits für die Art und den Verlauf eines Wirtschaftens ein ins Gewicht fallendes ursächliches Moment bilden: ökonomisch relevant sein. Meist wird beides zusammentreffen. Gemeinschaftshandeln, welches weder eine Wirtschaftsgemeinschaft noch eine wirtschaftende Gemeinschaft darstellt, ist nichts Ungewöhnliches. Jeder gemeinsame Spaziergang kann ein solches konstituieren. Gemeinschaften, die nicht ökonomisch relevant sind, sind ebenfalls recht häufig. Einen Sonderfall innerhalb der wirtschaftlich relevanten Gemeinschaften bilden solche, welche zwar ihrerseits keine „Wirtschaftsgemeinschaften“ sind, d. h.: deren Organe nicht durch eigene Mitarbeit oder durch konkrete Anordnungen, Gebote und Verbote, den Verlauf einer Wirtschaft kontinuierlich bestimmen, deren Ordnungen aber das wirtschaftliche Verhalten der Beteiligten regulieren: „wirtschaftsregulierende Gemeinschaften“, wie alle Arten politischer, viele religiöse und zahlreiche andere Gemeinschaften, darunter solche, welche eigens zu dem Zweck der Wirtschaftsregulierung vergesellschaftet sind (Fischerei- und Markgenossenschaften u. dgl.). Gemeinschaften, die nicht irgendwie ökonomisch determiniert sind, sind wie gesagt[,]
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[80] Siehe oben, S. 77.
höchst selten. Dagegen ist der Grad, in dem dies der Fall ist, sehr verschieden, und vor allem fehlt – entgegen der Annahme der sog. materialistischen Geschichtsauffassung
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Anspielung auf die bekannte These des orthodoxen Marxismus, derzufolge die Produktionsverhältnisse den Überbau, d. h. die kulturellen und geistigen Ideale determinieren. Mit dieser Thematik hat sich Weber bereits 1907 in dem Aufsatz Weber, Max, R. Stammlers „Überwindung“ der materialistischen Geschichtsauffassung, in: AfSSp, Band 24, Heft 1, 1907, S. 94–151 (MWG I/7), befaßt. Auch in den Abschnitten "Die Wirtschaft und die Ordnungen“ und „Recht“ von „Wirtschaft und Gesellschaft“ setzte sich Weber mehrfach explizit mit Stammler auseinander. Vgl. WuG1, S. 378 f., 381, 396 (MWG I/22-3).
– die Eindeutigkeit der ökonomischen Determiniertheit [81]des Gemeinschaftshandelns durch ökonomische Momente. Erscheinungen, welche die Analyse der Wirtschaft als „gleich“ beur[A 183]teilen muß, sind sehr häufig mit einer, für die soziologische Betrachtung sehr stark verschiedenen Struktur der sie umschließenden oder mit ihnen koexistierenden Gemeinschaften aller Art, auch der Wirtschafts- und wirtschaftenden Gemeinschaften, vereinbar. Auch die Formulierung: daß ein „funktioneller“ Zusammenhang der Wirtschaft mit den sozialen Gebilden bestehe, ist ein historisch nicht allgemein begründbares Vorurteil, wenn darunter eine eindeutige gegenseitige Bedingtheit verstanden wird. Denn die Strukturformen des Gemeinschaftshandelns haben, wie wir immer wieder sehen werden,
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[81] Dieser allgemein formulierte Vorverweis läßt sich nicht eindeutig auflösen. Der angesprochene Sachverhalt findet sich an zahlreichen Stellen innerhalb von „Wirtschaft und Gesellschaft“.
ihre „Eigengesetzlichkeit“ und können auch davon abgesehen im Einzelfall stets durch andere als wirtschaftliche Ursachen in ihrer Gestaltung mitbestimmt sein. Dagegen pflegt allerdings an irgendeinem Punkt für die Struktur fast aller, und jedenfalls aller „kulturbedeutsamen“ Gemeinschaften der Zustand der Wirtschaft ursächlich bedeutsam, oft ausschlaggebend wichtig, zu werden. Umgekehrt pflegt aber auch die Wirtschaft irgendwie durch die eigengesetzlich bedingte Struktur des Gemeinschaftshandelns, innerhalb dessen sie sich vollzieht, beeinflußt zu sein. Darüber, wann und wie dies der Fall sei, läßt sich etwas ganz Allgemeines von Belang nicht aussagen. Wohl aber läßt sich Allgemeines über den Grad der Wahlverwandtschaft konkreter Strukturformen des Gemeinschaftshandelns mit konkreten Wirtschaftsformen aussagen, d. h. darüber: ob und wie stark sie sich gegenseitig in ihrem Bestande begünstigen oder umgekehrt einander hemmen oder ausschließen: einander „adäquat“ oder „inadäquat“ sind. Solche Adäquanzbeziehungen werden wir immer wieder zu besprechen haben.
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Desgleichen.
Und ferner lassen sich wenigstens einige allgemeine Sätze über die Art, wie ökonomische Interessen überhaupt zu Gemeinschaftshandeln bestimmten Charakters zu führen pflegen, aufstellen.
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[81] In A folgt die Zwischenüberschrift: § 2. „Offene“ und „geschlossene“ Wirtschaftsbeziehungen.
[82]Eine bei allen Formen von Gemeinschaften sehr häufig vorkommende Art von wirtschaftlicher Bedingtheit wird durch den Wettbewerb um ökonomische Chancen: Amtsstellungen, Kundschaft, Gelegenheit zu okkupatorischem oder Arbeitsgewinn und dergleichen, geschaffen. Mit wachsender Zahl der Konkurrenten im Verhältnis zum Erwerbsspielraum wächst hier das Interesse der an der Konkurrenz Beteiligten, diese irgendwie einzuschränken. Die Form, in der dies zu geschehen pflegt, ist die: daß irgendein äußerlich feststellbares Merkmal eines Teils der (aktuell oder potenziell) Mitkonkurrierenden: Rasse, Sprache, Konfession, örtliche oder soziale Herkunft, Abstammung, Wohnsitz usw. von den anderen zum Anlaß genommen wird, ihren Ausschluß vom Mitbewerb zu erstreben. Welches im Einzelfall dies Merkmal ist, bleibt gleichgültig: es wird jeweils an das nächste sich darbietende angeknüpft. Das so entstandene Gemeinschaftshandeln der einen kann dann ein entsprechendes der anderen, gegen die es sich wendet, hervorrufen. – Die gemeinsam handelnden Konkurrenten sind nun unbeschadet ihrer fortdauernden Konkurrenz untereinander doch nach außen eine „Interessentengemeinschaft“ geworden, die Tendenz, eine irgendwie geartete „Vergesellschaftung“ mit rationaler Ordnung entstehen zu lassen, wächst, und bei Fortbestand des monopolistischen Interesses kommt der Zeitpunkt, wo sie selbst oder eine andere Gemeinschaft, deren Handeln die Interessenten beeinflussen können (z. B. die politische Gemeinschaft), eine Ordnung setzen, welche Monopole zugunsten der Begrenzung des Wettbewerbs schafft, und
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[82] In A folgt: daß
fortan zu deren Durchführung, eventuell mit Gewalt, sich bestimmte Personen ein für allemal als „Organe“ bereithalten. Dann ist aus der Interessentengemeinschaft eine „Rechtsgemeinschaft“ geworden: die Betreffenden sind „Rechtsgenossen“. Dieser Prozeß der „Schließung“ einer Gemeinschaft, wie wir ihn nennen wollen, ist ein typisch sich wiederholender Vorgang, die Quelle des „Eigentums“ am Boden ebenso wie aller zünftigen und anderen Gruppenmonopole. Handle es sich um die „genossenschaftliche Organisation“, und das heißt stets: um den nach außen geschlossenen, mono[A 184]polistischen Zusammenschluß von z. B. ihrer örtlichen Provenienz nach bezeichneten Fischereiinteressenten eines be[83]stimmten Gewässers, oder etwa um die Bildung eines „Verbandes der Diplomingenieure“,
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[83] Der „Verband Deutscher Diplom-Ingenieure“ wurde am 28. Juni 1909 als Standesvertretung der akademischen Ingenieure gegründet, die ihre Interessen im „Verein Deutscher Ingenieure“ nicht genug berücksichtigt sahen. Nach der Jahrhundertwende war es zu einem Überschuß an Ingenieuren gekommen, und die Absolventen der Ingenieurs-Mittelschulen wurden in den Betrieben wegen der praxisorientierten Ausbildung gegenüber den akademischen Ingenieuren bevorzugt. Im Gegensatz zum VDI, der für den Erhalt der Mittelschulen eintrat, forderte der VDDI, daß Ingenieure nicht mehr der Arbeitergesetzgebung unterliegen sollten sowie die Errichtung von Berufskammern nach dem Vorbild der Anwalts- und Ärztekammern und den Schutz der Berufsbezeichnung für Absolventen der Technischen Hochschulen. Von den 13 000 Ingenieuren, die zwischen 1900 und 1910 an den Technischen Hochschulen ausgebildet wurden, waren 1910 1000 und 1913 4000 Mitglieder im Verband. Vgl. Lang, Alexander, Ein Jahr Verband Deutscher Diplom-Ingenieure, in: Zeitschrift des Verbandes Deutscher Diplom-Ingenieure, Band 1, 1910, S. 333–349; ders., Der Verband deutscher Diplom-Ingenieure und die Diplom-Ingenieure bei den Kommunal-Verwaltungen, in: ebd., Band 4, 1913, S. 256–267; König, Wolfgang, Die Ingenieure und der VDI als Großverein in der wilhelminischen Gesellschaft. 1900–1918, in: Ludwig, Karl-Heinz und ders. (Hg.), Technik, Ingenieure und Gesellschaft. Geschichte des Vereins deutscher Ingenieure 1856–1981. – Düsseldorf: VDI-Verlag 1981, S. 235–287, hier: S. 247–259.
welcher das rechtliche oder faktische Monopol auf bestimmte Stellen für seine Mitglieder gegen die Nichtdiplomierten zu erzwingen sucht, oder um die Schließung der Teilnahme an den Äckern, Weide- und Allmendnutzungen eines Dorfs gegen Außenstehende, oder um „nationale“ Handlungsgehilfen,
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Dies bezieht sich vermutlich auf den Deutschen Handlungsgehilfenverband, der im September 1893 gegründet worden war, um dem sozialdemokratischen Einfluß auf diese Berufsgruppe entgegenzuwirken. Seine nationalkonservative Ausrichtung wurde am 1. Dezember 1895 durch die Umbenennung in Deutschnationaler Handlungsgehilfenverband zum Programm. Der Verband beanspruchte den Rang einer Gewerkschaft; wegen seines großen sozialpolitischen Engagements wuchs seine Mitgliederzahl sehr schnell auf 160.000 im Jahr 1914. Er lehnte Auseinandersetzungen über die Lohnfrage und Streiks ab und bemühte sich, für seine Mitglieder eine Monopolstellung bei der Stellenvergabe zu erreichen. Offiziell war der Verband politisch neutral, jedoch bestanden enge Beziehungen zum Alldeutschen Verband.
oder um landes- oder ortsgebürtige Ministerialen, Ritter, Universitätsgraduierte, Handwerker, oder um Militäranwärter oder was sie sonst seien, die zunächst ein Gemeinschaftshandeln, dann eventuell eine Vergesellschaftung entwickeln, – stets ist dabei als treibende Kraft die Tendenz zum Monopolisieren bestimmter, und zwar der Regel nach ökonomischer Chancen beteiligt. Eine Tendenz, die sich gegen andere Mitbewerber, welche durch ein gemeinsames positives oder negatives Merkmal gekennzeichnet sind, richtet. Und das Ziel ist: in irgendeinem Umfang stets Schließung der betreffenden (sozialen und ökonomischen) Chancen gegen [84]Außenstehende. Diese Schließung kann, wenn erreicht, in ihrem Erfolg sehr verschieden weit gehen. Namentlich insofern, als die Zuteilung monopolistischer Chancen an die einzelnen Beteiligten dabei in verschiedenem Maße definitiv sein kann. Jene Chancen können dabei innerhalb des Kreises der monopolistisch Privilegierten entweder ganz „offen“ bleiben, so daß diese unter sich frei darum weiter konkurrieren. So z. B. bei den auf Bildungspatentbesitzer bestimmter Art: geprüfte Anwärter auf irgendwelche Anstellungen bezüglich dieser, oder z. B. Handwerker mit Meisterprüfung bezüglich des Kundenwettbewerbs oder der Lehrlingshaltung, in ihrer Zugänglichkeit beschränkten Chancen. Oder sie können irgendwie auch nach innen „geschlossen“ werden. Entweder so, daß ein „Turnus“ stattfindet: die kurzfristige Ernennung mancher Amtspfründeninhaber gehörte dem Zweck nach dahin. Oder so, daß die einzelnen Chancen nur auf Widerruf an Einzelne vergeben werden. So bei den in der „strengen“ Flurgemeinschaft z. B. des russischen Mir
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[84] Bezeichnung für die sogenannten Umteilungsgemeinden in Rußland, die sich in Abgrenzung zu dem häufig analog verwendeten Begriff „Obschtschina“ eher auf die Gemeindemitglieder bezieht. In diesen Gemeinden wurde den einzelnen Bauern ihr Anteil des kommunalen Landbesitzes in periodischen Abständen von der Dorfgemeinschaft zugewiesen. Die Gemeinden hafteten bis 1903 kollektiv für die Steuerzahlungen und bestimmten über die Aufnahme in bzw. Ausweisung aus der Dorfgemeinschaft. Im europäischen Teil Rußlands waren über 80 % des Ackerlandes im Besitz von Umteilungsgemeinden, wobei ihre Bedeutung in den westlichen Gouvernements eher gering war.
an die Einzelnen vergebenen Verfügungsgewalten über Äcker. Oder so, daß sie lebenslänglich vergeben werden – die Regel bei allen Präbenden, Ämtern, Monopolen von Handwerksmeistern, Allmendackerrechten, namentlich auch ursprünglich bei
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[84] Fehlt in A; bei sinngemäß ergänzt.
den Ackerzuteilungen innerhalb der meisten flurgemeinschaftlichen Dorfverbände u. dgl. Oder so, daß sie endgültig an den Einzelnen und seine Erben vergeben werden und nur eine Verfügungsgewalt des einzelnen Prätendenten im Wege der Abtretung an andere nicht zugelassen wird oder doch die Abtretung auf den Kreis der Gemeinschaftsgenossen beschränkt ist: der κλῆρος,
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Kleros (griech.: Landlos) bezeichnet in Griechenland ein in erblichem Privateigentum befindliches Grundstück, im Gegensatz zu den Grundstücken der Götter oder des Königs innerhalb des Gemeindelandes. Weber benutzt den Begriff hier im spezifischeren Sinn als Versorgungsgrundlage der wehrhaften Bürger einer Polis.
die Kriegerpräbende des Altertums, die Dienstlehen der Ministerialen, [85]Erbämter- und Erbhandwerkermonopole gehören dahin. Oder schließlich so, daß nur die Zahl der Chancen geschlossen bleibt, der Erwerb jeder einzelnen aber auch ohne Wissen und Willen der anderen Gemeinschafter durch jeden Dritten vom jeweiligen Inhaber möglich ist, so wie bei den Inhaberaktien. Wir wollen diese verschiedenen Stadien der mehr oder minder definitiven inneren Schließung der Gemeinschaft Stadien der Appropriation der von der Gemeinschaft monopolisierten sozialen und ökonomischen Chancen nennen. Die völlige Freigabe der appropriierten Monopolchancen zum Austausch auch nach außen: ihre Verwandlung in völlig „freies“ Eigentum, bedeutet natürlich die Sprengung der alten monopolisierten Vergemeinschaftung, als deren caput mortuum nun sich appropriierte Verfügungsgewalten als „erworbene Rechte“ in der Hand der Einzelnen im Güterverkehr befinden. Denn ausnahmslos alles „Eigentum“ an Naturgütern ist historisch aus der allmählichen Appropriation monopolistischer Genossenanteile entstanden, und Objekt der Appropriation waren, anders als heute, nicht nur konkrete Sachgüter, sondern ganz ebenso soziale und ökonomische Chancen aller denkbaren Art. Selbstverständlich ist Grad und Art der Appropriation und ebenso die Leichtigkeit, mit der sich der Appropriationsprozeß im Innern der Gemeinschaft überhaupt vollzieht, sehr verschieden je nach der technischen Natur der Objekte und der Chancen, um die es sich handelt und welche die Appropriation
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[85]A: Appropriation,
in [A 185]sehr verschiedenem Grade nahelegen können. Die Chance z. B. aus einem bestimmten Ackerstück durch dessen Bearbeitung Unterhalts- oder Erwerbsgüter zu gewinnen, ist an ein sinnfälliges und eindeutig abgrenzbares sachliches Objekt: eben das konkrete unvermehrbare Ackerstück gebunden, was in dieser Art etwa bei einer „Kundschaft“ nicht der Fall ist. Daß das Objekt selbst erst durch Meliorierung Ertrag bringt, also in gewissem Sinn selbst „Arbeitsprodukt“ der Nutzenden wird, motiviert dagegen die Appropriation nicht. Denn das pflegt bei einer acquirierten „Kundschaft“ zwar in anderer Art, aber in noch weit höherem Maß zuzutreffen. Sondern rein technisch ist eine „Kundschaft“ nicht so leicht – sozusagen – „einzutragen“ wie ein Stück Grund und Boden. Es ist naturgemäß, daß auch das Maß der Appropriation darnach verschieden weit zu gehen [86]pflegt. Aber hier kommt es darauf an, festzuhalten: daß prinzipiell die Appropriation in einem wie im andern Fall der gleiche, nur verschieden leicht durchführbare Vorgang ist: die „Schließung“ der monopolisierten, sozialen oder ökonomischen, Chancen auch nach Innen, den Genossen gegenüber. Die Gemeinschaften sind darnach in verschiedenem Grade nach außen und innen „offen“ oder „geschlossen“.
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[86] In A folgt die Zwischenüberschrift: § 3. Gemeinschaftsformen und ökonomische Interessen.
Diese monopolistische Tendenz nimmt nun spezifische Formen an, wo es sich um Gemeinschaftsbildungen von Menschen handelt, welche andern gegenüber durch eine gleiche, vermittelst Erziehung, Lehre, Übung zu erwerbende periodische Qualität ausgezeichnet sind: durch ökonomische Qualifikationen irgendwelcher Art, durch gleiche oder ähnliche Amtsstellung, durch ritterliche oder asketische oder sonst irgendwie spezifizierte Richtung der Lebensführung und ähnliches. Hier pflegt das Gemeinschaftshandeln, wenn es eine Vergesellschaftung aus sich hervortreibt, dieser die Formen der „Zunft“ zu geben. Ein Kreis von Vollberechtigten monopolisiert die Verfügung über die betreffenden ideellen, sozialen und ökonomischen Güter, Pflichten und Lebensstellungen als „Beruf“. Er läßt nur den zur vollen Ausübung des gleichen Berufs zu, der 1. ein Noviziat zwecks geregelter Vorbildung durchgemacht, 2. seine Qualifikation dargetan, 3. eventuell noch weitere Karenzzeiten und Leistungen hinter sich hat. In ganz typischer Art wiederholt sich das von den pennalistischen Vergesellschaftungen des Studententums
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[86] Pennalismus, abgeleitet von dem lat. Penna (die Feder), bezeichnet das Dienstverhältnis zwischen neuen und älteren Studenten an den Universitäten im 16. und 17. Jahrhundert. Die neuen Studenten galten in der Regel ein Jahr, 6 Monate und 6 Tage als nicht gleichberechtigt und mußten die unterschiedlichsten Schikanen über sich ergehen lassen, bis sie nach einem Aufnahmezeremoniell Mitglied der „Nationen“ wurden. Seine Hochzeit erlebte der Pennalismus während des dreißigjährigen Krieges. Seitdem wurde er von Universitäten und Behörden bekämpft und 1654 auf dem Reichstag von Regensburg verboten.
bis zu den Rittereinungen
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Die Rittereinungen des 14. und 15. Jahrhunderts waren genossenschaftliche Vereinigungen von Angehörigen des niederen Adels. Sie konstituierten sich durch Eid und gemeinsames Mahl und dienten speziell dem Fehdeschutz ihrer Mitglieder und der Gewährleistung des Landfriedens. Darüber hinaus waren sie auch ein Machtinstrument in den Auseinandersetzungen mit den Landesherren.
einerseits, den Zünften der Handwerker andererseits und den Qualifikationserfordernissen der moder[87]nen Beamten und Angestellten. Dabei kann zwar überall auch das Interesse an der Sicherung der guten Leistung mitspielen, an welcher alle Beteiligten unbeschadet ihrer eventuell fortbestehenden Konkurrenz untereinander ideell und materiell mitinteressiert sein können: die örtlichen Handwerker im Interesse des guten Rufs ihrer Waren, Ministerialen und Ritter einer bestimmten Einung im Interesse des Rufs ihrer Tüchtigkeit und auch direkt im eigensten Interesse ihrer militärischen Sicherheit, Asketengemeinschaften aus dem Interesse heraus, daß die Götter und Dämonen nicht durch falsche Manipulationen gegen alle Beteiligten erzürnt werden (wer z. B. bei einem rituellen Singtanz falsch singt, wird ursprünglich bei fast allen „Naturvölkern“ alsbald zur Sühne erschlagen).
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[87] Die Verhängung der Todesstrafe bei falscher Ausführung ritueller Tänze war bei Naturvölkern weit verbreitet. Schurtz, Altersklassen, S. 373, berichtet über Tanzrituale auf dem Bismarck-Archipel: „Verliert einer der Tänzer seine Kopfmaske oder fällt er so hin, dass deren Spitze die Erde berührt, so wird er getötet.“ Breysig, Kurt, Die Völker ewiger Urzeit, Band 1: Die Amerikaner des Nordwestens und des Nordens. – Berlin: Georg Bondi 1907, S. 151, 311 ff., erwähnt die Tötung von Jünglingen bei Indianerstämmen des amerikanischen Nordwestens im Falle falscher Tanzschritte bei den Ritualen der Männerweihe. Ähnliches berichtet Schurtz, Altersklassen, S. 363, aus dem Nordwesten Afrikas und aus Brasilien.
Normalerweise aber steht voran das Interesse an der Einschränkung des Angebots von Anwärtern auf die Pfründen und Ehren der betreffenden Berufsstellung. Die Noviziate und Karenzzeiten ebenso wie die „Meisterstücke“ und was sonst gefordert wird (namentlich: ausgiebige Regalierung der Genossen) stellen oft mehr ökonomische als eigentliche Qualifikationsansprüche an die Anwärter.
Solche monopolistischen Tendenzen und ihnen verwandte ökonomische Erwägungen haben historisch oft eine bedeutende Rolle bei der Hemmung der Ausbreitung von Gemeinschaften gespielt. Die attische Bürgerrechtspolitik der Demokratie z. B., welche den Kreis der an den Vorteilen des Bürgerrechts Teilnehmenden zunehmend zu schließen trachtete, hat der politischen Machtexpansion Schranken [A 186]gesetzt.
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Bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. wurden in Athen nur Kinder von einem attischen Vater in die Bürgerrechtslisten eingetragen. Nach 451 v. Chr. mußten sogar beide Elternteile das Bürgerrecht Athens besitzen. Infolge dieser strengen Bürgerrechtspolitik standen für die vielfältigen Verwaltungs- und Militäraufgaben nur eine geringe Anzahl von Bürgern zur Verfügung. Daneben verhinderte sie eine Annäherung an die Mitglieder des delisch-attischen Seebundes, die zunehmend als Untertanen angesehen wurden. Vgl. Meyer, Eduard, Geschichte des Alterthums, Band 4: Das Perserreich und die Griechen. – Stuttgart und Berlin: J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger 1901, S. 12 ff. (hinfort: Meyer, Geschichte des Altertums, Band 4).
Eine ökonomische Interessenkonstella[88]tion anderer, aber letztlich doch ähnlicher Art brachte die Propaganda des Quäkertums zum Stillstand.
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[88] Dies bezieht sich wahrscheinlich auf den sogenannten Quietismus der Quäker, der sich Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte. Wegen ihrer neutralen Haltung während der amerikanischen Revolution stießen die Quäkergemeinden in der amerikanischen Öffentlichkeit zunehmend auf Ablehnung, und ihre politischen Parteien mußten sich nach der Gründung der Vereinigten Staaten auflösen. Als Reaktion darauf stellten die Quäker ihre Missionierung ein, schotteten sich zunehmend nach außen ab und konzentrierten sich auf die eigene Gemeinschaft.
Das ursprüngliche religiös gebotene Bekehrungsinteresse des Islam fand seine Schranken an dem Interesse der erobernden Kriegerschicht: daß eine nicht islamische und daher minderberechtigte Bevölkerung dabliebe, welcher die für den Unterhalt der vollberechtigten Gläubigen erforderlichen Abgaben und Lasten auferlegt werden konnten – ein Sachverhalt, welcher den Typus abgibt für sehr viele ähnliche Erscheinungen.
Typisch ist auf der andern Seite der Fall, daß Menschen „von“ der Übernahme der Interessenvertretung oder in anderer Art von der Existenz einer Gemeinschaft ideell oder auch ökonomisch ihre Existenz fristen und daß infolgedessen das Gemeinschaftshandeln propagiert wird, fortbesteht und sich zur Vergesellschaftung entwickelt in Fällen, wo dies sonst vielleicht nicht eingetreten wäre. Ideell kann ein solches Interesse in der verschiedensten Art begründet sein: die Ideologen der Romantik und ihre Nachzügler z. B. haben im 19. Jahrhundert zahlreiche verfallende Sprachgemeinschaften „interessanter“ Völkerschaften erst zu bewußter Pflege ihres Sprachbesitzes erweckt. Deutsche Gymnasiallehrer und Professoren haben kleine slawische Sprachgemeinschaften, mit denen sie sich beschäftigten und über die sie Bücher zu schreiben das ideelle Bedürfnis fühlten, vor dem Untergang bewahren helfen.
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Auf welche Sprachen hier speziell Bezug genommen wird, konnte nicht ermittelt werden. Um die Jahrhundertwende befaßten sich im Zusammenhang mit der Zurückdrängung des Polnischen im Osten Preußens eine Reihe von Wissenschaftlern mit den Resten slawischer Sprachen vor allem in Pommern. Unter den nicht an eine Universität angebundenen Wissenschaftlern ist Friedrich Lorentz hervorzuheben, der sich insbesondere mit den slovinzischen Dialekten befaßt hat. Vgl. Lorentz, Friedrich, Slovinzische Grammatik. – Leipzig: Voss 1903; ders., Slovinzische Texte. – St. Petersburg: Akademie der Wissenschaften 1905.
Immerhin ist dieses rein ideologische „Leben“ einer Gemeinschaft ein nicht so tragfähiger Hebel[,] wie ihn die ökonomische Interessiertheit abgibt. Wenn insbesondre eine Gruppe von Menschen je[89]manden dafür bezahlt, daß er zu planvoller Wahrnehmung der allen gemeinsamen Interessen sich ständig (als „Organ“) bereit hält und handelt, oder wenn eine solche Interessenvertretung sich sonstwie direkt oder indirekt „bezahlt“ macht, so ist damit eine Vergesellschaftung geschaffen, die unter allen Umständen eine starke Garantie für den Fortbestand des Gemeinschaftshandelns darstellt. Mag es sich etwa um die entgeltliche Propaganda von (verhüllten oder unverhüllten) Sexualinteressen oder von anderen „ideellen“ oder endlich von ökonomischen Interessen (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden
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[89]A: Arbeitgeberverbänden,
und ähnlichen Organisationen) handeln, sei es in Gestalt von in Stücklohn bezahlten Vortragsrednern oder von in
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Fehlt in A; in sinngemäß ergänzt.
Gehalt entlohnten „Sekretären“ und dergleichen, immer sind nun Personen da, welche „berufsmäßig“ an der Erhaltung der vorhandenen und der Gewinnung neuer Mitglieder interessiert sind. Ein planmäßiger rationaler „Betrieb“ ist an die Stelle des intermittierenden und irrationalen Gelegenheitshandelns getreten und funktioniert weiter, auch wenn der ursprüngliche Enthusiasmus der Beteiligten selbst für ihre Ideale längst verflogen ist.
Eigentlich „kapitalistische“ Interessen können in der allerverschiedensten Art an der Propaganda eines bestimmten Gemeinschaftshandelns interessiert sein. So z. B. wie die Besitzer von Vorräten deutschen Frakturdruckmaterials an der fortdauernden Verwendung dieser „nationalen“ Schriftform.
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[89] Die Frakturschrift war zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur noch in Deutschland verbreitet. Der Streit um diese „deutsche Schrift“ zog sich durch das ganze 19. Jahrhundert. Goethe betrachtete die Frakturschrift als Leseschrift für das gemeine Volk und Antiqua als Schrift für die Gebildeten. Vgl. Kapr, Albert, Fraktur: Form und Geschichte der gebrochenen Schriften. – Mainz: Hermann Schmidt 1993, S. 63–67. Die Gebrüder Grimm waren vehemente Gegner der Frakturschrift, weil diese im Ausland nicht gelesen werden könne und somit die deutsche Bildungselite isoliere. Vgl. die Vorbemerkung in „Deutsches Wörterbuch“ von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Band 1. – Leipzig: Hirzel 1854, S. LIIf. Eine Entscheidung im „Schriftenstreit“ wurde auch in der Reichstagssitzung vom 4. Mai 1911 nicht getroffen, weil das Parlament nicht beschlußfähig war. Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, XII. Legislaturperiode, II. Session, Band 266. – Berlin: Norddeutsche Buchdruckerei 1911, S. 6361–6378.
Oder so, wie diejenigen Gastwirte, welche trotz des Militärboykotts ihre Räume für [90]sozialdemokratische Versammlungen zur Verfügung halten,
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[90] Die Militärbehörden des Deutschen Kaiserreichs verboten Soldaten den Besuch von Lokalen, in denen sozialdemokratische Versammlungen stattfanden. Vielerorts übernahmen auch die Kriegervereine diese Verbote, so daß die Gastronomiebetriebe wirtschaftliche Verluste erlitten. Gastwirte, die dennoch der SPD Versammlungsräume zur Verfügung stellten, mußten ihre Einbußen durch sozialdemokratische Gäste kompensieren. Im Laufe der Jahre wurde die beabsichtigte Behinderung der sozialdemokratischen Parteiarbeit immer unerheblicher, so daß am 20. Juni 1913 der Reichstag den Reichskanzler schließlich ersuchte, auf eine Beendigung des Boykotts hinzuwirken.
an der Mitgliederzahl der Partei. Ungezählte Beispiele dieses Typus liegen für jede Art von Gemeinschaftshandeln jedermann nahe.
Das allen Fällen derartiger ökonomischer Interessiertheit, sei es seitens der Angestellten oder seitens kapitalistischer Mächte, Gemeinsame ist: daß das Interesse am „Inhalt“ der gemeinsamen Ideale der Mitglieder notwendig hinter dem Interesse an dem Fortbestand oder der Propaganda der Gemeinschaft rein als solchem, gleichviel welches der Inhalt ihres Handelns ist, zurücktritt. Ein großartiges Beispiel dieser Art ist die vollkommene Entleerung der amerikanischen Parteien von festen sachlichen Idealen.
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Dies bezieht sich auf das sogenannte „spoils system“, in dem sich die amerikanischen Parteien nicht an festen politischen Inhalten orientieren, sondern ihre Ziele an dem Wählerinteresse ausrichten und bei einem Wahlsieg ihre wichtigste Aufgabe in der Versorgung ihrer Mitglieder durch Verwaltungsposten sehen. Vgl. Bryce, James, The American Commonwealth, Vol. II, second Edition. – London and New York: Macmillan and Co. 1890, S. 125 ff.
Das größte ist aber natürlich die typische Verknüpfung kapitalistischer Interessen mit der Expansion politischer Gemeinschaften, wie es von jeher bestanden hat. Einerseits ist die Möglichkeit der Beeinflussung des Wirtschaftslebens durch diese Gemeinschaften außerordentlich groß, und andererseits können sie sich zwangsweise ungeheure Einkünfte verschaffen und darüber disponieren, so daß sich an ihnen, direkt und indirekt, am meisten verdienen läßt; direkt durch entgeltliche [A 187]Übernahme von Leistungen oder durch Bevorschussung von Einkünften, indirekt durch Ausbeutung von Objekten, welche sie politisch okkupieren. Das Schwergewicht des kapitalistischen Erwerbs lag in der Antike und in der beginnenden Neuzeit in solchen durch Beziehungen zur politischen Gewalt rein als solcher zu erzielenden „imperialistischen“ Gewinnen, und es
m
[90]A: er
verschiebt sich heute wieder zunehmend nach dieser Richtung hin. [91]Jede Ausdehnung des Machtgebiets einer solchen Gemeinschaft vermehrt dann die Gewinnchancen der betreffenden Interessenten.
Diesen ökonomischen Interessen, welche in der Richtung der Propagierung einer Gemeinschaft wirken, treten nun, außer den schon besprochenen monopolistischen Tendenzen,
21
[91] Siehe oben, S. 82–86.
unter Umständen andere Interessen entgegen, welche gerade umgekehrt durch die Geschlossenheit und Exklusivität einer Gemeinschaft gespeist werden. Wir stellten schon früher allgemein fest,
22
Ein sehr kurz und allgemein gehaltener Bezugspunkt findet sich in: Weber, Kategorienaufsatz, S. 275.
daß fast jeder auf rein freiwilligem Beitritt ruhende Zweckverband über den primären Erfolg hinaus, auf den das vergesellschaftete Handeln ausgerichtet ist, Beziehungen zwischen den Beteiligten zu stiften pflegt, welche Grundlage eines unter Umständen auf ganz heterogene Erfolge ausgerichteten Gemeinschaftshandelns werden können: an die Vergesellschaftung knüpft sich regelmäßig eine „übergreifende“ Vergemeinschaftung. Natürlich nur bei einem Teil der Vergesellschaftungen, denjenigen
n
[91]A: demjenigen
nämlich, deren Gemeinschaftshandeln eine irgendwelche, nicht rein geschäftliche, „persönliche“ gesellschaftliche Berührung voraussetzt. Die Qualität eines „Aktionärs“ zum Beispiel erwirbt man ohne alle Rücksicht auf persönlich-menschliche Eigenschaften und regelmäßig ohne Wissen und Willen der Mitbeteiligten rein kraft eines ökonomischen Tauschakts über die Aktie. Ähnliches gilt für alle diejenigen Vergesellschaftungen, welche den Beitritt von einer rein formalen Bedingung oder Leistung abhängig machen und auf die Prüfung der Person des Einzelnen verzichten. Dies ist besonders häufig bei gewissen Arten von reinen Wirtschaftsgemeinschaften, ebenso bei manchen Vereinen mit rein politischem Zweck der Fall und wird im allgemeinen überall um so mehr zur Regel, je rationaler und spezialisierter der Zweck der Vereinigung ist. Immerhin gibt es der Vergesellschaftungen sehr viele, bei denen einerseits die Zulassung, ausdrücklich oder stillschweigend, gewisse spezifische Qualifikationen voraussetzt und bei denen andererseits, im Zusammenhang damit, jene übergreifende Vergemeinschaftung regelmäßig stattfindet. [92]Dies ist natürlich besonders dann der Fall, wenn die Gemeinschaften
o
[92]A: Gemeinschafter
die Zulassung jedes neuen Beteiligten an eine Prüfung und Zustimmung zur Aufnahme seiner Person knüpfen. Der einzelne Beteiligte wird dann, normalerweise wenigstens, nicht nur nach seinen Funktionen und nach seiner für den ausdrücklichen Zweck des Verbandes wesentlichen Leistungsfähigkeit, sondern auch nach seinem „Sein“, nach der Wertschätzung seiner Gesamtpersönlichkeit von seiten der anderen Mitbeteiligten geprüft. Es ist hier nicht der Ort, die einzelnen Vergesellschaftungen darnach zu klassifizieren, wie stark oder wie schwach dieses Auslesemoment bei ihnen wirkt. Genug, daß es bei den allerverschiedensten Arten tatsächlich existiert. Eine religiöse Sekte nicht nur, sondern ebenso ein geselliger Verein, etwa ein Kriegerverein, selbst ein Kegelklub läßt im allgemeinen niemanden zur Beteiligung zu, dessen Gesamtpersönlichkeit von den anderen Beteiligten verworfen wird. Eben dies nun „legitimiert“ den Zugelassenen nach außen, Dritten gegenüber, weit über seine für den Zweck des Verbandes wichtigen Qualitäten hinaus. Die Beteiligung am Gemeinschaftshandeln ferner schafft ihm Beziehungen („Konnexionen“), welche zu seinen Gunsten ebenfalls weit über den Kreis der speziellen Verbandszwecke wirksam werden. Es ist daher etwas Alltägliches, daß Leute einem religiösen oder studentischen oder politischen oder anderen Verband angehören, obwohl ihnen die dort gepflegten Interessen an sich durchaus gleichgültig sind, lediglich um jener wirtschaftlich nutzbaren „Legitimationen“ und „Konnexionen“ willen, welche diese Zugehörigkeit mit sich bringt. Während nun diese Motive an sich einen starken Anreiz zur Beteiligung an der Gemeinschaft zu enthalten und also ihre Propagierung zu fördern scheinen, wirkt in gerade entgegengesetztem Sinn das Interesse der Beteiligten daran, jene Vorteile zu [A 188]monopolisieren und auch in ihrem ökonomischen Nutzwert dadurch zu steigern, daß sie auf einen möglichst kleinen und exklusiven Kreis beschränkt bleiben. Und je kleiner und exklusiver er ist, desto höher steht neben dem direkten Nutzwert überdies auch das soziale Prestige, welches die Zugehörigkeit verleiht.
Endlich ist noch eine häufige Beziehung zwischen Wirtschaft und Gemeinschaftshandeln kurz zu streifen: die bewußte Inaus[93]sichtstellung konkreter wirtschaftlicher Vorteile im Interesse der Propagierung und Erhaltung einer primär außerwirtschaftlichen Gemeinschaft. Sie pflegt naturgemäß besonders da aufzutreten, wo mehrere Gemeinschaften ähnlicher Art miteinander um Mitglieder konkurrieren. So namentlich politische Parteien und religiöse Gemeinschaften. Die amerikanischen Sekten konkurrieren durch Arrangement von künstlerischen und anderen Darbietungen und Unterhaltungen aller Art einschließlich des Sports, durch Unterbietung in den Bedingungen der Zulassung geschiedener Gatten zur Einsegnung neuer Ehen (das schrankenlose Unterbieten auf diesem Gebiet ist neuestens durch eine reguläre „Kartell“bildung eingeschränkt worden).
23
[93] Dies bezieht sich vermutlich auf Erfahrungen, die Weber während seiner USA-Reise 1904 anläßlich eines Vortrages im Rahmen der Weltausstellung in St. Louis gemacht hat. An anderer Stelle schreibt Weber: „Vielfach waren daher Kartelle zwischen den konkurrierenden Denominationen üblich, […] zur Ausschließung der […] leichtfertigen Trauung eines […] Geschiedenen. Hier sollten, angeblich, einige Baptistengemeinschaften zeitweise lax gewesen sein, während sowohl der katholischen wie der lutherischen (Missouri-)Kirche korrekte Strenge nachgerühmt wurde, die aber bei beiden den Mitgliederbestand (angeblich) schmälerte.“ Weber, Max, Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus, in: GARS, Band 1. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1920, S. 207–236, hier: S. 211, Anm. 1 (MWG I/18) [[MWG I/18, S. 493–545, hier: S. 499f., Fn. 8]].
Die religiösen und politischen Parteien veranstalten neben Landpartien und ähnlichem noch allerhand Gründungen von „Jugendverbänden“, „Frauengruppen“ u. dgl., und überall beteiligen sie sich eifrig an rein kommunalen oder andern an sich unpolitischen Angelegenheiten, die ihnen Gelegenheit geben, in Konkurrenz miteinander lokalen Privatinteressenten ökonomische Gefälligkeiten zu erweisen. Die Invasion kommunaler oder genossenschaftlicher oder anderer Gemeinschaften durch solche politische, religiöse und andere Gruppen ist in sehr starkem Maße ganz direkt dadurch ökonomisch bedingt, daß sie Gelegenheit gibt, Funktionäre der Gemeinschaft direkt durch Amtspfründen und soziales Prestige zu versorgen und damit zugleich die Kosten des eignen Betriebs auf andre Gemeinschaften zu überwälzen. Kommunale oder genossenschaftliche oder Konsumvereinsämter, Ämter in Krankenkassen und Gewerkschaften und Ähnliches sind Objekte, die sich dazu eignen. Und in größtem Maßstab selbstverständlich politische Ämter und Pfründen oder andre, von der politischen Gewalt zu vergebende, soziale oder als Versorgungsgelegenheiten geschätzte Stellungen, die Universitätsprofessuren ein[94]geschlossen. Das „parlamentarische“ System bietet Gemeinschaften aller Art, wenn sie hinlänglich stark an Zahl sind, die Möglichkeit, sich ähnlich den politischen Parteien selbst – zu deren normalem Wesen gerade dies gehört – derartige Versorgungsmittel für ihre Führer und Mitglieder zu verschaffen. In unserem Zusammenhang ist speziell nur die allgemeine Tatsache festzustellen: daß auch die direkte Schaffung ökonomischer Organisationen, namentlich zu propagandistischen Zwecken, seitens außerökonomischer Gemeinschaften verwendet wird. Ein beträchtlicher Teil des modernen karitativen Betriebs der religiösen Gemeinschaften dient ihm. Erst recht die Gründung von „christlichen“, „liberalen“, „sozialistischen“, „nationalen“ Gewerkschaften und Hilfskassen, die Gewährung von Gelegenheit zum Sparen und zur Versicherung. In sehr großem Maßstabe ferner die Konsumvereins- und Genossenschaftsgründung: bei manchen italienischen Genossenschaften mußte der Beichtzettel vorgelegt werden, um Arbeit zu erhalten.
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[94] Eine entsprechende Genossenschaft konnte nicht nachgewiesen werden. Wahrscheinlich bezieht sich dies auf katholische Genossenschaften und Gewerkschaften, die die Kirche während der Auseinandersetzungen mit dem italienischen Nationalstaat gegründet hatte. Dieser Konflikt ging so weit, daß 1870 eine päpstliche Bulle bei Androhung der Exkommunikation die Teilnahme an staatlichen Wahlen verbot. Um die Jahrhundertwende gründete die katholische Kirche mehrere Genossenschaften, um ihre bäuerliche Klientel nicht an bürgerliche und sozialistische Organisationen zu verlieren.
Für die Polen in Deutschland
p
[94] In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber an: 1) Vor 1918. (Anm. d. Herausgeb.).
ist die Organisation des Kredits, der Entschuldung, der Ansiedlung in ungewöhnlich großartiger Weise entwickelt,
25
Die ersten langfristig bestehenden polnischen Genossenschaften in Preußen wurden zu Beginn der 1860er Jahre gegründet und entwickelten bald ein System der Kreditvermittlung, das durch Kreditgenossenschaften erweitert wurde. Als Reaktion auf das am 7. April 1886 verabschiedete preußische Ansiedlungsgesetz entstanden polnische Banken, die polnischen Kleinbauern bei der Parzellierung von agrarischen Großbetrieben günstige Kredite zur Verfügung stellten. Nach der Novelle des Ansiedlungsgesetzes 1904 verlegten sich diese Institute auf die Vergabe von Hypotheken und die Umschuldung polnischer Betriebe, um zu verhindern, daß diese von der Ansiedlungskommission aufgekauft wurden. Aus politischen und nationalen Motiven legten auch Polen aus anderen Teilen des Reiches ihre Sparguthaben bei diesen Banken an, was zu einem raschen Anwachsen des verfügbaren Kapitals und damit des Geschäftsumfanges führte.
und die russischen Parteien aller Richtungen beschritten in der Revolutionszeit
q
In A bindet die Anmerkung der Erstherausgeber an: 2) 1905–1906 (Anm. d. Herausgeb.).
sofort systematisch ähnliche [95]höchst moderne Wege.
26
[95] Welche konkreten „Wege“ hier gemeint sind, ist nicht eindeutig zu klären. In seiner Schrift „Rußlands Übergang zum Scheinkonstitutionalismus“ bezieht sich Weber insbesondere auf „die Schaffung der verschiedenen ,Wohlfahrtseinrichtungen‘ zu sozialen Herrschaftszwecken“ (MWG I/10, S. 559 f.).
Gründung von Erwerbsbetrieben: Banken, Hotels (wie die sozialistische „Hotellerie du Peuple“ in Ostende)
27
Weber kannte das „Hôtel du Peuple“ in Ostende aus eigener Anschauung. Im August 1903 hatte er dort einige Tage gewohnt und vor allem für bemerkenswert erachtet, daß ihm dort „kleine Beamte und bessere Arbeiter“ sowie einige belgische „Fabrikarbeiter“ begegneten. Vgl. Karten und Brief Max Webers an Marianne Weber vom 20., 21. und 22. Aug. 1903, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/4) [[MWG II/4, S. 123–125]].
und schließlich auch von gewerblichen Produktionsbetrieben (auch in Belgien) kommen ebenfalls vor. Die im Besitz der Macht innerhalb einer politischen Gemeinschaft befindlichen Gruppen, namentlich also das Beamtentum, pflegen dann zur Erhaltung ihrer eigenen Machtstellung ähnliche Wege zu beschreiten, von der Züchtung „patriotischer“ Vereine und Veranstaltungen aller Art mit Gewährung ökonomischer Vorteile angefangen bis zur Schaffung von bürokratisch kon[A 189]trollierten Kreditfonds („Preußenkasse“)
28
Allgemein eingebürgerter Name für die am 1. Oktober 1895 gegründete „Preußische Zentralgenossenschaftskasse“, die als zentrales genossenschaftliches Kreditinstitut kleineren Landwirtschafts- und Handwerksbetrieben Personalkredite gewährte, um so der zunehmenden Verschuldung der ländlichen Betriebe entgegenzuwirken. Der preußische Staat brachte das Betriebskapital ein. Vgl. Ruhland, Gustav, Ein Dokument zur Entstehungsgeschichte der „Preußenkasse“, in: ders., Ausgewählte Abhandlungen, Aufsätze und Vorträge, hg. vom Bund der Landwirte. – Berlin: Kairos-Verlag für aktuelle Wirtschaftspolitik 1910, S. 112–116; Heiligenstadt, Carl, Central-Genossenschafts-Kasse, Preußische, in: HdStW1, 2. Supplementband. – Jena: Gustav Fischer 1897, S. 280–302.
und ähnlichem. Die technischen Einzelheiten aller dieser Mittel der Propaganda gehören nicht hierher.
Das Mit- und Gegeneinanderwirken von einerseits propagandistisch, andererseits monopolistisch wirkenden ökonomischen Interessen innerhalb aller möglichen Arten von Gemeinschaften war hier nur im allgemeinen festzustellen und durch einige besonders typische Beispiele zu illustrieren. Es weiter ins Einzelne zu verfolgen[,] müssen wir uns versagen, da dies eine Spezialuntersuchung aller einzelnen Arten von Vergesellschaftungen bedingen würde.
r
[95] In A folgt die Zwischenüberschrift: § 4. Wirtschaftsformen.
Wir haben vielmehr nur noch in Kürze der allernächst liegenden Art der Verknüpfung von Gemeinschaftshandeln mit „Wirtschaft“ zu gedenken: des Umstandes, daß außerordentlich viele Gemein[96]schaften „wirtschaftende“ Gemeinschaften sind. Damit sie dies sein können, ist allerdings normalerweise ein gewisses Maß von rationaler Vergesellschaftung erforderlich. Nicht unentbehrlich: den aus der Hausgemeinschaft emporwachsenden, später zu erörternden Gebilden
29
[96] Siehe unten, S. 119–126, 150 f., 154–161, und WuG1, S. 682 f. (MWG I/22-4).
fehlt sie. Aber sie ist das durchaus Normale.
Ein zur rationalen „Vergesellschaftung“ entwickeltes Gemeinschaftshandeln besitzt, wenn es ökonomischer Güter und Leistungen für das Gesellschaftshandeln bedarf, eine gesatzte Regel, nach der jene aufgebracht werden. Prinzipiell kann dies geschehen in folgenden „reinen“ Typen (deren Beispiele wir möglichst dem politischen Gemeinschaftsleben entlehnen, weil dieses die entwickeltsten Systeme für ihre Aufbringung besitzt): 1. „oikenmäßig“, d. h. rein gemeinwirtschaftlich und rein naturalwirtschaftlich: Auferlegung direkter persönlicher Naturalleistungen der Gemeinschafter nach festen Regeln, gleich für alle oder spezifiziert („allgemeine“ Wehrpflicht der Kriegstauglichen und spezifizierte Militärdienstpflicht als „Ökonomiehandwerker“) und Umlegung der sachlichen Bedarfsgegenstände (z. B. für die fürstliche Tafel oder für die Heeresverwaltung) in Form von festen pflichtmäßigen Naturalabgaben. Ihre Verwendung erfolgt in Form einer nicht für den Absatz arbeitenden Gemeinwirtschaft, welche einen Teil des Gemeinschaftshandelns bildet (z. B.: ein rein eigenwirtschaftlicher[,] grundherrschaftlicher oder fürstlicher Haushalt, (der reine Typus des „Oikos“)
30
Von Karl Rodbertus geprägte Bezeichnung für einen autarken landwirtschaftlichen Haushalt in der Antike, der im Idealfall alle benötigten Gebrauchsgegenstände mit eigenen Sklaven produziert und die benötigten Rohstoffe aus den eigenen Ländereien gewinnen kann, so daß ein Produkt während seines ganzen produktiven Prozesses nicht den Eigentümer wechselt. Vgl. Rodbertus, Zur Geschichte der römischen Tributsteuern, Teil II, S. 343.
oder z. B. im speziellen eine ganz auf Naturaldienst und Naturalabgaben ruhende Ordnung der Heeresverwaltung, wie – annähernd – in Altägypten)
s
[96] Klammer fehlt in A.
.
31
Das gesamte ägyptische Steuersystem beruhte auf Naturalabgaben. Von der Landwirtschaft wurden bis zu 20 % der Ernteerträge eingezogen, und Handwerker mußten einen Teil ihrer Produktion an den Staat abgeben. Mit diesen Abgaben versorgte der ägyptische Staat den Königshof, seine Beamten und die Armee, wobei zur Besoldung der Truppen, insbesondere der Söldner, darüber hinaus die Erträge aus Goldbergwerken eine wichtige Rolle spielten. Innerhalb der Armee bildete der Kriegsadel, der vom Streitwagen [97]aus kämpfte, die militärisch wichtigsten Einheiten. Um sich selbst ausrüsten und sich ganz auf die Kriegführung konzentrieren zu können, wurden dieser Kriegerschicht umfangreiche Ländereien und die benötigten Arbeitskräfte vom Staat übertragen.
– 2. Abgaben und (marktmäßig): als [97]Pflicht auferlegte Steuern, (regelmäßige) Beiträge oder an bestimmte Vorgänge geknüpfte Gelegenheitsabgaben in Geldform seitens der Gemeinschafter nach bestimmten Regeln, geben die Möglichkeit zur Beschaffung der Mittel für die Bedarfsdeckung auf dem Markt, also durch Ankauf von sachlichen Betriebsmitteln, Miete von Arbeitern, Beamten, Söldnern. – Die Abgaben können daher auch Kontributionscharakter haben. So die Belastung aller Personen, auch der am Gemeinschaftshandeln sonst nicht beteiligten, welche entweder a) an gewissen Vorteilen und Chancen, welche die Gemeinschaft darbietet, namentlich an Leistungen eines durch die Gemeinschaft geschaffenen gesellschaftlichen Gebildes (z. B. einer Grundbuch- oder anderen „Behörde“) oder wirtschaftlichen Guts (z. B. einer von ihr gebauten Chaussee) teilnehmen, nach dem Prinzip eines speziellen Leistungsentgelts (Gebühren im technischen Wortsinn) – oder welche b) einfach rein physisch in die faktische Machtsphäre der Gemeinschaft geraten (Abgaben von bloßen Gebietsinsassen, Zölle von Personen und Gütern beim Passieren des beherrschten Gebiets). – 3. Erwerbswirtschaftlich: durch Marktabsatz von Produkten oder Dienstleistungen eines eigenen Betriebs, der einen Teilbestandteil des Gemeinschaftshandelns darstellt und dessen Gewinne für die Gesellschaftszwecke verwendet werden. Dieser kann ein „freier“ Betrieb ohne formelle Monopolgarantie sein (Preußische Seehandlung,
32
Die 1772 durch Friedrich den Großen gegründete Preußische Seehandlungs-Gesellschaft besaß als staatliche Schiffahrtslinie zahlreiche Handelsmonopole (z. B. Salzhandel). Seit Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend auch in Geldgeschäften tätig, wurde die Seehandlung 1820 in ein selbständiges Bankinstitut umgewandelt, das allerdings der Aufsicht des preußischen Finanzministeriums unterstand. 1918 erfolgte schließlich die Umbenennung in Preußische Staatsbank.
Grande Chartreuse
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Das 1084 gegründete Stammkloster Grande Chartreuse des Kartäuserordens bei Grenoble produzierte einen gleichnamigen Kräuterlikör und finanzierte sich weitgehend durch dessen Verkauf.
) oder ein monopolistischer Betrieb, wie sie in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart (Post) [A 190]zahlreich vorhanden waren und sind. Es liegt auf der Hand, daß zwischen diesen drei rein begrifflich konsequentesten Typen jede Art von Kombination möglich ist. [98]Naturalleistungen können in Geld „abgelöst“, Naturalien auf dem Markt in Geld verwandelt werden, die Sachgüter des Erwerbsbetriebs können direkt durch Naturalabgaben oder auf dem Markt aus den durch Geldabgaben aufgebrachten Mitteln beschafft, überhaupt die Bestandteile dieser einzelnen „Typen“ miteinander kombiniert werden, wie dies tatsächlich die Regel ist. – 4. Mäzenatisch: durch rein freiwillige Beiträge ökonomisch dazu Befähigter
t
[98]A: befähigter
und irgendwie am Gesellschaftszweck materiell oder ideell Interessierter
u
A: interessierter
, seien sie nun im übrigen Teilnehmer der Gemeinschaft oder nicht (typische Form der Bedarfsdeckung von religiösen und Parteigemeinschaften: Stiftungen für religiöse Zwecke, Subventionierung von Parteien durch Großgeldgeber; ebenso aber: Bettelorden und die freiwilligen „Geschenke“ an die Fürsten der Frühzeit). Es fehlt die feste Regel und Verpflichtung und der Zusammenhang von Leistung und sonstiger Beteiligung am Gemeinschaftshandeln: der Mäzen kann ganz außerhalb des Kreises der Beteiligten stehen. – 5. Durch privilegierende Belastung – und zwar positiv oder negativ privilegierend. a) Die positiv privilegierende Belastung findet nicht nur, aber hauptsächlich statt gegen Garantie eines bestimmten ökonomischen oder sozialen Monopols und umgekehrt: bestimmte privilegierte Stände oder monopolisierte Gruppen sind ganz oder teilweise abgabenfrei. Die Abgaben und Leistungen werden also nicht nach allgemeinen Regeln der einzelnen Vermögens-und Einkommensstufen oder den (prinzipiell wenigstens) frei zugänglichen Besitz- und Erwerbsarten auferlegt, sondern sie werden gefordert je nach der Art der bestimmten, Einzelnen oder Gruppen durch die Gemeinschaft garantierten, spezifisch ökonomischen oder politischen oder anderen Machtstellungen und Monopole (Rittergutsbesitz, zünftige und ständische Steuerprivilegien oder Spezialabgaben). Und zwar als „Korrelat“ oder als „Entgelt“ dieser privilegierenden Garantie oder Appropriation. Die Art der Bedarfsdeckung schafft oder fixiert dann also eine monopolistische Gliederung der Gemeinschaftsbeteiligten auf der Grundlage der „Schließung“ der sozialen und ökonomischen Chancen der einzelnen Schichten. Zu dieser Form der Bedarfsdeckung gehören begrifflich auch, als wichtiger Sonderfall, alle unter sich höchst ver[99]schiedenen Formen der „feudalen“ oder „patrimonialen“ Deckung des Bedarfs an politischen Machtmitteln, welche mit appropriierten Machtstellungen für die Leistung des vergesellschafteten Handelns selbst verknüpft sind (der Fürst als solcher hat im ständischen Gemeinwesen prinzipiell die Lasten des politischen Gemeinschaftshandelns aus seinem patrimonialen Besitz zu bestreiten, die feudalen Teilhaber an der politischen oder patrimonialen Gewalt und sozialen Ehre: Vasallen, Ministerialen usw. bringen die Kriegs- und Amtsbedürfnisse aus eignen Mitteln auf). Bei dieser Art der Bedarfsdeckung handelt es sich meist um Abgaben und Leistungen in natura (ständisch-naturale privilegierende Bedarfsdeckung). Es können aber, auf dem Boden des Kapitalismus, ganz analoge Vorgänge privilegierender Bedarfsdeckung auftreten: die politische Gewalt garantiert z. B. einer Gruppe von Unternehmern ausdrücklich oder indirekt ein Monopol und legt ihnen dafür direkt oder in Abgabenform Kontributionen auf. Diese in der „merkantilistischen“ Epoche verbreitete Form der privilegierenden Belastung hat in der Gegenwart wieder eine zunehmende Rolle zu spielen begonnen (Branntweinsteuer in Deutschland).
34
[99] Der Versuch Bismarcks, 1886 ein Reichsbranntweinmonopol einzuführen, stieß einerseits bei den ostelbischen Gutsbetrieben wegen ihrer Kartoffelbrennereien auf Widerstand. Der Reichstag hingegen lehnte das Gesetz ab, weil er in dem Verkauf von Brennrechten eine Einnahmequelle der Regierung vermutete, die nicht der parlamentarischen Budgetgewalt unterlag. 1887 wurde daraufhin eine einheitliche Branntweinsteuer geschaffen, die als Verbrauchsabgabe ein bestimmtes Kontingent sehr niedrig besteuerte. Erst die darüber hinausgehende Produktion unterlag dem vollen Steuersatz. 1908/09 wurde erneut über die Branntweinsteuer im Reichstag diskutiert, wobei letztere „Liebesgabe“ für die Brennereien der Großgrundbesitzer der Hauptstreitpunkt war.
– b) Die negativ privilegierende Bedarfsdeckung ist die leiturgische: es werden ökonomisch kostspielige Leistungen spezifizierter Art an eine bestimmte Höhe des nackten[,] nicht monopolistisch privilegierten Vermögensbesitzes rein als solchen, eventuell unter den Qualifizierten im Turnus umgehend, geknüpft (Trierarchen
35
Mit der Einführung der Trierarchie (abgeleitet von Triere, Dreiruderer) im Jahr 483/82 v. Chr. durch Themistokles wurde den reichsten Bürgern Athens für ein Jahr die Instandhaltung jeweils eines Kriegsschiffes auferlegt. Wegen der hohen Kosten konnten sich ab 410 v. Chr. 2 Trierarchen den Unterhalt teilen und ab 357 v. Chr. mußten 60 Personen (Symmorie) für ein Schiff aufkommen. Die Schiffe wurden vom Staat gestellt und in der Regel auch bemannt.
und Chore[100]gen
36
[100] Für staatliche Feste wurde einzelnen Bürgern die Aufstellung und Finanzierung eines Chores auferlegt. Ursprünglich nur Chorleiter, mußten die Choregen schließlich u. a. für Kleidung und Nahrung des von ihnen aufgestellten Chores aufkommen. Als Lohn fiel den Choregen die Hauptehre des Sieges bei den Gesangswettkämpfen zu.
in Athen, Zwangssteuerpächter in den hellenistischen Staaten): Klassenleiturgie; – oder sie werden mit bestimmten Monopolgemeinschaften derart verbunden, daß die Pflichtigen im Interesse der gesellschaftlichen Bedarfsdeckung diesen Monopolgemeinschaften sich nicht einseitig entziehen dürfen, sondern an sie gebunden sind (solidarisch haftend). Zwangszünfte [A 191]Altägyptens und des späten Altertums,
37
Nach dem Vorbild eines erblichen Priesterstandes entwickelte sich in Ägypten durch Anwerbung libyscher Söldner ein erblicher Kriegerstand, bis schließlich zu Beginn des 1. Jahrtausends sämtliche Berufe erblich wurden und ein Wechsel des Gewerbes oder die Ausübung mehrerer Berufe gesetzlich verboten wurde. Eine ähnliche Entwicklung, die zu erblichen Zwangsberufen führte, setzte im 4. Jahrhundert n. Chr. im Römischen Reich ein.
erbliche Gebundenheit der russischen Bauern an die für die Steuern haftende Dorfgemeinschaft,
38
Die in Umteilungsgemeinden (Mir) lebenden Bauern durften wegen der kollektiven Steuerhaftung nur mit Zustimmung der übrigen Dorfbewohner aus der Gemeinde ausscheiden. Vgl. oben, S. 84, Anm. 10.
mehr oder minder starke Schollenfestigkeit der Colonen und Bauern aller Zeiten und Solidarhaft ihrer Gemeinden für die Steuern und eventuell: Rekruten, Solidarhaft der römischen Dekurionen
39
Als Decurionen wurden vor allem die Stadträte in Städten römischen und latinischen Rechts bezeichnet, denen die inneren Verwaltungsaufgaben oblagen. Die Mitgliedschaft setzte Unbescholtenheit, freie Geburt und ein ausreichendes Einkommen voraus. Die Decurionen hafteten persönlich und bis zur Zeit Konstantins solidarisch für das Steueraufkommen ihrer Gemeinden. Das Amt entwickelte sich im Zuge der wirtschaftlichen Krisen im 3. Jahrhundert n. Chr. von einem Ehrenamt zu einem erblichen Zwangsstand, zu dem auch Zwangsrekrutierungen möglich waren.
für die von ihnen zu erhebenden Abgaben usw.: Standesleiturgie. – Die zuletzt (Nr. 5) genannten Arten der Aufbringung des Gemeinschaftsbedarfs sind der Natur der Sache nach normalerweise auf anstaltsmäßige Zwangsgemeinschaften (vor allen die politischen) beschränkt.
v
[100] In A folgt die Zwischenüberschrift: § 5. Formen der Wirtschaftsregulierung.
Die Arten der Bedarfsdeckung, stets das Resultat von Interessenkämpfen, haben oft weittragende Bedeutung jenseits ihres direkten Zweckes. Denn sie können in starkem Maße „wirtschaftsregu[101]lierende“ Ordnungen zur Folge haben (wie namentlich die zuletzt genannten Arten) und, wo dies nicht direkt der Fall ist, dennoch die Entwicklung und Richtung des Wirtschaftens sehr stark beeinflussen. So z. B. die standesleiturgische Bedarfsdeckung für die „Schließung“ der sozialen und ökonomischen Chancen und die Fixierung der Ständebildung und
a
[101] Fehlt in A; und sinngemäß ergänzt.
damit für die Ausschaltung der privaten Erwerbskapitalbildung. So ferner jede umfassende gemeinwirtschaftliche oder erwerbswirtschaftliche oder Monopole schaffende Bedarfsdeckung. Die beiden ersteren stets in der Richtung der Ausschaltung der privaten Erwerbswirtschaft, die letztere je nach den Umständen sehr verschieden, immer natürlich in der Richtung der Verschiebung, zuweilen in der der Stimulierung, zuweilen der Hemmung der privatkapitalistischen Gewinnchancen. Das kommt auf Maß, Art und Richtung des staatlich geförderten Monopolismus an. Der zunehmende Übergang des Römerreichs zur standesleiturgischen (und daneben teilweise zur gemeinwirtschaftlichen) Bedarfsdeckung erstickte den antiken Kapitalismus. Die erwerbswirtschaftlichen Gemeinde- und Staatsbetriebe der Gegenwart verschieben teils, teils verdrängen sie den Kapitalismus: die Tatsache, daß die deutschen Börsen seit der Verstaatlichung der Eisenbahnen keine Eisenbahnpapiere mehr notieren,
40
[101] Nach der Reichsgründung trat Bismarck aus politischen Gründen für die Vereinheitlichung des weitgehend privaten deutschen Eisenbahnnetzes ein, doch lehnten die Bundesstaaten aus föderalistischen Gründen eine Überführung der Eisenbahnen in Reichsbesitz ab. Zwischen 1879 und 1884 wurden die Eisenbahnen zunächst in Preußen verstaatlicht. Die Eisenbahnaktien wurden in festverzinsliche Staatspapiere umgetauscht, die nicht mehr frei gehandelt werden konnten. Um den Ankauf ihrer Eisenbahnlinien durch Preußen zu verhindern, verstaatlichten die Bundesstaaten ebenfalls die meisten Privatbahnen.
ist für ihre Stellung nicht nur, sondern für die Art der Vermögensbildung wichtig. Jede Begünstigung und Stabilisierung von Monopolen in Verbindung mit staatlichen Kontributionen (wie etwa in der deutschen Branntweinsteuer
41
Vgl. oben, S. 99, Anm. 34.
usw.) schränkt die Expansion des Kapitalismus ein (ein Beispiel: die Entstehung rein gewerbli[102]cher Brennereien).
42
[102] Nach dem Branntweinsteuergesetz von 1887 wurde jeweils ein bestimmtes Produktionskontingent zu einem niedrigen Satz besteuert, und begünstigte damit die kleinen und mittleren Brennereien der ostelbischen Gutsbesitzer, die fast sämtlich dem gemäßigten Steuersatz unterlagen. Die Kritiker des Gesetzes hoben hervor, daß dadurch Neugründungen von Brennereien außerordentlich erschwert würden, während der Marktanteil der landwirtschaftlichen Brennereien faktisch garantiert würde. Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, VII. Legislaturperiode. I. Session, Band 1. – Berlin: Norddeutsche Buchdruckerei und Verlags-Anstalt 1887, S. 519–521.
Die Handels- und Kolonialmonopole des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit stimulierten umgekehrt zunächst – da unter den gegebenen Umständen nur durch Monopolisierung ausreichender Gewinnspielraum für eine kapitalistische Unternehmung zu sichern war – die Entstehung des Kapitalismus. Im weiteren Verlauf aber – so in England im 17. Jahrhundert – wirkten sie dem Rentabilitätsinteresse des das Optimum der Anlagechancen suchenden Kapitals entgegen und stießen daher auf erbitterte Opposition, der sie erlagen.
43
Für die englische Krone war die Vergabe von Monopolen seit Elisabeth I. eine vom Unterhaus unabhängige Geldquelle. Der Kampf des Parlaments gegen die Monopolvergabe (1624 Antimonopolstatut, 1640 Aufhebung wichtiger Monopole) war in erster Linie politisch motiviert, fand allerdings eine breite Zustimmung in der Öffentlichkeit wegen der durch die Monopole bedingten Preissteigerungen und der Behinderung des Wettbewerbs zugunsten von Höflingen. 1689 wurde die Vergabe von Monopolen schließlich an die Zustimmung des Unterhauses gebunden, so daß die englischen Inlandsmonopole fast gänzlich verschwanden.
Die Wirkung ist also im Fall der steuerbedingten Monopolprivilegien nicht eindeutig. Eindeutig der kapitalistischen Entwicklung günstig ist dagegen die rein abgabenmäßige und marktmäßige Bedarfsdeckung, also, ins Extreme gesteigert gedacht, die Deckung möglichst allen Bedarfs
b
[102]A: alles Bedarfs an
der Verwaltung durch Vergebung auf dem freien Markt. Mit Einschluß z. B. auch der Vergebung der Heeresanwerbung und „Ausbildung“ an private Unternehmer (wie die condottieri in der beginnenden Neuzeit es waren) und der Aufbringung aller Mittel durch Geldsteuern. Dies System setzt natürlich vollentwickelte Geldwirtschaft, ferner aber, rein verwaltungstechnisch, einen streng rationalen und präzis funktionierenden und das heißt: „bürokratischen“ Verwaltungsmechanismus voraus. Speziell gilt dies für die Besteuerung des beweglichen „Besitzes“, welche überall, und gerade in der „Demokratie“, eigenartigen Schwierigkeiten begegnet. Diese sind hier kurz zu erörtern, weil sie unter den gegebe[103]nen Bedingungen der abendländischen Zivilisation in hohem Maße an der Entwicklung des spezifisch modernen Kapitalismus mitbeteiligt waren. Jede Art von [A 192]Belastung des Besitzes als solchen ist überall, auch wo die Besitzlosen den Einfluß in Händen haben, an gewisse Schranken gebunden, wenn den Besitzenden das Ausscheiden aus der Gemeinschaft möglich ist. Das Maß dieser Möglichkeit hängt nicht nur, wie selbstverständlich, von dem Grade der Unentbehrlichkeit der Zugehörigkeit gerade zu dieser konkreten Gemeinschaft für sie ab, sondern ebenso von der durch die Eigenart des Besitzes bestimmten, ökonomischen Gebundenheit an eben jene Gemeinschaft. Innerhalb der anstaltsmäßigen Zwangsgemeinschaften, also in erster Linie der politischen Gebilde, sind alle Arten von gewinntragender Besitzverwertung, welche in besonders starkem Maße an Grundbesitz gebunden sind, spezifisch abwanderungsunfähig
c
[103]A: abwandrungsunfähig
, im Gegensatz zu den „beweglichen“, das heißt: den in Geld oder spezifisch leicht in Geld austauschbaren Gütern bestehenden, nicht ortsgebundenen Vermögen. Austritt und Abwanderung von besitzenden Schichten aus einer Gemeinschaft läßt nicht nur die Abgabelast der darin Verbleibenden stark anwachsen, sondern kann auch in einer auf dem Markttausch und namentlich auf dem Arbeitsmarkttausch ruhenden Gemeinschaft die unmittelbaren Erwerbschancen der Besitzlosen (namentlich ihre Arbeitsgelegenheit) so stark beeinträchtigen, daß sie um dieser unmittelbaren Wirkung willen auf den Versuch einer rücksichtslosen Heranziehung des Besitzes zu den Gemeinschaftslasten verzichten, ja ihn sogar ganz bewußt privilegieren. Ob dies geschieht[,] hängt von der ökonomischen Struktur der betreffenden Gemeinschaft ab. Für den attischen Demos, der in starkem Maß von Tributen der Untertanen lebte und unter einer Wirtschaftsordnung stand, für welche der Arbeitsmarkt im modernen Sinn des Wortes noch nicht die Klassenlage der Massen beherrschend bestimmte, traten die erwähnten Motive und Rücksichten hinter dem stärker wirkenden Anreiz direkter Auferlegung von Kontributionen auf den Besitz zurück. Unter modernen Verhältnissen ist es meist umgekehrt. Gerade solche Gemeinschaften, in welchen die Besitzlosen den maßgebenden Einfluß ausüben, ver[104]fahren heute nicht selten sehr schonsam gegen den Besitz. Speziell in den Händen sozialistischer Parteien befindliche Gemeinwesen, wie etwa die Stadt Catania, haben Fabriken durch weitgehende Privilegierung geradezu gezüchtet,
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[104] Dies bezieht sich auf die Munizipalisierungsbewegung in Italien, die um die Jahrhundertwende zahlreiche Kommunalbetriebe hervorbrachte. So wurde in Catania im Herbst 1902 eine Gemeindebäckerei gegründet, die innerhalb kürzester Zeit eine Monopolstellung erlang. Diese, mit einer täglichen Brotproduktion von 45–60 Tonnen wahrscheinlich „größte Bäckerei Europas“, mußte im August 1906 allerdings wieder schließen, da die Gemeinde aus sozialen Gründen Rücksicht auf die ehemaligen Beschäftigten des privaten Bäckergewerbes nehmen mußte und die Bäckerei selbst in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Darüber hinaus verstieß sie gegen ein Gesetz aus dem Jahre 1903, das italienischen Gemeindebetrieben eine Monopolstellung untersagte, Vgl. Michels-Lindner, Gisela, Geschichte der modernen Gemeindebetriebe in Italien (Schriften des Vereins für Socialpolitik, Band 130, Teil 2). – Leipzig: Duncker & Humblot 1909, S. 74–93.
weil die erhoffte Erweiterung der Arbeitsgelegenheit, also die unmittelbare Besserung ihrer Klassenlage, den Anhängern wichtiger war als die „gerechte“ Besitzverteilung und Besteuerung. Wohnungsvermieter, Baugeländebesitzer, Detaillisten, Handwerker pflegen trotz aller Interessengegensätze im Einzelfall ebenso zuerst an das nächstliegende, durch die Klassenlage direkt bestimmte Interesse zu denken, und alle Arten von „Merkantilismus“ sind daher eine bei allen Gattungen von Gemeinschaften verbreitete, im einzelnen sehr abwandlungsfähige und in den mannigfachsten Formen bestehende Erscheinung. Um so mehr als auch das Interesse an der Erhaltung der „Steuerkraft“ und an dem Vorhandensein von großen, zur Kreditgewährung fähigen Vermögen innerhalb der eigenen Gemeinschaft, den an der Machtstellung der Gemeinschaft als solcher andern Gemeinschaften gegenüber Interessierten, eine ähnliche Behandlung des irgendwie „beweglichen“ Besitzes aufnötigt. Der „bewegliche“ Besitz hat daher, selbst wo die Macht in einer Gemeinschaft in den Händen der Besitzlosen liegt, wenn nicht immer für direkte „merkantilistische“ Privilegierung, so doch für weitgehende Verschonung mit leiturgischer oder abgabemäßiger Belastung überall da eine weitgehende Chance, wo eine Vielzahl von Gemeinschaften, zwischen denen er für seine Ansiedelung die Wahl hat, miteinander konkurrieren, wie etwa die Einzelstaaten der amerikanischen Union – deren partikularistische Selbständigkeit der wesentliche Grund des Scheiterns aller ernstlichen Einigung der bedarfskapitalistischen Interessen ist – oder in be[105]schränktem, aber dennoch fühlbarem Maße, die Kommunen eines Landes oder schließlich die ganz und namentlich unabhängig nebeneinanderstehenden politischen Gebilde.
Im übrigen ist natürlich die Art der Lastenverteilung im stärksten Maße mitbestimmt einerseits durch die Machtlage der verschiedenen Gruppen innerhalb einer Gemeinschaft zueinander, andererseits durch die Art der Wirtschaftsordnung. Jedes [A 193]Anwachsen oder Vorwalten naturalwirtschaftlicher Bedarfsdeckung drängt zum Leiturgiesystem. So stammt das ägyptische Leiturgiesystem aus der Pharaonenzeit und ist die Entwicklung des spätrömischen Leiturgiestaats nach ägyptischem Muster durch den stark naturalwirtschaftlichen Charakter der Binnengebiete, welche einverleibt wurden und die relativ sinkende Bedeutung und Gewichtigkeit der kapitalistischen Schichten bedingt, welche ihrerseits wieder durch die den Steuerpächter und die Auswucherung der Untertanen ausschaltende Umwandlung der Herrschaftsstruktur und Verwaltung herbeigeführt wurde. Vorwaltender Einfluß des „beweglichen“ Besitzes führt umgekehrt überall zur Abwälzung der leiturgiemäßigen Deckung der Lasten seitens der Besitzenden und zu einem Leistungs- und Abgabensystem, welches die Massen belastet. An Stelle der leiturgisch nach dem Besitz abgestuften, auf Selbstausrüstung der vermögenden Bürger ruhenden Wehrpflicht trat in Rom die faktische Militärdienstfreiheit der Leute vom Ritterzensus
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[105] Die römische Bürgerschaft wurde zum Zweck der Besteuerung in Zensusktassen eingeteilt, wobei der Ritterzensus die zweithöchste Klasse war. Ursprünglich stellte die Ritterschaft die römische Reiterei, doch war sie kein einheitlicher Stand, da in ihr fast alle Berufsgruppen vertreten waren. Besonders häufig traten Ritter als Steuerpächter, im Offizierskorps und in der kaiserlichen Verwaltung in Erscheinung.
und das staatlich equipierte Proletarierheer, anderwärts das Soldheer, dessen Kosten durch Massenbesteuerung gedeckt wurden. An Stelle der Aufbringung des außerordentlichen Bedarfs durch Vermögenssteuer oder zinslose Zwangsanleihe, also leiturgisches Einstehen der Besitzenden für den Notbedarf der Gemeinschaftswirtschaft, tritt im Mittelalter überall die Deckung durch verzinsliche Anleihen, Verpfändung von Land, Zöllen und andern Abgaben, – also die Fruktifizierung des Notbedarfs der Gemeinschaftswirtschaft durch die Besitzenden als Gewinn- und Rentenquelle, ein Zustand, der zuweilen – so zeitweise in Genua – [106]fast den Charakter der Verwaltung der Stadt und ihrer Steuerkraft im Interesse der Staatsgläubigerinstitutionen an sich trägt.
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[106] Dies bezieht sich auf die 1407 in Genua gegründete St. Georgsbank. Nach der Konsolidierung der Staatsschulden, die sich auf über 47 Millionen Lire beliefen, sollte diese Institution die Wahrnehmung der Interessen der Staatsgläubiger übernehmen. Die Bank zahlte keine Zinsen, sondern eine Dividende, und finanzierte sich neben Bankgeschäften durch die Ausbeutung der Kolonien, deren Nutzeigentum ihr vom Staat übertragen wurde. Damit verfügte die St. Georgsbank über den Großteil der Staatseinnahmen und wurde zu einer Art Staatsbank, die bis 1816 bestand. Vgl. Goldschmidt, Levin, Handbuch des Handelsrechts, 1. Abt., Universalgeschichte des Handelsrechts, 1. Lieferung. – Stuttgart: Ferdinand Enke 1891, S. 296–298 (hinfort: Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts); vgl. auch unten, S. 154, Anm. 74.
Und endlich: die mit wachsendem politisch bedingtem Geldbedarf zunehmende Gesuchtheit des Kapitals seitens der verschiedenen miteinander um die Macht konkurrierenden, ihren Bedarf immer mehr geldwirtschaftlich deckenden, politischen Gebilde zu Beginn der Neuzeit führte
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[106]A: führten
damals jenes denkwürdige Bündnis zwischen den staatenbildenden Gewalten und den umworbenen und privilegierten Kapitalmächten herbei, welches zu den wichtigsten Geburtshelfern der modernen kapitalistischen Entwicklung gehörte und der Politik jener Epoche mit Recht den Namen der „merkantilistischen“ eingetragen hat. Obwohl es an sich, wie wir sahen,
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Vgl. oben, S. 104.
„Merkantilismus“ im Sinn der faktischen Schonung und Privilegierung des „beweglichen“ Besitzes überall und immer gab und auch heute gibt, wo überhaupt mehrere selbständige Zwangsgebilde nebeneinander stehen und mit den Mitteln der Steigerung der Steuerkraft und zur Kreditgewährung fähigen Kapitalkraft ihrer Mitglieder miteinander konkurrieren, in der Antike wie in der Neuzeit. Daß dieser „Merkantilismus“ in der beginnenden Neuzeit einen spezifischen Charakter annahm und spezifische Wirkungen hatte, war die Folge teils der später zu erörternden Eigenart der Herrschaftsstruktur
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Siehe WuG1, S. 744 (MWG I/22-4).
der konkurrierenden politischen Gebilde und ihrer Gemeinschaftswirtschaft, teils aber und namentlich der andersartigen Struktur des damals im Entstehen begriffenen modernen Kapitalismus gegenüber dem antiken, speziell der Entwicklung des dem Altertum unbekannten modernen Industriekapitalismus, dem [107]jene Privilegierung auf die Dauer besonders zugute kam. Jedenfalls aber blieb seitdem der Konkurrenzkampf großer, annähernd gleich starker, rein politischer Machtgebilde um politische Macht nach außen, wie bekannt, eine der wichtigsten spezifischen Triebkräfte jener Privilegierung des Kapitalismus, die damals entstand und, in anderer Form, bis heute anhält.
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[107] Textverderbnis; in A lautet der Satz: Jedenfalls aber blieb seitdem der Konkurrenzkampf großer, annähernd gleich starker, rein politischer Machtgebilde eine politische Macht nach außen und ist, wie bekannt, eine der wichtigsten spezifischen Triebkräfte jener Privilegierung des Kapitalismus, die damals entstand und, in anderer Form, bis heute anhält.
Weder die Handels- noch die Bankpolitik der modernen Staaten, also die am engsten mit den zentralen Interessen der heutigen Wirtschaftsform verknüpften Richtungen der Wirtschaftspolitik, sind nach Genesis und Verlauf ohne jene sehr eigenartige politische Konkurrenz- und „Gleichgewichts“-Situation der europäischen Staatenwelt des letzten halben Jahrtausends zu verstehen, welche schon Rankes Erstlingsschrift
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[107] Ranke, Geschichten der romanischen und germanischen Völker, S. III–VIII.
als das ihr welthistorisch Spezifische erkannt hat.