MWG digital

Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

Antikritisches Schlußwort zum „Geist des Kapitalismus“
(in: MWG I/9, hg. von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Ursula Bube)
Bände

[665][A 554]Antikritisches Schlußwort zum „Geist des Kapitalismus“.a[665] In A folgt: Von Max Weber.

Inhalt: I. Antikritisches S. 667. – II.bA: 2. Positives Resumé S. 708.

Professor Rachfahl antwortet in wiederum vier Nummern der Internationalen Wochenschrift (4. Jahrgang Nr. 22–25)1[665] Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, abgedruckt oben, S. 625–664. auf meine „Antikritik“.2 Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 573–619. Statt eines ehrlichen Eingeständnisses seiner durch oberflächliche Lektüre verschuldeten groben Irrtümer enthält seine Antwort teils eine andere Wendung, teils eine noch krampfhaftere Übersteigerung der meisten von ihnen und bewegt sich übrigens in ganz der gleichen Art von Diskussionsführung, die ich zu kennzeichnen genötigt war. Zum Schluß findet man die auffallend an die Gepflogenheit amerikanischer Parteiorgane im Wahlkampf erinnernde Versicherung: er habe den „Zweck“ seiner Kritik „erreicht“: „die Seifenblase am Neckar“ sei „geplatzt“.3 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 664. Und an anderer Stelle glaubt er gar, er (Rachfahl) müsse mir vorkommen „wie der Geier, der sich vom Aase des Gegners nährt“.4 Rachfahl, ebd. Dieses „Aas“ ist nun aber, wie sich zeigen wird, noch recht lebendig, und ihm erscheint Rachfahl seinerseits ganz und gar nicht als ein Adler oder irgend etwas dem ähnliches. Sondern: so, wie er sich in dieser „Kritik“ und „Replik“5 Gemeint sind hier und im folgenden: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 521–572, und Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 625–664. präsentiert, nach wie vor als ein etwas sehr leicht gefiederter und dabei dennoch allzu stark schulmeisterisch veranlagter Schriftsteller, dem man übrigens trotz allen Kopfschüttelns doch nicht recht gram werden kann, weil sein allerdings oft schier unglaublicher Mangel an Bedürfnis nach literarischer Aufrichtigkeit durch die schiefe Lage, in die er sich begab, verschuldet ist und durch die Naivität seiner offenbar – so schwer es zuweilen fällt, das zu glauben – ganz von sich überzeugten Rechthaberei [666]überboten wird1)[A 554][666] Ich möchte sehr nachdrücklich erklären, daß die absolute Wertlosigkeit von R[achfahl]s „kritischen“ Leistungen mich nicht im mindesten hindert, andere Arbeiten [A 555]von ihm sehr zu schätzen,7 Positive Äußerungen sind nicht belegt. Weber, Streit um den Charakter der altgermanischen Sozialverfassung, setzt sich – ebenfalls kritisch – mit Rachfahl, Felix, Zur Geschichte des Grundeigentums, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 74. Band (3. Folge, 19. Band), 1900, S. 1–33 und 161–216, auseinander (vgl. MWG I/6 S. 250, 263 und S. 285–287). Zuletzt waren von Rachfahl, Wilhelm von Oranien (wie oben, S. 515 mit Anm. 2), die Bände 1, 2/1, und 2/2 (1906–1908) erschienen. bei denen er sich nicht auf ein für seine Eigenart nun einmal ungünstiges Gebiet begeben hatte. „Ungünstig“ nicht nur, weil er sachlich nun einmal schlecht informiert ist, sondern auch deshalb, weil seine Freude an der gelehrten „Mensur“8 Anspielung darauf, daß Rachfahl Weber „Fechterstückchen“ unterstellte, vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 643. rein als solcher mit einer steten Gefahr, sich zu „incommentmäßigen“ (man sagte früher im Studentenjargon: „Sau“-) Hieben hinreißen zu lassen, gepaart ist und jene Mensurfreude auch an sich so ungezügelt wuchert, daß die „Sache“ darüber notwendig zu kurz kommt. R[achfahl] beschwert sich über die rücksichtslose Form meiner Antwort an ihn.9 Vgl. Rachfahl, ebd, oben, S. 628. Allein die in der Form und in der Sache absichtsvoll generöse und entgegenkommende Art, wie Troeltsch ihm entgegengetreten ist,10 Gemeint ist: Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus. hat nur den Erfolg gehabt, daß, wie man sich leicht überzeugt, R[achfahl] von diesem Entgegenkommen in recht wenig loyaler Art „taktisch“ zu profitieren sucht und daß überhaupt seine Ausfälle gegen Troeltsch sich durch ein Maß von Animosität auszeichnen, welches das, was er davon gegen mich aufbringt, noch übersteigt.11 Kein Zitat („taktisch“), vgl. vielmehr Rachfahls Äußerung, er habe „[m]it Troeltsch […] die Abrechnung vollzogen“ (Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 637). – Zur Auseinandersetzung Rachfahls mit Troeltschs Kritik vgl. ebd., oben, S. 631–637. Er wird eben, wo er „kritisiert“, anscheinend unvermeidlich zum bloßen Klopffechter12 Klopffechterei: ein im Spätmittelalter verbreiteter Schaukampf mit stumpfen Schwertern, später abwertend gebraucht für eine unfruchtbare geistige Auseinandersetzung, bei der es um persönliche Eitelkeiten und nicht um die Sache geht. und mit einem solchen spricht man, wenn überhaupt, in unverblümtem Deutsch. Ich hoffe[,] niemals wieder mit einem „Kritiker“ dieser Art abrechnen zu müssen. Eine loyalere Art der Polemik würde mir, auch wenn sie formal scharf wäre, darin ganz andere Rücksichten auferlegen und, selbst wenn ich sie sachlich noch so scharf bekämpfen müßte, vor allem nicht so viel – deutlich gesagt: – Geringschätzung einflößen. Welche andere als diese, gewiß unerfreuliche, Empfindung aber soll ich gegenüber einem „Kritiker“ haben, der, ohne die geringsten Leistungen zu bieten, seine „Auseinandersetzung“ mit mir mit der Versicherung glaubte beginnen zu dürfen: ich hätte mir meine Aufgabe „leicht“ ge[667]macht[,]14 Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 543, wiederholt bei Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 655. und der sie jetzt mit der Mahnung zur Vorsicht vor „Weberschen Entdeckungen“15 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 663 f. glaubt abschließen zu können? . Nach[A 555]dem ich einmal, dem Wunsch (unbeteiligter) Freunde entsprechend,6[666] Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 517 f. das sterile und lästige Geschäft der Auseinandersetzung mit seiner rein an Worten haftenden Rabulistik, welche den offen zutage liegenden Sachverhalt verschleiert, [667]auf mich genommen habe, muß ich es durchführen. Im folgenden werde ich also 1. den „Geist“ von R[achfahl]s Polemik notgedrungen nochmals feststellen – eine nach Lage der Dinge leider, um R[achfahl] in alle Schlupfwinkel zu folgen, unvermeidlich ziemlich langwierige Auseinandersetzung, die ich aber jedem Leser, der nicht speziell daran interessiert ist, zu Überschlagen anheimstelle[,] – und dann 2. meinerseits – gegenüber der von Rachfahl angerichteten und jetzt, zur Vermeidung des Eingeständnisses seines Unrechts, noch vermehrten Konfusion – einige von R[achfahl] hartnäckig ignorierte Züge meiner wirklichen „These“ nochmals auf wenigen Seiten zusammenfassen, lediglich für diejenigen, die meine Aufsätze nicht jetzt nochmals genau gelesen haben. Für die anderen ist es überflüssig, aber sie sind naturgemäß eine verschwindende Minderheit.

I.c[667] c–c(bis S. 707: er (im vorliegenden Fall) ist.) Petitdruck in A.

Da ich Rachfahls Polemik „professoral“ genannt habe, so behauptet er, daß ich seine Qualität als „Professor“ herabsetze, also wohl meinerseits irgend [A 556]etwas „besseres“ zu sein beanspruche.13[667] Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, schreibt oben, S. 618, es handele sich bei der Rachfahlschen um eine „einen üblen professoralen Typus darstellende Kritik“; dazu die Erwiderung bei Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 664. Ein innerhalb unserer sonst so gänzlich sterilen Diskussion immerhin noch lehrreicher Irrtum, der zugleich auch für Rachfahls Verständnislosigkeit in der verhandelten Sache typisch ist. Denn es trifft sich zwar bei ihm so, daß er zugleich „Professor“ ist und einen (m. E.) ungewöhnlich „professoralen“ Aufsatz geschrieben hat. Jedermann weiß aber: es hat ebensowenig alles, was ein Professor (Gott sei Dank: auch Rachfahl selbst) schreibt, schon um deswillen [668]den wohlbekannten Beigeschmack jener gewissen kleinlichen[,] rechthaberischen Wortklauberei und besserwissenden Süffisance, welche das Wesen des „Professoralen“ ausmacht, wie etwa allen Arbeiten eines Redakteurs der ebenso wohlbekannte Beigeschmack des „Journalistischen“ (in Gänsefüßen!) anhaftet, oder wie jedes in bureaukratischen Formen funktionierende Staatswesen schon um deswillen vom „Geist des Bureaukratismus“ beherrscht ist, oder jede noch so sehr nach deutschem oder französischem Muster organisierte Armee und der Staat, dem sie dient, von „militaristischem Geiste“ beseelt sein muß (man denke an Italien im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich), oder etwa jeder Gewerkverein (französisch: „syndicat“, englisch: „trade union“) bei ganz gleicher Organisation, vom Geist entweder des „Tradesunionismus“ oder des „Syndikalismus“ (zwischen denen hier ja die Wahl freistünde), oder ein Land mit kolonialem Imperium stets vom „Geist des Imperialismus“, – oder endlich: jede kapitalistisch organisierte Wirtschaft vom „Geist des Kapitalismus“ (erst recht nicht natürlich: von jener spezifischen Ausprägung dieses Geistes, die ich als eine dem modernen Kapitalismus im Gegensatze zum Altertum und Mittelalter, und zwar am stärksten in der Zeit seines frühkapitalistischen Heroenzeitalters, eignende in Anspruch genommen habe). Daß wir nun trotzdem von einem solchen „Geist“ mit Beisetzung des jenen Systemen entlehnten Adjektivs sprechen, hat – um es zu wiederholen16[668] Bereits Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 615; grundlegend Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 163–169. d[668]A: wiederholen –, seinen Grund darin, daß allerdings diejenige oder diejenigen mehreren möglichen Attitüden, welche wir so bezeichnen, uns eben jenen Organisationsformen als irgendwie spezifisch „adäquat“: aus inneren Gründen ihnen „wahlverwandt“ erscheinen, ohne daß sie doch deshalb in jedem einzelnen Falle, ja auch nur in der Mehrzahl oder dem Durchschnitt der Fälle notwendig daran gebunden wären. Es ist ja z. B. ein typischer Vorgang in aller Geschichte, daß eine (staatliche oder andere soziale) Institution in ganz den gleichen Formen weiter besteht, aber in ihrem „Sinn“ für das geschichtliche Leben, ihrer kulturhistorischen „Bedeutung“ verändert erscheint. Wenn wir in solchen [669]Fällen von einer Änderung ihres „Geistes“ sprechen – und wir pflegen es zu tun –[,] so haben wir natürlich die unbedingte Pflicht, jeweils zu verdeutlichen, was darunter verstanden sein soll und welche konkreten Ursachen diese Änderung bedingten. Dazu in meinem Fall durch die Aufdeckung einer – allerdings m. E. einer ganz besonders wichtigen – Ursachenreihe beizutragen, welche die Herausbildung einer (wiederum: einer besonders wichtigen) konstitutiven Komponente des „Geistes“ der modernen kapitalistischen Wirtschaft bedingte: eine Färbung desselben also, welche vom Altertum und Mittelalter in wichtigen Punkten spezifisch verschieden war, – dies war die Aufgabe, welche ich mir ausgesprochenermaßen gestellt hatte. [A 557]Wenn Rachfahl, im Vertrauen darauf, daß sein Publikum zu 99 Hundertstel sicher weder meine Aufsätzee[669]A: Aufsätze, noch meine Antikritik17[669] Gemeint sind hier und im folgenden: Weber, Protestantische Ethik I und II, oben, S. 123–215 und 242–425, sowie Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 573–619. gelesen hat oder lesen wird, – sich jetzt so gebärdet, als sei diese sorgfältig erwogene Begrenzung meiner Aufgabe erst ex post (natürlich womöglich: auf Grund seiner „Kritik“)18 Vgl. dazu Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 654. hineininterpretiert, so erinnere ich zur Beurteilung dessen hier nur nochmals daran: daß ich als Ergebnis meiner Untersuchungen (die Stellen waren auch in meiner Antikritik zitiert!) hingestellt hatte: daß (XXI S. 107)19 Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 420; zitiert von Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 602. ein (NB.!) konstitutiver“ Bestandteil des „kapitalistischen Geistes“ den von mir behaupteten Ursprung habe: die spezifisch „bürgerliche Berufsethik“ (XXI S. 105)20 Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 416; dazu Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 596. und speziell der „asketische“ Zug, welcher ihr anhaftete und seine Bedeutung, gegenüber den gewaltigen seelischen Widerständen der Tradition, behielt, bis der auf rein mechanischer Basis ruhende Kapitalismus unserer Gegenwart dieser Stütze entbehren konnte (XXI S. 108),21 Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 422. daß ich ferner die „Ableitung“ (nicht etwa nur: des kapitalistischen Wirtschaftssystems, sondern ausdrücklich auch:) des kapitalistischen „Geistes“ (ausdrücklich ferner in mei[670]nem Sinne des Wortes, auf den ich unten zurückkomme)22[670] Siehe unten, S. 709 f. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, S. 651–653, bes. S. 652, kritisiert Webers Verständnis von „kapitalistischem Geist“. aus der Reformation allein „töricht“ genannt habe (XX S. 54)23 Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 215; zitiert von Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 523, und wiederum von Weber in seiner ersten Rachfahl-Antikritik, oben, S. 602. und überdies (XXf[670]A: (XXI S. 4 Anm. 1 und 2, XXV S. 246)24 Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 128 f., Fn. 7 und 8, und Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 483 f. Auch Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 592, Fn. 14. die Selbstverständlichkeit, daß jene religionspsychologischen Bedingungen nur unter Voraussetzung zahlreicher anderer, insbesondere auch natürlich-geographischer „Bedingungen“ die Entfaltung des Kapitalismus direkt mit herbeiführen konnten, auch noch ausdrücklich ausgesprochen hatte; – daß ich aber endlich und vor allem schon 1908, in Erwiderung (XXVI S. 275)25 Gemeint ist die zweite Antikritik gegen Fischer: Weber, Bemerkungen, oben, S. 498–514. auf eine der Rachfahlschen geistesverwandte Kritik, zum Überflusse auch noch, um jeder „Verabsolutierung“ des von mir erörterten Kausalzusammenhanges vorzubeugen, nochmals feststellte: es handle sich bei meinen Untersuchungen um die Analyse der Entwicklung eines dem entstehenden Kapitalismus der Neuzeit adäquaten ethischen „Lebensstils“, und nur um diese: wenn also seitens anderer „die Tragweite meiner Ausführungen … überschätzt worden“26 Weber, Bemerkungen, oben, S. 509, Fn.5. sei, so sei dies nicht meine Schuld; es sei, fügte ich noch bei, sogar recht wohl möglich, daß nach Beendigung meiner Aufsätze ich „der Kapitulation vor dem historischen Materialismus geziehen“27 Weber, ebd., oben, S. 510, Fn. 5. werde. Auch den polemischen kleinen Aufsatz, in welchem diese letzten Bemerkungen stehen, hatte Rachfahl in seiner „Kritik“ (III, Sp. 1288, Anm.)28 Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 545, Anm. 21. zitiert. Auf meinen, mit den vorstehenden Zitaten belegten Vorhalt aber, daß er trotz alledem nicht die Pflicht gefühlt habe, dies alles, obwohl er es wisse, zu berücksichtigen,29 Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 609, Fn. 28. hat er jetzt die erstaunliche Keckheit, dem Publikum der „Intern[ationalen] Wochenschr[ift]“ zu versichern: ihm sei von jenen meinen Ausfüh[671]rungen nichts bekannt gewesen, ja: er „habe sie auch heute noch nicht zu finden vermocht“ (Sp. 790).30[671] Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 660 („[…] bis jetzt noch nicht“ […]). Ich stelle jedem anheim, welchen Ausdruck für dieses „Nichtkönnen“ ich gebrauchen müßte, wollte ich einen anderen Standpunkt einnehmen, als den des Achselzuckens über einen von der Manie des Rechtbehaltens um jeden Preis, auch den der literarischen Aufrichtigkeit, Befallenen. Ich konstatiere nur, daß Rachfahl überdies auch jetzt noch, wo immer es ihm gerade in den Zweck seiner Polemik hineinpaßt, auf der „von Weber vertretenen Ansicht von dem calvinistischen“ (sic, – nach allen seinen Beteuerungen, [A 558]daß er meine Ansichten „richtig“ wiedergebe!) „Monopol“ (sic) „für die“ (sic) „kapitalistische Entwicklung“ (Sp. 757 unten)31 Rachfahl, ebd., oben, S. 664, Anm. 22. herumreitet, obwohl er auf der andern Seite auch wieder versichert: „er habe mir ja gar nicht unterstellt, daß ich das kapitalistische Wirtschaftssystem aus religiösen Ursachen abgeleitet habe“ (Sp. 775g[671]A: 759).32 Rachfahl, ebd., oben, S. 651 (bei Rachfahl: „Ich habe ihm aber gar nicht ,unterstellt‘, daß er […]“). Dem gegenüber ist es natürlich völlig gleichgültig, daß R[achfahl] ein „Exzerpt“ aus meinen Aufsätzen an die Spitze seiner Kritik gestellt hatte33 Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 523–532 (Teil I). und aus deren Inhalt dort zwar keineswegs überall, aber wenigstens überwiegend auch RichtigeshA: richtiges wiedergab. Denn auch wo dies der Fall war, vergaß er selbst diese Reproduktion schon auf den nächsten Spalten, wie ich ihm wieder und wieder nachwies und nachweisen werde. Er war und ist eben in einer Zwangslage: da er nun einmal einen Festartikel über Calvin schreiben wollte und es ihm reizvoll erschien, bei dieser Gelegenheit einem „Outsider“ seine kritische Überlegenheit als historischer „Fachmann“ zu zeigen,34 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 631, äußert zu Teil V seiner ersten Kritik, er habe auf Wunsch der Redaktion der „Internationalen Wochenschrift“ aus Anlaß des Calvin-Jubiläums 1909 im Anschluß an seine Kritik der „Weberschen Theorie“ (d. h. Teil I–IV) „eine allgemeine Charakteristik der geschichtlichen Bedeutung Kalvins und seines Werkes gegeben“. – Zu „Outsider“ und „historischer ,Fachmann‘“ vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 522 f. auf einem Gebiet, für welches er sich erst ad hoc „Material“ beschaffen mußte, so fiel seine „Kritik“ eben so aus, wie sie nun vorliegt, – jetzt aber muß er [672]schon aus ressortpatriotischen Gründen „Recht behalten“, und, damit dies möglich sei, muß meine „These“ so aussehen, wie sie zu seiner „Kritik“ paßt. Man tut eben nicht gut, in diesem „Geiste“ an eine literarische Aufgabe zu gehen.

Zur Charakteristik des daraus sich ergebenden Niveaus seiner Polemik mache ich hier nur noch darauf aufmerksam, wie gütig Rachfahl meine (offenbar recht bedauernswerten) „Freunde und Anhänger“ darauf hinweist, daß ich jetzt (vermutlich um mich vor seiner Polemik zu retten?) sie „rauh abschüttle“2)[672][A 558] Damit übrigens kein Zweifel obwaltet, wen ich mit jenen „Anderen“ seinerzeit gemeint habe, deren Verwertung meiner Ansichten mir (hie und da) einseitig erschien, bemerke ich: vor allem hat Hans Delbrück m. E. in der Tat viel zu sehr in die Trompete gestoßen, wie denn einzelne Historiker noch immer darauf aus sind, vor allem „Widerlegungen“ der materialistischen Geschichtsauffassung geliefert zu erhalten.36 Weber bezieht sich auf Delbrück, Besprechung von Sombart. Delbrücks Gesamturteil über Sombart lautet: „[D]as Werk ist eine schwere Enttäuschung“ (S. 334). Sombarts „Unglück“ liege darin, „früh von Karl Marx eingefangen worden zu sein“ – „[w]er aber einmal in die Tretmühle dieses Pseudodenkers hineingerathen ist, der findet […] nicht so leicht zur echten Wissenschaft wieder zurück“ (S. 347). Zur Kontroverse zwischen Delbrück und Sombart vgl. auch Max Webers Brief an Alfred Weber vom 30. Jan. 1907, MWG II/5, S. 231–236. Auch kann ich die (übrigens mit viel Geist unternommenen) Ideenkonstruktionen von F[erdinand] J[akob] Schmidt (ebenfalls in den Preuß[ischen] Jahrbüchern),37 Gemeint ist: Ferdinand Jakob Schmidt, Kapitalismus und Protestantismus. die, scheint mir, gleichfalls etwas zu viel aus dem schließen, was ich bisher allein näher ausführen konnte, nur als „Konstruktion“ gelten lassen, ohne sie damit übrigens an sich niedrig werten zu wollen. Der „britische Imperialismus“ meines Freundes v. Schulze-Gävernitz ist sicherlich sehr weit davon entfernt, eine einfache Konstruktion, und vollends eine solche an der Hand nur meiner Ansicht zu sein, wie R[achfahl] behauptet hat.38 Schulze-Gaevernitz, Britischer Imperialismus. Von Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 549, Anm. 25, zitiert mit der Notiz: „[…] ist ganz beherrscht von der Weberschen These“ (vgl. auch ebd., S. 554). Soweit er diese überhaupt verwertet, hat er sie überdies seinerseits in sehr glücklicher Weise ergänzt und erweitert. Daß er die Kausalreihen „einseitig“, nach der spiritualistischen Richtung hin verfolgt, wird er freilich selbst nicht in Abrede stellen: es ist dies zugleich seine Stärke und, wenn man will, seine Schwäche;39 Dem entspricht Webers Urteil im Brief an Alfred Weber vom 30. Jan. 1907, MWG II/5, S. 231–236: „Was den Schulze-Gävernitz’schen ,Imperialismus‘ anlangt, so bin ich insoweit natürlich Deiner Ansicht, als diese Übertreibungen von Ansichten, die ich auch vertrete, in der That notwendig diesen Ansichten selbst schaden müssen, so glänzend das Buch ist“ (Zitat S. 236). ich trete insbesondere in dem Punkt: daß der Dualismus der Squirearchie und der bürgerlichen, immer wieder, noch in der Cobdenschen Bewegung in charakteristischer Art an den Dissent angelehnten Mittelklassen durch die ganze englische Geschichte der letzten 300 Jahre [673]geht, natürlich den Bemerkungen von Bonn durchaus bei.40[673] Weber bezieht sich auf Moritz Julius Bonn, [Rez. Schulze-Gaevernitz,] Britischer Imperialismus. Dieser stimmt Schulze-Gaevernitz zu, daß das moderne industrielle England ein Werk der Puritaner und Nonkonformisten sei, hebt darüber hinaus aber hervor, daß die englische Geschichte „seit mehr als drei Jahrhunderten“ „ein Kampf […] zwischen ,Rundköpfen‘ und ,Kavalieren‘“ gewesen und das ,„Merry England‘“ des Elisabethanischen Zeitalters „entgegen den Schulzeschen Ausführungen“ nie verschwunden sei: Es habe in der „,Squirerarchie‘ [„Landjunkertum“, Ed.] lustig fortgelebt“, die England bis um 1850 beherrscht habe, d. h. bis in die Zeit der Cobdenschen Anti-Corn-Law-League. – Vgl. dazu auch Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 595, Fn. 14 mit Anm. 22. Auch Schulze-Gäver[A 559]nitz wird aber diesen Sachverhalt nicht bestreiten. – Mit Übertreibungen, wie sie speziell Delbrück vornahm,41 Gemeint ist: Delbrück, Besprechung von Sombart; vgl. oben, S. 672, Fn. 2 mit Anm. 36. war dem Zweck, den mein, ein fest umrissenes Thema, und zwar, wie ich denn doch wohl behaupten darf: in schlichter und prätensionsloser Sachlichkeit, behandelnder Aufsatz verfolgte, in der Tat nicht gedient. Aber ich war dafür nach meineni[673]A: meinem ausdrücklichen Vorbehalten einerseits nicht verantwortlich und habe überdies, wie Rachfahl genau wußte, – denn wie gesagt: er zitiert die betreffende Abhandlung42 Siehe oben, S. 670 mit Anm. 28. Gemeint ist die zweite Antikritik gegen Fischer: Weber, Bemerkungen. – bei der ersten gegebenen Gelegenheit das meinige getan, sie gar nicht erst aufkommen zu lassen, so daß es der nachträglichen freundlichen Nachhilfe R[achfahl]s wohl kaum bedurfte. Wenn er trotzdem solche Übertreibungen gegen mich ausspielt,43 Weber dürfte auf Rachfahls Äußerung: „Übertreibung des Einflusses religiöser Momente und Lehren auf die reale Entwicklung – das ist der charakteristische Zug der Troeltsch-Weberschen These“, anspielen (Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 557, ähnlich Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 631 und 633). so mag er das mit seinem literarischen Anstandsgefühl abmachen.
Die Wiedergabe meiner Ansichten durch Troeltsch,44 Vgl. Troeltsch, Protestantisches Christentum, und Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus (wie oben, S. 42 f., Anm. 65). – Weber bezieht sich im folgenden auf die von Rachfahl genannte, die „Protestantische Ethik“ positiv rezipierende Literatur (vgl. Rachfahl, Kalvinismus, S. 522 f.). bei dem einige wenige Sätze allenfalls der Beflissenheit eines „Kritikers“, der solche Zitate nach Art der talmudischen Exegese von Thorastellen auspreßt (und dies jetzt gar noch für das Wesen der „historischen Kritik“ erklärt!)[,]45 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, S. 629, ist der Auffassung, historischer Kritik hafte nun einmal „,Kleinlichkeit‘“ an. Anlaß zu einer Fruktifikation in Rachfahls Art geben konnten, – und vollends die kurze Bemerkung v. Schuberts46 Vgl. das von Rachfahl beigebrachte Zitat Hans v. Schuberts über Calvin (ders., Calvin. Rede bei der akademischen Calvin-Gedächtnisfeier in der gr[oßen] Aula der Universität Heidelberg am 11. Juli 1909. – o.O.: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1909, S. 32): Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 522 f. mit Anm. 6 (vgl. auch ders., Nochmals Kalvinismus, oben, S. 660). gehören natürlich [674]überhaupt nicht hierher. Was aber gar den ebenfalls genannten E[berhard] Gothein anlangt, so weiß Rachfahl nicht oder hat, da er es bei mir hätte zitiert lesen können, wieder einmal einfach vergessen, daß dessen hierher gehörige Bemerkungen über ein Jahrzehnt vor Erscheinen meines Aufsatzes gedruckt waren.47[674] Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 522 mit Anm. 5, zitiert aus Gothein, Eberhard, Staat und Gesellschaft des Zeitalters der Gegenreformation, in: Hinneberg, Paul (Hg.), Die Kultur der Gegenwart. Ihre Entwicklung und ihre Ziele, Teil II, Abt. V, 1. – Berlin und Leipzig: B. G. Teubner 1908, S. 127–230 (Zitat S. 226); Weber, Protestantische Ethik I, S. 136 mit Fn. 14, zitiert hingegen aus Gotheins 1892 erschienener „Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes“. Gothein hat natürlich seinen Standpunkt seitdem nicht geändert. – Wo ich gegenüber Schriftstellern, die sich in ihren Ergebnissen mit mir berühren, wirklich Differenzen zu haben glaube, pflege ich dies natürlich nicht zu verschweigen. So hat sich jetzt Troeltsch durch die kecke Sicherheit von Rachfahls Auftreten den Eindruck beibringen lassen, als hätte ich doch wohl irgend etwas zur Begründung meiner Ansichten erst „nachgeholt“.48 Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, S. 454 f. (KGA 8, S. 151 f.), räumt gegenüber Rachfahls Kritik ein, er könne einige von Webers Sätzen unscharf wiedergegeben haben: „Allein mit diesen Irrtümern, so groß oder klein sie sein mögen, darf Webers Theorie nicht belastet und widerlegt werden. […] Seine Theorie ist in ihrer Richtigkeit oder Unrichtigkeit völlig unabhängig von diesen bei mir sich findenden Sätzen“ (Zitat S. 454; KGA 8, ebd.). Aufgegriffen von Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 629. – Troeltsch, ebd., S. 451–460 (KGA 8, S. 147–161), äußert sich sogar prinzipiell über das Verhältnis seiner Arbeiten zu denjenigen Max Webers. Sehr zur Wonne Rachfahls, versteht sich, der sich, ganz nach seiner Manier, natürlich nunmehr statt anderen Beweisen auf ihn als Kronzeugen beruft. Ich meinerseits kann nur erneut bitten, sich durch Lektüre meines Aufsatzes davon zu überzeugen: daß alles, was in meiner Antikritik gesagt ist, ganz ebenso deutlich schon in meinen Aufsätzen gestanden hat. In meiner Antikritik ist lediglich auf den Einwurf betreffend Hamburgs und der holländischen Entwicklung mit zwei Einzelheiten geantwortet49 Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 587 f. (zu Hamburg) und S. 592–595, Fn. 14 (zur holländischen Entwicklung). und sind – was ich, da schon Gothein die These von der Bedeutung speziell des Calvinismus für Deutschland begründet hatte,50 Vgl. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, S. 673 ff. nicht für nötig hielt, – die Verhältnisse des Wuppertals zitiert (ich hätte für den Pietismus noch Calw hinzufügen können).51 Zum Wuppertal vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 586; zum Pietismus in Calw vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 139. Das ist alles! Was aber besagen diese winzigen „Neuheiten“ gegenüber dem, was in meinen Aufsätzen für alle großen Hauptgebiete der Ausbreitung des asketischen Protestantismus (England, Frankreich, Niederlande, Amerika) gesagt war? – Daß Troeltsch, der lediglich für sich antwortete und mich nur nebenher erwähnte,52 Dazu auch oben, Anm. 48. [A 560]nicht noch einmal ad hoc für eine Polemik über seine Thesen meinen Aufsatz von A bis Z durchsah, versteht sich in der [675]Tat leicht. Er hielt eben Rachfahl für wenigstens partiell zuverlässig. Aber jemand, der diese Aufsätze von Grund aufj[675]A: aus „kritisiert“ zu haben behauptet, und dabei noch, wie wir sehen werden,56 Siehe im Folgenden, bes. unten, S. 676–685 mit Fußnoten. Im Hintergrund stehen Rachfahls Äußerungen über Troeltsch, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 629–631, sowie Rachfahls an Weber und Troeltsch gerichtete Forderung „[g]rößerer Exaktheit“ (ebd., S. 655). mit der „Exaktheit“ seiner „historischen Kritik“ (ausdrücklich im Gegensatz zu Troeltsch!) prunken will?
Eine besonders charakteristische Leistung bietet dann Sp. 792/93,57 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 662. wo in der bei Rachfahl beliebten breiten Art, unter Verwendung von Fettdruck für die einzelnen Worte, an die er sich klammern möchte, den Lesern vorgeführt wird, daß, weil ich einmal davon rede, daß „der asketische Protestantismus für den Kapitalismus“ – der Zusammenhang ergibt natürlich: für die jener Zeit, von der ich rede, spezifische Art von bürgerlich-kapitalistischer Entwicklung – auch die entsprechende „Seele“ schaffe: die Seele des „Berufsmenschen“,58 Rachfahl, ebd., zitiert Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 607. – eben doch schließlich nach meiner These der von mir analysierte „Habitus“ allein und an und für sich alles in sich enthalte, was an Motiven im heutigen (!) Kapitalismus wirke (soweit er nicht jüdischen Ursprungs sei, wird mir hier freundlichst noch untergeschoben,59 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 662. weil ich mit einem einzigen Worte an einer gänzlich anderen Stelle60 Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 585. gelegentlich auch die Bedeutung des Verhaltens der Staaten gegenüber den Juden erwähnt hatte, als eines Falles, wo Toleranz oder Intoleranz in der Tat – s. u.61 Siehe unten, S. 684–692. – ökonomisch relevant werden konnte). Und das schönste ist, daß [676]R[achfahl] auf Grund dieser kläglichen Wortklauberei es einerseits (Sp. 793)63 Rachfahl, ebd., oben, S. 662. „mindestens verzeihlich“ findet, daß andere auf Grund jener von ihm zusammengetragenen Worte zu einer „Verabsolutierung“ jenes einen Motivs gelangt seien, andererseits (Sp. 792)64 Rachfahl, ebd., oben, S. 661. als solche, denen dies passiert sei, neben Troeltsch auch Gothein (der[,] wie gesagt,65 Siehe oben, S. 674, in derselben Fn. über ein Jahrzehnt vor mir schrieb) und v. Schubert nennt, nachdem er vorher (Sp. 791)66 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 661. versichert hatte, er selbst sei nicht in diesen, von ihm, wie wir sahen,67 Siehe Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 573–619. sowohl in seiner Kritik wie, je nach Bedarf, noch jetzt vertretenen Irrtum über meine Ansichten verfallen. Ich finde das alles in der Tat lediglich „subaltern“.68 Bereits Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 618, Fn. 35. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 662, auch S. 654, spricht daraufhin von Webers „trivial-subalterne[m] Standpunkt“. – Und in welchem Tone soll man eigentlich einem „Kritiker“ antworten, der davon redet, ich hätte neuerdings in einer „Antikritik“ Versuche gemacht, Aufgaben zu lösen, an die ich mich vorher „nicht gewagt“69 Anspielung auf Rachfahl, ebd., oben, S. 645. hätte?
.35[672] Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 661. [A 559]Schein[673]bar hält er solche (in einer ernsten Arbeit doch eigentlich recht [674]läppische!) Mätzchen, von denen leider seine Kritik und Replik wimmeln, für „geistreiche Bosheiten“? – Indessen: zur Sache selbst.

[675][A 560]Die Replik Rachfahls beginnt mit einem längeren Ausfall gegen Troeltschs Antikritik in der Intern[ationalen] Wochenschr[ift] (Jahrgang IV Nr. 15 und 16).53[675] Der „Ausfall“ gegen Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, bei Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 629–637. Ob Troeltsch es der Mühe wert findet, darauf zu antworten, weiß ich nicht.54 Troeltsch verfaßte keine zweite Antikritik. In der 1911 erschienenen Zweitauflage: Troeltsch, Ernst, Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt (Historische Bibliothek, Band 24). – München, Berlin: R. Oldenbourg 1911, S. 1–66 (KGA 8, S. 183–316), heißt es S. 8 (KGA 8, S. 207): „Auf den von ihm [Rachfahl] eingeschlagenen Ton kann und mag ich nicht eingehen; auf einzelnes habe ich in meinen ,Soziallehren‘ geantwortet“ (Zusammenstellung der betreffenden Seiten in Troeltschs „Soziallehren“, in: KGA 8, S. 207, Anm. 13). Ich meinerseits habe, da ich nun einmal überhaupt antworte, ein Interesse daran, aus dieser Diskussion auf folgendes hinzuweisen: in der „Kritik“ Rachfahls (Jahrg. III Sp. 1329)55 Das folgende Zitat: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 557. hieß es (nach Anführung von Beispielen, in welchen, wirklich oder angeblich, keine Einwirkung religiöser Tat[676]bestände auf politische Geschehnisse stattgefunden haben sollte): „aus allem dem erhellt doch eins: wie wenig sich die politische, wirtschaftliche und weltliche Entwicklung überhaupt (sic) durch religiöse Lehren binden läßt, wenn diese das rein religiöse Gebiet überschreiten“3) Diese Formulierung allein schon ist für einen Historiker doch eigentlich [A 561]allzu naiv. Ob etwas „das religiöse Gebiet überschreitet“, – eben dies ist bekanntlich in allen Kulturkämpfen aller Geschichte und bis heute der unerledigte Streitpunkt, um den sich alles dreht. R[achfahl] behauptet: ihm falle es nicht schwer, die Grenzlinie anzugeben,70 Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S. 634. – daß er es gleichwohl unterläßt, dies zu versuchen, scheint mir kein Verlust für uns. Denn er äußert weiterhin die wunderliche Ansicht, daß für diesen Punkt, „die handelnden Personen der Geschichte oft einen merkwürdig feinen Instinkt bewiesen“71 Zitat: Rachfahl, ebd. haben. Nun: dieser „feine Instinkt“ gestattete z. B. manchen hugenottischen Heerführern die Piraterie, derselbe Instinkt aber veranlaßte die hugenottische Kaufmannschaft nicht nur, sondern auch die ökonomisch uninteressierten Teilnehmer der Hugenottensynoden (die doch auch „handelnde“ Personen waren) zu dem Versuch, sie dieserhalb zur Rechenschaft zu ziehen.72 Auf der ersten Nationalsynode der französisch-reformierten Gemeinden in Paris 1559 wurde unter den „faits speciaux“, Art. XIII, festgehalten, daß Piraten (Pirates) wie andere, die sich vor Aufnahme in die Kirche (Compagnie) fremden Gutes unrechtmäßig bedient hätten, dieses nach Möglichkeit dem Eigentümer zurückgeben und, falls sie Buße und Reue zeigten, zum Abendmahl zugelassen werden sollten. Vgl. Aymon, Synodes Nationaux I, p. 10 f.; Polenz, Calvinismus I, S. 453. Als unter dem Prinzen von Condé (Henri I. de Bourbon, 2. Prince de Condé) „eine Prise auf der See“ gemacht [677]wurde, mahnte ihn das Konsistorium von La Rochelle vom Abendmahl ab. Auf die Appellation des Prinzen an die (IX.) Nationalsynode zu Sainte-Foy hin (1578) bestätigte diese die Maßnahme des Konsistoriums. Nach Polenz, ebd., S. 467 f. (Zitat S. 468); Aymon, ebd., p. 133 f. (dort aber mit der Aufforderung an den Prinzen und das Konsistorium, sich aufeinander zuzubewegen). Der gleiche „Instinkt“ veranlaßte die Stuarts zum [677]Kampf gegen die asketische Sonntagsruhe der Puritaner73 Mit Hilfe des „Book of Sports“. Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, S. 398. und die radikalen Schichten dieser zum Kampf gegen die Zehnten, auf denen z. B. die Existenz der Universitäten ruhte, und dies wieder Cromwell zum Bruch mit ihnen.74 Mit den „radikalen Schichten“ der Puritaner ist hier die Mehrheit des Parlaments der „Heiligen“ Oliver Cromwells von 1653 gemeint, die für die Abschaffung des „Zehnten“ plädierte, woraufhin das Parlament aufgelöst wurde. Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 458 mit Anm. 86. Eben dieser angeblich eindeutige Instinkt inspirierte einerseits Bismarcks Maigesetze,75 In Bismarcks „Maigesetzen“ 1873 kulminierten die „Kulturkampf-Maßnahmen der preußischen Regierung. Sie betrafen die inneren Angelegenheiten der katholischen Kirche: Eines von vier Gesetzen stellte die Ausbildung und Anstellung der Geistlichen unter staatliche Aufsicht, ein weiteres sah die Einrichtung eines königlichen Gerichtshofs zur Eingrenzung der kirchlichen Disziplinargewalt vor. Hinzu kam ein Gesetz über die Begrenzung „kirchlicher Straf- und Zuchtmittel“ und eines über den Kirchenaustritt. (Enthalten in: Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten. – Berlin: Gesetzsammlungsamt 1873, S. 191–208.) andererseits die Anordnungen des Papstes über das politische Verhalten der Katholiken in Italien und Deutschland76 Papst Pius IX. verlangte von der katholischen Bevölkerung Italiens, die parteipolitisch nicht organisiert war, an den Parlamentswahlen nicht teilzunehmen (Dekret „Non expedit“ vom 10. Sept. 1874). – Im Blick auf den deutschen Kulturkampf erklärte Pius IX. die jüngsten Kirchengesetze in der Enzyklika „Quod numquam“ vom 5. Februar 1875 für „ungültig“ und ermahnte die Bischöfe in Preußen, an ihrem Widerstand gegen die Staatsgewalt festzuhalten, bei Strafe der Exkommunikation (letzteres: Abdruck bei Schulthess, H[einrich] (Hg.), Europäischer Geschichtskalender, 16. Jg. 1875. – Nördlingen: C. H. Beck 1876, S. 408–411, hier S. 410). und endlich die Opposition der Zentrumspartei einerseits gegen die Maigesetze,77 Schon in der Debatte im preußischen Abgeordnetenhaus am 9. Mai 1873 hatte der Zentrumsabgeordnete Ludwig Windthorst entschiedenen Widerspruch seitens der Katholiken erklärt. (Vgl. Schulthess, H[einrich] (Hg.), Europäischer Geschichtskalender, 14. Jg., 1873. – Nördlingen: C. H. Beck 1874, S. 130–132.) Der Widerstand, den das Zentrum unterstützte, begann mit der Eingabe des preußischen Episkopats an das Staatsministerium vom 26. Mai 1873 (in: Siegfried, Nikolaus, Actenstücke betreffend den preußischen Culturkampf. – Freiburg i. Br.: Herder’sche Verlagsbuchhandlung 1882, S. 188 f.) und mit dem Einspruch im Schreiben Papst Pius IX. an Kaiser Wilhelm I. vom 7. August 1873 (in: ebd., S. 198). Noch während 1886/87 Preußen und die katholische Kirche zur Beendigung des Kulturkampfes eine Novellierung aushandelten, kämpfte Windthorst für eine vollständige Revision der Maigesetze (vgl. Bachem, Karl, Vorgeschichte, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei […], 4. Band. – Köln: J. P. Bachem 1928, S. 140 f., 146 f., 227 f. und S. 236). andererseits (gelegentlich) gegen den Papst.78 Z. B. stimmte das Zentrum im Januar 1887 gegen Bismarcks Militäretat und stellte [678]sich damit gegen den ausdrücklichen Wunsch Papst Leos XIII., der mit dieser Intervention Bismarck für eine Beilegung des Kulturkampfes gewinnen wollte. (Im neuen Reichstag enthielt sich das Zentrum in dieser Frage im März 1887.) Vgl. Bachem, ebd., S. 148–217, bes. S. 165–174 und 202–206. Alle Schwierigkeiten, de[678]nen das vatikanische Dogma79 Gemeint ist das auf dem 1. Vatikanischen Konzil 1870 verabschiedete Dogma der Unfehlbarkeit (Infallibilität) päpstlicher Lehrentscheidungen in Glaubens- und Sitten¬ fragen: Wenn der Papst „ex cathedra“ spricht, d. h. in Ausübung seines Amtes als Oberhaupt der Christenheit kraft seiner apostolischen Autorität über eine Lehre ent¬ scheidet, dann sind solche Entscheidungen „ex sese, non autem ex consensu eccle¬ siae irreformabiles“. Zitat nach Mirbt, Carl, Art. Vatikanisches Konzil, in: RE3, 20. Band, 1908, S. 445–474, hier S. 468. ausgesetzt ist und sein wird[,] und alle Schwierigkeiten der Trennung von Kirche und Staatk[678]A: Staat, resultieren aus der in der Sache liegenden Unmöglichkeit, eine Grenze des religiös Relevanten eindeutig zu bestimmen. Daß also nur „moderne Theologen“ über jene Grenze im Zweifel sein könnten (Sp. 719),80 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 634. gehört wohl in die politische Kinderstube. Solche Dinge sind ja allbekannt, und es ist mir wirklich nicht eingefallen, sie, wie R[achfahl] mir in hämischer Form vorhält, für „originell“ auszugeben.81 Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S. 662 f., Anm. 40. Und wenn ich deshalb auch wahrhaftig nicht der Ansicht war, daß „ganze Generationen von Historikern“82 Rachfahl, ebd. sich mit der Ausschöpfung jener palpablen Dinge noch befassen müßten, – denn jeder sachlich ernst diskutierende Historiker vergißt dergleichen eben auch nicht, wie Rachfahl, in der Polemik zum Zweck des Rechtbehaltens, – so glaube ich doch nach wie vor, daß sie R[achfahl] selbst und seinesgleichen gelegentlich nachdrücklich in die Erinnerung zurückgerufen werden müssen. – Rachfahl hat sich eben den Kampf gegen eine vermeintliche „Heidelberger“ Spezialität zur speziellen Aufgabe gemacht. Eine mir vorliegende Dissertation, mit der bei ihm promoviert wurde, die sich u. a. mit den Arbeiten von G[eorg] JellineklA: Jellinek, über die religiöse Mitbedingtheit der „Menschenrechte“ beschäftigt,83 Weber dürfte den Teildruck: Hägermann, Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, im Auge haben, der am 10. Februar 1910 als Dissertation an der Universität Kiel eingereicht wurde. Hägermanns Dissertation ist genannt im Jahres-Verzeichnis der an den Deutschen Universitäten erschienenen Schriften XXV. 15. Aug. 1909 bis 14. Aug. 1910. – Berlin: Behrend & Co 1911, mit „Ref[erent] Rachfahl“. zeigt, wie ich mich überzeugen konnte, die gleiche Manier bei der Wiedergabe bekämpfter Ansichten und dem Aufspüren angeblicher „Widersprüche“ u. dergl. wie R[achfahl]s eigene „kritische“ Leistung. Nun ist gewiß niemand geneigt und verpflichtet, die Verantwortung für alles zu übernehmen, was in Dissertationen, auf die hin er promoviert, steht, [A 562] – ich meinerseits würde das wenigstens ablehnen. Aber die „Manier“ ist im vorliegenden Falle schwerlich zufällig. – Wenn übrigens R[achfahl] seinerseits gegenüber Troeltsch seine Ansicht über die Entwicklung der amerikanischen Demokratie dahin resumiertmA: resumiert, [679](III Sp. 1358),84[679] Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 567 (kein wörtliches Zitat). dieselbe habe sich „im wesentlichen von selbst entwickelt“, – so dürfte diese originelle Lösung des Problems den Vorzug einer für alle historischen Fragen empfehlenswerten Einfachheit an sich tragen. Im Ernst gesprochen: die völlige Selbstverständlichkeit der religiösen Basis des Lebens war in dem formal streng neutralen amerikanischen Staat gerade das, was ihn am wesentlichsten von europäischen und anderen Demokratien unterschied und was, – wie gerade Troeltsch vortrefflich herausgearbeitet hat, – auch der „Trennung von Staat und Kirche“ dort ein so völlig anderes Cachet gab als bei uns.85 Gemeint ist Troeltschs Rede „Die Trennung von Staat und Kirche, der staatliche Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten“, die er als Prorektor der Universität Heidelberg zum Jahresfest der Universität am 22. November 1906 hielt (vgl. die Druckfassung: Troeltsch, Trennung von Staat und Kirche). Man kann ernstlich fragen: ob ohne diese (wie auch ich in der Christl[ichen] Welt hervorhob)86 Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, bes. S. 454 f. mit Webers Fn. im Leben überall vorausgesetzte Selbstverständlichkeit die amerikanische Demokratie in ihrer alten Eigenart möglich gewesen wäre. Heute schwindet das und ist natürlich z. B. das Gebet, mit dem der höchste Gerichtshof so gut wie auch jede Parteiversammlung eröffnet wurde,87 Bryce, American Commonwealth II, berichtet, daß Parteiversammlungen (p. 176 und 186) und auch Sitzungen des House of Congress (p. 576) mit einem Gebet eröffnet werden; Münsterberg, Die Amerikaner II (wie oben, S. 433, Anm. 26), berichtet dies auch für Feste, Bankette und andere Versammlungen (S. 190). ebenso wie der „chapel record“ (sic), von dem als Erfordernis für die Anrechnung des Semesters die Statuten vieler Universitäten reden,88 Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 435 f. mit Anm. 4. zu einer Farce geworden wie etwa der Gottesdienst vor der Reichstagseröffnung bei uns. Aber das war früher sehr anders! . [A 561]Jetzt heißt es (Sp. 718):62 [676] Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 633. „ich (Rachfahl) habe [677]bestimmte konkrete Fälle vorgebracht, in denen Übertreibungen [678]des Einflusses religiöser Momente … begangen worden sind; daraus habe ich aber keinen (sic) allgemeinen Schluß nach [A 562]der von [679]Troeltsch behaupteten Richtung hin4) Troeltsch sagt (und Rachfahl zitiert dies): Rachfahl habe durch seine Beispiele „die Unwirksamkeit des religiösen Moments gegenüber dem allgemeinen Leben veranschaulichen“ wollen.89 Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, S. 468 (KGA 8, S. 170); zitiert bei Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 633 (bei Troeltsch und Rachfahl: „die Unwirksamkeit des religiösen Elementes […]“). gezogen, und wenn er mir einen solchen unterschiebt (sic), so ist das ein Verfahren, das ich hier lieber nicht charakterisieren will, da ich dann sehr bittere Worte (sic) wählen müßte.“ – So ist R[achfahl]s Replik durchweg beschaffen, wie sich zeigen wird. Aber soll man da nun selbst „bittere Worte brauchen“? Ich meinerseits stehe erheitert und bereue es im Gegenteil aufrichtig, einen verworrenen Kritiker5) Rachfahl selbst führt für sich an, er sei durch meine Darlegungen konfus geworden.90 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 661. Dafür darf ich die Verantwortung ablehnen, wie Rachfahls Kritik und Replik jedem zeigen, der es sehen will., dem es [680]solche Kümmernisse verursacht, wenn man ihm seine eigenen Behauptungen vorhält, jemals so ernst genommen zu haben, wie es, immerhin, geschah. Ein anderer Zweck einer Polemik, als der, dem „Publikum“ gegenüber im Recht zu scheinen,91 [680] Vgl. etwa die Polemik am Ende seiner Kritik: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 663 f. ist R[achfahl] offenbar unfaßbar.

Weiter: In meiner Antikritik (Archiv XXX S. 177 Zeile 23)92 Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 575, Z. 15–S. 576, Z. 1. verweise ich (unter Angabe des Orts, nämlich: Archiv XX S. 19 Anm. 1)93 Weber, Protestantische Ethik I, S. 154, Fn. 27. gegenüber den irrtümlichen Angaben Rachfahls über die Beziehungen von Sombarts Arbeiten zu den meinigen auf meine ausdrücklichen und erschöpfenden Bemerkungen über diesen Punkt, die bereits in meinem, von R[achfahl] „kritisierten“, Aufsatz stehen. Die Replik Rachfahls hierzu lautet: „daß Sombarts Kapitalismus Einfluß auf Webers These ausgeübt hätte, berichtet Troeltsch (sic), – wie (sic) [A 563]hätte ich auf die Vermutung kommen sollen, daß er (Troeltsch!) … falsch orientiert wäre?“1 Zitat: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 626 (dort: „können“ statt „sollen“). Bezug ist Sombart, Der moderne Kapitalismus I.

Was ferner die Beziehungen zwischen den Arbeiten von Troeltsch und mir anlangt, so haben Troeltsch sowohl wie ich erklärt,2 Zum folgenden vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 575 f., und Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, S. 451–460 (KGA 8, S. 147–161). 1. daß und warum keiner von uns für die Leistung des anderen verantwortlich ist; – 2. daß für die „Thesen“, welche Troeltsch vertritt, meine „These“ kein Beweisgrund ist und umgekehrt: jeder von uns könnte für seine Aufstellungen völlig Recht haben, auch wenn der andere mit den seinigen gänzlich fehlgehen sollte; – ferner 3. daß die Resultate meiner Arbeiten aber allerdings eine mit Troeltsch’s Ergebnissen sehr gut zusammenstimmende Ergänzung dieser letzteren darstellen, von welcher demgemäß 4. Troeltsch referierend Notiz genommen hat, wobei ihm 5. in einigen für ihn gänzlich unwesentlichen Einzelpunkten kleine Irrtümer untergelaufen sind (die dann Rachfahl, wie ich hervorhob,3 Siehe oben, S. 673, Fn. 2. in [681]überaus kleinlicher Weise zu „fruktifizieren“ versucht hat)6)[681][A 563] Damit übrigens auch hier kein Zweifel bleibe: Es handelt sich um solche Kleinigkeiten, wie die Irrtümer Troeltschs über mein Verhältnis zu Sombart,6 Vgl. Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus (wie oben, S. 42 f., Anm. 65), S. 43 (KGA 8, S. 272), thematisiert von Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 525. Sein Verhältnis zu Sombart hatte Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 575 f., schon klargestellt. ferner über das, was in meinem Aufsatz über die Reformierten in Ungarn schon gesagt7 Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, S. 128 f., Fn. 7 und 8. war und ähnliches, um Dinge also, welche Rachfahl noch jetzt, nachdem ich ihn auf die Irrtümlichkeit seiner aus Troeltsch entnommenen Behauptungen in meiner Antikritik hingewiesen habe,8 Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 592, Fn. 14. – Für seine Bemerkungen über Ungarn geht Rachfahl an beiden Stellen von Troeltsch aus: Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 544 (Rachfahl zitiert: Troeltsch, Protestantisches Christentum, S. 358; KGA 7, S. 283) und S. 555 f. (Rachfahl zitiert: Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus – wie oben, S. 42 f., Anm. 65 –, S. 45; KGA 8, S. 276). seinem Publikum auftischt,9 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 626 (Sombart) und S. 628, Anm. 6 (Ungarn). – was ihn ergötzlicherweise nicht hindert, Troeltsch, der diese Dinge mit Recht für herzlich gleichgültig hält, darauf hinzuweisen, daß die historische Kritik solchen Sünden gegenüber „nicht den Mut haben wird, sich zu diesem ebenso erhabenen wie angenehmen Standpunkt emporzuschwingen“ (sic).10 Zitat: Rachfahl, ebd., oben, S. 629. . Ich hatte es nun „illoyal“ genannt,4 [681] Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, S. 575, Fn. 2, auch S. 574, aufgegriffen von Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 626–629. daß ein angeblicher „Kritiker“ Unterschiede zwischen Troeltsch und mir, welche für jedermann offensichtlich Unterschiede in der Terminologie sind (kombiniert mit jenen an sich gänzlich gleichgültigen Irrtümern in der Wiedergabe einiger weniger meiner Formulierungen), dazu benutzt, um seinem Publikum gar nicht vorhandene Differenzen in der Sache vorzutäuschen und dabei auf der anderen Seite doch von „Troeltsch-Weberschen Begriffen“ gerade an denjenigen Punkten („Askese“) spricht, wo jene von ihm selbst zu Zwecken „effektvoller“ Polemik ausgenutzten, wie Jedermann sehen mußte: rein terminologischen Differenzen zwischen uns bestehen7) Jahrgang III, Sp. 1257:11 Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 539. „Damit gelangen wir zur fundamentalen Differenz (zwischen Troeltsch und mir) … der Auffassung (sic) von der altprotestantischen Askese“, – diese besteht darin (Sp. 1258):12 Rachfahl, ebd. (Rachfahl hatte in seiner Schlußanmerkung „Ethik“ zu „Askese“ kor[682]rigiert, vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zu Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.521. „daß er“ (ich) „von einer gesamtaltprotestantischen [682]Ethik (sic) im Sinn von Troeltsch nichts weiß“ (sic). Damit zu vergleichen: Sp. 1260:17 Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 541: „Daß der Begriff dieser Aszese sich nahe mit dem Troeltsch-Weberschen berührt […]“. der „Weber-Troeltsch’sche“ Askesebegriff (ebenso noch jetzt in seiner Replik ausdrücklich: „die Weber-Troeltsch’sche These“),18 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 664. ferner: Sp. 1259:19 Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 540. die Versicherung, daß das, was ich über den „asketischen Lebensstil“ sagte, „auf dasselbe hinauslaufe“, wie die Troeltsch’sche „Definition“ des Askesebegriffs[,] und überhaupt die ganze gegen uns beide kollektiv [A 564]gerichtete Polemik über diese von Rachfahl erst zu polemischen Zwecken geschaffene „Frage“. .5 Ähnlich argumentiert Weber schon in: Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 583, Fn. 9. Dies Geschäft betreibt R[achfahl] [682]auch jetzt noch gelegentlich [A 564]in gleicher Art weiter7a) Vergl. Sp. 755, 782, 786 Anm.20 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 643, 655, 658 mit Fn. 37. und öfter. . Wenn er aber dabei nunmehr sogar (Sp. 731)13Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 641. Zum folgenden vgl. Rachfahls erneute Einwände gegen den Askesebegriff von Weber und Troeltsch, ebd., S. 639–643. sagt: sowohl Troeltsch als ich „erkennen an (sic), daß sie mit dem Wort Askese verschiedenartige Vorstellungen verbinden“, so wird der Versuch, dieses „Anerkenntnis“ als Verdienst seiner „Kritik“ in Anspruch zu nehmen, nur den täuschen, der weder Troeltschs noch meine Arbeiten gelesen hat. Denn da Troeltsch ganz ausdrücklich von der Askese im Luthertum sprach,14 Troeltsch, Protestantisches Christentum, S. 262–264 (KGA 7, S. 98–102), differenziert innerhalb der (alt-)„protestantischen Askese“, die eine Umwandlung der mittelalterlich-katholischen darstelle und „innerweltliche Askese“ sei, zwischen Askese im Luthertum und Askese im Calvinismus; vgl. auch Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus (wie oben, S. 42 f., Anm. 65), S. 26–28 (KGA 8, S. 241–245). ich ganz ausdrücklich meinen ganz andersartigen Askesebegriff als auf das Luthertum (und noch andere protestantische Gemeinschaften) nicht nur nicht zutreffend, sondern in schärfstem Gegensatz zu ihm stehend bezeichnet hatte,15 Vgl. Webers vier geschichtliche „Träger des asketischen Protestantismus“: Weber, Protestantische Ethik II, bes. S. 242; zur weitgehend fehlenden Askese im Luthertum vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 206–209, dass. II, oben, S. 304–307, sowie Webers Brief an Adolf Harnack vom 5. Febr. 1906, MWG II/5, S. 32 f. (zitiert in der Einleitung, oben, S. 25 f.). so brauchte für die Feststellung dieses terminologischen Unterschiedes in der Tat „kein Geist aus dem Grabe“ – vielmehr: aus einem Tintenfasse – „aufzusteigen“.16 Möglicherweise Anspielung auf den erschlagenen Komtur in Mozarts „Don Giovanni“, dessen Statue auf dem Kirchhof wie ein Geist mit Don Giovanni spricht und auf dessen Einladung dann an seiner Tafel erscheint (2. Akt, 11. und 13. Szene). Auch der denkbar flüchtigste Leser mußte vielmehr [683]sehen (und Rachfahl hatte es gesehen), daß es sich eben um terminologische Verschiedenheiten handelte und nicht um sachliche. Ohne noch ein Wort zu verlieren, überlasse ich es daher jedem, der dafür Zeit hat, mit diesem klaren Tatbestand die kleinen Kunststücke zu vergleichen, mittels deren Rachfahl trotz allem auch jetzt noch, also nachdem zum Überfluß Troeltsch wie ich dies noch ausdrücklich erklärt hatten,21[683] Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 575 f. und S. 583, Fn. 9, und Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, S. 458–460 (KGA 8, S. 157-159). die Sache „besser wissen“ möchte8)[683] Der kleine – ich kann nur sagen: – Klopffechterkunstgriff: die Bemerkung von Troeltsch, daß er meine Resultate einfach „übernommen“ (d. h. in diesem Fall für jedermann ersichtlich: referierend und zustimmend wiedergegeben) habe, da wo sie eine Ergänzung der seinigen darstelltenn[683]A: darstelle22 Bei Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, S. 453 f. (KGA 8, S. 150 f.), heißt es: „Da ich sie [die sachlichen Ergebnisse Webers betreffs des Calvinismus] in allem Wesentlichen für richtig hielt und halte, habe ich sie übernommen ohne jeden Anspruch auf selbständige wissenschaftliche Förderung der Erkenntnis dieser Zusammenhänge. Ich habe seine Ergebnisse lediglich in einen anderen, von meinem Erkenntnisziel aus bestimmten Zusammenhang eingestellt. […] Aber es handelte sich für mich doch um das Verständnis des Protestantismus in dem großen Gesamtumfang seiner Beziehungen, nicht um ein wirtschaftsgeschichtliches Problem. Was bei Weber das zentrale Thema ist, das ist bei mir nur ein in das Ganze einzuarbeitendes Einzelphänomen.“ – und meine Bemerkung: daß keine „Übernahme“ meiner Theorien durch Troeltsch23 Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 576. (für jedermann ersichtlich: als wissenschaftliche Begründung seiner eigenen, ganz andere und weitere Ziele verfolgenden Forschungen) erfolgt sei, durch Fettdruck des Wortes „Übernahme“ als „Widerspruch“ erscheinen zu lassen,24Im Rachfahlschen Originaltext Fettdruck von „übernommen“ und „Übernahme“ in den Zitaten aus Troeltsch und Weber: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 627. – entspricht durchaus dem Gesamtniveau dieser sogenannten „Kritik“. – Jetzt (Sp. 698oA: 689)25 Rachfahl, ebd., oben, S. 630. sucht R[achfahl] seine Leser sogar glauben zu machen, Troeltschs Arbeiten seien „der einzige zusammenhängende Versuch, das Webersche Schema dem historischen Verlauf als zugrundeliegend aufzudecken“ (sic, – ein „chemisch reiner“ Unsinn, über welchen wohl Troeltsch ebenso erheitert sein dürfte wie jeder, der weiß, womit sich eigentlich dessen Arbeiten in Wahrheit beschäftigen, auf den aber freilich der Unorientierte, auf den R[achfahl] wie überall spekuliert, vielleicht hineinfällt). An anderer Stelle (in seiner ersten „Kritik“) waren u. a. v. Schulze-Gävernitz und v. Schubert in der gleichen Lage, eigentlich nur Apostel meiner „Lehren“ zu sein.26 Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 522 f. (v. Schubert), S. 549, Anm. 25, und S. 554 (v. Schulze-Gaevernitz). Und die „Juden“ habe ich (nach Rachfahl) „bekanntlich“ Sombart „überlas[684]sen“.33 Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S. 662. Sombart hatte 1909 und 1910 vier Vorträge zum Thema „Judaismus und Kapitalismus“ gehalten, die stark erweitert in: ders., Die Juden und das Wirtschaftsleben. – Leipzig: Duncker & Humblot 1911, eingingen. Über seine Vorträge gab es Zeitungsberichte, außerdem einen Vorabdruck des ersten Buchteils im Februar 1910 „Der Anteil der Juden am Aufbau der modernen Volkswirtschaft“, in: Die neue Rundschau, 21. Jg. der freien Bühne. – Berlin: S. Fischer Verlag 1910, Band 1, S. 145–173. Es scheint also, daß ich ein wahres Vasallenheer der allerhervorragendsten Gelehrten nach meiner Pfeife tanzen lasse. Vermutlich gehört jetzt auch Professor H[ermann] Levy, den – nachdem ich mich auf eine freundliche Notiz von ihm bezogen hatte34 Die Notiz über Hermann Levy: Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 589, Fn. 13. – R[achfahl] in ebenso hämischer wie (m. E.) kindlicher [A 565]Form als Mitver[685]schworenen der nach ihm bestehenden „Arbeitsgemeinschaft“ begrüßt,36 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 649. und schließlich doch wohl auch Professor A[dalbert] Wahl dazu, dem ich durch Wiedergabe einer Bemerkung von ihm (nach R[achfahl]) „schwerlich einen Gefallen erwiesen“ habe.37 Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S. 644 f., Anm. 22 (kein wörtliches Zitat), der sich auf Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 589, Fn. 13, bezieht. – Ein ähnliches Niveau zeigt es auch, wenn Rachfahl, genau wissend, daß Troeltsch da, wo er mir ausdrücklich zustimmt, teils ausgesprochenermaßen, teils selbstverständlich die in meinen Aufsätzen allein eingehender behandelten theologisch-religionspsychologischen Ausführungen im Auge hat, die er als Fachmann zu beurteilen sicher vielfach besser als ich berufen ist, dagegen da, wo er sich als Nichtfachmann für inkompetent erklärt, selbstverständlich nicht jene in sein Fachgebiet schlagenden, sondern die von mir illustrativ, für die ohnedies bekannte Tatsache der ökonomischen Vormachtstellung des asketischen Protestantismus angeführten wirtschaftshistorischen Angaben, dennoch seinem Publikum vortäuscht: hierin liege ein Widerspruch oder sogar: ein „Widerruf“38 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 630. von Troeltschs ausdrücklich auch jetzt wiederholter Zustimmung zu jenen meinen religionspsychologischen Thesen.39 Bei Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, S. 455 (KGA 8, S. 152 f.), heißt es: „Dagegen kann ich [Troeltsch] allerdings eintreten für denjenigen Teil von Webers Untersuchungen, der sich mit meinem Fachgebiet berührt, für die dogmatischen und religionspsychologischen Analysen des Calvinismus. Diese sind durchaus zutreffend, und eben, weil ich sie für so schlagend richtig halte, konnte ich auch die daraus gefolgerten Übergänge zur Psychologie des ökonomischen Verhaltens in diesen Kreisen so einleuchtend finden.“ .

[684][A 565]Und um endlich mit dieser doch wirklich etwas läppischen Kontroverse über die Terminologie ein Ende zu machen: ich hatte, wie erinnerlich, erklärt und, da Rachfahl dies seinen Lesern, wie üblich, verschweigtp[684]A: verschweigt, und mir in seinem üblichen, nicht anders als „hämisch“ zu nennenden, Ton „Vaterfreude“27[684] Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 640. an meiner (von mir eingehend aus sachlichen Gründen motivierten) Ausdrucksweise zuschreibt, so erkläre ich hier sehr gern erneut, daß mir selbstverständlich der Ausdruck „innerweltliche Askese“ für jeden beliebigen anderen feil ist.28 Ähnlich: Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kalvinismus, oben, S. 578. – Sehr anders freilich steht es mit dem sachlichen Tatbestand. Von diesem nachher im Zusammenhang meines positiven Resümés (Abschnitt II).29 Siehe unten, S. 708–740. Hier muß notgedrungen zunächst noch weiter rein negativ gezeigt werden, daß die gleiche liederliche und sich um das ehrliche Eingeständnis seiner Oberflächlichkeiten herumwindende Art der Polemik durch die gesamte Replik R[achfahl]s sich hindurchzieht.

R[achfahl] versichert, die Toleranz nicht nur nicht als Trägerin kapitalistischen Geistes, sondern auch nicht als wirkende Ursache kapitalistischer Entwicklung hingestellt zu haben,30 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 643 f. – obwohl er doch (von den Ausführungen in seiner Kritik, die ich völlig korrekt wiedergegeben habe, ganz abgesehen)31 Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 585. auch jetzt schon auf derselben Spalte (756 unten)32 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 644. wieder versichert: „Sie (die Toleranz) [685]war der Boden, dessen der kapitalistische Geist bedurfte, um feste Wurzeln zu fassen und nicht der Verkümmerung ausgesetzt zu sein, und das ist nicht Konstruktion, sondern historische Tatsache“9) Worin ich über die Rolle der Toleranz mit Rachfahl übereinstimme, geht aus meinen Aufsätzen hervor, auf die ich in meiner Antikritik verwiesen hatte.40 Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 585, mit Verweis auf die Ausführungen in Weber, Protestantische Ethik II, S. 311–314, Fn. 78. Neues hat Rachfahl schlechterdings nicht hinzugefügt. . Nein, das ist, mag man hier, um Rachfahls Wortklauberei entgegenzukommen, etwa statt „Ursache“: „Bedingung“ setzen, weder Tatsache noch (sinnvolle!) Konstruktion, sondern eine recht oberflächliche Behauptung, die von mangelndem Durchdenken der wirk[A 566]lichen Probleme zeugt. Der kapitalistische Geist (in jenem Sinne des Worts, den Rachfahl nach seinen eigenen Äußerungen damit verbindet)q[685]A: verbindet),35[685] Vgl. dazu Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 532–536, sowie ders., Nochmals Kalvinismus, oben, S. 653 mit Kontext. hat in Venedig, Genua, Florenz, Flandern, gro[686]ßen Teilen Frankreichs im ausgehenden Mittelalter und – beispielsweise – auch in Sevilla im 16./17. Jahrhundert wahre Orgien gefeiert, ohne daß die dort und damals selbstverständliche Intoleranz als solche ihm irgend Schaden getan hätte.41 [686] Der außerordentliche Reichtum Sevillas beruhte auf verschiedenen Faktoren: Es trieb Handel mit Indien und Amerika, sicherte sich den Zwischenhandel in den Beziehungen der anderen Mittelmeerländer mit den spanischen Kolonien und lebte von einer bedeutenden Seidenindustrie und dem Anbau von Öl und Wein im Umland. Vgl. Häbler, Konrad, Die wirtschaftliche Blüte Spaniens im 16. Jahrhundert und ihr Verfall (Historische Untersuchungen, hg. von I. Jastrow, Heft IX). – Berlin: R. Gaertners Verlagsbuchhandlung 1888 (hinfort: Häbler, Blüte Spaniens), S. 57, 69 und S. 75 f. – Zur Intoleranz nicht nur gegen Juden und Protestanten, sondern auch gegen die Moriscos, die zwangsbekehrten Nachfahren der Mauren, vgl. Häbler, ebd., S. 83 f.; Buckle, Heinrich Thomas, Geschichte der Civilisation in England. Mit Bewilligung des Verfassers übers. von Arnold Ruge, 2. Band. – Leipzig, Heidelberg: C. F. Winter’sche Verlagshandlung 1861 (hinfort: Buckle, Civilisation II), S. 52–65. – Zu Sevilla vgl. auch Webers Vorlesung „Praktische Nationalökonomie“ (GStA PK, VI. HA, NI. Max Weber, Nr. 31, Band 2, BI. 42r/v und 43r; MWG III/2). Wo zum Beispiel die Quellen der Verkümmerung Sevillas (wohlgemerkt: soweit daran die Eigenart des Katholizismus mitbeteiligt war, – und sie war es in immerhin erheblichem Grade –) wirklich lagen, das zeigen die jedem Kenner der spanischen Wirtschaftsgeschichte bekannten Konflikte der streng katholischen Stadt mit Kirche und Staat deutlich genug.42 „Noch steckte der wirtschaftliche Geist des Mittelalters in den Spaniern“, schreibt auch Moritz Julius Bonn: Blieb der Gewinn – wie nach dem Staatsbankrott Philipps II. 1575, wiederholt 1595 – aus, stellte man die wirtschaftliche Tätigkeit ein. Bonn berichtet von der Massenflucht derer, die von ihrem Besitz nicht mehr leben konnten, in Klöster und Stiftungen, die zu gründen Philipp II. „in Mode gebracht“ habe. Bis zum Tod Philipps III. hatte die Zahl der Klöster und Geistlichen einen exorbitanten Umfang angenommen: 100 Geistliche beschäftigte der Dom von Sevilla, die Diözese 14 000 Kapläne, während von den 3000 Seidenwebstühlen unter der Regierung Philipps IV. nur noch 60 übrig geblieben waren. Vgl. Bonn, Moritz Julius, Spaniens Niedergang während der Preisrevolution des 16. Jahrhunderts. Ein induktiver Versuch zur Geschichte der Quantitätstheorie (Münchener Volkswirtschaftliche Studien, hg. von Lujo Brentano und Walther Lotz; 12. Stück). – Stuttgart: J.G. Cotta 1896, S. 159–170, Zitate S. 165 und 166; dazu Buckle, Civilisation II (wie oben, Anm. 41), S. 45, sowie Häbler, Blüte Spaniens (wie ebd.), S. 87. Die Intoleranz hat insbesondere den, von Rachfahl als die eigentlichen „Träger“ des kapitalistischen Geistes herausgehobenen „ökonomischen Übermenschen“,43 Bei Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 552–554 (die Fugger); dazu auch Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 645 und 654. also den ganz großen Bankiers und Monopolisten (die sich damit bekanntlich von Anbeginn der Geschichte her immer ziemlich leicht abgefunden haben), auch hier nichts zu leide getan. Die Fugger und ebenso z. B. die [687]Großkapitalisten in Sevilla und sonst haben im 16. Jahrhundert aller Intoleranz ungeachtet ganz ebenso glänzende Geschäfte gemacht wie einerseits etwa die Peruzzi und Bardi und ihresgleichen im intoleranten Mittelalter und wie andrerseits die englischen und holländischen Großkapitalisten ähnlichen Gepräges in intoleranten sowohl wie in toleranten Ländern. Und: die lange Zeit praktisch äußerst weitgehende „Toleranz“ des Normannenstaates44 [687] In dem normannischen Staat in Süditalien und Sizilien lebten unter der herrschenden Oberschicht viele Völker: Lateiner (Italiener, Langobarden), Griechen, Araber, Berber und andere Muslimen sowie in kleiner Zahl Mozaraber, Slawen, Juden u. a. Über den jungen Staat unter dem Eroberer Roger I. (1031–1101) urteilt Erich Caspar: „Hier zum erstenmal in der Geschichte der christlichen Welt wurde durch die zwingende Macht der Umstände die Idee eines toleranten Staatswesens gefaßt und verwirklicht.“ Caspar, Erich, Roger II. (1101–1154) und die Gründung der normannisch-sicilischen Monarchie. – Innsbruck: Wagner 1904, S. 9. Als „erste[n] Toleranzstaat“ unter dem Stauferkaiser Friedrich II. bezeichnet ihn auch: Köhler, Ludwig, Art. Friedrich II., in: RGG, Band 2, 1910, Sp. 1067–1070, Zitat Sp. 1069. hat ihrerseits den Schwerpunkt des mittelalterlichen Mittelmeerkapitalismus ebensowenig von den damals mit Leib und Seele kirchlichen und „intoleranten“ oberitalienischen Städten in die sizilianischen Städte hinwegzuziehen vermocht, wie das (innerhalb der Grenzen der „Staatsräson“) praktisch so gut wie völlig tolerante Verhalten des Römerreichs dem Verfall des spezifisch antiken kapitalistischen „Geistes“ und des antiken Kapitalismus selbst vorgebeugt hat.45 Vgl. dazu Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, S. 716: Mit Befriedung der Oikumene im Hellenismus und römischen Reich hatte „für den antiken Kapitalismus […] die Todesstunde geschlagen: der Friede und der monarchische Staat, der Übergang von der Küsten- zur Binnenkultur erdrückten ihn, wie er nun einmal war, statt ihm, wie man a priori glauben sollte, erst recht zur Blüte zu verhelfen. Jenen Übergang zum Frieden und zur Binnenkultur aber hat endgültig die römische Kaiserzeit vollzogen“. Und endlich hat der (wieder einmal von Rachfahls Eifer einfach vergessene) Umstand, daß ja das protestantische, anglikanische wie presbyterianische, England (und ebenso: Neu-England) prinzipiell so intolerant war wie ein katholischer Staat10)[687][A 566] Ein „Geschichtskonstrukteur46 „Solche Konstruktionen, die aller quellenmäßigen Begründung entbehren, können nicht mehr als wirkliche Geschichtsforschung gelten“, urteilt Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 548, über Weber und Troeltsch (dazu schon Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 576 und 582). könnte sehr wohl darauf verfallen, die Eigenart der holländischen Entwicklung daraus abzuleiten, daß hier der Calvinismus auf seine Intoleranz in besonders weitgehendem Maße (übrigens gerade z. B. in der Provinz Hol[688]land bekanntlich am wenigsten) hat verzichten müssen.47[688] Möglicherweise Erwiderung auf Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 560 f. Und ein Körnchen Wahrheit (aber freilich nur ein kleines) würde sogar in der Tat darin stecken können. – Da übrigens hier gerade von Holland die Rede ist, so erledige ich bei dieser Gelegenheit einige dahin gehörende „kritische“ Leistungen Rachfahls: Ich habe darauf verwiesen, daß Groen van Prinsterer (dessen zum sehr erheblichen Teil religiös motivierte politische Sonderstellung gegenüber dem preußischen Konservatismus namentlich in den Korrespondenzen und Auseinandersetzungen mit dem Stahlschen Kreise, der ihm nahe stand und von ihm beeinflußt wurde, plastisch hervortritt)48 Der niederländische Politiker und Anführer der Antirevolutionären Guillaume Groen van Prinsterer, der in seiner Partei „Evangelium“ und nationalstaatliches Interesse zu verbinden suchte, ein vom réveil, der niederländischen Erweckung, beeinflußter Calvinist, pflegte eine Korrespondenz und einen Gedankenaustausch mit den Gründern der konservativen Partei in Preußen, dem Rechtsphilosophen Friedrich Julius Stahl und den Brüdern Leopold und Ernst Ludwig v. Gerlach sowie mit Moritz August v. Bethmann Hollweg. Mit ihnen verband ihn die Vorstellung von einem christlichen Staat; nach 1866 Auseinandersetzung mit denselben. Vgl. Veen, S. D. van, Art. Groen van Prinsterer, in: RE3, Band 7, 1899, S. 174–180. ganz ebenso wie ich die Kombination von starkem Verdienst mit begrenzten Ausgaben als ein Spezifikum der hollän[A 567]dischen ökonomischen Entwicklung erwähnt.49 Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 590–595 (mit Hinweis auf Groen van Prinsterer). Rachfahl, der die Stelle nicht kennt (er mag sie zur Vertiefung seiner Lektüre nur suchen!), bezweifelt, daß ich die Arbeiten dieses Gelehrten gelesen habe.50 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 650, Anm. 29. Bei jedem anderen Schriftsteller von minder leichtem Geblüt müßte ich dies wohl eine „Unverschämtheit“ nennen. Bei Rachfahl, der, auf Grund seiner eigenen Gepflogenheiten, dabei natürlich gar nichts oder doch sehr wenig findet, liegt mir dies selbstverständlich fern. (Wenn Busken-Huet gelegentlich von Erasmus als einem Vater der holländischen Kultur redet,51 „Trotz der reformierten Staatskirche und des Heidelberger Katechismus läßt sich die allgemeine Denkweise der Holländer mit den Worten bezeichnen: La Hollande est de la religion d’Erasme“. Busken-Huet, Rembrandts’ Heimath I, S. 120. so dürfte das für die Dinge, von denen er dort spricht[,] und in dem Sinne, in welchem es geschieht, schon seinen guten Sinn haben. Für die religiöse Eigenart Hollands hat Rachfahl seinerseits jenes Wort äußerst bedenklich „verabsolutiert“.52 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinimus, oben, S. 648, Anm. 27, mit Zitat der Stelle Busken-Huets. Aber Erasmus nun gar als Vater ökonomischer Eigentümlichkeiten Hollands? Groen van Prinsterer und auch Busken-Huet würden, wie ich es tat, gelacht haben. – Wer immer sich mit der holländischen Geschichte des 16. und, vor allem, 17. Jahrhunderts unvoreingenommen befaßt, weiß, daß angesichts desjenigen weiteren „Kultur“-Begriffs, der hier in Frage steht, es töricht wäre, so von „der“ holländischen Kultur zu sprechen, wie Rachfahl es Busken-Huet nachspricht,53 Vermeintlich gemeint: ebd., mit Bezug auf die „ökonomische[n]“ Eigentümlichkeiten Hollands“. daß vielmehr innerhalb der holländischen Geschichte und zwar im wesentlichen bis heute, die schroffsten Gegensätze nebeneinander standen und sich auslebten.) Daß nun jene von Groen nur als Tatsache erwähnte Eigenart der Holländer sehr wesentlich mit der scharfen Zucht ihrer religiösen Gemeinschaften zusammen[689]hing, sieht jeder, der sich in die internen Auseinandersetzungen innerhalb dieser Gemeinschaften überhaupt irgendwie vertieft. Es sind durchaus typische Probleme der Lebensführung, die in Holland ebenso, wie bei den Hugenotten, in Amerika und bei den kontinentalen Pietisten auftauchen und von all diesen asketischen Gemeinschaften zwar im einzelnen gelegentlich sehr charakteristisch nach dem Kulturmilieu differenziert, dennoch aber im Grundton streng einheitlich erledigt werden. Rachfahl, der sich durch seine gesamte Polemik hin die Attitüde des Kenners gibt, möchte ich über seinen geistigen Besitz auf diesem Gebiet lieber keinen Offenbarungseid zuschieben. Jeder, der darüber gearbeitet hat, sieht: er kennt nichts davon, kennt größtenteils nicht einmal den literarischen Charakter auch nur des von mir in dem „kritisierten“ Aufsatz zitierten kleinen Bruchteils der gedruckten Literatur darüber.54[689] Die von Weber hauptsächlich herangezogenen Werke, etwa Baxter, Christian Directory I–IV, Barclay, Apology, und Spener, Theologische Bedenken I–IV, werden von Rachfahl nicht zitiert (Rachfahls gelegentliche Bezüge auf Baxter verdanken sich der Lektüre von Weber, Protestantische Ethik II, vgl. Rachfahl, Kalvinismus, S. 529–531, 543 und S. 553–555; Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 649). Vielleicht holt er wenigstens dies nach. Freilich: um einen wirklichen Überblick zu erhalten, dazu würde immerhin mehr gehören als das, was er hier bis jetzt geleistet hat: ein kleiner Spaziergang durch fremde Arbeiten mit dem Stöckchen des Fachschulmeisters in der Hand, um vielleicht den unberufenen Nichthistorikern irgendwo auf die Finger klopfen zu können. – Ich meinerseits gebe die Hoffnung, gerade diese Partien meiner Arbeit fortführen (und dabei sehr viel weiter vertiefen) zu können,55 Zu der geplanten Fortsetzung der Aufsätze zur „Protestantische Ethik“ vgl. die Einleitung, oben, S. 66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S. 90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 464 f. mit Anm. 10. nicht auf, was freilich einen erneuten Aufenthalt in Amerika voraussetzt. Denn sowohl für die Quäker-, wie für die Baptistengeschichte [A 568]sind manche Dinge nur dort zu haben.56 Ähnlich hatte sich Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 246, Fn. 3, geäußert. Seine Erfahrungen mit den Bibliotheken in Nordamerika stammen von 1904, niederländische Bibliotheken hatte er im Sommer 1907 aufgesucht. Auf dem europäischen Kontinent, auch in den holländischen Bibliotheken, fehlt manches, was in den alten Sekten-Collegesr[689]A: Sekten-Kolleges dort und sonst nur (ich bin nicht ganz sicher, ob vollständig) in England zu haben ist. –
In Holland stand auf der anderen Seite: jenen pietistischen Kreisen und asketischen Sekten gegenüber, zweifellos viel Protzentum und Gefräßigkeit von Parvenus, dann naive derbe Lebensfreude jener Marschenbauern, welche die Kapitalverwertung der Städte geschaffen hatte und denen es im ganzen, asketisch bewertet, „zu gut“ ging[,] und ebenso eines teilweise ähnlich gestimmten Kleinbürgertums; etwas künstlerische Bohême und endlich die feine ästhetische, literarische, wissenschaftliche Geschmacks- und Urteilsrichtung der humanistisch durchbildeten Schichten. Diese Gegensätze lagen übrigens schon, in etwas anderer Wendung, in der Zusammensetzung der südniederländischen Emigration nach dem Norden beschlossen: sie umfaßte bekanntlich, neben politischen Flüchtlingen ohne religiöses Pathos, einerseits zahlreiche Calvinisten, [690]andererseits z. B. auch solche Künstler, die der Inkorrektheit ihrer persönlichen oder auch künstlerischen Ansichten wegen von der Kirche Verfolgung oder doch Zurücksetzung zu gewärtigen hatten, – deren typischer Lebensstil aber sich derartig gestaltete, daß man, und zwar ernstlich, behaupten konnte: die Liederlichkeit wäre von ihnen „aus Prinzip“ methodisch gepflegt, – als eine Art Berufsethik mit, gegenüber der innerweltlichen Askese, negativem Vorzeichen also. Schon diese Behauptung ist übrigens charakteristisch – für die, von welchen sie ausging.61 Worauf Weber hier anspielt, ließ sich nicht klären. Houbraken, selber Maler und Kunstschriftsteller (1660–1719), fällt etwa das Urteil über den in Antwerpen geborenen und in Harlem wirkenden Frans Hals: „Man sagt, dass sich van Dyk [gemeint ist Anthonis van Dyck] viel Mühe gab, ihn zu bewegen, mit nach England zu kommen, aber er zeigte keine Lust dazu, weil er hier schon zu sehr durch die liederliche Lebensweise gebunden war.“ Arnold Houbraken’s grosse Schouburgh der niederländischen Maler und Malerinnen, übers. von Alfred Wurzbach, 1. Band. – Wien: Wilhelm Braumüller 1880, S. 47.
dem Entstehen [A 567]des kapitalistischen Geistes (in jenem [688]generellen, unhistorischen Sinne Rachfahls) durchaus nichts in den [689]Weg gelegt. Die, sei es offiziell tolerierte, sei es nichttolerierte, wenn nur faktisch nicht ausgerottete Existenz der Puri[A 568]taner dagegen hat, ganz ebenso wie ihre Herrschaft, mochte diese ihrerseits [690]intolerant sein oder tolerant, gerade jene „Nuance“ (mit R[achfahl] zu reden)57[690] Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 652. des kapitalistischen Geistes allgemein gefördert, auf die ich das entscheidende Gewicht lege. Gerade diese „Nuance“, nicht aber die Existenz jener Rachfahlschen großen Finanzleute,58 Zuletzt Rachfahl, ebd., oben, S. 654. hat umgekehrt der intolerante katholische Staat, z. B. Frankreich, in der Aufhebung des Ediktes von Nantes, in ihrer Entwicklung geknickt, wie dies die Zeitgenossen überhaupt, und speziell bekanntlich Colbert,59 Dazu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 137, Anm. 45. am besten gewußt haben. Mit einem Wort: Der Protestantismus und speziell der asketische, hat, gleichviel ob toleriert, tolerant oder intolerant, dem kapitalistischen Geist sowohl in seiner generellen (Rachfahlschen) wie in seiner (in meinem Sinn) spezifischen Ausprägung, Wurzel schlagen helfen. Der tolerierte oder herrschende Katholizismus dagegen hat ihn nirgends – oder bitte: wo? und wie? – befördert. Die Toleranz tat dies, nach Rachfahls jetzigem eigenem Zugeständnis, nur da, wo sie, als solche, dem „Wurzelschlagen“ kapitalistischen Geistes zugute kam.60 Anspielung auf Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 644. Das aber konnte doch nur da der Fall sein, wo Bevölkerungsgruppen eben aus religiösen, von einer etwaigen Intoleranz betroffenen Gründen, Träger jenes (spezifischen) Geistes waren, – und nach R[achfahl]s eigenen Ausführungen ist dies ja bei jenen großen Finanzleuten, die es doch in intoleranten ebenso wie in toleranten Zeitaltern und Staaten gegeben hat, eben nicht der Fall gewesen. Um die Kette zu schließen: – der intolerante Katholizis[691]mus [A 569]wurde für den kapitalistischen „Geist“ tödlich in der Neuzeit nur da, wo er 1. die häretischen Träger bürgerlichen Geschäftsgeistes ausrottete, – und, um es zu wiederholen: es ist eben kein Zufall, wie schon die Zeitgenossen (Petty)62[691] Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 586, bezieht sich hierzu bereits auf Petty, Political Arithmetick, p. 26. wußten, daß asketische Häretiker oder doch der Häresie Verdächtige (übrigens schon im Mittelalter: siehe die von mir schon zitierten Humiliaten63 Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 348, Fn. 123; auch das Glossar, unten, S. 831. und ähnliche – erst recht aber in der Reformations- und Gegenreformationszeit) κατ' ἐξοχήν dessen Träger waren, ferner 2. wo er durch Forcierung von Klostergründungen die (auch in den Klöstern, wie mein Aufsatz hervorhob,64 Weber, ebd., oben, S. 415. durch die Lebensmethodik der Askese bedingte) Akkumulation von erworbenem Besitz aus dem privaten Erwerbsleben ausschaltete und in einen, privatkapitalistisch angesehen, „toten Kanal“ leitete und wo er, was uns hier speziell angeht, damit zugleich jenen Menschen, welche ihrer, durch Anlage und Erziehung bedingten, rational-asketischen Eigenart nach aus der „gottgewollten“ Arbeit einen „Beruf“ zu machen spezifisch prädisponiert gewesen wären, aus der Welt sozusagen heraus sog und in die Zellen des Klosters versetzte. Also: was die Toleranz, rein als solche, d. h. unabhängig von der Frage, welcher Art von Religiosität sie zugute kam, tatsächlich für die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft bedeuten konnte und mehrfach bedeutet hat, war genau das, was ich seinerzeit in meinen Aufsätzen schon gesagt hatte65 Vgl. Weber, ebd., oben, S. 311–314, Fn. 78. und was Rachfahl mir nachzusprechen versuchte, ohne es auch nur jetzt korrekt fertig zu bringen,66 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 643 f., zuvor bereits Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 560–572, über die Toleranz in Holland, S. 560 f., und in England, S.561. nämlich: 1. sie erhielt unter Umständen dem Lande Einwohner und – eventuell – Vermögensbestände, welche die Intoleranz verscheucht hätte11)[691][A 569] Derartige Schmälerungen des Vermögens- und Bevölkerungsbestandes sind natürlich des öfteren Folge der Intoleranz gewesen, sowohl katholischer wie protestanti[692]scher (z. B. auch in Genf, wie ich seinerzeit hervorhob)70 In der zweiten Antikritik gegen Fischer: Weber, Bemerkungen, oben, S. 501, Fn. 1. Aber: Vermögen ist nicht gleich: Erwerbskapital, und Bevölkerung nicht gleich: nach ihrer psychischen Disposition für die kapitalistische Verwertung qualifizierte Bevölkerung. Das Entscheidende blieb der „Geist“, der die tolerierte oder nicht tolerierte Bevölkerung und damit das Wirtschaftsleben beherrschte. , – 2. dem kapitalistischen „Geist“ (gleichviel wie man ihn definiert) ist sie da, aber auch natürlich nur da, zugute gekommen, wo sie es war, die [692]spezifische Träger desselben dem Lande erhielt: Leute also, die als solche, d. h., wie schon gesagt:67 [692] Siehe oben, S. 690. weil dieser „Geist“ mit der Eigenart ihrer Religiosität zusammenhing, von der Intoleranz nicht geduldet worden wären. Dies eben war mit den Repräsentanten des asketischen Protestantismus der Fall. – 3. Unsinn ist es dagegen zu behaupten, die religiöse Intoleranz habe, als solche, irgend einem nicht derartig religiös verankerten „Geist des Kapitalismus“ den Boden abgraben können, wie R[achfahl] behaupten muß,68 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, S. 643 f. um „Recht zu behalten“. Wo hat sie das getan? Wie hätte sie es eigentlich machen sollen? Und warum hätte sie es versuchen sollen? Sie hat ja die Florentiner und alle späteren Großkapitalisten jederzeit ganz ruhig ihre Geschäfte machen lassen, wenn sie der Kirche die verlangte Obödienz bewiesen. Ja, die Kirche hat mit ihnen Geschäfte gemacht, an denen sie ganz kolossal viel Geld verdienten.69 Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 172 f. – Damit wohl genug hiervon. –

[A 570]Da ich Rachfahl, nach Möglichkeit[,] auch keine irgend wesentlichen Einzelheiten seiner durch und durch vom „Geist“ einer peinlich wirkenden Nichtaufrichtigkeit getragenen Polemik durchgehen zu lassen beabsichtige (denn es ist, so unwahrscheinlich ein solches Maß von Leichtfertigkeit erscheinen mag, tatsächlich nicht eine von ihnen, die nicht auf Verzerrung, oberflächlicher Lektüre – oder Üblerem – beruhte), – so verweise ich eine Anzahl solcher Einzelpunkte unter den Strich11a)[A 570] Dahin gehört 1. das „gut lutherische Hamburg“. Rachfahl wendet gegen das, was ich, unter Berufung auf eine Mitteilung Adalbert Wahls, darüber gesagt hatte,71 Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 587 f. ein: Kaufmännische Vermögen seien labiler als industrielle (daher der Unterschied zwischen Basel und Hamburg).72 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 644 f., Anm. 22. Die generelle Richtigkeit dieser These einmal vorausgesetzt (die ihm ein „geschätzter auswärtiger Kollege“ mitgeteilt hat, vermutlich derselbe auch von mir sehr hoch geachtete Historiker, der auch mir diese Bemerkung mach[693]te),73 [693] Anspielung auf den Historiker Adalbert Wahl, vgl. in derselben Fn., oben, S. 692. so wird dadurch natürlich die Beweiskraft des Umstandes nur noch größer, um dessentwillen ich den Fall überhaupt zitierte: daß nämlich das anscheinend einzige große kaufmännische Vermögen, welches seit dem 17. Jahrhundert in derselben Familie als Kapital arbeitet und also ebenso stabil geblieben ist wie die Baseler industriellen Vermögen, der reformierten Konfession zugehört hat. Denn darauf kommt es ja für die Wirkung konfessioneller Unterschiede gerade an. Übrigens, der Sicherheit halber, nochmals: ich kann diese Einzeltatsache jetzt persönlich in ihren ursächlichen Zusammenhängen nicht im einzelnen nachprüfen, und sie kann selbstverständlich zahlreichen „Zufällen“ zuzurechnen sein, – nur daß sich eben auch die „Zufälle“ doch recht stark häufen, von den großen, von mir angeführten Entwicklungszusammenhängen zwischen Kapitalismus und Protestantismus ganzer Länder ganz abgesehen. Ich habe sie nur zitiert, weil mir die von mir selbst als ganz selbstverständlich bezeichnete Tatsache, daß es zu jener Zeit auch Orte mit kapitalistischer Entwicklung und ohne asketischen Protestantismus gab, trotzdem als „Einwand“ entgegengehalten wurde.74 Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 555 f.
2. Petty – den Rachfahl zuerst zitiert hatte,75 Rachfahl, ebd., oben, S. 558 f., zitiert Petty, Political Arithmetick, p. 26. natürlich ganz unvollständig, d. h. nur soweit es ihm in seine „Kritik“ paßte – soll nach ihm bei den von mir zitierten Bemerkungen76 Gemeint ist: Petty, Political Arithmetick, p. 23 f., zitiert von Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 586 und 595 f. an Kapitalisten „nicht gedacht“ haben, obwohl doch seine ganzen Auseinandersetzungen von der Tatsache ausgehen,77 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 648–650, hier S. 649. daß das Geschäft in allen katholischen Ländern wesentlich in ketzerischen Händen sei, und obwohl spezieller Gegenstand der Untersuchung bei ihm (wie in so vielen Schriften der damaligen Zeit) die Frage ist, warum dies so sei und insbesondere woher eigentlich die internationale ökonomische Machtstellung Hollands stamme: seine „kapitalistische“ Blüte, die ja der Merkantilismus an dem Maße des Geldzustroms in die einzelnen Länder messen wollte. Und das Paradoxe seiner (Pettys) Erklärung liegt an genau dem gleichen Punkte, wo ich es, ohne damals diese Stelle beachtet zu haben,78 Weber hatte Petty, Political Arithmetick, bei der Abfassung seiner Protestantismus-Aufsätze nicht herangezogen. Vgl. dazu Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 589 mit Fn. 13. als Problem fand und zu erklären suchte: daß nämlich die breiten Schichten des aufsteigenden bürgerlichen Mittelstandes, obwohl und gerade weil sie Feinde des in sündhaftem Ge[A 571]nuß verzehrten Reichtums und seiner Besitzer waren (siehe die Stelle aus Petty bei mir XXX, 188)79 Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 596, mit Zitat: Petty, Political Arithmetick, p. 23 f. und mit diesen deshalb keine religiöse Gemeinschaft hielten, aus der Art ihrer eigenen, religiös orientierten Berufsethik heraus (siehe daselbst),80 Weber, ebd. Träger des „Geistes“ jenes nicht mehr wie im Mittelalter auf ethischer Laxheit ruhenden modernen Früh-Kapitalismus wurden, von dem ich gehandelt habe. Daß Petty die holländischen Freiheitskämpfer im Auge hatte, was mir R[achfahl] einwendet,81 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 649. habe ich, wie immer, selbst (S. 184)82 Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 588. gesagt; daß er sie [694]nicht als Historiker, sondern mit den Augen seiner Zeit (des 17. Jahrhunderts) interpretierte (was R[achfahl] Anlaß gibt, jetzt die Bedeutung der Äußerungen dieses von ihm selbst herangezogenen Schriftstellers zur Abwechslung wieder einmal zu bezweifeln),83[694] Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 649. zeigt ja gerade, wie damals, also: als nach Rachfahls eigner These Holland schon nicht mehr von jenen religiösen Motiven beherrscht war, dennoch die Dinge sich für einen geschäftlich gut unterrichteten Mann ausnahmen. Daß mir das „Mißgeschick“ passiert sei, die holländischen Freiheitskämpfer mit jenen englischen Dissenters zu identifizieren,84 Rachfahl, ebd., mit Bezug auf Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 596. welche Petty in der Nähe hatte, wird wohl selbst von Rachfahls Lesern nicht jeder ihm glauben. Daß aber, wie R[achfahl] behauptet, die holländische Ketzerei zur Zeit des Bruchs mit Spanien mit den späteren englischen Dissenters „nichts zu tun“ habe,85 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 649. kann nur jemand behaupten, der nichts von diesen Dingen weiß. Der puritanische Dissent in England ist, wie nicht nur die religiösen Prozesse schon unter Elisabeth, sondern überhaupt alle Quellen der Zeit beweisen, kontinuierlich aufs allerstärkste von Holland aus und (wie Holland selbst) durch südniederländische Flüchtlinge gespeist und geistig gestützt. In letzter Linie auf holländische Einflüsse rückführbar ist nicht nur die spezifisch asketische Wendung des Calvinismus, sondern ebenso die Entwicklung des für das Independententum so wichtigen Baptismus86 John Smyth, der zwischen 1604 und 1606 mit Separatisten aus Southwark in eine Amsterdamer Exulantengemeinde ausgewandert war, kam dort mit Mennoniten in Kontakt und gründete daraufhin mit seinen Anhängern eine eigene Gemeinde. Thomas Helwys, ein Mitstreiter von Smyth, kehrte 1611 nach England zurück und gründete in London die erste baptistische Gemeinde (später als General oder Arminian Baptists bezeichnet), der bald weitere folgten. Vgl. Barclay, Inner Life, p. 68–73 und p. 76 f. Aus diesen Gemeinden gingen 1633 die calvinistischen Baptisten (später als Particular Baptists bezeichnet) hervor, die während des Bürgerkriegs und Commonwealths einen einflußreichen Teil der „Independents“ gebildet haben sollen. – Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 346, Anm. 87, und S. 347, Anm. 3. (dessen Literatur von jeher für sich den Ruhm, Träger spezifisch moderner politischer und wirtschaftlicher Grundsätze gewesen zu sein, in Anspruch genommen hat und noch nimmt), des Mennonitentums (dessen „merkantilistische“ Verwertbarkeit selbst preußische Soldatenkönige veranlaßte, seine Anhänger unter Dispens vom Kriegsdienst anzusiedeln),87 Unter Friedrich Wilhelm I. (reg. 1713–1740), vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 138 mit Anm. 48. ferner, indirekt, auch der letzten Renaissance des Täufertums: des aus baptistischen Prädispositionen englischer Independentenkreise hervorgegangenen Quäkertums88 Die von Thomas Helwys in England gegründeten baptistischen Gemeinden standen anfangs den holländischen Mennoniten sehr nahe (vgl. oben, Anm. 86). So wurde auch George Fox, der Gründer der Society of Friends („Quäker“), von mennonitischem Gedankengut beeinflußt (Barclay, Inner Life, p. 116 f.). „So closely do these views correspond with those of George Fox, that we are compelled to view him as the unconscious exponent of the doctrine, practice, and discipline of the ancient and stricter party of the Dutch Mennonites, at a period when, under the pressure of the times, [695]some deviation took place among the General Baptists from their original principles.“ Barclay, Inner Life, p. 77. (dessen Tradition ebenfalls seit dem 17. Jahrhundert konstant für sich den Ruhm, Trä[695]ger moderner Geschäftsethik zu sein und deshalb „von Gott mit Gütern gesegnet zu werden“, in Anspruch nimmt),90 Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 390 mit Fn. 42. und endlich: des Pietismus.91 Zu holländischen Einflüssen auf den deutschen (lutherischen) Pietismus vgl. Weber, ebd., S. 308–311. Wie in Neuengland und Pennsylvanien, so hat sich auch in den Niederlanden das Grundschema der praktischen Berufsethik zunächst auf relativ sehr wenig kapitalistischem Boden entwickeln müssen (Ostfriesland),92 Es ist unklar, ob Weber die zu den Niederlanden gehörende Provinz Friesland (vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 481, Fn. 3 mit Anm. 23) oder die ehemalige Grafschaft Ostfriesland meint. Sowohl im niederländischen wie im deutschen Gebiet der Friesen – in beiden lebte man vorwiegend von Landwirtschaft und Fischerei – konnten sich jedenfalls Mennoniten halten. Ostfriesland galt im 16. Jahrhundert sogar als ihr sicherster Aufenthaltsort (Gemeinden in Emden, Leer, Norden u. a.). Letzteres nach: Cramer, Art. Mennoniten, S. 607. ist also nicht etwa eine Folge kapitalistischer Entwicklung; dann aber wurden Amsterdam und Leyden die Brutstätten, von denen aus z. B. spezifisch sektenmäßige Prinzipien des Gemeindelebens, nachdem sie dort ihre Vollendung erlangt hatten, ihre Fäden nach Eng[A 572]land spannen;93 Zunächst bestand in Amsterdam eine englische Exulantengemeinde (in Webers Literatur: „Ancient Church“, in den 1590er Jahren gegründet von Henry Ainsworth und Francis Johnson), von der sich Ende 1608 oder 1609 eine – bald ebenso große – Leidener Gemeinde (unter John Robinson) abspaltete. Die Exulanten standen mit ihrer Heimat in Verbindung. „The influence which Ainsworth and Johnson’s church, and the Church of Leyden exerted upon the course of religious opinion in England was unquestionably large. The Churches of Amsterdam and Leyden not only calmly thought out, but carried out for themselves in exile, all that is comprehended in the principies of the Congregational or Independent Churches of our times.“ Barclay, Inner Life, p. 62. und daß auch der Anstoß zur Fahrt der Pilgerväter von Holland ausging,94 Der Impuls zum Aufbruch in die Neue Welt ging von der seit 1609 in Leiden ansässigen englischen Exulantengemeinde (vgl. die vorherige Anm.) aus. Nach Neal, Puritans II, p. 110, trieb sie die Sorge um die religiöse und gemeindliche Fortexistenz, da die Älteren starben und andere in holländische Familien einheirateten, nach Barclay, Inner Life, p. 121, die Suche nach „freedom of religion“. Ein Teil der Leidener Gemeinde segelte in der Mayflower nach Cape Cod, wo die Pilgrim Fathers im November 1620 an Land gingen. könnte schließlich dieser Historiker ebenfalls wissen, wenn man von ihm auch nicht verlangen wird, daß er über die Positionen orientiert sei, welche das schottische und englisch-quäkerische Element, der englische Dissent überhaupt, bis an die Schwelle der Gegenwart heran in England eingenommen hat.
3. Daß nach R[achfahl] Calvin (Sp. 730)1 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 641. den Lebensgenuß „in sinnlicher Hinsicht“ geboten hat (eine immerhin recht schiefe Interpretation der von mir zitierten Äußerung,2 Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 399, Fn. 52. welcher übrigens noch einige andere zur Seite zu stellen wären), hindert ihn [696]nicht, an anderer Stelle zu behaupten,5 Nach Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 537, war es schon Calvin, der zur „Durchdringung der Arbeit mit dem Geiste christlicher Sittlichkeit“ verhalf und dessen praktische Wirksamkeit in Genf bereits einen „,aszetische[n] Zug‘“ im Kampf gegen die Sittenverderbnis kannte. daß schon Calvin selbst dieselben Prinzipien vertreten habe, die dem asketisch gewendeten Calvinismus charakteristisch und für die Entwicklung des kapitalistischen Geistes wichtig sind.
und bringe zum Schluß dieser [693]polemischen [A 571]Partie des Aufsatzes nur noch einige besonders [694]charaktervolle Beispiele dessen, was er sich gestatten zu dürfen glaubt.

[695][A 572]In langen, ebenso wortklauberischen wie (m. E.) trivialen Ausführungen (Sp. 777 ff.)89 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 652 ff. versucht Rachfahl seinem Publikum – trotz [696]seiner ausdrücklichen Ableugnung dieser Absicht, die er, ebenso wie seine eigenen Zitate aus meinem Aufsatz, schon in der nächsten Spalte wieder vergißt – die Meinung beizubringen: daß ich die Bedeutung derjenigen Züge des kapitalistischen Geistes, welche zu allen Zeiten den Trägern des Kapitalismus eigen gewesen sind, entweder geleugnet oder doch von kapitalistischem Geist nur da gesprochen habe, wo die von mir als bei der Geburt des modernen kapitalistischen Geistes beteiligt bezeichneten asketischen Züge vorhanden seien12) Vergl. Sp. 776 Zeile 10 ff.:6 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 651, Z. 39 ff. man muß ja bei einem Wortrabulisten wie Rachfahl nach Art von Handschriften zitieren, sonst kann er – siehe oben7 Siehe oben, Z. 2 f. – seine eigenen Behauptungen nicht mehr finden. Vergl. ferner Sp. 777 Zeile 22,8 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 652, Z. 15–17 (Auslassung von Weber nach „Redefigur“). wo man darüber belehrt wird, meine Ansicht sei eine bloße „Redefigur, die man schulgemäß (sic) pars pro toto nennt“. Rachfahl seinerseits hat dagegen vergessen, daß er selbst bezweifelt hatte (III Sp. 1322),9 Als rhetorische Frage bei Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 553: „[…] liegt der ,kapitalistische Geist‘, in welchem Sinne man ihn auch immer fassen möge, wirklich derart im Wesen der kalvinistischen Berufsethik, daß er aus ihr heraus geboren werden konnte?“ (Rachfahl korrigierte „kapitalistische Ethik“ in „[…] Geist“, vgl. die Editorische Vorbemerkung zu Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 521). daß die „kapitalistische Ethik, in welchem Sinne man sie auch fassen mag, im Sinne calvinistischer Berufsethik[] lag.. Daß dies nicht richtig ist, daß ich in meinen Aufsätzen genau so meine Aufgabe begrenzt hatte, wie dies in meiner „Antikritik“ angegeben ist,3 [696] Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, bes. S. 602 f. habe ich Rachfahl schon in dieser letzteren nachgewiesen. R[achfahl]s Publikum aber bekommt diese nun einmal jetzt selbst für ihn nicht mehr abzustreitende Tatsache in der Form zu hören (Sp. 779):4 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 653, dort die folgenden Zitate. Ich gäbe jetzt – offenbar: infolge der R[achfahl]schen Kritik! – zu, daß die von mir analysierte Komponente „nicht entfernt ausreicht, das kapitalistische System (sic) der Neuzeit zu erklären“. Diese Leistung, angesichts der schon [697]oben wiedergegebenen Stellen aus meinen Aufsätzen an sich schon ein starkes Stück, wird aber noch überboten durch den gleich folgenden Satz: ich hätte „zugestanden“: „der kapitalistische Geist, mit dem ich mich beschäftige, beziehe sich gar nicht auf die großkapitalistische Entwicklung“. Was ich wirklich gesagt habe, ist Lesern meiner Aufsätze, auf die ja freilich seine „Kritik“ und „Replik“ nicht berechnet sind, wohl erinnerlich: Gerade eine durch spezifisch „asketische“ Lebensführung bedingte Anhäufung von Reichtum tendiert, – wie die immer wieder erforderlich werdenden „Reformationen“ der Klöster im Mittelalter [A 573](auf die ich als Parallele verwiesen hatte)10[697] Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 415. zeigen, und wie auch die Puritaner, Quäker, Baptisten, Mennoniten, Pietisten recht wohl aus eigenen[,] nur zu verständlichen Erfahrungen wußten, – immer wieder dahin, die Macht der Askese zu brechen: Wenn nicht der aufgestiegene selfmademana[697]A: selfmade man selbst, so seine Söhne oder Enkel widerstehen eben von sich aus der „Versuchung“, der „Welt“ (in diesem Fall: dem genußfrohen Gebrauch des erworbenen Gutes) zu leben, an sich noch seltener[,] wie reichgewordene Klöster des Mittelalters dies taten.11 Vgl. Weber, ebd. Es ist nun eben eine der Leistungen des asketischen Protestantismus, daß er dieser Tendenz entgegenwirkt, daß er insbesondere den von ihm als „Kreaturvergötterung“ abgelehnten Tendenzen, den „splendor familiae“ durch Immobilisierung des Besitzes als rentenbringenden Vermögens zu sichern, wie der „seigneurialen“ Freude am „high life“, dem schönheitstrunkenen Rausch im ästhetischen Genießen und „Sichausleben“[,] wie dem protzenhaften Bedürfnis nach ostensiblem Prunk gleichmäßig widerstrebt.12 Vgl. Weber, ebd., oben, S. 389 mit Fn. 40, S. 408 f. Weber greift dabei auf ebd. verwendete Begriffe zurück: S. 408, Fn. 65 (splendor familiae), S. 399 (vgl. zum Sich-Ausleben und zur „seigneurialen“ Freude). Und diese, vom asketischen Protestantismus perhorreszierten Tendenzen sind es ja doch, welche ihrerseits die Gefahr „kapitalistischer Erschlaffung“: die Neigung zur Verwendung des Vermögens für andere Zwecke denn als „Erwerbskapital“, immer wieder heraufbeschwören, welche also dem kapitalistischen „Geist“ (in jedem Sinn, den man mit [698]dem Wort verbinden kann) entgegenwirken; denn jeder einzelne dieser Züge ist, wo immer er sich bei großen Unternehmern findet, eine Hemmung seiner vollen Entfaltung und tut der „Kapitalbildung“ Abbruch. Und zugleich sind gerade diese Züge solche, welche allen Arten von großen Vermögens- oder Einkommensbesitzern: feudalen Rentengrundherren so gut wie Kuponschneidern13[698] Von frz. couper, „(ab)schneiden“. Von einem Couponbogen, der festverzinslichen Wertpapieren, Schuldverschreibungen oder Aktien beigegeben war, wurde zum Termin ein Coupon (Abschnitt) abgeschnitten und zur Auszahlung der Zinsen oder Dividenden vorgelegt. – Despektierlich für Aktionäre oder Rentiers gebraucht. und wie hochsalarierten Staats- und Hofbeamten[,] ganz ebenso sich anzuheften pflegen, wie den ganz großen Kapitalisten. Oder vielmehr diesen letzteren, wenn sie überhaupt „Kapitalisten“ im präzisen erwerbswirtschaftlichen Sinn des Wortes bleiben wollen, notwendig weniger als allen andern: – denn ihr Vermögen wird ja eben parallel mit dem Wachsen des (wie man heute in unklarer Terminologie zu sagen pflegt) „unproduktiven“ Verbrauchs seiner kapitalistischen Zeugungskraft beraubt. Auf der anderen Seite: das, was an privatkapitalistisch relevanten Motiven einem solchen Großkapitalisten, der nicht unter der Macht jener von mir analysierten asketischen Lebensmethodik steht, verbleibt, insbesondere also, ganz allgemein gesprochen: das bewußte[,] planvolle Streben nach Erweiterung seiner ökonomischen Leistungssphäre, darnachb[698]A: darnach, also: „etwas in der Welt fertig zu bringen“ mit seinen ökonomischen Machtmitteln, – dieses durch die Natur des unvermeidlichen Mittels innerhalb der Sphäre der Erwerbswirtschaft in seiner Richtung determinierte Streben teilt der von allen religiösen Bestimmungsgründen emanzipierte Lebensstil mit demjenigen, den ich analysiert habe. Nur fehlt ihm das entscheidende Fundament im persönlichen Leben. Denn der seit der Aufklärung übliche Optimismus, wie er später imNaA: in hier Korrektur in MWG digital. „Liberalismus“ gipfelte, war nur ein Surrogat nach der sozial gewendeten Seite: er ersetzt das „in majorem Dei gloriam“.14 Zu dieser Wendung vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 266, Fn. 21 mit Anm. 20. Nicht aber die persönliche Bedeutung der „Bewährung“, welche, rein diesseitig gewendet, vielmehr die Neigung zeigt, ins lediglich „Agonale“ [Α 574]umzuschlagen oder aber unter die ver[699]schiedenen Komponenten trivial-bürgerlicher Selbstzufriedenheit sich einzureihen (s. m[einen] Aufs[atz]).15[699] Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 423, auch 417. Alle jene spezifischen Züge, welche einem von irgend etwas, was man „Geist“ des Kapitalismus nennen kann, wirklich ganz durchtränkten Leben eignen: die kühle und menschlichkeitsfremde „Sachlichkeit“, die „Rechenhaftigkeit“, die rationale Konsequenz, der aller Lebensnaivität entkleidete Ernst der Arbeit und die fachmenschliche Verengung, alle diese Züge, welche den pathetischen antichrematistischen Widerspruch vom künstlerisch orientierten sowohl wie vom ethischen und vor allem vom rein menschlichen Standpunkt aus herausgefordert haben und herausfordern, entbehren eben dann bei ernsten Menschen ihrerseits einer geschlossenen Einheit der ethischen Selbstrechtfertigung, welche dabei vielmehr, – ich habe das ja angedeutet,16 Siehe oben, S. 698. – wenn überhaupt, durch allerhand leicht als solche kenntliche Surrogate ersetzt wird. Dabei kann selbstredend der Kapitalismus recht bequem existieren, aber entweder, wie heute zunehmend, als eine fatalistisch hingenommene Unvermeidlichkeit, oder, wie in der Aufklärungsperiode einschließlich des Liberalismus modernen Stils, legitimiert als irgendwie relativ optimales Mittel, aus der (im Sinn etwa der Leibnizschen Theodicee) relativ besten der Welten das relativ Beste zu machen.17 Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz, Essais de Théodicée (1710), dt. Die Theodicee, übers. und erläutert von J. H. v. Kirchmann (Philosophische Bibliothek, Band 79). – Leipzig: Erich Koschny 1879 (Max Webers Handexemplar in der Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München). – Leibniz’ aufklärerisch-optimistische Schrift enthält das Postulat, daß Gott bei Voraussetzung seiner Vollkommenheit, seiner Allweisheit, Allgüte und Allmacht, unter den unendlich vielen möglichen Welten die beste Welt gewählt hat. Die bestehende Welt ist bei Leibniz zwar unvollkommen; jede andere mögliche Welt wäre aber noch unvollkommener. Vgl. etwa Windelband, Neuere Philosophie I, S. 491–493. Aber er erscheint gerade den ernstesten Menschen nicht leicht mehr als äußerer Ausdruck eines in einer letzten, geschlossenen und angebbaren, Einheit der Persönlichkeit fundamentierten Lebensstils. Und es wäre ein erheblicher Irrtum, zu glauben, daß dieser Umstand für die Stellung des Kapitalismus innerhalb der Gesamtkultur: seine Kulturwirkungen zunächst, ebenso aber: sein eigenes inneres Wesen und schließlich auch: sein Schicksal, gleichgültig bleiben müsse.

[700]Was ich über die nicht von der protestantischen Askese mitbedingten Züge des „kapitalistischen Geistes“ gesagt habe, war also in der Tat nicht solcher Rachfahlscher Unfug, wie: daß gerade die großen Kapitalisten „nicht in die moderne Wirtschaftsgeschichte hineingehören“18[700] Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 659 f. mit Anm. 38 (kein direktes Zitat). und dergleichen, sondern: 1. daß ökonomischen „Übermenschen“ (um der Kürze halber den Ausdruck beizubehalten) die asketischen Züge der kapitalistischen Berufsethik auch in der Reformationszeit weit weniger spezifisch sind, daher an ihnen weit weniger studiert werden können, als (damals) an den aufsteigenden bürgerlichen Mittelklassen.19 Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 596–599. Dies erklärt sich neben den schon erwähnten spezifischen „Versuchungen“,20 Siehe oben, S. 697. welchen gerade sie ausgesetzt sind, natürlich u. a.13)[700][A 574] Ich kann hier im übrigen für die amerikanische Gegenwart z. B. auf Veblens vortreffliches Buch: „Theory of business enterprise“ verweisen, dessen Betrachtungen u. a. gerade die allmähliche Emanzipation des allermodernsten Milliardärtums von der dem neuzeitlichen Kapitalismus bisher charakteristischen bürgerlichen Denkweise: „honesty isc[700]A: ist the best policy“ herausheben.22 Veblen, Business Enterprise, bes. p. 52; zitiert inkl. der „Devise“ von Weber, Protestantische Ethik II, S. 362, Fn. 139. Ich habe in meinen Aufsätzen im Archiv und in dem von Rachfahl ignorierten in der Christlichen Weit die Genesis dieser Devise beleuchtet und komme unten darauf zurück.23 Weber, Protestantische Ethik I und II, oben, S. 123–215 und 242–425, die „Devise“ selbst S. 362, Fn. 139, und S. 421, Fn. 83a; Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 435–462, zum puritanischen Ursprung der „Devise“ bes. S. 439–445 (die „Devise“ ist dort nicht zitiert). Zum Verweis siehe unten, S. 719 f. (auch dort ohne Zitat der „Devise“). einfach daraus, daß Leute, die einmal in dieser Machtstellung sich befinden, mit der Möglichkeit eines sol[A 575]chen politischen und ästhetischen Horizonts, wie sie ihn gewährt, die innere Situation des „Jenseits von Gut und Böse“:21 Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse; bereits Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 362, Fn. 139 mit Anm. 75. die Losgerissenheit von den ethischen und kirchlichen Gewissensbindungen, weit leichter ertragen können, als, nach allen Erfahrungen der Geschichte, das eben damals in den modernen Staatenverbänden mächtig erwachende Bürgertum dies konnte, wenn es [701]innerlich in den „Geist“ des Kapitalismus hineinwachsend[701]A: hineinwachsen, und seinen Lebensstil so gestalten sollte, wie er es erheischt. Ferner habe ich 2. gesagt: die bloße „auri sacra fames“, das Streben nach Geld, ist nicht nur zu allen Zeiten der Geschichte vorhanden gewesen,24[701] Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 153 (mit Anm. 57); auch Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 603 f. es ist auch nicht einmal der „Kapitalistenklasse“ irgendwie eigentümlich, es ist außerhalb ihrer mindestens ebenso verbreitet gewesen und noch heute verbreitet, als innerhalb ihrer, ja der orientalische kleine Krämer, der barcajuoloeA: barcajaolo, Kutscher, Kellner, Portier des heutigen Italien und ebenso anderer Länder (mit Ausschluß vornehmlich gerade der puritanisch beeinflußt gewesenen), ebenso der „notleidende Agrarier“ usw. – sie alle haben es noch weit mehr als der Typus des „Kapitalisten“, dem, wo er dauernd erfolgreich sein soll, immer zum mindesten ein Zug von 1. Hingabe an die „Sache“ und 2. rationaler Beherrschtheit zu eignen pflegt. Die Leistung der „innerweltlichen Askese“ war die Schaffung einheitlicher Grundmotive für die Pflege dieser Qualitäten. Rachfahl behauptet jetzt gegenüber meinem Hinweis auf seine kenntnislose Vergröberung der Probleme, um die es sich hier handelt, mit der ihm eigenen kecken Sicherheit: „die Schwäche der psychologischen Position (sic) des Erwerbstriebs sei ihm sehr wohl bekannt“.25 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 653, Anm. 32 („[…] ist mir sehr wohl bekannt“). Mit Verlaub: er wußte garnichts davon, denn sonst hätte er mir nicht die Stärke eben dieses „Triebes“ (bei andern als den Puritanern) in seiner „Kritik“ in jener breiten und flachen Weise entgegengehalten, die ich zurückwies.26 Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 532–536; dazu Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 606 f. Aber freilich: „er weiß es besser“, trotzdem und – eben deswegen. Er hat sich jetzt aus dem, was ich ihm entgegnet habe und was er, bei leidlich sorgsamer Lektüre, in meinem Aufsatz ausführlich erörtert finden konnte, einiges darüber angeeignet: nicht genug freilich, um nicht noch jetzt an verschiedenen Stellen seiner „Replik“ ganz dieselben Platitüden wiederum vorzutragen. Aber es genügt ihm, um ganz munter, man möchte sagen: „altklug“, [702]davon zu fabulieren: daß die Erhebung dieses „Triebes“ aus dem Gebiet des „Naivtriebhaften“ auf das Niveau des „Rationalen“ keineswegs „lediglich“ das Werk der „reformierten Berufsethik“ (auf die ich mich bekanntlich keineswegs beschränkte!) sei,27[702] Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 653, Anm. 32. – nähere Erläuterung oder Andeutung, wessen Werk denn nun sonst: – „vacat“14)[702][A 575] In welchen seiner Ausführungen ich vollends eine „Auseinandersetzung“ R[achfahl]s mit mir über die Beziehung zwischen irrationalem „Trieb“ und rationalem „Geist“ hätte erblicken können (Sp. 779 Anm.),34 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 653, Anm. 32. ist mir gänzlich dunkel. Ich verweise auf meine Antikritik35 Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 573–619. und empfehle R[achfahl], doch etwas höhere Anforderungen an sich selbst zu stellen. .

Auf ähnlichem Niveau stehen seine hierzu parallel laufenden Erörterungen über das, was ich „asketischen Sparzwang“ genannt habe28 Weber, Protestantische Ethik II, oben S. 412. und dessen ethische Einschärfung die negativ gewendete Ergänzung zu jener Rationalisierung und [A 576]ethischen Verklärung des Gewinnstrebens als Beruf durch die innerweltliche Askese bildet. Rachfahl entdeckt jetzt die erstaunliche Wahrheit, daß zur Akkumulation von Kapital (die übrigens, was ihm offensichtlich keineswegs klar ist, was aber jeder nationalökonomische Anfänger weiß, mit der Aufsammlung von großen „Vermögen“, von der er redet,29 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, etwa S. 645. ganz und gar nicht identisch ist), daß zum Sparen also – der „Geist der Sparsamkeit“30 Rachfahl, ebd., oben, S. 656. gehört. Und da man ja zu allen Zeiten „sparen“ mußte, um Kapital zu akkumulieren, so ist – ganz nach dem Muster des zu allen Zeiten vorhanden gewesenen „Erwerbstriebs“ (der, wie erinnerlich, deshalb einer „Stütze“ durch die von mir analysierte Berufsethik gar nicht bedurfte) – offenbar die innerweltliche Askese auch in dieser ihrer Funktion gar nichts „Neues“.31 Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S. 656 f. Ich will dem Tiefsinn dieser Argumentation nichts hinzufügen. Daß freilich gegenüber dem: „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden“32 Nach Mt 6,19. und also: „Deo placere non potest“33 „[Ein Kaufmann] kann vor Gott keinen Gefallen finden“. Dazu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 172 mit Anm. 14. des [703]mittelalterlichen Katholizismus es die eigentümliche, wenn man will: paradoxe, Leistung der Askese gewesen ist, eben jenen gegen das Sparen gerichteten Bibelsatz zu predigen, gleichzeitig aber durch die Art der von ihr geschaffenen Lebensführung erst recht jene von ihr perhorreszierten „Schätze“ mit noch nie dagewesener Wucht und Kontinuität immer von neuem zu schaffen und vor naiv genußfrohem Verbrauch zu schützen (solange ihr „Geist“ die Oberhand über die „Versuchung“ behielt15)[703][A 576] Rachfahl beschwert sich, daß ich die dem Tone nach hämische und in der Sache kleinliche Art niedriger hängte, mit der er jenes – wohlgemerkt: von mir in einer Fußnote in wenigen Zeilen illustrativ erwähnte – Beispiel eines sehr erfolgreichen Kaufmannes, der gegen gewisse luxuriöse Genüsse (Austern) auch bei ärztlicher Verordnung seine Antipathie beibehielt, weil ihm jener, m. E. für ganze Generationen allerdings sehr charakteristische „asketische“ Zug eignete: daß Genuß und Luxus als solche ein „Unrecht“ gegenüber der berufs- und bestimmungsmäßigen Verwendung des Besitzes (als Kapital) sei, breittrat, um den Anschein zu erwecken, als spiele Derartiges bei mir als „Beweis“ eine entscheidende Rolle.37 Webers Austern-Beispiel (Protestantische Ethik II, oben, S. 407, Fn. 63) wurde von Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 534, aufgegriffen; dazu bereits Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 580, Fn. 6. Ich stelle fest, daß trotz meiner entsprechenden Bemerkungen noch jetzt in seiner Replik dies Beispiel die gleiche Rolle spielt,38 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 659, auch S. 640. ja daß R[achfahl] – obwohl er weiß, daß ich so weitfassend und mit so viel Beispielen, wie es mir eben die Gelegenheit gestattete, die Gesamtattitüde charakterisiert habe, in welche, neben zahlreichen anderen, eben auch jener kleine Zug hineingehört, – sich nicht schämt, nunmehr seinen Lesern den Satz vorzusetzen: „ich (Rachfahl) habe wenigstens nicht damit angefangen, die Modalitäten des Austerngenusses für die Erkenntnis … zu verwerten“.39 Zitat: Rachfahl, ebd., oben, S. 640. Dies ist in der Tat äußerst „effektvoll“.40 Anspielung auf Rachfahls Wendung „effektvolle Polemik“: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 633. ), also: das Sparen und ebenso die Verwendungsweise des Gesparten zu anderen als persönlichen Genußzwecken zu rationalisieren und zu verklären, – dieser einfache, aber wie ich ausgeführt habe,36[703] Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, bes. S. 412–414. grundlegend wichtige Tatbestand ist wahrscheinlich für die etwas „groben Pfoten“, mit welchen diese sogen. „historische Kritik“ hantiert, nicht zu fassen.

Man mag nach alledem ermessen, was man davon zu halten hat, wenn R[achfahl] [A 577]auf der einen Seite versichert, er habe in seiner Kritik „ganz wie ich“f[703]A: ich“, geschieden „zwischen den zu allen Zeiten im [704]Kapitalismus wirksam gewesenen geistigen Triebkräften und dem kapitalistischen Geist im Weberschen Sinn“,41 [704] Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 653: „Ich habe im Gegenteil stets zwischen ,kapitalistischem Geiste‘ im Sinne Webers und ,kapitalistischem Geiste‘ im üblichen Sinne oder schlechthin unterschieden.“ auf der anderen aber sagt: die Züge des kapitalistischen Geistes der Neuzeit seien „dieselben, die sie zu allen Zeiten waren“ (Sp. 786),42 Rachfahl, ebd., oben, S. 657. oder auf der einen Seite: die von mir hervorgehobenen Züge seien nur eine „Nuance“ jenes „Geistes“,43 Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S. 652. die „auch“ (sic) der Neuzeit (welchen Epochen noch?) angehöre, insbesondere sei die „Mitwirkung der Methodik der Lebensführung recht bescheiden“ (Sp. 762),44 Zitat mit kleineren Abweichungen: Rachfahl, ebd., oben, S. 647. ja bei vielen „kapitalistischen Phänomenen“ (sic) sei die Wirkung der von mir analysierten Motive „ausgeschlossen“ (Sp. 782g[704]A: 787:45 Rachfahl, ebd., oben, S. 655. – es wird natürlich in keiner Weise auch nur im entferntesten anzudeuten versucht, bei welchen Phänomenen denn nun das letztere der Fall sein möchte), – auf der anderen Seite: kein Mensch bezweifle ja – und also, heißt das doch, habe ich damit gar nichts Neues gesagt, – das Bestehen einer „inneren Beziehung zwischen Calvinismus (was[,] wie gesagt, wieder zu eng ist) und Kapitalismus“46 Zitat: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 543. und, wie es jetzt heißt: erst recht bezweifle niemand die maßgebende Rolle des Puritanismus für den amerikanischen Lebensstil,47 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 646 f., Anm. 26. – die aber R[achfahl] in seiner „Kritik“ so entschieden wie möglich bezweifelt hatte, soweit das in diesem Zusammenhang Spezifische dieses Lebensstils: die Bedeutung der puritanischen Berufsethik für das Geschäftsleben, in Betracht kam: Er bestreitet ja noch jetzt diese Einwirkung, – womit er freilich wohl allein stehen dürfte, auch ganz abgesehen von meinen speziellen Nachweisen in dem schon mehrfach zitierten, aber von R[achfahl] nach wie vor geflissentlich ignorierten Aufsatz in der „Christlichen Welt“.48 Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 426–462.

Ganz das gleiche gilt natürlich, wenn er, ohne den Schatten einer Begründung, ja selbst einer Erläuterung, einfach wie immer: ins [705]Blaue hinein, seinem Publikum mit der Geste des „Kenners“ versichert: der Kapitalist sei schon ohne die Einwirkung der von mir analysierten Motive „Berufsmensch“ gewesen (Sρ. 786),49 [705] Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 658. keineswegs bestünden in der calvinistischen Ethik Bedenken gegen den Genuß (Sp. 730h[705]A: 710),50 Rachfahl, ebd., oben, S. 641. die „ethische Auffassung des Berufs“ sei „nicht erst Produkt der reformierten (sic) Sittlichkeit“ (Sp. 783),51 Rachfahl, ebd., oben, S. 656. asketische Bedenken gegen den Genuß seien „nicht der neuzeitlichen Kapitalistenklasse“, speziell auch in meinem Sinn, wie ausdrücklich hinzugefügt wird, irgendwie typisch (Sp. 728, 748),52 Rachfahl, ebd., oben, S. 640 (kein direktes Zitat), das folgende Zitat S. 658. „Berufsethik“, „und sogar mit religiöser Färbung“[,] habe schon vor der Reformation bestanden, während ich 1. nachgewiesen habe, daß selbst der Name „Beruf“ erst ein sehr spezifisches Produkt der Bibelübersetzung war und, aus rein religiösen Bedeutungen herstammend, weiterhin der Säkularisation verfallen ist,53 Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 178–190 mit Fußnoten. – 2. auch mehrfach die Unterschiede der thomistischen und ebenso der lutherischen Stellung zu dem, was man seit der Reformation „Beruf“ nannte, gegenüber dem asketischen Protestantismus analysiert habe,54 Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, insbes. S. 379–388. ohne daß R[achfahl] natürlich auch nur den leisesten Anfang eines Versuchs gemacht hätte, daran zu rütteln. Er hat statt dessen die Unbefangenheit, einfach zu versichern: es handle sich bei mir um „eine bloße Behauptung“.55 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 662.

Oder wenn (Sp. 779 und öfter)56 Rachfahl, ebd., oben, S. 653. der Anschein erweckt wird, als sei das, was ich über die spezifische Bedeutung des asketischen Protestantismus des 17. Jahr[A 578]hunderts16)[705][A 578] Bei Rachfahl ist – je nach Bedarf – bald das 16., bald das 18. Jahrhundert der Zeitraum, „auf den es ankommt“.57 Kein wörtliches Zitat bei Rachfahl. Da sowohl die spezifisch asketische Wendung des Calvinismus, wie die Ausgestaltung des bis dahin durch den Münsterschen Aufruhr diskreditierten Täufertums zum Anabaptismus, Generalbaptismus, Partikularbaptismus, wie die Entstehung des Quäkertums und des Pietismus (den Methodismus habe ich [706]selbst als Nachzügler und „revival“ geschildert)60 Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 344 und 415. gerade im 17. Jahrhundert und nur in den diesem unmittelbar benachbarten Jahren liegen, ebenso aber auf der andern Seite auch die erste großzügige und systematische Entfaltung bewußt bürgerlich-kapitalistischer moderner Staatenpolitik und Literatur, so kennzeichnen jene zeitlichen Fixierungen sich selbst als Produkte der sehr begreiflichen Verlegenheit, eine falsche, polemisch eingenommene, Position rechthaberisch à tout prix zu halten. für die eben damals und [706]gerade in den Gebieten desselben aufsteigenden bürgerlichen Mittelklassen gesagt habe, nicht schon ganz ebenso, größtenteils wörtlich, in meinem Aufsatz gesagt,58[706] Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 127 und 164 f., und dass. II, S. 415 u.ö. wobei überdies jetzt diese Bemerkung dahin zu wenden versucht wird, als ob es sich bei „bürgerlichen Mittelklassen“ nach meiner Ansicht um „Flickschuster“ handle17) In Wahrheit entspräche dies letztere speziell doch wohl eher der Ansicht, die Rachfahl selbst in seiner „Kritik“ vertritt, – wenn man überhaupt von „Vertreten einer Ansicht“ in einem Fall, wo es sich schließlich ja lediglich um Klopffechterei um ihrer selbst willen handelt, reden könnte. Nach R[achfahl] ist es (III Sp. 1329)61 Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 558. der Calvinismus („ausgerechnet“ gerade er), welcher unter anderem die Tendenz hat, (neben den „Kapitalisten“) nicht nur den „mittleren und kleineren Kaufleuten und Handwerkern“, sondern speziell auch dem Angestelltenpersonal (sic) und der „Arbeiterschaft“ (sic) zu „dienen“ (sic) – ein Dictum, von dem man sich vergebens fragt, wie selbst eine blind um sich schlagende Gedankenlosigkeit es hat entstehen lassen können. Wie völlig gedankenlos freilich Rachfahl überhaupt, wenn er sich „auf der Mensur stehend“ fühlt,62 Anspielung auf das „Fechterstückchen“, bei Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 643. sich gebahrti[706] Veraltet für: sich gebärdet, möge ein Fall illustrieren, über den er selbst ein derartiges Triumphgeschrei veranstaltet, daß ich ihm (nach so zahlreichen[,] wenig ehrenvollen Blößen, auf die ich hinweisen mußte) es wirklich gern auch einmal gönnen würde, er hätte Recht, – könnte dies auch nur der oberflächlichsten Nachprüfung standhalten. Es sei mir, versichert er sein Publikum, offenbar äußerst „unangenehm“, von ihm darauf „festgenagelt“ zu sein, daß ich bei Erwähnung Neu-Englands – wie er in seiner Kritik behauptet hatte – das Handwerk als Beweis des kapitalistischen Geistes hingestellt hätte.63 Mit Zitaten: Rachfahl, ebd., oben, S. 647. Die Behauptung bei Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 549. Würden sich seine Leser diese „festgenagelte“ Stelle ansehen, so fänden sie dort: „Die Existenz von Eisenhüttenwerksgesellschaften (1643), Tuchweberei für den Markt (1659) und die hohe Blüte des Handwerks in Neu-England in der ersten Generation nach der Gründung der Kolonie sind, rein ökonomisch betrachtet, Anachronismen und stehen zu den Verhältnissen im Süden … in auffallendstem Gegensatze …“.64 Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 412, Fn. 71 (lies: „1639“ statt „1659“). An dieser Be[707]merkung habe ich natürlich kein Wort zu ändern, ebensowenig [A 579]an der Begründung, welche diese, teils kapitalistischen, teils (in einem Kolonialgebiet auf – wie ja Rachfahl bei mir gelesen hat und mir gelegentlich als eigenen Gedanken entgegenhält66 Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S. 647, mit Bezug auf Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 591, Fn. 14 (auch: Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 174). – vielfach noch naturalwirtschaftlicher Entwicklungsstufe) immerhin auffallenden Erscheinungen eines selbständigen kräftigen Kleingewerbes als mit durch den in penetranter Weise religiös durchdrungenen Lebensstil der Einwanderer bedingt hinstellte, – wie dies übrigens vor mir von Amerikanern geschehen war.67 Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 412 mit Fn. 71, nennt Doyle, The English in America III (= The Puritan Colonies II), chapter 1 (p. 1–120). Ganz absehend von der wohl nicht zweifelhaften Antwort auf die Frage: wer und was denn nun hier für den konkreten Fall „festgenagelt“ ist, „nagele“ ich meinerseits nur wiederum ganz generell die Frage „fest“: wes Geistes Kind eine „Kritik“ sein kann, die ihr Geschäft durchweg in nichts besserem als dem (überdies auch noch immer wieder mißglückenden) Versuche sieht, den „kritisierten“ Schriftsteller auf einzelne Worte und Einzelsätze „festzunageln“. Und nichts anderes enthalten Rachfahls „Kritik“ und „Replik“68 Gemeint sind: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 521–572, und Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 625–664. von A bis Z. .59 Zitat: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 645. [707]Ich denke mit der Erwähnung dieser Leistung können wir die Analyse beschließen.

[A 579]Vermerkt sei nur noch, daß R[achfahl] meint: wenn ich einen Aufsatz über den „Geist des Kapitalismus“ schreibe und dabei nur eine spezifische „Nuance“ desselben behandle, so sei das, wie wenn ein Schriftsteller in einer Arbeit über „das Pferd“ erklärte: nur vom „Schimmel“ handeln zu wollen.65[707] Mit Zitaten: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 654. Ich verweise den ebenso geistreichen (wie man sieht) als vergeßlichen (wie man gesehen hat) „Kritiker“ auf die Überschrift meines Aufsatzes, lautend: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Natürlich also doch nicht: die Totalität beider (R[achfahl] hätte mich ja sonst auch anklagen können, daß ich nur vom „Schimmel“ rede, weil ich bezüglich der Ethik z. B. die Sexualethik Luthers oder dergl. nicht behandelt habe), – sondern eben die Relationen zwischen beiden, woraus doch selbstredend folgt, daß nur das, was beiderseits, als causierend, oder causiert, in Betracht kommt, behandelt wird. Um eine Polemik pflegt es nach meiner Erfahrung immer übel zu stehen, wenn der Polemiker, um wenigstens dem Schein nach „Recht“ zu behalten, zu dem Mittel gezwungen ist: sich noch törichter zu stellen, als er (im vorliegenden Fall) ist.c[707]c(von S. 667: I. /Da ich Rachfahls Polemik…)c Petitdruck in A.

[708]II.

Doch, nach so viel Polemik, nun endlich genug. Ich vergesse ja ganz, daß R[achfahl] die große Freundlichkeit hat, mir auch eine gute Lehre zu geben, wie ich es besser hätte machen können. Nämlich (Sp. 780 unten, 781 oben):69 [708] Das folgende Zitat: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 654. ich hätte sagen sollen: „es hat sich unter dem Einfluß reformierter Berufsethik eine bestimmte Abart kapitalistischen Geistes im Lauf der Neuzeit entwickelt; ich will ihren Ursprung, die Grenzen ihrer Expansion feststellen, sowie der Frage der qualitativen Prägung nachgehen, d. h. zu ermitteln trachten, ob der kapitalistische Geist, der das kapitalistische Wirtschaftssystem der Gegenwart geschaffen hat (sic), aus dieser Quelle bestimmte Züge empfangen hat, die für sein Wesen von konstitutiver Bedeutung geworden sind“. – Mit anderen Worten: Ich hätte 1. zunächst eine Voraussetzung machen müssen, die R[achfahl] an anderen Stellen selbst perhorresziert: daß irgend ein „kapitalisti[A 580]scher Geist“ (gleichviel wie definiert) das kapitalistische Wirtschaftssystem allein aus sich geschaffen habe – eine rein spiritualistische Konstruktion, die ich in meinen Aufsätzen ausdrücklich abgelehnt habe.70 Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 215. Ich hätte ferner 2., wenn ich recht verstehe, das, was ich ja unter anderem gerade erst beweisen wollte: daß nämlich die reformierte Berufsethik (lassen wir R[achfahl] diese „pars pro toto“ hier durchgehen) die Bildung einer „Abart des kapitalistischen Geistes“71 „Abart kapitalistischen Geistes“: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 654. (lassen wir auch diesen Ausdruck durchgehen) maßgebend beeinflußt habe, voraussetzen müssen, und dann hätte ich 3. das, was ich in diesem Aufsatz ausgesprochenermaßen und nach seiner ganzen Anlage teils gar nicht, teils noch nicht (nämlich in den bisher allein erschienenen Partien nicht)72 Weber plante schon länger eine Fortsetzung der Aufsätze zur „Protestantischen Ethik“, vgl. die Einleitung, oben, S. 66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S. 90–96, sowie den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 464 f. mit Anm. 10. verfolgen konnte: die Grenzen ihrer Expansion, ermitteln sollen, worauf ich dann endlich 4. die (vergl. Nr. 1) schief gestellte Frage nach der „qualitativen Prägung“ hätte erörtern dürfen. Damit hätte ich 5. mein Problem in einer Weise orientiert, die meinen Absichten nun einmal [709]nicht entsprach: denn nicht die Förderung des Kapitalismus in seiner Expansion war das, was mich zentral interessierte, sondern die Entwickelung des Menschentums, welches durch das Zusammentreffen religiös und ökonomisch bedingter Komponenten geschaffen wurde: das war am Schluß meiner Aufsätze deutlich gesagt.73 [709] Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 420–425. Wie aber schließlich ersichtlich, hätte ich überdies, um dieses Programm, soweit es sinnvoll ist, ausführen zu können, gleich an die Spitze der Erörterung vor allem eine Definition dessen stellen müssen, was alles der komplexe Begriff: „Geist des Kapitalismus“ enthalten kann. Denn ohne dies ist die Feststellung der Existenz einer „Abart“ ja gar nicht möglich. Ich habe aber in meinem Aufsatz gesagt, warum dies nicht geschehen ist und, sollte ich nicht von vornherein die Geschichte vergewaltigen, nicht geschehen konnte.74 Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 141 f. Ein spezifisch historisches Gebilde, wie das, was wir unter jenem Namen, zunächst ganz ungeklärt, vorstellen, kann zu begrifflicher Deutlichkeit eben nur – ich vermisse jeden Versuch einer Widerlegung dieser Ausführungen – durch Synthese seiner einzelnen Komponenten, wie sie die Realität der Geschichte darbietet, erhoben werden. So zwar, daß wir aus der Realität des historisch Gegebenen jene Einzelzüge, die wir dort in vielfach vermittelter, gebrochener, mehr oder minder folgerichtiger und vollständiger Art, mehr oder minder vermischt mit anderen, heterogenen, sich auswirkend finden, in ihrer schärfsten, konsequentesten Ausprägung auslesen, nach ihrer Zusammengehörigkeit kombinieren und so einen „ideal-typischen“ Begriff, ein Gedankengebilde, herstellen, dem sich die faktischen Durchschnittsinhalte des Historischen in sehr verschiedenem Grade annähern. In Wahrheit verwendet ja jeder Historiker, bewußt oder (meist) unbewußt, kontinuierlich Begriffe dieser Art, wo er überhaupt scharfe „Begriffe“ verwendet.75 Dazu Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 618, Fn. 35 mit Anm. 41. Darüber habe ich mich ja, ohne bisher Widerspruch zu erfahren, auch außerhalb jener Aufsätze wiederholt ausgesprochen76 Über die Bildung idealtypischer Begriffe vgl. Weber, Objektivität, S. 64 ff., und die Einleitung, oben, S. 19–22. (ohne übrigens irgendwie mir einzubilden, daß durch jene methodologischen Versuche dieses gar nicht einfache Problem irgendwie endgültig „erle[710]digt“ sei, – ich habe vielmehr gewiß dring[A 581]lichen Anlaß, über meine bisherigen Arbeiten in dieser Richtung sehr bescheiden zu denken –). Jedenfalls aber konnte in vorliegendem Fall, bei einer sehr komplexen historischen Erscheinung, zunächst nur von dem anschaulich Gegebenen ausgegangen werden und allmählich, durch Ausscheiden des für den notwendig isolierend und abstrahierend gebildeten Begriff „Unwesentlichen“, dieser zu gewinnen versucht werden. Demgemäß verfuhr ich so,77 [710] Weber rekapituliert im folgenden (bis unten, S. 715) Aufbau und Gedankengang seiner Aufsätze: Weber, Protestantische Ethik I und II. daß ich zunächst 1. die von niemandem bisher bezweifelte Tatsache der auffällig starken Kongruenz von Protestantismus und modernem Kapitalismus: kapitalistisch orientierter Berufswahl undj[710]A: Berufswahl, kapitalistischer „Blüte“, durch Beispiele in die Erinnerung rief, sodann 2. illustrativ einige Beispiele vorführte für solche ethische Lebensmaximen (Franklin),78 Die zitierten Textpassagen Benjamin Franklins: Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 142–145. die wir unzweifelhaft als von „kapitalistischem Geiste“ zeugend beurteilen, und die Frage stellte, wodurch sich diese ethischen Lebensmaximen von abweichenden, speziell von den Lebensmaximen des Mittelalters, unterscheiden, und dann 3. die Art, wie solche seelische Attitüden sich zu dem Wirtschaftssystem des modernen Kapitalismus kausal verhalten, wiederum durch Beispiele zu illustrieren suchte, wobei ich 4. auf den „Berufs“-Gedanken stieß, dabei an die längst (insbesondere durch Gothein)79 Vgl. das Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, S. 674, entstammende Zitat: Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 136. festgestellte[,] ganz spezifische Wahlverwandtschaft des Calvinismus (und daneben des Quäkertums und ähnlicher Sekten) zum Kapitalismus erinnerte, und gleichzeitig 5. aufzuzeigen suchte, daß unser heutiger Begriff des Berufs irgendwie religiös fundamentiert sei. Damit ergab sich dann das Problem, nicht für die ganze ursprünglich beabsichtigte Aufsatzreihe (wie ausdrücklich an deren Schluß gesagt ist),80 Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 420–425. Über die im folgenden erwähnte geplante Fortsetzung der Aufsätze zur „Protestantischen Ethik“ vgl. die Einleitung, oben, S. 66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S. 90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 464 f. mit Anm. 10. wohl aber für die zunächst folgenden Ausführungen in den seinerzeit in diesem Archiv veröffentlichten Studien, dahin: [711]wie verhält sich der Protestantismus in seinen einzelnen Abschattierungen zur Entwickelung des Berufsgedankens in seiner spezifischen Bedeutung für die Entwickelung derjenigen ethischen Qualitäten des Einzelnen, welche seine Eignung für den Kapitalismus beeinflussen?NbA: beeinflussen. hier Korrektur in MWG digital. Die Frage hatte natürlich nur Sinn, wenn es überhaupt solche religiös bedingten spezifischen ethischen Qualitäten gab. Welcher Art diese sein könnten, war vorerst nur an Beispielen allgemein erläuterbar. In Verbindung mit der Erörterung des Problems selbst mußte also in immer weiterer Vertiefung der Nachweis erbracht werden (in Ergänzung zu dem schon bei der Entwickelung des Problems Gesagten), daß es solche Qualitäten in der Tat in bestimmten Bestandteilen protestantischer Ethik gab, welche dies seien, welche Arten von Protestantismus sie in spezifisch hohem Grade entwickeln konnten, und worin sie sich von den durch die mittelalterliche Kirche und von anderen Spielarten desk[711]A: der Protestantismus teils anerzogenen, teils geduldeten Qualitäten unterschieden. Die eigentliche Behandlung des Problems selbst mußte dabei 1. nach Möglichkeit (d. h. soweit dies ein theologischer Laie leisten kann) zunächst die theoretisch-dogmatische Verankerung der Ethik bei den einzelnen Schattierungen des Protestantismus aufzufinden suchen, um zu zeigen, daß es sich nicht um rein akzessorische, mit dem Gedankengehalt der Religiosität außer Verbindung [A 582]stehende Dinge handelte, – 2. aber, was ja davon sehr verschieden ist: erörtern, welche praktisch-psychologischen Motive die Eigenart der Religiosität einer jeden von ihnen für das reale ethische Verhalten enthielt. Von allen seinen anderen Schiefheiten und Oberflächlichkeiten abgesehen, hat nun Rachfahl noch nicht einmal das zu begreifen vermocht: daß diese eben genannten beiden Fragen untereinander ganz verschiedene Dinge betreffen. Daß es also zwar eine gewiß auch praktisch recht wichtige und interessante Frage ist, was an ethischen Idealen die kirchliche Doktrin des Katholizismus, Luthers, Calvins und anderer in ihren Übereinstimmungen und Gegensätzen untereinander enthielt, ob gewisse, durch den asketischen Protestantismus praktisch-psychologisch gezüchtetelA: gezüchteten, Arten des Verhaltens von der kirchlichen Theorie etwa, wie Rachfahl vorträgt, „auch vom katholischen Laien“ (nicht nur [712]vom Mönch) „gefordert“ wurden oder für ihn „galten“81[712] Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 641; ähnlich bereits Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 540–542. – daß aber mit dieser Feststellung ja schlechterdings gar nichts darüber ausgemacht ist, ob der betreffende Typus von Religiosität denn nun auch in seinen Bekennern die psychologischen Vehikel schuf, welche ein jener kirchlichen Doktrin entsprechendes (oder etwa ein faktisch ganz anderes, oder etwa ein die Doktrin nach bestimmten einseitigen Richtungen hin noch übersteigerndes) typisches Verhalten zu erzeugen geeignet warenm[712]A: war. Wie ich selbst ausgeführt habe, findet sich z. B. Lob und Empfehlung gewissenhafter Arbeit für den in der Welt stehenden Laien selbstredend zu allen Zeiten, sowohl bei den Theoretikern der Ethik82 Vermutlich meint Weber Thomas von Aquin, vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 190 f. mit Fn. 42, S. 194–196, Fn. 45, auch dass. II, oben, S. 380 f. wie bei den Predigern im Mittelalter (Berthold von Regensburg83 Vgl. die Notiz bei Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 184, Fn. 40. und ganz ebenso auch anderen) sehr regelmäßig (wogegen allerdings das Urchristentum – worauf schon Harnack gelegentlich in einem kleinen Aufsatz hinwies84 Vgl. Harnack, Wert der Arbeit (zitiert von Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 375, Fn. 15a); vgl. auch Harnack, Adolf, Das Urchristentum und die sozialen Fragen, in: Preußische Jahrbücher, 131. Band, Heft, 3, 1908, S. 443–459. – inbetreff der „Arbeit“ wesentlich den antiken Standpunkt teilte18)[712][A 582] Denn das: „wer nicht arbeitet, soll nicht essen“86 Nach 2 Thess 3,10; vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 195, Fn. 45 mit Anm. 82. wendet sich gegen ein gewisses Schmarotzer-Missionartum, wie es zu jeder Zeit vorkam und wie es doch heut in klassischer Form der von Booker Washington ergötzlich geschilderte göttliche „Call“ repräsentiert, der den Neger zu befallen pflegt, wenn er die Existenz als Heiliger derjenigen als Arbeiter vorzieht.87 Booker T. Washington berichtet in seiner Autobiographie, daß unmittelbar nach Aufhebung der Sklaverei (offiziell am 18. Dezember 1865) der Bildungsdrang der Freigelassenen ganz enorm war. Schon wer über eine Grundausbildung verfügte, konnte den „besseren“ Beruf eines Lehrers oder Predigers (preacher) ergreifen. Aber auch Lese- und Schreibanfänger erschlichen sich die Existenz eines Predigers: Dazu verwiesen sie auf einen „call to preach“ während des Gottesdienstes, bei dem der Betroffene auf den Boden fiel und dort stundenlang sprach- und bewegungslos verharrte, bis sich die Neuigkeit seines „calls“ verbreitet hatte. Vgl. Washington, Up from Slavery, p. 82 f., auch p. 128 mit Kontext. Die anderen Stellen sind teils Bestandteile von Gleichnissen, [713]teils eschatologisch bedingt. Die Arbeit mit positivem Vorzeichen findet sich weit stärker als im Urchristentum bei den Kynikern90 „[N]ur im Kynismus und in dem hellenistisch-orientalischen Kleinbürgertum“ fänden sich gegenüber der antichrematistischen Staatstheorie im Altertum „leise Ansätze“ zu einer „ethische[n] Verklärung der Erwerbsarbeit“, notiert Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, S. 359. Im Kynismus galt „mühevolle Arbeit als Mittel zur Tugend“, ebd., Anm. 39. und in einigen heidnisch-hellenistischen Grabschriften aus Kleinbürgerkreisen.91 Belege bei Deissmann, Adolf, Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Weit. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1908, S. 227 f. Weber, der sich bei Deissmann für das Buchgeschenk bedankt, schreibt am 4. Mai 1908 an den Kollegen zu dieser Stelle: „[…] zu dem S. 227 Gesagten hätte ich mancherlei zu bemerken, was hier zu weit führte.“ Wiedergabe des Briefes: Nottmeier, Christian, Ein unbekannter Brief Max Webers an Adolf Deißmann, in: Mitteilungen der Ernst-Troeltsch-Gesellschaft XIII. – Augsburg: o.V. 2000, S. 91–131, Zitat S. 130 (MWG II/11). Angesichts der Ausführungen, welche ich in meinen Aufsätzen über die Einflüsse alttestamentlichen Geistes auf die puritanische Berufsethik gemacht habe, wirkt es etwas grotesk, wenn R[achfahl], der davon nach Ausweis des Inhalts seiner hingeworfenen nichtssagenden Bemerkung doch nur aus eben diesen Ausführungen etwas weiß, mir diese selben Dinge jetzt entgegenhält.92 Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 390–394, auch S. 300; bei Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 655, Anm. 34. Ich habe übrigens auch daran erinnert, in welcher Art bekanntlich diese Renaissance des alten Testamentes mit den von mir besprochenen spezifischen Eigenschaften puritanischer Religiosität zusammenhing,93 Vgl. Weber, ebd., oben, S. 390–394. – was R[achfahl] vergessen hat.). Die Aussprüche Luthers nach gleicher Richtung sind bekannt.85 Ausgeführt von Weber, Protestantische Ethik I, oben, bes. S. 201–207 mit Fn. [A 583]An der Lehre vom Segen auch weltlicher Arbeit hat es außerhalb [713]des asketischen Protestantismus gewiß nicht gefehlt. Aber was hilft sie, wenn (wie im Luthertum) keine – in diesem Fall: psychischenPrämien darauf gesetzt sind, daß diesen theoretischen Lehren methodisch konsequent nachgelebt wird?88[713] Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 302–307. Oder wenn (wie im Katholizismus) die weitaus größeren Prämien auf ganz andere Arten des Verhaltens gesetzt sind?89 Vgl. Weber, ebd., oben, bes. S. 287 f. mit S. 300. und überdies in Gestalt der Beichte ein Mittel gegeben ist, welches dem einzelnen immer aufs neue ermöglicht, sich von schlechthin allen Arten von Verfehlungen gegen die Postulate der Kirche an das Leben seelisch zu entlasten?19)[A 583] Das soll über den möglichen pädagogischen Wert der Beichte gar nichts Allgemeines aussagen. Aber man nehme die Beichtanweisungen zur Hand oder informiere sich anderweit, nach was denn eigentlich in der Beichte gefragt wurde: es waren und sind ganz andere Dinge als solche, worauf es hier für uns ankommt. – Übrigens: ein hübsches Beispiel, wie sich in der Praxis die katholische Doktrin zum wirtschaftlichen Leben verhalten hat, bietet die Geschichte des Wucherverbots. Es ist bekanntlich auch heute nicht „aufgehoben“, konnte es auch, nach der feststehenden Maxime katholischen Kirchenregiments, nicht werden, da es in den Dekretalen ausdrücklich ent[714]halten ist,1 [714] Das Wucherverbot ging in das um 1140 entstandene „Decretum Gratiani“ und damit in das Corpus Iuris Canonici ein. Damit war es bis zu dessen Ablösung durch den Codex Iuris Canonici 1917 kirchliches Recht. Vgl. auch das Glossar, unten, S. 842. bekanntlich auf Grund einer auf falscher Lesart („μηδὲν“ statt „μηδένα ἀπελπίζοντες“) beruhenden und daher ganz schiefen Übersetzung in der (inspirierten!) Vulgata.2 Das christliche Zinsverbot leitete man von Lk 6,34 f. in der Fassung der Vulgata („mutuum date nihil inde sperantes“, V. 35) her. Der Heidelberger Alttestamentler Adalbert Merx weist darauf hin, daß „nihil inde sperantes“ („indem ihr davon keinen Gewinn (Zins) erhofft“) auf einem Textverderbnis beruht (griech. mēdén apelpízontes, „an Nichts verzweifelnd“, lat. „nihil desperantes“, woraus „nihil inde sperantes“ wurde). Er zeichnet die Geschichte dieses Verderbnisses detailliert nach. Aufgrund seiner Erkenntnis formuliert er Lk 6,35 so: „Vielmehr aber liebet eure Feinde und thut ihnen wohl und leihet, und schneidet nicht ab die Hoffnung eines Menschen […]“ (griech. mēdéna apelpízontes). Vgl. Merx, Adalbert, Die vier kanonischen Evangelien nach ihrem ältesten bekannten Texte […], 2. Teil, 2. Hälfte. – Berlin: Georg Reimer 1905, S. 223–226; Übersetzung in: dass. 1. Theil, ebd., 1897, S. 120. Aber es ist praktisch außer Kraft gesetzt, definitiv erst seit weniger als einem Jahrhundert, durch Anweisungen der Kongregation des heiligen Offiziums, dahingehend: daß fortan die Beichtiger nicht mehr nach usuraria pravitas3 „usuraria pravitas“ (lat.), wucherisches Unrecht; vgl. dazu im Glossar: „usura“, unten, S. 840. durch Eingehung von Zinsgeschäften inquirieren sollen, vorausgesetzt, daß es als verbürgt gelten könne, daß das Beichtkind sich in Gehorsam fügen würde, falls etwa die Kirche es wieder opportun finden sollte, auf der Innehaltung des Verbots zu bestehen.4 Die Anweisungen zum Aussetzen des Wucherverbots durch das hl. Offizium (seit 1908 Bezeichnung für die höchste Behörde der römisch-katholischen Kirche in Glaubens- und Sittenfragen, heute: Kongregation für die Glaubenslehre), besonders seit den 1830er Jahren, sind dargestellt bei Funk, Franz Xaver, Geschichte des kirchlichen Zinsverbotes. – Tübingen: Heinrich Laupp 1876, S. 68–72. (Ganz ähnlich also, wie gewisse, m.W. bisher von der kirchlichen Zensur unangefochten gelassene öffentliche Erörterungen in katholischen Kreisen Frankreichs den Wunsch aussprechen, die Beichtväter möchten nach dem „Onanismus matrimonialis“, der sterilisierten Begattung zum Zweck des Zweikindersystems,5 Die durch Geburtenkontrolle („Zweikindersystem“) beeinflußte Geburtenrate und der Bevölkerungszuwachs lagen in Frankreich während des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts deutlich niedriger als in anderen europäischen Ländern. Empfängnisverhütung bezeichnete man im katholisch-kirchlichen Sprachgebrauch als „(Ehe-)Onanismus“ (zumeist (lat.) onanismus conjugalis, hier nach lat. matrimonium, „Ehe“). Die gebräuchlichste empfängnisverhütende Methode war in Frankreich der coitus interruptus, seit Beginn des 20. Jahrhunderts schloß der Terminus „(Ehe-)Onanismus“ auch andere präventive Maßnahmen ein. in der Beichte nicht mehr inquirieren,6 Die Geburtenregelung und deren kirchlich erlaubte und unerlaubte Methoden wurden um 1910 (und schon viel länger) in Frankreich lebhaft diskutiert. Zur Befragung in der Beichte: Laut Anweisung der Pönitentiare (ab 1886) sollten die Beichtväter strenger als zuvor nachfragen, was aber, da man ein allgemeines Ärgernis befürchtete, [715]kaum befolgt wurde. „Öffentliche Erörterungen“ (Weber) dieser Sache ließen sich nicht ermitteln. Möglich, daß ein Vorkommnis aus dem Jahr 1901 die Diskussion anregte: Ein angesehener französischer Bürger, der bereits zwei Kinder hatte, ließ öffentlich werden, daß der Gemeindepfarrer ihm wegen Empfängnisverhütung die Absolution verweigert hatte. Vgl. Noonan, John T. Jr., Empfängnisverhütung. Geschichte der Beurteilung in der katholischen Theologie und im kanonischen Recht (Walberger Studien der Albertus-Magnus-Akademie, Theol. Reihe, Band 6). – Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag 1969, S. 477–541, bes. S. 514–517. [715]trotz des biblischen Fluchs über den „Coitus interruptus“).8 Vgl. Gen 38,8–10: Onan muß sterben, weil er durch coitus interruptus die Befruchtung seiner Schwägerin Tamar, der kinderlosen Witwe seines Bruders, verhindert (Verstoß gegen das Gebot der Leviratsehe). Deshalb kommt es zu keiner Geburt eines Sohnes, der als Erbe des Verstorbenen gelten könnte (vgl. Dtn 25,5–10). – Der „Ehe-Onanismus“ (vgl. oben, S. 714, Anm. 5) galt seit dem Hochmittelalter als Sünde, weil damit der Zweck der Ehe, Kinder zu zeugen, untergraben wurde. Die Art des Vorgehens ist durchaus der katholischen Kirche spezifisch: sie duldet, temporum ratione habita,9 „temporum ratione habita“ (lat.), „unter Berücksichtigung der Zeiten“, d. h. der Zeitverhältnisse; Formulierung einer Konzession im kanonischen Recht. wie im Mittelalter die faktische Existenz des von ihr in keiner Form positiv gebilligten kapitalistischen Getriebes, vorbehaltlich der Ahndung gewisser Formen, deren es sich bediente, so jetzt auch den Gebrauch dieser Formen. Die protestantische Askese dagegen schuf ihm die positive Ethik, die „Seele“, deren jenes Getriebe bedurfte, damit „Geist“ und „Form“ einig seien. – Während umgekehrt der Calvinismus in seiner Ent[714]wickelung seit der letzten Zeit des 16. Jahrhunderts (und ähnlich das Täufertum) in dem Gedanken von der Notwendigkeit asketischer Bewährung, im Leben überhaupt und speziell auch im Berufs[715]leben, als subjektiver Verbürgung der certitudo salutis (also nicht als Real-[,] sondern als einern[715]A: eines der wichtigsten [A 584]Erkenntnisgründe der eigenen Bestimmung zur Seligkeit) eine sehr spezifische[,] und in ihrer Wirksamkeit auf diesem Gebiet nicht leicht zu überbietende, psychische Prämie für die asketische Lebensmethodik, die er forderte, schuf.7 Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 279–294, auch S. 341.

Diesen Sachverhalt habe ich in meinen Aufsätzen aufklärenoA: aufzuklären und die daraus folgende Lebensmethodik, und zwar, dem Zweck einer derartigen Analyse entsprechend, zunächst in ihren spezifischen Zügen und also in einer inneren Konsequenz darlegen müssen, wie sie in solcher absoluter Ungebrochenheit und vollends: in so voller Durchreflektiertheit dieses Zusammenhangs, ganz gewiß nicht als ein bewußter Besitz in jedem einzelnen lebte, welcher in der Luft, die diese religiösen Mächte erzeugten, aufwuchs.

Daß und welche mächtigen Stützen jene Motive aber des weiteren auch in den kirchlichen und von den Kirchen und Sekten beeinflußten sozialen Institutionen fanden, suchte ich teils schon in [716]meinem Aufsatze in diesem Archiv kurz anzudeuten, teils in der mehrfach erwähnten Skizze in der Christlichen Welt etwas anschaulicher zu beleuchten.10[716] Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 242–366, und Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 435–462. Ich rekapituliere das. Zunächst: die zentrale Kulthandlung des Abendmahls gewann gerade im „asketischen“ Protestantismus einen sehr spezifischen Akzent. Der Gedanke, daß, wer nicht zu Gottes unsichtbarer Kirche gehört und dennoch an diesem Akt teilnimmt, „ißt und trinkt ihm selber zum Gericht“,11 Im Passus, der die Einsetzungsworte des Abendmahls (1 Kor 11,23–25) enthält, heißt es in V. 29 [1892]: „Denn welcher unwürdig isset und trinket, der isset und trinket ihm selber zum Gericht, damit, daß er nicht unterscheidet den Leib des Herrn.“ dieser Gedanke ist ja an sich von einem pathetischen Gehalt, dessen Wucht uns heute, auch den meisten „Christen“ unter uns, fast gänzlich abhanden gekommen ist, der aber doch auch für uns noch recht wohl aus den Jugendreminiszenzen der absterbenden Generation und aus den (für unseren Blick) sozusagen in die Winkel gescheuchten Resten kirchlich gebundener Lebensschwere lebendig rekonstruierbar ist. Im asketischen Protestantismus fehlt nun (und keineswegs etwa zufälligerweise!) das Institut der Beichte, welches dem Katholiken eine Entlastung von dem Druck solcher an den Einzelnen ergehenden pathetischen Fragen nach seiner Qualifikation gewährte.12 Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 362, auch S. 336, Fn. 111. Zur Entlastungsfunktion der Beichte in der römisch-katholischen Kirche und ihrem Fehlen im Calvinismus vgl. auch das Glossar, unten, S. 823. Und auch hier, wie überall, beantwortete sich das Problem, ob er zu den Qualifizierten gehöre, dem Protestanten nicht nach mittelalterlich-katholischer Art durch eine Summierung und Gegeneinanderrechnung von Schuld und Verdienst mit dem Resultat eines Mehr oder Minder von approximativer Zulänglichkeit, welches dann durch den Gebrauch kirchlicher Gnadenmittel ergänzt werden konnte, sondern, und zwar, wie ich darlegte,13 Vgl. Weber, ebd., oben, S. 300–302, auch S. 403, Fn. 55, u.ö. ganz speziell im asketischen Protestantismus: durch ein starres Entweder-oder der ganzen, in der Gesamtheit ihrer ethischen Lebensführung sich manifestierenden Persönlichkeit. Der Einzelne ist erst hier, und wiederum auf dem Boden des asketischen Protestantismus unendlich schroffer als auf dem Boden des Luthertums (wie ebenfalls näher begründet wurde)[,]14 Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 259–265 und S. 304–307. einzig auf [717]sich selbstn[717] Zu ergänzen wäre: gestellt: auf seinen Gnadenstand, der nur an seiner gesamten Lebensführung spürbar werden kann, seinem Gott gegenübergestellt. Auf der anderen Seite aber wieder untersteht nun seine äußere Lebensgestaltung auf diesem Boden sehr viel mehr der Kontrolle durch seinesgleichen: durch die Gemeindeglieder. Im [A 585]Katholizismus und auch im Luthertum ist es letztlich doch allein der Vertreter des „Amts“, welcher es mit sich und mit dem einzelnen Kommunikanten abzumachen hat, ob er zum Abendmahl reif ist. Im Calvinismus trifft die Verantwortung dafür, daß nicht „Gottes Ruhm“ – auf dessen Verherrlichung ja das ganze soziale Leben eindeutig in einer in dieser Art den anderen großen Kirchen fremden Wucht bezogen ist – geschändet werde durch die Teilnahme eines offensichtlich die Zeichen der Verwerfung an sich TragendenoA: tragenden, jedes einzelne Mitglied der ganzen Gemeinde. Gerade die Laien haben vor einem knappen Menschenalter das Kuypersche Schisma gemacht (Kuyper war Laienältester) durch das Verlangen der Zurückweisung ihrer Ansicht nach nicht qualifizierter, von auswärtigen Prädikanten geprüfter Konfirmanden vom Abendmahl:15[717] Zum Kuyperschen Schisma vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 593 f., Anm. 15. – in letzter Linie stand dahinter der prinzipielle Protest dagegen, daß überhaupt eine nicht der konkreten, ihre Korrektheit selbst kontrollierenden Abendmahlsgemeinde zugehörige Instanz, welche immer sie sei, sich in diese jedes einzelne Gemeindemitglied direkt berührende Frage einmische. Die gewaltige soziale Bedeutung dieser Gedankengänge trat s. Z. wohl am schärfsten zutage in den neuenglischen Kirchen, wo das Verlangen nach der ecclesia pura16 „Reine Kirche“ (von purus (lat.), „rein“, leiten sich auch die Puritaner her, so Bernstein, Vorläufer, S. 524: „Wer waren die Puritaner? (,Purits‘ oder ,Puritans‘, von pure = rein) […]“). und der Reinheit speziell der Abendmahlsgemeinschaft direkt „Klassenunterschiede“ im eigentlichsten Sinn stiftete, Kämpfe und Kompromisse über die Stellung der „Auch-Christen“, deren Berechtigung z. B.[,] ihre Kinder zur Taufe zu bringen und dort zu vertreten[,] und ähnliches hervorgerufen hat.17 Jene Frage, welche die zweite Generation der Kongregationalisten in New England und ihre Kinder betraf und die sich aus dem Grundgedanken ergab, daß die Gemeinde aus „visible saints“ bestehen müsse, wurde auf der Bostoner Konferenz [718]1657 sowie auf der Synode von Massachusetts 1662 dahingehend entschieden, „[…] that persons not actually admitted into communion with a church, but who had been baptized in infancy and were undoubtedly orthodox in belief and upright in life, might bring their children to baptism“. Vgl. Doyle, The English in America III, p. 96–100, Zitat p. 99. Der „Mittelweg“ wurde von den Gegnern spöttisch als „half-way covenant“ bezeichnet; vgl. Loofs, [Friedrich,] Art. Kongregationalisten, in: RΕ3, 10. Band, 1901, S. 680–693, hier S. 689 f. Wenn man [718]die Kirchenordnungen des Protestantismus durchsieht, ihre Entwickelung und, soweit dies möglich, ihre praktische Handhabung verfolgt und in ihren Konsequenzen durchdenkt, so fällt zunächst auf, wie hier sehr erhebliche Teile jener sittlichen Lebensreglementierung, die wir in der Karolingerzeit im Sendgericht,18 Von Kirchenvertretern (Archidiakonen) oder beauftragten Sendrichtern regelmäßig in einem Sprengel abgehaltenes, zunächst für die Geistlichen, dann auch für die Laien bestimmtes Gericht. Die Sendgerichte der Karolingerzeit dienten der Anzeige und disziplinarischen Aburteilung von Vergehen, die gegen die kirchliche Ordnung verstießen. im ausgehenden Mittelalter vielfach in der Hand der Städte, in der Zeit der Territorialstaaten in der Hand der fürstlichen Polizei finden, von den Kirchen in die Hand genommen werden, in sehr verschiedenem Grade freilich und im ganzen natürlich in den calvinistischen Gebieten (wo die ausdrückliche Unterwerfung unter die Kirchenzucht bei der Aufnahme in die Gemeinde, wie ich seinerzeit schon andeutete,19 Indirekt: Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 363 f.; dazu Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 444. gerade erst nach Calvin in ihrer Bedeutung gesteigert wurde) wesentlich stärker als in den lutherischen. Aber – wie ich schon hervorhob20 Siehe die folgende Anm. noch ganz ungleich stärker und wirksamer war (und ist in Resten bis auf die Gegenwart) jene Art des ethischen „training“, welches die asketischen Sekten ihren Mitgliedern oktroyierten. Ich habe davon auf Grund heutiger Beobachtungen in den Vereinigten Staaten seinerzeit in dem zitierten Aufsatz in der „Christlichen Welt“ einiges erzählt.21 Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 446 f. (gemeint ist die gegenseitige Beichtkontrolle). Der gegenwärtige Säkularisationsprozeß des amerikanischen Lebens und die ungeheuere Einwanderung heterogener Elemente schwemmt derartige Reste schnell hinweg, und der rücksichtslose „Seelenfang“ der konkurrierenden Denominationen22 Vgl. Weber, ebd., oben, S. 444. schwächt überdies die Intensität ihrer Erziehungsleistung. Gleichwohl genügt schon ein geringes Maß [719]von Aufmerksamkeit auf diese Dinge, um noch jetzt die Reste der für ihre Wirksamkeit charakte[A 586]ristischen Erscheinungen in ihrer einstigen Bedeutung lebendig vor sich zu sehen. Ich erinnere an das, was ich a. a. O.23 [719] Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 435–462. über die Funktion der Sekten im Wirtschaftsleben (die ihnen heute von allerhand rein weltlichen Organisationen allmählich abgenommen wird)p[719]A: wird), gesagt habe. Speziell z. B. (statt zahlreicher ähnlicher Erlebnisse) daran, wie mir der Eintritt eines jungen Mannes in eine Baptistengemeinde in North Carolina damit motiviert wurde, daß er eine Bank aufzumachen gedenke, und sich bei näherer Nachfrage herausstellte, daß dabei nicht etwa speziell auf Baptistenkundschaft, sondern gerade auf diejenige der in jenem Gebiet weitaus überwiegenden Nichtsektierer gerechnet wurde,24 Vgl. Weber, ebd., oben, S. 442 f. – Grund: wer dort zur Taufe zugelassen werden wollte, hatte während seines „Katechumenats“25 (Zeit der) Vorbereitung mit Unterweisung eines erwachsenen Taufbewerbers auf die Taufe. ein ganz erstaunlich systematisches Inquirieren der Gemeinde nach seinem Wandel (Wirtshausbesuch? überhaupt jemals Trunk? jemals Karten? jemals „unclean life“?26 Zum Begriff vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 375. Verschwendung? nicht pünktlich bezahlte Schecks? oder andere Schulden? überhaupt Spuren geschäftlicher Unzuverlässigkeit irgendwelcher Art? usw. usw.) mit Erkundungen an allen früheren Orten seines Aufenthalts zu gewärtigen. Wurde er dann rezipiert – nun[,] so war damit seine Kreditwürdigkeit und geschäftliche Qualifikation derart verbürgt, daß er jeden nicht so legitimierten Konkurrenten schlagen konnte, zumal ein etwaiger Ausschluß wegen schlechten Verhaltens, wie von jeher bei den Sekten, seine soziale Exkommunikation bedeutete20)[719][A 586] Ich habe s. Zt. die so geschaffene Kreditwürdigkeit mit der spezifischen „Pumpfähigkeit“ eines deutschen Verbindungsstudenten (zu meiner Zeit konnte man in Hei[720]delberg fast „gratis“ leben, nachdem man „das Band erhalten“ hatte, – beim Fuchs wurde von den Kreditoren die Matrikel belegt) und der ebenso spezifischen Kreditfähigkeit des Klerus im Mittelalter (weil über ihm der Kirchenbann als Zwangsmittel schwebte)q[720]A: schwebte), verglichen, und auch die oft bedenkliche Kreditfähigkeit des modernen jungen Offiziers, über dem die Entlassung schwebt, gehört hierher.32 Vgl. Weber, ebd., oben, S. 440. Allein der soziologisch sehr wesentliche Unterschied liegt darin, daß in all diesen Fällen nicht, wie bei der Sekte, die Kreditwürdigkeit als subjektive Qualität der Persönlichkeit (durch Auslese bei der Aufnahme nach entsprechender Erziehung) gefordert, sondern nur (was bei den Sekten nebenher auch noch der Fall war) die objektive Garantie für die Gläubiger erhöht ist. – Die charakteristische Institution des methodistischen Jugend-„training“ und der ebenso charakteristische Usus des Zusammenschlusses zu kleinen Gruppen zwecks regelmäßiger gegenseitiger Darlegung des Seelenstandes, zu einer beschränkt öffentlichen Beichte also, – die natürlich, da sie, im Gegensatz zu der katholischen Beichte hinter dem vergitterten Fenster, sich an eine Mehrheit persönlich Gleichstehender richtete, eine psychologisch ganz andere Situation bedeutete als jene, [–] ist verfallen, bedeutete aber früher sehr viel.33 Über die class meetings der Methodisten und ihre Beichtfunktion vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 446 f. mit Anm. 38. – Zur Zeit John Wesleys gab es ebenso „Kinder-Klassen“ (junior classes), vgl. Loofs, Art. Methodismus, S. 796. Nach Jacoby, Handbuch des Methodismus, S. 326, wäre dabei an die gemeindliche Sonntagsschule für Kinder oder den Religionsunterricht für Jugendliche und junge Erwachsene zu denken. .27 Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 439–441 und S. 443. Genau dies finden wir vor zwei Jahrhunderten schon ebenso entwickelt. Ferner z. B.: die Quäker rühmen sich von jeher, das kapitalistisch sehr wichtige System der „festen Preise“ anstelle des Feilschens nach orientalischer Art geschaffen zu haben.28 Vgl. Weber, ebd., oben, S. 444 f. mit Anm. 35. In der Tat ergibt die histo[A 587]rische [720]Zurückverfolgung, daß vor 200 Jahren die Blüte des quäkerischen Detaillistentums damit motiviert wurde, daß sich die Kundschaft der Festhaltung dieses Grundsatzes bei ihnen sicher fühlte,29[720] Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 445. sicherer[,] als irgend welche mittelalterliche oder moderne Preisordnungen dies zu erreichen vermochten. Die Quäkergemeinde schritt auch ein, wenn jemand ein Geschäft begann, zu dessen Führung ihm das nötige Kapital oder Kenntnisse fehlten usw. usw. Und in der Literatur aller dieser Sekten kann man, schon bald nach der Zeit ihres Entstehens, den Jubel darüber finden, daß der Herr sie sichtbar segne, indem die „Kinder der Welt“ ihr Geld (als Depot, als Kommanditgut oder wie immer) zu ihnen trügen und nicht zu ihren eigenen Glaubens- oder Unglaubensgenossen, weil sie bei ihnen der erforderlichen persönlichen ethischen Garantien sicher seien.30 Z. B. bei Clarkson, Portraiture (wie oben, S. 445, Anm. 35), p. 276. Ich verweise für ähnliche Einzelbeispiele auf jene Skizze und bemerke nur noch:31 Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 435–445, dort auch das folgende Beispiel, S. 436 f. Jedermann weiß, daß es bis in die letzten [721]Jahrzehnte hinein der Yankee von einigermaßen altem Schlage, und zwar gerade der Geschäftsmann, einfach nicht verstand, zuweilen noch heute nicht versteht, daß jemand gar keiner „denomination“ angehört (diese möge nun sonst übrigens sein, welche immer: darin ist er absolut „tolerant“): ein solcher religiöser outlaw war ihm gesellschaftlich und geschäftlich verdächtig, weil ethisch nicht „legitimiert“. Daß ähnliches auch in Schottland und in englischen bürgerlichen Kreisen sich noch immer hie und da äußert, daran konnte wenigstens bis vor 15 Jahren sogar der Tourist, besonders sonntagsr[721]A: Sonntags, erinnert werden.34[721] Max und Marianne Weber reisten im August und September 1895 nach England, Schottland und Irland. Weber spielt hier auf das starke denominationelle Leben an, das er dort erfuhr. In den Briefen berichtet Max Weber vom „toten schottischen Sonntag“ (Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 24. Aug. 1895, GStA PK, VI. HA, NI. Max Weber, Nr. 7, BI. 71–72; MWG II/3), und Marianne Weber über den mit „nicht weniger als sechs Kirchen“ ausgestatteten kleinen Ort Portree auf der Isle of Skye (Mariannes Webers Notiz zum Brief Max Webers an Helene Weber vom selben Tag, GStA PK, VI. HA, NI. Max Weber, Nr. 5, BI. 9–11; MWG II/3). Der Geschäftsmann des amerikanischen Mittelstandes nun, wo er sich diesem früher überwältigenden Zwang zur religiösen Legitimation entzieht, hat heute statt dessen beliebige andere sich zunehmend bildende Organisationen zur Verfügung und trägt auch oft zur Legitimation, daß er die Qualitäten eines „gentleman“ durch Hineinballotierung nachgewiesen habe, noch immer im Knopfloch deren „badge“ (man sieht solche, an die Ehrenlegionsrosette erinnernde, Abzeichen massenhaft, wenn man nur darauf achtet).35 Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 442 mit Anm. 21. – Die „Ehrenlegionsrosette“ gehörte zu einem französischen Militär- und Zivilverdienstorden, der von den Geehrten an einem kleinen roten, mit einer Rosette verzierten Band auf der linken Brust getragen wurde.

Soweit und solange der echte Yankee-Geist noch herrschte, war die amerikanische Demokratie, auch ohne alle Trusts und Gewerkschaften, niemals ein einfacher Sandhaufen isolierter Individuen,36 Dieselbe bildhafte Formulierung gebraucht Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 454. sondern in starkem Maße ein Gewirr exklusiver Vereine, deren Urtypus die Sekte ist und welche alle bei ihren Mitgliedern diejenigen Qualitäten als selbstverständliche Bedingung der Zugehörigkeit stellen und züchten, welche den geschäftlichen Gentleman aus[722]machen, wie ihn der Kapitalismus braucht. Gewiß: jemand in der Lage von Mr. Pierpont Morgan bedarf für sich dieser Legitimation nicht, um seine ökonomische Position einzunehmen.37 [722] John Pierpont Morgan war der einflußreichste US-amerikanische Bankier seiner Zeit. Und auch sonst liegen die Dinge heute schon sehr anders. Aber die Durchdringung des gesamten Lebens mit jenem spezifischen „Geist“, wie ihn diese Verbände förderten, war allerdings eine äußerst wichtige Voraussetzung dafür, daß der moderne Kapitalismus „Wurzel schlug“,38 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kapitalismus, oben, S. 644. d. h. in der breiten Schicht der bürgerlichen Mittelklassen sowohl wie schließlich auch in den von ihm in seinen Mechanismus einzufügenden Massen einen ihm adäquaten „Lebensstil“ vorfand und dadurch das Leben so in seine Gewalt bekommen konnte, [A 588]wie es geschehen ist. Begreiflicherweise haben Historiker vom Schlage Rachfahls keine Ahnung, welches Maß von Erziehungsarbeit zu tun war, um das zu ermöglichen21)[722][A 588] Die Erziehung zu dem vorwaltenden Interesse für die „Realien“ ist ein alter, in sehr bestimmter Art (wie ich angedeutet hatte) religiös verankerter Grundsatz der pie[723]tistischen Pädagogik;42 [723] Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 332–334, Fn. 108. bei den Quäkern und Baptisten findet sich ganz Ähnliches von Anfang an; bei den Reformierten tritt es nicht selten noch heute, z. B. in der Art der Verteilung auf Real- und andere Schulen und in der Berufswahl, hervor.43 Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 128–130 mit Fußnoten. – Diese Spezifika sind unzweifelhaft sehr wichtig für die Zusammenhänge dieser Religiositätsformen mit der Entwicklung des modernen Kapitalismus. Ebenso sind die wohlbekannten Leistungen der Reformation überhaupt auf dem Gebiet des Volksschulwesens ganz sicher von Bedeutung. Aber diese letzteren ganz allgemeinen Zusammenhänge hatten ihre Grenzen: die Leistungen des preußischen Staats auf dem Gebiet der Volksschule fehlten in dem kapitalistisch höchstentwickelten Lande: England, bekanntlich: die „gute Volksschule“ als solche und die kapitalistische Entwicklung gingen nicht parallel.44 Die staatliche Elementarschule wurde in England erst 1870 eingeführt, die allgemeine Schulpflicht erst 1880. Davor war das Schulwesen v.a. in der Hand der anglikanischen Kirche, die den Arbeiterkindern auch in Sonntagsschulen Lesen und Schreiben beibrachte. – Daß übrigens im Protestantismus keine Besorgnis vor zunehmender Volksbildung herrsche resp. geherrscht habe, wie R[achfahl] sich (III S. 1331)45 Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 559. ausdrückt, ist auch eine sehr bedenkliche Übertreibung, speziell für unsere gut protestantischen Ostelbier. In meinem Aufsatz hatte ich auf den Zusammenhang gewisser konfessionell bedingter Schultendenzen mit der Stellung zur „fides implicita“ hingewiesen.46 Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 334, Fn. 108; zu „fides implicita“ auch das Glossar, unten, S. 828. . Wenn aber jemand auf die, für eben jenen Typus von „gesundem Menschenverstand“, dessen R[achfahl] sich so laut rühmt,39 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 662. so sehr „naheliegende“ Vermutung käme: ob denn jene Qualifikation des religiösen trainings, Geschäftsleute heranzubilden, und ob dieser ganze Zusammenhang von spezifisch geschäftlichen und von religiösen Qualifikationsmerkmalen überhaupt nicht etwa erst Folge davon sei, daß jene religiösen Gemeinschaften sich eben, in einem bereits kapitalistischen „Milieu“, entwickelten – so frage ich: warum entwickelte denn wohl die katholische Kirche solche Kombinationen und eine derartig auf den Kapitalismus abgestellte Erziehungsrichtung nicht? Weder in den großen Zentren des Mittelalters, die, wie Florenz, denn doch weiß Gott in ganz anderem Grade kapitalistisch „entwickelt“ waren, als z. B. das noch dünn besiedelte Bauerngebiet im westlichen North Carolina, aus dem ich erzählte,40 Siehe oben, S. 719, mit Bezug auf Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 442 f. oder wie die noch wesentlich naturalwirtschaftlichen Gebiete der amerikanischen Kolonien, in denen sich bereits vor 200 Jahren das gleiche abspielte?41 Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 174 (Pennsylvania). Warum nicht das [723]Luthertum? – Es vermählte sich eben ein Strang von psychischen Inhalten, der aus sehr spezifischen sittlich-religiösen Wurzeln entsprang, mit kapitalistischen Entwickelungsmöglichkeiten. Wahr ist dagegen gewiß: daß jener mit so gewaltiger Energie gezüchtete Lebensstil der asketischen Gemeinschaften in konfessionell gemischten Gebieten, trotz aller heftigen Gegensätze22) In den konfessionell gemischten westfälischen Gebieten war noch vor 30 Jahren, unter den beiderseitigen Konfirmanden zumal, die ewige Plänkelei [A 589]zwischen den Lutheranern, die „den Heiland durch die Gosse“ (des Darmkanals nämlich: wegen des: hoc „est“ corpus meum) „zogen“ und den reformierten „heuchlerischen Werkheiligen“ an der Tagesordnung.47 Möglicherweise durch die Oerlinghauser Verwandtschaft vermittelt oder durch Marianne Weber, die in gemischt-konfessionellen Verhältnissen in Lemgo aufwuchs (vgl. den Bericht über ihre Konfirmandenzeit, in: Weber, Marianne, Lebenserinnerungen. – Bremen: Johs. Storm Verlag 1948, S. 41). – Max Weber spricht charakteristische Unterschiede zwischen Lutheranern und Reformierten an: „Hoc est corpus meum“ [724](1 Kor 11,24) soll Luther beim Marburger Religionsgespräch 1529 mit Kreide auf den Tisch geschrieben haben, um auf die reale Gegenwart des Leibes (und Blutes) Christi in den Elementen Brot (und Wein) im Abendmahl zu verweisen (manducatio corporalis). Für Zwingli ist das Abendmahl dagegen eine Feier der Gemeinde zum Gedächtnis an den Versöhnungstod Christi (manducatio spiritualis). Er deutet das „est“ als „significat“. – Zum Vorwurf der „Werkheiligkeit“ gegenüber den Reformierten vgl. Weber, Protestantische Ethik II, S. 285–288. , doch von Anfang an und [A 589]steigend mit zunehmender Durchtränkung des Wirtschaftslebens mit kapitalistischem Geiste, auch auf den Lebensstil anderer, mit ihnen konkurrierender Denominationen „abfärbte“: so sehr früh auf das holländische und amerikanische Luthertum, und auch auf den amerikanischen Katholizismus (während für das [724]deutsche Luthertum bekanntlich der ältere Pietismus eine Form war, in der sich das Gleiche vollzog). Natürlich geschah dies so, daß die Unterschiede auf dem Wege dieser „Angleichung“ nur gradweise verringert, nie aber voll verwischt wurden23)[724] Die Sonderart der lutherischen Missouri-Kirche den anderen Denominationen gegenüber ist eine sehr starke geblieben.51 Die Kirche mit der Bezeichnung „Deutsche Evangelisch-Lutherische Synode von Missouri, Ohio und anderen Staaten“ (seit 1947: Lutheran Church – Missouri Synod) wurde 1847 von kurz zuvor eingewanderten deutschen Lutheranern gegründet (Hauptsitz bis heute in St. Louis, Missouri). Streng konfessionell-lutherisch ausgerichtet, pflegte sie einen an Luthers „Deutsche Messe“ von 1526 angelehnten Gottesdienst und hielt an den Bekenntnissen des 16. Jahrhunderts fest. . Aber allerdings: eine Angleichung an die konsequentesten Ausprägungen der protestantischen Askese (die calvinistische speziell) fand in der Tat, zum mindesten bei den mit ihnen gemischten Protestanten, nach allem, was wir heute davon erkennen können, fast immer statt, und schon deshalb allein könnte eine bloße Statistik der Zahl48 Gegen Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 654. der eigentlichen Calvinisten z. B. unter den protestantischen Emigranten noch keinerlei Argument gegen die Bedeutung jener asketischen Lebensformen sein. Die heutigen Erörterungen im Katholizismus, wie man sich wohl am besten die Überlegenheit der ökonomischen Qualifikation der Protestanten zueignen könne,49 Zur sog. Inferioritätsdebatte im Deutschen Kaiserreich vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 124, Anm. 4. finden, der Sache, wenn auch nicht der Form nach, in manchen Bemerkungen Speners über das gute Fortkommen der Quäker50 Mit Zitat bei Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 356, Fn. 134. durchaus ihr Gegenbild, und unausgesprochen wirkte das gleiche Motiv natürlich von jeher und überall ebenso wie noch jetzt in Amerika.

Und wenn man nun schließlich fragt, ob es – den Ausdruck: „innerweltliche Askese“ einmal gänzlich bei Seite24) Es gehört zu R[achfahl]s Eigenart, einerseits die größten Anstrengungen zu machen, um diesen Ausdruck nicht nur, sondern, wie er ja selbst behauptet, auch die ent[725]sprechende sachliche These: die innere Verwandtschaft mit der katholischen rationalen Mönchsaskese, zu „diskreditieren“54 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 639–643. Auch schon Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 537–543. (denn darauf läuft seine Art des sogen. „Kritisierens“ ja überall hinaus), – andererseits mich darauf hinzuweisen, daß, nach Ansicht geachteter Kirchenhistoriker, jene Specifika asketisch-protestantischer Religiosität eine „noch nicht“ volle Überwindung des Katholizismus bedeuten.55 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 640 f., stützt sich auf Kawerau, der in den Tendenzen zur Weltflucht bei den Täufern und den von ihnen abgeleiteten Sekten „den Beweis“ finde, „daß sie im Gegensatz zum Protestantismus noch von der ,katholischen Stufe des Christentums‘ sich nicht vollständig emanzipiert hatten […]“ (Zitat S. 640, mit Bezug auf Kawerau, Gustav, Reformation und Gegenreformation, in: Lehrbuch der Kirchengeschichte, hg. von Wilhelm Moeller, 3. Band, 2. überarb. und vermehrte Aufl. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1899, S. 83). Rachfahl bezieht sich dabei außerdem auf Albrecht Ritschl und widerspricht damit Webers Ritschl-Kritik, vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 276–279, Fn. 33, und S. 308–310, Fn. 76. In dem „noch“ liegt aber eine Entwicklungskonstruktion an der Hand einer (subjektiv natürlich unangreifbaren) Wertung vor, welche z. B. etwa das, jede Werkheiligkeit ablehnende, Luthertum als die schlechthin „höchste“ Ausprägung des Protestantismus ansieht und von da aus Stufenfolgen bildet.56 Vgl. auch dazu Webers Kritik an Ritschl, wie oben, Anm. 55. Historisch aber ist die Entwicklung der innerweltlichen Askese ein Produkt der nachreformatorischen Zeit, also eher ein Wiedererwachen von religiösen Motiven, welche auch der Katholizismus pflegte, nur eben in ganz anderer Art und mit anderer Wirkung. – berechtigt [725]ist, das, was ich so genannt habe, mit der katholischen Mönchsaskese [A 590]sachlich in Parallele zu stellen, so will ich ganz davon absehen, daß von den hierher gehörigen protestantischen Ethikern, speziell Englands, die mittelalterliche Erbauungsliteratur mönchischen Ursprungs (Bonaventura u.A.) sehr regelmäßig zitiert wird,52 [725] Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 293, Fn. 59a (von Baxter), dazu aber Anm. 48; S. 310, Fn. 76 (von englischen Moraltheologen), und S. 387, Fn. 35 (von Calvinisten). wo es sich um jene Forderungen handelt, die ich „asketisch“ nannte. Aber man vergleiche doch einfach: Die Mönchsaskese verlangt: Keuschheit. Die protestantische Askese (in meinem Sinn des Worts) Keuschheit auch in der Ehe, im Sinne der Ausschaltung der „Begierde“ und der Begrenzung des sittlich zu billigenden Geschlechtsverkehrs auf den rationalen „Naturzweck“ der Fortpflanzung.53 Vgl. ebd., oben, S. 375–378 mit Fn. 17. Und diese Reglementierungen waren hier immerhin mehr als bloßes Theoretisieren. Gewisse asketisch-protestantische [726](pietistische, herrnhuterisches[726]A: herrenhuterische)[,] uns heute teilweise als direkt widernatürlich sich darstellende Lebensregeln auf diesem Gebiet sind ja bekannt. Die Art der Behandlung der Frau überhaupt aber ist von der Ausschaltung ihrer Betrachtung vornehmlich als Geschlechtswesen, gegenüber z. B. Luther’s ungebrochener Bauernauffassung, aufs allertiefste beeinflußt. – Die Mönchsaskese verlangt: Armut, – man weiß, mit welchem faktisch paradoxen Erfolge: das ökonomische Prosperieren der Klöster hat, außer bei einigen strikt spirituellen, von den Päpsten bekanntlich als durchweg höchst verdächtig behandelten Denominationen, überall als Folge göttlichen Segens gegolten und war – neben den Stiftungen – in stärkstem Maße Folge ihrer rationalen Wirtschaft. Die protestantische Askese verwirft ihrerseits nicht nur das genußfrohe „Ausruhen“ auf dem Besitz, sondern ebenso sein Erstreben „um seiner selbst willen“. Ich habe ausgeführt, mit welchem faktischen[,] ganz ebenso paradoxen Erfolge.57[726] Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 406–414. Die Mönchsaskese verlangt Unabhängigkeit von der „Welt“ und verwirft insbesondere naiven Genuß. Die protestantische tut genau das gleiche, und beide finden sich auch in den Mitteln der „Übung“ (denn dies bedeutet ja das Wort „Askese“) zusammen: streng eingeteilte Zeit, Arbeit, Schweigen als Mittel der Bändigung alles Trieblebens, ferner Loslösung von allen allzu starken Bindungen an das Kreatürliche (Bedenklichkeit zu intensiver persönlicher Freundschaft u. dgl.), Verzicht auf den Genuß als solchen, sei er im engsten Sinn „sinnlicher“, sei er ästhetisch-literarischer Art, überhaupt auf den nicht rational, z. B. hygienisch, zu rechtfertigenden Gebrauch der Güter dieses Lebens. Ausführlich habe ich auch daran erinnert, wie, bis in Einzelheiten hinein, sich der Umstand geltend macht, daß im Mittelalter der spezifisch von „Berufs“ wegen „methodisch“ lebende Mensch eben der Mönch war, – und also zeigt Sebastian FranckstA: Franks Äußerung (auf die R[achfahl] jetzt mit gewohnter Loyalität meine wissenschaftliche These „begründet sein“ läßt, obwohl ich erst in meiner Antikritik von ihr als Beispiel der Ansicht von Zeitgenossen sprach)58 Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 579, zitiert Sebastian Franck. Dies verwendet Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 640. doch wohl etwas mehr Verständnis von diesen Dingen als [727]mein „Kritiker“. Was die rationale protestantische Askese (in meinem Wortsinn) von der Mönchsaskese scheidet, ist 1. die Ablehnung aller irrationalen asketischen Mittel, welche übrigens ganz ebenso von gewissen[,] gerade [A 591]besonders bedeutsamen katholischen Orden, in spezifischer Art auch von den Jesuiten, abgelehnt oder beschränkt werden,59[727] Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 290 f., 300 f. und S. 409, Fn. 67. – 2. die Ablehnung der Kontemplation, – 3. endlich und hauptsächlich: die Wendung der Askese ins Innerweltliche, ihr Sich-auswirken in Familie und (asketisch gedeutetem) Beruf, aus der sich die schon erwähnten Unterschiede60 Siehe oben, S. 725 f. und alle anderen von selbst ergeben. Aber wenn der „Geist“, der in den beiderseitigen Grundsätzen der Lebensmethodik dort und hier sich zeigt, nicht als im innersten Wesen parallel und miteinander verwandt zu beurteilen ist, – dann weiß ich nicht, wann man noch von einer „Verwandtschaft“ sprechen soll. Wie stark aus pietistischen Kreisen heraus bekanntlich gelegentlich geradezu das Verschwinden der Klöster bedauert worden ist, erwähne ich nur nebenbei, ebenso die klosterartigen Organisationen, welche grade aus diesen Kreisen heraus immer wieder einmal geschaffen wurden,61 Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 309 f., Fn. 76, und S. 317 mit Fn. 82. und verweise ferner auf das, was in meinen Aufsätzen z. B. über Bunyan gesagt ist.62 Vgl. Weber, ebd., oben, S. 264 f. Innere Spannung und innere Verwandtschaft beider Seiten bezüglich der Stellung asketischer Ideale im Gesamtsystem des religiös orientierten Lebens keimen schließlich aus dem schon erwähnten63 Siehe oben, S. 713–715. Grunde hervor: das,NcA: daß, hier Korrektur in MWG digital. was bei den Mönchen als Realgrund der Anwartschaft auf die Seligkeit wichtig war, im asketischen Protestantismus als ein (ein – nicht: der absolut einzige, aber allerdings wohl der wichtigste) Erkenntnisgrund ihrer seine Bedeutsamkeit besaß. Und da selbst moderne „Methodologen“ (gerade auch auf dem Gebiet der Geschichtsmethodik, wie ich gelegentlich festzustellen hatte)64 Vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 478–490, und Weber, Bemerkungen, S. 498–514. diese beiden Sachverhalte nicht immer auseinanderhalten können, so ist es ganz gewiß wenig [728]wunderbaru[728]Lies: verwunderlich, daß diese Entwicklung protestantischer „Werkheiligkeit“ in der Praxis katholischen Eigentümlichkeiten oft wie ein Ei dem andern zu gleichen schien.65 [728] Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 285–295. Nur stammten eben die Keime in jedem von beiden Eiern von einem anderen geistigen Vater und entwickelten sich daher auch die Früchte zu einer sehr verschiedenen inneren Struktur.

Die dogmatische Fundamentierung der innerweltlichen Askese hier noch einmal zu rekapitulieren, führte nun wirklich zu weit: dafür muß ich den Leser gänzlich auf meinen Aufsatz verweisen, wo auch, wenigstens provisorisch und daher sehr skizzenhaft, angedeutet ist, daß die Frage: ob die Prädestinationslehre der Calvinisten oder die untheologische Dogmatik des Täufertums jene Basis bildetenvZu erwarten wäre: bildete, natürlich trotz aller Angleichung nicht schlechthin irrelevant für die praktische Lebensorientierung war.66 Vgl. Weber, ebd., oben, bes. S. 242–366; speziell zur Frage S. 346 f. und 363 f. Diese, in vielem sehr fühlbaren, Unterschiede traten nur in diesem Teil meiner Ausführungen (der bis jetzt allein vorliegt)67 Über die geplante Fortsetzung der Aufsätze zur „Protestantischen Ethik“ vgl. die Einleitung, oben, S. 66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S. 90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 464 f. mit Anm. 10. notwendig vor dem Gemeinsamen zurück. Näheres führte hier zu weit. Ich muß aber auch hier noch einmal nachdrücklich darauf hinweisen, daß für die empirische Nachprüfung der Frage: ob denn nun für die Praxis der Lebensführung jene religionspsychologischen Grundverhältnisse wirklich gerade in dieser ihrer von mir behaupteten spezifischen Wirkungsrichtung zur Geltung kamen, in meinen Aufsätzen nicht etwa Lehrbücher der Dogmatik, oder theoretische Abhandlungen über Ethik zugrunde gelegt sind, [A 592]sondern ein ganz anderes Quellenmaterial: Baxters und Speners Publikationen insbesondere, die ich heraushob,68 Baxter, Christian Directory I–IV, und Spener, Theologische Bedenken I–IV, dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 366–368. beruhen auf der Seelsorge, und zwar ganz wesentlich auf Antworten gelegentlich von Anfragen der Seelsorgebefohlenen über konkrete praktische Fragen ihres Lebens. Und sie gerade stellen also in dem Maße der Wiederspiegelung des praktischen Lebens einen Typus dar, der ungefähr den responsa der römischen Juristen für die Geschäfts- und Gerichtspraxis ihrer Zeiten [729]entspricht.69 [729] Responsa (lat.; responsum (Sgl.), „Antwort“, „Bescheid“) der römischen Juristen waren gutachtliche Antworten auf Ersuchen nach Rechtsauskunft, etwa von Parteien, Magistraten oder Richtern. Daraus erwuchsen ganze Sammlungen. Vgl. Weber, Bemerkungen, oben, S. 498 f. Gewiß enthalten diese und ihnen ähnliche Werke daneben auch kasuistische Spekulationen ihrer Urheber, wie dies auch bei den römischen Juristen der Fall ist, und wie es in einem weder mit diesen, noch mit jenen vergleichbaren[,] ganz ungeheuerlichen Maße für den Talmud zutrifft, der aber ebenfalls an direkt praktisch gewesenes Responsenmaterial anknüpfte. Aber schon die Form und der Zusammenhang machen es, natürlich nicht immer, aber glücklicherweise hinlänglich oft, kenntlich, wo aus dem Leben geschöpft ist. Und wo dies der Fall ist, da gibt es, außer Briefwechseln und allenfalls Autobiographien, keine Quelle, die an Authentizität und Lebendigkeit dieser gleichkäme. Weder populäre Pamphlete und Traktätchen, noch Predigten, – die man aber natürlich daneben, als Ergänzung, sehr wohl berechtigt ist, ausgiebig zu benutzen –, noch vollends irgendwelche Erzeugnisse der zeitgenössischen Literatur (so wichtig als Nebenquelle auch sie werden können), oder gar endlich die ganz am äußerlichen haften bleibenden Feststellungen der Konfessionalität einzelner Kapitalistengruppen, zumal wenn man ihre Beeinflussung durch die von der protestantischen Askese geschaffene „Lebensluft“ außer Betracht läßt. Recht selten leider sind wir in der glücklichen Lage, so genau das Ineinandergreifen religiöser und kapitalistischer Interessen an der Arbeit sehen zu können, wie z. B. bei den von mir zitierten Webern von Kidderminster.70 Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 337, Fn. 113 (auch: S. 374, Fn. 14, S. 385, Fn. 33, und S. 419, Fn. 82). – Damit soll nun nicht im mindesten die Wichtigkeit von Arbeiten, wie sie Rachfahl wünscht,71 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 630. herabgesetzt werden. Aber: die spezifische Richtung, in welcher eine bestimmta[729]A: bestimmte gefärbte Religiosität wirken konnte, war m. E. nur auf dem Wege zu erschließen, den ich einschlug, – und darauf eben kam es mir ausgesprochenermaßen an. Diese Richtung war nun aber nicht eine bloße „Förderung“ einer an sich schon ganz ebenso vorhandenen psychischen Disposition, sondern sie bedeutete, [730]innerhalb der weltlichen Sphäre wenigstens, einen neuenGeist“: aus ihrem eigenen religiösen Leben, aus ihrer religiös bedingten Familientradition, aus dem religiös beeinflußten Lebensstil ihrer Umwelt heraus erwuchs hier in den Menschen ein Habitus, der sie in ganz spezifischer Weise geeignet machte, den spezifischen Anforderungen des modernen Frühkapitalismus zu entsprechen. Schematisch ausgedrückt: anstelle des Unternehmers, der sich in seinem „Chrematismus“ von Gott höchstens „toleriert“ fühlen konnte, der, wie etwa noch heute der einheimische indische Händler, seine „usuraria pravitas“72 [730] Vgl. das Glossar, unten, S. 840. abzubüßen oder wett zu machen hatte, trat der Unternehmer mit dem ungebrochen guten Gewissen, von dem Bewußtsein erfüllt, daß die Vorsehung ihm nicht ohne bestimmte Ab[A 593]sicht den Weg zum Gewinn zeige, damit er ihn zu Gottes Ruhm beschreite, daß Gott in der Vermehrung seines Gewinns und Besitzes ihn sichtbar segne, daß er vor allem am Erfolge in seinem Beruf, wenn dieser mit legalen Mitteln erreicht sei, seinen Wert nicht nur vor den Menschen, sondern vor Gott messen könne, daß Gott seine Absichten habe, indem er gerade ihn zum ökonomischen Aufstiege auserlesen und mit den Mitteln dazu ausgerüstet habe,73 Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, bes. S. 416–420. – im Gegensatz zu andern, die er aus guten, freilich unerforschlichen, Gründen zur Armut und zur harten Arbeit bestimmt habe, – der in „pharisäischer“ Sicherheit74 Weber, ebd., oben, bes. S. 416. seinen Weg geht in strenger formaler Legalität, die ihm die höchste und, da es eine „Zulänglichkeit“ vor Gott überhaupt nicht gibt, auch die einzige in ihrer Bedeutung sicher greifbare Tugend ist. Und auf der andern Seite, als hausindustrieller Handwerker oder als Arbeiter, steht der Mann der spezifischen „Arbeitswilligkeit“, dem die Gewissenhaftigkeit im gottgewollten „Berufe“ das Bewußtsein seines religiösen Gnadenstandes gibt. Und die Perhorreszierung des spezifischen Frevels: derb[730]A: die Vergötterung des Kreatürlichen durch Ausruhen auf dem Besitz, durch Genußfreude, durch Geld- und Zeitvergeuden für Nichtberufliches, drängt die Verwendung des im Beruf erworbenen Besitzes immer wieder in die „berufsmäßige“ Bahn der Kapitalverwertung (beim Unternehmer) oder des „Sparens“ und dadurch: des möglichsten [731]Aufsteigens (bei den „ethisch“ qualifizierten Besitzlosen).75 [731] Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 411 f. Beruf und innerster ethischer Kern der Persönlichkeit – das ist das Entscheidende – sind hier eine ungebrochene Einheit. Noch so viele Einzelansätze zu einer praktischen Berufsethik dieser Art, die sich im Mittelalter finden – ich habe ausdrücklich mir vorbehalten, darauf zu sprechen zu kommen25)[731][A 593] Daß ferner der Entstehung des „homo oeconomicus“ ganz bestimmte objektive Bedingungen, unter denen die Kultur des Mittelalters im Gegensatz zu der des Altertums aus geographischen, politischen, sozialen und anderen Bedingungen stand, entgegenkamen, habe ich an anderer Stelle (H[and]w[örter]b[uch] d[er] St[aats-]W[issenschaften] 3. Aufl., Art.: „Agrargeschichte im Altertum“),79 Gemeint ist: Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, bes. S. 692 ff.; zum „Wirtschaftsmenschen“ ebd., S. 703, auch S. 359. soweit es die Gelegenheit erlaubte, angedeutet. Daß und wodurch ferner die Einbeziehung der modernen Wissenschaft in den Kreis der „Bedingungen“ des ökonomischen Fortschritts, in diese Ursachenreihe[,] gehört, ist von Sombart eingehend ausgeführt worden.80 Vermutlich: Sombart, Der moderne Kapitalismus II, Erstes Buch: Die Neubegründung des Wirtschaftslebens, 3. Kapitel: Die neue Technik, S. 42–67. 76 Vermutlich spielt Weber auf seine Ankündigung der Fortsetzung seiner Aufsätze zur „Protestantischen Ethik“ an, vgl. die Einleitung, oben, S. 66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S. 90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 464 f. mit Anm. 10. –, ändern nichts daran, daß solch ein „geistiges Band“ eben damals fehlte.77 Dagegen Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 552 f., und Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 656 f. Und in der Gegenwart, welche so sehr mit dem Begriff des „Lebens“, „Erlebens“ usw. als mit einem spezifischen Wert operiert, ist die innere Lösung jener Einheit, die Verfehmung des „Berufsmenschen“, mit Händen zu greifen. Der moderne Kapitalismus aber, gegen dessen Getriebe ja jene moderne Empfindungsweise, welche eben angedeutet wurde, nicht nur aus sozialpolitischen Gründen, sondern jetzt erst recht wegen seiner Verknüpftheit mit dem Geist des Berufsmenschentumsc[731]A: Berufsmenschentums, sich auflehnt, bedarf dieser Stütze längst nicht mehr. Zwar finden wir die Reste der einstigen Bedeutsamkeit der religiösen Lebensinhalte für die kapitalistische Entwicklung, wie ich innerhalb und außerhalb meiner Aufsätze wiederholt gezeigt habe,78 Vgl. etwa Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 600 f. sogar bis heute. Wo die [A 594]Industrie noch jetzt auf diejenigen Qualitäten ihres Personals, die aus jenem Lebensstil folgten, angewiesen ist, da äußert sich dies auch noch jetzt oft genug in der konfessio[732]nellen Zusammensetzung z. B. ihrer von unten her aufgestiegenen Werkmeister und Angestellten im Gegensatz zu den einfachen Arbeitern, und ebenso im Unternehmertum, – dies alles statistisch erkennbar natürlich nur, wenn man jene Zufälligkeiten, die durch den Standortd[732]A: Standort, (wie er durch das Vorhandensein des unentbehrlichen Rohmaterials oft eindeutig bestimmt wird) und ferner durch die in der Statistik nicht geschiedene Einbeziehung handwerksmäßiger Betriebe einfließen, ausscheidet. Aber im Ganzen ist allerdings der heutige Kapitalismus, wie ich wiederhole, von der Bedeutsamkeit solcher Momente in weitgehendstem Maße emanzipiert.81[732] Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 422 f.; auch oben, S. 731. Was aber die Zeit des modernen Frühkapitalismus anlangt, so war es bisher noch niemandem eingefallen, zu bezweifeln, daß der Hugenottismus auf das engste mit der französischen bürgerlich-kapitalistischen Entwicklung verknüpft war,82 So Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 545 und 561 f. daß er, wohin er auch Ende des 17.eA: 18. Jahrh[underts] nach der Aufhebung des Edikts von Nantes emigrierte, nicht etwa nur nach Ländern minder entwickelter Wirtschaft, sondern nachweislich gerade auch nach Holland, wo die Kapitalverwertung, wie ich schon bemerkt habe,83 Siehe oben, S. 687–690, Fn. 10, hier S. 689. teils anders instradiert,84 Von (italien.) instradare, „den Weg (strada) festlegen, leiten“. teils, wenn auch nur in bestimmten Schichten, zugunsten von Rentengenuß, sozialer Ostentation und einem dementsprechenden Verbrauch erschlafft war, seine typischen gewerblichen Qualitäten exportierte. Daß in den Nordstaaten der Vereinigten Staaten die Art der bürgerlich-kapitalistischen Entwicklung nicht in ganz spezifischer Weise auf ihrem ebenfalls ganz spezifisch puritanisch bedingten Lebensstil beruht habe, dies zu behaupten ist R[achfahl]s „Kritik“ (anders: seine Replik) vorbehalten geblieben.85 Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 594 f., anders Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 647. Die gleiche Erscheinung in England gab er selbst, in der bei ihm üblichen verschwommenen Form, zu.86 Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 548, und Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 645. Für Schottland haben schon die englischen Romantiker ganz den gleichen Zusammen[733]hang erkannt25a)[733][A 594] Vergleiche z. B. den Brief von John Keats an seinen Bruder Thomas (3. Juli 1818): „Diese Kirchenmänner“ haben Schottland in „Colonnen von Sparern und Gewinnern formiert“ (Gegensatz gegen Irland, von wo aus er schreibt).89 Zitat möglicherweise nach: Gothein, Marie, John Keats. Leben und Werke, Band l: Leben. – Halle a.S.: Max Niemeyer 1897. – Der englische Dichter Keats berichtet von einer Wanderreise durch Schottland und Irland seinem Bruder über ein irisches Zimmermädchen (Gothein datiert auf den 3. Juli 1818): „Sie ist lustig, freundlich und bereit zu lachen, weil sie außerhalb der schrecklichen Knechtschaft der schottischen Kirche steht. […] Diese Kirchenmänner haben Schottland gut gethan. Sie haben Männer und Frauen, Alt und Jung, Knaben und Mädchen sorgsam gemacht, so daß sie sie in regelmäßigen Kolonnen von Sparern und Gewinnern formiert haben. Solch eine wirtschaftliche Armee mußte ihr Land bereichern und ihm einen größeren Anstrich von Wohlstand geben, als ihn die armen, unbesonnenen Nachbarn haben“ (Zitat S. 156). – (Engl.) Brief Nr. LXVI vom 3., 6. und 9. Juli 1818, in: The Letters of John Keats. Complete rev. edition […], ed. by H. Buxton Forman. – London: Reeves & Turner 1895, p. 153–157 (Webers Zitat dort unter dem 6. Juli 1818). . Für Deutschland hatte Gothein diese Dinge bereits festgestellt, einige Beispiele habe ich hinzugefügt.87[733] Vgl. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, S. 673 ff., zitiert von Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 136; die weiteren Beispiele Webers, ebd., S. 123-140. Für Holland habe ich Gründe dafür angeführt,88 Dazu oben, S. 687–690, Fn. 10; die vorstehend erwähnten Ursachen oben, S. 732. warum hier die, ich wiederhole: in ganz derselben Richtung wirkenden Kräfte des asketischen Protestantismus durch ein Knäuel von teilweise vorstehend erwähnten Ursachen, von denen ich mir übrigens nicht im entferntesten schmeichle, bisher auch nur die wesentlichsten angedeutet zu haben, in einem Maße gebrochen wurden26) Aber natürlich nicht durch die von mir in meinem Aufsatz erwähnte überwiegende Zugehörigkeit gewisser politischer Oberschichten zum Arminianismus oder doch zur Indifferenz.90 Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 412–414, sowie S. 414 mit Fn. 73. Denn entsprechendes findet sich anderwärts ganz ebenso, und auch in Holland sind es diese Oberschichten, welche durch „Veradligung“ ihres Vermögens (Ankäufe von Rittergütern, wie in England) aus dem kapitalistischen Getriebe (mindestens partiell) am meisten auszuscheiden [A 595]trachteten. Daß übrigens R[achfahl] angesichts meiner ausdrücklichen Bemerkung über den Arminianismus in meinem Aufsatz zu behaupten sich gestattete: diese allbekannten Dinge seien mir unbekannt gewesen[,] und ähnliches noch jetzt,1 So Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 547, und ders., Nochmals Kalvinismus, oben, S. 648. nachdem ich darauf hingewiesen habe,2 Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S. 592, Fn. 14. seinem Publikum zu wiederholenf[733]A: wiederholen, angemessen findet, entspricht nur allem dem, – was ich nicht immer wieder über ihn sagen mag. , welches [734]ungefähr der ja auch ziemlich bald ein[A 595]tretenden auffallenden Stagnation seiner kapitalistischen (ich spreche nicht etwa speziell von der kolonialen) Expansion entsprach27)[734] Damit kein Mißverständnis entstehe: diese Stagnation hatte sicherlich sehr wesentlich politische (äußere und innere) Ursachen. Damit ist aber andererseits natürlich die Mitwirkung jener Gebrochenheit der asketischen Züge durchaus nicht ausgeschaltet. Ich kann diese Frage z. Zt. meinerseits in keinerlei Weise abschließend beantworten wollen, – und Andere wohl auch nicht. .3[734] Die wirtschaftliche Expansion der Republik reichte bis 1650. All dies (entsprechend der ökonomischen Qualifikation bestimmter Sekten schon im Mittelalter) waren zum großen Teil schon seit dem 17. Jahrhundert bekannteg[734]A: bekannte, und von niemandem, der sich damit überhaupt befaßte, bisher bezweifelte Dinge. Und sie sind in der Tat auch auf keine Weise, am allerwenigsten – aus den schon oben erwähnten GründenhA: Gründen,4 Siehe oben, S. 730 f. – durch an sich natürlich eventuell historisch durchaus wertvolle Feststellungen wie die: daß es in Frankfurt, neben den calvinistischen, auch lutherische holländische Immigranten gab[,] und dergleichen,5 So Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 650, Fn. 29. zu erschüttern. Ich habe deshalb, wie ich schon bemerkte, an diese Dinge in meinem Aufsatz lediglich erinnert.6 Siehe oben, S. 728. Ich erinnere ebenso nochmals daran, daß die, ihrem inneren Wesen nach überhaupt asketisch-rationale Züge an sich tragenden russischen Schismatiker und Sektierer (das sind aber nicht etwa alle russischen Sekten), ganz ähnliche ökonomische Züge aufweisen, sobald ihre erste weltfremde Jugend überwunden ist. Das äußerste Extrem von Kombination geschäftlicher Qualifiziertheit mit ethischer „Weltablehnung“ bildet – die Kastratensekte.7 Gemeint sind die Skopzen, vgl. schon Weber, Bemerkungen, oben, S. 501, Fn. 1 mit Anm. 21: Sie waren zahlreich im Handel und als Wechsler anzutreffen, und ihre Geschäfte sollen viele zu Millionären gemacht haben.

Bei dieser illustrativen Verwendung ganz bekannter Dinge mußte es (und muß es auch hier trotz R[achfahl]s Schulmeisterei) bleiben. Und so nützlich und nötig für die historische Spezialanalyse der Entwicklung der einzelnen Gebiete die weitere Einzelforschung über das Kräftemaß der einzelnen Konfessionen ist, so nötig (vielmehr: wesentlich nötiger) die Vergleichung der Eigenart der Ent[735]wicklung der einzelnen[,] vom asketischen Protestantismus beeinflußten Länder ist (welche ja erst über die Gründe des hervortretenden Unterschieds ihrer Entwicklung Aufschluß geben kann), – die wirklich dringendsten Fragen liegen, wenigstens für mich, anderswo. Zunächst natürlich in der sehr viel tiefer ins einzelne zu verfolgenden Differenzierung der Wirkungen calvinistischer, täuferischer, pietistischer Ethik auf den Lebensstil. Ferner in der eingehenden Untersuchung der Ansätze ähnlicher Entwicklungen im Mittelalter und im antiken Christentum, soweit die Arbeiten von Troeltsch hier noch [A 596]Raum lassen.8[735] Gemeint sein dürfte v.a.: Troeltsch, Soziallehren I und II. Dafür bedarf es aber der intensivsten Mitarbeit von Fachtheologen28)[735][A 596] Daß meine Versuche von einer Anzahl angesehener theologischer Kollegen nicht schlechthin interesselos und prinzipiell unfreundlich aufgenommen wurden,9 Neben Troeltsch und dem von Rachfahl zitierten Heidelberger Kirchenhistoriker Hans v. Schubert (vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 522 f.; ders., Nochmals Kalvinismus, oben, S. 660) waren dies (nach Rezensionen): Schubring, Wilhelm, [Rez.] Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: Protestantenblatt 1905, Nr. 46 und 47; Traub, G[ottfried], [Rez.] Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: Die Christliche Welt, 19. Jg., Nr. 40 vom 5. Okt. 1905, Sp. 942–946. Vgl. auch den Briefwechsel mit Adolf Harnack vom 12. Jan. 1905 (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, NI. Adolf von Harnack, K. 44, BI. 1–2; MWG II/4) und vom 5. Febr. 1906 (MWG II/5, S. 32 f.). ist mir an sich schon eine reichliche Genugtuung im Interesse der Sache. Denn ich verstehe natürlich vollkommen, daß ihnen diese Art der Inbeziehungsetzung gewisser religiöser Motivationsreihen, welche ja das, religiös gewertet, Grobe und Äußerliche, gerade für innerlich religiös gestimmte Naturen an der Peripherie LiegendekA: liegende, der eigentlich religiösen Inhalte sind, zu ihren Konsequenzen für das bürgerliche Leben als etwas erscheinen muß, was dem letzten Wertgehalt der betreffenden Religiositätsformen nicht [736]gerecht wird. Das ist in der Tat so. Aber diese lediglich „soziologische“ Arbeit (wie sie unter den Theologen selbst vornehmlich Troeltsch betreibt)13 Troeltsch in seinen zwischen 1908 und 1910 im „Archiv“ erschienenen Aufsätzen „Die Soziallehren der christlichen Kirchen“ (KGA 9) und anderen, zur gleichen Zeit erschienenen Arbeiten. Vgl. Drehsen, Volker und Christian Albrecht, Einleitung, zu: Troeltsch, Protestantisches Christentum, KGA 7, S. 30 f. muß eben auch geleistet werden. Am besten gewiß durch die Fachleute selbst, denen wir Außenstehende nur vielleicht auf unserem Wege und mit unserer Betrachtungsweise hie und da einige auch sie interessierende Möglichkeiten von Problemstellungen nahebringen können, mögen sie sich nun zu unseren eigenen Versuchen zustimmend oder kritisch verhalten. Dies tun zu können war meine Hoffnung, und von jenen Seiten, nicht aber von solchen gelegentlich dilettantisch hineinpfuschenden Klopffechtern wie R[achfahl], erwarte ich fruchtbare und belehrende Kritik.. Dann in der Untersuchung, wie, von der ökonomischen Seite her gesehen, jene immer wieder sich zeigende, in stets anders gewendeter, aber doch offenbar immer ähnlich fundamentierter Art, hervortretende Wahlverwandtschaft des Bürgertums zu bestimmten Lebensstilen, darunter auch (nicht etwa: nur) zu gewissen Einzelbestandteilen religiöser Lebensstilisierungen, wie sie am konsequentesten der asketische Protestantismus bot, zu erklären ist. Sehr vieles einzelne ist von sehr vielen Seiten zu jenem allgemeineren Problem schon gesagt, aber sehr vieles und, wie ich glaube, gerade auch Grundsätzlichesi[735]A: Grundsätzliches, bleibt zu sagen übrig.

[736]Um wenigstens auf eine Frage, mit der R[achfahl] mir gegenüber in der hilflosesten Weise herumhantiert,10[736] Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 645, auch S. 653 f.; bereits Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 532–534. noch eine kurze Antwort zu geben: darauf nämlich, welche Figuren im Gesamtbilde des modernen Kapitalismus denn nun unbedingt nicht von der „innerweltlichen Askese“ aus verstanden werden können und sollen, so bemerke ich: die „Abenteurer“ der kapitalistischen Entwicklung, – den Begriff des „Abenteuers“ hier im gleichen Sinn genommen, wie ihn G[eorg] Simmel kürzlich in einem hübschen kleinen Essay präzisiert hat.11 Simmel, Philosophie des Abenteuers, war am 7. und 8. Juni 1910 erschienen. Ihre wirtschaftsgeschichtliche Bedeutung ist innerhalb der Geschichte gerade auch (aber nicht nur) des Frühkapitalismus bekanntlich äußerst bedeutend,12 Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 146 f., verweist hierzu auf Jakob Fugger. – und dennoch kann man die Entwicklung zur zunehmenden Herrschaft des Kapitalismus über das gesamte Wirtschaftsleben in gewissem Sinn und cum grano salis annähernd gleichsetzen der Entwicklung vom ökonomischen Gelegenheitsprofit zu einem ökonomischen System; und die Genesis des kapitalistischen „Geistes“, in meinem Sinne des Wortes, der Entwicklung von der Romantik des [A 597]ökonomischen Abenteuers zur rationalen ökonomischen Lebensmethodik29)[A 597] Dies bedürfte natürlich der näheren Interpretation, die ich hier beiläufigl[736]A: beiläufig, nicht geben kann. Ein, rein objektiv betrachtet, noch so waghalsiges Unternehmer-Risiko bedeutet, wenn es ein durch die „Sache“ gegebener Bestandteil eines rational kalkulierten Geschäftes ist, durchaus kein „Abenteuer“..

[737]Und wenn schließlich Jemand auch noch von mir zu wissen begehrte: welches denn das vermutliche Schicksal der kapitalistischen Entwicklung (als Wirtschaftssystems) gewesen wäre, wenn wir uns die Entfaltung der spezifisch modernen Elemente des kapitalistischen „Geistes“ fortdenken, – wie erinnerlich, hat auch darüber Rachfahl einige m. E. recht leichtfertige Bemerkungen hingeworfen14[737] Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 651. – so kann man gewissenhafterweise darauf natürlich in summa nur antworten: das wissen wir nicht. Aber es darf an die großen Züge der Entwicklung erinnert werden, für solche Nichtfachleute wenigstens, welche von dem populären Irrtum, daß bestimmte technische „Errungenschaften“ die eindeutige Ursache der kapitalistischen Entwicklung gewesen seien,15 Weber greift das Thema kurz nach Erscheinen des „Antikritischen Schlußworts“ in seinem Diskussionsbeitrag zum Vortrag Werner Sombarts über „Technik und Kultur“ auf dem Ersten Deutschen Soziologentag im Oktober 1910 auf, in: Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.–22. Oktober 1910 in Frankfurt a.Μ. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1911, S. 95–101 (MWG I/12). meist nicht ganz loskommen: Der Kapitalismus des Altertums entfaltete sich ohne technischen „Fortschritt“, ja man kann geradezu sagen: gleichzeitig mit dem Aufhören technischer Fortschritte.16 Vgl. Weber, Agrarverhältnisse3 (vgl. die folgende Anm.), MWG I/6, S. 343 f. (mit Kontext). Die technischen Mehrleistungen des kontinentalen Mittelalters sind an Bedeutung für die Möglichkeit der modernen kapitalistischen Entwicklung nicht gering, aber freilich kein entscheidender „Entwicklungsreiz“. An objektiven Faktoren zählen letztlich bestimmte klimatische, die Lebensführung und die Arbeitskosten beeinflussende Momente, daneben solche, welche durch die zum erheblichen Teil durch den Binnen-Kultur-Charakter des Mittelalters (relativ, im Verhältnis zum Altertum, gesprochen) bedingte politisch-soziale Organisation der mittelalterlichen Gesellschaft und den daraus folgenden spezifischen Charakter der mittelalterlichen, speziell der binnenländischen Stadt und ihres Bürgertums erzeugt wurden, zu den wichtigsten der historischen Vorbedingungen (s. meinen schon zitierten Artikel im H[and-]W[örter-]B[uch] d[er] St[aats-]W[issenschaften]).17 Gemeint ist: Weber, Agrarverhältnisse3 (bereits zitiert oben, S. 731, Fn. 25), MWG I/6, S. 691 ff. Dazu treten gewisse, gegenüber dem Altertum zwar viel[738]leicht nicht absolut, aber doch der Struktur, Verbreitung und Bedeutung nach neue Organisationsformen im Gewerbe (Hausindustrie) als spezifisch ökonomisches Moment. Der große Entwicklungsprozeß, der zwischen den spätmittelalterlichen, noch immer höchst labilen, kapitalistischen Entwicklungsvorgängen und der, für den heutigen Kapitalismus entscheidenden, Mechanisierung der Technik liegt, ist durch die Schaffung gewisser wichtiger objektiv-politischer und objektiv-ökonomischer Vorbedingungen für diese letztere ausgefüllt, vor allem aber durch die Schaffung und Vorbereitung des rationalistischen und antitraditionalistischen „Geistes“ und des ganzen Menschentums, welches ihn praktisch in sich aufnahm: Die Geschichte der modernen Wissenschaft und ihrer erst [A 598]in der Neuzeit entwickelten praktischen Beziehungen zur Wirtschaft einerseits, die Geschichte der modernen Lebensführung in ihrer praktischen Bedeutung für dieselbe anderseits haben darüber die Hauptaufschlüsse zu geben. Von der letzteren Komponente ist in meinen Aufsätzen die Rede gewesen und sollte noch weiter die Rede sein.18[738] Weber plante, seine Aufsätze zur „Protestantischen Ethik“ fortzusetzen; vgl. die Einleitung mit Anhang, oben, S. 66 f. und 90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 464 f. mit Anm. 10. Die Entwicklung der praktisch-rationalen Methodik der Lebensführung ist selbstverständlich etwas von der Entwicklung des wissenschaftlichen Rationalismus Grundverschiedenesm[738]A: grundverschiedenes, mit ihm durchaus nicht einfach Gegebenes: die ersten Grundlagen der modernen Naturwissenschaft sind katholischen Gebieten und Köpfen entsprungen,19 Z. B. Nikolaus Kopernikus, der Kanoniker in Frauenburg, Bistum Ermland, war; der Italiener und Priester Giordano Bruno, ferner Galileo Galilei, der, in einem italienischen Kloster erzogen, zeitlebens sehr fromm war. Vgl. Windelband, Neuere Philosophie I, S. 54–57, 67–79 und S. 87–91. und erst die methodische Inbeziehungsetzung der Wissenschaft zu praktischen Zwecken ist vornehmlich „protestantisch“, ebenso wie gewisse spezifische[,] für die Methodik wichtige Denkprinzipien eine Art von Verwandtschaft mit protestantischer Denkweise gehabt zu haben scheinen (das Nähere führt zu weit). – Daß es gänzlich irrig wäre, die – noch so strenge – „Gläubigkeit“ als solche, in der damaligen Zeit ebenso wie später, als Hindernis der Entwicklung der empirischen Wissenschaft anzusehen, beweisen insbesondere die meisten englischen Heroen der Natur[739]wissenschaft, vom 17. Jahrhundert bis zu Faraday und Maxwelln[739]A: Maxwell, (von denen Einer bekanntlich noch im 19. Jahrhundert in der Kirche seiner Sekte gepredigt hat).20 [739] Von den beiden im 19. Jahrhundert für die Elektrizitätslehre bedeutenden Experimentalphysikern Michael Faraday und James Clerk Maxwell gehörte Faraday den in Schottland, mit wenigen Gemeinden auch in England und Amerika verbreiteten Sandemaniern an. Diese wurden 1728 von der Church of Scotland ausgeschlossen, weil sie eine lediglich geistige Verbindung von Kirchen- oder Gemeindegliedern und eine völlige Unabhängigkeit der Gemeinden untereinander und der Kirche vom Staat propagierten. Faraday war gewählter Gemeindeältester (1840–1844 und 1860–1864) und hielt regelmäßig die Predigt. Vgl. Thompson, Silvanus P., Michael Faradays Leben und Wirken, übers. von Agathe Schütte und Heinrich Danneel. – Halle a.S.: Wilhelm Knapp 1900, S. 220–230. Die praktische und zwar nicht nur gelegentliche, sondern methodische Einbeziehung der Naturwissenschaft in den Dienst der Wirtschaft ist einer der Schlußsteine jener Entwicklung der „Lebensmethodik“ überhaupt, zu welcher sowohl bestimmte Einflüsse der Renaissance, wie der Reformation, insbesondere in der von mir (bruchstückweise) beschriebenen Wendung, entscheidend beigetragen haben. Fragt man mich nun aufs Gewissen, wie hoch ich denn nun die Bedeutung, speziell dieses letzteren Momentes veranschlage, so antworte ich, nach stets aufs Neue wiederholter, gewissenhafter Überlegung lediglich: nach meiner Ansicht sehr hoch. Daß es „ziffernmäßige“ Teilungsschlüssel bei der historischen Zurechnung nicht gibt, liegt nicht an mir.21 Webers Antwort auf Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S. 654 f.

Genug und übergenug. Vor der Masse des „Publikums“, welchem ja wirklich nicht zugemutet werden kann, weil es eine schlechthin verständnislose und der Sache nach illoyale „Kritik“ gelesen hat, nun auch die „kritisierte“ Arbeit selbst eingehend zu lesen, behalten jene Art von Klopffechter-Naturen, zu denen Rachfahl als „Kritiker“ gehört (dies wenigstens habe ich, denke ich, nachgewiesen)[,] stets recht. Daß einem Ordinarius der Geschichte es passiert sein könne, zumal bei dieser Sicherheit des Auftretens, die ganze Frage, um die es sich handelt, infolge einer maßlos oberflächlichen Lektüre de parti pris fundamental mißzuverstehen[,] und daß er dann nicht die geeigneten Qualitäten in sich aufbringen sollte, um dies einzugestehen, wenn man es ihm zeigt, – dies wird sicher von Leuten, welche den Gegenstand nicht genau kennen, schwer geglaubt werden. Das ändert freilich nichts daran, daß dem eben leider doch [740]so ist, und daß [A 599]ich dies habe beweisen können30)[740][A 599] Wenn man seine früheren Äußerungen mit seinen jetzigen vergleicht, wird man freilich wohl auf die Vermutung kommen, daß die letzteren mehr eine Art „Strafe“ für mein freilich sehr respektwidriges Verhalten bedeuten, als irgend etwas Andres., zu meinem Bedauern auf Kosten des Raumes dieser Zeitschrift, welcher für notwendig – durch die ausschließliche Schuld des „Kritikers“ – sterile Polemiken nicht so im Überfluß bereitstehen kann, wie, anscheinend, derjenige der „Internationalen Wochenschrift“.22 [740] In der genannten Zeitschrift waren Rachfahl, Kalvinismus, und Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, erschienen; vgl. die Editorischen Vorbemerkungen, oben, S. 521 und 625.