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Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

[747][Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht]

1.

[[A 196]]Verehrte Anwesende! Ich möchte Einiges sagen zu dem, was Herr Professor Tönnies ausgeführt hat.
1
[747] Im Anschluß an den Vortrag von Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht, eröffnete Ferdinand Tönnies die Diskussion (hinfort: Tönnies, Verhandlungen 1910, S. 192–196). Sein Diskussionsbeitrag ging dem von Weber unmittelbar voraus.
Er hat sich auf dem Gebiet, über das wir sprechen, in immerhin weitgehendem Maße als Anhänger der ökonomischen Geschichtsdeutung, wie wir statt materialistische Geschichtsauffassung sagen wollen, bekannt.
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Vgl. Tönnies, Verhandlungen 1910, S. 192: „Ich mache keinen Hehl daraus, daß ich der für meine Person dieser Auffassung [dem „,historische[n] Materialismus‘ oder der ,materialistische[n] Geschichtsauffassung‘“, Ed.] sehr nahestehe […]. In diesem Sinne glaube und behaupte ich nun, daß diejenigen Lehren, insbesondere diejenigen, die soziale Ideale ausprägen, in gewissem Sinne als Reflexe betrachtet werden müssen, als Ausstrahlungen eines tiefer liegenden Wollens […].“
Man wird seine Auffassung doch wohl im ganzen dahin resümieren können, mit einem modernen, oft gebrauchten[,] aber innerlich nicht ganz klaren Ausdruck, daß diejenigen religiösen Gegensätzlichkeiten, von denen hier die Rede gewesen ist in dem Vortrag, den wir hörten,
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Das Christentum prägt sich nach Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht, S. 170–174, soziologisch gesehen in den Typen Kirche, Sekte und Enthusiasmus oder Mystik aus.
„Exponenten“ irgendwelcher ökonomischer Gegensätze gewesen seien. Nun, meine Herren, es kann auch nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß die ökonomischen Verhältnisse, wie überall, so auch hier, weit eingreifen, und in seinen bekannten Arbeiten hat mein Kollege und Freund Troeltsch auch in der nachdrücklichsten Weise auf die ökonomischen Beziehungen und Bedingungen der Entwicklung religiöser Spezifika hingewiesen.
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Gemeint sind: Troeltsch, Protestantisches Christentum, und Troeltsch, Soziallehren I–III. Letztere waren als Aufsatzserie im „Archiv“ vom 26. Band (1908) bis zum 30. Band (1910) erschienen.
Aber man darf sich diese Entwicklung nicht so ganz einfach denken. Ich glaube, vielleicht in letzter Linie mit Tönnies vielfach einig [748]zu sein; aber bei dem, was er gesagt hat, lag doch in einigen seiner Bemerkungen ein Versuch
a
[748]A: Versuch,
einer allzu gradlinigen Konstruktion.
Professor Dr. Tönnies: Vorläufig!
Er hat insbesondere, wenn ich ihn recht verstanden habe, die Verwandtschaft der Sekten-Religiosität mit der Stadt betont.
5
[748] Vgl. Tönnies, Verhandlungen 1910, S. 194 f.
Nun, meine Herren, die erste spezifische Sekte, die Mustersekte sozusagen, der alle späteren eigentlichen Sekten in der Struktur entsprechen, die Sekte der Donatisten
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Auch Troeltsch, Soziallehren II, S. 399, Anm. 165, hatte den Donatismus als „Urtypus alles Sektentums“ bezeichnet und sich dabei auf Gustav Kawerau bezogen (Kawerau, Art. Sektenwesen in Deutschland, in: RE3, 18. Band, 1906, S. 157–166, S. 159). In seinem Vortrag (Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht, S. 172) wies er auf „Montanismus und Donatismus“ hin.
im Altertum, ist auf rein agrarischem Boden entstanden.
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Die Donatisten spalteten sich 311/12 von der karthaginiensischen Kirche in der Überzeugung ab, selbst die legitime nordafrikanische Kirche fortzusetzen (vgl. auch das Glossar, unten, S. 826). Als Hauptsitz der Donatisten galt die Provinz Numidien (vgl. Bonwetsch, Art. Donatismus, in: RE3, 4. Band, 1898, S. 788–798, S. 794; die ländlichen Gegenden Nordafrikas auch nach Weber, Soziale Gründe, MWG I/6, S. 114, und Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, S. 591).
Das Charakteristikum dieser Sekte, wie jeder Sekte, trat darin zutage, daß sie sich nicht damit begnügt, daß die christliche Kirche eine Art von Fideikommiß-Stiftung der Gnade sei, gleichgültig, welcher Mensch diese Gnade im Sakrament spendet, gleichgültig also, ob der Priester würdig ist oder nicht: er spendet eben magische Wunderwirkungen, über welche seine Anstalt verfügt, die ganz unabhängig davon sind, welcher Wert ihm als Individuum innewohnt. Hiergegen wendet sich der Donatismus und verlangt, daß der Priester, wenn er als Priester von seiner Gemeinde anerkannt werden soll, auch in seinem Wandel, in seiner Persönlichkeit eine Verkörperung voller religiöser Qualifikation sei.
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Weber könnte hier – ohne ihn zu nennen – Harnack folgen: Harnack, Adolf, Lehrbuch der Dogmengeschichte, 3. Band, 3., verb. und verm. Aufl. – Freiburg i. B., Leipzig, Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1897, S. 37–39 (dass., 4. Aufl., 3. Band, 1910, S. 39–41): „Die donatistische Partei […] fand in der cyprianischen Auffassung, dass der Bischof nur Bischof sei unter Voraussetzung einer gewissen christlich-sittlichen Qualität, sowie in dessen Vertheidigung der Ketzertaufe einen Halt, während die Gegenpartei, ebenfalls in der Consequenz cyprianischer Gedanken, den Amtscharakter des Episkopats und die objective Wirksamkeit des Sacraments so geltend machte, daß die persönliche Qualität des Amtsträgers resp. des Spenders gleichgiltig wurde“ (S. 37). Die Auseinandersetzungen mit den Donatisten lehrten die Kirche, sich als [749]eine Institution zu verstehen, deren „Heiligkeit und Wahrheit unverlierbar ist, mag es mit den Gliedern der Kirche noch so traurig bestellt sein“ (S. 39). – Bei Müller, Kirchengeschichte I, S. 176–179 und S. 249, markierte Weber entsprechende, gegenüber Harnacks Formulierungen allerdings weniger prägnante Stellen zum Donatismus; dasselbe gilt für Harnack, Adolf, Dogmengeschichte, 2., neu bearb. Aufl. – Freiburg i. B., Leipzig: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1893, S. 230 f. (die beiden letztgenannten Handexemplare Max Webers in der Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München).
Eine „Sekte“ [A 197]ist – wenn man sie von einer „Kirche“ [749]begrifflich scheiden will – eben nicht, wie diese, eine Anstalt, sondern eine Gemeinschaft von religiös Qualifizierten, sie ist die alle
b
[749]A: allen
zum Heil Berufene
c
A: berufene
und nur diese umfassende Gemeinde, die als unsichtbare Kirche, auch in den Gedanken Luthers und Calvins, Augustins, existiert, aber nun hier, bei der Sekte, ins sichtbare übersetzt wird.
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Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 384–350, sowie Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 454–458.
Alles, was später an Sekten entstanden ist, knüpft in den entscheidenden Punkten, in dem Verlangen der Reinheit, der ecclesia pura, der Gemeinschaft nur von solchen Gliedern, die nach Art
d
In A folgt: der
ihres Wandels und ihrer Lebensformen nicht offensichtlich die Zeichen der göttlichen Verwerfung an sich tragen, daran an
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Vgl. auch Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 272 f. und 357, sowie Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 449; die Bezeichnung „ecclesia pura“ („reine Kirche“) auch bei Weber, Antikritisches Schlußwort, oben, S. 717.
– während dagegen die Kirchen ihr Licht scheinen lassen über Gerechte und Ungerechte,
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Nach Mt 5,45 [1892]: „Auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel; denn er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten, und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Weber ersetzt den „Vater im Himmel“ durch „die Kirchen“. Dasselbe auch in Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 449.
nach der calvinistischen und der katholischen so gut wie nach der lutherischen Lehre, denn z. B. auch nach der calvinistischen Lehre mit ihrem Prädestinationsglauben ist es Aufgabe der Kirche, auch die unwiderruflich von Ewigkeit her Verdammten äußerlich unter ihre Fuchtel zu zwingen, – zu Gottes Ruhme.
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Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 298 und S. 312, Fn. 78 mit Anm. 26.
Jene „Sekten“-form der Gemeinschaftsbildung aber findet sich, wie gesagt,
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Siehe oben, S. 748.
zum erstenmal außerhalb der Städte.
Nun, wie steht es denn außerhalb des Altertums? Da hat Professor Tönnies die Einfachheit der Zustände des agrarischen Mittelalters verantwortlich gemacht für die Art der Entwicklung des mit[750]telalterlichen Christentums und hat hervorgehoben, daß auf dem Boden der Städte die Kirchenauffassung – ich vereinfache das, was er gesagt hat, wohl mit seiner Zustimmung etwas, ohne es, glaube ich, zu verfälschen – durchlöchert wurde, teils zugunsten eines rein weltlichen oder wenigstens zur reinen Weltlichkeit sich entwickelnden Rationalismus, teils zugunsten des Sektenprinzips.
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[750] Vgl. Tönnies, Verhandlungen 1910, S. 194 f. Nach Tönnies ist es die „bürgerliche Lehre“, die als „die eigentliche Wurzel“ den „Willen der Menschen“ betrachte, der „dem Naturrecht der Sekte und dem rationalistischen Naturrecht gemeinsam“ sei; Sekte und Rationalismus seien von Anfang an „rebellisch“ und revoltierten gegen die Kirche und ihre theologische Auffassung der weltlichen Gewalt (S. 194). Der Bürger habe gegenüber der vom Evangelium gelehrten „Ehrfurcht vor der Obrigkeit“, die „dem Bauer in Fleisch und Blut lebt“, durch die städtische Verfassung des Mittelalters das Bewußtsein: „diese Stadt und ihr Recht, das ist meine Hütte, die habe ich geschaffen“ (S. 195).
Demgegenüber ist doch festzustellen, daß die Machtstellung des Papsttums grade, und keineswegs nur politisch, auf den Städten ruhte. Im Gegensatz zu den Feudalgewalten standen die Städte Italiens zum Papst. Die Zünfte Italiens waren das katholischste, was es überhaupt gegeben hat in der Zeit der großen Kämpfe.
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Die von wirtschaftlichen Interessen geleiteten Zünfte, wie z. B. die Florentiner Arte di Calimala (Tuchkaufleute, darunter auch durch den Tuchhandel reich gewordene Bankiers), waren während der Kämpfe der mittelalterlichen Universalmächte Kaiser und Papst um die Vorherrschaft mit dem Papst verbunden, weil er über Machtmittel verfügte (Exkommunikation, Bann und Interdikt gegen ganze Städte), mit denen er sie hätte schädigen können. Anschaulich etwa bei Davidsohn, Robert, Geschichte von Florenz, 2. Band, 1. Teil. – Berlin: Siegfried Mittler 1908, S. 551–555 (für das Jahr 1263); dass. 2. Band, 2. Teil, ebd., 1908, S. 212–215 (mit Einsetzung des Priorien-Regiments für 1282). Für den Verzicht, diese Machtmittel einzusetzen, gewährte man dem Papst Darlehen für seinen Kampf und half ihm bei der Einziehung des Kreuzzugszehnten.
Der heilige Thomas und die Bettelorden waren gar nicht möglich auf einem anderen Boden als auf dem der Städte, denn gerade weil sie vom Bettel leben, können sie nicht vom
e
[750]A: von
Bauern leben, der den Bettler zur Türe hinausweist.
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Thomas von Aquin war Dominikaner und gehörte somit einem Bettelorden an. Die Anfang des 13. Jahrhunderts entstandenen und vorzugsweise in den Städten angesiedelten Bettelorden verzichteten auf Eigentum, Besitz und Geld des einzelnen wie des gesamten Ordens (Franziskaner), verboten Handarbeit, Grundbesitz und feste Einkünfte (Dominikaner). Für ihren Lebensunterhalt waren sie ursprünglich auf Almosen und Spenden angewiesen. Vgl. dazu Müller, Kirchengeschichte I, S. 565–570 (das Kapitel enthält Randmarkierungen Max Webers im Handexemplar, Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München), bes. S. 569 f. Nach Maurenbrecher, Thomas von [751]Aquino, sah Thomas von Aquin darum auch die „Stadt als vollkommene Wirtschaftseinheit“ (vgl. S. 38–51) und schätzte die bäuerliche Landbevölkerung nur gering (vgl. S. 72 f.); dazu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 195, Fn. 45 mit Anm. 85.
[751]Professor Dr. Tönnies: Sie revoltierten gegen den Benediktinerorden.
Gewiß, aber vom Boden der Städte aus.
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Weber argumentiert hier gegen den Einwand von Tönnies. Der Benediktinerorden war durch Schenkungen an seine meist ländlichen, abgelegenen Abteien und Klöster teilweise zu großem Grundbesitz gelangt. Aus den daraus entstandenen Verflechtungen in das mittelalterliche feudale System suchten ihn die Reformen der Cluniazenser und der Zisterzienser zu befreien. Die Laien um Franz von Assisi orientierten sich am apostolischen Armutsideal, führten als Bußbrüderschaft ein unstetes Wanderleben und widmeten sich vorrangig karitativen Tätigkeiten sowie der Laienpredigt. Unter kurialem Einfluß und durch die Gründung von städtischen Niederlassungen wandelten sich die Franziskaner bis 1223 in einen kirchlich mit Predigt- und Seelsorgeprivilegien ausgestatteten Bettelorden, der die neue Frömmigkeit der städtischen Laien an die Kirche zu binden suchte. Nach Müller, Kirchengeschichte I, bes. S. 565–570.
Der hochgespannteste Kirchengedanke sowohl wie der Sektengedanke, alle beiden höchsten Formen der Religiosität, sind erst auf dem Boden der Städte im Mittelalter …
Professor Dr. Tönnies (den Redner unterbrechend): Die Franziskaner haben sehr bedeutende Beziehungen zu den Sekten!
Zweifellos, das ist gar keine Frage;
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Hier dürften die frühen Franziskaner gemeint sein (vgl. auch vorherige Anm.), die durch ihr Leben in apostolischer Armut anderen, im 12. Jahrhundert entstandenen Bewegungen, z. B. den Waldensern, ähnlich waren. Auf die Anfänge hatte auch Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht, S. 172, hingewiesen: „Einen Teil ihrer [der Sekte] Motive hat der Katholizismus in sich selbst aufgenommen, indem das Mönchswesen teilweise das Sektenideal verkirchlicht. Das Franziskanertum insbesondere war ursprünglich ein Ableger des Sektentypus und hat mit seiner gewaltsamen Verkirchlichung auch seinen ursprünglichen Charakter verloren.“
aber die Dominikaner nicht,
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Dominikus war anders als Franz von Assisi ein kirchlicher Würdenträger (Domherr und Subprior des Domstifts zu Osma in Kastilien), bevor er sich zusammen mit anderen der Bekehrung der als Häretiker gebannten Katharer in Südfrankreich widmete.
und ich konstatiere hier ja lediglich, daß überhaupt die volle, auch grade die kirchliche, Christianisierung des Mittelalters erst durchgeführt worden ist, nachdem es Städte gab, und daß sowohl die Form der Kirche und ihres Naturrechts wie die Form der Sekte und des ihrigen ihre Blüte erst auf dem Boden der Städte gefunden haben. Ich würde also nicht zugeben, daß hier eine prinzipielle Unterscheidung zu machen sei. Ich würde das auch für später nicht zugeben. Es ist unendlich oft der Gedanke [A 198]vertreten worden, daß der Protestantismus eigentlich die Form sei, in der sich die christliche Religiosität der modernen Geldwirtschaft angepaßt habe.
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Dazu die Einleitung, oben, S. 26 ff.
[752]Ganz ebenso, wie man sich eingebildet hat, daß die Rezeption des römischen Rechts erst durch moderne geldwirtschaftliche Verhältnisse herbeigeführt worden wäre.
f
[752] In A folgt der Protokollzusatz: (Zwischenruf).
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[752] Über die – sozialen oder wirtschaftlichen – Gründe für die Rezeption des römischen Rechts wurde im 19. Jahrhunderts kontrovers diskutiert, vgl. den Literaturüberblick von Below, Georg v., Die Ursachen der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland (Historische Bibliothek, 19. Band). – München: Oldenbourg 1905, S. 1–33. Als dezidierten Verfechter der These von der „Geldwirtschaft“ nennt v. Below den Rechtswissenschaftler Wilhelm Arnold (im Anschluß an Friedrich Carl von Savigny und Otto Stobbe), ebd., S. 10–13.
Es steht felsenfest demgegenüber, daß ausnahmslos alle spezifisch kapitalistischen Rechtsformen der modernen Zeit mittelalterlichen, zum großen Teil direkt germanischen, Ursprungs und dem römischen Rechte völlig unbekannt sind, und es steht ferner fest, daß die Reformation erstmalig von Gegenden aus in Bewegung gesetzt worden ist, die in ökonomischer Beziehung hinter Italien, hinter Florenz usw. unendlich weit zurückstanden. Auch alle Sekten, auch die täuferischen Sekten z. B. haben sich grade auf dem Boden z. B. von Friesland und auf agrarischem Boden besonders gut entwickelt.
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Zu den täuferischen Sekten (Mennoniten) in Friesland vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 481, Fn. 3 mit Anm. 23, auch Weber, Antikritisches Schlußwort, oben, S. 695 mit Anm. 11a.
Sie werden ja gleich sehen,
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Siehe unten, S. 752 f.
wie weit trotzdem wir beide übereinstimmen. Nur das – und das werden Sie vielleicht auch gar nicht bestreiten, was ich dagegen sage – nur das wende ich ja ein: es darf nicht dem nachgegeben werden, der Ansicht, die immerhin indirekt und wohl gegen Ihre Absicht aus Ihren Worten geschlossen werden könnte, als ob man die religiöse Entwicklung als Reflex von irgend etwas anderem, von irgendwelchen ökonomischen Situationen betrachten könnte. Das ist meiner Meinung nach unbedingt nicht der Fall. Will man sich klar machen, wie sich ökonomische und
g
In A folgt: wie sich
religiöse Dinge zu einander verhalten, so wird man etwa an folgendes erinnern dürfen.
Wie sich Herr Professor Tönnies erinnern wird, war in Schottland und ebenso auch in Frankreich der Adel – in Schottland ganz, in Frankreich hervorragend – der Führer der calvinistisch-hugenottischen Revolte. Und so ist es überall. Die Kirchenspaltung geht senkrecht und vertikal durch die Ständeschichtung der Zeit des [753]16. Jahrhunderts hindurch, sie umfaßt Personen von den obersten bis zu den untersten Schichten der Bevölkerung hinab. Aber im weiteren Verlauf der Entwicklung ändert sich das. Es ist ganz gewiß kein Zufall und hat selbstverständlich auch ökonomische Gründe, daß der schottische Adel in den Schoß der Episkopalkirche zurückgekehrt ist, und daß umgekehrt das schottische Bürgertum in die schottische Freikirche ausgemündet ist.
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[753] Seit der Reformation der Church of Scotland (1560) kämpften die Anhänger einer presbyterianischen gegen die einer bischöflichen Kirchenverfassung. Erstere, die eine weitreichende Unabhängigkeit vom Staat vorsah, konnte erst mit dem Ende der Stuart-Herrschaft 1688 endgültig Gestalt gewinnen. Zuvor hatte die Monarchie zeitweise zur Stärkung ihrer Autorität eine bischöfliche Verfassung durchgesetzt, die auch ihre Parteigänger, zum Großteil Adlige, bevorzugten. Zur Entstehung der Free Church of Scotland 1843 kam es, weil man wegen der Parlamentsreformgesetze von 1832 eine Einschränkung der geistlichen Unabhängigkeit befürchtete. Etwa ein Drittel der staatskirchlichen Geistlichen schloß sich ihr an. – Die Episkopalisten hatten sich nach 1688 zu eigenen hochkirchlichen Gottesdiensten versammelt; Ende des 19. Jahrhunderts schlossen sie sich der anglikanischen Kirchengemeinschaft an. – Vgl. Sack, Karl Heinrich, Die Kirche von Schottland. Beiträge zu deren Geschichte und Beschreibung, 1. Theil. – Heidelberg: Karl Winter 1844.
Es ist kein Zufall, daß der französische Adel je länger je mehr die Fahne des Hugenottismus verließ, und daß das, was an Hugenottismus in Frankreich weiter verblieb, zunehmend bürgerlichen Charakters war. Aber auch das ist nicht so zu verstehen, daß das Bürgertum, als solches, aus ökonomischen Gründen, aus sich die betreffende Religiosität entwickelt habe. Umgekehrt! Das Bürgertum, das in Schottland geprägt wurde, hat z. B. John Keats als ein Produkt der dortigen Kirchenmänner bezeichnet.
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Zur Äußerung von John Keats vgl. Weber, Antikritisches Schlußwort, oben, S. 732 f., Fn. 25a mit Anm. 89.
Und für Frankreich hat z. B. Voltaire das Richtige recht gut gewußt.
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In einer sehr ähnlichen Formulierung steht „Colbert“ statt „Voltaire“ bei Weber, Antikritisches Schlußwort, oben, S. 690. – Voltaire empfand gegenüber den Hugenotten große Abneigung. Aber auch er berichtet, daß Frankreich Gewerbefleiß und Aufschwung im Handel in erster Linie dem Einsatz der Hugenotten durch Colbert verdanke. Mit Aufhebung des Ediktes von Nantes 1685 und der Emigration von ca. 500 000 Hugenotten seien ihre Künste, Handwerke und ihr Reichtum dem Ausland zugute und Frankreich abhanden gekommen. Vgl. Voltaire, Siècle de Louis XIV [II], p. 1–38, bes. p. 22 und 29.
Kurzum, auch hierin wäre es gänzlich irrig – und nur dagegen wende ich mich –, wollte man eine einseitig ökonomische Deutung geben, auch nur in dem Sinne, daß das Ökonomische Hauptursache sei, oder gar: daß es sich nur um Reflexe des Ökonomischen oder Derartiges handle.
[754]Nun möchte ich zu dem Vortrag von Professor Troeltsch noch einiges direkt sagen.
Zunächst die verschiedenen Typen, die er uns vorgeführt hat.
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[754] Zu den drei Typen Kirche, Sekte, Mystik vgl. Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht, S. 170–174.
Von denen muß man sich nun gegenwärtig halten, das versteht sich eigentlich von selbst, daß sie sich gegenseitig in hohem Maße durch[A 199]dringen. So ist z. B. der Calvinismus eine Kirche, die eigentlich kraft ihrer dogmatischen Unterlagen auf die Dauer keine Kirche bleiben kann. Denn wenn durch ein Dekret Gottes vor Erschaffung der Welt für alle Zukunft der eine Mensch zur Hölle, der andere zum Himmel bestimmt war,
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Vgl. dazu Webers Zitate aus der „Westminster confession“ (1647), bes. Kapitel 3: „Von Gottes ewigem Ratschluß“: Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 252 f.
so mußte man eigentlich schließlich zu der Frage kommen, die Calvin selbst ablehnt: ob man dem Menschen denn nicht es ansehen könne, wozu er bestimmt war, ob er so oder so prädestiniert ist?
29
Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 274, Fn. 27.
Und es mußte ferner die Vorstellung erweckt werden: wozu der Eingriff der Staatsgewalt und kirchlichen Disziplin? die helfen ja dem Menschen, der zur Hölle verurteilt ist, absolut gar nichts. Gott hat den Menschen vor so und so viel tausend Jahren, gleichviel was er tut und was er ist, dazu bestimmt: er kommt zur Hölle und wird verbrannt, da ist nichts zu machen. Wozu also irgend welche Apparate, wie sie die Kirche im Gegensatz zur Sekte besitzt, überhaupt in Bewegung setzen! Das ist in der Tat – ich vereinfache die Dinge wieder – vielfach eingetreten, und die kolossale Expansion des am Prädestinationsglauben hängenden Baptismus in England, der ein starker Träger der Cromwellschen Bewegung ist,
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1644 soll es in London sieben Gemeinden der später so genannten Particular Baptists gegeben haben (vgl. Weber, Protestantische Ethik II, S. 346, Fn. 122, Anm. 87), die 1644 und 1646 eine die calvinistische Prädestinationslehre enthaltende „Confession of Faith“ formulierten. Nach Neal, Puritans V, erhielten die Baptisten nach 1649 im ganzen Land enormen Zulauf, waren in Cromwells Armee stark vertreten und konnten – wie Praisegod Barebone – öffentliche Ämter übernehmen (vgl. p. 124, p. 153–158). Ihre Gesinnung bildete die Majorität des von Cromwell einberufenen Parlaments von 1653. – Nach dem Bericht „Erster Deutscher Soziologentag“ in der „Frankfurter Zeitung“ (wie oben, S. 742 f., Anm. 10) hatte Weber in diesem Zusammenhang „die Ablehnung des stehenden Heeres in England, die auf das siegreiche Revolutionsheer Cromwells zurückgeht“, als direkte Wirkung der Prädestinationslehre geltend gemacht.
und ebenso der Zustand, daß beispielsweise in Neu-England nur diejenigen die Kirche [755]beherrschen, deren äußerer Wandel wenigstens die Möglichkeit einschließt, daß sie nicht zu den Verworfenen gehören, zeugten
h
[755]A: zeugt
davon. Das ging so weit, daß die anderen, die nicht dieses äußere Zeichen an sich tragen, und die man deshalb nicht zum Abendmahl zuließ, weil das zur Unehre Gottes gereicht hätte, auch nicht zur Taufe ihrer Kinder zugelassen werden durften.
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[755] Vgl. Weber, Antikritisches Schlußwort, oben, S. 717.
Nun spielt ferner – das möchte ich ergänzend hinzufügen – eine wichtige Sonderrolle die griechische Kirche.
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Gemeint ist die Kirche des griechisch-byzantinischen Kulturraums, deren einzelne autokephale Nationalkirchen man heute amtlich als „orthodoxe Kirchen“ bezeichnet; darunter auch die russische Kirche, die 1448 volle Selbständigkeit erlangte.
Sie läßt sich nicht so ganz ohne weiteres einrangieren. Meine Herren, Rußland befand sich vor drei Jahrzehnten, und noch mehr natürlich bis zur Aufhebung der Leibeigenschaft,
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Durch Zar Alexander II. am 3. März 1861 (nach julianischem Kalender am 19. Februar 1861).
staatlich und organisatorisch ungefähr in dem Zustande des Reiches Diokletians,
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Diokletian steht bei Weber für einen umfassenden Staatsumbau des spätrömischen Reiches. Ähnlich Weber, Demokratie in Rußland, MWG I/10, S. 110.
obwohl die Kulturverhältnisse, in vieler Hinsicht auch die ökonomischen Verhältnisse zum Teil wesentlich anders waren. Das russische Christentum war und ist noch heute in seinen spezifischen Typen in hohem Maße antikes Christentum. Wenn man nun eine autoritäre Kirche vor sich sieht, so fragt man sie zunächst darnach ab: wo ist diejenige Instanz, in der die letzte infallible Gewalt ruht, die also darüber befinden kann, ob jemand zur Kirche gehört oder nicht, ob eine Kirchenlehre dogmatisch korrekt ist oder nicht? und so weiter. Wir wissen, daß das in der katholischen Kirche heute nach langen Kämpfen der Papst allein ist;
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Weber meint das Dogma der Unfehlbarkeit (Infallibilität) des päpstlichen Lehramts bei Entscheidungen in Glaubens- und Sittenfragen. Es wurde zusammen mit dem Jurisdiktionsprimat des Papstes in Fragen der Kirchenordnung am 18. Juli 1870 auf dem 1. Vatikanischen Konzil verabschiedet. Vgl. Weber, Antikritisches Schlußwort, oben, S. 673, Fn. 3 mit Anm. 79.
wir wissen, daß es in der lutherischen Kirche das „Wort“, die Schrift, ist, und diejenigen, die von Amts wegen dazu berufen sind, es auszulegen, und nur diese.
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Im Luthertum wird nicht die Schrift durch die Kirche autorisiert, sondern diese begründet die Kirche (Luther: „Ecclesia enim creatura est Euangelii“, WA 2, 430,6 f.). Das „Amt“ ist nach der Augsburger Konfession, Art. V, gegenüber dem allgemeinen Priestertum der Gläubigen insofern hervorgehoben, als sich die Gemeinde der Predigt [756](und den Sakramenten) verdankt; aufgrund seines öffentlichen Charakters sei mit ihm eine besondere Verantwortung verbunden.
[756]Fragen wir nun die griechische Kirche darnach ab, wer denn bei ihr diese Instanz darstellt, so lautet die offizielle Antwort, wie sie namentlich Chomjakoff schon interpretiert hat: die in Liebe verbundene Gemeinschaft der Kirche.
37
Als Papst Pius IX. mit der Enzyklika „In suprema Petri apostoli sede“ vom 6. Januar 1848 die orthodoxen Kirchen aufrief, sich wieder in die katholische Kirche einzugliedern, antworteten die Patriarchen (und Hierarchen) des Ostens (nach Chomjakow), daß „,die Unfehlbarkeit einzig und allein in der Allgemeinheit der durch gegenseitige Liebe vereinten Kirche beruhe, und daß die Unwandelbarkeit des Dogmas, sowie die Reinheit des Ritus dem Schutze nicht irgend welcher Hierarchie anvertraut sei, sondern dem Schutze des gesammten kirchlichen Volkes, welches der Leib Christi ist‘“. Chomjakow, Einige Worte eines orthodoxen Christen über die abendländischen Glaubensbekenntnisse. Aus dem Französischen [1853]. – Bautzen: J. E. Schmaler 1856, Zitat S. 23.
Und hier zeigt sich, daß, während die calvinistische Kirche mit Sektentum durchsetzt ist, die griechische Kirche in hohem Grade durch einen sehr spezifischen, antiken Mystizismus durchsetzt ist. Es lebt in der orthodoxen Kirche ein spezifisch mystischer, auf dem Boden des Ostens unverlierbarer Glaube, daß Bruderliebe, Nächstenliebe, jene eigentümlichen, uns so blaß anmutenden menschlichen Beziehungen, welche die großen Erlösungsreligionen
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Gemeint sind hier die Religionen mit starken „weltüberwindenden“ Jenseitserwartungen (im Christentum: das kommende, vollkommene Gottesreich), die in der Nächsten- oder Bruderliebe die Erfüllung des Willens Gottes für das irdische Dasein sehen und auf jegliche Sozialreformen verzichten. Vgl. (zum Urchristentum) Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, S. 597, mit Bezug auf Troeltsch, Soziallehren I, zum Begriff bes. S. 39–41, Anm. 24, dazu S. 46 f. (Sein eigenes Konzept der Erlösungsreligionen entfaltete Weber erst später.)
verklärt
i
[756]A: erklärt
haben, einen Weg bilden nicht etwa nur zu irgend welchen sozialen Effekten – die sind ganz nebensächlich, – sondern [A 200]zur Erkenntnis des Weltsinns, zu einer mystischen Beziehung zu Gott. Es ist von Tolstoj bekannt, wie er sich mit diesem mystischen Glauben auseinandergesetzt hat. Wenn Sie aber überhaupt die russische Literatur, grade die ganz große, verstehen wollen, so müssen Sie immer berücksichtigen, daß das einer der Untergründe ist, auf den sich alles aufbaut. Wenn man russische Romane liest, z. B. „Die Brüder Karamasow“ von Dostojewskij, oder „Krieg und Frieden“ von Tolstoj
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Vgl. die deutschen Übersetzungen: Dostojewsky, Brüder Karamasow; Max Webers [757]Handexemplar dieser Ausgabe enthält Randmarkierungen (Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München), und Tolstoj, Krieg und Frieden I–IV; zu Max Webers Beschäftigung mit Tolstoi vgl. den Editorischen Bericht, oben, S. 744.
oder etwas ähnliches, so hat man zunächst den Eindruck vollster Sinnlosigkeit [757]des Geschehens, ein sinnloses Durcheinander von Leidenschaften. Dieser Effekt ist absolut nicht zufällig, er rührt auch nicht nur daher, daß diese Romane durchweg für Zeitungen geschrieben wurden und, wie sie angefangen wurden zu schreiben, der Autor noch keine Ahnung hatte, wie sie endigen würden,
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Dostojewskjs Roman „Die Brüder Karamasow“ (russ. Brat’ja Karamazovy), mit dem er Anfang 1878 begann, wurde von Januar 1879 bis November 1880 in der Zeitung „Russkij vestnik“ veröffentlicht, bevor er 1881 als Buch erschien. – Tolstoi arbeitete an „Krieg und Frieden“ (russ. Vojna i mir) von 1863 bis 1869 und veröffentlichte die ersten Stücke in der „Russkij vestnik“, bevor die ersten vier von sechs Bänden seit 1867 unter dem dann erst feststehenden Titel im Buchhandel erschienen.
– denn das war bei Dumas z. B. ebenso der Fall –,
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So erschienen z. B. die bekanntesten Romane von Alexandre Dumas „Le comte de Monte-Cristo“ in Fortsetzung im „Journal des débats“ (1845/46) und „Les trois mousquetaires“ im Feuilleton von „Le Siècle“ (1844).
sondern es hat seinen Grund in der geheimen Überzeugung von der tatsächlichen Sinnlosigkeit dieses politisch, sozial, ethisch, literarisch, künstlerisch, familiär geformten Lebens gegenüber dem Untergrund, der sich darunter ausbreitet, und der in den spezifischsten Gestalten, die die russische Literatur aufweist, verkörpert ist, die aber deshalb für uns so außerordentlich schwer greifbar sind, weil sie auf dem einfachen[,] ganz antik christlichen Gedanken ruhen, daß dasjenige, was Baudelaire die „heilige Prostitution der Seele“ nennt:
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„Und was die Menschen Liebe nennen, ist klein, ist winzig und schwach im Vergleich zu dieser unbeschreiblichen Orgie, dieser heiligen Prostitution der Seele, die sich in Hochherzigkeit und Mitleid ganz hingibt dem, der sich ihr unvermutet zeigt, dem Unbekannten, der vorüberstreift.“ Baudelaire, Kleine Dichtungen in Prosa, S. 135 (aus: XII. Die Menge).
die Liebe zum Nächsten, das heißt zum Beliebigen, gleichviel wer der sei, zum Nächstenbesten also, daß diese amorphe, ungeformte Liebesbeziehung es sei, die den Zugang zu den Pforten des Ewigen, Zeitlosen, Göttlichen verleihe. Die künstlerische Einheit, die wir zu vermissen pflegen an diesen Produktionen der russischen Literatur, das formende Prinzip ihrer größten Werke, liegt sozusagen auf der Reversseite dessen, was man zu lesen bekommt, es liegt in der Gravitation nach den seelischen Antipoden der handelnden Menschen, deren Aktion sich da sichtbar auf der Bühne der Welt abspielt. Und das ist ein Produkt russischer Religiosität. Auf diesem akosmistischen Grundzug aller russischen Religiosität ruht aber auch ein [758]spezifisches Naturrecht, – jenes, welches Sie in den russischen Sekten und auch bei Tolstoj ausgeprägt finden, und welches freilich daneben auch durch den Fortbestand des Agrarkommunismus, der die Bauern noch an das göttliche Recht weist für die Regulierung ihrer
j
[758]A: seiner
sozialen Interessen, gestützt wird. – Ich kann das jetzt nicht eingehend ausführen. Aber alle Grundideale von Leuten wie Wl[adimir] Solowjew gehen auf jene Basis zurück. Auf ihr ruht namentlich auch Solowjew’s spezifischer Kirchenbegriff,
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[758] Solov’evs Religionsphilosophie beruht auf der Liebe Gottes zu den Menschen und der gegenseitigen Bruderliebe. Ziel sei die „Vergöttlichung des Menschen“. Dieser Prozeß vollziehe sich in und durch die Kirche, wo die Liebe mystisch erfahren und praktiziert werde. Dabei hatte er eine Universalkirche, die sich nach ökumenischen, überkonfessionellen Gesichtspunkten gestalte, vor Augen. Unter den vielen in Frage kommenden Schriften könnte sich Weber mit Solov’evs „Vorlesungen über das Gottmenschentum“ (1877–1881) nach der russischen Gesamtausgabe (Čtenija o Bogočelovečstve, in: Solov’ev, Vladimir Sergeevič, Sobranie sočinenij, tom III. – St. Peterburg: Tovariščestvo Obščestvennaja Pol’za o. J. [ca. 1901–1903]) beschäftigt haben, ferner mit Solov’evs Schrift „Die geistlichen Grundlagen des Lebens“ (1882–1884) (Duchovnye osnovy žizni, in: ebd., tom III). Diese lag außerdem in deutscher Übersetzung vor. Ihr 2. Kapitel des II. Teils handelt „Von der Kirche“ (Solowieff, Wladimir, Die religiösen Grundlagen des Lebens. Autorisierte Uebersetzung […] mit einem Vorwort des Herausgebers N. Hoffmann. – Leipzig: Oswald Mutze 1907, S. 109–139).
der – in Tönnies’ Sinn – auf „Gemeinschaft“, nicht auf „Gesellschaft“ fußt.
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Gemeint ist: Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft; vgl. dazu Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 455 mit Anm. 74.
Ich möchte, der Zeit entsprechend kurz, noch auf eins hinweisen. Der Vortrag des Kollegen Troeltsch hat die Gegensätze zwischen Kirche, Sekte, Mystik und ihr Verhältnis zur Welt, zum Naturrecht usw. selbstverständlich konstruktiv behandelt und behandeln müssen. Aber das Berechtigte dieses Verfahrens beruht darin, daß, wenn man einen Sektierer über diejenigen Gedankengänge, die ihn zum Sektierer machen, fragt, er letztlich in das ausmünden wird – wie unklar er es auch ausdrücke –[,] was wir heute vom Kollegen Troeltsch erfahren haben, und wenn man ein Mitglied der katholischen Kirche letzthin fragt, warum er Mitglied dieser Kirche ist und kein Sektierer, er dann ebenfalls letztlich auf diese Gedanken geführt wird. Und Sie können den Beweis mit Händen greifen, Sie können [A 201]ihn greifen, wenn Sie finden, daß der Freiherr v. Hertling seinen Glaubensgenossen versichert: ob die Bibel so oder so her[759]gestellt ist, was mit ihr historisch passiert ist, ist gleichgültig, denn die Kirche als göttliche Fideikommiß-Stiftung sagt uns, daß das, was in der Bibel steht, gleichviel, wer es geschrieben hat und wie es hergegangen ist, göttliche Norm ist, göttliche Wahrheit ist.
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[759] Z. B. in der von Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 124, Fn. 2, zitierten Schrift von Hertling, Prinzip des Katholizismus, S. 14 f.: „Besäßen wir als äußeres Zeugniß der Offenbarung nur den Text der Heiligen Schrift, so hätten wir zu gewärtigen, daß der Inhalt unseres Glaubens durch die schwankenden Ergebnisse der Bibelkritik beeinflußt würde. […] Nach unserer Auffassung ist die Kirche älter wie die heiligen Schriften, aus ihrer Hand entnehmen wir diese letztern, sie verbürgt ihre Glaubwürdigkeit, und gegenüber den Gefahren der handschriftlichen Überlieferung, gegenüber den Umgestaltungen des Wortlautes bei dem Übergange in alle Sprachen der Erde ist uns die Kirche die allein zuverlässige Auslegerin des Sinnes und der Tragweite aller einzelnen Aussprüche.“
Hätten wir die Kirche nicht, die Bibel der Protestanten hülfe uns gar nichts.
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Vgl. dazu oben, S. 755 f. mit Anm. 36.
Da, in ihrer letzten Konsequenz, entsprechen sich offensichtlich diese Auffassung von der Kirche und die, die uns vorgetragen ist, und deshalb habe ich hier einigen möglichen Einwänden gegen den Vortrag: daß nämlich diese Gedankengänge nicht in jedem Anhänger in Kirche oder Sekte bewußt leben, vorgreifen zu sollen geglaubt.
Ich will schließlich nur noch auf eins hinweisen. Wenn man die naturrechtliche Lehre vom Standpunkt der Kirche, der Sekte usw. so analysiert wie Troeltsch, so ist natürlich nicht gesagt, daß nun diese Lehre nicht vielleicht praktische Folgen für das Verhalten gezeitigt hätte, die uns ihrerseits als gänzlich heterogen gegenüber dem eignen Inhalt dieser kirchlichen Lehre erschienen. Das Prinzip der Irrationalität und Wertdiskongruenz zwischen Ursache und Wirkung besteht soweit, daß eine Lehre wie die des sektiererischen Protestantismus, des Calvinismus, Pietismus, die es am eifrigsten verdammt, wenn man sich Schätze auf Erden sammelt,
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Nach Mt 6,19 [1892]: „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen, und da die Diebe nachgraben und stehlen.“
vermöge der psychologischen Motive, welche diese Lehre in Bewegung setzte, dazu führte, daß grade diese selben Leute diejenigen waren, die mit zu den großen Trägern der modernen kapitalistischen Entwicklung gehört haben, – weil noch schärfer als das Aufsammeln von Schätzen auf Erden der Verbrauch für den eigenen Genuß verdammt wurde und folglich nichts anderes als eine immer neue Verwertung dieser Schätze für kapitalistische Zwecke hervorgerufen [760]wurde und weil die Notwendigkeit asketischer Bewährung in der Welt das Berufsmenschentum züchtete, auf dem der Kapitalismus ruht.
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[760] Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, bes. S. 366–425.
So aber steht es oft. Wenn z. B. Troeltsch hervorgehoben hat, daß nur die Kirche eine Form sei, welche universell, universalistisch ihrer Idee nach, als Volkskirche, als Volkschristentum denkbar sei,
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In seinem Vortrag hatte Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht, S. 170–172, das Wesen des Kirchentypus skizziert (das Heil beruhe auf subjektiver Aneignung des objektiven, in Christi Erlösungstod bereits verwirklichten und damit von eigenen Leistungen unabhängigen, durch die Kirche verbürgten und verkörperten Heils im Glauben), dem empirisch die „Volks- und Staatskirche“ (S. 172) entspreche.
so ist dem natürlich aus der Praxis entgegenzuhalten, daß das, nicht nur quantitativ[,] sondern auch qualitativ gemessen, religiöseste Land bis an die Schwelle dieses Jahrhunderts Amerika war, welches eine Staatskirche längst nicht mehr kennt und in dem auch das Christentum weit vorwiegend die Form der Sekten angenommen hatte; wenn ich nicht irre, so waren es Mitte der neunziger Jahre ungefähr nur 5 % der amerikanischen Bevölkerung, die offiziell keiner Religionsgemeinschaft angehörten.
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Nach Carroll, Religious Forces (wie oben, S. 434, Anm. 27), p. xxxvi, gehörten ca. 5 Millionen von insgesamt 62 622 250 US-Amerikanern keiner Religion an. Das sind ca. 8 Prozent. Carrolls Angaben beruhen allerdings auf dem Census von 1890. Dazu Weber, Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 437, Anm. 7.
Und die Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft kostet in Amerika unglaublich viel mehr als bei uns, sie kostet auch den Unbemittelten etwas, sie kostet auch die deutschen Arbeiter, die von Deutschland nach Amerika auswandern und die ich gelegentlich z. B. in der Umgegend von Buffalo kennen lernte, bei 1800 Mk. Einnahmen jährlich ungefähr 100 Mark an kirchlichen Steuern, ganz abgesehen von den Kollekten und ähnlichem.
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Weber schildert Erfahrungen seiner Amerika-Reise 1904; vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 438 mit Anm. 9 (mit Zitat).
Suchen Sie einen deutschen Arbeiter, der so viel für irgend eine kirchliche Gemeinschaft, sie sei, was sie wolle, bezahlen würde. Gerade, weil der religiöse Typus dort faktisch der Sektentypus ist, ist die Religion dort Volkssache, und weil dieser Sektentypus nicht universal, sondern exklusiv
k
[760]A: exklusive
ist, und weil exklusiv, seinen Anhängern innerlich [A 202]und äußerlich ganz [761]bestimmte Vorzüge bietet,
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[761] Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 435–462.
darum ist dort die Stätte des Universalismus der effektiven Zugehörigkeit zu religiösen Gemeinschaften, und nicht bei dem Namens-Christentum in Deutschland, wo ein Teil der Begüterten alle Steuern für die Kirche – dafür, daß „dem Volke die Religion erhalten wird“
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„Geflügeltes Wort“ nach Kaiser Wilhelm I., vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 162, Fn. 30 mit Anm. 86.
– bezahlt und im übrigen froh ist, wenn er seinerseits nichts mit der Sache zu tun hat, und nur deshalb nicht austritt, weil das unangenehme Konsequenzen hat für das Avancement und für alle möglichen sonstigen gesellschaftlichen Chancen.

2.

[[A 210]]Ich wollte nur noch einige Worte zu dem sagen, was Simmel ausgeführt hat.
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Der Diskussionsbeitrag Georg Simmels in: Verhandlungen 1910, S. 204–206.
Die Frage nach dem eigentlichen Sinn der christlichen Religiosität steht ja heute nicht zur Diskussion. Trotz alledem sind wir gewiß glücklich gewesen, diese Ausführungen gemacht zu bekommen. Da sie teilweise gegen mich gerichtet gewesen sind, so erlaube ich mir, darauf in Kürze zu antworten.
Die These, daß nach dem metaphysischen Sinn des Christentums nichts sich zwischen die Seele und ihren Gott zu schieben habe,
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Nach Simmel hat das Christentum „ein Problem“: „die Seele und ihren Gott und weiter nichts“ (Verhandlungen 1910, S. 204). In dieser metaphysischen „Schicht“ spiele sich der „Sinn der Christentums“ ab (S. 205). Das Soziale bleibe hingegen prinzipiell gleichgültig, weswegen sich das Christentum mit den verschiedensten Sozialgestalten verbinden könne. Die „direkte Linie von der Seele zu ihrem Gott“ sei nicht zu unterbrechen, auch die Liebe bleibe „eine Art Umweg, im absoluten Sinne kann kein anderer Mensch stehen zwischen dem Menschen und seinem Gott“ (ebd.). Denn auch das „Liebesprinzip“ sei aus den empirischen Ordnungen der Welt „hineingesetzt worden in das Christentum, wie die Kirche mit ihren Ordnungen aus dem, was man bereits in der übrigen geschichtlichen Welt hatte, in diese christlichen Gedankenkreise hineingesetzt worden“ sei (ebd.).
vollständig zugegeben, so liegen die Dinge doch so, daß für die empirischen Verhältnisse, mit denen es die Soziologie zu tun hat, davon auszugehen ist, daß jede religiös gläubige Seele, daß die Mehrzahl auch der religiös noch so hochgestimmten Seelen im Urchristentum und in allen Zeiten religiöser Erregung das Bedürfnis empfinden mußten, dessen, daß sie auch wirklich ihrem Gott [762]gegenübergestanden hatten und nicht etwas anderem, in irgend einer Weise auch in ihrem Alltag sicher zu bleiben, die „certitudo salutis“ zu haben. Diese Sicherheit nun kann auf verschiedene Weise gewonnen werden. Es ist zunächst noch keine soziologische, sondern eine rein psychologische Frage, die damit berührt wird, aber eine solche, die soziologisch interessierende Konsequenzen hat. – Die beiden extremsten Gegenpole, die es da gibt, sind auf der einen Seite jene die Formungen der Welt ablehnenden Religiositäten, wie wir sie auch in der modernen Zeit erleben, die in denjenigen geistigen Bewegungen, von denen ich früher sprach,
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[762] Siehe oben. S. 756–758.
noch forterhalten sind und sicherlich auch gewissen Teilen des Urchristentums eigentümlich gewesen sind: eine Art „akosmistischer“
l
[762]A: „akosmitischer“
Menschenliebe – das ist die eine Möglichkeit, – und auf der andern ihr extremstes Gegenbild: die calvinistische Religiosität, die in der ad majorem Dei
m
A: dei
gloriam
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Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 266, Fn. 21 mit Anm. 20.
zu gewinnenden „Bewährung“ innerhalb der gegebenen und geordneten Welt die Sicherheit fühlt, Gottes Kind zu sein.
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Darüber Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 279–285.
Auf der einen Seite die völlige amorphe Formlosigkeit des Liebes-Akosmismus, auf der anderen Seite jenes eigentümliche und für die Geschichte der Sozialpolitik praktisch äußerst wichtige Verhalten, daß der Einzelne sich hineingestellt fühlt in die sozialen Gemeinschaften zu dem Zwecke, darin zum Heile seiner Seele „Gottes Ruhm“ zu verwirklichen. Diese letztere Eigentümlichkeit des Calvinismus bedingt dem Sinne nach die gesamte innere Gestaltung der sozialen Gebilde, die wir auf diesem Boden entstehen sehen. Immer steckt in diesen Gebilden ein eigentümliches Moment der Gesellschaftsbildung auf egozentrischer
n
A: exozentrischer
Grundlage; immer ist es der Einzelne, der sich sucht, indem er der Gesamtheit, heiße diese wie immer, dient: immer ist es – um die Gegensätze zu gebrauchen, die in einem der Grundbücher unserer modernen sozial-philosophi[A 211]schen Betrachtungsweise, in Ferdinand Tönnies’ Werk über „Gemeinschaft und Gesellschaft“ gebraucht worden sind – immer ist die auf diesem Boden erwachsene menschliche Beziehungsweise eine „Gesellschaft“, eine „Vergesellschaftung“, ein Produkt der das „Menschliche“ abstreifenden [763]„Zivilisation“, Tausch, Markt, sachlicher Zweckverband, statt persönlicher Verbrüderung, immer ist dagegen jenes Andere, jener Liebes-Akosmismus „Gemeinschaft“ auf rein menschlicher Grundlage der „Brüderlichkeit“. Der Kommunismus des Urchristentums und seine Derivate haben empirisch die allerverschiedensten Motive
o
[763] In A folgt der Protokollzusatz: (Zuruf: Toter Punkt!) und die durch den Zuruf bedingte Wiederholung von: Motive
, die aber immer – so im Urchristentum – an die alte Tradition der naturgewachsenen Brüderschaftsverhältnisse anknüpften, in denen die Gemeinschaft von Speise und Trank familienartige Gemeinschaft begründete,
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[763] Weber antwortet Simmel, Verhandlungen 1910, S. 204 f., der Analogien zwischen Empirischem und Transzendentem ablehnt und die Rede von einem „früheren christlichen Sozialismus oder Kommunismus“ zurückweist, weil ein solcher den „heutigen sozialistisch-kommunistischen Idealbildungen“ geradezu entgegengesetzt sei; vielmehr hätte die „Gleichgültigkeit gegen die äußeren Güter“ ihre gleichmäßige Verteilung „von selbst“ bewirkt und auf diese Weise „irgend einen möglicherweise dem Kommunismus ähnlichen Zustand“ erzeugt.
wie ja auch das Zinsverbot für Christen noch in der Zeit von Clemens von Alexandrien mit dem alten Satz motiviert wird, daß man unter Brüdern nicht feilscht, unter Brüdern kein Herrenrecht gebraucht – und Zins ist Herrenrecht –, unter Brüdern seinen Vorteil nicht übt, sondern Brüderlichkeit übt.
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Das alttestamentliche Zinsverbot, hier Dtn 23,20 f. [1892]: „Du sollst von deinem Bruder nicht Wucher nehmen, weder mit Geld, noch mit Speise, noch mit allem, damit man wuchern kann. Von dem Fremden magst du Wucher nehmen, aber nicht von deinem Bruder […]“. Bei Clemens von Alexandrien heißt es in der oft zitierten Stelle Stromata II,84,4 (andere Zählung: II, cap. 18; PG 8, 1024): „[…] Das Gesetz verbietet, dem Bruder auf Zinsen zu leihen, wobei es unter Bruder nicht bloß den versteht, der dieselben Eltern hat, sondern auch den, der dem gleichen Stamme angehört, die gleiche Gesinnung hat und des gleichen Logos teilhaftig geworden ist; es verbietet dieses, indem es nicht will, daß man Gewinn aus dem Gelde ziehe, sondern vielmehr mit offenen Händen und bereitwilligem Herzen den Bedürftigen mitteile; denn Gott hat solchen Erweis der Liebe befohlen.“ Hier zitiert die Übersetzung von Funk, Franz Xaver, Klemens von Alexandrien über Familie und Eigentum, in: ders., Kirchengeschichtliche Abhandlungen und Untersuchungen, 2. Band. – Paderborn: Ferdinand Schöningh 1899, S. 45–60, Zitat S. 56 f. (Lujo Brentano weist Funks Unterlegung, „daß man von Nicht-Brüdern Zins nehmen dürfe“, zurück; vgl. ders., Die wirtschaftlichen Lehren des christlichen Altertums (Vortrag vom 7. Juni 1902). Separat-Abdruck aus den Sitzungsberichten der philos.-philol. und histor. Classe der kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften. – München: Verlag der k[gl]. Akademie 1902, S. 141–193, Zitat S. 169.) – Nach Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, S. 534, gehörte es zur antiken „urwüchsigen Bauern- und Kleinbürger-Ethik“ oder „ältesten ,ökonomischen Moral‘“, „,unter Brüdern‘“ unentgeltlich zu leihen, während Zinsnahme „ebenso Fremden- und Herren-Recht war“.
Alles also, was Simmel sagt, für den Sinn der religiösen Atti[764]tüde zugegeben, so muß vom Standpunkt der Soziologie doch stets die psychologische Frage gestellt werden, und sie ist auch in der Realität von allen Seiten, auch den extremsten und deshalb vom religiösen Standpunkt aus vielleicht höchsten Formen der Mystik gestellt worden: wie, durch welches Medium wird der Einzelne seiner Beziehung zum Ewigen gewiß?
Professor Simmel: Ratio!
Das ist vollständig richtig, gewiß, es ist unzweifelhaft lediglich ein Erkenntnisgrund, nicht ein Realgrund der Seligkeit.
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[764] Vgl. dazu die Ausführungen von Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 279–294, auch S. 341.