[1]Einleitung
1. Zum biographischen und wissenschaftlichen Kontext, S. 1. – 2. Zur Anordnung und Edition der Texte, S. 28.
1. Zum biographischen und wissenschaftlichen Kontext
Max Weber schrieb die Texte, die in diesem Band unter dem Titel „Zur Logik und Methodik der Sozialwissenschaften“ zusammengefaßt und ediert sind, im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Diese Texte zeigen, daß seine Erkrankung, die ihn im Sommersemester 1898 zwang, seine Lehrtätigkeit zu unterbrechen, zwar einen wissenschaftlichen Neubeginn, aber keine wissenschaftliche Neuorientierung zur Folge hatte. Was Alexis de Tocqueville für die Französische Revolution von 1789, jenes zeitgenössische Symbol für Diskontinuität, konstatierte, gilt en miniature für Webers Krankheit und die in ihrer Folge getroffene Entscheidung, von seinem Ordinariat zurückzutreten: Der Bruch scheint gewaltig, doch die Kontinuität überwiegt, so „wie gewisse Flüsse sich unter der Erde verlieren, um ein wenig weiterhin wieder zu erscheinen, indem sie das nämliche Gewässer an neuen Ufern zeigen“.
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Nach wie vor ging es Weber um die Überwindung des Methodenstreits in der Nationalökonomie, die er – wie er es selbst formulieren sollte – als eine den Reichtum des historischen Lebens berücksichtigende, „Theorie“ genannte Form der Forschung begründen wollte.[1] Tocqueville, Alexis de, Der alte Staat und die Revolution. Deutsch von Theodor Oelckers. – Leipzig: Otto Wigand 1867 (hinfort: Tocqueville, Staat), S. 4.
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Vgl. [Jaffé, Sombart, Weber,] Geleitwort, unten, S. 133.
Weber wurde im April 1894 auf ein Ordinariat für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an die Universität Freiburg berufen, wo er vom Wintersemester 1894/95 bis zum Wintersemester 1896/97 lehrte; im Dezember 1896 erhielt er den Ruf auf ein ebensolches Ordinariat an die Universität Heidelberg, wo er ab dem Sommersemester 1897 lehrte, ab dem Wintersemester 1898/99 freilich krankheitsbedingt mehrmals beurlaubt war.
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Wie in Freiburg hielt er in Heidelberg u. a. eine Vorlesung über „Allgemeine (‚theoretische‘) Nationalökonomie“.Vgl. Mommsen, Wolfgang J., Einleitung, in: MWG III/1, S. 1–51, hier S. 8 ff.
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Diese Vorlesung ist in doppelter Hinsicht aufschlußreich. Sie zeigt die Bedeutung, die der Methodenstreit in der Nationalökonomie als [2]wissenschaftliche Herausforderung für ihn hatte,Vgl. Mommsen, Wolfgang J., Anhänge zur Einleitung, in: MWG III/1, S. 52–79, hier S. 54 ff.
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und sie zeigt, daß er in diesem Zusammenhang die Logik zu Rate zog,[2] Vgl. Weber, Allgemeine („theoretische“) Nationalökonomie, MWG III/1, S. 89.
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was darauf schließen läßt, daß er diesen Streit auch aus einer philosophischen Perspektive betrachten wollte. Vgl. ebd.
Der Methodenstreit in der Nationalökonomie war eine jener zahlreichen Kontroversen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowohl zwischen als auch in den wissenschaftlichen Disziplinen ausgetragen wurden. Eine Leitdifferenz dieser Kontroversen war die Frage nach der Reichweite der Geltung des von Galileo Galilei und Isaac Newton begründeten Weltbilds, demzufolge die Bewegungen aller Körper durch Naturgesetze bestimmt werden, die man in den Differentialgleichungen der Mechanik zum Ausdruck bringt.
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Pierre Simon Laplace hatte dieses Weltbild 1814 im Sinne eines Determinismus konkretisiert, für den es keinen Zufall gibt, sondern alles strikt festgelegt ist. „Alle Ereignisse“, seien sie noch so geringfügig, sind eine „ebenso nothwendige Folge“ der „grossen Naturgesetze“ wie die „Umläufe der Sonne“. Vgl. Galilei, Galileo, Dialogo di Galileo Galilei Matematico Straordinario dello Studio di Pisa e Filosofo e Matematico Primario del Serenissimo Gr. Duca di Toscana, dove ne i congressi di quattro giornate si discorre sopra i due Massimi Sistemi del Mondo, Tolemaico e Copernicano, proponendo indeterminatamente le ragioni filosofiche e naturali tanto per l’una, quanto per l’altra parte. – Fiorenza: per Gio Batista Landini 1632; Newton, Isaac, The Mathematical Principles of Natural Philosophy, 2 Volumes. Translated into English by Andrew Motte. – London: Benjamin Motte 1729.
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Dem „Prinzip“ des „zureichenden Grundes“ entsprechend, wonach „ein Ding nicht anfangen kann zu sein ohne Ursache, die es hervorbringt“, muß man „den gegenwärtigen Zustand des Weltalls als die Wirkung seines früheren Zustandes und andererseits als die Ursache dessen, der folgen wird, betrachten“. Laplace, Pierre Simon de, Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeiten. Nach der 6. Aufl. des Originals übersetzt von Norbert Schwaiger. – Leipzig: Duncker & Humblot 1886 (hinfort: Laplace, Wahrscheinlichkeiten), S. 3.
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Jedes Ereignis läßt sich erklären oder voraussagen, wenn man die Gesetze über die „Kräfte, von denen die Natur belebt ist“, und die „gegenseitige Lage der Wesen, die sie zusammen setzen“, in Erfahrung bringt, denn jedes Ereignis ist durch diese Gesetze und Bedingungen vollständig bestimmt. Ebd., S. 4.
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Ebd.
1842 formulierte Julius Robert Mayer den Satz der Erhaltung der Energie, indem er „Kräfte“ als „Ursachen“ konzipierte, auf die der „Grundsatz: causa aequat effectum“ insofern „volle Anwendung“ findet, als sich ihre jeweils meßbare Größe durch alle Wandlungen hindurch erhält.
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Nun konnte Bewegung [3]mit Licht, Wärme, Elektrizität, Magnetismus, etc. verknüpft werden, so daß sich das mechanistisch-deterministische Weltbild seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Physik durchsetzte. Vgl. Mayer, Julius Robert, Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur, in: Annalen der Chemie und Pharmacie, Band 42, 1842, S. 233–240 (hinfort: Mayer, Kräfte), hier S. 233.
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Es beeinflußte nicht nur die anderen Naturwissenschaften, sondern weckte auch in ferneren wissenschaftlichen Disziplinen ein „kausales Bedürfnis“.[3] Vgl. Stallo, Johann Bernhard, The Concepts and Theories of Modern Physics. – New York: D. Appleton 1882, S. 27: „The science of physics, in addition to the general laws of dynamics and their application to the interaction of solid, liquid and gaseous bodies, embraces the theory of those agents which were formerly designated as imponderables – light, heat, electricity, magnetism, etc.; and all these are now treated as forms of motion, as different manifestations of the same fundamental energy, and as controlled by laws which are simple corollaries from the law of its conservation.”
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Dessen Befriedigung sollte auch zum wissenschaftlichen Leitmotiv Webers werden. Vgl. z. B. Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von, Einleitung in die attische Tragoedie. – Berlin: Weidmann 1889 (hinfort: Wilamowitz-Moellendorff, Tragoedie), S. 96: „sehr oft ist unentwirrbar, wo die geschichtliche erinnerung auftritt, die paradigmatische construction beginnt. denn auch in der summe der geschichtlichen erinnerungen übt der mensch sein causalitätsbedürfnis, wie sie jetzt sagen, besser und antiker gesagt, seinen philosophischen sinn“.
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Die Vertreter dieses Weltbilds, von denen in Deutschland der Physiologe und Physiker Hermann von Helmholtz und der Physiologe Emil Du Bois-Reymond am einflußreichsten waren, Vgl. Weber, Objektivität, unten, S. 169 mit Anm. 80; Weber, Roscher und Knies 2, unten, S. 252, 275 f., 278–280; Weber, Kritische Studien, unten, S. 468.
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wußten die Sehnsucht nach einer Weltformel freilich selbst zu dämpfen. Vor allem Du Bois-Reymond verlieh seiner Überzeugung Ausdruck, daß dieser „astronomische[n] Kenntniss“ Vgl. Helmholtz, Hermann, Über die Erhaltung der Kraft, eine physikalische Abhandlung, vorgetragen in der Sitzung der physikalischen Gesellschaft zu Berlin am 23sten Juli 1847. – Berlin: G. Reimer 1847; Du Bois-Reymond, Emil, Untersuchungen über thierische Elektricität. – Berlin: G. Reimer 1848.
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durchaus Grenzen gezogen wären, insofern man damit weder das Wesen von Kraft und Materie noch die Entstehung geistiger Vorgänge aus materiellen Bedingungen begreifen könne. Du Bois-Reymond, Emil, Ueber die Grenzen des Naturerkennens. In der zweiten allgemeinen Sitzung der 45. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte zu Leipzig am 14. August 1872 gehaltener Vortrag, in: ders., Reden. 1. Folge: Litteratur, Philosophie, Zeitgeschichte. – Leipzig: Veit & Comp. 1886 (hinfort: Du Bois-Reymond, Grenzen), S. 105–140, hier S. 120.
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Damit löste er den Ignorabimus-Streit Ebd., S. 125.
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aus und leistete Bestrebungen Vorschub, sich von diesem Weltbild abzugrenzen. Vgl. Du Bois-Reymond, Emil, Die sieben Welträthsel. In der Leibniz-Sitzung der Akademie der Wissenschaften am 8. Juli 1880 gehaltene Rede, in: ders., Reden, 1. Folge: Litteratur, Philosophie, Zeitgeschichte. – Leipzig: Veit & Comp. 1886, S. 381–417 (hinfort: Du Bois-Reymond, Welträthsel).
Diese Bestrebungen wurden durch Entwicklungen begünstigt, mit denen sich die Physiker Ende des 19. Jahrhunderts konfrontiert sahen. Mit seinem [4]Plädoyer, kausale Erklärungen durch „Beschreibungen“ zu ersetzen,
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provozierte Gustav Kirchhoff einen Methodenstreit. Unterdessen hatte man Mühe, irreversible Wärme- und Diffusionsprozesse mit dem Determinismus zu vereinbaren, denn in den Differentialgleichungen wurden die Vorgänge in der Natur als reversible Prozesse konzipiert.[4] Vgl. Kirchhoff, Gustav, Vorlesungen über mathematische Physik. Mechanik. – Leipzig: B. G. Teubner 1876 (hinfort: Kirchhoff, Physik), S. V.
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So kamen in der Physik phänomenologische, Vgl. Boltzmann, Ludwig, Über die Beziehung zwischen dem Zweiten Hauptsatze der mechanischen Wärmetheorie und der Wahrscheinlichkeitsrechnung respective von den Sätzen über das Wärmegleichgewicht, in: Sitzungsberichte der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, Band 76, 1877, S. 373–435.
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in der Physiologie und Psychologie vitalistische und emergentistische Positionen in Konjunktur. Vgl. Mach, Ernst, Die Principien der Wärmelehre. Historisch-kritisch entwickelt, 2. Aufl. – Leipzig: J. A. Barth 1900 (hinfort: Mach, Principien2).
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In der Philosophie etablierten sich Positionen, die in den Traditionen des Deutschen Idealismus (Kant, Hegel, Fichte) oder Historismus (Humboldt, Ranke, Droysen) die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften in Abgrenzung zu den Naturwissenschaften bestimmten. Vgl. Driesch, Hans, Die Lokalisation morphogenetischer Vorgänge. Ein Beweis vitalistischen Geschehens, in: Archiv für Entwicklungsmechanik der Organismen, Band 8, 1899, S. 35–111; Reinke, Johannes, Einleitung in die theoretische Biologie. – Berlin: Gebr. Paetel 1901, S. 169 ff. („Dominanten“); Wundt, Logik II,2, S. 267 ff. („schöpferische Synthese“).
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Viele Vertreter wissenschaftlicher Disziplinen, die es mit Geschichte und Gesellschaft zu tun hatten, empfanden es als Affront, in einer an den Naturwissenschaften orientierten, sogenannten naturalistischen Manier zu forschen. Davon zeugt in der Geschichtswissenschaft der Lamprecht-Streit Vgl. Dilthey, Einleitung; Dilthey, Ideen; Windelband, Geschichte; Rickert, Grenzen.
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und in der Nationalökonomie der Methodenstreit. Dieser Streit wurde ausgelöst durch Karl Lamprechts „Deutsche Geschichte“, die seit 1891 in 16 Bänden und zwei Ergänzungsbänden erschien. Hauptgegner Lamprechts war Georg von Below. Vgl. Below, Methode; Lamprecht, Karl, Die historische Methode des Herrn von Below. Eine Kritik. – Berlin: R. Gaertner 1899.
Der Methodenstreit in der Nationalökonomie entbrannte in den 1880er Jahren zwischen Carl Menger, dem Haupt der Grenznutzenschule, und Gustav Schmoller, dem Haupt der jüngeren Historischen Schule, um das Selbstverständnis dieser wissenschaftlichen Disziplin.
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Menger stellte sich in die Tradition der klassischen Nationalökonomie, in der man seit David Ricardo Vgl. Menger, Untersuchungen; Schmoller, Methodologie; Menger, Historismus. Vgl. dazu ausführlich Mommsen, Wolfgang J., Einleitung, in: MWG III/1, S. 1–51, hier S. 21 ff.
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die Einheit sowohl von Theorie und Empirie (Geschichte) als auch von Theorie [5]und Praxis (Politik), die das Werk von Adam Smith charakterisiert hatte, auflöste, um die Nationalökonomie in Analogie zur Physik als eine theoretische Wissenschaft zu konzipieren, die danach strebt, durch Abstraktion von der empirischen Wirklichkeit die ausnahmslos geltenden Gesetze zu erkennen, welche die wirtschaftlichen Phänomene bestimmen. Schmoller hingegen stellte sich in die Tradition der Historischen Schule, in der man seit Wilhelm Roscher Vgl. Ricardo, David, On the Principles of Political Economy, and Taxation. – London: John Murray 1817 (hinfort: Ricardo, Principles).
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die Nationalökonomie in Analogie zur Geschichtswissenschaft als eine historische Wissenschaft konzipierte, die danach strebt, die empirische Wirklichkeit der wirtschaftlichen Phänomene in ihrer konkreten Faktizität zu erforschen, ohne freilich auf die Erkenntnis der Gesetze, die sie bestimmen, zu verzichten. Schmoller plädierte dafür, sich zunächst auf empirische Spezialuntersuchungen zu konzentrieren, wobei ihm ebenso wichtig war, die Nationalökonomie auch in ihrer praktischen, sozialpolitischen Relevanz als eine ethische Wissenschaft zu betreiben. [5] Vgl. Roscher, Grundriß.
Mit diesem Streit der Wiener Schule Mengers mit der Berliner Schule Schmollers war Weber bestens vertraut. In seiner Einleitung zum „Grundriß zu den Vorlesungen über Allgemeine (‚theoretische‘) Nationalökonomie“ listete er die einschlägige Literatur auf.
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Dabei führte er auch die Logik Christoph Sigwarts an, Vgl. Weber, Einleitung, in: ders., Grundriß zu den Vorlesungen über Allgemeine („theoretische“) Nationalökonomie, MWG III/1, S. 89–91.
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einen jener Versuche, „die Logik unter dem Gesichtspunkte der Methodenlehre zu gestalten, und sie dadurch in lebendige Beziehung zu den wissenschaftlichen Aufgaben der Gegenwart zu setzen“. Vgl. ebd., S. 89. Paul Honigsheim zufolge sprach Weber „mit großer Verehrung von Sigwart und seiner ‚Logik‘“. Vgl. Honigsheim, Paul, Max Weber in Heidelberg, in: Max Weber zum Gedächtnis. Materialien und Dokumente zur Bewertung von Werk und Persönlichkeit, hg. von René König und Johannes Winckelmann (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 7). – Köln, Opladen: Westdeutscher Verlag 1963, S. 161–271, hier S. 178 f.
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Der zweite, 1893 in zweiter Auflage erschienene Band dieser Logik enthielt im § 99 Ausführungen zur „Erklärung im Gebiete der Geschichte“. Vgl. das „Vorwort zur ersten Auflage“ von 1873, in: Sigwart, Christoph, Logik, Band I: Die Lehre vom Urtheil, vom Begriff und vom Schluss, 2., durchgesehene und erweiterte Aufl. – Freiburg: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1889 (hinfort: Sigwart, Logik I), S. V–Vl, hier S. V.
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Auf sie bezog sich Weber in dieser Einleitung, Vgl. Sigwart, Christoph, Logik, Band II: Die Methodenlehre, 2., durchgesehene und erweiterte Aufl. – Freiburg: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1893 (hinfort: Sigwart, Logik II), S. 599–633 (Nr. 11–24).
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und zwar auf die Passagen, in denen Sigwart auf den Methodenstreit in der Nationalökonomie zu sprechen kam. Vgl. Weber, Grundriß zu den Vorlesungen über Allgemeine („theoretische“) Nationalökonomie, MWG III/1, S. 89, mit Bezug auf Sigwart, Logik II (wie oben, S. 5, Anm. 31), S. 627 f.
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Sigwart [6]nahm dabei eine vermittelnde Position ein, indem er die Berechtigung sowohl der theoretischen, Gesetze aufstellenden, als auch der historischen, Fakten sammelnden Forschung betonte. Daß Sigwarts Ausführungen mit 34 Seiten, von denen sich drei der Nationalökonomie widmeten, knapp bemessen waren, mag ein Grund dafür gewesen sein, daß sich Weber für eine umfassendere logische und philosophische Perspektive interessierte. Diese Perspektive erhoffte er sich von den Philosophen des Südwestdeutschen Neukantianismus, besonders von Heinrich Rickert, einem Schüler von Wilhelm Windelband, dem Haupt und Vordenker dieser Schule. Vgl. ebd., S. 626 ff.
Rickert hatte von 1885 bis 1888 an der Universität Straßburg bei Windelband studiert, wo er mit einer Dissertation „Zur Lehre von der Definition“ promoviert wurde.
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1889 ging er an die Universität Freiburg, wo er sich 1891 unter Mitwirkung von Alois Riehl, des Ordinarius für Philosophie, mit der Studie „Der Gegenstand der Erkenntnis“ habilitierte.[6] Vgl. Rickert, Heinrich, Zur Lehre von der Definition. – Freiburg: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1888.
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In den folgenden Jahren lehrte er als Privatdozent, bis er 1894 zum außerordentlichen Professor für Philosophie ernannt wurde. In diesem Jahr wurde Windelband zum Rektor der Universität Straßburg gewählt, wo er im Mai seine Antrittsrede „Geschichte und Naturwissenschaft“ hielt, die sehr einflußreich wurde und neben Rickert auch Weber, der im selben Jahr an die Universität Freiburg berufen wurde, maßgeblich inspirierte. Vgl. Rickert, Heinrich, Der Gegenstand der Erkenntnis. Ein Beitrag zum Problem der philosophischen Transzendenz. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1892 (hinfort: Rickert, Gegenstand).
Windelband ging es in diesem Manifest des Südwestdeutschen Neukantianismus darum, das Verhältnis von Naturwissenschaft und Geschichtswissenschaft zu klären. Dabei stellte er das mechanistisch-deterministische Weltbild nicht in Frage. Wie schon Du Bois-Reymond wollte er dessen Grenzen aufzeigen, um so die Geschichtswissenschaft als gleichberechtigte Disziplin zu legitimieren. Tatsächlich war er nicht nur der Überzeugung, daß es allen Wissenschaften um kausale Erklärung gehe, sondern auch, daß alle dasselbe „logische Schema“ benutzten: „In der Causalbetrachtung nimmt jegliches Sondergeschehen die Form eines Syllogismus an“.
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Den „Obersatz“ bildet ein „Naturgesetz, bezw. eine Anzahl von gesetzlichen Notwendigkeiten“, den „Untersatz“ eine „zeitlich gegebene Bedingung oder ein Ganzes solcher Bedingungen“, den „Schlusssatz“ das „wirkliche einzelne Ereig[7]niss“. Windelband, Geschichte, S. 24. Zum Begriff „Syllogismus“ vgl. ursprünglich Aristoteles, Werke. Organon, oder Schriften zur Logik. Uebersetzt von Karl Zell, Band 2: Der ersten Analytika erste Hälfte, in: Griechische Prosaiker in neuen Uebersetzungen, hg. von G. L. F. Tafel, E. R. v. Osiander und G. Schwab, Band 155. – Stuttgart: J. B. Metzler 1836, S. 123–232.
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Zwar lege nun „die Causalerklärung des einzelnen Geschehens mit dessen Reduction auf allgemeine Gesetze den Gedanken nahe, dass es in letzter Instanz möglich sein müsse, aus der allgemeinen Naturgesetzmässigkeit der Dinge auch die historische Sondergestaltung des wirklichen Geschehens zu begreifen“.[7] Windelband, Geschichte, S. 24.
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Das war für Windelband aber nicht möglich. Ebd.
Denn so wie der Schlußsatz „zwei Prämissen“ voraussetzt, setzt das Geschehen „zwei Arten von Ursachen“ voraus, nämlich „einerseits die zeitlose Notwendigkeit, in der sich das dauernde Wesen der Dinge ausdrückt, andrerseits die besondere Bedingung, die in einem bestimmten Zeitmomente eintritt“.
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So setzt z. B. eine „Explosion“ einerseits die „Natur der explosiblen Stoffe“, die wir als „chemisch-physikalische Gesetze“ aussprechen, voraus, und andererseits eine „einzelne Bewegung“ wie ein „Funke“ oder eine „Erschütterung“. Ebd.
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Erst „beides zusammen verursacht und erklärt das Ereigniss“, aber „keines von beiden ist eine Folge des anderen; ihre Verbindung ist in ihnen selbst nicht begründet“. Ebd., S. 24 f.
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So wenig wie im Syllogismus der „Untersatz eine Folge des Obersatzes“ ist, so wenig ist bei einem Geschehen „die zu dem allgemeinen Wesen der Sache hinzutretende Bedingung aus diesem gesetzlichen Wesen selbst abzuleiten“. Ebd., S. 25.
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Vielmehr ist diese Bedingung „als ein selbst zeitliches Ereigniss“ auf „eine andere zeitliche Bedingung zurückzuführen, aus der sie nach gesetzlicher Notwendigkeit gefolgt ist: und so fort bis infinitum“. Ebd.
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Selbst wenn sich in dieser „Causalkette der Bedingungen“ ein „Anfangsglied“ denken ließe, wäre ein solcher „Anfangszustand“ doch immer „ein Neues, was zu dem allgemeinen Wesen der Dinge hinzutritt, ohne daraus zu folgen“. Ebd.
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Ebd., S. 25 f.
In die „Sprache der heutigen Wissenschaft“ übersetzt, der Windelband den Zungenschlag von Laplace verlieh, läßt sich also formulieren: „aus den allgemeinen Naturgesetzen folgt der gegenwärtige Weltzustand nur unter der Voraussetzung des unmittelbar vorhergehenden, dieser wieder aus dem früheren, und so fort; niemals aber folgt ein solcher bestimmter einzelner Lagerungszustand der Atome aus den allgemeinen Bewegungsgesetzen selbst“; aus „keiner ‚Weltformel‘ kann die Besonderheit eines einzelnen Zeitpunktes unmittelbar entwickelt werden: es gehört dazu immer noch die Unterordnung des vorhergehenden Zustandes unter das Gesetz“.
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Da es also „kein in den allgemeinen Gesetzen begründetes Ende gibt“, hilft „alle Subsumtion unter [8]jene Gesetze nicht, um das einzelne in der Zeit Gegebene bis in seine letzten Gründe hinein zu zergliedern“. Ebd., S. 25.
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So bleibt denn auch „in allem historisch und individuell Erfahrenen ein Rest von Unbegreiflichkeit“.[8] Ebd., S. 25 f.
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Es gibt einen „Riss“ zwischen dem Allgemeinen und Besonderen: „Das Gesetz und das Ereigniss bleiben als letzte, incommensurable Grössen unserer Weltvorstellung nebeneinander bestehen.“ Ebd., S. 26.
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Ebd., S. 26 f.
Windelband begründete damit zwei „Erkenntnisziele“: „die Erfahrungswissenschaften suchen in der Erkenntnis des Wirklichen entweder das Allgemeine in der Form des Naturgesetzes oder das Einzelne in der geschichtlich bestimmten Gestalt […]. Die einen sind Gesetzeswissenschaften, die anderen Ereignisswissenschaften; jene lehren, was immer ist, diese, was einmal war. Das wissenschaftliche Denken ist […] in dem einen Falle nomothetisch, in dem andern idiographisch.“
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Während das Einzelne für das nomothetische, naturwissenschaftliche Denken ein „Spezialfall“ von Gesetzen ist, Ebd., S. 11 f.
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folgt das idiographische, geschichtswissenschaftliche Denken der „lebendige[n] Wertbeurteilung des Menschen“, die „an der Einzigkeit des Objekts hängt“, wobei es freilich „auf Schritt und Tritt der allgemeinen Sätze“ bedarf, denn „[j]ede Causalerklärung irgend eines geschichtlichen Vorganges setzt allgemeine Vorstellungen vom Verlauf der Dinge überhaupt voraus“. Ebd., S. 16.
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Ebd., S. 22 f.
An sich war Windelbands Unterscheidung zwischen nomothetischer und idiographischer Wissenschaft keineswegs neu. Sie lag bereits 1883 Mengers Unterscheidung zwischen theoretischer und historischer Nationalökonomie zugrunde und läßt sich zumindest bis 1830 zu Auguste Comte zurückverfolgen.
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Für Rickert war sie gleichwohl wegweisend. Im unmittelbaren Anschluß an Windelbands Rektoratsrede machte er sie zur Grundlage einer voluminösen Monographie mit dem Titel „Die Grenzen der naturwissenschaftlichen [9]Begriffsbildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften“. Menger, Untersuchungen, S. 3, 7, trennte die Erkenntnis des „Generellen“, die er „theoretische“ nannte, von der des „Concreten“ bzw. „Individuellen“, die er „historische“ nannte. Tatsächlich hatte diese Unterscheidung Auguste Comte schon 1830 vollzogen: „Man muss nämlich zwei Gattungen von Wissenschaften unterscheiden; die eine ist abstrakt und allgemein und beschäftigt sich mit der Auffindung jener Gesetze, welche mehrere Klassen von Vorgängen bestimmen. Die andere ist konkret, beschreibend, auf das Besondere gerichtet; man bezeichnet sie mitunter mit dem Namen der einzelnen Naturwissenschaften, weil sie diese Gesetze auf die verschiedenen, wirklich bestehenden Dinge anwendet.“ Vgl. Comte, Auguste, Die positive Philosophie im Auszuge von Jules Rig. Uebersetzt von J. H. von Kirchmann, Band 1. – Heidelberg: G. Weiss 1883, S. 21. Vgl. dazu Weber, Objektivität, unten, S. 199.
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Damit hoffte er auch, auf das nach dem Wechsel Riehls an die Universität Kiel vakant gewordene Freiburger Ordinariat für Philosophie berufen zu werden. Weber, der mit Rickert befreundet war,[9] Vgl. Rickert, Grenzen.
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setzte sich in diesem Berufungsverfahren für ihn ein. Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild, S. 216. Vgl. auch Brief von Max Weber an Georg von Below vom 17. Juli 1904, MWG II/4, S. 235 f., hier S. 235.
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Im Dezember 1895 wies er in einem Separatvotum darauf hin, daß eine bereits publizierte „Partie“ dieser Studie „schon jetzt eine derartige Bedeutung auch für den Methodenstreit in der Nationalökonomie“ habe, daß er in seinen „theoretischen Vorlesungen zu diesem originellen Gedankenkreise Stellung nehmen mußte“. Vgl. den Editorischen Bericht zum Brief von Max Weber an Friedrich Kluge vom 22. Dez. 1895, MWG II/3, S. 155–160, hier S. 155 ff.
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Zudem gab er Rickert den Rat, zunächst einen „Halbband“ zu publizieren. Weber, Max, Separatvotum betreffend die Besetzung des philosophischen Ordinariats (7. Dezember 1895), MWG I/13, S. 567–576, hier S. 572. Weber bezog sich dabei auf Rickert, Heinrich, Zur Theorie der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, in: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie, Band 18, Heft 3, 1894, S. 277–319. Eine Stellungnahme „zu diesem originellen Gedankenkreise“ ist in Webers Vorlesungen über „Allgemeine (‚theoretische‘) Nationalökonomie“ (MWG III/1) nicht enthalten. Rickert wird an keiner Stelle erwähnt.
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Vgl. Brief von Max Weber an Marianne Weber vom 3. April 1896, MWG II/3, S. 181–183, hier S. 182.
So erschienen 1896 die ersten drei Kapitel, die „vor Allem den Zweck hatten, zu zeigen, dass die naturwissenschaftliche Methode in der Geschichte nicht anwendbar ist, und die als negativer Theil der Arbeit ein abgeschlossenes Ganzes bilden“.
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Um eine Brücke zum noch zu formulierenden positiven Teil zu bauen, verwies Rickert am Ende des negativen Teils noch auf einschlägige neuere Studien, so auch auf „die ungemein lehrreichen Ausführungen, die Sigwart in der zweiten Auflage seiner Methodenlehre (Logik, Bd. II, 2. Aufl. S. 599 ff.) über die ‚Erklärung im Gebiete der Geschichte‘ gegeben hat“, Rickert, Grenzen, S. IV.
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mithin auf jenes Werk, das Weber im „Grundriß“ zu seiner Vorlesung über „Allgemeine (‚theoretische‘) Nationalökonomie“ aufführte. Ebd., S. 299.
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Vgl. Weber, Grundriß zu den Vorlesungen über Allgemeine („theoretische“) Nationalökonomie, MWG III/1, S. 89. Im Methodenstreit war Sigwart durchaus bekannt. Für Schmoller, Methodologie, S. 244, war er „unser erster deutscher Logiker“, auf den er im Zuge seiner Bestimmung des Verhältnisses von „Theorie“ und „Beobachtung“ referierte.
Rickert wurde 1896 in der Tat auf das Freiburger Ordinariat für Philosophie berufen und arbeitete in den folgenden Jahren an der „zweite[n] Hälfte“
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seiner Monographie. Als er 1899 in seiner Rede „Kulturwissenschaft und [10]Naturwissenschaft“ Rickert, Grenzen, S. V.
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den positiven Teil seiner Monographie im Kern vorstellte, hatte Weber freilich schon mit seiner Krankheit zu kämpfen, nachdem er im Sommer 1898 einen Zusammenbruch erlitten hatte, der ihn mehr oder weniger arbeitsunfähig machte.[10] Vgl. Rickert, Heinrich, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft. Ein Vortrag. – Freiburg, Leipzig und Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1899 (hinfort: Rickert, Kulturwissenschaft).
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Immer wieder vom Dienst beurlaubt, suchte er in den nächsten Jahren Heilung in Kuren und auf Reisen. Seine freundschaftliche Bindung an Rickert litt darunter nicht, zumal seine Frau, Marianne Weber, eine Dissertation bei Rickert schreiben wollte. Vgl. Aldenhoff-Hübinger, Rita, Einleitung, in: MWG II/3, S. 1–41, hier S. 23 ff.
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Zwar scheiterte ihre Promotion am fehlenden Abitur, ihre schriftliche Arbeit stellte sie gleichwohl fertig. Sie wurde unter dem Titel „Fichte’s Sozialismus und sein Verhältnis zur Marx’schen Doktrin“ im Juli 1900 in der von Carl Johannes Fuchs, Gerhart von Schulze-Gaevernitz und Max Weber herausgegebenen Schriftreihe „Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ publiziert, versehen mit einer „Anmerkung“ Webers, der darin die Selbständigkeit seiner Frau bei der Abfassung ihrer Schrift bekundete. Vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Anmerkung des Herausgebers, unten, S. 33–35.
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Auf Reisen in Italien studierte er dann den positiven Teil von Rickerts Monographie, der Anfang 1902 publiziert worden war und die weitere Ausarbeitung von Windelbands Manifest enthielt. Vgl. Weber, Anmerkung des Herausgebers, unten, S. 36.
Rickert hatte die Unterscheidung zwischen nomothetischer und idiographischer Erkenntnis in eine Theorie der „Begriffsbildung“ gekleidet, wobei unter Begriffen nicht nur einzelne Worte, sondern auch Aussagen (Urteile) zu verstehen sind. Die nomothetische, naturwissenschaftliche Erkenntnis betrachtet die Wirklichkeit auf das Allgemeine hin und strebt letztlich danach, Begriffe zu formulieren, die Kausalgesetze zum Ausdruck bringen. Sie abstrahiert von der „vollen empirischen Wirklichkeit“, in der „jede Ursache und jede Wirkung von jeder anderen Ursache und jeder anderen Wirkung verschieden ist“.
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Dabei unterstellt sie ein „Prinzip der Aequivalenz der Ursachen“, das besagt, „dass ‚dieselbe‘ Ursache jedesmal dieselbe Wirkung hervorbringt“, sowie ein „Prinzip der Aequivalenz von Ursache und Effekt“, das besagt, „dass die Ursache niemals mehr hervorbringe, als sie selbst enthalte“, Rickert, Grenzen, S. 420, 413.
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was im „Satz: causa aequat effectum“ seinen Ausdruck findet und das Gesetz die Form einer „Kausalgleichung“ annehmen läßt. Ebd., S. 420 f.
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Die idiographische, geschichts- bzw. kulturwissenschaftliche Erkenntnis hingegen betrachtet die Wirklichkeit [11]auf das Besondere hin. Sie wählt durch „Beziehung auf einen allgemeinen Werth“ „historische Individuen“ aus und formuliert Begriffe, welche die ,,wesentliche[n]“ „Bestandtheile“ solcher Individuen zum Ausdruck bringen. Ebd., S. 420, 422. Zum Begriff „Kausalgleichung“ vgl. Weber, Roscher und Knies 1, unten, S. 46 mit Anm. 31.
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Weil sie nicht abstrahiert, kennt sie „den Begriff der Kausalgleichung überhaupt nicht“, sondern benutzt „Kausalungleichungen“ zur Darstellung „individuelle[r] Kausalzusammenhänge“.[11] Rickert, Grenzen, S. 368.
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Folglich ist der „Satz: kleine Ursachen – grosse Wirkungen“ zwar für die naturwissenschaftliche Begriffswelt falsch, nicht aber für den Historiker, der „sich niemals zu scheuen braucht, historisch wesentliche Wirkungen aus historisch unwesentlichen Ursachen entstehen zu lassen“. Ebd., S. 422, 414.
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Ebd., S. 422. Zum Begriff „Kausalungleichung“ vgl. Weber, Roscher und Knies 2, unten, S. 254 f. mit Anm. 52.
Rickert bettete seine Theorie der Begriffsbildung in ein System der Wissenschaften ein, das die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen als Mischformen zwischen der Mechanik einerseits und der Historik andererseits verortete, je nach Anteil ihrer naturwissenschaftlichen und geschichts- bzw. kulturwissenschaftlichen Begriffe. Eine weitere Klärung seiner Vorstellung von Kausalität schien ihm nicht erforderlich. Es würde „viel zu weit führen“, „wenn wir eine vollständige Theorie der naturwissenschaftlichen Kausalität geben wollten“.
72
Eine vollständige Theorie der „historischen Kausalität“ hat er freilich ebensowenig gegeben. Rickert, Grenzen, S. 420 f.
73
Dafür widmete er sich den „weltanschaulichen“ Implikationen seiner „logische[n] Einleitung in die historischen Wissenschaften“, Ebd., S. 416.
74
mit denen er seine Monographie begonnen hatte und mit denen er sie beendete. So der Untertitel von Rickert, Grenzen.
75
Rickert hatte das Ziel, der „naturwissenschaftlichen“ im Sinne von „naturalistischen Weltanschauung“ eine „historische Weltanschauung“ entgegenzusetzen. Seine Studien zur wissenschaftlichen Erkenntnis waren ihm „Mittel“ zu diesem Zweck. Vgl. Rickert, Grenzen, S. 10. Vgl. bereits Rickert, Kulturwissenschaft (wie oben, S. 10, Anm. 62), S. 10 ff. Vgl. hierzu Weber, Roscher und Knies 1, unten, S. 75 mit Anm. 51.
Weber berichtete nun seiner Frau Marianne im April 1902 aus Florenz, daß er „Rickert“ lese, der „recht gut“ sei, aber auch „hie u. da Widerspruch“ hervorrufe.
76
Von „der Terminologie (,Werth‘)“ abgesehen, sei Rickert „sehr gut“. Karte von Max Weber an Marianne Weber vom 7. April 1902, MWG II/3, S. 822.
77
Zum „großen Teil“ finde er das, was er „selbst, wenn auch in logisch nicht bearbeiteter Form, gedacht habe“; gegen die „Terminologie“ habe er [12]„hie u. da Bedenken“, Karte von Max Weber an Marianne Weber vom 10. April 1902, MWG II/3, S. 825. Vgl. hierzu auch das im Winter 1902/03 formulierte, sogenannte Nervi-Fragment im Anhang, unten, S. 623–668.
78
womit er einmal mehr den Wertbegriff gemeint haben dürfte. [12] Karte von Max Weber an Marianne Weber vom 11. April 1902, MWG II/3, S. 826 f., hier S. 826.
Webers Lektüre fällt in die Zeit seines zweiten Gesuchs um Entlassung aus dem badischen Staatsdienst, das er aber wieder zurücknahm.
79
Er blieb Mitglied der Philosophischen Fakultät und erhielt angeblich im Oktober 1902 die Einladung, einen Beitrag für eine Festschrift der Ruperto Carola zu schreiben, in der „Heidelberger Professoren aus dem 19. Jahrhundert“ vorgestellt werden sollten. Vgl. Brief von Max Weber an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 26. März 1902, MWG II/3, S. 813–815. Zum ersten Gesuch vgl. Brief von Max Weber an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 7. Jan. 1900, ebd., S. 711–714.
80
Als Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Karl Knies war ihm eine Vorstellung dieses angesehenen Nationalökonomen zugedacht. Weil Schmoller bereits ein „literarisches Porträt“ Marianne Weber zufolge erhielt Weber die Einladung „ein halbes Jahr“ nach seiner Florenz-Lektüre von Rickerts „Grenzen“, die sich auf April 1902 datieren läßt. Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild, S. 273
81
von Knies publiziert hatte, dachte Weber offenbar an eine „problemgeschichtliche Fassung der Arbeit“, Schöll, Fritz, Vorrede, in: Heidelberger Professoren aus dem 19. Jahrhundert. Festschrift der Universität zur Zentenarfeier ihrer Erneuerung durch Karl Friedrich, Band 1. – Heidelberg: Carl Winter 1903, S. V–XVI (hinfort: Schöll, Vorrede), hier S. XIV. Mit diesem „literarische[n] Porträt“ ist Schmollers Rezension von Knies’ Buch „Die politische Oekonomie vom geschichtlichen Standpunkte“ gemeint, die Schmoller 1883 in seinem „Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirthschaft im Deutschen Reich“ publiziert und 1888 in seinem Sammelwerk „Zur Litteraturgeschichte der Staats- und Sozialwissenschaften“ unter dem Titel „Karl Knies“ zum Wiederabdruck gebracht hatte. Vgl. Schmoller, Knies1, und ders., Knies2.
82
mit der er dann allerdings auch systematische Überlegungen verbinden sollte: So sei es „einer der Zwecke dieser Studie“, die „Brauchbarkeit der Gedanken“ des „grundlegenden Werk[s] von H. Rickert (Die Grenzen der naturwissensch[aftlichen] Begriffsbildung)“ für die „Methodenlehre unserer Disziplin zu erproben“. Schöll, Vorrede (wie oben, S. 12, Anm. 81), S. XIV.
83
Weber, Roscher und Knies 1, unten, S. 49, 45.
Obwohl Weber bis auf Weiteres keine Vorlesungen halten mußte, war er also weiter an der theoretischen Nationalökonomie und der Auflösung des Methodenstreits interessiert. Das „nämliche Gewässer“
84
zeigte sich an neuen Ufern. Weber meinte, eine Befassung mit den „methodologischen Ansichten von Knies“ bedürfe „einer vorherigen Darlegung des methodischen Standpunktes Roschers“. Tocqueville, Staat (wie oben, S. 1, Anm. 1), S. 4.
85
Seine in systematischer Absicht formulierte problemgeschichtliche Fassung geriet dadurch zu einer umfassenden Auseinanderset[13]zung mit Roscher als dem wichtigsten Protagonisten der älteren Historischen Schule der Nationalökonomie, dessen geschichtsphilosophische und organologische Prämissen er kritisierte. Wegen seiner angegriffenen gesundheitlichen Konstitution wurde ihm diese Arbeit jedoch „bald zur lastenden Qual“. Weber, Roscher und Knies 1, unten, S. 42.
86
Marianne Weber sprach von einem „Seufzeraufsatz“,[13] Weber, Marianne, Lebensbild, S. 273.
87
der für sie freilich den Beginn einer neuen Phase der Produktivität markierte. Ebd., S. 291.
Weber verfaßte bis Dezember 1902 ein Manuskript, das seine Frau abtippte und ihm nach Nervi, einem Winterkurort nahe Genua, schickte,
88
wo er sich auch wieder mit Rickerts „Grenzen“ beschäftigte. Vgl. Karte von Max Weber an Marianne Weber vom 4. Jan. 1903, MWG II/4, S. 35 f., hier S. 35.
89
Im Februar 1903 stand fest, daß er den Termin für die Abgabe der Beiträge für die Heidelberger Festschrift nicht würde einhalten können, weswegen er seine Abhandlung Schmoller zur Publikation in dessen „Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich“ anbot. Die „Hälfte“ könne er „im Mai liefern u. den Rest im Laufe des Sommers“. Dazu ist ein Manuskript, das sogenannte Nervi-Fragment, überliefert. Vgl. den Anhang, unten, S. 623–668, bes. S. 623–626.
90
Tatsächlich wurde diese „Hälfte“ erst im Sommer 1903 fertig, was hauptsächlich Webers schwankendem Gesundheitszustand geschuldet sein dürfte, der ihn im April 1903 zu einem dritten Entlassungsgesuch bewog, aufgrund dessen ihn das Ministerium, unter Verzicht auf eine Pension, krankheitshalber in den Ruhestand versetzte, ihn aber zugleich mit einer Honorarprofessur an der Philosophischen Fakultät der Ruperto Carola betraute. Brief von Max Weber an Gustav Schmoller vom 20. Febr. 1903, MWG II/4, S. 43 f., hier S. 44.
91
Als die besagte „Hälfte“ unter dem Titel „Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie“ im Oktober 1903 in Schmollers „Jahrbuch“ erschien, war Weber freilich schon mit einem neuen Projekt beschäftigt, was ihn von der Fertigstellung der zweiten, nunmehr Knies gewidmeten Hälfte, für die er wohl auch schon in Nervi eine „Stoffeinteilung“ angefertigt hatte, Vgl. Brief von Max Weber an Franz Böhm vom 8. April 1903, MWG II/4, S. 45–48.
92
abhielt. Vgl. Brief von Max Weber an Marianne Weber vom 3. Jan. 1903, MWG II/4, S. 33 f., hier S. 34.
Im Sommer 1903 kaufte Edgar Jaffé, ein aus einer Hamburger Kaufmannsfamilie stammender Privatgelehrter, der sich an der Universität Heidelberg für Nationalökonomie habilitieren wollte, von Heinrich Braun, einem Publizisten und Sozialpolitiker, der für die SPD in den Reichstag gewählt worden war, das „Archiv für Soziale Gesetzgebung und Statistik“, um es weiterzuführen.
93
Als [14]Mitherausgeber gewann er Weber und Werner Sombart, der eine außerordentliche Professur für Nationalökonomie an der Universität Breslau hatte und Braun nahestand. Vgl. Hübinger, Gangolf und Lepsius, Μ. Rainer, Einleitung, in: MWG II/4, S. 1–25, hier S. 3 ff., sowie den Kommentar zur Karte von Max Weber an Edgar Jaffé vom 1. Juni 1903, MWG II/4, S. 68–70.
94
Um das Konzept der Zeitschrift, die unter dem neuen Namen „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ erscheinen sollte, vorzustellen, formulierten die Herausgeber einen Werbeprospekt,[14] Auch Sombart wollte den Methodenstreit in der Nationalökonomie überwinden. Vgl. Sombart, Werner, Der moderne Kapitalismus, Band 1: Die Genesis des Kapitalismus. – Leipzig: Duncker & Humblot 1902 (hinfort: Sombart, Moderner Kapitalismus I), S. XXVIl ff.
95
für den Jaffé und Weber je einen Entwurf geschrieben hatten, Vgl. Jaffé, Sombart, Weber, Werbetext, unten, S. 112–119.
96
sowie ein Geleitwort, Vgl. Weber, Entwurf zur Übernahme des Archivs, unten, S. 102–111. Der Entwurf von Jaffé ist nicht überliefert.
97
das im April 1904 im ersten Heft des „Archivs“ erschien. In dieser kurzen Programmschrift erklärten die Herausgeber „die historische und theoretische Erkenntnis der allgemeinen Kulturbedeutung der kapitalistischen Entwicklung“ zu dem „wissenschaftliche[n] Problem“, in dessen „Dienst“ sie ihre Zeitschrift stellen wollten. Vgl. [Jaffé, Sombart, Weber,] Geleitwort, unten, S. 120–134.
98
Dabei beabsichtigten sie, den seit dem Methodenstreit in der Nationalökonomie virulenten Gegensatz von historischer und theoretischer Erkenntnis in Richtung Theorie aufzulösen. Dem „Hunger nach sozialen Tatsachen“, den Braun mit dem Abdruck von Gesetzestexten und Sozialstatistiken gestillt hatte, sei „mit dem Wiedererwachen des philosophischen Interesses“ auch ein „Hunger nach sozialen Theorien“ gefolgt, den „zu befriedigen eine der künftigen Hauptaufgaben des ,Achivs‘ bilden wird“. Ebd., S. 130.
99
So findet sich am Ende des „Geleitworts“, sehr wahrscheinlich auf Webers Initiative hin, ein Bekenntnis zu einer „im engeren Sinn ,Theorie‘ genannte[n] Form der Forschung“, ohne jedoch „den Reichtum des historischen Lebens in Formeln zu zwängen“. Ebd., S. 133.
1
Zur Fundierung dieser Forschung sollten regelmäßig „erkenntniskritisch-methodologische Erörterungen über das Verhältnis zwischen den theoretischen Begriffsgebilden und der Wirklichkeit“ publiziert werden. Ebd.
2
Ebd.
Dazu wollte Weber im ersten Heft des „Archivs“ mit seiner Abhandlung „Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ auch gleich den Anfang machen. Nach einer das „Geleitwort“ ergänzenden, nicht zuletzt gegen die ethische Nationalökonomie Schmollers gerichteten Präzisierung des Verhältnisses von wertfreier Sozialwissenschaft und wertender Sozialpolitik
3
machte er sich an die Formulierung einer solchen im engeren Sinn [15]Theorie genannten Form der Forschung, um im Methodenstreit der „zwei Nationalökonomien“ Vgl. Weber, Objektivität, unten, S. 145–161.
4
Position zu beziehen. So nahe es dabei für ihn lag, sich mit Mengers „‚abstrakt‘-theoretische[r] Methode“ auseinanderzusetzen,[15] Ebd., S. 161.
5
so klar sollte ihm nun auch werden, daß Rickerts Theorie geschichts- bzw. kulturwissenschaftlicher Erkenntnis, an die er wieder anknüpfte, Vgl. ebd., S. 197–203.
6
für seine Zwecke nicht hinreichte. Vgl. ebd., S. 143. Weber bezog sich auch in seinen folgenden Beiträgen zur Logik und Methodik der Sozialwissenschaften auf Rickert. Auch in seiner weiteren Korrespondenz kam er meist in freundschaftlicher Verbundenheit auf Rickert zu sprechen. Vgl. z. B. Brief von Max Weber an Franz Eulenburg vom 16. April 1905, MWG II/4, S. 466, in dem er Rickert als „einen unserer tüchtigsten Logiker“ bezeichnete.
7
Vgl. Brief von Max Weber an Georg von Below vom 17. Juli 1904, MWG II/4, S. 235 f., hier S. 235, in dem er darauf hinwies, daß sein Aufsatz „eigentlich nur“ eine „Anwendung“ der „Gedanken“ seines „Freundes Rickert“ enthalte – „[a]ußer dem mir allerdings wichtigsten letzten Drittel“. Tatsächlich fand er selbst den Kern dieser „Gedanken“ unzureichend, wie er Gottl mitteilen sollte: „Sie haben ganz recht mit der Bemerkung, daß Rickert das logische Wesen des ,Werth-Beziehens‘ (obwohl er diesen Begriff entdeckt hat) nicht genügend formuliert hat.“ Vgl. Brief von Max Weber an Friedrich Gottl vom 27. März 1906, MWG II/5, S. 59 f., hier S. 59.
Mengers Methode erschöpfte sich nicht in der einen, generalisierenden Variante der Abstraktion, die Rickert seiner Theorie naturwissenschaftlicher Erkenntnis zugrunde gelegt hatte, sondern basierte auch auf der anderen, isolierenden Variante,
8
die Rickert, ohne sie in seiner Darstellung der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung thematisiert zu haben, für die geschichts- bzw. kulturwissenschaftliche Erkenntnis ablehnte. Vgl. Menger, Untersuchungen, S. 40 ff., 52 f.
9
Für Menger war die Abstraktion Teil seiner „Methode“, die er 1871 in seinen „Grundsätze[n]“ und 1883 in seinen „Untersuchungen“ anwandte und 1884 in einem Brief an Léon Walras nicht nur als „exakt“, sondern auch als „analytisch-synthetisch“ und „analytisch-compositiv“ bezeichnete, Vgl. Rickert, Grenzen, S. 392, 404 f., 409, 446, 448, 524, 526, 528.
10
hat sie doch wirtschaftliche „Phäno[16]mene auf ihre einfachsten Elemente zurück zu führen und den Process zu erforschen, durch welchen die ersteren sich aus den letzteren gesetzmässig aufbauen“. Für Menger war „exakt“ synonym mit „analytisch-synthetisch“ und „analytisch-compositiv“. Vgl. Brief von Carl Menger an Léon Walras vom Februar 1884, in: Correspondence of Léon Walras and Related Papers, Volume II: 1884–1897, hg. von William Jaffé. – Amsterdam: North-Holland 1963, S. 2–6 (Letter 602) (hinfort: Menger, Brief an Walras), hier S. 4. Friedrich August von Hayek hat zum Titel des Kapitels „Die individualistische und ,kompositive‘ Methode der Sozialwissenschaften“ seines Buches „Mißbrauch und Verfall der Vernunft“ angemerkt: „Das Wort ,kompositiv‘ habe ich einer handschriftlichen Notiz von Carl Menger entnommen, der es in seinem persönlichen mit Notizen versehenen Exemplar von Schmollers Rezension seiner Methode der Socialwissenschaften (Jahrbuch für Gesetzgebung etc. N. F. 7, 1883, 42) über das von Schmoller verwendete Wort ,deduktiv‘ schrieb.“ Vgl. Hayek, Friedrich A. von, Mißbrauch und Verfall der Vernunft. Ein Fragment. Hg. von Viktor Vanberg. Gesammelte Schriften in deutscher Sprache, Abteilung B, Band 2. – Tübingen: Mohr Siebeck 2002, S. 36 f. Hayek zufolge wäre Menger mit der damals üblichen Bezeich[16]nung seiner Methode als „abstrakt-deduktiv“ – im Unterschied zu Schmollers „historisch-induktiv[er]“ Methode – nicht einverstanden gewesen. Vgl. Hasbach, Wilhelm, Zur Geschichte des Methodenstreits in der politischen Ökonomie, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, 19. Jg., 1895, S. 83–108, hier S. 83, 87. Auch Weber hat diese Bezeichnungen benutzt. Vgl. Brief von Max Weber an die Philosophische Fakultät der Universität Heidelberg vom 26. Mai 1903, MWG II/4, S. 67.
11
Wie eine Publikation aus dem Jahr 1889 nahelegt, Menger, Untersuchungen, S. 52. Vgl. sinngemäß bereits Menger, Carl, Grundsätze der Volkswirthschaftslehre. Erster, allgemeiner Theil. – Wien: Wilhelm Braumüller 1871 (hinfort: Menger, Grundsätze), S. VII.
12
bezog sich Menger in diesem Brief auf die „Logik“ Wilhelm Wundts, die 1883, also im selben Jahr wie seine eigenen „Untersuchungen“, publiziert worden war. In Wundts „Logik“ konnte er eine Klärung dieser Konzepte finden. Vgl. Menger, Carl, Grundzüge einer Klassifikation der Wirtschaftswissenschaften. Sonderdruck aus den Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Johannes Conrad, N. F. Band XIX. – Jena: Gustav Fischer 1889, S. 11 f.
Für Wundt basierte „Abstraction“ auf „Analyse“.
13
Eine „elementare Analyse“ besteht in der „Zerlegung einer Erscheinung in ihre Theilerscheinungen“, eine „causale Analyse“ in der „Zerlegung einer Erscheinung in ihre Bestandtheile mit Rücksicht auf die ursächlichen Beziehungen der letzteren“. Wundt, Wilhelm, Logik. Eine Untersuchung der Principien der Erkenntnis und der Methoden wissenschaftlicher Forschung, Band II: Methodenlehre. – Stuttgart: Ferdinand Enke 1883 (hinfort: Wundt, Logik II1), S. 10 f.
14
Die kausale Analyse zielt auf „ein willkürliches Isoliren einzelner Elemente aus den zu untersuchenden complexen Thatsachen“, um „die causalen Beziehungen der isolirt betrachteten Elemente kennen zu lernen“. Ebd., S. 2 f.
15
Sie „verändert“ ihren Gegenstand, denn sie „vernachlässigt […] die Existenz gewisser Bestandtheile“ und versucht bei den anderen „so viel als möglich die Bedingungen ihrer Coexistenz oder Aufeinanderfolge zu verändern“: „Zu der Isolation gesellt sich auf diese Weise die Variation der Elemente als das wesentlichste Hülfsmittel.“ Ebd., S. 4.
16
Die „analytische Methode“ führt damit automatisch zur „isolirenden Abstraction“, die eben darin besteht, daß man aus einer „complexen Erscheinung einen bestimmten Bestandtheil oder mehrere Bestandtheile willkürlich abgetrennt denkt und für sich der Beobachtung unterzieht“. Ebd.
17
Neben der isolierenden gibt es die „generalisierende Abstraction“, die darin besteht, daß man hinsichtlich einer „Anzahl“ von „complexen Thatsachen“ die „von einem individuellen Fall zum anderen wechselnden Eigenschaften vernachlässigt, um gewisse der gesammten Gruppe gemeinsam zugehörige zurück[17]zubehalten“, wodurch „Gattungsbegriffe“, „abstracte Regeln oder Gesetze“ entstehen. Ebd., S. 11.
18
Was nun die „Synthese“ betrifft, so gibt es eine „reproductive“, die in einer „einfachen Umkehrung einer vorausgegangenen Analyse“ besteht und „im Interesse einer nochmaligen Prüfung der analytischen Resultate“ durchgeführt wird, sowie eine „productive“, die „nur gewisse Resultate vorangegangener analytischer Untersuchungen“ berücksichtigt und zu „Ergebnissen“ führt, welche die Analyse „ergänzen“.[17] Ebd.
19
Ebd., S. 7 f.
Mit der präzisierenden Bezeichnung seiner „Methode“ als „analytisch-synthetisch“ und „analytisch-compositiv“ machte Menger deutlich, daß er sich in eine Tradition stellte, die in der späten Renaissance ihren Anfang genommen hatte und das wissenschaftliche und philosophische Denken der Moderne nachhaltig prägen sollte. Mitte des 16. Jahrhunderts hatte Jacopo Zabarella, einer der wichtigsten Repräsentanten einer in Padua ansässigen Schule von Aristotelikern, in seinen Abhandlungen „De methodis“ und „De regressu“ auf Basis des Syllogismus eine Methode kausaler Erklärung entwickelt, in der er Analyse (resolutio) und Synthese (compositio) miteinander kombinierte.
20
Diese Methode beeinflußte Galileo Galilei, Die erste Ausgabe von Zabarellas Werken erschien 1578. Vgl. Zabarellae Patavini, Jacobi, Opera logica. – Venezia: Paulus Meietus 1578. Populär wurde Zabarellae Patavini, Jacobi, Opera logica. – Coloniae: Lazari Zetzneri 1597, Sp. 133–334 (De methodis), 479–498 (De regressu).
21
der sie mathematisch ausarbeitete und zur Grundlage der neuzeitlichen Physik machte. Sie beeinflußte Philosophen wie René Descartes Vgl. Galilei, Galileo, Tractatio de praecognitionibus et praecognitis. Tractatio de demonstratione. Translated from the Latin Autograph by William F. Edwards. With an Introduction, Notes, and Commentary by William A. Wallace. – Padova: Editrice Antenova 1988.
22
und Thomas Hobbes Vgl. Descartes, René [anonym], Discours de la méthode pour bien conduire sa raison, & chercher la vérité dans les sciences. – Leyde: lan Maire 1637.
23
und fand ebenso Eingang in die Geisteswissenschaften Vgl. Hobbes, Thoma[s], Elementorum Philosophiae sectio prima de corpore. – Londini: B. Pauli 1655.
24
wie in die klassische Nationalökonomie, Vgl. Ast, Friedrich, Grundlinien der Grammatik, Hermeneutik und Kritik. – Landshut: Jos. Thomann 1808.
25
in der man sich seit Ricardo an der Physik orientierte. Zu „On Syllogism“ und „On Method, Analysis, and Synthesis“ vgl. Jevons, Stanley, Elementary Lessons in Logic. Deductive and Inductive. – London: Macmillan 1872, S. 126 ff., 201 ff.
Weber sollte diese analytisch-synthetische Methode übernehmen, was er später selbst zum Ausdruck brachte: „Schon der erste Schritt zum historischen Urteil ist also – darauf liegt hier der Nachdruck – ein Abstraktionsprozeß, der durch Analyse und gedankliche Isolierung der Bestandteile des [18]unmittelbar Gegebenen, – welches eben als ein Komplex möglicher ursächlicher Beziehungen angesehen wird, – verläuft und in eine Synthese des ‚wirklichen‘ ursächlichen Zusammenhanges ausmünden soll.“
26
In einer Weise, die an Zabarella erinnert, dessen Werk ja keineswegs vergessen war,[18] Weber, Kritische Studien, unten, S. 460.
27
sprach Weber diesbezüglich auch von einem „kausale[n] Regressus“ und „kausale[n] Progressus“, Vgl. Nicolai, Friedrich, Bemerkungen über den logischen Regressus, nach dem Begriffe der alten Kommentatoren des Aristoteles, in: Sammlung der deutschen Abhandlungen, welche in der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin vorgelesen worden in dem Jahre 1803. – Berlin: Georg Decker 1806, S. 163–180.
28
was er mit einer entsprechenden Kausalitätstheorie konkretisieren wollte. Dabei entschied er sich für eine Theorie seines ehemaligen Freiburger Kollegen, des Physiologen Johannes von Kries, In Webers Beiträgen in diesem Band findet sich der Begriff „kausale[r] Regressus“ 33 mal, der Begriff „kausale[r] Progressus“ dreimal. Vgl. z. B. Weber, Objektivität, unten, S. 164; Weber, Kritische Studien, unten, S. 411, 465 und 478; Weber, Stammler, unten, S. 551.
29
denn Rickert hatte ja keine vollständige Theorie historischer Kausalität formuliert, was auch sofort kritisiert worden war. Vgl. Weber, Objektivität, unten, S. 186 mit Anm. 41, 42. Diese Theorie wird auch in der Korrespondenz mit Rickert erwähnt. Vgl. Brief von Max Weber an Heinrich Rickert vom 14. Juni 1904, MWG II/4, S. 230 f., hier S. 231. Zur persönlichen Bekanntschaft Webers mit Kries vgl. Brief von Max Weber an Marianne Weber vom 8. Okt. 1895, MWG II/3, S. 154, und Weber, Marianne, Lebensbild, S. 217.
30
Tatsächlich kamen Rickerts Andeutungen zur Kausalungleichung, denen zufolge für den Historiker historisch wesentliche Wirkungen aus historisch unwesentlichen Ursachen entstehen können, nicht über die Naturwissenschaften hinaus, wo man solche Prozesse, bei denen „zwischen Ursache und Wirkung gar keine quantitative Beziehung besteht, vielmehr in der Regel die Ursache der Wirkung gegenüber eine verschwindend kleine Grösse zu nennen ist“, als „Auslösungen“ bezeichnete, [19]wie etwa bei einem „Funken“, der „Knallgas“ zur Explosion bringt. Vgl. Troeltsch, Ernst, Moderne Geschichtsphilosophie, in: Theologische Rundschau, 6. Jg., 1903, S. 3–28, 57–72, 103–117, hier S. 110: „Meines Erachtens erfordert das Buch [Rickert, Grenzen] ein weiteres spezielles Werk über den Kausalitätsbegriff, wenn es wirklich überzeugend und durchdringend wirken soll. Denn es wird sehr vielen gehen wie mir, dass sie an diesem Punkte – und es ist doch ein Hauptpunkt – die Rickertschen Andeutungen nicht ganz verstehen und durchschauen.“ Daß Weber in Troeltsch wie in den anderen „Kritiker[n] der R[ickert]’schen Theorie“ einen „Konfusionarius“ gesehen hätte, ist unwahrscheinlich. Vgl. Brief von Max Weber an Franz Eulenburg vom 8. Sept. 1905, MWG II/4, S. 522 f., hier S. 523. Auch 1905, nach der Publikation von Rickerts Abhandlung „Geschichtsphilosophie“, war Weber mit dessen Ausführungen zur „Causalität“ und „historischen Zurechnung“ unzufrieden. Vgl. Brief von Max Weber an Heinrich Rickert vom 2. April 1905, ebd., S. 445–448, hier S. 445 f. Kurz darauf fragte er an, ob Rickert im „Archiv“ seine „Causalitätsauffassung (das ‚individuelle Band‘) näher entwickeln“ wolle, was Rickert unterließ. Vgl. Brief von Max Weber an Heinrich Rickert vom 28. April 1905, ebd., S. 476–479, hier S. 479.
31
Bezeichnenderweise hatte Windelband seine Vorstellung zweier Arten von Ursachen am Beispiel eines „Funke[ns]“ erläutert, der eine „Explosion“ mitverursacht.[19] Vgl. Mayer, Julius Robert, Die Toricellische Leere und über Auslösung. – Stuttgart: J. G. Cotta 1876 (hinfort: Mayer, Auslösung), S. 9 f. Zum Begriff „Auslösung“ vgl. Weber, Objektivität, unten, S. 191 mit Anm. 61; Weber, Roscher und Knies 2, unten, S. 265 mit Anm. 90.
32
Windelband, Geschichte, S. 24 f.
Kries, der u. a. mit Helmholtz gearbeitet hatte, bekleidete seit 1883 eine ordentliche Professur für Physiologie an der Universität Freiburg, wo er u. a. Forschungen über Farbwahrnehmung, Druckverhältnisse von Flüssigkeiten und Psychophysik durchführte.
33
Probleme bei der Messung mentaler Zustände brachten ihn mit der Wahrscheinlichkeitstheorie in Kontakt. 1886 publizierte er seine Monographie „Principien der Wahrscheinlichkeits-Rechnung“, 1888 folgte seine Abhandlung „Ueber den Begriff der objectiven Möglichkeit und einige Anwendungen desselben“. Auf beide Studien referierte Weber. Zu Leben und Werk vgl. Kries, Johannes von, Johannes von Kries, in: Grote, L. R. (Hg.), Die Medizin der Gegenwart in Selbstdarstellungen. – Leipzig: Felix Meiner 1925, S. 125–187.
Kries war dem mechanistisch-deterministischen Weltbild verhaftet und postulierte daher, „dass jedes Ereigniss, welches thatsächlich eintritt, durch die Gesammtheit der zuvor bestehenden Verhältnisse mit Nothwendigkeit herbeigeführt ist“.
34
Laplace entsprechend, war für ihn die Erklärung oder Voraussage eines Ereignisses bzw. „Erfolgs“ eine Aufgabe, an der „zwei wesentlich verschiedene Teile“ unterschieden werden müssen: Zum einen sind „die Gesetze zu ermitteln, nach welchen die einzelnen Dinge ihre Zustände wechseln“; zum anderen müssen wir „einen Ausgangspunkt angeben, von welchem aus wir uns die Veränderungen in einer durch jene Gesetze bestimmten Weise ablaufend denken“. Kries, Möglichkeit, S. 4 [180]. Von dieser Publikation benutzte Weber einen Separatdruck, der mit dem Abdruck in der Zeitschrift text-, aber nicht seitenidentisch ist. Die Seiten werden daher durchweg doppelt nachgewiesen: der Separatdruck an erster Stelle, die Zeitschrift an zweiter Stelle in eckigen Klammern.
35
So lehrt uns die Kenntnis des „Gravitations-Gesetzes […] noch nichts über die wirklich Statt findende Bewegung der Planeten“; um sie zu verwerten, „müssen wir noch wissen, welche Massen existiren und in welchem Zustande der räumlichen Verteilung und der Bewegung sie sich irgend wann befunden haben“. Kries, Principien, S. 85.
36
Kries bezeichnete „diese bei[20]den Arten von Bestimmungen“ als „nomologisch“ und „ontologisch“. Ebd., S. 85 f.
37
Sie entsprechen Windelbands Vorstellung zweier Arten von Ursachen.[20] Ebd., S. 86.
38
Vgl. Windelband, Geschichte, S. 24. Kries, Möglichkeit, S. 6 [182], orientierte sich ebenfalls am logischen Schema des Syllogismus: „Die hier von mir gegebene Darstellung der Möglichkeit geht davon aus, dass die Naturgesetze eine gesetzmässige Verknüpfung von Bedingung und Folge besagen, als möglich somit das Eintreten einer Folge unter gewissen Bedingungen, ein nach antecedens und consequens charakterisirtes Geschehen zu bezeichnen ist.“
Kries folgte Laplace auch in der Einschätzung der Kapazität des menschlichen Geistes. Laplace hatte sich eine „Intelligenz“ vorgestellt, die alle Gesetze und alle Bedingungen in Erfahrung bringen kann. Für diese als Laplacescher Dämon bezeichnete Intelligenz würde nichts „ungewiss“ sein und „Zukunft wie Vergangenheit“ würden ihr „offen vor Augen liegen“.
39
Von dieser Intelligenz sei der „menschliche Geist“ ein „schwaches Bild“, denn wie seine Entdeckung der „allgemeinen Schwere“ zeige, sei er zwar in der Lage, in Kenntnis der Gesetze zu gelangen; eine vollständige Kenntnis der Bedingungen bleibe ihm jedoch versagt. Laplace, Wahrscheinlichkeiten (wie oben, S. 2, Anm. 8), S. 4.
40
Wegen seiner mangelhaften Kapazität, zu einem Anfangszeitpunkt die gegenseitige Lage der Wesen, welche die Natur zusammensetzen, genau festzustellen, muß er sich mit „Wahrscheinlichkeit“ begnügen, Ebd.
41
die insofern Ausdruck dieses Informationsdefizits hinsichtlich der Bedingungen ist. Ebd., S. 6.
42
Das erklärt, warum sich das Credo des Determinismus in einer Publikation über Wahrscheinlichkeitstheorie befindet.
Entsprechend stand für Kries fest, daß wir Menschen „Gesetze“ durchaus erkennen können,
43
jedoch gelangen wir „nie (weder ex ante noch ex post) zu einer so genauen Kenntniss der Bedingungen, dass ein bestimmter Erfolg an dieselben nothwendig geknüpft erschiene; wir sind vielmehr stets auf die Einsicht beschränkt, dass die Bedingungen (so weit wir sie kennen) für einen Erfolg eine gewisse mehr oder weniger grosse Möglichkeit constituiren“. Vgl. Kries, Principien, S. 86 f., 172.
44
Wenn nun der menschliche Geist aus seiner Not eine Tugend macht und gar nicht erst versucht, die Bedingungen näher zu bestimmen, sondern sie im Vagen beläßt, dann ist es für Kries gerechtfertigt, von „objectiven oder physischen Möglichkeit[en]“ zu sprechen, Kries, Möglichkeit, S. 10 [186].
45
wobei jeder Möglichkeit eine Wahrscheinlichkeit entspricht, mit der ihre Verwirklichung erwartet werden kann. Kries, Principien, S. 87.
Solche nur „allgemein, generell bezeichneten Bedingungen“ konstituieren für Kries einen „Spielraum“ möglichen Verhaltens, den man in „zwei Theile“ einteilen kann, nämlich einerseits in Bedingungen, die das „Eintreten“, und [21]andererseits in Bedingungen, die das „Ausbleiben“ eines „Erfolges“ „bewirken würden“.
46
„Unter Umständen“ sind „diese Theile ihrer Grösse nach unter einander vergleichbar“, so daß „die Beziehung des Erfolges zu den allgemeinen Bedingungen“ als eine „abstufbare und auch zahlenmässig zu bezeichnende“ erscheint, „je nachdem die Verwirklichung des Erfolges einem kleineren oder grösseren Theile des gesammten Spielraums entspricht“.[21] Kries, Möglichkeit, S. 5 [181], 7 [183].
47
Kries illustrierte dies an „Zufalls-Spiele[n]“. Ebd., S. 7 f. [183].
48
So gibt es beim „Würfel-Spiel“ für den menschlichen Geist „6 Möglichkeiten des Erfolges“, Kries, Principien, S. 48 ff., und Kries, Möglichkeit, S. [185].
49
während der Laplacesche Dämon nur eine davon als Notwendigkeit kennt. Diese „6 Möglichkeiten“ ergeben sich aus den variablen Bedingungen wie den „Modi der Bewegungen“ und aus den konstanten Bedingungen wie der „geometrische[n] und physische[n] Regelmässigkeit des Würfels“, wobei die konstanten Bedingungen es mit sich bringen, „dass einem bestimmten zusammenhängenden Complex von Bewegungs-Möglichkeiten, welcher etwa den Wurf 6 ergäbe, immer andere, in jeder Beziehung nur ganz wenig verschiedene und von sehr nahe gleichem Umfange sich an die Seite stellen lassen, welche die Würfe 1, 2, 3, 4, 5 bewirkten“. Kries, Principien, S. 54 f.
50
Der ganze „Spielraum“ läßt sich also insofern in zwei Teile einteilen, als man sechs Komplexe von Bedingungen zerlegen kann in einen Komplex, der das Eintreten, und fünf Komplexe, die das Ausbleiben des Erfolges bewirken würden, und weil diese sechs Komplexe nahezu gleich sind, ergibt sich eine „Gleichheit der Wahrscheinlichkeit für jeden der Würfe 1–6“, die sich numerisch als ⅙ ausdrücken läßt. Ebd., S. 55.
51
Ebd.
Den „Wahrscheinlichkeits-Angaben“, wie man sie von Zufallsspielen her kennt, bescheinigte Kries „Allgemeingiltigkeit“, denn „sie gelten für alle Fälle […] und sie gelten für Jeden, der über den Verlauf eines derartigen Falles eine Erwartung zu bilden wünscht“.
52
Die „allgemeingiltige Wahrscheinlichkeit“ ist dadurch charakterisiert, dass „wir das Verhalten der Bedingungen im Einzelfalle nicht genau kennen“, dass „wir aber andererseits sicher wissen, in welchem Grössenverhältnis […] die Spielräume der Gestaltungen stehen, welche die Verwirklichung des einen oder anderen Erfolges mit sich bringen“. Ebd., S. 95; vgl. Kries, Möglichkeit, S. 12 ff. [188 ff.]
53
Bei Zufallsspielen ist es in der Tat „derselbe Zahlenwerth“, der „die allgemeingiltige Wahrscheinlichkeit und die Möglichkeit eines Ereignisses angiebt“, Kries, Möglichkeit, S. 13 [189].
54
so z. B. der Wert ⅙ beim Wurf eines Würfels, der Wert ⅟36 beim Wurf zweier Würfel, usw. Ebd.
[22]Für Kries waren Zufallsspiele nicht nur das „Haupt-Gebiet der Wahrscheinlichkeits-Rechnung“, sondern auch „ideale Fälle“, mit deren Hilfe sich andere Bereiche der Wirklichkeit begreifen lassen.
55
So wollte er klären, „ob irgend welche andere[n] Gebiete etwas Aehnliches zeigen“, ob sie sich „einem gewöhnlichen Zufalls-Spiele analog verhalte[n]“.[22] Kries, Principien, S. 37, 82.
56
Ein solches Gebiet lag in der Physik, wo das Verhalten von Gasmolekülen in einem begrenzten Raum aufgrund einer ähnlichen „Beschränktheit der überhaupt möglichen Orientirungen“ ebenfalls „nur einen ganz bestimmten Kreis von Zuständen“ durchlaufen und dadurch „eine grosse Mannigfaltigkeit von Einwirkungen immer nur die Wiederholung dieser selben Verhaltensweisen bedingen kann“. Ebd., S. 73, 140; vgl. S. 24, 47.
57
Durch eine Modifikation schien Kries die Analogie auch auf ein Gebiet in der Jurisprudenz übertragbar, Ebd., S. 262; vgl. S. 135 ff., 192 ff.
58
wo es, um die Schuldfrage zu klären, darum geht, einer Straftat kausal relevante Bedingungen zuzurechnen. Um diese Zurechnung vornehmen zu können, ging Kries von einem Würfel mit einem „excentrische[n]“ Schwerpunkt aus, wodurch sich für den Wurf einer bestimmten Zahl eine „Begünstigung“ oder „Tendenz“ ergibt. Vgl. auch Kries, Johannes von, Über die Begriffe der Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit und ihre Bedeutung im Strafrechte, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, 9. Jg., 1889, S. 528–537.
59
Die Übertragung in diesen Bereich sollte für Weber maßgebend werden. Kries, Principien, S. 91 ff.; Kries, Möglichkeit, S. 27 [202].
Kries zufolge konnte „nur der ganze Complex von Bedingungen, der einen Erfolg factisch herbeiführte, die Ursache desselben heissen“.
60
Gleichwohl richtet sich in diesem Komplex „häufig die Aufmerksamkeit auf irgend eine Besonderheit der Antecedentien, einen einzelnen Vorgang, einen bestimmten Gegenstand, auch wohl eine bestimmte Eigenschaft eines solchen, und es erhebt sich die Frage, ob und in welchem ursächlichen Zusammenhange ein solches bestimmtes Moment der bedingenden Umstände zu dem Erfolge gestanden habe“. Kries, Möglichkeit, S. 20 [195].
61
Ebd., S. 21 f. [197].
Die Frage, ob ein solches – mit Wundt zu sprechen – durch isolierende Abstraktion selektiertes Moment in einem ursächlichen Zusammenhang zum Erfolg gestanden habe, kann nicht durch Beobachtung beantwortet werden, sondern nur mit „einer gewissen Kenntniss der Gesetze des Geschehens“, die uns beurteilen läßt, wie das Geschehen „bei Fehlen“ oder „Modification“ des Moments verlaufen wäre: „Die Frage nach der Causalität eines bestimmten Gegenstandes ist […] gleichbedeutend mit der, was geschehen wäre, wenn in dem Complexe der Bedingungen jenes Reale (ein bestimmter Theil) [23]gefehlt, alles Uebrige aber sich genau gleich verhalten hätte.“
62
Ähnliches gilt für ein „Verhalten“: Zwar kann man z. B. „Fahrlässigkeit“ nicht „einfach fortdenken“; man kann dieses Moment jedoch durch eine „Modification“ „abgeändert“ denken: „Indem wir nach der Causalität der Fahrlässigkeit fragen, wünschen wir den factisch eingetretenen Verlauf zu vergleichen mit demjenigen, der stattgefunden hätte, wenn an Stelle der Fahrlässigkeit normale Ueberlegung und Aufmerksamkeit bestanden hätte.“[23] Ebd., S. 22 f. [198 f.].
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Ebd., S. 23 [198 f.].
Die Frage, in welchem ursächlichen Zusammenhang ein solches Moment zum Erfolg gestanden habe, kann ebenfalls nur mit nomologischer Kenntnis beantwortet werden, die uns beurteilen läßt, ob es sich bei diesem Moment um eine „Eigenthümlichkeit des vorliegenden Falles“ handelt oder ob es „allgemein geeignet“ ist, mithin „eine Tendenz besitzt, einen Erfolg solcher Art hervorzubringen“, d. h. dessen „Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit“ steigert.
64
Im ersten Fall sprach Kries von „zufälliger Verursachung und zufälligem Effecte“, im zweiten Fall von „adäquate[r] Ursache“ und „adäquate[r] Folge“. Ebd., S. 25 f. [201].
65
Wenn z. B. der Fahrgast eines „Kutscher[s]“, der betrunken fährt und den Weg verfehlt, vom Blitz erschlagen wird, dann ist die „Fahrlässigkeit“ des Kutschers nur eine zufällige Verursachung, denn der Fahrgast hätte auch bei Nüchternheit des Kutschers und auf dem richtigen Weg denselben Tod erleiden können; wenn aber der betrunkene Kutscher seine Kutsche umwirft und sein Fahrgast daran stirbt, dann ist die „Fahrlässigkeit“ eine adäquate Verursachung, denn nun ist sie „allgemein geeignet“, einen Unfall mit Todesfolge herbeizuführen. Ebd., S. 27 [202].
66
Ebd., S. 25 ff. [201 f.].
Für Kries läßt sich häufig behaupten, „dass ein gewisses ursächliches Moment die Möglichkeit eines Erfolges vermehre“, eine Betrachtung, für die die Wahrscheinlichkeitstheorie „den terminus technicus des begünstigenden Umstandes“ bereit halte: „Man sagt z. B., dass eine excentrische Lage des Schwerpunkts im Würfeln gewisse Würfe begünstige u. dgl. Nichts Anderes ist es, was den Ausdrücken des gewöhnlichen Lebens, dass ein Verhalten auf einen Erfolg hinwirke, ihn herbeizuführen geeignet sei oder eine Tendenz besitze, als berechtigter Sinn zu Grunde liegt.“
67
In diesem Sinne ist die als adäquate Verursachung festgestellte Fahrlässigkeit ein begünstigender Umstand. Somit wird also auch die Zurechnung kausal relevanter Bedingungen von Straftaten in Analogie zu Zufallsspielen expliziert, wobei sowohl die isolierende Abstraktion (Selektion eines besonderen Moments der Bedingungen) als auch die generalisierende Abstraktion (nomologische Kenntnis) [24]und bei der Betrachtung mehrerer Momente auch die Synthese zur Anwendung gelangen. Ebd., S. 26 f. [202].
Tatsächlich wurde Kries’ Theorie in der Physik
68
und in der Jurisprudenz[24] Vgl. Boltzmann, Ludwig, Der zweite Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie. Vortrag, gehalten in der feierlichen Sitzung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften am 29. Mai 1886, in: ders., Populäre Schriften. – Leipzig: Johann Ambrosius Barth 1905, S. 25–50, hier S. 37; Planck, Max, Über das Gesetz der Energieverteilung im Normalspectrum, in: Annalen der Physik, 4. Jg., 1901, S. 553–563, hier S. 558.
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rezipiert. Daß sie auch für die „Geschichtschreibung“ attraktiv sein könnte, hat Kries selbst angemerkt. Vgl. Weber, Kritische Studien, unten, S. 451 f.
70
Weber führte sie denn auch in seiner Abhandlung „Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ zur Ergänzung der analytisch-synthetischen Methode Mengers ein und sollte in seinen folgenden Schriften zur Logik und Methodik der Sozialwissenschaften auf sie zurückkommen. Kries, Möglichkeit, S. 15 [191].
71
Daß weder Menger noch Kries eine Mathematisierung ihrer Ansätze anstrebten, Vgl. Weber, Roscher und Knies 2, unten, S. 278 f.; Weber, Roscher und Knies 3, unten, S. 337–340, 343, 353, 360, 367; Weber, Kritische Studien, unten, S. 389, 451 ff.; Weber, Stammler, unten, S. 532, 549.
72
mag dazu geführt haben, daß Weber sie mit einer Begriffsbildung in Verbindung brachte, die er als „Idealtypus“ bezeichnete. Zu Menger vgl. explizit Menger, Brief an Walras (wie oben, S. 15, Anm. 10), S. 3 ff.
73
Vgl. Weber, Objektivität, unten, S. 203 mit Anm. 4; Weber, Roscher und Knies 2, S. 322. Dieses Konzept wird auch in der Korrespondenz mit Rickert erwähnt. Vgl. Briefe von Max Weber an Heinrich Rickert vom 14. Juni 1904, MWG II/4, S. 230 f., hier S. 230, und vom 28. April 1905, ebd., S. 476–479, hier S. 477 f.
Der Idealtypus geht auf die Säkularisierung der metaphysischen Ideenlehren der Antike in der Ästhetik der Renaissance zurück. Nunmehr war die Idee des Schönen kein übernatürliches a priori mehr, das im Geiste des Künstlers wohnt, sondern wurde von ihm selbst a posteriori hervorgebracht, und zwar durch ein „inneres Zusammenschauen der Einzelfälle“, aus denen er eine „Auswahl des Schönsten“ trifft.
74
Damit verbunden war die Vorstellung, daß die vom Künstler in seiner Anschauung der Natur gewonnene Idee „die eigentlichen Absichten der ‚gesetzmäßig schaffenden‘ Natur offenbare“, daß also Subjekt und Objekt, Geist und Natur, nicht feindlich gegenüberstehen, sondern die Idee der Erfahrung „notwendig entspreche“. Panofsky, Erwin, „IDEA“. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie. – Leipzig: B. G. Teubner 1924, S. 35.
75
Dies führte dazu, daß „die Welt der Ideen mit einer Welt gesteigerter Wirklichkeiten identifiziert“ und der „Begriff der Idee zu dem des ‚Ideals‘“ umgeformt wurden: „Damit ist die Idee ihres metaphysischen Adels entkleidet, aber eben dadurch mit der Natur in eine schöne, gleichsam selbstverständliche Über[25]einstimmung gebracht: vom menschlichen Geiste erzeugt, aber zugleich – sehr weit entfernt von Subjektivität und Willkürlichkeit – die in den Dingen vorgebildete Gesetzlichkeit zum Ausdruck bringend […] auf dem Wege intuitiver Synthesis“. Ebd.
76
[25] Ebd., S. 36.
Über den Klassizismus vermittelt,
77
wurde dieses Konzept im 19. Jahrhundert breit rezipiert, Ebd., S. 57 ff.
78
selbst in den Naturwissenschaften. So war es für Helmholtz, der 1871 bis 1873 in seiner Vortragsreihe „Optisches über Malerei“ die Ergebnisse seiner wahrnehmungsphysiologischen Studien auf die Kunst übertrug, selbstverständlich, daß Künstler keine „getreue Copie roher Natur“ herstellen, sondern „Störendes, Zerstreuendes, Verletzendes“ nicht berücksichtigen, d. h. vom „wilden Gestrüpp des Zufalls“ abstrahieren, um durch diese „Idealisirung“ zu einem „idealen Typus“ zu gelangen, der nicht nur ein „wunderbare[s] Wohlgefallen“ errege, sondern auch eine „bisher verborgene Gesetzmässigkeit zur vollen Anschauung“ bringe. Vgl. ohne Anspruch auf Vollständigkeit in chronologischer Reihenfolge: Burckhardt, Jacob, Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. – Basel: Schweighauser 1855 (hinfort: Burckhardt, Cicerone), S. 510; Gregorovius, Ferdinand, Der Kaiser Hadrian. Gemälde der römisch-hellenischen Welt zu seiner Zeit, 2. Aufl. – Stuttgart: J. G. Cotta 1884, S. 441; Nordau, Max, Die conventionellen Lügen der Kulturmenschheit, 14. Aufl. – Leipzig: B. Elischer Nachfolger (Br. Winckler) 1889, S. 127 f.; Sigwart, Logik II (wie oben, S. 5, Anm. 31), S. 241; Riegl, Alois, Die Entstehung der Barockkunst in Rom. Akademische Vorlesungen [1894–1902], hg. von Arthur Burda und Max Dvorak. – Wien: Anton Schroll 1908, S. 111; Kessler, Harry Graf, Notizen über Mexiko. – Berlin: F. Fontane 1898, S. 173 f.; Key, Ellen, Ein Abend auf dem Jagdschloss, in: dies., Essays. Autorisierte Übertragung von Francis Maro. – Berlin: S. Fischer 1899, S. 206–344, hier S. 252; Cohn, Jonas, Allgemeine Ästhetik. – Leipzig: Wilhelm Engelmann 1901, S. 175 f.; Weininger, Otto, Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung, 10. Aufl. – Wien: Wilhelm Braumüller 1908 [1903], S. 9, 12.
79
In der Geschichtswissenschaft, in der man ohnehin eine Affinität zur Literatur pflegte, Helmholtz, Hermann von, Optisches über Malerei. Umarbeitung von Vorträgen, gehalten zu Berlin, Düsseldorf und Köln a.Rh. 1871–1873, in: ders., Vorträge und Reden, Band 2, 5. Aufl. – Braunschweig: Friedrich Vieweg und Sohn 1903 (hinfort: Helmholtz, Malerei), S. 93–135, hier S. 97 f., 134 f.
80
war das Konzept spätestens seit der 1837 publizierten „Historik“ von Georg Gottfried Gervinus bekannt: „So nämlich, wie der Künstler auf eine Urform des Körpers, der Dichter auf den idealen Typus eines Charakters zurückgeht, so soll der Historiker die reine Gestalt des Geschehenen erkennen lernen, um aus [26]den anhängenden Zufälligkeiten das wahrhaft Wichtige kühn und sicher herauszuheben.“ Noch Windelband, Geschichte, S. 16 f., war der Meinung, der „Historiker“ habe „an Demjenigen was wirklich war, eine ähnliche Aufgabe zu erfüllen, wie der Künstler an Demjenigen was in seiner Phantasie ist“; darin „wurzelt die Verwandtschaft des historischen Schaffens mit dem ästhetischen, und die der historischen Disciplinen mit den belles lettres“.
81
[26] Gervinus, Historik, S. 382.
Weber, für den „der Historiker“ mit „Begriffen arbeitet und arbeiten muß, welche regelmäßig nur in Idealtypen scharf und eindeutig bestimmbar sind“,
82
führte dieses Konzept in seiner Abhandlung „Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ ein, und ebenso wie auf die Theorie von Kries sollte er in seinen folgenden Schriften zur Logik und Methodik der Sozialwissenschaften darauf zurückkommen. Weber, Objektivität, unten, S. 206.
83
Zunächst hielten ihn jedoch andere Themen wie die „protestantische Ethik“ Weber, Roscher und Knies 2, unten, S. 303, 322; Weber, Roscher und Knies 3, unten, S. 341, 343, 358 ff., 373; Weber, Kritische Studien, unten, S. 385, 399, 420; Weber, Stammler, unten, S. 538, 545, 553.
84
und seine Reise in die USA Vgl. Schluchter, Wolfgang, Einleitung, in: MWG I/9, S. 1–89.
85
davon ab, den „Rest“ seiner Abhandlung über „Roscher und Knies“ zu schreiben. Erst im März 1905, in dem er auch als Mitherausgeber des „Archivs“ einige „Redaktionelle Bemerkungen“ zum Aufsatz „Über den wissenschaftlichen Charakter der Nationalökonomie“ von Gustav Cohn, einem Vertreter der ethischen Nationalökonomie, publizierte, Vgl. Hübinger und Lepsius, Einleitung, in: MWG II/4, S. 1–25, hier S. 7 ff.
86
kam er wieder dazu, sich mit Methodologie zu beschäftigen. Vgl. Weber, Cohn, unten, S. 235–239.
87
Vgl. Brief von Max Weber an Alfred Weber vom 8. März 1905, MWG II/4, S. 435 f., hier S. 436.
So konnte die Fortsetzung von „Roscher und Knies“ in zwei Teilen Ende 1905 und Anfang 1906 mit dem Untertitel „Knies und das Irrationalitätsproblem“ in Schmollers „Jahrbuch“ erscheinen.
88
Darin ging es Weber nunmehr in der Tat um menschliches Verhalten, genauer um „Handlungen“, die vom Determinismus ja keineswegs ausgenommen waren: „Der freieste Wille kann sie nicht ohne ein bestimmendes Motiv hervorbringen“. Vgl. Weber, Roscher und Knies 2, unten, S. 240–327; Weber, Roscher und Knies 3, unten, S. 328–379.
89
Handlungen, selbst die großer Persönlichkeiten, waren für Weber nicht irrationaler als Vorgänge in der Natur, sondern im Gegenteil rationaler, weil sie deutbar bzw. verstehbar sind. Weil er bei Rickert auch keine Theorie der Deutung oder des Verstehens finden konnte, setzte er sich, sein Leitmotiv der Kausalität stets einbindend, mit den einschlägigen Theorien von Georg Simmel, Friedrich Gottl, Theodor Lipps und Benedetto Croce sowie ergänzend mit den kulturwissenschaftlichen Vorstellungen von Wilhelm Wundt und Hugo Münsterberg auseinander. Darüber trat der eigentliche Anlaß dieser Abhandlung – das Werk seines Heidelberger Vorgängers Knies – etwas in den Hintergrund. Möglicherweise [27]wollte Weber in einem weiteren Artikel noch einmal auf Knies zu sprechen kommen. Jedenfalls endete seine Abhandlung mit dem Hinweis: „Ein weiterer Artikel folgt.“ Laplace, Wahrscheinlichkeiten (wie oben, S. 2, Anm. 8), S. 3.
90
[27] Weber, Roscher und Knies 3, unten, S. 379.
1905 verfaßte Weber auch „Kritische Studien auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Logik“, die ebenfalls Anfang 1906, nunmehr aber im „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“, erschienen, und zwar im Literatur-Teil dieser Zeitschrift.
91
Weber nahm das 1902 publizierte Buch „Zur Theorie und Methodik der Geschichte“ des Althistorikers Eduard Meyer, Ordinarius an der Universität Berlin und Verfasser einer fünfbändigen Geschichte des Altertums, zum Anlaß, sich nunmehr einmal systematisch mit kausaler Erklärung zu befassen. Dabei stellte er nicht nur die für die Geschichtswissenschaft bedeutsamen Aspekte von Kries’ Theorie vor, sondern verknüpfte sie auch mit der analytisch-synthetischen Methode, die er bei Menger vorgefunden hatte. Auch hierzu sollte ein „weiterer Aufsatz“ folgen. Weber, Kritische Studien, unten, S. 380–480.
92
Ein solcher Aufsatz ist allerdings ebensowenig erschienen wie jener Artikel, der die Kritik an „Roscher und Knies“ abrunden sollte. Was die „Kritischen Studien“ betrifft, dürfte es dafür zwei Ursachen gegeben haben. Erstens war Webers Aufmerksamkeit durch die Russische Revolution gefesselt, der er sich publizistisch ausführlich widmete. Ebd., S. 480.
93
Zweitens gab es offenbar konstante „Klagen“ des Leserkreises wegen „des ‚unpraktischen‘ Charakters“ des „Archivs“, die Weber „zu einem längeren Pausieren in [s]einen eignen methodologischen Arbeiten“ bewogen. Vgl. Mommsen, Wolfgang J., Einleitung, in: MWG I/10, S. 1–54.
94
Brief von Max Weber an Willy Hellpach vom 27. Febr. 1906, MWG II/5, S. 40 f., hier S. 40; Brief von Max Weber an Friedrich Gottl vom 8. April 1906, MWG II/5, S. 69–72, hier S. 69.
Als 1906 die zweite Auflage des Buches „Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung“ des Rechtsphilosophen Rudolf Stammler, Ordinarius an der Universität Halle an der Saale, erschien, ließ es sich Weber jedoch nicht nehmen, dazu einen „Litteratur-Aufsatz“ zu verfassen, in dem er das Verhältnis von Kausalität und Teleologie, das er bei Stammler verfälscht sah, erörterte und grundlegende Unterscheidungen zu den Begriffen Regel, Norm, Gesetz, Maxime, etc. traf, um einen für die Sozialwissenschaften angemessenen Gesetzesbegriff zu formulieren. Dieser Text mit dem Titel „R. Stammlers ‚Überwindung‘ der materialistischen Geschichtsauffassung“ erschien 1907 im „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“, allerdings nicht im Literatur-Teil, sondern in der Rubrik „Abhandlungen“.
95
Auch er endete mit dem Hinweis „Ein weiterer Artikel folgt.“ Vgl. Weber, Stammler, unten, S. 481–571.
96
Tatsächlich hat [28]Weber diesmal einen „Nachtrag“ geschrieben, der allerdings nicht mehr zu seinen Lebzeiten publiziert wurde. Ebd., S. 571.
97
Weber sollte sich freilich weiterhin mit Stammler beschäftigen, was nicht nur in seine Betrachtungen zum Recht einfloß,[28] Vgl. Weber, Nachtrag zu Stammler, unten, S. 572–617.
98
sondern auch in seine Begründung einer verstehenden Soziologie. Vgl. Gephart, Werner, Einleitung, in: MWG I/22–3, S. 1–133, hier S. 9 ff.
99
Vgl. Weiß, Johannes, Einleitung, in: MWG I/12, S. 60–77; Schluchter, Wolfgang, Einleitung, in: MWG I/23, S. 30 ff.
2. Zur Anordnung und Edition der Texte
Im Folgenden werden die Texte Max Webers in der chronologischen Reihenfolge ihrer Entstehung ediert. Den Beginn macht eine kurze „Anmerk[ung] des Herausgebers“, die Weber als Mitherausgeber der Reihe „Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ dem Vorwort zu Marianne Webers Monographie „Fichte’s Sozialismus und sein Verhältnis zur Marx’schen Doktrin“ anfügte, welche 1900 im Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) erschien.
1
Dieser Notiz folgt der erste Teil von Webers Auseinandersetzung mit der älteren deutschen Historischen Schule der Nationalökonomie, der 1903 unter dem Titel „Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie“ in Schmollers „Jahrbuch“ publiziert wurde. Vgl. Weber, Anmerkung des Herausgebers, unten, S. 33–36.
2
Entgegen der in den „Gesammelte[n] Aufsätze[n] zur Wissenschaftslehre“ von Auflage zu Auflage fortgeschriebenen editorischen Entscheidung, diesem ersten Teil die beiden restlichen Teile unmittelbar folgen zu lassen, Vgl. Weber, Roscher und Knies 1, unten, S. 37–101.
3
werden hier die Texte eingeschoben, die zwischen der Publikation des ersten Teils und der des zweiten entstanden sind. Dies geschieht, um der Entwicklung von Webers Gedanken zur Logik und Methodik der Sozialwissenschaften Rechnung zu tragen und sie möglichst nachvollziehbar wiederzugeben. Auf den ersten Teil von „Roscher und Knies“ folgen daher jene Texte, die in den Kontext der Übernahme des „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ gehören: Zunächst ein offenbar im September 1903 verfaßter handschriftlicher „Entwurf eines Textes zur Übernahme der Herausgeberschaft“ dieser Zeitschrift. Diese Textsammlung ist bislang in sieben Auflagen im Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) erschienen (1922, 1951, 1968, 1973, 1982, 1985, 1988). Die erste Auflage besorgte Marianne Weber, die anderen Johannes Winckelmann.
4
Danach ein zu Werbezwecken gedruckter, auf Oktober 1903 datierter und von Werner Sombart, Max Weber und Edgar Jaffé unterzeichneter „Prospekt“. Vgl. Weber, Entwurf zur Übernahme des Archivs, unten, S. 102–111.
5
Sodann das ebenfalls von Sombart, Weber und Jaffé [29]verantwortete „Geleitwort“, das im April 1904 an der Spitze des ersten von ihnen herausgegebenen Hefts des „Archivs“ erschien, Vgl. Jaffé, Sombart, Weber, Werbetext, unten, S. 112–119.
6
sowie Webers Abhandlung „Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“, die auch in diesem Heft gedruckt wurde.[29] Vgl. [Jaffé, Sombart, Weber,] Geleitwort, unten, S. 120–134.
7
Schließlich eine kurze „Redaktionelle Bemerkung“ zu einem Aufsatz des Nationalökonomen Gustav Cohn mit dem Titel „Über den wissenschaftlichen Charakter der Nationalökonomie“, der 1905 im „Archiv“ publiziert wurde. Vgl. Weber, Objektivität, unten, S. 135–234.
8
Wie allein schon das Konzept des Idealtypus und die Kausalitätstheorie der objektiven Möglichkeit, die Weber in „Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ einführte, erkennen lassen, stellt diese Abhandlung insofern eine Vorarbeit für den zweiten und dritten Artikel von „Roscher und Knies“ dar, als beides, Konzept und Theorie, in ihnen weiter verwendet wird. Entsprechend kommen nun erst diese beiden Teile, die unter dem Titel „Knies und das Irrationalitätsproblem“ 1905 und 1906 in Schmollers „Jahrbuch“ erschienen sind, zum Abdruck. Vgl. Weber, Cohn, unten, S. 235–239.
9
Ihnen folgen die 1906 publizierten „Kritische[n] Studien auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Logik“ Vgl. Weber, Roscher und Knies 2, unten, S. 240–327; Weber, Roscher und Knies 3, unten, S. 328–379.
10
sowie Webers Kritik an „R. Stammlers ‚Überwindung‘ der materialistischen Geschichtsauffassung“, Vgl. Weber, Kritische Studien, unten, S. 380–480.
11
die 1907 ebenfalls im „Archiv“ erschien. Den Schluß bildet der von Marianne Weber im Nachlaß aufgefundene „Nachtrag“ Vgl. Weber, Stammler, unten, S. 481–571.
12
zu dieser Kritik. Im Anhang werden die handschriftlichen Notizen, die Weber sich an der Jahreswende 1902/03 in Nervi machte, Vgl. Weber, Nachtrag zu Stammler, unten, S. 572–617.
13
erstmals vollständig abgedruckt. GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 31, Bd. 6, Bl. 12–27, 53–160.
14
Ebenso werden die Anmerkungen der Redaktion des „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ der Jahre 1906 bis 1908 wiedergegeben. Unten, S. 623–668.
15
Diese umfassen den Zeitraum, in dem die drei Herausgeber Jaffé, Sombart und Weber die Redaktionsgeschäfte gemeinsam verantworteten. Vgl. unten, S. 669–673.
Die Texte wurden den Richtlinien der MWG entsprechend ediert. Enthält die Druckvorlage Ae, Oe, Ue und ss, so wird dies stillschweigend in Ä, Ö, Ü und ß geändert. Zeittypische Ausdrücke wie „Entwickelung“ oder „Wiederspiegelung“ werden auch bei uneinheitlicher Verwendung nicht textkritisch behandelt. Doppelte An- und Abführungszeichen innerhalb von Zitaten werden stillschweigend durch einfache ersetzt. Unvollständige oder fehlerhafte Literaturangaben Webers werden nicht korrigiert; die Kurztitel des Herausgebers [30]verweisen auf die vollständigen und korrekten bibliographischen Angaben im „Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur“.
16
Abweichungen der Zitatangaben Webers von den von ihm benutzten Vorlagen werden nicht textkritisch behandelt. Der Herausgeber greift also bei Zitatwiedergaben nicht in abweichende Interpunktion und Orthographie ein und dokumentiert ebenso wenig Änderungen, solange sie sinngemäß sind. Nicht sinngemäße Änderungen werden im Erläuterungsapparat nachgewiesen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wird ebenso wie in dieser Einleitung in den Editorischen Berichten und im Erläuterungsapparat nur auf Quellen referiert, die zum Publikationsdatum der Texte Webers selbst bereits veröffentlicht und damit Weber entweder bekannt waren oder doch bekannt gewesen sein könnten. Auf andere Bände der MWG wird referiert, nicht jedoch auf Forschungsliteratur. Zur Illustration und Kommentierung wurden weitere Materialien Webers berücksichtigt. So werden Randnotizen, die Weber in seinem Handexemplar von Rudolf Stammlers Buch „Wirtschaft und Recht“ machte,[30] Unten, S. 704–718.
17
in den entsprechenden Erläuterungen wiedergegeben. Stammler, Wirtschaft2, Handexemplar Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München.
18
Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Stammler, unten, S. 483, Anm. 21 und S. 486.