MWG digital

Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

[„Klassen“, „Stände“ und „Parteien“]
(in: MWG I/22-1, hg. von Wolfgang J. Mommsen, in Zusammenarbeit mit Michael Meyer)
Bände

[248]Editorischer Bericht

Zur Entstehung

In dem nachstehenden Text behandelt Weber die Machtverteilung innerhalb von staatlichen Gebilden anhand der Phänomene „,Klassen‘, ‚Stände‘ und ‚Parteien‘“.1 [248] Vgl. unten, S. 253. Dabei ist auffällig, daß die „Parteien“ im Gegensatz zu „Klassen“ und „Ständen“ nur sehr summarisch dargestellt werden. Die Titelgestaltung des Textes ist unklar. Im Stoffverteilungsplan von 1910 und in der Disposition von 1914 spricht Weber von „Ständen und Klassen“ bzw. von „Ständen, Klassen, Parteien“, was aus historischer Sicht plausibel ist. Die inhaltliche Gestaltung des vorliegenden Textes entspricht jedoch nicht dieser Anordnung. Er beginnt mit dem Abschnitt über „Klassen“, daran anschließend werden die „Stände“ und die „Parteien“ behandelt. Auch in der noch von Max Weber selbst überarbeiteten Fassung der ersten Lieferung ist diese Abfolge beibehalten worden, obwohl die Kapitelüberschrift dort ebenfalls „Stände und Klassen“ lautet, während die Parteien aus der Darstellung herausgenommen worden sind.2 Vgl. WuG1, S. 177–180 (MWG I/23).

Der nachstehende Text ist offensichtlich unvollendet. Darauf deuten die summarische Abhandlung der Parteien sowie der Verweis auf die „Strukturformen der sozialen Herrschaft“ hin.3 Vgl. unten, S. 270. Allerdings ist nicht klar, was damit gemeint ist. Möglicherweise ist der nachfolgende Satz: „Diesem zentralen Phänomen alles Sozialen wenden wir uns daher jetzt zu“ ein Einschub der Erstherausgeber, der zu dem in der Erstausgabe folgenden Kapitel über die „Legitimität“4 WuG1, S. 642–649 (MWG I/22-4). überleiten sollte. Der auf den Satz noch folgende Absatz könnte ein eigenhändiges Fragment sein, das nachträglich hier zugeordnet wurde.

Der Text bewegt sich in seiner Terminologie noch ganz auf der Höhe der Kapitel über die verschiedenen Typen von „Gemeinschaften“; die Konstituierung bzw. die Beeinflussung von „Massenhandeln“ oder „Gemeinschaftshandeln“ ist sein eigentliches Thema. Doch besitzen wir keinerlei Anhaltspunkte bezüglich einer genauen Datierung. Offenbar hatte Max Weber ge[249]mäß dem Stoffverteilungsplan von 1910 bereits in den frühesten Konzeptionen seines Beitrages zum „Grundriß“ die Absicht, dem Kapitel „Wirtschaft und soziale Gruppen“ auch Abschnitte über „Stände“ und „Klassen“ beizugeben. Diese sollten im Manuskript im Anschluß an die Abhandlungen über „Familien- und Gemeindeverbände“, aber noch vor der Darstellung des „Staats“ plaziert werden.5 [249] Vgl. den Stoffverteilungsplan von 1910, MWG II/6, S. 766–774; Winckelmann, Webers hinterlassenes Hauptwerk (wie oben, S. 15, Anm. 1), S. 151–155.

Nach der Disposition von 1914 hatte Weber die Absicht, die im 7. Kapitel „Der politische Verband“ vorgesehenen Abschnitte über „Stände“ und „Klassen“ um eine eigenständige Darstellung der „Parteien“ zu ergänzen.6 GdS, Abt. 1, S. X–XI (MWG I/22-6). Sie wären dann in ihrer Anordnung von den Ausführungen über die „Hausgemeinschaft“ erheblich getrennt gewesen. Der Disposition zufolge sollten sie zwischen den „Entwicklungsbedingungen des Rechts“ und der „Nation“ plaziert werden.

Die Anordnung des nachstehenden Textes vor dem Abschnitt über „Machtprestige und Nationalgefühl“ würde der Disposition von 1914 entsprechen und ließe sich auch inhaltlich rechtfertigen. Bei der dortigen Behandlung der Macht von Staaten und ihrem Prestige wird die Definition von „Macht“ als der „Chance […], den eigenen Willen in einem Gemeinschaftshandeln auch gegen den Widerstand anderer […] durchzusetzen“ vorausgesetzt. Sie findet sich jedoch in dem nachstehend mitgeteilten Text.7 Vgl. unten, S. 252.

Andererseits sollte der enge inhaltliche Zusammenhang zwischen den Abschnitten „Politische Gemeinschaften“ und „Machtprestige und Nationalgefühl“ auch in der Anordnung der Texte Berücksichtigung finden, zumal der Text „Machtprestige und Nationalgefühl“ allenfalls als vollständig zu überarbeitende Vorfassung des Abschnitts „Nation“ aus der Disposition angesehen werden kann. Darüber hinaus findet die Darstellung der unterschiedlichen Formen von Gemeinschaften mit der Behandlung der „Nation“ als der Vollendung der politischen Gemeinschaften ihren inhaltlichen Abschluß. Der hier mitgeteilte Text thematisiert die Machtverteilung innerhalb der Gemeinschaften, wodurch sich seine hier vorgenommene Anordnung im Anschluß an die Ausführungen über die Gemeinschaften rechtfertigt. Zugleich hat er als Überleitung zu der Darstellung der internen Herrschaftsstrukturen der Gemeinschaften zu gelten. Seine Plazierung vor der „Herrschaftssoziologie“ wird durch einen Rückverweis in dem Kapitel „Herrschaft“ der vierten Lieferung von „Wirtschaft und Gesellschaft“ gestützt. Dort nimmt Weber Bezug auf den Tatbestand, daß Besitz „rein als solcher [250][…] weitgehende soziale Macht“ verleihe; ein Sachverhalt, der hier im Zusammenhang mit der ständischen Herrschaft eingehend behandelt wird.8[250] Vgl. WuG1, S. 606 „wie wir schon sahen“ (MWG I/22-4); siehe den Text, unten, S. 259 f.

Streng genommen setzt, wie Max Weber selbst darlegt, das Auftreten von „Klassen“ ebenso wie von „Parteien“ ein gewisses Maß an rationaler Vergesellschaftung voraus, das über die verschiedenen Formen der Vergemeinschaftung hinausgeht,9 Vgl. unten, S. 269–271. weil sowohl „Klassen“ als auch „Parteien“ gleichzeitig verschiedenen Vergemeinschaftungen angehören können.10 Vgl. unten, S. 271. Der vorliegende Text setzt insofern die Ausführungen über die verschiedenen „Vergemeinschaftungen“, insbesondere auch der „Marktgemeinschaft“, auf die mehrfach ausdrücklich Bezug genommen wird, inhaltlich voraus.11 Vgl. unten, S. 255, 257 f. und 267 f.

Die Erstherausgeber hatten diesem Kapitel zwei Textfragmente über „Kriegerstände“ beigegeben. Diese berühren sich zwar inhaltlich mit den Ausführungen über „Stände“, aber weisen keinerlei auch nur indirekte Anbindung an den fortlaufenden Text auf. Es dürfte sich um Materialien handeln, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem vorliegenden Text entstanden sind. Sie werden daher unten, S. 277–281, als selbständige Texte mitgeteilt.

Zur Überlieferung und Edition

Der Text ist ein Fragment. Ein Manuskript ist uns nicht überliefert. Dem Druck wird die von Marianne Weber und Melchior Palyi veröffentlichte Fassung zugrunde gelegt, die in dem Handbuch: Grundriß der Sozialökonomik, Abteilung III: Wirtschaft und Gesellschaft, 4. Lieferung. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1922, S. 631–640, erschienen ist (A).

Die von den Erstherausgebern gewählte Überschrift „Klasse, Stand, Parteien“ geht mit Sicherheit nicht auf Weber zurück. Die im Stoffverteilungsplan von 1910 und in der Disposition von 1914 genannten Titel „Stände, Klassen“ bzw. „Stände, Klassen, Parteien“12 Vgl. den Stoffverteilungsplan von 1910, MWG II/6, S. 766–774; Winckelmann, Webers hinterlassenes Hauptwerk (wie oben, S. 15, Anm. 1), S. 151–155, sowie die Disposition von 1914, GdS, Abt. I, S. X–XI (MWG I/22-6). decken sich nicht mit der inhaltlichen Anordnung des vorliegenden Textes und können daher nicht anstandslos übernommen werden, obschon sie als solche authentisch sind. Daß die 1. Lieferung von „Wirtschaft und Gesellschaft“ ein Kapitel „Stände und Klassen“ aufweist, dessen inhaltliche Abfolge nicht dem eingefügten [251]Titel entspricht, kann für die Frage, welcher Titel dem nachfolgenden Text angemessen ist, nicht relevant sein. Im Text selbst ist explizit von „,Klassen‘, ,Stände[n]‘, und ,Parteien‘“ die Rede.13 [251] Vgl. unten, S. 253. Diese Formulierung dürfte Max Webers Intentionen entsprechen und wird hier dem edierten Text als Titel vorangestellt. Obwohl die eingeführte Überschrift eine von Weber stammende Formulierung ist, wird sie als Herausgeberrede in eckige Klammern gesetzt, da sie als Titel nicht autorisiert ist. Der Titel der Erstherausgeber wird im textkritischen Apparat mitgeteilt.

Die in der 1. Auflage abgedruckte Inhalts- und Seitenübersicht zu diesem Text wird nicht wiedergegeben, da sie nach Aussage von Marianne Weber kein Manuskriptbestandteil gewesen sei, sondern von den Erstherausgebern beigefügt worden ist.14 Vgl. das „Vorwort“ zur 2. Lieferung von „Wirtschaft und Gesellschaft“, S. IIl.

Die Anmerkungen der Erstherausgeber werden im fortlaufenden Text nicht berücksichtigt, sondern im textkritischen Apparat mitgeteilt. Die Emendationen stützen sich teilweise auf Änderungen, die bereits Johannes Winckelmann (Hg.), Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1985, vorgenommen hat.