[573][A 176]Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus.a[573] In A folgt: Von Max Weber.
[573] In A folgt: Von Max Weber.
In der „Internationalen Wochenschrift“ (3. Jahrgang, No. 39–43, 25. Sept.–23. Okt. 1909)
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veröffentlicht Professor Rachfahl eine Kritik meiner Aufsätze über die protestantische Ethik und den „Geist“ des Kapitalismus [573] Gemeint ist die Artikelfolge Rachfahl, Kalvinismus, abgedruckt oben, S. 521–572.
b
(Bd. XX, XXI dieser Zeitschrift, dazu ferner Bd. XXV, XXVI und den Artikel in der „Christl[ichen] Welt“ 1906 Sp.A: Kapitalismus“
c
558 ff., 577 ff.A: S.
1)
),[573][A 176] Diesen, von Tröltsch zitierten, Aufsatz
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läßt R[achfahl] bequemlichkeitshalber ganz bei Seite. Den Literaturhinweis auf Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, bringt Troeltsch in die von Rachfahl genannte Zweitauflage von 1909 (vgl. oben, Anm. 3) ein: Troeltsch, Protestantisches Christentum2 (wie oben, S. 42, Anm. 65), S. 753 (KGA 7, S. 528); bereits 1908 auch in: Troeltsch, Soziallehren I, S. 13, Fn. 8 (von Rachfahl allerdings nicht herangezogen). Vgl. dazu auch unten, S. 574 f., Anm. 9.
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auf welche, soweit sie sich (nebenher) auch gegen meinen Freund E[rnst] Tröltsch richtete, Weber, Protestantische Ethik I und II, oben, S. 123–215 und 242–425, seine Erwiderungen auf Fischers Kritiken: Weber, Kritische Bemerkungen, und Weber, Bemerkungen, oben, S. 478–490 und 498–514, sowie der in der Christlichen Welt erschienene Artikel: Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 435–462.
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dieser am gleichen Ort antworten wird. Rachfahls Kritik gilt außerdem Troeltsch, Protestantisches Christentum (er nennt auch die 2. Aufl. 1909: Troeltsch, Protestantisches Christentum2, wie oben, S. 42, Anm. 65, zitiert daraus aber nicht), und Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus (wie oben, S. 42 f., Anm. 65); vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 522 mit Anm. 3 und 4.
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Meinerseits ebenfalls – wie es das Natürlichste und für mich Zweckmäßigste gewesen wäre, – an der gleichen Stelle zu antworten, fühlte und fühle ich mich leider, trotz aller Schätzung des namentlich als Leiter der „Deutschen Literaturzeitung“ verdienstvollen Herausgebers, Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, erschien als Antwort auf Rachfahls Kritik am 9. und 16. April 1910 in der „Internationalen Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik“.
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behindert. Darüber, [574]daß die von F[riedrich] Althoff begründete Internationale Wochenschrift gewisse redaktionelle Gewohnheiten hat, denen ich mich nicht anzupassen geneigt sein würde, hätte ich hier, wo es sich um bloße Polemik handelt, natürlich ebenso, wie E[rnst] Tröltsch es tut, hinweggesehen. Aber die Redaktion hat es vorgezogen, gegenüber diesem fast ganz gegen mich gerichteten Artikel lediglich meinem nur nebenher betroffenen Kollegen Tröltsch anheimzustellen, ob eine Antwort beliebt werde. Paul Hinneberg war seit 1892 Herausgeber und Schriftleiter der wissenschaftlichen Rezensionszeitschrift „Deutsche Literaturzeitung“ (1880 ff.), die unter seiner Ägide großes Ansehen erwarb. Hinneberg, v.a. als Initiator und Editor der vielbändigen Enzyklopädie „Die Kultur der Gegenwart“ bekannt, war außerdem von 1907 bis 1910 Herausgeber der von Friedrich Althoff begründeten „Internationalen Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik“.
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Auch diese Unhöflichkeit – denn das ist sie unter den gegebenen Umständen – würde ich natürlich ignorieren. Allein auch mein Herr Kritiker hat die Gepflogenheit angenommen, uns beide als Kollektivität zu behandeln, um uns für einander verantwortlich machen zu können, – was den Vorteil bot, daß wirkliche [oder angebliche][574] Zur ,ungleichen‘ Behandlung von Weber und Troeltsch durch die „Internationale Wochenschrift“ vgl. den Editorischen Bericht, oben, S. 517.
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Irrtümer des Einen den Andren mitzutreffen scheinen. Und er hat sich dabei andrerseits doch auch den weiteren Vorteil nicht entgehen lassen, je nach Bedarf auch wieder den Einen von uns gegen den Andern auszuspielen, so daß nun jene Kollektivität „Weber-Tröltsch“,[574] [ ] in A.
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welche als Träger der Ansichten sowohl des Einen wie des Andern hingestellt ist, sich in offenbarem innerem Widerspruch zu befinden scheint. Angesichts dieser, beiläufig bemerkt, wenig loyalen, Praxis scheint es mir zweckmäßig, auch äußerlich [A 177]meine eignen Wege zu gehen und überdies ausdrücklich, ebenso wie Tröltsch dies zweifellos seinerseits tun würde, jede Verantwortung für das, was nicht ich gesagt habe, abzulehnen. Es sei gestattet, noch Folgendes hinzuzufügen Vgl. dazu auch Rachfahls Bezeichnungen wie: der „Troeltsch-Weberschen These“ (Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 557, auch ebd., S. 549), das „Troeltsch-Webersche“ Schema (ebd., S. 556), des „Troeltsch-Weberschen“ Begriffs (ebd., S. 541) oder „Weber und Troeltsch“ (ebd., S. 533 und 543); näherhin den Editorischen Bericht, oben, S. 516 f.
e
. Wer unsre beiderseitigen Aufsätze wirklich gelesen hat, weiß, daß Tröltsch für seine Zwecke und Aufstellungen meine Resultate (abgesehen von dem von Rachfahl gar nicht miterörterten Sektenbegriff – vgl. Archiv XXI S. 63, 64 Anm. 1, und den zit[ierten] Arti[575]kel in der „Christl[ichen] Welt“)A: hinzufügen
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überhaupt nicht benötigt. [575] Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 346 und 347 mit Fn. 123; Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 435–462.
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Seine Resultate könnten richtig sein, auch wenn die meinigen falsch wären und umgekehrt. Er entwickelt den historischen Prozeß des Aufbaues der Soziallehren der christlichen Kirchen, Troeltsch, Protestantisches Christentum2 (wie oben, S. 42, Anm. 65), die überarbeitete Zweitauflage von 1909 ist durchgehend um die „Gegenüberstellung Kirchentypus und Sektentypus“ ergänzt (vgl. Drehsen, Volker und Christian Albrecht, Einleitung zu KGA 7, S. 33). Zum Sektentypus vgl. Troeltsch, ebd., S. 506 f. und 513 f. (KGA 7, S. 178 f. und 188–190).
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– ich habe bisher nur ein bestimmtes Phänomen der Lebensführung in seiner (ursprünglich) religiösen Bedingtheit verständlich zu machen gesucht. Wenn er gelegentlich sich auf Darlegungen von mir bezogen hat V.a. in: Troeltsch, Soziallehren I–III.
2)
, so handelte es sich (außer in jenem hier gar nicht zur Debatte stehenden einen Falle: Kirche und Sekte) stets um für sein Problem peripherisch liegende Berührungen seiner Resultate mit den meinigen. Und es scheint mir am Platze, hier auch sehr nachdrücklich festzustellen, daß überhaupt keinerlei, auch keine latente, Kollektiv-Arbeit vorliegt. Meine Arbeiten über diese Dinge, die ich z. T. schon vor 12 Jahren im Kolleg vortrug,[575][A 177] Dabei sind Tröltsch wohl in einigen wenigen (für sein Thema gänzlich irrelevanten) Punkten Formulierungen untergelaufen, die, – wie es bei solchen, notgedrungen stark verkürzten, Wiedergaben fremder Ansichten kaum vermeidlich ist, – nicht ganz meinen Aufsätzen entsprechen. Es blieb der illoyalen Kleinlichkeit einer „historischen“ Kritik vorbehalten, diesen Umstand zu fruktifizieren: Rachfahl war über jenen Sachverhalt in keinem Punkt im Zweifel.
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sind nicht (wie Rachfahl nach Tröltsch annimmt) Gemeint sein könnte Webers Vorlesung „Praktische Nationalökonomie“ (MWG III/2), die er im Wintersemester 1897/98 in Heidelberg hielt. Auch seine Vorlesung „Allgemeine (,theoretische‘) Nationalökonomie“ (MWG III/1), die er in den Sommersemestern 1897 und 1898 hielt, enthält hierzu Ansatzpunkte. Vgl. ausführlich die Einleitung, oben, S. 4–7.
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erst durch Sombarts „Kapitalismus“ veranlaßt worden (s. darüber meine ausdrückliche Bemerkung [576]Archiv XX S. 19 Anm. 1). Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus (wie oben, S. 42 f., Anm. 65), S. 43 (KGA 8, S. 272), schreibt: „[…] die eigentliche Bedeutung des Calvinismus für den Aufschwung des modernen Kapitalismus liegt viel tiefer. Sie ist neuerdings von Max Weber aufgezeigt worden, der seinerseits den scharfsinnigen Analysen Sombarts über das Wesen des kapitalistischen Geistes nachging und nach den seelischen Vorbedingungen und Ursachen für die Entstehung dieses Geistes suchte.“ Daran schließt sich das bei Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 525 f., wiedergegebene Zitat Troeltschs an. Bezug ist Sombart, Der moderne Kapitalismus I.
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Es mag schon sein, daß Tröltsch, der auf völlig eignen Wegen ebenfalls schon lange vorher dem ihn interessierenden Thema nachging, wie durch andre Schriftsteller, so auch durch einzelne Bemerkungen meiner Aufsätze zum Überdenken mancher seiner Probleme unter ökonomisch-soziologischen Gesichtspunkten mit angeregt wurde, wie er dies gelegentlich ausgesprochen hat. [576] Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 154 f., Fn. 27.
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Aber keinerlei „Übernahme“ einer „Theorie“ des Einen durch den Andern, sondern einfach die Sache: der Umstand, daß Jeder, der diese Zusammenhänge überhaupt einmal sieht, zu einer ähnlichen Betrachtungsweise gelangen muß, ist es, welcher dazu geführt hat, daß allerdings die Resultate Tröltschs auf seinem weit umfassenderen Problemgebiete derartige sind, daß die wesentlichen Züge dessen, was ich für mein Problem ausgeführt habe, sich recht gut als Ergänzung einfügen lassen. Hätte ich meinen Aufsatz fortgesetzt, Vgl. z. B. das Troeltsch-Zitat, oben, S. 575, Anm. 13.
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so würde ich die Aufgabe gehabt haben, große Teile des jetzt von Tröltsch bearbeiteten Gebiets mitzubehandeln. Ich würde das, als Nicht-Theologe, sicherlich niemals in der Art haben durchführen [A 178]können, wie es durch Tröltsch geschehen ist. Soweit aber meine eignen früheren Studien mir ein Urteil gestatten, sehe ich keine irgendwie entscheidenden Punkte, wo ich einen Grund zum Widerspruch gegen seine Darstellung hätte. Am allerwenigsten kann ich einen solchen aus den Trivialitäten entnehmen, die Rachfahl ihm entgegenhält. Aber die wissenschaftliche Verantwortlichkeit für das von ihm Gesagte gegenüber der Kritik wird Tröltsch natürlich ebenso ausschließlich zu tragen haben, wie, für meine Ausführungen, ich. Ich habe die vorhergehende Bemerkung über Tröltschs Artikel nur um deswillen gemacht, damit Kritiker von der Eigenart Rachfahls nun aus dieser Trennung der Verantwortungen nicht eine Ablehnung der Tröltschschen Resultate durch mich herauslesen. Damit zur Sache. Zur geplanten Fortsetzung der Protestantismus-Aufsätze vgl. die Einleitung, oben, S. 66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S. 90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 464 f. mit Anm. 10.
Die Schiefheiten der Rachfahlschen Polemik beginnen schon mit dem ersten Worte der Überschrift seines Aufsatzes: „Kalvinis[577]mus und Kapitalismus“.
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Bei mir ist vom ersten Male an [577] Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 521.
3)
, daß der Calvinismus überhaupt (im Gegensatz gegen Katholizismus und Luthertum) genannt wird, von ihm in vollster Gleichstellung mit denjenigen Sekten (oder sektenartigen Bildungen innerhalb der Kirche) die Rede, welche ich in der Überschrift zum zweiten Kapitel meines Aufsatzes und durchweg innerhalb desselben als ,,asketischen Protestantismus“ zusammengefaßt habe.[577][A 178] Dieses Archiv XX, S. 10, 50 unten, 52 unten.
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Auf S. 10 ist hervorgehoben, daß wenigstens der direkte Zusammenhang zwischen „Askese“ und bürgerlicher Reichtumsbildung bei den asketischen Sekten (Quäkern, Mennoniten usw.) oft „noch eklatanter sei“ als beim Calvinismus. Warum weiterhin der Calvinismus zuerst und in besonderer Ausführlichkeit (XXI, S. 5–38) Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 137 f. (mit Fn. 16), S. 210 und 213, das Zitat im folgenden Satz ebd., S. 137.
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behandelt wurde, ist (XXI S. 36) Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 247–307.
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eingehend motiviert: weil er in Bezug auf die Antriebe zur methodischen Lebensgestaltung, welche seine Dogmatik enthält, mir, als die „konsequenteste“ Antithese zum (Katholizismus und) Luthertum, dazu am geeignetsten erschien. Den 33 Seiten, welche den Calvinismus analysieren, folgen aber alsdann immerhin grade ebensoviele (XXI S. 39–72) Weber, ebd., oben, S. 304.
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über die übrigen asketischen Denominationen. Weber, ebd., oben, S. 307–364.
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In denkbar größter Breite polemisiert nun (um dies vorweg abzumachen) Rachfahl – es ist dies eigentlich das Einzige, was er selbst am Schluß seiner seltsamen „Kritik“ von dieser letzteren unbedingt aufrechterhält Die Überschrift lautet: „II. Die Berufsidee des asketischen Protestantismus“, Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 242, darin die Ausführungen S. 242–366.
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– gegen den Namen „Askese“ für diejenige Art der Lebensführung, die ich zu analysieren versucht habe. Zwar hat er selbst am Beginn seiner Artikel (Sp. Gemeint ist der Schlußabschnitt von Teil IV, vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 562. (Teil V enthält, anders als die vorangehenden Teile, keine direkte Auseinandersetzung mit Weber oder Troeltsch.)
f
1217 Zeile 7)[577]A: (S.
20
nicht wohl umhin gekonnt, den gleichen Ausdruck für die gleiche Sache zu gebrauchen Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 522, Zeile 7: „,asketischer‘ Ernst“.
4)
. Allein wir werden sehen, daß diese sich in seiner „Kritik“ [578]stetig wiederholende Verschiedenheit des Maßstabes für sich und Andre ihn niemals stört, – und es ist ja schließlich auch ein Unterschied, ob der historische „Fachmann“ oder der outsider, der die Geschichte „konstruiert“, Die Abweichung mir gegenüber besteht lediglich in den dem Wort „asketisch“ hinzugefügten Gänsefüßchen. (Um ein Zitat handelt es sich nicht.)
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ein und dasselbe sa[A 179]gen! Askese ist nach ihm „Weltflucht“, [578] „Solche Konstruktionen, die aller quellenmäßigen Begründung entbehren, können nicht mehr als wirkliche Geschichtsforschung gelten“, urteilt Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 548, über Weber.
26
und da die Puritaner (im weiten, alle „asketischen“ Sekten einschließenden Sinn) keine Mönche oder ähnliche kontemplative Existenzen gewesen sind, so ist eben das, was ich „innerweltliche Askese“ nenne, Rachfahl möchte allein das mittelalterlich-katholische Verständnis von Askese gelten lassen, vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 541, auch S. 542.
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schon an sich ein „falscher“ Begriff, der vor allem eine Verwandtschaft mit der katholischen Askese irrtümlich voraussetzt. Zur „innerweltlichen Askese“ vgl. Weber, Protestantische Ethik II, S. 290–298, bes. S. 294.
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Ich kann mir nun schwer eine sterilere Polemik denken, als eine solche um Namen. Der Name ist mir für jeden andern feil, der besser paßt. So lange wir uns aber nicht entschließen, jedesmal ad hoc gänzlich neue Worte zu prägen oder aber, nach Art der Chemie oder der Avenariusschen Philosophie mit Buchstabenbezeichnungen zu operieren Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, explizit S. 543, wiederholt S. 562.
5)
,[578][A 179] Ob wenigstens das Erstere nicht oft nützlich wäre, steht dahin. Ich halte es für ein Verdienst von Knapp, daß er den Mut hatte, es umfassend zu tun;
30
ebenso geschieht es [579]z. B. mit augenfälligem Erfolg für die Unzweideutigkeit in Alfred Webers Buch über die Standorte der Industrie. Georg Friedrich Knapp schreibt im Vorwort seines Werkes „Staatliche Theorie des Geldes“ (Leipzig: Duncker & Humblot 1905), S. VII: „[…] für meinen Zweck, die metallistische Auffassung durch eine staatswissenschaftliche zu ersetzen, war ich genötigt, eine ausgebildete Kunstsprache zu schaffen.“ Diese ist zusammengestellt in dem „Register der technischen Ausdrücke“, S. 395–397 (z. B. „Lytron“ für „Zahlungsmittel“, davon abgeleitet „Lytrologie“ und „lytrologisch“). Vgl. dazu auch den Brief Max Webers an Georg Friedrich Knapp vom 22. Juli 1906, MWG II/5, S. 115–117. Später, in den „Soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens“, kommt Weber auf diese Kunstsprache zurück. Vgl. MWG I/23, S. 373, 415 ff. u.ö.
33
Allein bei unsren Lesern begegnet es heute noch allzu oft einem ablehnenden Kopfschütteln, und vor allem widerstrebt die Professoreneitelkeit grundsätzlich der Akzeptierung irgend einer nicht von dem betreffendem selbst geprägten Bezeichnung. Vgl. Weber, Alfred, Standort, darin die Übersicht über die von ihm verwendeten technischen Ausdrücke (z. B. Agglomeration, Isodapanen, Ubiquitäten), S. 224.
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müssen wir für einen Sachverhalt, der noch keine Bezeichnung trägt, die möglichst nächstliegenden und bezeichnendsten Worte [579]der traditionellen Sprache nehmen und nur besorgt sein, sie – wie ich es bezüglich der „innerweltlichen Askese“ m. E. genugsam getan habe – unzweideutig zu definieren. Was aber die Sache – die innere Verwandtschaft mit der katholischen Askese – anlangt, so erinnere ich nur beiläufig daran, daß ein Mann wie Ritschl in der Identifikation der (in meinem Sinn) asketischen Züge des „Pietismus“ (bei ihm weit gefaßt) Richard Avenarius begründete die „Empiriokritizismus“ genannte erkenntnistheoretische Richtung (Hauptwerk: „Kritik der reinen Erfahrung“, 2 Bände, 1888–1900). Für das „Ich“ und seine „Umgebung“ beschreibt er die Abhängigkeit des einen vom anderen. Dazu entwickelt er ein Zeichensystem: R-Werte sind die Umgebung, C-Werte das Nervensystem des Individuums, E-Werte sind die Erfahrung, abhängig von C und R und geschieden in „Elemente“ (Empfindungsinhalte) und „Charaktere“ (subjektive Reaktion auf die Empfindungen).
g
mit „katholischen“ Resten im Protestantismus so weit gegangen ist, daß ich seine Darstellung in dieser Hinsicht ausdrücklich einzuschränken versuchte.[579]A: gefaßt),
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Und wenn schon unter den Zeitgenossen der Reformation ein Mann wie der von Tröltsch mit Recht zitierte Sebastian Franck [579] Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, S. 308–310, Fn. 76, dort mit Bezug auf Ritschl, Pietismus.
h
geradezu eine ihrer Leistungen darin erblickte, daß fortan nicht mehr nur die Berufsmönche, sondern jeder Mensch sein Leben lang eine Art Mönch sein müsse,A: Frank
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– so meinte er damit in der Sache durchaus das Gleiche wie ich und verdient also von Rachfahl ebenso wie ich die ernste Mahnung, doch zu bedenken, daß ein Mönch ja keine Frau haben, kein Geld erwerben, überhaupt nicht sich an die Dinge dieser Welt hängen dürfe, also jener Ausdruck höchst unpassend sei. Nun weiß aber doch jeder, daß, wenn wir heute von „Askese“, sei es nun speziell auf sexuellem Gebiet oder dem des „Lebensgenusses“ überhaupt, sei es hinsichtlich des Verhaltens etwa zu ästhetischen oder sonstigen, nicht „ethischen“ Werten reden, wir ja [580]damit eine, dem Wesen der Sache nach ganz ebensolche Lebensführung meinen, wie sie der gesamte Puritanismus (nicht eben nur: der Calvinismus, sondern erst recht: das Täufertum und was ihm nahe stand) zur Pflicht machte. Ein Lebensideal also, welches – „Die Weltverleugnung ist allen Christen geboten, hilft nicht, daß du es von dir schiebst auf die Münch“. Zitat Sebastian Francks bei Troeltsch, Protestantisches Christentum, S. 263 (KGA 7, S. 100). Das Zitat entstammt Sebastian Francks Schrift „Von dem greüwlichen laster der trunckenhayt“ von 1528, zitiert nach: Hegler, Alfred, Geist und Schrift bei Sebastian Franck. Eine Studie zur Geschichte des Spiritualismus in der Reformationszeit. – Freiburg i. B.: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1892, S. 26 (vgl. Troeltsch, KGA 7, S. 100, Anm. 11).
i
nur eben mit dem Unterschiede, daß die „Askese“ sich innerhalb der Ordnungen der Welt: Familie, Erwerbsleben, soziale Gemeinschaft[,] zu bewegen hat und folglich [A 180]in ihren materiellen Anforderungen entsprechend modifiziert ist, – in der Tat jenen protestantischen Richtungen mit den rationalen Formen der als Lebensmethodik geregelten mönchischen Askese dem „Geiste“ nach gemeinsam war: ich habe das ja für verschiedene[,] auch außerhalb des „Erwerbs“ liegende Lebenssphären skizzenhaft, aber doch immerhin wohl soweit unmißverständlich dargelegt, daß ich hier auf eine Wiederholung verzichten darf[580]A: welches,
6)
. Selbst die Mittel, mit denen die protestantische Askese arbeitet, gehen, wie ich [581](XXI S. 77 ff.)[580][A 180] Wenn Rachfahl Sp. 1249
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sagt: „Dem reichen Geschäftsmann, von dem Weber erzählt, daß er nur mit Mühe zu dem ihm ärztlich verordneten Austerngenuß zu bewegen war, kann wohl jedermann … mehr als einen Kapitalisten entgegenstellen, an dessen ,kapitalistischem Geist‘ im üblichen Sinn (NB!) … nicht zu zweifeln ist, … der sich aber … die köstlichen Schaltierchen sehr wohl munden läßt. … Fast möchte ich glauben, daß die Delikateßhändler, falls in der Sphäre des kapitalistischen Geistes plötzlich asketische Lebensgewohnheiten einzögen, aus Mangel an Kundschaft ihre Läden schließen könnten“, – so ist dies Niveau einer „Kritik“ wohl nicht sehr hoch gegriffen. Was der „übliche Sinn“ des „kapitalistischen Geistes“ ist, kümmerte mich nicht, auch nicht, ob das „Tiergartenviertel“ [580] Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 534. Rachfahl greift an dieser Stelle seinerseits das illustrative Beispiel Webers, wie unten, Anm. 36, auf.
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oder die „Agrarier“ oder Leutnants und andre junge Leute mit üppigem Geldbeutel die meisten Austern konsumieren. Sondern es kam mir bei jenem (gänzlich beiläufig erwähnten!) Beispiel Am Südrand des Berliner Tiergartens entstanden in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts vornehme Villen, auf deren begüterte Bewohner Weber hier anspielt.
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an auf die Illustration einer sehr spezifischen innerlichen Beziehung zum Erwerb und Besitz: des Gefühls der „Verantwortung“ gegenüber dem eigenen Vermögen, welches „irrationale“ Ausgaben nicht nur ablehnt, sondern wie eine eigentümliche Art von „Versündigung“ ansieht (was mit gewöhnlichem Geiz, von dem Rachfahl an andrer Stelle redet, Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 407, Fn. 63.
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nichts zu schaffen hat). Es ist ein asketisches Bedenken gegen den Genuß als solchen. Anspielung auf Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 535.
38
bemerkt habe, gänzlich parallel. Ich habe andrerseits daran [581] Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 371 ff.
j
erinnert, daß grade die Askese der Klöster es war, welche sie zu ihren ökonomisch so erheblichen Leistungen befähigte:[581] Fehlt in A; daran sinngemäß ergänzt.
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– ich hätte noch hinzufügen können, daß die rational-asketischen Sekten oder sektenartigen Gebilde des Mittelalters in der Eigenart ihrer bürgerlichen Gebahrung sehr regelmäßig schon ganz ähnliche Züge aufweisen, wie (namentlich) die täuferischen Sekten später und wie die entsprechende Kategorie der russischen Sekten (nicht alle gehören dazu!) Vgl. Weber, ebd., oben, S. 415.
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bis in die letzte Zeit. Daß „der Altprotestantismus“ als Ganzes die Askese „vom mittelalterlichen Katholizismus übernommen“ habe (Sp. 1263)[,] Nicht alle aus dem „Raskol“ hervorgegangenen, aber die rationalistischen russischen Sekten, darunter Duchoborzy und Molokani (vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 480 mit Anm. 16). Vgl. dazu auch Weber, Zur Lage der bürgerlichen Demokratie in Rußland, MWG I/10, S. 164 f., Fn. 42.
41
ist eine der zahlreichen törichten Behauptungen, die Rachfahl mir unterschiebt. Es steht bei mir ausführlich zu lesen, wie scharf und rücksichtslos von seiten des lutherischen, anglikanischen und sonstigen (in meinem Sinn) nicht „asketischen“ Alt-Protestantismus jene von mir analysierten Züge als „Werkheiligkeit“ – genau wie das Mönchtum des Katholizismus – angegriffen wurden. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 543.
42
Der Protestantismus ist sehr weit davon entfernt gewesen, in der Stellung zur Askese (in meinem Sinn) eine Einheit zu bilden. Ich weiß vorerst zur gemein[A 181]samen Charakterisierung der von mir behandelten Gruppen gegenüber dem Luthertum, dem Anglikanismus und den abgeblaßteren Spielarten der reformierten Konfession kein besseres Wort als „asketisch“. Jene gemeinsamen Unterschiede aber sind vorhanden. Und die Entwicklung, welche jene „asketischen“ Gruppen nahmen, ist genau ebenso ein Produkt der unter dem Namen der „Reformation“ zusammengefaßten Vorgänge, wie etwa das „Gnesioluther[582]tum“, Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 285–288.
k
[582]A: „Gnesioluthertum“ –
43
dessen „Geist“ sich übrigens von dem des Luther der 1520er Jahre weiß Gott nicht weniger unterschied, wie – was ich selbst nachdrücklich hervorgehoben habe [582] Begriff (von griech. gnḗsios, „echt“) für eine Bewegung, die bei den entstehenden Lehrstreitigkeiten innerhalb der Wittenberger Theologie in besonderer Weise Luthers Erbe bewahren und dieses vor Überfremdung schützen wollte. Einen anderen Ansatz vertraten der vermittlungsbereitere Philipp Melanchthon und seine Anhänger („Philippisten“). Vgl. auch das Glossar, unten, S. 829 f.
6a)
und, wie fast immer, trotzdem (oder auch: eben deshalb) von Rachfahl belehrend entgegengehalten bekomme[582][A 181] XXI S. 6 Anm. 5.
48
Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 250, Fn. 5.
44
– der mich interessierende „Calvinismus“ von den persönlichen Ansichten Calvins selbst. Was aber ist das für eine Art von „Historiker“, der, weil eine Erscheinung (die puritanische Erwerbsethik) von immerhin (wie er selbst zugibt) mächtiger Tragweite ihm, als nicht „ethisch“ (Sp. 1250, 1324) Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, etwa S. 536–538, 554 f., 558 u.ö.
45
und antipathisch, nicht in das – begriffliche – Schema hineinpaßt, welches er sich von dem Gang der Entwicklung der protestantischen Ethik gemacht hat, wie er – eigentlich hätte sein sollen (denn darum handelt es sich hier in Wahrheit), nun jene Erscheinung (NB.! die Erscheinung selbst, nicht etwa meine Darstellung derselben) mit Werturteilen wie: „Verzerrung“ Rachfahl, ebd., oben, S. 534.
46
u. dgl. bewirft? „Verzerrung“: Rachfahl, ebd., oben, S. 555.
7)
Was ist das für ein Methodiker, der (Sp. 1294) Wie überhaupt, so kommt es auch hier Rachfahl nicht darauf an, nur zum Zweck effektvoller Polemik jeweils das grade Gegenteil voneinander zu sagen. Das gleiche Streben nach dem Gewinn um des Gewinnes willen, welches auf Sp.
l
1320A: S.
49
(bei Fugger) sehr wohl einer „ethischen Maxime der Lebensführung“ entsprungen sein kann, kann auf Sp. 1250, 1255 Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 552.
50
überhaupt nicht „ethisch“ genannt werden, weil es R[achfahl] verwerflich findet. Rachfahl, ebd., oben, S. 534 und 537.
47
die sonderbare These aufstellt: in England sei die Existenz des kapitalistischen Geistes „auch ohne dies“ (das religiöse) „Moment zu begreifen“, obschon „wir keineswegs seinen Einfluß leugnen wollen“. Also: ein „Moment“, welches kausal wichtig war für einen bestimmten Zusammenhang, [583]welches aber dennoch der „Historiker“ auch als irrelevant bei Seite lassen kann, wenn er jenen Zusammenhang „begreifen“ will. Statt „begreifen“ dürfen wir hier doch wohl „konstruieren“ sagen, Rachfahl, ebd., oben, S. 548.
51
und finden so bei Rachfahl, mit seinem ressortpatriotischen Eifer gegen die nicht zünftigen „Geschichtskonstrukteure“, einen „Idealtypus“ jenes so häufigen Verfahrens, welches Historikern zu passieren pflegt, wenn sie ungeklärte, mit Vorurteilen und Werturteilen durchsetzte Begriffe verwenden, ohne dies zu bemerken. [583] Vgl. dazu oben, S. 578 mit Anm. 25.
Einen abgestempelten „Askese“-Begriff gibt es nicht
8)
. Daß man den Begriff sehr viel weiter fassen kann[,] als ich es getan habe, wo ich die von mir als „innerweltliche“ Askese bezeichnete Art der Lebensführung mit der „außerweltlichen“ Askese des Mönchtums verglich,[583] Man vergleiche nur die ganzen Ausführungen Sp. 1260, 1261
n
.A: 1250, 1251
56
Rachfahl, ebd., oben, S. 540 f.
52
[A 182]ist einigermaßen selbstverständlich und von mir selbst zugegeben: ich spreche bei der katholischen Askese ausdrücklich von der rationalisierten Askese (wie sie in höchster Potenz der Jesuitenorden aufweist) im Gegensatz z. B. zu „planloser Weltflucht“ (auf katholischer Seite) und bloßer Gefühls-„Askese“ (auf protestantischer Seite). Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 290–298, „innerweltliche“ Askese S. 294 (der Begriff „außerweltliche“ Askese fällt dort allerdings nicht).
53
Mein Begriff ist daher z. B. ein von dem Tröltschschen ausdrücklich abweichender, wie jedermann, bei irgendwelchem guten Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 290 f., 315 (dort: „stärkere Pflege der Gefühlsseite der Religion“) u.ö.
m
Willen, sehen muß – auch Rachfahl. Dieser hat es auch „gesehen“. Er redet[583]A: gutem
9)
sogar von „fundamentalen“ Gegensätzen unsrer beiderseitigen Auffassung. Trotzdem aber, wo es ihm grade paßt, schlägt er sich mit einem „Tröltsch-Weberschen“ Begriff[A 182] Sp. 1257.
57
Freilich töricht genug: Es handelt sich einfach um Unterschiede der Terminologie, nicht aber der Sache. Rachfahl, ebd., oben, S. 539.
54
der Askese herum, und trägt zu dessen „Widerlegung“ allerlei unter einander verschiedene „Askese“-Begriffe anderer Schriftsteller zusammen, Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 541 und ebd., Anm. 19.
55
die für deren Zwecke passend sein [584]mögen, nicht aber für die meinigen. Daß man ferner die „Rationalisierung“ des Lebens unter sehr verschiedenen Gesichtspunkten vornehmen, also darunter auch sehr Verschiedenes verstehen kann, steht ausführlich am Anfang meiner Erörterungen (XX, S. 35) und ist zum Überfluß auch später (XXVI S. 278) scharf hervorgehoben worden. Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S. 541, Anm. 18 und 19. Rachfahl bezieht sich dort auf lexikalische Artikel über „Askese“.
58
– Trotzdem (oder vielmehr eben deshalb) hält mir Rachfahl (Sp. 1263) [584] Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 176 f., und Weber, Bemerkungen, oben, S. 504 f., Fn. 2.
59
auch dies als „Einwand“ entgegen, – obwohl auch hier, wie ihm genau bekannt ist, alles, was ich für meine Zwecke darunter verstehe, hinlänglich deutlich gesagt war. Ich gestehe, daß ich eine solche Art der Diskussion für ziemlich wertlos halte und es ein etwas starkes Stück finde, wenn ein Schriftsteller, der in solchem Maße von der durch bloße Wort-„Kritik“ künstlich und absichtsvoll angerichteten Konfusion lebt, die Befürchtung äußert, mein bestimmter, deutlich ad hoc geschaffener Sprachgebrauch könne „grundlegende Unterschiede verwischen“. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 542.
o
[584]A: verwischen.“
60
Man versuche doch, das Positive aus den Vgl. Rachfahl, ebd.
p
Rachfahlschen verschwommenen Plaidoyers herauszuschälen und frage sich dann: wo denn hier noch „grundlegende“ Unterschiede zu finden sind? A: dem
Doch kehren wir zum Ausgangspunkt zurück. Rachfahls ganz willkürliche Beschränkung des Themas auf den „Calvinismus“ bleibt fast für die gesamte Argumentation gegen mich maßgebend
10)
. Gleich das eigentliche Thema der Polemik wird (Sp.[584] Obwohl er bei der Inhaltsangabe meines Aufsatzes (Sp.
r
1228)A: (S.
62
und ganz gelegentlich auch späterhin einmal nicht umhin kann, meine entsprechenden Ausführungen selbst wiederzugeben. Rachfahl, ebd., oben, S. 528. Mit der folgenden Stelle („späterhin einmal“) ist gemeint: ebd., oben, S. 539.
q
1217)A: (S.
61
darauf abgestellt, und an zahlreichen Stellen der Aufsätze kehrt die gleiche Verdrehung des Diskussionsobjekts wieder, wie sie denn auch für die einzige ernsthafte These, die mir entgegengehalten wird, überhaupt erst die Möglichkeit bietet. Rachfahl, ebd., oben, S. 521.
[585]Diese These möge zunächst erledigt werden. R[achfahl] ist überzeugt von der überragenden Rolle, welche die „Toleranz“ als solche für die ökonomische Entwicklung besessen habe.
63
Nun befinde ich mich, [A 183]wie jeder Leser meiner Aufsätze weiß, in dieser Hinsicht keineswegs im Gegensatz zu ihm, habe vielmehr selbst diese – in meine Darstellung, soweit sie bisher reicht, [585] Über die „Toleranz“ vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 560 f. und S. 562–572.
64
im Einzelnen noch nicht hineingehörigen – Zusammenhänge erwähnt (XXI S. 42 Anm. 1). Hinweis auf die geplante Fortsetzung der „Protestantismus-Aufsätze“, vgl. dazu die Einleitung, oben, S. 66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S. 90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 464 f. mit Anm. 10.
65
Aber dabei liegt der für mich entscheidende Punkt darin: daß zwar ganz gewiß jede Art von Toleranz unter den damaligen Verhältnissen dazu beitragen mußte, „das Land zu peuplieren“, Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 311–315, Fn. 78.
66
auswärtige Vermögen, auswärtige Gewerbe zu importieren, – daß mich aber diese Seite der Sache nicht interessiert. Für die Entwicklung desjenigen Habitus, den ich (ad hoc und lediglich für meine Zwecke) „kapitalistischen Geist“ getauft habe, kam es ganz offenbar darauf an, wem die Toleranz im konkreten Falle zugute kam. Waren dies z. B. Juden oder (in dem von mir – XXI, S. 28 f., Wahrscheinlich Anspielung auf die preußische „Peuplierpolitik“, begonnen von Friedrich Wilhelm von Brandenburg (reg. 1640–1688), dem Großen Kurfürsten, der nach dem Dreißigjährigen Krieg den entvölkerten Gebieten sowie dem einheimischen Gewerbe durch Ansiedlung von Glaubensflüchtlingen, in erster Linie von Hugenotten (Edikt von Potsdam 1685), zu neuem Aufschwung verhelfen wollte. Seine Nachfolger setzten diese Politik fort. Freilich wollten auch Katharina die Große und Maria Theresia ihr Land ,peuplieren‘.
67
– gebrauchten Sinn des Wortes) „asketische“ christliche Denominationen, dann wirkte sie regelmäßig im Sinn der Verbreitung dieses „Geistes“ – aber natürlich war dann diese Wirkung nicht einfach Folge der „Toleranz“ als solcher. Und vollends ist ganz generell der Grad der „Toleranz“ sehr weit davon entfernt gewesen, maßgebend zu sein für den Grad der Entwicklung „kapitalistischen Geistes“ (immer: in meinem Sinn). Denn es ist ja grade umgekehrt bekannt (vgl. XX, S. 5), Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 290–292.
68
daß unvollständige Toleranz, namentlich: der systematische Ausschluß konfessioneller Minoritäten von der staatlichen und sozialen Gleichberechtigung, die Deklassierten [586]sehr häufig in besonders starkem Maße auf die Bahn des ökonomischen Erwerbes zu treiben sich geeignet zeigte, und dem entspricht es, daß die „Kirchen unter dem Kreuz“ Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 130 f.
69
am meisten daran beteiligt erscheinen. Grade diese Tatsache hebt denn auch der von Rachfahl zitierte Sir William Petty (Political Arithmetick, Ausgabe London 1691 S. 26) [586] Verfolgte oder um ihre Selbstbehauptung ringende Kirchen; vgl. auch das Glossar, unten, S. 833.
70
nachdrücklich hervor: überall seien es die Heterodoxen, welche das „Geschäft“ in der Hand haben, insbesondere seien in den von der römischen Kirche beherrschten Ländern „drei Viertel“ des Geschäfts in ketzerischer Hand. Nun aber stehen wir – und diese Ergänzung gibt der Situation erst die Pointe – vor der Tatsache, daß entrechtete oder doch zurückgesetzte katholische Minoritäten – wie ich sofort hervorgehoben hatte (XX S. 6) „[…] in that part of Europe, where the Roman Catholick Religion now hath, or lately hath had Establishment; there three quarters of the whole Trade, is in the hands of such as have separated from the Church […]“ (Petty, Political Arithmetick, p. 26; ebd. als „the Hetrodox [sic, Ed.] part of the whole“ bezeichnet). Auf diese Stelle bezieht sich Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 558.
71
– diese Erscheinung in irgend unzweideutiger Weise nirgends gezeigt haben, bis heute nicht Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 130 f.
11)
, daß ferner jene Erscheinung auch bei lutherischen Minderheiten in solcher Weise wie bei den „asketischen“ Denominationen nirgends zu konstatieren gewesen ist, – während andrerseits keineswegs nur in der Minorität befindliche, sondern ganz ebenso auch herrschende calvinistische, quäkerische, baptistische Schichten die sonst für ihre ökonomische Gebahrung und Lebensführung charakteristischen Eigentümlichkeiten aufzuweisen pflegen. Und wo „asketische“ protestantische mit andern christlichen Denominationen gleichberechtigt konkurrieren, war die Regel, daß die ersteren die Träger des Geschäfts[A 184]lebens sind. Noch bis in die letzte Generation hinein war auf dem klassischen alten Industrieboden des Wuppertals die Art der Lebensführung der „Reformierten“ einerseits, der Nichtreformierten andrerseits grundverschieden, und zwar grade in den hier entscheidenden [587]Zügen.[586][A 183] Denn die ökonomische Reaktion des Polentums, (die ich selbst zitiert habe),
72
ruht auf nationaler Basis. Die Polen in Rußland und Preußen im Gegensatz zu denjenigen in Galizien, vgl. Weber, ebd., oben, S. 130.
73
Die geschäftliche Aktivität des „Berufsmenschen“, verbunden mit dem, was ich (ad hoc) „asketischen Sparzwang“ [587] Das Wuppertal mit seinen zu Webers Zeit sehr bedeutenden Industriestädten Barmen und Elberfeld galt mit der dort ansässigen Textil- und Zulieferindustrie im 19. Jahrhundert als eine Art „deutsches Manchester“. Wo Webers oben mitgeteilte Kenntnisse herrühren, konnte nicht geklärt werden. (Friedrich Engels, der 1839 die Überschwemmung des Wuppertals durch ein „Meer von Pietismus und Philisterei“, d. h. durch die Erweckungsbewegung, karikiert, zielt vorrangig auf Erscheinungsformen der reformierten – für ihn äußerst bigotten – Lebensart, wobei Abgrenzungen zu Lutheranern und Katholiken angedeutet, aber nicht ausgeführt werden. Vgl. Engels, Friedrich, Briefe aus dem Wupperthal [1839], in: Karl Marx-Friedrich Engels-Gesamtausgabe (MEGA), Abt. 1, Band 3. – Berlin: Dietz 1985, S. 32–51, Zitat S. 51.) – Seit dem 16. Jahrhundert bestanden gemischt-konfessionelle Verhältnisse: Die Elberfelder Kirche, zu der auch Unterbarmen gehörte, war reformiert, während Oberbarmen kirchengemeindlich (reformierte Kirche Barmen-Gemarke erst seit 1712/14) zum lutherischen Schwelm (Grafschaft Mark) zählte. In der Minderheit waren Katholiken und Juden.
74
genannt hatte, stach bei den reformierten und pietistischen Kreisen – der Pietismus ist reformierter Provenienz – trotz aller von Rachfahl ad hoc erfundenen „gemeinchristlichen Sittlichkeit“ Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 412.
75
stark und auffällig ab, wie jeder, der dort heimisch war, bestätigen muß. Der ganze Inhalt jener Lebensführung entsprach, so unvollkommen zweifellos mein Versuch geblieben ist, doch immerhin so weit Dem, was ich darüber sagte, daß mir aus der Mitte jener Kreise selbst heraus – und zwar nicht etwa nur von einer Seite, – direkt versichert wurde: sie verständen die spezifische Eigenart ihrer eigenen Traditionen aus diesen Antezedenzien erst jetzt vollständig. Und wenn mir z. B. von Rachfahl das lutherische Hamburg entgegengehalten worden ist als eine Stätte, wo der „kapitalistische Geist“ ohne Mitwirkung „asketisch“-protestantischer Einflüsse geblüht habe und blühe, Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 535 (dort: „allgemeine Sittlichkeit“). Ähnlich ebd., S. 543, 554 und 558.
76
so darf ich für jetzt mich begnügen, von einer freundlichen brieflichen Mitteilung des Herrn Kollegen Adalbert Wahl in Hamburg Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 555 f., der sich dort mit einer Notiz Troeltschs zu Hamburg auseinandersetzt (vgl. Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus – wie oben, S. 42 f., Anm. 65 –, S. 45; KGA 8, S. 276).
77
Gebrauch zu machen: darnach reicht, in [588]charakteristischstem Gegensatz zu den ihm von früher bekannten Verhältnissen in dem reformierten Basel mit seinem sparsam festgehaltenen Reichtum des alten Patriziates, in Hamburg keines der jetzt bedeutenden Familienvermögen, auch der als altererbt geltenden, in das 17. Jahrhundert zurück, – mit einer einzigen Ausnahme: und diese bildet eine bekannte reformierte Familie. Überliefert ist lediglich eine Karte des Historikers Adalbert Wahl an Max Weber vom 13. Februar 1910 (BSB München, Deponat Max Weber-Schäfer, Ana 446), mit der er Max Weber für die Übersendung seiner Antwort an Rachfahl dankt, aber auf den hier angesprochenen Sachverhalt nicht eingeht.
78
Doch genug von solchen Einzelheiten, die ich durch manche ähnliche persönliche Mitteilungen von anderen Seiten über die Stellung der Baptisten usw. ergänzen könnte. Meine entscheidende „These“ über die Bedeutung des „Berufes“ enthielt – wie ich nachdrücklich betonen möchte – nur in der Art der Durchführung „Neues“. In der Sache selbst wird es, denke ich, doch wohl bei dem bleiben, was der gleiche hervorragende Zeitgenosse: Sir W[illiam] Petty, den Rachfahl recht gut kennt [588] In Frage kommen folgende Hamburger Familien: 1. Die Kaufmanns- und Reederfamilie Godeffroy. Ihre Vorfahren stammten aus La Rochelle, wo die Familie bereits im 17. Jahrhundert als sehr vermögend galt. Sie war bis Ende des 19. Jahrhunderts reformiert. – 2. Die Kaufmannsfamilie de Chapeaurouge. Jacques de Chapeaurouge (1744–1805) immigrierte 1764 aus Genf, wo sich die Familie seit 1468 nachweisen läßt, nach Hamburg. Vgl. Schramm, Percy Ernst, Zwei „Millionäre“ aus Refugié-Familien […], und ders., Godeffroy, in: Hugenotten in Hamburg, Stade, Altona. Tagungsschrift zum Deutschen Hugenottentag Hamburg 23.–26. April 1976, hg. von Hans W. Wagner u. a. – Obersickte/Braunschweig: Verlag des Deutschen Hugenotten-Vereins e.V. 1976, S. 29–40, S. 41–48.
s
und den er als Autorität anerkennt,[588]A: kennt,
79
wo er seine Äußerungen über den ökonomischen Segen der Toleranz – wie man sieht, sehr verkehrter Weise – gegen mich verwenden zu können glaubt, nur 2 Seiten vorher (S. 23, 24) Vgl. oben, S. 586 mit Anm. 70.
80
über die Gründe gesagt hat, aus denen die Toleranz (speziell in Holland, mit dem er sich dort beschäftigt) so günstig auf das „Geschäft“ wirke: „I now come to the first policy of the Dutch, viz.: liberty of Conscience … Dissenters of this kind“ – gemeint sind: die Träger des holländischen Freiheitskampfes, in erster Linie: Calvinisten – [„]are for the most part thinking, sober and patient Men, and such as believe that Labour and Industry is their Duty towards God (How erroneous [589]soever their Opinions be)“ Petty, Political Arithmetick, p. 23 und 24; die folgenden Zitate p. 23.
12)
. Mir [A 185]scheint fast, daß die Stelle so sehr geeignet ist, eine der Grundthesen meines Aufsatzes zu einem, leider unbewußten, Plagiat an Petty[589][A 185] Shakespeare – ein Kenner des Puritanismus mit den scharfen Augen [A 184]des Hasses – wußte also offenbar recht gut, weshalb er die karrikierten „Mittelklassen“ ihr karrikiertes Programm auch aus dem Grundsatz: „It is written: work in your calling“ ableiten läßt.
81
[589] 1 Kor 7, 20. Weber dürfte Shakespeares Second Part of King Henry VI (4. Akt, 2. Szene) meinen. John Holland äußert darin gegenüber George Bevis (beides Gefolgsleute Jack Cades, s. u.): „[…] and yet it is said, labour in thy vocation; which is as much to say as, let the magistrate be labouring men; and therefore should we be magistrates.“ The Works of William Shakespeare, ed. by William George Clark and William Aldis Wright [The Globe Edition]. – London: Macmillan and Co. 1878, p. 496–525, Zitat p. 516. – Die Trilogie „Henry VI“ handelt vom Aufstieg Yorks und Niedergang des Hauses Lancaster (sog. „Rosenkriege“) und endet mit der Ermordung von Henry VI (1471). Das Zitat steht im Zusammenhang mit dem Aufstand des Jack Cade, den dieser, von York angestachelt, gegen die politische, ökonomische und geistige Führungsschicht Englands führte.
13)
zu stempeln, daß ich dem Leser die Wahl zwischen der Autorität Pettys und derjenigen moderner Kritiker überlassen darf Ich hatte seit den Zeiten, wo ich Handelsgeschichte trieb,
82
Petty nicht mehr in der Hand gehabt und bin Herrn Kollegen Worauf Weber sich genau bezieht, muß offen bleiben. In seiner „Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter“ (MWG I/1) kommt Pettys Schrift nicht vor. Weber hielt außerdem in Vertretung seines Lehrers Levin Goldschmidt zwischen 1892 und 1894 in Berlin Vorlesungen über Handelsrecht (Übersicht in: MWG III/1, S. 52–54), ein Handelsrechtspraktikum hielt er in Berlin und Freiburg i. Br. (ebd., S. 54–57) bis 1896 ab. Aufzeichnungen dazu sind nicht überliefert. Auf Petty verweist Weber, allerdings lediglich summarisch, in seinen Vorlesungsnotizen zur „Allgemeinen (,theoretischen‘) Nationalökonomie“, MWG III/1, S. 544, und zur „Geschichte der Nationalökonomie“, MWG III/1, S. 691 f.
t
H[ermann] Levy dafür dankbar,[589]A: Kollege
83
daß er mich auf diese mir gar nicht mehr erinnerliche Stelle aufmerksam machte. Der Nationalökonom Hermann Levy war seit 1907 hauptamtlicher Dozent an der Handelshochschule Mannheim, außerdem seit 1908 Privatdozent und seit 7. Februar 1910 a.o. (Titular-)Professor an der Universität Heidelberg. Möglicherweise handelt es sich um eine mündliche Mitteilung an Max Weber (in Max Webers Korrespondenz nicht dokumentiert).
14)
, und [A 186]scheide also meinerseits [590]aus dieser Diskussion aus. – Dies um so lieber, als ich überdies noch [591]eingestehen muß, daß auch Groen van [A 187]Prinsterer, ein Schriftstel[592]ler, dem man, bei aller sonstigen Schätzung Rachfahls, denn doch [593]eine wesentlich gründlichere und originalere Be[A 188]schäftigung mit [594]der Eigenart seines holländischen Heimatlandes zutrauen wird, [595]gelegentlich über die Gründe der Reichtumsbildung dort (Verhältnis des – relativ! – geringen Verbrauches zum Verdienst) der Sache nach schon ganz dasselbe gesagt hat, Ich darf nur noch – ein Nebenpunkt – bemerken, daß ich selbstredend, wenn ich das streng intolerant calvinistische Neuengland dem in Bezug auf die Entwicklung „kapitalistischen Geistes“ (s. u.)
84
anscheinend minder entwickelten toleranten Rhode-Island gegenübergestellt habe, Siehe unten, S. 591, in dieser Fußnote.
85
dies ersichtlich in dem Sinne geschah, daß trotz der [590]Intoleranz dort und trotz der Toleranz hier dieser Unterschied zu Gunsten des (von der Natur weit ungünstiger ausgestatteten) intoleranten Gebietes bestanden zu haben scheint, nach meiner Ansicht, weil in ihm in stärkerem Maße der „Geist“ der protestantischen Askese herrschte. Im übrigen ist dies nur gänzlich beiläufig ausgesprochen worden in Form einer Vermutung, die ich zwar vielleicht noch durch einige Hinweise mehr als die von mir angegebenen stützen könnte, ohne jedoch dadurch – wie ich gern wiederholt bekenne – zu dem Anspruch gelangen zu können, etwas „bewiesen“ zu haben. Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 313, Fn. 78, und S. 412 f., Fn. 71.
86
– Um bei dieser Gelegenheit einige der faktischen „Einwände“ Rachfahls zu erledigen, [590] Gegen die von Rachfahl statuierte „Beweiskette Webers“: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 531.
87
so scheint ihm die innere Entwicklung Pennsylvaniens, die tragischen Konflikte der Quäkerethik mit der „Welt“ Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S. 549 f.
88
und ebenso die – auch für Newyork (obwohl Manhattan schon seit geraumer Zeit als Einwanderungszentrum an Kirchlichkeit weit hinter Brooklyn zurückstand) bis an die Schwelle der Gegenwart reichende – Intensität der aus Askese und Rationalismus gemischten Lebensluft dort, die allein schon jede gute ältere Schilderung europäischer Reisender bezeugt und deren Reste man selbst heute noch überall spüren kann, in ihrer Rolle für Lebensstil und Berufsauffassung völlig unbekannt zu sein, ebenso die Geschichte und die noch in Resten bis heute nachwirkende Eigenart der Neuengländer. Ich verweise auf meinen (natürlich sehr skizzenhaften) Aufsatz in der Christl[ichen] Welt. Pazifismus und aktive Teilnahme am politischen Leben erwiesen sich zunehmend als nicht vereinbar, so daß der amerikanische Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) das Ende des Quäkerstaates Pennsylvania bedeutete. Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 415, Fn. 75, Anm. 51.
89
Der landwirtschaftliche „Kapitalismus“ der episkopalistischen Südstaaten unterschied sich in den für mein Problem relevanten Punkten in nichts von der „kapitalistischen“ Wirtschaft des Altertums. Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 426–462, darin dieser, auf seiner USA-Reise 1904 beobachtete Unterschied zwischen Brooklyn und Manhattan, S. 436 f. (mit Anm. 5).
90
Ich habe – abgesehen von der bekannten[,] zum Teil ausgezeichneten Literatur – aus eigner Anschauung bei südstaatlichen Verwandten, die in alten Pflanzerhäusern leben, ein auch in den Äußerlichkeiten leidlich deutliches Bild gewonnen von der, im striktesten Gegensatz zu dem „Geist“ des puritanischen Yankeetums stehenden, „seigneurialen“ Mischung von powerer Vgl. dazu Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, S. 320–747.
91
Liederlichkeit und aristokratischer Ostentation in Wirtschaft und Leben, power (Adj., von frz. pauvre), „arm“, „ärmlich“; „dürftig“, gering“ (vgl. Mecklenburgisches Wörterbuch. Im Auftrage der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin aus den Sammlungen Richard Wossidlos […] bearb. und hg. von Hermann Teuchert, Band 5. – Berlin: Akademie-Verlag GmbH 1970, Sp. 570 f.: auch: Brandenburg-Berlinisches Wörterbuch, hg. von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Leipzig, 3. Band. – Berlin: Akademie Verlag 1994, Sp. 689).
92
welche diese spezifisch unbürgerliche Gesellschaft beherrschten. Es hing [591]bekanntlich an einem Haar, so wäre auch Neuengland in die Hände eines der [A 186]zahlreichen Hof-Günstlinge geraten, welche koloniale Landkonzessionen zu erlangen und zu verwerten suchten, Auf ihrer Reise durch die Vereinigten Staaten im Jahr 1904 besuchten Max und Marianne Weber auch Verwandte in North Carolina. William Miller, genannt Bill, Sohn von Max Webers Onkel Fritz Fallenstein (Francis Miller), lebte mit seiner Familie in einem unkomfortablen Holzhaus. Er war assoziierter Inhaber eines Büros. Zuvor war er [591]sieben Monate „miner“, fünf Monate „primary-school-teacher“ und 14 Tage sogar mit seinem zweijährigen Universitätsstudium „,Professor‘ für common law“ gewesen. Über ihn äußert Max Weber im Brief an Helene Weber vom 12. Okt. 1904 (GStA PK, VI. HA, NI. Max Weber, Nr. 6, BI. 52–58; MWG II/4): „[…] eben diese Mischung von demokratischen Instinkten und Jefferson’schen Ideen, dem Typus der Fallenstein’schen Unfähigkeit sich zur Geltung zu bringen, […] und eben doch mit dem aristokratischen Instinkt des alten Miner’s, des weißen Südstaatlers und des werdenden Honoratioren ist doch etwas sehr Wunderliches […].“
93
– und wenn auch freilich dort keine Baumwollplantagen hätten entstehen können, so weiß doch Niemand, welche Physiognomie Vermutlich ist der britische Kolonialunternehmer Sir Ferdinando Gorges (1565–1647) gemeint, selbst im Besitz eines Patents für das heutige Maine. Unstimmigkeiten bei der Landvergabe an ihn und Massachusetts nutzte er aus, damit die englische Regierung Maßnahmen gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kolonie ergriff. Karl II. setzte Gorges daraufhin zum Governor über die New England-Kolonien ein (1635, wiederholt 1637). Dieses Amt trat der in England residierende Gorges aus verschiedenen Gründen aber nie an. Vgl. Doyle, The English in America II, bes. p. 192–198.
u
Nordamerika dann, also: ohne die Siedlungen der Pilgerväter, denen weiter südlich diejenigen der Baptisten, der Holländer, der Quäker zur Seite traten, angenommen hätte. Jedenfalls nicht die, welche durch den „Geist“ dieser Schichten bestimmt wurde und welche in immerhin sehr bedeutsamen Resten bis in die Gegenwart hinein fortgedauert hat. Daß eine „kapitalistische“, ja selbst eine gewerbliche Entwicklung in Neuengland im 17. Jahrhundert nicht nur ein Anachronismus, sondern auch geographisch damals wie später so gut wie unmöglich war, – dies ist freilich kein Zweifel und von mir nie bestritten. Ich selbst habe die dort, nach der puritanischen Einwanderung, trotzdem entstandenen Ansätze gewerblicher Entwicklung als eben deshalb bemerkenswert zitiert.[591]A: Physionomie
94
Da ich sofort am Eingang meiner Arbeit Franklin als Repräsentanten des „kapitalistischen Geistes“ zitiere, Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 412, Fn. 71.
95
da ferner jedermann weiß, daß dieser kleine Drucker denn doch sehr weit davon entfernt war, ein „Großkapitalist“ à la Fugger zu sein, und da ich zum Überfluß meinerseits nachdrücklichst auf die für meine Argumentation wichtige Tatsache hingewiesen habe, daß jener „Geist“ sich hier in einem Gebiet, dessen Wirtschaft noch in den Kinderschuhen halber Naturalwirtschaft steckte, entwickelt hat (XX S. 33), Vgl. Weber, Protestantischen Ethik I, oben, S. 142–145.
1
– so hätte selbst eine Kritik von der Art der Rachfahlschen darauf verzichten dürfen, mir diese und ähnliche Dinge als „Einwände“ entgegenzuhalten. Daß ferner ein Historiker kein Unterscheidungsvermögen für die ökonomischen Existenzbedingungen des Gewerbes in einem Kolonialland, wie das alte Neuengland es war, und im europäischen Mittelalter hat – wie die höhnische, aber m. E. etwas lächerliche Bemerkung Sp. 1294 Weber, ebd., oben, S. 174.
2
unten [592]zeigt – ist schlimm genug. Noch schlimmer freilich, daß er von der Bedeutung des Hugenottentums und seinen Beziehungen zur Industrie in Frankreich einfach gar nichts weiß. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 549.
3
– Daß der Calvinismus auf der ungarischen Pußta im 17. und 18. Jahrhundert keine kapitalistische Wirtschaft schaffen konnte, muß ich nun schon zum zweiten Mal „zugeben“,[592] Bezug: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 545 und 561 f.
4
ebenso aber betonen, daß er auch dort (in der Art der Berufswahl der Reformierten) seine typischen Begleiterscheinungen zeigt, wie gleich eingangs Bereits gegenüber Fischer, vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 484. „Ungarn“ begegnet als Einwand bei Rachfahl im Kontext zweier Troeltsch-Zitate, vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 544 (er zitiert dort: Troeltsch, Protestantisches Christentum, S. 358; KGA 7, S. 283) und S. 555 f. (er zitiert dort: Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus – wie oben, S. 42 f., Anm. 65 –, S. 45; KGA 8, S. 276).
v
meines Aufsatzes zu lesen steht.[592]A: Eingangs
5
– Sogar zu dem ihm eigentlich naheliegenden[,] höchst verwickelten und interessanten Problem der Eigenart des holländischen Kapitalismus und des inneren Verhaltens der Bevölkerung dazu entwickelt R[achfahl], dessen Auge stets nur an den, in nichts Wesentlichem von den Erscheinungen aller Zeiten und Länder unterschiedenen großen Geldleuten haftet, nur ganz oberflächliche Sentiments. Vgl. Weber, Protestantischen Ethik I, oben, S. 128, Fn. 7.
6
Ich bezweifle auf Grund derselben, daß er hier mehr weiß, als – nach seiner dankenswerten Versicherung – ich, der ich in der Tat mit diesen Problemen noch entfernt nicht im Reinen bin. Alles freilich, was er über den Arminianismus der Kaufmannschaft mir entgegenhält, habe ich – wie fast immer – selbst [A 187]gesagt, Die Ausführungen zu Holland bei Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 545–547.
7
ebenso auf ganz die gleichen kunsthistorischen Erscheinungen hingewiesen, die Rachfahl gegen mich heranzieht. Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 402 f. mit Fn. 54b und S. 413 f., dazu Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 545–547.
8
Aber damit sind erst die äußersten Peripherien des Problems – welches ich ja gar nicht verfolgen wollte – gestreift. Um nur ein Moment zu erwähnen, welches tiefer führt, so ist die Eigenart des holländischen „Geistes“ damals sicherlich auch dadurch mitbestimmt worden, daß das Einpoldern von Neuland eines der allerrentabelsten Geschäfte war, daß hier die Städte das platte Land – mit einiger Übertreibung gesagt – zum großen Teil aus sich geschaffen haben. Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 401 f. mit Fn. 54a, dazu Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 562.
9
Die Kapitalverwertung wurde, neben dem, allem Puritanismus leicht verdächtigen, Kolonialgeschäft sehr stark in diese Bahn der Schaffung von Bauernexistenzen gelenkt, – was für die „Physiognomie“ Weber kannte von seinem Holland-Aufenthalt im Sommer 1907 den Beemster Polder, „das Werk Oldenbarneveldt’s aus dem Anfang des 17. Jahrh.“ Vgl. seine Karte an Marianne Weber vom 12. Aug. 1907 (MWG II/5, S. 357). – Zwischen 1608 und 1641 wurden allein in Westfriesland 27 Polder angelegt (mit Damm umschlossene, von Wassergräben durchzogene, dem Meer abgewonnene Flächen) und Marschland für den Ackerbau gewonnen. Besonders der Beemster Polder erwies sich für seine Anteilhaber, sechs Amsterdamer Kaufleute, als sehr lukrativ (letzteres nach Busken-Huet, Rembrandt’s Heimath II, S. 101).
a
des Landes auch im [593]innerlichen Sinn seine Konsequenzen haben mußte und hatte, speziell in der Richtung, daß die als vorhanden durchaus hinlänglich bezeugte Tendenz des „asketischen“ Protestantismus, in seiner Art zu wirken, in wichtigen – aber nicht: in allen – Punkten wieder gebrochen wurde. Denn daß diese Bauern, welche sogar für den Kunstmarkt ihre Bedeutung hatten: – es kommen bei ihnen Anlagen von Summen in Gemälden vor, welche damals ein kleines Vermögen darstellten (und sicher oft spekulativen Charakters waren),A: „Physionomie“
10
– zwar etwas sehr Anderes waren als die traditionelle Bauernschaft des Kontinents, aber auch etwas Anderes[593] Dazu Floerke, Hanns, Studien zur niederländischen Kunst- und Kulturgeschichte: die Formen des Kunsthandels, das Atelier und die Sammler in den Niederlanden vom 15.–18. Jahrhundert. – München, Leipzig: Georg Müller 1905, S. 20.
b
als die Bauern Neuenglands, begreift sich. Die Rückwirkung des halbgebrochenen Puritanismus Hollands auf seine Kunst ist ein sehr verwickeltes Problem, und meine hingeworfenen Bemerkungen[593]A: anders
11
darüber prätendieren schlechterdings nichts. Immerhin: der Gegensatz von Rubens und Rembrandt – man erinnere sich der freilich bezüglich Rembrandts zur Karikatur übertreibenden, aber für die Grundstimmung doch charakteristischen Verse Baudelaires Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 401 f. mit Fn. 54a.
12
– ist zwar ebensowenig wie ihre Lebensführung einfach identisch mit den Unterschieden des Milieus beider, aber freilich sehr weit entfernt davon, Zufall zu sein. – Daß ein Historiker von den Dordrechter Dekreten als von etwas historisch für Holland fast Irrelevantem reden kann, Charles Baudelaire charakterisiert Rubens und Rembrandt in dem Gedicht „Die Leuchttürme“: „Rubens – der müssigkeit garten – fluss von vergessen / Und pfühl frischen fleisches – für unsre liebe wol leer – / Doch von einem leben so strömend und drängend besessen / Wie luft in dem himmel und wie das meer in dem meer.“ Im Gegensatz dazu: „Rembrandt – trauriges siechhaus voll murmelnder stimmen / Und mit einem grossen kruzifix nur geschmückt – / Wo beten und weinen über dem unrat schwimmen – / Und jählings von einem winterstrahle durchzückt.“ Zitiert nach: Baudelaire: Die Blumen des Bösen. Umdichtungen von Stefan George. – Berlin: Georg Bondi 1901, S. 20–22, Zitate S. 20 und S. 21 (frz.: Les fleurs du mal. – Paris: Poulet-Malassis et de Broise 1857, p. 23 f.).
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ist nur verständlich, wenn er von der modernen holländischen Kirchen- und politischen Geschichte keine Ahnung hat. Der Neo-Calvinismus in Holland ist gewiß ein Gebilde mit sehr modernen Einschüssen, Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 560. – Die auf der Dordrechter Synode (1618/19) verabschiedeten Canones hielten die Lehre von der doppelten Prädestination fest (vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 250 f., Anm. 47).
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– aber wenn man sieht, wie das für die ganze derzeitige politische Konstellation in Holland noch immer maßgebende Kuypersche Schisma, Der niederländische „Neo-Calvinismus“ verbindet sich mit dem Kirchenpolitiker, Staatsmann und späteren Ministerpräsidenten Abraham Kuyper (1837–1920), der die Theologie Calvins und die Bekenntnisse des 16. und 17. Jahrhunderts mit dem Zeitgeist und den gesellschaftlichen Anforderungen des 19. Jahrhunderts zu verbinden suchte.
15
eingeleitet durch das echt „puritanische“ Verlangen, daß die [594]Abendmahlsgemeinde zur Ehre Gottes sich müsse „rein“ erhalten dürfen, Die Mehrheit des Amsterdamer Gesamtpresbyteriums, darunter der Laienälteste Abraham Kuyper, weigerte sich 1885, die von Pfarrern der liberalen, „modernisti[594]schen“ Richtung innerhalb der Hervormde Kerk (niederländische Reformierte Kirche) ausgestellten Konfirmationsscheine anzuerkennen (die Scheine dokumentierten die sittliche Führung der Betroffenen und wurden für die Zulassung zum Abendmahl benötigt). Als sich das Presbyterium einer Anweisung der Synode widersetzte und Verselbständigungstendenzen desselben zu erkennen waren, wurden die Ältesten Anfang 1886 suspendiert. Die „Dolerenden“ („Trauernden“) feierten daraufhin eigene Gottesdienste. 1892 schlossen sie sich mit einem Teil der „Afscheiding“ („Abspaltung“) von 1834 zu den „Gereformeerde Kerken in Nederland“, einer Freikirche, zusammen. Das Schisma betraf den orthodoxen niederländischen Protestantismus. Es hat seine Parallele in dem Kampf der von Kuyper 1878 gegründeten „Antirevolutionären Partei“ gegen die Liberalen. Vgl. Weber, Protestantische Sekten, GARS I, S. 226, Fn. 1 (MWG I/18), der dazu auf Hogerzeil, H. V., De Kerkelijke Strijd te Amsterdam, tweede druk [No. 1–3]. – Amsterdam: F. W. Egeling 1886, verweist.
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in allen seinen Stadien sich auf Rechtsbegriffe und Glaubenslehren stützt, welche vor, in und nach Dordrecht Über seine Abendmahlsauffassung vgl. Kuyper, Abraham, Het dreigend conflict. Memorie van de gevolmachtigde commissie uit den Amsterdamschen kerkeraad ter voorlichting der Gemeente in zake de Attesten. – Amsterdam: J. H. Kruyt 1886, S. 37–44. – Vermutlich hatte Weber diese, später in die „Protestantischen Sekten“ eingegangene Schrift (GARS I, S. 222, Fn. 1; MWG I/18), bei seinem Hollandaufenthalt 1907 eingesehen (in deutschen Bibliotheken nicht erhältlich).
c
geschaffen wurden, wird man jene Behauptung ziemlich seltsam finden. Ebenso, wenn man auch nur die gedruckt vorliegenden Aktenstücke zur holländischen Kirchenzuchtsgeschichte jener alten Zeit[594]A: Dortrecht
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und die ungeheure Autorität der „sacrosancta synodus“ Vermutlich bezieht sich Weber auf: Acta der Provinciale en Particuliere Synoden, gehouden in de Noordelijke Nederlanden gedurende de jaren 1572–1620, hg. von Johannes Reitsma und Sietse D. van Veen, 8 Bände. – Groningen: J. B. Wolters 1892–1899. – Vgl. Weber, Protestantische Sekten, GARS I, S. 222, Fn. 1 (MWG I/18).
18
kennt, welche Jahrhunderte lang von ihren Getreuen nur mit Entblößung des Kopfs genannt wurde. Daß die neucalvinistische Kirchenbildung Kuypers just in dem „ungläubigen“ Amsterdam [A 188]ihren Anfang nahm, könnte ja wieder ein „Zufall“ sein, wie, nach Rachfahl, die Abschwenkung von Amsterdam auf die Seite der calvinistischen Partei gegen Oldenbarnevelt, Hier: die Dordrechter Synode (1618/19); zu dieser das Glossar, unten, S. 826 f.
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– aber es könnte dieser eigentümliche [595]moderne „Zufall“ doch vielleicht Manchem Anlaß geben, darüber nachzudenken, ob nicht auch jener Vorgang von 1618 in etwas mehr als der bloßen Tageskonstellation verschiedener „Cliquen“ in der Vroedschap Nach Rachfahl bewirkte eine „kleine Amsterdamer Kapitalistengruppe“ und mit ihr ganz Amsterdam, die sich teils aus „,ausgesprochener Profitsucht‘“, teils aus anderweitigem Interesse mit Moritz von Oranien gegen Oldenbarnevelt verbündete, auf der Dordrechter Synode (1618/19) den Sieg der calvinistischen Orthodoxie über den Arminianismus. Die calvinistische Partei verdanke ihren Sieg also nicht eigener Kraft, „sondern nur einer Allianz mit Machtfaktoren […], die mit ihr nichts gemein hatten [….] und sich ihrer nur als Waffe zur Vernichtung zufällig gemeinschaftlicher Gegner bedienten […]“. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 547.
d
,[595]A: Vroedshap
21
wie sie überall bestanden, seinen Grund hatte. (In der Minorität hat sich das Asketentum in der Welt fast immer und überall befunden: in Holland damals und unter Kuyper, in England unter Cromwell, in Pennsylvanien schon unmittelbar nach Penn, in Frankreich von Anfang an und ebenso in der Zeit des Pietismus bei uns.) Die Rolle, welche der puritanische Dissent in England noch in der Cobdenschen Anti-Kornzoll-Agitation gespielt hat, Vroedschap (nl.), „Magistrat“. Weber greift den von Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 546, gebrauchten Begriff auf; bei Rachfahl umschrieben als „derjenige Teil der kaufmännischen Aristokratie, der die Stadt regierte“.
22
ist Rachfahl – nach seinen Bemerkungen zu schließen Richard Cobden gründete 1839 während seines Vorsitzes der Handelskammer in Manchester die „Anti-Corn-Law-League“. Ziel Cobdens und seiner Anhänger war es, völlige Handelsfreiheit mit dem Ausland zu erreichen, zuerst durch die Aufhebung der Getreidezölle. Die Agitation wandte sich mit Vorträgen und Broschüren in Millionen-Auflage an die Wähler in ganz England. Die Liga wurde 1841 in einer Aktion von über 700 Geistlichen religiöser Gruppierungen außerhalb der Staatskirche unterstützt. 1846 war das erste Ziel mit Einführung eines entsprechenden Gesetzes erreicht. Die Getreidepreise fielen anschließend deutlich. Vgl. Laves, Theodor, und [Wilhelm] Lexis, Art. Anti-Corn-Law-League, in: HdStW3, 1. Band, 1909, S. 544–549. – Zu Webers Äußerung über den „puritanischen Dissent“ vgl. auch Morley, John, The Life of Richard Cobden, vol. I. – London: Chapman and Hall 1881, p. 198–204. Morley erläutert anhand von Briefzitaten Cobdens Verhältnis zu „evangelical dissenters and religionists“, von deren „views of philosophy of morals“ sich Cobden, selbst Angehöriger der anglikanischen Staatskirche, allerdings distanzierte, obgleich er in der Anti-Corn-Law-League mit ihnen kooperierte (Zitate p. 200). – Allgemein formuliert bei Bonn, [Rez. Schulze-Gaevernitz,] Britischer Imperialismus: Das Manchestertum sei „[…] in gewisser Richtung eine Fortbildung des Puritanismus“.
23
– wohl kaum bekannt. – Die interessante Erscheinung, welche in der Beziehung zwischen den Klassen und dem religiösen Leben zu beobachten wäre – fast in allen Ländern –[,] ist die allmähliche Wandlung der anfänglich (oft sogar mit Einschluß des Täufertums) vertikal durch die soziale Schichtung gehenden Risse in horizontale: hier setzt dann das Recht der geschichtsmaterialistischen „Deutung“ ein. Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 547–549.
20
wie ich. [595] „De Nederlanders verkoopen veel en verbruiken weinig“, Groen van Prinsterer, G[uillaume], Handboek der Geschiedenis van het Vaderland, Derde Aflevering. – Leiden: Luchtmans 1863, S. 254.
Die Fortsetzung der Stelle bei Petty erläutert dann noch einen ferneren Punkt, den Rachfahl zum Gegenstand einer jener vielen [596]Scheinkontroversen mit mir gemacht hat, von denen sein Aufsatz fast gänzlich lebt: „These people (nämlich die puritanischen Dissenter) believing the Justice of God, and seeing the most Licentious persons to enjoy most of the world and its best things, will never venture to be of the same religion and profession with voluptuaries and Men of extreme Wealth and Power, who they think have their portion in this World“.
e
[596] In A Anführungszeichen am Anfang jeder Zeile.
24
[596] Zitat: Petty, Political Arithmetick, p. 23 f. (Klammerzusatz von Weber); Fortsetzung des oben, S. 588 f., wiedergegebenen Zitats.
Es sind eben nicht die, in allen Zeitaltern kommerzieller oder kolonialer Expansion immer wiederkehrenden ganz großen Konzessionäre und Monopolisten: ökonomische „Übermenschen“, sondern deren Gegner: die wesentlich breiteren Schichten bürgerlicher aufsteigender Mittelstände, welche typische Träger der puritanischen Lebensauffassung waren – wie ich das meinerseits recht nachdrücklich hervorgehoben habe und, obwohl Rachfahl dies weiß (denn er zitiert es), von ihm, wie immer, wo es ihm paßt, als „Einwand“ entgegengehalten bekomme
15)
.[596] Wenn Rachfahl übrigens (Sp. 1320) schließlich auch noch fragt, woher ich denn wisse, daß der von ihm (nach mir) zitierte Ausspruch Jacob Fuggers Ausdruck einer anderen (als der puritanischen) „Berufsethik“ sei,
27
– so antworte ich: weil Jeder, der weiß, wie ein Puritaner sich im gleichen Falle ausdrücken würde, auch weiß, daß er – und zwar mit voller subjektiver Wahr[A 189]haftigkeit – sich anders ausgesprochen haben würde. Bereits auf Sp. 1324 Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 552; vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 146 f.
28
weiß denn auch Rachfahl selbst, – ohne zu sagen: woher? –, daß die Berufsethik der Calvinisten sich von dem Fuggerschen Lebensstil dadurch unterscheide, daß bei jenen Gewinn und Reichtum – ganz wie ich es dargelegt habe Rachfahl, ebd., oben, S. 554.
29
– „nur Faktoren von akzessorischer Bedeutung waren“! Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 147.
25
Die Bemerkungen Pettys, [A 189]im Zusammenhalt mit der früher zitierten Stelle, Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 127 und 164 f., dass. II, S. 414 f. u.ö., Zitat bei Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 533.
26
sind aber offensichtlich auch geeignet, um, durchaus entsprechend dem, [597]was ich andern Quellen Die Zitate Pettys, Political Arithmetick, p. 23 f. und p. 26, hier oben, S. 588 f. und auf dieser Seite, oben, Z. 2–7, Webers Rückverweis auf oben, S. 586 (mit Anm. 70).
f
und vor allem den in ihren Ausläufern bis auf die Gegenwart fortwirkenden Prinzipien der asketischen Denominationen entnommen hatte, die (scheinbar!) so paradoxe Attitüde der „protestantischen Askese“ (in meinem Sinn des Worts) zum Reichtum zu illustrieren. Der Reichtum als solcher ist, als Quelle der Genuß- und Machtgier, nicht nur eine, sondern die Gefahr schlechthin, das Streben nach den Gütern dieser Welt ist – ich könnte die von mir zitierten Stellen[597]A: Quellen,
30
beliebig vermehren – an sich schlechthin verwerflich: das besagt auch Petty. Und doch hatte Petty selbst soeben erst die „industry“ dieser den reichen Leuten und dem Reichtum so feindselig gesonnenen Elemente als eine besonders wichtige Quelle der Reichtumsbildung hingestellt [597] Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 408–412.
31
und ihren überwältigenden Anteil am Unternehmertum betont, Vgl. Petty, Political Arithmetick, p. 23 („industry“), im Zitat oben, S. 586 f.
32
– wiederum schon eben so, wie ich es auch getan habe. Wie einfach sich die scheinbare Paradoxie lösen läßt, ist jedem, der meine Aufsätze wirklich gelesen hat, erinnerlich. Auch Rachfahl weiß es, wenn auch die Form, in der er in diesem Punkte meine Darstellung wiedergibt, mehr als seltsam ist Vgl. Petty, ebd., p. 26; oben, S. 586.
16)
. Denn er ist gut bekannt mit meinen doch ziemlich ausführlichen Erörterungen über das gewiß eigentümliche, für uns heutige Menschen schwer ohne den Verdacht von Heuchelei und Selbstbetrug vorstellbare, aber für Menschen, die zwischen Diesseits und Jenseits eine Brücke finden mußten, keineswegs so besonders „komplizierte“ Verhältnis der Puritaner (im weiten Wortsinn) zum Erwerb. Er kennt ferner auch die von mir vorgenommene ausdrückliche Scheidung gegenüber dem Habitus, welcher in der von Sombart zitierten Äußerung Fug[598]gers zum Ausdruck kommt[597] Sp.
g
1231:A: S.
33
„Allerdings, so gibt Weber zu, zeigte sich schließlich die kalvinistische Ethik als eine Kraft, die zwar das Gute wollte, aber das Böse schuf, … den Reichtum mit allen seinen Versuchungen“. Von einem Schriftsteller zu sagen, daß er eine seiner eigenen, fast wörtlich zitierten Grundthesen „zugibt“, ist eine für den Leser mindestens reichlich mißverständliche Umschreibung des Sachverhaltes. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 530. Er bezieht sich im Zitat auf Weber, Protestantische Ethik II, S. 410.
16a)
. Ebenso kennt er meine ausdrückliche Erinnerung daran, daß der ganze Typus, wie ihn die großen italienischen, deutschen, englischen, holländischen und überseeischen Finanziers darstellen, eben ein Typus ist, den es, wie ich notgedrungen abermals wiederhole [598] XX. S. 15.
35
Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 146 f.
17)
, gegeben hat, so lange wir über[A 190]haupt eine Geschichte kennen, der in seiner Eigenart schlechterdings gar nichts dem „Frühkapitalismus“ der Neuzeit irgendwie Charakteristisches ist, der vielmehr grade im entschiedensten Gegensatz steht zu denjenigen Zügen in dessen Antlitz, deren Aufdeckung mir nun einmal am Herzen lag, weil sie sich dem Auge leichter entziehen und doch zu den allerwichtigsten zählen. Aber diese seine genaue Kenntnis meiner Ansichten hindert Rachfahl nicht, mir jenen, wie auch er wissen könnte, schon seit der Pharaonenzeit bekannten Typus von Kapitalisten, dem der von mir als „asketisch“ bezeichnete Zug fehlt, als Argument gegen mich vorzuhalten. Vgl. Archiv XXV, S. 247 bei Anm. 10.
36
Rachfahl kennt auch diesen Aufsatz, da er ihn selbst gelegentlich zitiert. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 487 f. mit Fn. 10.
37
Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 545, Anm. 21, und S. 551, Anm. 34, zitiert Weber, Bemerkungen, wenn auch nicht Weber, Kritische Bemerkungen.
34
Obwohl bei mir mit größter Deutlichkeit zu lesen steht, daß ich mich mit ihm nicht beschäftige, also z. B. in Holland [598] Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 554.
18)
nicht mit jenem mir so gut wie jedermann bekannten Typus „erwerbsgieriger“ Händler, die – ich hatte dies wohlgemerkt selbst zitiert[A 190] Über den Arminianismus in den führenden Schichten des holländischen Großbürgertums habe ich geredet, im übrigen auf Busken-Huët verwiesen.
38
Es ist ein starkes Stück, wenn Rachfahl, der nichts Neues von Belang darüber beibringt, glaubt behaupten zu dürfen, ich „wisse“ von diesen Verhältnissen nichts. Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 413 mit Fn. 72.
39
Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 547.
18a)
: – „um Gewinns willen durch die Hölle fahren würden, auch wenn ihnen dabei die Segel ansengten“, wird mir die Frage entgegengehalten: ob das denn nicht der „eigentliche“ kapitalistische Geist [599]sei? XX. S. 20.
40
Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 154 f.
41
Für einen Leser meiner Aufsätze darf ich die Antwort wohl schuldig bleiben. Ähnlich steht es, wenn sich Rachfahls Eifer auf die Suche nach allerhand Gebieten mit kräftiger Entwicklung kapitalistischer Wirtschaft begibt, in denen die „protestantische Askese“ eine entscheidende Rolle (wirklich oder angeblich) nicht spielte[,] oder in dem [599] Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, S. 547.
h
sie umgekehrt eine solche spielte, ohne daß, als Resultat, großkapitalistische Wirtschaft sich eingestellt hätte.[599] Lies: nach Gebieten, in denen
42
Über die Einzelheiten dieser Kritik ist schon oben geredet worden. Über Holland, England und Nordamerika und weitere Länder vgl. Rachfahl, ebd., oben, S. 554–551.
43
Prinzipiell hatte ich mich zwar auch darüber schon, und zwar wiederholt, hinlänglich deutlich ausgesprochen, will aber gern nochmals darauf eingehen. Denn vielleicht sind wir damit bei einem Punkte angelangt, wo der Versuch einer Konfrontierung der beiderseitigen Standpunkte möglich zu werden scheint? Siehe oben, S. 589–595, Fn. 14.
Ich sage: scheint: Denn in Wahrheit hat leider Rachfahl einen eignen Standpunkt, mit dem man sich auseinandersetzen könnte, überhaupt nicht. Man kaut bei ihm auf Sand. Vergebens fragt man sich vor allem, was denn eigentlich seine durch fünf Artikel dauernde wunderliche Kanonade gegen mich bezweckt hat, wenn er selbst schließlich als Ergebnis erklärt, man werde den von mir erörterten religiösen Momenten (Sp.
i
1349)A: (S.
44
„für die Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse gewiß eine große Bedeutung zugestehen müssen“. Nur, heißt es weiter, „nicht grade in derselben Richtung“, oder – was dann sofort doch wieder zugegeben wird: – wenn in derselben Richtung, dann in dieser wenigstens nicht so ausschließlich, wie ich es – ich wüßte beim besten Willen nicht: wo? – getan hätte. Überdies [A 191]aber heißt es dann noch: zu den die ökonomische Entwicklung fördernden Elementen (und gleich darauf gradezu: zu deren „Triebkräften“) gehörte „unzweifelhaft die Berufsethik der Reformation“, wobei sogar (irrtümlicherweise: s. o.) Alle folgenden Zitate im Schlußabschnitt von Teil IV: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 562.
45
behauptet wird, daß ich sie zuerst in dieser ihrer Bedeutung [600]analysiert hätte. Sein einziger substanziierter Vorbehalt betrifft die von ihm in seinen Artikeln breit kritisierte Bezeichnung dieser Berufsethik als „asketisch“ – wovon schon oben die Rede war. Siehe oben, S. 589. Weber spielt auf Petty, Political Arithmetick, an.
46
Ich könnte mich mit diesen Zugeständnissen meines Herrn Zensors durchaus zufrieden geben, denn ich selbst hatte so nachdrücklich, wie wohl überhaupt nur möglich, hervorgehoben, daß es mir nicht in den Sinn komme, mehr als eben das Vorhandensein dieser „Triebkraft“ anzunehmen. [600] Siehe oben, S. 577–583.
47
Erwiderung auf Rachfahls Resümee, vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 562.
In welchem Maße sie, verglichen mit anderen Komponenten, faktisch in der ihr adäquaten Richtung gewirkt hat, habe ich in der Tat nicht versucht, „im Einzelnen“ (wie Rachfahl es wünscht) zu ermitteln,
48
so gewiß auch das eine wichtige, aber nur für die einzelnen Länder je besonders in Angriff zu nehmende und schwerlich leicht lösbare Weber bezieht sich auf Rachfahl, ebd., oben, S. 543 f.
19)
Aufgabe ist. Rachfahls Zumutung vollends, hier eine Art Statistik zu treiben, halte ich meinerseits und muß jeder, der aus einiger Erfahrung weiß, welche unerhörten Schwierigkeiten sich heute, am noch lebenden Objekt, dem Versuch, die Tragweite eines bestimmten, noch so zweifellos vorhandenen und wirksamen „weltanschauungsmäßigen“ Motivs zu messen, entgegentürmen, für etwas reichlich harmlos halten[600][A 191] Denn auf die Verteilung des Kapitals u. dgl. käme es dabei natürlich absolut nicht in erster Linie an.
20)
. Die von mir gewählte Aufgabe war – sie ist als solche in meinem Aufsatz so deutlich wie nur möglich umschrieben worden: – zunächst einmal festzustellen, nicht wo und wie stark, sondern wie, durch welche seelischen Motivationsverknüpfungen, bestimmte Formungen des protestantischen Glaubens in den Stand gesetzt wurden, so zu wirken, wie sie dies – auch nach Rachfahls Ansicht – taten. Daß sie so wirkten, wurde natürlich zunächst einmal an einer Anzahl von Bei[601]spielen illustriert, im übrigen aber – weil es ja gar keine „Neuigkeit“ war –, als bekannt vorausgesetzt. Auch Rachfahl setzt es (Sp. 1265 oben) Vgl. z. B. meine Bemerkungen in dieser Zeitschrift XXVIII S. 263, XXIX S. 529.
49
Die Frage der „Weltanschauung“ behandelte Weber in seiner Aufsatzfolge „Zur Psychophysik der industriellen Arbeit“ (in: AfSSp, Bände 27–29, 1908/09; MWG I/11, S. 150–380). Demnach erweisen sich sozialistische Gewerkschaftler und pietistische Arbeiterinnen als besonders leistungsfähig (vgl. AfSSp, 28. Band, S. 263–266; MWG I/11, S. 278–281). Mit Rückbezug schreibt Weber an der zweiten angegebenen Stelle (AfSSp, 29. Band, S. 529; MWG I/11, S. 362, folgendes Zitat Fn. 95), „die wahrschein[601]liche Wirkung pietistischer Erziehung auf die Arbeitsleistung“ bleibe „durchaus hypothetisch“; „die Erscheinung“ finde aber „auch heute doch noch wesentlich zahlreichere Parallelen“, als er 1904 (d. h. während der Abfassung des ersten Aufsatzes zur „Protestantischen Ethik“) angenommen habe. Dabei rufe nicht mehr die Konfession jene Unterschiede hervor, „[…] sondern die Intensität, mit der sie, heiße sie nun Katholizismus oder Protestantismus, im Einzelfall die Lebensführung überhaupt beeinflußt“.
21)
[601] „Es kann kein Zweifel darüber obwalten, daß zwischen Kalvinismus“ (über diese ganz falsche Begrenzung s. o.)
53
„und Kapitalismus innere Beziehungen bestehen.“ Siehe oben, S. 576 f.
50
genau wie ich ausdrücklich als zweifellos feststehend voraus, – wozu sich freilich (wohl nicht nur für den Nichthistoriker!) der alsbald folgende Nachsatz seltsam genug ausnimmt Das Zitat in Webers Fn. 21: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 543.
22)
, in dem es heißt: es gelte nun erst, den [A 192]Nachweis der Existenz dieser Zusammenhänge – über die doch, hörten wir, „kein Zweifel“ Und natürlich erst recht die von ihm immer wieder unterstrichene Behauptung, daß es die „gemeinchristliche“ Reformationssittlichkeit (also doch auch die nicht- und anticalvinistische)
54
gewesen sei, die fortbestanden habe. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 543: „allgemeine christliche Ethik“: ähnliche Formulierungen ebd., S. 535, 554 und 558.
51
besteht – zu führen. Von dieser „Aufgabe“, – die ich mir, wie gesagt, gar nicht gestellt hatte, – erklärt dann Rachfahl: ich hätte sie mir „leicht“ gemacht. Zitat: Rachfahl, ebd.
52
Ich muß abwarten, ob andere Leser den Eindruck haben, daß ich die mir wirklich vorschwebende Leistung allzu „leicht“ genommen habe. Aber man fragt angesichts solcher immerhin recht anmaßenden Bemerkungen nun auch weiter: wie „schwer“ sich denn der anspruchsvolle Kritiker seinerseits jene von mir – nach seiner Erklärung – nicht gelöste Aufgabe gemacht habe? Und angesichts des Umstandes, daß über die Beziehung auch nur zwischen Calvinismus (von dem R[achfahl] allein spricht) und Kapitalismus in seinen gesamten fünf Aufsätzen nichts, schlechterdings nichts, beigebracht wird – oder bitte: was? –, das nicht schon genau ebenso in meinem Aufsatz stände, darf ich mich wohl einer Replik enthalten. Es bleibt mir in dieser Hinsicht natürlich in der Hauptsache nichts andres übrig, als die einfache, aber freilich [602]anspruchsvolle Bitte an etwaige Interessenten, sie möchten nach der Rachfahlschen „Kritik“ meine Aufsätze erneut vornehmen und – hierin liegt die hauptsächlichste Unbescheidenheit – vollständig lesen. Sie werden dann finden, Vgl. Rachfahls Urteil über Weber und Troeltsch gleichermaßen: Rachfahl, ebd., oben, S. 543.
k
1) daß ich die Unterstellung, man könne das kapitalistische Wirtschaftssystem aus religiösen Motiven überhaupt, oder aus der Berufsethik des von mir so genannten „asketischen“ Protestantismus ableiten, in meinem Aufsatz selbst „töricht“ genannt habe[602] In A folgt: nicht nur
55
und dabei selbst auf das Ausführlichste, ja geradezu zur Begründung meiner Problemstellung hervorhob, daß es sowohl „kapitalistischen Geist“ ohne kapitalistische Wirtschaft (Franklin) wie auch das Umgekehrte gegeben hat [602] Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 215.
56
(was Alles Rachfahl zwar selbst zitiert, aber, sobald es ihm paßt, alsbald wieder vergißt und dann als „Einwand“ gegen mich vorbringt) Vgl. Weber, ebd., oben, S. 164 und 166 f.
22a)
, – 2) daß es mir nicht eingefallen ist, jene, nach meiner Ansicht ursprünglich religiös bedingten Motive „asketischen Charakters“ mit dem kapitalistischen „Geist“ zu identifizieren (wie es bei Rachfahl von A bis Z – schon in dem Resumé meiner Aufsätze, Sp. 1219[602][A 192] Ich habe aus dem Auftauchen des „kapitalistischen“ Geistes (in meinem Sinne!) an einer Stelle, wo die ökonomischen Bedingungen dafür (damals noch!) so ungünstig wie möglich waren, grade geschlossen, daß die Methodik der Lebensführung, welche (damals) Neuengland und Pennsylvanien beherrschte, von sich aus die Antriebe dazu in sich barg.
59
Daß ein solcher Keim dann der erforderlichen „Bedingungen“ bedurfte, um zur Entstehung eines kapitalistischen „Wirtschaftssystems“ mitwirken (mitwirken!) zu können, – diese Selbstverständlichkeit habe ich zwar der Sicherheit halber auch noch (XX, S. 53, 54; XXI, S. 110) Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 174; dass. II, oben, S. 412.
60
gesagt, aber allerdings in der (wie ich sehe, irrigen!) Meinung, daß dies eigentlich überflüssig sei. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 214 und 215; dass. II, oben, S. 424.
57
– seinen Lesern vorgetäuscht wird), sondern daß ich sie (XXI, S. 107) Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 523.
58
nur als einen konstitutiven Bestandteil dieses „Geistes“ (und übrigens daneben, [A 193]ausdrücklich, noch weiterer moderner Kultureigenarten!) neben andern in Anspruch nehme (was Rachfahl nach endlosem Hin- und Herreden schließlich, wie gesagt, [603]selbst als richtig zugibt), Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 420.
61
– 3) daß ich über das Verhältnis des sogenannten „Erwerbstriebs“ zum „kapitalistischen Geist“ so eindeutig mich ausgesprochen habe, daß die Bemerkungen Rachfahls über diesen Punkt [603] Im Schlußabschnitt von Teil IV, vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 562.
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nur ein weiterer Beweis dafür sind, daß er entweder nicht dazu neigt, polemische Auseinandersetzungen mit dem guten Willen zu führen, bei dem Gegner – ich will nicht einmal sagen: den möglichst vernünftigen Sinn, sondern: – überhaupt irgend einen vernünftigen Sinn seiner Äußerungen vorauszusetzen, – oder daß er im Moment der Niederschrift seiner „Kritik“ sich nicht mehr erinnerte, was in der kritisierten Arbeit gesagt war. Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, bes. oben, S. 149, 154; Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 532–536. Auf diesen Abschnitt bei Rachfahl bezieht sich Weber auch im folgenden.
Ob man die höchst heterogenen psychischen Tatbestände, welche dem Streben nach Geld und Gut zu Grunde liegen können, überhaupt mit dem, einer sonst längst überwundenen Art der „Psychologie“ entnommenen[,] einheitlichen Namen „Erwerbstrieb“ bezeichnen sollte, bleibe unerörtert. Ganz entbehrlich ist er wohl nicht. Daß dieser sogenannte „Trieb“ sich, und zwar gerade recht eigentlich in triebhafter: irrationaler, ungezügelter Form, in allen Stadien der Kulturentwicklung und in allen möglichen sozialen Schichten: beim neapolitanischen barcajuolo, beim antiken und modernen orientalischen Krämer, beim „biederen“ kleinen Tiroler Gastwirt, beim „notleidenden“ Agrarier, beim afrikanischen Häuptling[,] in kolossalstem Maßstab findet, – dagegen grade in dieser naiv triebhaften Form beim „Typus“ des Puritaners oder bei einem so streng „respektabel“ denkenden Mann wie dem von mir zitierten B[enjamin] Franklin
63
nicht, – dies ist einer der ausgesprochensten Ausgangspunkte meiner Darstellung, und ich durfte erwarten, daß wenigstens dies einem Mann, der sie „kritisieren“ wollte, nicht aus dem Gedächtnis kommen würde. Und, um es nun noch einmal zu wiederholen: wo immer großkapitalistische Entwicklung sich je gefunden hat, im fernen Altertum sowohl wie in unseren Tagen, da hat es selbstverständlich jenen Typus von skrupellosem money-maker gegeben, welcher in der Exploitierung der römischen Provinzen ebenso wie in den Raubkolonien der italieni[604]schen Seestädte und den weltumspannenden Spekulationen der Florentiner „Geldgeber“, in den Plantagen der Sklavenhalter und den Goldfeldern aller Erdteile ebenso wie in den amerikanischen Eisenbahnen oder den großfürstlichen Praktiken im fernen Osten oder den ebenfalls weltumspannenden Spekulationen der „Imperialisten“ der City sich auswirkt. In den technischen Möglichkeiten und Mitteln, nicht aber in der Erwerbs-Psychologie ist hier ein Unterschied. Solche erstaunlichen Wahrheiten allerdings, wie: daß das Streben nach „Glück“, nach „Nutzen“, nach „Genuß“, „Ehre“, „Macht“, „Zukunft der Nachkommen“ und dergleichen bei der Auslösung des Strebens nach dem Höchstmaß von Gewinn immer und überall in sehr verschiednen Kombinationen mitbeteiligt waren und sind, hätte Rachfahl, glaube ich, sich sparen können, Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 142–145.
64
da schwerlich Jemand zu finden sein wird, [A 194]der sie bestreite [604] Vgl. dazu Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 533–535.
23)
. Ich [605]habe jene Motive nur dann (dann aber ausdrücklich) erwähnt[604][A 194] Wo ich von einer „absoluten“ Herrschaft des Puritanismus im englischen Wirtschaftsleben gesprochen haben soll, ist mir unverständlich.
65
Der Kampf der bürgerlich-kapitalistischen Mittelklassen hatte zwei Fronten: gegen die „Squirearchie“ Bezug: Rachfahl, ebd., oben, S. 548.
66
beginnt er als ein ganz ausdrücklicher Kampf der „Askese“ mit dem „fröhlichen alten England“, ein Kampf, in welchen die Krone durch das book of sports eingriff; Squirearchy (engl.), „Landjunkertum“.
67
– gegen die (im 17. Jahrhund[ert] höfischen) Monopolisten und Groß-Finanziers auf der andren Seite Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 397 f. mit Anm. 71. Mit der „Declaration of sports“ erklärten Jakob I. 1617/18 und Karl I. 1633 die sonntäglichen traditionellen Vergnügungen entgegen der von den Puritanern betriebenen „Sabbatheiligung“ ausdrücklich für erlaubt.
l
(vergl. die bekannten Schritte des [„]langen Parlaments“[604] Fehlt in A; Seite sinngemäß ergänzt.
m
in dieser Richtung)A: Parlements“
68
war er – das würde ich bei Fortsetzung meiner Artikel zu zeigen gehabt haben Nämlich die „Great Remonstrance“ von 1641, jene an die Regierung Karls I. gerichteten Forderungen des Langen Parlaments wegen unzähliger Mißbräuche (abgedruckt bei Gardiner, Constitutional Documents, p. 127–154).
69
– von einer sehr bestimmten Theorie des „justum pretium“ Vgl. dazu die Einleitung, oben, S. 66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S. 90–96, sowie den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Beiträge, oben, S. 464 f. mit Anm. 10.
70
getragen, welche die puritanische Ethik erfüllte. Lat., „gerechter Preis“; Bestandteil christlicher Ethik. Vgl. dazu das Glossar, unten, S. 832.
23a)
, wo sie in ihrer Tragweite in Spannung gegenüber der mich interessierenden asketischen „Berufsethik“ traten. Von einer ebenso erstaunlichen Richtigkeit ist das breite Plaidoyer Rachfahls dafür, daß es von allen den verschiedenen Arten von innerlichen Beziehungen zum Erwerb zu derjenigen, mit welcher ich mich befaßt habe, psychologische Übergänge gebe, daß ferner das von mir „isoliert“ dargestellte[605] Vgl. z. B. XXI, S. 98 Anm. 65.
72
Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 98 f., Fn. 65.
24)
Motiv in der Realität „nicht rein abzulösen“, meist „mit andern kombiniert“, „selbst heute nicht“ Aber doch weiß Gott nicht, wie Sp. 1249 behauptet wird,
73
als in jedem oder auch nur den meisten Trägern von „kapitalistischem Geist“ (in meinem Sinn) in absoluter Einzigkeit wirkend hingestellte. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 534.
25)
erschöpfend usw. sei. Da doch sogar Rachfahl nachweislich bekannt ist, daß ich ausführlich das Geschwundensein jener in den Zeiten der Blüte des asketischen Protestantismus wirksamen Motivationsverknüpfung zu erklären gesucht habe – er polemisiert ja gegen meine Art der Erklärung –, so ist dies „selbst heute“ wiederum ein Beispiel für die Art seiner, keinerlei möglicherweise eindrucksvolle Wendung verschmähenden, „Kritik“. Dazu tritt, um das Bild zu vervollständigen, noch, daß er selbst Sp. 1324 oben
74
den heutigen Großkapitalismus in seinem Lebensstil in Gegensatz stellt zu dem calvinistischen, – und zwar genau in dem Sinn, in dem er es bei mir gelesen hat, nur mit etwas anders gesetzten Worten. Rachfahl, ebd., oben, S. 554.
71
Dies dürfte für alle nur irgend erdenklichen Motive menschlichen Handelns zutreffen und hat noch Niemand gehindert, wenn es sich um den Versuch, die spezifischen Wirkungen eines bestimmten Motivs zu ermitteln [605] Die Zitate bei Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 533 und 535.
n
, handelt, dieses in möglichster „Isoliertheit“ und innerer Konsequenz zu analysieren. Wen nun diese ganze „Psychologie“ nicht interessiert, sondern nur die äußeren Formen der Wirtschaftssysteme, den darf ich bitten, meine Versuche ungelesen zu lassen, ebenso aber auch, mir dann gefälligst anheimzustellen, ob ich meinerseits mich grade für diese seelische Seite der modernen Wirtschaftsentwicklung interessieren will, welche im Puritanismus die großen inneren Spannungen und Konflikte zwischen „Beruf“, „Leben“ (wie wir uns heute gern ausdrücken), [A 195]„Ethik“[605] Fehlt in A; zu ermitteln sinngemäß ergänzt.
o
im Stadium eines eigentümlichen Ausgleichs [606]zeigen, wie er in dieser Art weder vorher noch nachher bestanden hat. Und zwar auf einem Gebiet, wo die Traditionen der Antike und des Mittelalters andre Wege wiesen, und wo wir heute mitten in erneuten Spannungen leben, die – weit über den Kreis der von mir herausgegriffenen Sphäre hinaus – sich zu Kulturproblemen ersten Ranges auswachsen, wie sie, in dieser Art, nur unsere „bürgerliche“ Welt kennt. Es ist eben einfach nicht richtig, wenn Rachfahl ins Blaue hinein – und überdies ebenso wie in seiner ganzen Polemik im schreiendsten Widerspruch gegen seine eigenen früher zitierten Zugeständnisse am Schlusse seiner „Kritik“A: „Ethik“,
75
– behauptet, die „Berufsethik“, wie sie die (in meinem Sinn) „asketischen“ Richtungen des Protestantismus kannten, sei ebenso schon im Mittelalter herrschend gewesen. [606] Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 562.
76
Bei dem Gegensatz gegen das Mittelalter sind solche mehr äußerlichen Punkte, wie die Stellung der kirchlichen Doktrin zum „Wucher“[,] für mich keineswegs das Entscheidende, wie jeder Leser meines Aufsatzes weiß, Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S. 553.
77
während allerdings die Bemerkungen Rachfahls grade hierüber zu den klassischen Zeugnissen seiner völligen Verständnislosigkeit für das gehören, worum es sich bei diesen Problemen handelt. Hören wir ihn: „Und wenn sich ein Kapitalist dadurch (durch das Zinsverbot) wirklich so weit geniert fühlte, daß er durch fromme Stiftungen sein Gewissen beschwichtigen zu müssen meinte – ist das nicht gerade ein Beweis dafür, daß seine Grundanschauung eine antitraditionalistische war? Denn der Erwerbstrieb war in ihm so mächtig, daß er nicht einmal ein Vehikel religiöser Ethik, wie später die protestantischen ,Asketen‘ brauchte, um sich zum Geldverdienen getrieben zu fühlen …“ (Sp. 1300) Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 173 f.
26)
.[606][A 195] Die Sperrungen hier und – wie nachträglich bemerkt sei – auch früher bei Zitaten aus den R[achfahl]schen Artikeln rühren von mir her.
78
Der „Erwerbstrieb“ aller jener Gründer und Spekulanten, die „mit dem Ärmel an das Zuchthaus streifen“, Zitat: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 552, bei Weber mit kleinen Abweichungen, z. B. „in den“ statt „die“ (Asketen).
79
um die Millionen zu verdienen, der „Erwerbstrieb“ [607]des in den Reisezentren der Riviera zur Schamlosigkeit erzogenen Kellners, der die Gäste gewohnheitsmäßig mit der Rechnung betrügt, braucht noch weit weniger „Ethik“ als „Vehikel“, – und käme es auf die Konstruktion einer Stärke-Skala des „Erwerbstriebs“ an, so würde der Puritanismus ganz gewiß nicht an der Spitze marschieren, auch nicht jener Typus von Rationalisten des Gelderwerbes, als den ich Benjamin Franklin gewählt hatte Sprichwort, vgl. Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk, hg. von Karl Friedrich Wilhelm Wander, 5. Band. – Leipzig: Brockhaus 1880, Sp. 1823.
26a)
. Aber [A 196]nicht um die triebmäßige Gier nach Geld, nach Glück, nach dem splendor familiae usw. handelt es sich[607] Sombart (XXIX S. 701)
82
eignet sich ganz mit Recht die Äußerung eines Großunternehmers wie Rathenau (in dessen „Reflexionen“) an, der „noch niemals einen wahrhaft großen Geschäftsmann und Unternehmer“ gekannt haben will, „dem das Verdienen die Hauptsache seines Berufs war und ich möchte behaupten, daß, wer am persönlichen Geldgewinn hängt, ein großer Geschäftsmann überhaupt nicht sein kann“. (Ganz dies würde auch Franklin, ganz unbeschadet seiner „Predigt“, Gemeint ist: Sombart, Unternehmer, S. 701, dort auch das anschließende Zitat. Es entstammt: Rathenau, Reflexionen, S. 81, und dient Sombart zum Beleg, daß das Grundmotiv eines jeden Unternehmers „nicht etwa das Gewinnstreben“ oder die „,Profitwut‘“ sei, sondern „das Interesse an seinem Geschäft“ (S. 700 f.).
83
gesagt haben und erst recht die Puritaner. Der Reichtumsgewinn ist ihnen allen – mit Rachfahl zu reden – etwas Die aus Franklin zitierten Passagen: Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 142–145.
p
„Akzessorisches“.)[607]A: „etwas
q
In A fehlende Klammer ergänzt.
84
Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 554.
80
– Alles Dinge, die den ernsten Puritanern grade ferner liegen als Andern: ihrer Weltabgewandtheit zum Trotz werden sie reich, – sondern darum, daß der „asketische“ Protestantismus für den Kapitalismus auch die entsprechende „Seele“ schafft, die Seele des „Berufsmenschen“, der solche Mittel wie der Mensch des Mittelalters nicht braucht, um sich einig zu fühlen mit seinem Tun. – Das war der Kaufmann der Florentiner Frührenaissance nicht.[607] Wie oben, S. 604; vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 534.
81
Es ist hier nicht der Ort, die tiefe Zerrissenheit, welche bei aller strotzenden Kraft und scheinbaren Geschlossenheit durch die Ernstesten unter den Menschen jener Tage ging, zu analysieren. Nur eine, und gewiß eine mehr an der Oberfläche liegende, Erscheinung, die sich diesem Bilde einfügt, sind jene Restitutionen „wucherisch“ erworbenen Gutes. Aber allerdings gehört sie in dieses Bild. Ich – und wohl eigentlich jeder [608]einigermaßen Unbefangene – kann in jenen „Beschwichtigungsmitteln“ nur eines der zahlreichen Symptome für die Spannung zwischen „Gewissen“ und „Handeln“, für die Unvereinbarkeit des auch von Luther nicht überwundenen „Deo placere non potest“, Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 173 f. mit Fn. 33.
85
der Ideale grade der ernstlich katholisch gestimmten Menschen[,] mit dem „kaufmännischen“ Gewinnstreben sehen [608] Das Wucherverbot in seiner Wendung für den Kaufmann: „[Ein Kaufmann] kann vor Gott keinen Gefallen finden“ (nach dem Corpus Iuris Canonici). Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 172 mit Anm. 14. Zu Luther vgl. Weber, ebd., oben, S. 197–199, S. 198 mit Anm. 94.
r
, und die zahllosen praktischen und theoretischen „Kompromisse“[608]A: auffassen
27)
– eben als „Kompromisse“. Es ist eben nicht richtig, daß eine jede Art der Tätigkeit sich ihre „Berufsethik“ einfach – wie Rachfahl behauptet[608][A 196] Ich habe dafür weit drastischere Beispiele angeführt als „fromme Stiftungen“,
87
die – nur aus gänzlich andern, in charakteristischer Art andern, Motiven! – grade z. B. auf dem Boden des Calvinismus und des Reformiertentums überhaupt in mindestens gleichem Maße gang und gebe waren. Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 407 f., Fn. 65. – Der Bezug auf „fromme Stiftungen“ bei Rachfahl: Kalvinismus, oben, S. 552.
86
und wie es ja das „Nächstliegende“ zu sein scheint – zu allen Zeiten in gleicher Art geschaffen habe. Meine Aufsätze hätten grade einen Beitrag zur Erkenntnis liefern mögen, in wieweit diese (im Wesen „geschichtsmaterialistische“) Auffassung, deren triviales Recht an sich selbstverständlich kein Mensch, am allerwenigsten ich, anficht, in der historischen Entwicklung ihre Schranken hat Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 552 f.
28)
. Ich hatte sehr nachdrücklich betont, daß ich im Fall einer Vollendung meiner Aufsätze, wo dann die umgekehrte Kausalbeziehung: – Bedingtheit des Religiösen durch die ökonomischen Verhältnisse – zur Geltung gelangen müßte, wahrscheinlich der „Kapitulation vor dem Geschichtsmaterialismus“ ganz ebenso geziehen werden würde,
88
wie, nach dem, was vorliegt, der „Übertreibung des Einflusses religiöser Momente“, Über eine geplante Untersuchung der umgekehrten Kausalbeziehung hatte sich Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 424 f. geäußert. Zur geplanten Fortsetzung seiner Protestantismus-Aufsätze vgl. die Einleitung, oben, S. 66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S. 90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 464 f. mit Anm. 10.
89
– bei R[achfahl] (Sp. 1325) Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 557; ähnlich S. 555 u.ö.
90
findet sich für meine angebliche „These“ sogar [609]der Ausdruck „ungeheuerlich“, freilich nicht gerade im Einklang damit, daß R[achfahl] den Inhalt derselben, wie schon bemerkt, Rachfahl, ebd., oben, S. 555.
91
selbst sich aneignet. – Beiläufig: jener Einfluß ist denn doch auch auf politischem Gebiet von ganz anderer, fundamentalerer, Bedeutung, als nach dem Eindruck der „Nichts-als-Politiker“ unter den Historikern, die unter den „großen Mächten“ nur die großen Bataillone verstehen, mit denen freilich der liebe Gott auf dem Schlachtfelde zu gehen pflegt. Noch so viele „Mächte“ dieser Art haben [A 197]z. B. den einen Satz der Bibel: „Man soll Gott mehr gehorchen als den Menschen“, [609] Siehe oben, S. 584, Fn. 10.
92
– solange er den Glauben entschlossener Männer, und seien es auch kleine Minderheiten, wie die Puritaner fast überall es waren, beherrschte, – nicht außer Gefecht zu setzen vermocht. An ihm scheiterten die „Kulturkämpfer“ des 17. wie des 19. Jahrhunderts, und beide Male hatte ihre Niederlage Konsequenzen von einer in Generationen nicht zu überwindenden Tragweite. Apg 5,29.
93
Er ist selbstredend sehr weit davon entfernt, das einzige Fundament des politischen Individualismus (ich nehme an, daß dieser Ausdruck in diesem Fall unzweideutig ist) gewesen zu sein. Aber der Umstand, daß dem heutigen politischen Individualismus dieser Einschlag fehlt und fehlen muß, in Deutschland, dank unter anderem auch dem Luthertum, von jeher teils gefehlt hat, teils nur mit passiven Konsequenzen ausgestattet wurde, Gemeint sein dürften Johan van Oldenbarnevelt im 17. Jahrhundert und für das 19. Jahrhundert wahrscheinlich Bismarck.
94
ist für weit mehr verantwortlich, als jene klugen Leute sich träumen lassen. Ähnlich äußert sich Weber im Brief an Adolf Harnack vom 5. Februar 1906 (MWG II/5, S. 32 f.), zitiert in der Einleitung, oben, S. 25 f., Anm. 94; vgl. dazu auch Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 206–209, dass. II, S. 304–307.
[609][A 197] Um das Gesagte zusammenzufassen: bei meinen Ausführungen handelte es sich darum, eine bestimmte, konstitutive Komponente des Lebensstils, der an der Wiege des modernen Kapitalismus stand, an dem sie – mit zahlreichen andren Mächten – mit gebaut, zu analysieren und in ihren Wandlungen und ihrem Schwinden zu verfolgen. Ein solcher Versuch kann sich nicht die Aufgabe stellen, zu ermitteln, was zu allen Zeiten und überall, wo Kapitalismus existierte, vorhanden war, sondern sie hat grade umgekehrt das Spezifische der einmaligen Entwicklung zu ermitteln
29)
. Dafür verant[610]wortlich zu sein, wenn Andere die von mir ausdrücklich und mit denkbar größtem Nachdruck als eine Einzelkomponente bezeichneten religiösen Momente verabsolutieren und mit dem „Geist“ des Kapitalismus überhaupt identifizieren oder gar den Kapitalismus daraus ableiten, habe ich schon einmal mit aller Schärfe abgelehnt, Schier unglaublich ist es, wenn Rachfahl (Sp. 1251)
95
die „agonalen Triebe“, von denen ich hervorgehoben habe, daß sie heute vielfach an die Stelle des erloschenen asketischen „Geistes“ getreten sind, Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 535, mittels eines unvollständigen Zitats von Troeltsch (das Zitat entstammt: Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus – wie oben, S. 42 f., Anm. 65 –, S. 45 (KGA 8, S. 277); in der Zitatfortsetzung heißt es auch bei Troeltsch (ebd.), der kapitalistische Geist mit „seiner schließlichen Wendung zum Erwerb um des Erwerbes willen […], seinem agonalen Siegesbedürfnis […]“ habe sich vom „ursprünglichen Boden“ gelöst und sei zu „einer dem echten Calvinismus und Protestantismus geradezu entgegengesetzten Macht geworden“).
96
mir als einen von mir übersehenen Bestandteil im [610]Begriff vom „Geist“ des Kapitalismus entgegenhält. Was das Wesen dieser „agonalen“ Triebe ist – denn hier kann man von „Trieben“ sprechen Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 423.
4
– das veranschaulicht ebenso wie das von mir (XXI Vgl. dazu oben, S. 603.
a
, S. 109 Anm.)[610] In A fehlende Klammer ergänzt.
5
zitierte Beispiel sehr gut Rockefellers Aussage vor der Industrial Commission (cf. die Bemerkungen von Sombart dazu: XXIX, S. 710). Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 423, Fn. 85a.
6
„[…] As the business grew and markets were obtained at home and abroad more persons and capital were added to the business and new corporate agencies were obtained or organized, the object being always the same, to extend our business by fournishing the best and cheapest products.“ Schlußsatz der bei Sombart, Unternehmer, S. 710 wiedergegebenen Aussage Rockefellers in dem „Report of the Industrial Commission on Trusts“ von 1900 (bei Rockefeller, Answers, Zitat ohne Hervorhebung p. 795). Nach Sombart bringt Rockefeller „in geradezu klassischer Form die jeden vernünftigen Grundes bare Tendenz zum schrankenlosen Erwerbe zum Ausdruck […]. Das Monomanische tritt prachtvoll in die Erscheinung. Sinnlos wird Kapital auf Kapital getürmt: warum? weil (!) das Geschäft wächst.“
1
– ohne daß Rachfahl die Pflicht fühlte, dies, obwohl er es weiß, zu berücksichtigen. Mein Versuch mag nun geglückt oder auch mißglückt sein. Wenn aber ein Historiker ihm nichts Besseres entgegenzuhalten weiß, als die Aufzählung einer Reihe anderer Komponenten, die – wie kein Mensch bezweifelt – zu jeder Zeit kapitalistische Expansionen begleitet haben, [610] Gegenüber Fischer, vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S. 478–485.
2
so dient er den Aufgaben und Interessen seiner Disziplin wenig: wozu sich denn eigentlich für „Geschichte“ interessieren, wenn diese nur den Finger drauf legt, daß im Grunde „Alles schon dagewesen“ sei? – Vgl. oben, S. 604.
Genug davon und nur noch einige Bemerkungen über die Be[A 198]ziehungen zwischen dem „Geist“ des Kapitalismus und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem.
Werner Sombart hat diesem Thema (im vorigen Bande dieses Archivs S. 689 ff.)
3
eine Studie gewidmet, welche mich bei der gro[611]ßen, namentlich methodischen, Übereinstimmung Gemeint ist: Sombart, Unternehmer.
30)
in allen [612][A 199]wesentlichen Punkten der Pflicht überhebt, ausführlich zu werden. [613]Sowohl der Begriff: „Kapitalismus“ wie, erst recht, der andere: „Geist des Kapitalismus“ sind nur als „idealtypische“[611][A 198] Denn daß Sombart (S. 709) die aus dem Zwang der „Sache“: der Situation, entspringenden, typischen „Tendenzen“ im zweckbewußten Handeln der Unternehmer zur „Psychologie“ des Unternehmertums rechnet,
In der Sache lassen sich natürlich zu Sombarts Ausführungen noch eine Fülle von Erläuterungen und Beispielen geben. Z. B. über die „pragmatisch“ bedingten Schranken der „Rechenhaftigkeit“: Mir wurden zufällig einmal die inneren Verhältnisse eines allergrößten, aus einem Familienkonzern erwachsenen Geschäfts bekannt, welches in drei großen Handelsplätzen Europas und zwei ausländischen fast alle denkbaren Formen des Großhandels betrieb.
7
während ich alle derartigen kausalen Komponenten als „pragmatische“ oder „rationale“ (weil aus dem unvermeidlichen Mittel zum Zweck: ökonomische Selbstbehauptung, ableitbar) bezeichne, ist ein rein terminologischer Unterschied, da in der Sache grade Sombarts Darstellung die entscheidenden Punkte sehr schön hervorhebt. Warum ich meinerseits gewisse terminologische Bedenken gegen den Ausdruck „Psychologie“ für jene Art von Analyse des Handelns habe, ist in diesem Archiv (XXVII S. 546) [611] Sombart, Unternehmer, S. 709, unterscheidet eine logische und eine psychologische Betrachtungsweise der Erwerbsidee des kapitalistischen Wirtschaftssystems: „Jene [die logische Betrachtungsweise] entwickelt die verschiedenen Inhalte der Idee aus dieser selbst, verfolgt die Grundidee in ihre einzelnen Bestandteile hinein; diese [die psychologische Betrachtungsweise] versucht, die aus der Maxime des Gewinnstrebens folgenden Zwecksetzungen der handelnden Personen zu ermitteln. Was auf diesem Wege festgestellt werden kann, sind ,Tendenzen‘ des Handelns, die sich aus jenem Gewinnstreben mit (psychologischer) Notwendigkeit ebenso ergeben wie dort die Einzeläußerungen der Idee aus logischer Notwendigkeit. Beide Betrachtungsweisen müssen letzten Endes zu demselben Ergebnis führen (da ja die scheinbar ganz freie logische Deduktion im letzten Grunde doch wiederum psychologisch verankert ist).“
8
entwickelt. Man pflegt z. B., wenn man von „Börsenpsychologie“ redet, grade an „irrationale“, aus der geschäftlichen Lage nicht rational ableitbare Erscheinungen zu denken. Weber, Grenznutzlehre, erschienen in: AfSSp, 27. Band, 1908, hier S. 556: „Wer beispielsweise die Notwendigkeit der Berücksichtigung der spezifischen ,Börsenpsychologie‘ neben der rein theoretischen Preislehre betont, der denkt sich als ihr Objekt grade den Einfluß ökonomisch irrationaler Momente, ,Störungen‘ also der theoretisch zu postulierenden Preisbildungsgesetze. Die Grenznutzlehre, und überhaupt jede subjektive Wertlehre, sind nicht psychologisch, sondern – wenn man dafür einen methodologischen Terminus will – ,pragmatisch‘ fundamentiert, d. h. unter Verwendung der Kategorieen: ,Zweck‘ und ,Mittel‘.“
In der Sache lassen sich natürlich zu Sombarts Ausführungen noch eine Fülle von Erläuterungen und Beispielen geben. Z. B. über die „pragmatisch“ bedingten Schranken der „Rechenhaftigkeit“: Mir wurden zufällig einmal die inneren Verhältnisse eines allergrößten, aus einem Familienkonzern erwachsenen Geschäfts bekannt, welches in drei großen Handelsplätzen Europas und zwei ausländischen fast alle denkbaren Formen des Großhandels betrieb.
9
Die einzelnen „Sitze“ hatten sehr verschieden intensiv [612]zu arbeiten – fast unglaublich verschieden nach Quantität und Intensität Weber spielt hier möglicherweise auf den Bunge-Konzern an, der seinerzeit weltweit im Getreidehandel tätig war und auch heute noch existiert. Zu diesem, in Europa in Antwerpen, Amsterdam und London agierenden Konzern bestanden verwandtschaftliche Beziehungen. Laura Fallenstein, Tochter aus erster Ehe von Max Webers Großvater Georg Friedrich Fallenstein, hatte um 1840 den holländischen Kaufmann Carl Gustav Bunge geheiratet, der den Hauptsitz seiner väterlichen Export- und Importfirma um 1850 von Amsterdam nach Antwerpen verlegte. Unter seinen Söhnen expandierte die Firma: Ernst Bunge gründete 1884 in Buenos Aires eine auf den Wei[612]zenexport konzentrierte Handelsfirma, und sein Bruder Eduard engagierte sich zugunsten von Bunge & Co. (Antwerpen) im Kongofreistaat und investierte nach der Jahrhundertwende in malaiische und indische Kautschukplantagen. (Das Familienunternehmen in seinen Verzweigungen beschreibt Roth, Familiengeschichte, S. 88–104.) – Im Sommer 1907 besuchte Weber während seines Aufenthalts in Amsterdam seinen damals 60jährigen Vetter Fritz Fallenstein, der im Amsterdamer Bunge-Kontor arbeitete, und mit ihm Julius Bunge und Familie, den Schwiegersohn Carl Gustav Bunges, der die Amsterdamer Tabakimportfirma leitete (vgl. seinen Brief an Marianne Weber vom 18. Aug. 1907, MWG II/5, S. 362 f.). – Welches der zweite ausländische Handelsplatz außerhalb Europas war, ließ sich nicht definitiv ermitteln. In Frage kommt eine 1905 von Argentinien aus gegründete Tochterfirma in Brasilien.
10
–, und ihr Beitrag zum Gesamtprofit, der, wie im Mittelalter, in eine Kasse ging, war ebenfalls höchst verschieden, ebenso der Kapitalbedarf. Einer der Verwandten, der genialste Kaufmann, hatte überdies das Contor satt bekommen und wohnte in Paris, von wo er jeweilig, wenn etwas wichtiges vorlag, zur Konferenz an den betreffenden Ort fuhr. Nach Fritz Fallensteins Schilderung im Jahr 1907 ging das Amsterdamer Geschäft zurück. Die Geschäftspraktiken des Tabakverkaufs charakterisiert Weber in seinem Brief an Marianne Weber vom 18. August 1907 als altmodisch (vgl. MWG II/5, S. 362 f.).
11
Gleichwohl ging der sehr hoch in die großen Zahlen laufende Gewinn einfach in Kopfteile, so zwar, daß nur der eine Unterschied: doppelte oder einfache Teilquote, gemacht wurde. Doppelten Anteil erhielten: der Chef der größten, mit einem wahren Monster-Kontor arbeitenden Filiale, und ein andrer, der an einem spezifisch antipathischen überseeischen Ort zu residieren hatte, Wer gemeint ist, ließ sich nicht ermitteln.
12
einfache alle andern, auch der in Paris residierende „Gelegenheits“-Arbeiter. Eine Verteilung auf Grund genauerer Verrechnung wurde zwar als durchaus möglich, aber schon wegen der Höhe des Gewinns zu „unbequem“, „kleinlich“ und „unnötig“ bezeichnet. Dagegen einem nahen, sehr geschätzten und intim befreundeten, dabei für das Geschäft fast unentbehrlichen Verwandten der Chefs, dessen kleinerer Geschäftsanteil in einer Krise durch Zubußen verloren war und der nun als „Angestellter“ (Prokurist) „diente“, Vermutlich: Eduard Bunge im Firmenhauptsitz in Antwerpen und Ernst Bunge mit „Bunge y Born“ in Argentinien.
13
den Gemeint sein könnte Fritz Fallenstein. Über ihn schreibt Max Weber im Brief an Marianne Weber vom 18. August 1907, MWG II/5, S. 362 f., er habe „[…] sein Leben lang im Contor des Bunge’schen Hauses auf dem Schemel gesessen u. für sie anspruchslos u. ehrlich gearbeitet, es aber dabei so wenig wie die Andren [Fallensteins] zu etwas gebracht“ (Zitat S. 362; vgl. auch Roth, Familiengeschichte, S. 97). Einer der „Chefs“ wäre demnach der Chef der Amsterdamer Tabakfirma Julius Bunge, Ehemann von Fritz Fallensteins Cousine und Max Webers Halbcousine Emmy Bunge (gest. 1899). Welchen Geschäftsanteil Fritz Fallenstein in einer Krise verloren haben soll, ist nicht bekannt.
b
Gehalt besonders hoch, höher als üblich und für ihn anderweit erlangbar, anzusetzen, galt als gegen alle „Ge[613]schäftsgrundsätze“ und schon deshalb unmöglich, weil die andern Angestellten Ähnliches fordern könnten. Vor allem: er habe eben „nichts andres zu erwarten“.[612] Zu erwarten wäre: das
15
[A 199]Sein Gehalt war eben Teil der Kosten und daher von rein ökonomischen, „rechenhaften“ Gesichtspunkten beherrscht. Der einmal über die Schwelle des Bilanzstriches entkommene „Gewinn“ dagegen nicht. Bei ihm erreichte die Rechenhaftigkeit ihr Ende, weil sie „pragmatisch“, für die Existenz des Geschäfts, nicht unentbehrlich war. Solche Erscheinungen, deren es viele gibt, lassen sich aus dem „Wesen“ des „Kapitalismus“ ohne alle und jede „Psychologie“ rational mit Hilfe der Kategorien „Mittel“ und Zweck erklären. Aber für die historische Betrachtung reicht diese rationale Ableitung Im Brief an Marianne Weber vom 25. August 1907, MWG II/5, S. 372 f., hält Max Weber nach vorausgehenden Gesprächen mit Fritz Fallenstein und dem gemeinsamen Besuch bei Julius Bunge den Eindruck fest: „Knallig reich sind sie dabei alle [die Bunges], und Bourgeois par excellence. Die Behandlung der Fallensteins durch sie ist eine ganze Serie höchst unerquicklicher Geschichten von Ausbeutung und Misachtung […]. Ich wußte das immer, habe es nur jetzt so gelegentlich wieder bestätigt gefunden“ (Zitat S. 373). Allerdings war es den Fallenstein-Brüdern ermöglicht worden, im Bunge-Unternehmen Fuß zu fassen (so Roth, Familiengeschichte, S. 95–97).
c
allein nicht aus, denn es vermählen sich solche aus dem Wirtschaftssystem als solchem erklärbaren Bestandteile mit anderen von heterogenster Provenienz und schaffen an dem „Geist“, der es jeweils beseelt. – „Erwerbstrieb“, „Profitwut“ u. dgl. vollends sind jedenfalls – das hat grade auch Sombart sehr zutreffend hervorgehoben,[613]A: Abteilung
16
– keinerlei ausreichende Kategorien für die Analyse des „kapitalistischen Geistes“ –[,] wie immer man diesen Begriff fasse. Vgl. Sombart, Unternehmer, bes. S. 700 ff.
31)
Denkgebilde konstruierbar. Über den Begriff „Idealtypus“ s. meinen Aufsatz im XIX. Bande dieses Archivs.
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Vgl. Weber, Objektivität, S. 64 ff.
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Und zwar beide entweder abstrakt, so, daß das dauernd Gleichartige in begrifflicher Reinheit herausdestilliert wird: alsdann wird der zweite der beiden Begriffe ziemlich inhaltsleer und fast reine Funktion des ersten. Oder historisch: so also, daß „idealtypische“ gedankliche Bilder der für eine bestimmte Epoche im Gegensatz zu andern spezifischen Züge gebildet, die generell vorhandenen dabei also als ebenfalls gegeben und bekannt vorausgesetzt werden. Dann kommt es natürlich gerade auf die, in dieser [614]Art in den andren Lebensepochen des Gebildes nicht oder dem Grade nach spezifisch verschieden vorhanden gewesenen Züge an. Für den „Kapitalismus“ des Altertums als Wirtschaftssystem habe ich dies in einer übrigens sicherlich noch sehr unvollkommenen Art (im Handw[örter]b[uch] d[er] Staatswiss[enschaften] Artikel „Agrargeschichte des Altertums“) zu tun versucht[613] Im Hintergrund von Webers folgender Erläuterung zum Idealtypus stehen die Äußerungen Rachfahls, Kalvinismus, oben, S. 535 und 554, vgl. insbesondere dessen rhetorische Frage: „Gehört denn der Verzicht auf Macht und auf alle anderen Motive überhaupt so sehr zur ,Eigenart‘ des ,kapitalistischen Geistes‘, daß man unter diesem Gesichtspunkte auch nur seinen ,Idealbegriff‘ formen darf?“ (S. 535).
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; – für das, was ich „Geist“ des modernen Kapitalismus nennen wollte, hatte mein Aufsatz den Anfang [614] Ich habe dabei gegen früher insofern eine Änderung der Terminologie vorgenommen, als ich s. Z. nicht geneigt war, mehr als vereinzelte Erscheinungen der antiken Wirtschaft als „kapitalistisch“ zu bezeichnen, daher Bedenken trug, von antikem „Kapitalismus“ zu reden. Darüber denke ich jetzt anders, wie dies aus einem Artikel „Agrargesch[ichte] im Altertum“ im H[and-]W[örter-]B[uch] d[er] St[aats-]W[issenschaften] III. Aufl. hervorgeht.
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Gemeint ist: Weber, Agrarverhältnisse3. Zu Webers Begriffen antiker Kapitalismus oder Kapitalismus im Altertum ausführlich Deininger, Einleitung, MWG I/6, S. 36–38, 41 f., 44 f., 48 f. und S. 50–54.
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einer Ausführung dar[A 200]stellen sollen, welche zunächst die neuen, durch die Reformationszeit eingewebten Fäden verfolgen wollte. Ich habe (dieses Archiv XXVI S. 279 Anm. 3)
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selbst hervorgehoben, daß ich durch die Nichtvollendung in den Nachteil versetzt bin, daß „flüchtige Leser diese Artikel leicht als etwas in sich Abgeschlossenes ansehen können“. Ein „Kritiker“ hat aber nicht das Recht, ein solcher flüchtiger Leser zu sein. Schon die bloße Berücksichtigung meiner kleinen Skizze in der „Christl[ichen] Welt“ Weber, Bemerkungen, oben, S. 505 f., Fn. 3.
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muß Jedem zeigen, daß das Problem in meinen Aufsätzen im Archiv absichtlich zu[A 200]erst von der am schwersten greifbaren und „beweisbaren“, den inneren Habitus angehenden Seite angeschnitten war und der mächtige Einfluß der Erziehung, der Zucht in den Sekten usw. – noch bis zur Schwelle der Gegenwart – noch gar nicht erörtert, sondern nur angedeutet war. Wenn Rachfahl seinerseits die Bedeutung der Erziehung betont, Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 435–462 (den Rachfahl nicht berücksichtige, so Weber, oben, S. 573, Fn. 1).
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so gehört nur wenig Kenntnis von der Rolle, welche speziell die pietistischen Erziehungsgrundsätze in diesem Zusammenhang gespielt haben, dazu, um zu wissen, daß auch hier ganz spezifische Einflüsse des „asketischen“ Protestantismus im Sinn der von mir geschilderten Entwicklung im Spiel waren. Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 559.
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Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 161 f., dazu auch oben, S. 600 f., Anm. 49.
Und nun die Frage: was kann man unter dem „Geist“ des Kapitalismus im Verhältnis zum „Kapitalismus“ selbst verstehen?
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Was den „Kapitalismus“ selbst anlangt, so kann darunter nur ein bestimmtes „Wirtschaftssystem“, d. h. eine Art des „ökonomischen“ [615]Verhaltens zu Menschen und Sachgütern[,] gelten, welches „Verwertung“ von „Kapital“ ist und welches in seiner Gebahrung von uns „pragmatisch“, d. h. durch Feststellung des nach der typisch gegebenen Sachlage „unvermeidlichen“ oder „besten“ Mittels, analysiert wird, – wie gesagt, entweder: Alles, was solchen Wirtschaftssystemen zu allen Zeiten gemeinsam war, oder aber: die Spezifika eines bestimmten historischen Systems dieser Art. Hier geht uns der letztere Fall allein an. Eine historisch gegebene Form des „Kapitalismus“ kann sich mit sehr verschiedenen Arten von „Geist“ erfüllen; sie kann aber auch – und wird meist – zu bestimmten historischen Typen desselben in, sehr verschieden abgestuften, „Wahlverwandtschaftsverhältnissen[“] stehen: – der „Geist“ kann der „Form“ mehr oder minder [oder: gar nicht][614] Bezug ist: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 532–534.
d
„adäquat“ sein. Kein Zweifel, daß der Grad dieser Adäquanz auf den Gang der historischen Entwicklung nicht einflußlos bleibt, daß auch „Form“ und „Geist“ sich – wie ich das s. Z. schon gesagt hatte [615] [ ] in A.
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– aneinander anzugleichen trachten, daß endlich, wo ein System und ein „Geist“ von untereinander besonders hohem „Adäquanzgrade“ aufeinanderstoßen, eine Entwicklung von auch innerlich ungebrochener Einheitlichkeit einsetzt, von der Art, wie diejenige, die ich zu analysieren begonnen hatte. [615] Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 163–169.
Da es sich mithin bei dem entscheidenden Begriff „Geist“ des (in meinem Fall: des neuzeitlichen)
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Kapitalismus um ein historisches, ungemein komplexes Gebilde handelt, so ist so etwas wie eine Definition dieses Begriffes, wie bei allen im höchsten Sinne „historischen“ Begriffen, nicht etwa als Anfang, sondern als Abschluß der Untersuchung, als Resultat der Schritt für Schritt vorzunehmenden Synthese möglich, – wie ich selbst am Beginn meiner Aufsätze nachdrücklich hervor[A 201]gehoben habe.[615] Denn nur von diesem ist ja bei mir die Rede. Ich hätte natürlich klug getan, dies auch in der Überschrift und im Text überall in der Nomenklatur ausdrücklich anzudeuten, tat dies bei Abfassung der Aufsätze aber nicht aus dem oben Anm. 32 angegebenen Grunde.
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Oben, S. 614.
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In den [616]Anfang einer solchen Untersuchung kann man nur ein möglichst drastisches Veranschaulichungsmittel stellen, und dazu hatte ich ein Beispiel aus halb naturalwirtschaftlichem, jedenfalls (relativ!) sehr unkapitalistischem Milieu, B[enjamin] Franklin, verwertet: Vgl. Weber, ebd., oben, S. 141 f.
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ausgesprochenermaßen in der Absicht, das Eigenleben des kapitalistischen „Geistes“ gegenüber dem ihm adäquaten kapitalistischen „Wirtschaftssystem“ zu zeigen. Ich hatte vorher bereits an die Tatsache, daß der „Geist“ auf die Entfaltung des „Wirtschaftssystems“ nicht einflußlos sei, illustrativ erinnert, [616] Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 142–145.
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und ausdrücklich die Erörterung der umgekehrten Kausalrelation der Fortsetzung der ausdrücklich als unabgeschlossen bezeichneten Aufsätze überwiesen. Vgl. Weber, ebd., oben, S. 123–140.
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Zu einem „Abschluß“ sind nun – und das ist, wie schon gesagt, Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 424 f., Fn. 86.
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mein dauernder Nachteil, – jene Aufsätze aus Gründen, die ich deutlich (auch oben) Siehe oben, S. 614 mit Anm. 20.
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gesagt habe und die an Gewicht seither nur gewonnen haben, nicht gelangt: es ist in ihnen wesentlich erst ein Teil der historischen Entwicklung der „Berufs“-Idee und ihrer Erstreckung auf den Erwerb als solchen dargestellt. Weiter konnten und wollten sie nichts für sich in Anspruch nehmen. Es blieb einem „kritisierenden“ Historiker vorbehalten, das Resultat der gesuchten Synthese durch eine „Definition“ vorwegnehmen zu wollen. Siehe oben, S. 576.
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Was dabei herausgekommen ist, mag man Sp. 1236 unten Die der Kritik vorangestellte „Definition“ bei Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 532.
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nachlesen: daß der „kapitalistische Geist“ (d. h. nach Rachfahl – Sp. 1238 Rachfahl, ebd., oben, S. 533 f.
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–, diejenige Triebfeder, welche für die Provenienz eines bestimmten Kapitals entscheidend ist) aus einer Mischung von „Erwerbstrieb“ mit „noch andern“ Motiven: „Rücksicht“ auf „Glück“ und „Nutzen“, eignen oder fremden, „zumal“ der Familie, Streben nach Genüssen, Ehren, Macht, glänzender Stellung der Nachkommen usw. besteht. In dem „usw.“ stecken selbstredend alle denkbaren andern Motive, insbesondre z. B. auch – um einen praktisch recht wichtigen „Zweck“ der „Kapitalaufsammlung“ zu [617]nennen – charitative. Und da nun Rachfahl überdies den (subjektiven) „Geist“ des Kapitalismus von dem (objektiven) Wirtschaftssystem nicht zu scheiden weiß und beides mit dem „Erwerbstrieb“ in Eins setzt, so hat er natürlich über meine Feststellung, was denn eigentlich das A und O des „Evangeliums des Geizes“ bei meinem Beispiel: Franklin, sei (XX, S. 17), Rachfahl, ebd., oben, S. 534.
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ebenso hinweggelesen, wie über das, was (auf der gleichen Seite) [617] Weber, Protestantische Ethik I, oben, S. 150.
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über den Gegensatz von Erwerbsgier und Berufspflicht gesagt ist[,] und dann den andern Gegensatz von „traditionalistischer“ und „Erwerbs“-Wirtschaft trotz meinen ausdrücklichen Vorbehalten zum Angelpunkt meiner Auseinandersetzungen gemacht. Allein: kommt es nur auf den Erwerb von mehr als dem „Bedarf“ an, dann ist der Wilde, in seiner durch keinerlei rationalistische Erwägungen getrübten Unersättlichkeit nach Weibern und Schätzen, der Gipfelpunkt des Erwerbsmenschentums, – der Puritaner aber steht so ziemlich am andern Ende der Reihe. Ein vom „Geist des Kapitalismus“ (in meinem Sinn) getragenes Wirtschaften ist zwar dem Traditionalismus direkt entgegengesetzt – und dies hatte ich zunächst festzustellen –; aber es ist sehr weit entfernt davon, mit dem Streben nach dem mög[A 202]lichsten Überschuß über den Bedarf identisch zu sein. Es bildet daher zwar einen Gegensatz, aber keinen erschöpfenden, gegenüber der „traditionalistischen“ Wirtschaft, – dies umsomehr, als es auch mit einer der Form nach kapitalistischen Wirtschaft, wie ich ausdrücklich gesagt (XX, 26 Weber, ebd.
e
)[617]A: 23
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und an einem Beispiel (XX, 27 f.) Weber, ebd., oben, S. 164.
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erläutert habe, nicht zusammenfällt. Diejenige Komponente des kapitalistischen „Geistes“ der Neuzeit endlich, welche ich speziell analysierte: – der Gedanke der „Berufspflicht“ mit allem, was an ihm hängt, – findet sich innerhalb des vom „Geist“ des Kapitalismus (im generellen Sinn des Ausdrucks) getragenen Wirtschaftens wiederum nur in einem bestimmten historischen Ausschnitt und ragt andrerseits über das Gebiet des Ökonomischen hinaus in ganz heterogene Sphären menschlichen Handelns. Die Entwicklung des [618],,Berufsmenschentums“ in seiner Bedeutung als Komponente des kapitalistischen „Geistes“, – auf dies Thema haben sich meine Auseinandersetzungen zunächst ausdrücklich und absichtsvoll beschränkt. Ich kann absolut nichts dafür, wenn liederliche Leser dies zu ignorieren für gut befinden. Gemeint ist: XX, 27–29. Weber, ebd., oben, S. 165–169, mit einem Beispiel aus der kontinentalen Textilindustrie.
Es muß mit diesen Bemerkungen hier genug sein. Denn irgendwelche Teile und Gesichtspunkte meiner Aufsätze, etwa die Ausführungen über die Bedeutung des Sektentums – die Sekte ist in einem wichtigen Sinn für die werdende Neuzeit der Archetypos jener gesellschaftlichen Gruppenbildungen,
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welche heute die „öffentliche Meinung“, die „Kulturwerte“ und die „Individualitäten“ prägen – bei dieser Gelegenheit weiter auszubauen oder näher auf die weiten Verzweigungen, welche vom puritanischen Lebensstil zu dem der Gegenwart führen, einzugehen [618] Einiges darüber: Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S. 446–462.
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, ist bei diesem Anlaß nicht möglich. Es ist bedauerlich, daß die Antwort auf eine ganz sterile, mit dem höhnischen Ton, den sie anschlägt[,] wie mit ihrem Nichtverstehenwollen einen üblen professoralen Typus darstellende Kritik auch ihrerseits so steril ausfallen mußte, wie es die Umstände bedingten[,] und dem Archiv Raum kostet. Alles, was [619]hier gesagt wurde, steht bereits in meinen Aufsätzen, – Alles (mit gänzlich irrelevanten Ausnahmen), was Rachfahl gesagt hat, hat er ihnen entnommen und „verballhornt“. Wer es nach den vorstehenden Ausführungen noch nicht glaubt, den verweise ich wiederholt darauf, nach der Rachfahlschen Kritik meine Ausführungen unbefangen zu lesen, an denen ich, gegenüber dieser Kritik, nicht ein einziges Wort zu ändern habe. [618][A 202] Recht subaltern – man kann es kaum anders nennen – ist die Art, wie Rachfahl an meinen kurzen Bemerkungen über die Entwicklung des bürgerlichen „Comfort“ im Gegensatz zum seigneurialen Lebensstil herumkrittelt.
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Die Existenz dieses Gegensatzes kennt jeder kulturhistorische Anfänger. Daß die „Grenzen“ zwischen historischen Erscheinungen von noch so großer Gegensätzlichkeit überall flüssige sind, ist gewißlich wahr. Daß man eben deshalb begriffscheiden muß, scheint einzelnen Historikern durchaus nicht einzugehen. Ich verweise auf das, was ich im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 3. Auflage S. 183, rechte Spalte, darüber gesagt habe. Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S. 548. Er zitiert dort Weber, Protestantische Ethik II, oben, S. 409.
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Weber äußert sich am genannten Ort (Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, S. 728 f.) über die Funktion präziser Begriffe, die manche Historiker wegen der Komplexität historischer Erscheinungen ablehnten: „Aber diese ungegliederte Mannigfaltigkeit der Fakta beweist doch nicht, daß wir unscharfe Begriffe bilden sollen, sondern umgekehrt: daß scharfe (,idealtypische‘ […]) Begriffe richtig angewendet werden müssen, nicht als Schemata zur Vergewaltigung des historisch Gegebenen, sondern um den ökonomischen Charakter einer Erscheinung mit ihrer Hilfe dahin bestimmen zu können: inwieweit sie sich dem einen oder anderen ,Idealtypus‘ annähert“ (Zitat S. 729).