MWG digital

Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

Kritische Studien auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Logik. 1906
(in: MWG I/7, hg. von Gerhard Wagner in Zusammenarbeit mit Claudius Härpfer, Tom Kaden, Kai Müller und Angelika Zahn)
Bände

[380]Editorischer Bericht

I. Zur Entstehung

Max Webers „Kritische Studien auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Logik“ wurden 1906 in der Rubrik „Literatur“ des „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ veröffentlicht.1[380] Weber, Kritische Studien, unten, S. 384–480. Sie enthalten nicht nur eine Auseinandersetzung mit dem 1902 publizierten Buch „Zur Theorie und Methodik der Geschichte“2 Meyer, Theorie. des Althistorikers Eduard Meyer, sondern auch eigene methodologische Ausführungen. Webers Text ist entsprechend in zwei Teile gegliedert: „I. Zur Auseinandersetzung mit Eduard Meyer. – II. Objektive Möglichkeit und adäquate Verursachung in der historischen Kausalbetrachtung.“3 Weber, Kritische Studien, unten, S. 384 und 447. So entstand ein für eine Rezension unüblich umfangreicher, im wesentlichen aus systematischen Überlegungen bestehender Text, der mit 65 Seiten um neun Seiten länger war als das besprochene Buch von Meyer und gerade mal eine Seite kürzer als Webers eigene Abhandlung „Die ,Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“.4 Weber, Objektivität, oben, S. 135–234.

Weber war Meyers Buch spätestens seit 1903 bekannt, wie drei vage Verweise in den Fußnoten des im Herbst 1903 publizierten Teils seiner Abhandlung „Roscher und Knies“ belegen. In seiner ersten Referenz wies Weber darauf hin, daß Friedrich Gottls Buch „Die Herrschaft des Wortes“ Heinrich Rickert „offenbar unbekannt geblieben“ ist, „ebenso Eduard Meyer, dessen Ausführungen (,Zur Theorie und Methodik der Geschichte.‘ Halle 1902) sich mit derjenigen Gottls vielfach berühren“.5 Weber, Roscher und Knies 1, oben, S. 45, Fn. 5. In der zweiten Referenz geht es darum, ob es „ein allgemeines methodisches Prinzip“ gebe, mit dem „die für unsere Erkenntnis wesentlichen Züge“ aus „der Fülle der wissenschaftlich gleichgültigen herausgelesen“ werden können, was Weber „vorerst dahingestellt“ sein ließ: „(S[iehe] dagegen z. B. E[duard] Meyer, a. a. O.)“.6 Ebd.. S. 48, Fn. 11. In der dritten Referenz wird die aktuelle Entwicklung Meyers in die Nähe von Karl Lamprecht und Karl Knies gerückt.7 Ebd.. S. 73, Fn. 55.

[381]Die Absicht, sich mit Meyers Thesen zu befassen oder dessen Buch als einen Anlaß zu einer weiteren Schärfung der methodologischen Grundlagen der Kulturwissenschaften zu nutzen, spricht bereits aus einer Mitteilung, die Weber wenige Monate nach der Publikation seiner Abhandlung „Die ,Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ gegenüber Heinrich Rickert machte. Im Rahmen einer Erörterung des Konzepts des „Idealtypus“ teilte Weber am 14. Juni 1904 Rickert mit, er werde „demnächst einmal (im Winter) die Bedeutung der Kategorie der ,objektiven Möglichkeit‘ für das historische Urteil“ analysieren,8[381] Brief von Max Weber an Heinrich Rickert vom 14. Juni 1904, MWG II/4, S. 230 f. Tatsächlich taucht die von Johannes von Kries entwickelte Kategorie der objektiven Möglichkeit schon in Webers Abhandlung „Die ,Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ auf. Vgl. Weber, Objektivität, oben, S. 187 mit Anm. 45 und S. 208. was er denn auch in Teil II. der „Kritische[n] Studien auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Logik“ einlöste. Nach eigenem Bekunden brachte er die „Kritische[n] Studien“ im Spätsommer 1905 zum Abschluß, zeitgleich mit seiner Kritik an Knies. Am 3. September 1905 schrieb er Emil Lask: „Ich korrigiere eben ,Roscher und Knies’ […]. Ein Aufsatz über 1.) Eduard Meyer – 2.) im Anschluß daran: den Begriff der ,objektiven Möglichkeit in der historischen Zurechnung‘ ist ziemlich fertig.“9 Brief von Max Weber an Emil Lask vom 3. Sept. 1905, MWG II/4, S. 513 f., hier S. 514. Am 10. September 1905 teilte er sodann Willy Hellpach mit, daß sein „Standpunkt“ in Sachen Kausalität „in einem scharfen Angriff auf Ed[uard] Meyer im Januar-Heft noch deutlicher“ werde.10 Brief von Max Weber an Willy Hellpach vom 10. Sept. 1905, ebd., S. 526–533, hier S. 532.

Wie eng die Arbeit an beiden Aufsatz-Projekten nicht nur zeitlich, sondern auch inhaltlich miteinander verknüpft war, zeigen die wechselseitigen Querverweise. Im zweiten, im Herbst 1905 publizierten Teil der Abhandlung „Roscher und Knies“ sind in Fußnoten zwei Hinweise auf die Meyer-Besprechung enthalten. In der ersten Referenz heißt es: „Über die Beziehung der Kategorie ,Realgrund‘ und ,Erkenntnisgrund‘ zu den geschichtsmethodologischen Problemen siehe meine demnächst im Jaffé-Braunschen Archiv erscheinenden Auseinandersetzungen mit Eduard Meyer und einigen anderen.“11 Weber, Roscher und Knies 2, oben, S. 253, Fn. 13. Vgl. zu dieser Thematik Weber, Kritische Studien, unten, S. 409 f., 412 f., 456. In der zweiten Referenz ist mit Bezug auf Hugo Münsterberg vom „psychischen Ablauf“ die Rede, „dessen Erforschung von manchen Historikern (Ed[uard] Meyer) geradezu als indifferent behandelt wird“.12 Weber, Roscher und Knies 2, oben, S. 289, Fn. 30. Im dritten Teil der Abhandlung „Roscher und Knies“, der wie der zweite im Sommer 1905 abgeschlossene Teil, aus Platzgründen aber erst Anfang 1906, d. h. [382]zeitgleich mit den „Kritische[n] Studien“, publiziert wurde,13[382] Vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Roscher und Knies 2, oben, S. 240–242. kam Weber auf den kausalen Regressus zu sprechen: „Die Kausalerklärung läuft – was auch gegen Ed[uard] Meyer zu betonen ist – bei individuell ,aufgefaßten‘ Ereignissen regelmäßig rückwärts von der Wirkung zur Ursache“.14 Weber, Roscher und Knies 3, oben, S. 340, Fn. 12. Umgekehrt finden sich in den „Kritischen Studien“ einige Rückverweise auf „Roscher und Knies“.15 Z. B. unten, S. 398, Fn. 9 mit Anm. 57, S. 399, Fn. 11 mit Anm. 61, S. 403, Fn. 14 mit Anm. 82, und S. 463, Fn. 34 mit Anm. 14.

Am 7. Dezember 1905 teilte Weber Hellpach mit, er „stecke tief in Correkturen“.16 Brief von Max Weber an Willy Hellpach vom 7. Dez. 1905, MWG II/4, S. 609. Am 18. Dezember 1905 erwähnte er gegenüber Edwin R. A. Seligman, daß er „tief in logischen Arbeiten stecke“.17 Brief von Max Weber an Edwin R. A. Seligman vom 18. Dez. 1905, ebd., S. 611 f., hier S. 611. Diese Korrekturen oder Arbeiten könnten sich zwar durchaus noch auf den dritten Teil von „Roscher und Knies“ beziehen, ebenso gut freilich auch auf die „Kritische[n] Studien“, die im Januarheft des „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ erschienen – ausgegeben am 8. Februar 1906.18 Vgl. den Zusatz auf dem Heftumschlag. Dennoch war die Thematik für Weber noch nicht abgeschlossen. Dies geht aus einigen Hinweisen auf die weiteren Schreibabsichten im Text,19 Vgl. unten, S. 444, S. 476. Fn. 36. aber auch aus dem die „Kritische[n] Studien“ abschließenden Hinweis hervor: „(Ein weiterer Aufsatz folgt.)“.20 Weber, Kritische Studien, unten, S. 480. Dies unterblieb. Welcher Text dafür vorgesehen war, wissen wir nicht.

II. Zur Überlieferung und Edition

Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt dem Text, der unter dem Titel „Kritische Studien auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Logik“, im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, hg. von Werner Sombart, Max Weber und Edgar Jaffé, Band 22, Heft 1, 1906, S. 143–207, erschien (A).

Eine Häufung von typischen Lesefehlern des Setzers läßt darauf schließen, daß zumindest einige Passagen der Druckvorlage handschriftlich verfaßt waren bzw. im Korrekturprozeß handschriftlich nachgetragen worden sind.21 Vgl. z. B. die fehlerhafte Wiedergabe von „Togliacozzo“, unten, S. 459, textkritische Anm. r; von „Adäquenz“, unten, S. 479 f., textkritische Anm. e und g; die Lesung von „dem“ (statt: „den“) oder „derselben“ (statt: „desselben“), unten, S. 449, textkritische Anm. g und h. Unterschiedliche Schreibungen, wie z. B. „litterarisch“ und „literar[…]histo[383]risch“ (unten, S. 415) werden belassen. Die Fußnoten sind fortlaufend durchgezählt, es gibt allerdings Fußnoten, die, vermutlich in einem späteren Stadium eingebracht, auf „a“ lauten.22[383] Unten, S. 425, Fn. 20a; S. 444, Fn. 24a; S. 469, Fn. 35a. In der Edition folgt die Fußnotenzählung exakt der Druckvorlage, so daß der Arbeitsprozeß erkennbar bleibt. Bei bibliographischen Belegen wird öfter eine Seitenzahl mit „f.“ („folgende“) angegeben, wo man „ff.“ („fortfolgende“) erwartet, weil Weber sich nachweislich auf einen größeren Abschnitt einer Schrift bezieht.23 Vgl. unten. S. 409, Fn. 16 mit Anm. 10; S. 430, Fn. 22 mit Anm. 84. Dies wurde belassen, allerdings präzisiert eine Sacherläuterung die gemeinten Seitenangaben.