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MWG digital

Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

[113]Editorischer Bericht

Zur Entstehung

Wie „Wissenschaft als Beruf“ ist auch „Politik als Beruf“ aus einem Vortrag hervorgegangen, den Max Weber im Rahmen einer vom bayerischen Landesverband des Freistudentischen Bundes veranstalteten Vortragsreihe zum Thema „Geistige Arbeit als Beruf“ in München hielt.
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[113] Zur Geschichte der Freistudentischen Bewegung und der Vortragsreihe „Geistige Arbeit als Beruf“ siehe den Editorischen Bericht zu „Wissenschaft als Beruf“, oben, S. 49ff.
Er fand am 28. Januar 1919 statt.
Das Thema „Politik und Beruf“ spielte in der kulturkritischen Diskussion im Kaiserreich schon in den letzten Vorkriegsjahren eine große Rolle. Werner Sombart hatte 1907 im „Morgen“, einer von ihm herausgegebenen „Wochenschrift für deutsche Kultur“, behauptet, daß unter den obwaltenden politischen Umständen die Gebildeten jedes Interesse an der Politik verloren hätten. Dabei sprach er von „der unseligen Spezies der Berufspolitiker“, die sich der Tagespolitik widmeten, die zu „einer Art von unehrlichem Gewerbe“ geworden sei.
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Sombart, Werner, Unser Interesse an der Politik, in: Morgen. Wochenschrift für deutsche Kultur, 1. Jg., Nr. 2 vom 21. Juni 1907, S. 40–44, Zitat S. 41.
In einem zweiten Artikel „Die Politik als Beruf“ hatte er das politische Geschäft, das unvermeidlich mit der Simplifizierung aller Probleme und der „Mechanisierung der geistigen Vorgänge“ einhergehe, als „geistig öde, ethisch verlogen, ästhetisch roh“ bezeichnet. Die „berufspolitische Tätigkeit“ sei „eine unheimliche und unwirkliche Kunst“, die denjenigen, der sie ausübe, „von dem Quell des Lebens“ abdränge und in eine „unwirkliche, verzerrte, verwaschene Begriffswelt des politischen Schlagworts“ einschließe.
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Sombart, Werner, Die Politik als Beruf, ebd., Nr. 7 vom 26. Juli 1907, S. 195–199, Zitat S.197ff.
Diesen Äußerungen Sombarts war Friedrich Naumann entgegengetreten und hatte die Berufspolitiker verteidigt: „[…] was uns Berufspolitiker aufrecht erhält in einer harten und […] von vielen Enttäuschungen durchsetzten opfervollen Arbeit, ist der Glaube, daß die Bearbeitung des Staates ein allgemeines Interesse ersten Grades ist.“
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Naumann, Friedrich, An Herrn Professor W. Sombart, ebd., Nr. 13 vom 6. Sept. 1907, S. 383–387, Zitat S. 387. Man darf mit einiger Sicherheit davon ausgehen, daß Max Weber, [114]der Naumann und Sombart eng verbunden war, diese Kontroverse zur Kenntnis genommen hat.
[114]Dies hatte Sombart freilich nur dazu veranlaßt, die „intellektuelle Minderwertigkeit“, ästhetische Dürftigkeit und Unaufrichtigkeit der berufspolitischen Tätigkeit noch schärfer herauszustellen. Die Gebildeten hätten, so sein Fazit, „gerade jetzt in Deutschland Besseres zu tun, als sich im Dienst der Tages- und Berufspolitik“ zu verbrauchen.
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Sombart, Werner, An Friedrich Naumann, ebd., Nr. 14 vom 13. Sept. 1907, S. 415–421, Zitat S. 420.
Diese negative Einschätzung aller Politik, insbesondere aber aller Berufspolitik, war demnach in den Kreisen der Gebildeten weit verbreitet und blieb auch während des Weltkrieges nahezu unverändert bestehen. Noch 1918 sprach beispielsweise Thomas Mann vom „Politiker in des Wortes praktisch-gemeiner Bedeutung, vom Fach- und Berufspolitiker also“, in äußerst negativer Weise; dieser sei „ein niedriges und korruptes Wesen, das in geistiger Sphäre eine Rolle zu spielen keineswegs geschaffen“ sei.
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Mann, Thomas, Betrachtungen eines Unpolitischen. – Berlin: S. Fischer 1918, S. 213.
Auch die öffentlichen Debatten über die Notwendigkeit einer Parlamentarisierung der Reichsverfassung, die gegen Ende des Krieges wieder aufflammten, konnten dem verbreiteten Vorurteil, daß Politik, und namentlich Parteipolitik, ein schmutziges Geschäft sei, nicht Abbruch tun. Hingegen rumorte es in der jüngeren Generation, die angesichts der sich stetig verschlechternden Kriegslage zunehmend politisiert wurde. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend und zugleich von einiger Bedeutung, daß der Freistudentische Bund das Thema „Politik als Beruf“ in die Vortragsreihe über „Geistige Arbeit als Beruf“ aufnahm.
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Soweit wir wissen, sah der ursprüngliche Plan für die Vortragsreihe bereits das Thema „Politik als Beruf“ vor. (Brief Immanuel Birnbaums an Georg Kerschensteiner vom 13. Okt. 1917, Münchner Stadtbibliothek, Handschriften-Abteilung, Archiv Kerschensteiner), doch bestand über die Frage, wer dieses Thema behandeln sollte, „längerer Zweifel“ (Brief Frithjof Noacks an Marianne Weber vom 26. Okt. 1924, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Aus dem Zeitungsbericht über die Rede Max Webers „Wissenschaft als Beruf“ vom 9. November 1917 geht nur hervor, daß die Reihe insgesamt vier Vorträge umfassen sollte, wobei zu diesem Zeitpunkt aber offenbar erst für zwei andere Vorträge Thema und Redner feststanden; so heißt es in den Münchner Neuesten Nachrichten, Nr. 567 vom 9. Nov. 1917, Mo. Bl. S. 3: „An den nächsten Abenden werden sprechen Dr. Hausenstein über ‚Kunst als Beruf‘, Dr. Kerschensteiner über ‚Erziehung als Beruf‘“. Dies könnte damit zusammenhängen, daß der Freistudentische Bund zeitweilig auch an einen Vortrag über „Priester (resp. Priestertum) als Beruf“ bzw. „Religion als Beruf“ gedacht hat. (Vgl. dazu die Bemerkung Immanuel Birnbaums in dem Gespräch mit Horst J. Helle am 3. März 1982, Protokoll, S. 3, Max Weber-Archiv, München; den Brief Immanuel Birnbaums an Johannes Winckelmann vom 15. Juli 1970, ebd., sowie Birnbaum, Immanuel, Politik als Beruf. Vor 60 Jahren hielt Max Weber seinen [115]berühmten Vortrag, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 231 vom 6./7. Okt. 1979.) Birnbaums Erinnerung zufolge war als Redner der Jesuitenpater Peter Lippert vorgesehen.
Der Sache nach mußte dies auf eine Neuauflage der Kontroverse zwischen Sombart und Naumann hinauslaufen, hatte doch ersterer schlichtweg bestritten, daß Politik überhaupt eine geistige Tätigkeit darstelle.
[115]Darüber hinaus rückte mit den immer größeren Kriegsanstrengungen der kriegführenden Mächte und der stetig steigenden Zahl von Kriegsopfern ein weiterer Aspekt ins Blickfeld, nämlich die Frage nach der ethischen Berechtigung des Krieges und, im weiteren Sinne, das Verhältnis von Ethik und Politik. Auch unter der Studentenschaft kam es darüber zu lebhaften Auseinandersetzungen. Wenn sich auch die große Mehrheit der Studenten der allgemeinen Kriegsbegeisterung nicht entzog, so gewann insbesondere unter den Kriegsheimkehrern jene Richtung an Boden, die – nunmehr von der Sinnlosigkeit des Krieges überzeugt – mit sozialistischen und pazifistischen Idealen sympathisierte.
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Vgl. dazu u. a. Linse, Ulrich, Hochschulrevolution. Zur Ideologie und Praxis sozialistischer Studentengruppen während der deutschen Revolutionszeit 1918/19, in: Archiv für Sozialgeschichte, Band 14, 1974, S. 1–114, insb. S. 31ff.
Eine der Symbolfiguren der pazifistischen Richtung unter den Studenten war der an der Universität München lehrende Philosoph und Pädagoge Friedrich Wilhelm Foerster, der auf der Grundlage einer religiös geprägten Weltanschauung die Kriegszielpolitik des Deutschen Reiches einer scharfen Kritik unterzog.
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Vgl. dazu u. a. Foerster, Friedrich Wilhelm, Erlebte Weltgeschichte 1869–1953. Memoiren. – Nürnberg: Glock & Lutz 1953, S. 187ff. Eine Sammlung verstreuter Schriften Foersters auch aus der Zeit des Ersten Weltkriegs findet sich in: Hipler, Bruno (Hg.), Friedrich Wilhelm Foerster: Manifest für den Frieden. Eine Auswahl aus seinen Schriften (1893–1933). – Paderborn: Ferdinand Schöningh 1988. In „Politik als Beruf“ hat sich Max Weber mit der Position Foersters auseinandergesetzt (siehe den Text unten, S. 240f.).
Foersters Plädoyer für einen Verständigungsfrieden, mit dem er im Sommer 1917 auch in Österreich-Ungarn Anhang gewann, spaltete die Studentenschaft. Insbesondere an der Münchener Universität kam es im Herbst 1917 zu geradezu tumultartigen Auseinandersetzungen zwischen der nationalgesinnten Mehrheit der Studenten und den pazifistischen Gruppen. Während die rechtsgerichteten Studenten gegen die Positionen Foersters protestierten und Störungen seiner Vorlesungen organisierten, bildete sich auf der Gegenseite ein Ausschuß, der Foerster in Schutz nahm.
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Birnbaum, Immanuel, Achtzig Jahre dabei gewesen. Erinnerungen eines Journalisten. – München: Süddeutscher Verlag 1974, S. 59.
Der „Fall Foerster“ erregte auch an anderen Universitäten erhebliches Aufsehen. Unter der Federführung Ernst Tollers unterzeichneten im November 1917 zahlreiche Studenten an der Universität Heidelberg einen Aufruf, der unter Hinweis auf die „Achtung gebietende Persönlichkeit“ Foersters die von den rechtsgerichteten Münchener Studenten aufgeführten „Lärmszenen“ scharf verurteilte.
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Die Tat. Monatsschrift für die Zukunft deutscher Kultur, 9. Jg., Heft 9, Dez. 1917, S. 820. Wie aus „Wissenschaft als Beruf“ hervorgeht, teilte Max Weber diese Kritik (siehe den Text, oben, S. 95f.).
[116]Max Weber war mit der Vorstellungswelt der pazifistisch-sozialistischen Studentenbewegung sehr gut vertraut.
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[116] Weber, Marianne, Max Weber. Ein Lebensbild. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1926 (Nachdruck = 3. Aufl. Tübingen 1984), S. 608ff. Vgl. dazu auch Dahlmann, Dittmar, Max Webers Verhältnis zum Anarchismus und den Anarchisten am Beispiel Ernst Tollers, in: Max Weber und seine Zeitgenossen, hg. von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schwentker. – Göttingen/Zürich: Vandenhoeck und Ruprecht 1988, S. 506–523.
Insbesondere während der von dem Jenaer Verleger Eugen Diederichs veranstalteten Kulturtagungen auf Burg Lauenstein im Frühjahr und Herbst 1917
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Vgl. dazu Weber, Marianne, Lebensbild1, S. 608ff. Die Frühjahrstagung, die unter dem Thema „Sinn und Aufgabe unserer Zeit“ stand, fand vom 29. bis 31. Mai 1917 statt. Die Herbsttagung vom 29. September bis 3. Oktober 1917 behandelte das Thema „Das Führerproblem im Staate und in der Kultur“. Siehe dazu die Editorischen Berichte zu Max Webers „Vorträgen während der Lauensteiner Kulturtagungen“, in: MWG I/15, S. 701ff.
war er mit zahlreichen Studenten unterschiedlicher Richtungen, auch solchen mit pazifistischen und revolutionär-sozialistischen Auffassungen, zusammengetroffen. Webers Bereitschaft, sich auf ihre Vorstellungen einzulassen und stundenlang mit ihnen zu diskutieren,
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Weber, Marianne, Lebensbild1, S. 611.
übte auf viele Teilnehmer eine geradezu faszinierende Wirkung aus: „Die Jugend klammert sich an Max Weber“, schrieb Ernst Toller, „seine Persönlichkeit, seine intellektuelle Rechtschaffenheit zieht sie an.“
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Toller, Ernst, Eine Jugend in Deutschland, in: Ernst Toller. Gesammelte Werke, Band 4. – München: Hanser 1978, S. 78.
Auch später riß der Kontakt zu den pazifistisch bzw. sozialistisch eingestellten Studenten nicht ab. Ernst Toller, der im Wintersemester 1917/18 in Heidelberg studierte, nahm mit anderen „sozialistischen und pazifistischen Studenten an Webers Sonntagen“ teil.
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Weber, Marianne, Lebensbild1, S. 613.
Allerdings versagte Max Weber dem von Toller zu dieser Zeit begründeten „Kulturpolitischen Bund der Jugend in Deutschland“, dessen Leitsätze eine Mischung aus religiöser Inbrunst, radikalem Pazifismus und sozialistischen Forderungen darstellten,
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Abgedruckt in Toller. Werke, Band 1, S. 31–34. Vgl. dazu auch Dahlmann, Max Webers Verhältnis zum Anarchismus, S. 512.
die von diesem erbetene Mitarbeit an führender Stelle.
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Weber, Marianne, Lebensbild1, S. 613. Eine Erklärung für sein Verhalten gibt Max Weber auch in dem Brief an Julius Goldstein vom 13. Nov. 1918, ZStA Merseburg, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 30/10 (Abschrift Marianne Weber, masch.), abgedruckt bei Weber, Marianne, Lebensbild1, S. 614.
Marianne Weber zufolge war Max Weber geradezu entsetzt über die „Verworrenheit“ des Programms und den darin zum Ausdruck kommenden „Mangel an Wirklichkeitssinn.“
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Weber, Marianne, Lebensbild1, S. 613.
Gleichwohl war er auch weiterhin bereit, sich der Auseinandersetzung mit dieser durch das Kriegserlebnis erschütterten und in das linke Lager gedrängten Generation zu stellen. Dem Schrift[117]steller Erich Trummler gegenüber erklärte Weber im Januar 1918 seine Bereitschaft, „in rückhaltlos ‚bekennender‘ Art“ in die Diskussion über das Thema „Pazifismus“ einzutreten. Gerade die Erörterung politischer Themen erschien Weber in diesem Rahmen wichtig, „denn da handelt es sich um Vorbereitung der rein äußeren Lebensmöglichkeit und Wirkungsmöglichkeit der künftig Heimkehrenden.“
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[117] Brief Max Webers an Erich Trummler vom 17. Januar 1918, Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446, OB 3.
Angesichts seines Engagements in diesen Fragen ist es nicht verwunderlich, daß Max Weber von dem Freistudentischen Bund als der geeignete Redner für den Vortrag „Politik als Beruf“ betrachtet wurde. Darüber hinaus könnte es auch eine Rolle gespielt haben, daß Max Weber bei der zweiten Lauensteiner Kulturtagung, die unter dem Thema „Das Führerproblem im Staate und in der Kultur“ stand, in seinem Eröffnungsvortrag „Die Persönlichkeit und die Lebensordnungen“
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Zum Titel dieses Vortrags siehe die Ausführungen in der Studienausgabe der MWG, MWS I/15, S. 402f.
über politisches Führertum unter den Bedingungen der Moderne gesprochen und dabei offensichtlich auch den Typ des Berufspolitikers und die inneren Motive, die ihn bei seinem Tun leiten, behandelt hatte.
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Max Weber tat dies allerdings im Rahmen einer systematischen soziologischen Analyse politischer Systeme, die unter anderem auch die drei reinen Typen legitimer Herrschaft behandelte. Den knappen Notizen Ferdinand Tönnies’ zufolge (Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel, Nl. Ferdinand Tönnies, Cb 54. 11:15) hat Weber dabei folgende Sachverhalte angesprochen: „Regierung (Führung) 1. rational 2. tradition[al] 3. Charisma. Führerproblem. Sociale Auslese 1. d[as] Material 2. d[ie] Methoden 3. d[ie] Auslesenden“ (MWG I/15, S. 707).
Wann und unter welchen Umständen der Freistudentische Bund mit der Bitte an Max Weber herangetreten ist, auch den Vortrag „Politik als Beruf“ zu übernehmen, ist jedoch nicht bekannt. Es ist nicht sonderlich wahrscheinlich, daß dies bereits im Zusammenhang mit Max Webers Rede „Wissenschaft als Beruf“ geschah, denn in der sich an diesen Vortrag anschließenden Korrespondenz zwischen Immanuel Birnbaum, dem Organisator der Vortragsreihe „Geistige Arbeit als Beruf“, und Max Weber findet sich darüber kein Wort.
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Brief Immanuel Birnbaums an Max Weber vom 26. Nov. 1917, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446.
Insgesamt ist die Überlieferung zu dieser Frage lückenhaft und nicht frei von Widersprüchen. Immanuel Birnbaum berichtet in seinen „Erinnerungen an Max Weber“, er sei es gewesen, der diesen zu beiden Vorträgen bewogen habe. Während Weber den Vortrag „Wissenschaft als Beruf“ sofort übernommen habe, weil ihm das gestellte Thema am Herzen lag, habe er sich zum Vortrag „Politik als Beruf“ zunächst „nicht herbeilassen“ wollen. Die „Aufforderung“, zu diesem Thema im Rahmen [118]der Reihe zu sprechen, sei erst „nach der Novemberrevolution von 1918“ an ihn ergangen.
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[118] Birnbaum, Immanuel, Erinnerungen an Max Weber, in: Max Weber zum Gedächtnis, hg. von René König und Johannes Winckelmann, 2. Aufl. – Köln/Opladen: Westdeutscher Verlag 1985, S. 20.
Dies trifft jedoch nicht zu. Über eine eventuelle Übernahme des Vortrags ist bereits wesentlich früher verhandelt worden, und zwar vermutlich schon Anfang April 1918, als sich Max Weber auf der Reise nach Wien zur Aufnahme seiner Professur zum Sommersemester für zwei Tage, Samstag und Sonntag, den 6. und 7. April, in München aufhielt. Bei dieser Gelegenheit traf er mit Immanuel Birnbaum zusammen. Über den Ablauf des Sonntags berichtete Max Weber am 9. April an Marianne Weber: „9 Uhr Herr Toller (ist jetzt ganz in Ordnung), ½ 10 Uhr Herr Birnbaum (Studenten, Vorträge pp.)“.
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Brief Max Webers an Marianne Weber von „Dienstag“ [9. April 1918], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. Übrigens spricht die stichwortartige Mitteilung dafür, daß Marianne Weber über den Sachverhalt informiert war, daß also schon zuvor Gespräche über eine eventuelle Übernahme auch des zweiten Vortrags geführt worden sein dürften.
Dies dürfte sich auf die beiden Vorträge „Wissenschaft als Beruf“ und „Politik als Beruf“ beziehen. Jedenfalls vermochte Birnbaum nur wenige Wochen später, im Juni 1918, in Verhandlungen mit dem Verlag Duncker & Humblot über die Veröffentlichung der Vortragsreihe „Geistige Arbeit als Beruf“ Max Weber als Autor für „Politik als Beruf“ zu benennen.
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Vereinbarung zwischen dem „Freistudentischen Bund. Landesverband Bayern“ und dem Verlag Duncker & Humblot vom 8. Juni 1918, Verlagsarchiv Duncker & Humblot, Privatbesitz.
Die Besprechung zwischen Birnbaum und dem Direktor und Syndikus des Verlags, Ludwig Feuchtwanger, fand am 8. Juni 1918 statt und führte zu folgender Vereinbarung: „Landesverband Bayern des freien studentischen Bundes, vertreten durch die Herren Werner Mahrholz und Immanuel Birnbaum, bietet dem Verlag durch Herrn Birnbaum an: ‚Geistige Arbeit als Beruf‘, 4 Vorträge. Inhalt: 1) Max Weber, Wissenschaft als Beruf, 2) Kerschensteiner, Erziehung als Beruf, 3) Hausenstein, Kunst als Beruf, 4) Max Weber, Politik als Beruf. Je ein 54 stünd[iger] Vortrag.“ Nach Regelungen über Honorar, Auflage und Spesen für die Herstellung der Stenogramme heißt es weiter: „Gehalten ist bisher nur der Vortrag zu 1), 2–4 werden im Laufe des Jahres 1918 noch gehalten.“
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Ebd. Diese Vereinbarung wurde später seitens des Freistudentischen Bundes [Datum unleserlich] und seitens des Verlags am 8. Juli 1918 bestätigt, ebd.
Der Freistudentische Bund rechnete seitdem fest damit, daß Max Weber auch den Vortrag „Politik als Beruf“ halten werde. In einem Brief an den Pädagogen Georg Kerschensteiner vom 29. September 1918 ließ Birnbaum keinen Zweifel daran, daß Max Weber über „Politik als Beruf“ spre[119]chen werde.
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[119] Brief Immanuel Birnbaums an Georg Kerschensteiner vom 29. Sept. 1918, Münchner Stadtbibliothek, Handschriften-Abteilung, Archiv Kerschensteiner.
Am 4. November 1918 trafen Birnbaum und Weber anläßlich von Max Webers Rede „Deutschlands politische Neuordnung“
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Berichte über diese Rede finden sich in verschiedenen Münchener Tageszeitungen, u. a. in den Münchner Neuesten Nachrichten, Nr. 559 vom 5. Nov. 1918, S. 1f. (MWG I/16, S. 359–369). Dabei stieß Webers Warnung vor einer rein gesinnungsethisch motivierten Politik bei einer „chiliastisch-revolutionär bewegten Minderheit“ unter seinen Zuhörern auf Kritik. Dies geht aus dem Brief Frithjof Noacks an Marianne Weber vom 26. Okt. 1924, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, hervor.
erneut in München zusammen.
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Siehe dazu die auf Erinnerungen Birnbaums basierenden Bemerkungen in dem Brief Frithjof Noacks an Marianne Weber vom 26. Okt. 1924, ebd.
Es kann sein, daß bei dieser Gelegenheit für „Politik als Beruf“ ein Termin im Januar 1919 vereinbart wurde. Denn Birnbaum teilte Kerschensteiner im Dezember 1918 mit, daß die „Vortragsreihe […] im Januar […] Prof. Max Weber […] zu uns führen wird.“
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Brief Immanuel Birnbaums an Georg Kerschensteiner, undat. [Dez. 1918], Münchner Stadtbibliothek, Handschriften-Abteilung, Archiv Kerschensteiner. Die Datierung ergibt sich daraus, daß Birnbaum in diesem Brief auf die Anfang Dezember 1918 erfolgte Ernennung Kerschensteiners zum außerordentlichen Professor an der Universität München anspielt.
Berücksichtigt man die Darstellung Birnbaums, so könnte Max Weber seine Zusage Ende Dezember oder Anfang Januar 1919 wieder zurückgezogen haben, weil er über die politischen Verhältnisse aufs äußerste irritiert war und es angesichts der sich in raschem Fluß befindlichen politischen Entwicklung nicht für opportun hielt, Grundsätzliches über den Beruf zur Politik zu sagen.
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Vgl. dazu auch Birnbaum, Erinnerungen an Max Weber, in: König/Winckelmann (Hg.), Gedächtnis, S. 20f.
Eine Rolle könnte dabei auch seine Ablehnung radikal pazifistischer Tendenzen, wie sie insbesondere von der bayerischen Regierung unter dem Linkssozialisten Kurt Eisner vertreten wurden, gespielt haben. Bekanntlich beklagte Weber Ende November 1918 zutiefst deprimiert den „ekelhaften Exhibitionismus der innerlich Zusammengebrochenen“, den „politisch-sozialen Masochismus jener würdelosen Pazifisten, die jetzt wollüstig in ,Schuld‘-Gefühlen wühlen.“
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Brief an Friedrich [gemeint ist Otto] Crusius vom 24. Nov. 1918, abgedruckt in: Max Weber. Gesammelte Politische Schriften. – München: Drei Masken Verlag 1921, S. 482ff.
Persönliche Enttäuschung dürfte hinzugekommen sein. Denn ungeachtet seines großen Engagements im Wahlkampf für die Deutsche Demokratische Partei
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Siehe dazu Mommsen, Wolfgang J., Max Weber und die deutsche Politik 1890–1920, 2. Aufl. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1974, S. 328ff.
war seine Kandidatur für die Wahlen zur Nationalversammlung Ende Dezember gescheitert.
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Vgl. ebd., sowie Webers „Erklärung zum Scheitern der Kandidatur für die Wahlen zur [120]Nationalversammlung im Wahlkreis 19 (Hessen-Nassau)“, Frankfurter Zeitung, Nr. 12 vom 5. Jan. 1919, 2. Mo.Bl., S. 1 (MWG I/16, S. 152–156).
So berichtet Birnbaum, daß Max Weber seine Ablehnung mit [120]den Worten begründet habe: „Ich bin kein Politiker, ich bin ein Gescheiterter der Demokratischen Partei.“
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Siehe das Gespräch Birnbaums mit Horst J. Helle am 3. März 1982, Protokoll, S. 3, Max Weber-Archiv, München. Vgl. ferner Birnbaum, Achtzig Jahre, S. 80.
Darüber hinaus hatte Max Weber vom 2. bis 17. Januar 1919 im Rahmen des Wahlkampfes für die Nationalversammlung eine größere Zahl von Wahlreden übernommen, die ihn in erheblichem Maße in Anspruch nahmen.
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Berichte über diese Reden finden sich in: MWG I/16, S. 410–474.
Offenbar hat Max Weber damals Friedrich Naumann als Redner für „Politik als Beruf“ empfohlen; gegenüber Birnbaum bezeichnete er diesen „als den repräsentativen deutschen Politiker der Zeit schlechthin.“
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Dies geht aus den auf Erinnerungen Birnbaums basierenden Bemerkungen in dem Brief Frithjof Noacks an Marianne Weber vom 26. Okt. 1924, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, hervor.
Jedoch wurde er, nachdem Friedrich Naumann wegen Krankheit abgelehnt hatte, bedrängt, den Vortrag nun doch selbst zu übernehmen; dazu hat offensichtlich der Hinweis Birnbaums beigetragen, daß „einige radikale Kommilitonen“ den bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner als Redner vorgeschlagen hätten. Dieser war in Webers Augen ein „Gesinnungspolitiker ohne Augenmaß für die Folgen seiner Handlungen“, dem er offenbar nicht das Feld hat überlassen wollen.
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Vgl. Birnbaums Bericht in seinen „Erinnerungen an Max Weber“, in: König/Winckelmann (Hg.), Gedächtnis, S. 21: „Er schrieb mir, niemand sei weniger berufen als er, über den Beruf des Politikers zu reden. An seiner Stelle schlug er Friedrich Naumann vor, den er seit langem als den gegebenen Führer Deutschlands auf dem Wege zur Demokratie ansah. Aber Naumann war damals schon schwer krank und lehnte ab. Als Weber trotzdem den Vortrag nicht übernehmen wollte, schrieb ich ihm, einige radikale Kommilitonen neigten jetzt dazu, Kurt Eisner als Sprecher an seiner Stelle einzuladen. In Eisner sah Weber den Typ eines Gesinnungspolitikers ohne Augenmaß für die Folgen seiner Handlungen. Die Drohung half daher. Weber sagte umgehend zu, kam und hielt einen Vortrag, dessen Text ein kleines Meisterwerk der Theorie der Politik und ein Dokument des Standes demokratischen Denkens in jenem kritischen Augenblick deutscher Geschichte wurde.“ Birnbaum hat diese Darstellung des Ablaufs der Dinge auch an anderen Stellen mitgeteilt, so gegenüber Frithjof Noack, den Marianne Weber mit Recherchen über einige Vorträge Webers beauftragt hatte; Brief Frithjof Noacks an Marianne Weber vom 26. Okt. 1924, Bestand Max Weber-Schäfer, BSB München, Ana 446. Später gab Birnbaum dieselbe Schilderung in seinen Memoiren, Achtzig Jahre, S. 80f. Gleichlautend äußerte er sich auch in Briefen an Johannes Winckelmann vom 14. Dez. 1961 und 15. Juli 1970, Max Weber-Archiv, München, sowie in dem Gespräch mit Horst J. Helle am 3. März 1982, Protokoll, S. 3, ebd. Die Drohung, statt seiner Eisner sprechen zu lassen, ist von Birnbaum sicherlich nicht nachträglich erfunden, möglicherweise aber in der Erinnerung um einiges aufgebauscht worden. Sie ist nur für die Zeit nach der Novemberrevolution wahrscheinlich. Eisner saß ja wegen der Vorbereitung und Leitung des Massenstreiks seit dem 1. Februar 1918 in München in Untersuchungshaft und wurde erst am 14. Oktober 1918 [121]entlassen, also nur etwa drei Wochen vor der Revolution in Bayern vom 7./8. November 1918, durch die er Ministerpräsident und Außenminister des Freistaats Bayern wurde. Außerdem hatte wohl erst Eisners Entscheidung vom 23. November 1918, ohne Absprache mit dem Rat der Volksbeauftragten, Deutschland einseitig belastende Dokumente zur Frage der Kriegsschuld zu veröffentlichen, Weber gegen ihn so aufgebracht, daß er für eine „Erpressung“ dieser Art tauglich war.
Spätestens [121]am 12. Januar 1919 dürfte Webers endgültige Zusage vorgelegen haben; so berichtete er Else Jaffé in einem allerdings undatierten Brief von seinen Planungen für die Zeit vom 13. bis 17. Januar 1919 und bemerkte dann abschließend: „Mit dem Münchener Vortrag mache ich es nach Anweisung.“
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[121] Brief Max Webers an Else Jaffé, undat. [vor dem 13. Jan. 1919], Privatbesitz.
Über die Einzelheiten der Durchführung und den endgültigen Termin des Vortrags ist noch in der dritten Januarwoche verhandelt worden. Dies geht aus mehreren Briefen an Else Jaffé vom 19. bis 22. Januar 1919 hervor, in denen von einem Telegrammwechsel mit den „Studenten“ wegen der Festlegung des endgültigen Termins die Rede ist.
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Briefe Max Webers an Else Jaffé von „Sonntag Mittag“ [19. Jan. 1919], von „Montag“ [20. Jan. 1919] und von „Mittwoch früh“ [22. Jan. 1919], Privatbesitz.
Jedenfalls war sich Max Weber noch am 22. Januar nicht ganz sicher, ob der Vortrag denn nun wirklich stattfinden würde.
42
Brief Max Webers an Else Jaffé von „Mittwoch früh“ [22. Jan. 1919], Privatbesitz.
Erst am folgenden Tag, dem 23. Januar, wurde dieser dann definitiv auf den 28. Januar 1919 anberaumt.
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Brief Max Webers an Else Jaffé von „Donnerstag früh“ [23. Jan. 1919], ebd.
Weber schrieb in diesen Tagen an Else Jaffé: „Der Vortrag am 28. [Januar] wird schlecht, denn ich werde sehr Anderes als den ,Beruf‘ eines ‚Politikers‘ im Kopf haben“.
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Brief Max Webers an Else Jaffé von „Sonntag Mittag“ [19. Jan. 1919], ebd. Fast gleichlautend äußerte er sich in einem Brief an Else Jaffé von „Donnerstag früh“ [23. Jan. 1919], ebd.
Die Bitte der Studenten, dem Vortrag am 29. Januar eine Diskussion im kleinen Kreis folgen zu lassen, schlug Weber offenbar aus persönlichen Gründen zunächst ab,
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Brief Max Webers an Else Jaffé von „Donnerstag früh“ [23. Jan. 1919], ebd.
doch ist ein solches Treffen dann doch noch zustande gekommen.
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Vgl. unten, S. 123f.
Eine erste offizielle Ankündigung des Vortrags findet sich in der Morgenausgabe der Münchner Neuesten Nachrichten vom 25. Januar 1919:
„Prof. Dr. Max Weber (Heidelberg) spricht Dienstag, 28. Jan., im Kunstsaal Steinicke, abends 7½ Uhr, über ,Politik als Beruf‘. Karten bei Steinicke, Adalbertstr. 15, Jaffé, Briennerstr. 53, und an der Abendkasse.“
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Münchner Neueste Nachrichten, Nr. 41 vom 25. Jan. 1919, Mo.BI., S. 2.
[122]Außerdem war die Rede auch in der Münchener Universität angekündigt worden; der Jurist und Wirtschaftswissenschaftler Max Rehm erinnert sich, daß er dort einen „Anschlag am Schwarzen Brett: Professor Max Weber von der Universität Wien hält einen Vortrag über ,Politik als Beruf‘“ gesehen habe, der ihn zum Besuch der Veranstaltung veranlaßte.
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[122] Rehm, Max, Erinnerungen an Max Weber, in: König/Winckelmann (Hg.), Gedächtnis, S. 24–28, Zitat S. 25.
Den Erinnerungen Birnbaums zufolge hat sich Max Weber wie schon bei „Wissenschaft als Beruf“ auch bei „Politik als Beruf“ hauptsächlich an „eine Gruppe dichterisch revolutionär gesinnter Studenten“ gewandt; insbesondere bei „Politik als Beruf“ seien seine Ausführungen vor allem an Ernst Toller gerichtet gewesen.
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Brief Frithjof Noacks an Marianne Weber vom 26. Okt. 1924, Bestand Max Weber-Schäfer, BSB München, Ana 446. Bei seiner Aussage im Prozeß Toller im Juli 1919 hat Weber erklärt, daß ihm Toller „im Januar 1919 […] in einer öffentlichen Versammlung als Diskussionsredner“ gegenübergetreten sei; Münchner Neueste Nachrichten, Nr. 277 vom 16. Juli 1919, Ab.BI., S. 2 (MWG I/16, S. 489). Zur Möglichkeit, daß es sich bei dieser Versammlung um den Vortrag „Politik als Beruf“ gehandelt haben könnte, siehe Dahlmann, Max Webers Verhältnis zum Anarchismus, S. 517, Anm. 62.
Über die Veranstaltung, deren Vorsitz nach einleitenden Worten Birnbaums der Literaturhistoriker Werner Mahrholz übernahm,
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Brief Immanuel Birnbaums an Johannes Winckelmann vom 15. Juli 1970, Max Weber-Archiv, München.
sind nur wenige knappe Berichte von Teilnehmern überliefert. So schrieb der ehemalige Freistudent Frithjof Noack in den 1920er Jahren an Marianne Weber:
„Ich war selber unter den Zuhörern + erinnere mich lebhaft der souveränen Nichtachtung, mit der M[ax] W[eber] an dieser od[er] jener Stelle (damals!) über Arbeiter- + Soldatenrätewirtschaft sprach; an einer anderen Stelle erwähnte er auch beiläufig die Bedrohung durch solcher Räte Maschinengewehre bei den Verhandlungen des bad[ischen] Landtages, an denen Sie als Abgeordnete teilgenommen haben.“
51
Brief Frithjof Noacks an Marianne Weber vom 26. Okt. 1924, Bestand Max Weber-Schäfer, BSB München, Ana 446.
Max Rehm schreibt in seinen Erinnerungen:
„Es war an einem Winterabend, in düsterem, schmalem Saal, kaum hundert Personen fassend. Eine alte Dame, in leicht gebeugter Haltung, geht am Stock die Stuhlreihen entlang, nimmt vorn Platz: Ricarda Huch. Max Weber tritt hervor, stattlichen Wuchses, doch hager. Das mächtige Haupt ganz den Hörern zugewandt, spricht er frei, nur auf Handzettel gestützt, mit klangvoller, doch gebändigter Stimme, nach heftiger Kopfbewegung sich über Haar und Bart streichend. Er fesselt seine Hörer durch zwingende Gedankenfolge, treffende Beispiele, geschichtlich begründete Erkenntnisse. In der strengen Forderung an den Politiker – Leidenschaft, Verantwortungsgefühl, Augenmaß; nicht Gesinnungsethik, sondern Verantwor[123]tungsethik – gibt er, es ist zu spüren, ein Bekenntnis. Ricarda Huch, die Seelenkundige, Geschichtsbewußte, mag den Ruf der historischen Stunde vernommen haben, die wir anderen Zeugen eher professiv ahnend miterlebten.“
52
[123] Rehm, Erinnerungen an Max Weber, in: König/Winckelmann (Hg.), Gedächtnis, S. 25.
Die Dichterin Ricarda Huch selbst erinnerte sich jedoch noch Jahre später mit einem gewissen Unbehagen an den einzigen Vortrag, den sie von Max Weber je gehört habe und bei dem es sich, wenn die Ausführungen Rehms zutreffen, um „Politik als Beruf“ gehandelt haben muß. Bei der Lektüre des von Marianne Weber verfaßten „Lebensbilds“ Max Webers sei ihr, so schrieb sie im Jahre 1928 an Marie Baum, aufgefallen,
„daß ich plötzlich von Max Weber wieder das Gefühl hatte, als sei er ein Schauspieler. Dasselbe hatte ich ganz spontan – denn ich war ja auf ganz anderes gefaßt –, als ich ihn das einzige Mal einen Vortrag halten hörte. Ich denke mir, es kommt daher, daß der Quell der Instinkte in seinem Innern nicht strömte und daß er das mit seinem Bewußtsein ersetzte, wogegen ich nun einmal sehr empfindlich bin.“
53
Brief Ricarda Huchs an Marie Baum vom 2. Okt. 1928, in: Ricarda Huch. Briefe an die Freunde, hg. von Marie Baum, neubearb. von Jens Jessen. – Zürich: Manesse 1986, S. 172f.
Einen ähnlich verhaltenen Eindruck machte die Rede auf den damals ebenfalls anwesenden Philosophiestudenten Karl Löwith, den „Wissenschaft als Beruf“ tief ergriffen hatte. Von „Politik als Beruf“ wußte er nur zu berichten, daß dieser Vortrag „nicht mehr denselben hinreißenden Schwung“ gehabt habe.
54
Löwith, Karl, Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933. Ein Bericht. – Stuttgart: J. B. Metzler 1986, S. 16f.
Nach den Erinnerungen Julie Meyer-Franks, die damals in München studierte, erschien nach Webers Vortrag, „jener großen und traurigen Abrechnung mit den ,Gesinnungspolitikern‘ der Revolution“, der Eigentümer des Saales, der Buchhändler Steinicke, und teilte den Anwesenden mit, daß „Eisner-Anhänger […] die Versammlung sprengen“ wollten.
55
Meyer-Frank, Julie, Erinnerungen an meine Studienzeit, in: Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München, hg. von Hans Lamm. – München/Wien: Albert Langen – Georg Müller 1982, S. 212–216, Zitat S. 213f.
Daraufhin seien die Teilnehmer in ihre Wohnung gegangen, und Max Weber habe mit diesen „bis in die Morgenstunden“ hinein diskutiert. Keiner habe, so Julie Meyer-Frank, „diese Stunde[n] vergessen, in denen der Lehrer einer wertfreien Wissenschaft leidenschaftlich für seine Werte eintrat, als er Tatsachen an Tatsachen reihte und sie maß.“
56
Ebd.
Max Weber selbst schrieb in einem Brief an Mina Tobler vom 29. Januar 1919, daß er froh sei, „nun diese doch beträchtlichen Strapazen los zu sein (es ist mehr die innere Angespanntheit, die einen erfaßt, sobald man auf [124]politisches Gebiet übergreift)“. Über den Vortrag berichtete er: „Besuch war mäßig, immerhin nicht klein, ‚Erfolg‘ ganz befriedigend, nachher Zusammensitzen, zuletzt in einem wunderbaren Atelier eines Literaten inmitten der alten Stadt und hoch über ihr auf einer Altane bis Nachts 2 Uhr“.
57
[124] Brief Max Webers an Mina Tobler, undat. [29. Jan. 1919], Privatbesitz.
Dabei dürfte es sich um die Wohnung von Julie Meyer-Frank gehandelt haben.
Max Weber hat seinen Vortrag, wie Max Rehm berichtet und wie er dies ja auch sonst zu tun pflegte, „auf Handzettel gestützt“ frei vorgetragen. Diese „Handzettel“ sind in Form eines Stichwortmanuskripts überliefert, das uns leider nicht mehr im Original, sondern nur in einer 1958 gefertigten Kopie sowie älteren Fotos von drei Blättern erhalten ist.
58
Vgl. unten, S. 134.
Dieses Manuskript besteht aus insgesamt 8 Blättern, die jedoch in zwei Teilstücke, hier AIund AII genannt, zerfallen. Diese sind je für sich paginiert und unterscheiden sich sowohl aufgrund äußerer Merkmale wie auch in ihrem Inhalt deutlich voneinander. Die ersten drei Blätter des Teilstücks AI sind eigenhändig von 1–3 paginiert, während das vierte Blatt unpaginiert ist. Die Übereinstimmung von Papierart und Papierformat, darüber hinaus die Tatsache, daß je zwei dieser Blätter durch die Halbierung eines Briefbogens gefertigt sind, lassen den Schluß zu, daß auch das unpaginierte vierte Blatt von vornherein zu diesem Konvolut gehört hat. Das Teilstück AII ist ebenfalls eigenständig paginiert, und zwar von 2–4; das erste Blatt ist unpaginiert. Das letzte Blatt ist auch rückseitig beschrieben; auf S. 4 unten findet sich der Vermerk „verte!“ als Hinweis auf die Fortsetzung des Textes auf der Rückseite des Blattes.
59
Siehe den Text, unten, S. 153.
Die vier Blätter von AII sind durch Drittelung von Briefbögen gleich jenen wie von AI gefertigt worden und gehören ebenfalls zusammen.
60
Vgl. die genaue Zeugenbeschreibung im zweiten Teil des Editorischen Berichts „Zur Überlieferung und Edindtion“, unten, S. 135f.
AI und AII unterscheiden sich also äußerlich nach Papierformat und Paginierung. Hinzu kommt, daß sie auch nach Schriftduktus und Anordnung des Schriftguts verschieden sind. Während bei AI in einen Kerntext, der jeweils auf der rechten Seite des Blattes angeordnet ist, zahlreiche Ergänzungen eingeschoben sind, die sich durchweg auf der linken Seite des Blattes finden, handelt es sich bei AII um ein Stichwortmanuskript aus einem Guß, ohne wesentliche Einschübe und sonstige Änderungen.
61
Siehe den Text, unten, S. 147–155.
AI behandelt die Formen politischer Herrschaft vor einem breiten historischen Hintergrund sowie die Geschichte der Parteienentwicklung und die damit verbundenen Typen von politischer Machtausübung und von Politi[125]kern; man könnte auch sagen: Bedingungen und Voraussetzungen des „äußeren Berufs zur Politik“. In AII hingegen wird das Verhältnis von Ethik und Politik erörtert, eine Thematik, die am Kopf des Blattes nach Art eines Titels, wenn auch erst in der dritten Zeile, eigens hervorgehoben ist.
62
[125] Siehe das Faksimile, unten, S. 146.
Diese Ausführungen haben die ethischen Grundlagen, zugleich aber auch die Machtbezogenheit politischen Handelns zum Gegenstand. Sie richten sich primär gegen die pazifistische und revolutionäre Gesinnungspolitik, wie sie damals in Teilen der deutschen Öffentlichkeit, insbesondere der Studentenschaft, weit verbreitet war, aber auch gegen die verschiedenen Varianten gesinnungsloser Realpolitik. Sie zielen darauf ab, die Berufspolitik als verantwortungsethisches Handeln zu legitimieren.
Dieser formale und inhaltliche Befund legt die Vermutung nahe, daß AI und AII aus verschiedenen Anlässen entstanden sind. Die Sachlage wird darüber hinaus dadurch noch weiter verkompliziert, daß das Stichwortmanuskript AI aus zwei oder sogar mehreren Schichten besteht, die sich inhaltlich und teilweise auch formal voneinander unterscheiden.
AI ist aller Wahrscheinlichkeit nach in mehreren Arbeitsgängen zustande gekommen. Die vorwiegend auf der linken Seite der Blätter stehenden zahlreichen Einschaltungen stellen gegenüber dem auf der rechten Seite der Blätter 1–[4] angeordneten Kerntext vermutlich eine eigenständige Textschicht dar. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Hinweis am Rand von S. 3: „Auf S. 1 unten!“,
63
Siehe den Text, unten, S. 143.
der offenbar eine Verschiebung der Passagen über den modernen Berufspolitiker oberhalb des Querstrichs auf S. 3 in die eingeschaltete Passage „Gelegenheits-Po[itiker] […] Welcher Typus?“
64
Siehe den Text, unten, S. 139.
auf S. 1 Mitte links verlangt; eine entsprechende Anordnung findet sich dann auch in der Druckfassung wieder, wobei die Passagen über den modernen Berufspolitiker freilich modifiziert und dem Gesamtzusammenhang angepaßt wurden.
65
Siehe den Text, unten, S. 169f.
Die Einschaltungen beziehen sich fast durchweg auf die Art des jeweils vorherrschenden politischen Personals bzw. die unterschiedlichen Typen von Politikern, m.a. W. auf „Politik als Beruf“ im engeren Sinne. Einzelne Zusätze, insbesondere die Eintragungen „Trotzkij“ und „A[rbeiter]– u[nd] S[oldaten-]Räte“ am linken Rand von S. 1,
66
Siehe den Text, unten, S. 139.
sollten vermutlich die Darlegungen des Kerntextes aktualisieren. Dies alles spricht dafür, daß der Kerntext von AI für eine Verwendung im Rahmen der Rede „Politik als Beruf“ bearbeitet bzw. ergänzt worden ist.
[126]Darüber hinaus weist der Kerntext von AI drei Teile auf, die sich vor allem unter inhaltlichen Gesichtspunkten voneinander unterscheiden. Die Ausführungen von S. 1 bis S. 3 beschäftigen sich mit Herrschaftsformen und Politikertypen in universalgeschichtlicher Perspektive. Nach einem über die ganze Breite des Kerntextes gezogenen Querstrich folgen Ausführungen über die verschiedenen Typen der Parteien in Großbritannien und Deutschland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Während es in England im Rahmen des parlamentarischen Systems zur Ausbildung von plebiszitärer Herrschaft gekommen sei, habe man in Deutschland „Führer“ perhorresziert. Darauf folgt, durch einen breiten Freiraum abgesetzt, ein dritter Abschnitt, der mit den Worten beginnt: „Jetzt: Alles in Umordnung“.
67
[126] Siehe den Text, unten, S. 145. Möglicherweise heißt es: „Unordnung“.
Dieser Abschnitt behandelt die Verhältnisse nach Ausbruch der Revolution im November 1918. Ferner fällt auf, daß den Notizen über die bürokratische Struktur der deutschen Sozialdemokratie auf S. [4] oben möglicherweise nachträglich mit besonders starker Federführung die Worte: „Vor der Revol[ution]“ vorangestellt worden sind, vermutlich als Pendant zu der Passage „Jetzt: Alles in Umordnung“.
68
Siehe den Text, unten, S. 145.
Dies könnte bedeuten, daß der Kerntext von AI bis zu dieser Passage bereits vor der Novemberrevolution niedergeschrieben war, während die nachfolgenden Notizen im Zuge der „Bearbeitung“ zeitgleich mit den vorgenannten zahlreichen Einschaltungen entstanden sind.
Der Kerntext von AI steht bis S. [4] Mitte den Ausführungen in „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“ aus dem Sommer 1917 inhaltlich sehr nahe.
69
Weber, Max, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland. Zur politischen Kritik des Beamtentums und Parteiwesens. – München/Leipzig: Duncker & Humblot 1918, insb. S. 23f., S. 102f., S. 107, S. 112f. (MWG I/15, S. 432–596, insb. S. 458f., 529, 533, 537f.).
Dagegen weisen die Erörterungen über die Verfassungsfragen, wie sie sich in der mit „Jetzt: Alles in Umordnung“ eingeleiteten Passage auf S. [4] unten finden, enge Parallelen zu Max Webers Abhandlung „Deutschlands künftige Staatsform“ auf, die Ende November/Anfang Dezember 1918 entstand.
70
Weber, Max, Deutschlands künftige Staatsform. – Frankfurt a.Μ.: Verlag der Frankfurter Societäts-Druckerei 1919 (MWG I/16, S. 91–146).
Hier wird noch davon ausgegangen, daß der Bundesrat in seiner alten Form erhalten bleiben und deshalb ein Reichsparlamentarismus ausgeschlossen sein werde,
71
Siehe den Text, unten, S. 145. Allerdings enthält auch die Druckfassung noch einen Hinweis auf diesen Sachverhalt, jedoch in abgeschwächter Form. Siehe den Text, unten, S. 224f.
eine Frage, die Max Weber in „Deutschlands künftige Staatsform“ eingehend erörtert hat[127]te.
72
[127] Weber, Staatsform, S. 19ff. (MWG I/16, S. 120ff.).
Darüber hinaus läßt sich aus dem Stichwort „Liebknecht Märtyrer“ folgern, daß der Kerntext von AI vor dem 15. Januar 1919 entstanden ist, da sich der Hinweis auf die Märtyrerrolle Liebknechts nicht auf dessen Ermordung, sondern auf dessen Zuchthausstrafe während des Krieges bezieht.
73
Siehe den Text, unten, S. 145. Daß Max Weber mit seiner Bemerkung „Märtyrer Liebknecht“ nicht die Ermordung Liebknechts am 15. Januar 1919, sondern dessen Verurteilung zu einer Zuchthausstrafe im Jahre 1916 im Auge hatte, ergibt sich aus anderen Äußerungen Webers über den „Märtyrer“ Liebknecht. Siehe Webers Stichwortmanuskript [Der freie Volksstaat], Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446, OM 9, S. 1[2] (MWG I/16, S. 163) sowie das Flugblatt des Heidelberger Ortsvereins der DDP über die Rede Max Webers [Der freie Volksstaat] am 17. Jan. 1919, BA Koblenz, Z.Sg. 1–27/ 19 (2) (MWG I/16, S. 461).
Nach der Ermordung Liebknechts wäre ein solcher Hinweis in dieser Form für Max Weber nicht mehr sinnvoll gewesen. Er hat das Stichwort denn auch, vermutlich bei der Aktualisierung des Textes, wieder gestrichen. Wenn wir weiterhin berücksichtigen, daß Max Weber vom 2. bis 17. Januar fortlaufend Wahlreden für die DDP hielt und für andere Dinge kaum Zeit gehabt haben dürfte, ergibt sich als terminus ante quem für die Entstehung des Kerntextes von AI der 1. Januar 1919. Vor allem inhaltliche Kriterien sprechen dafür, daß es sich mit Ausnahme des letzten Teils ab „Jetzt: Alles in Umordnung“ um eine ältere Textschicht handelt, die vor November 1918 entstanden ist. Da das Original verloren ist, kann jedoch nicht mehr mit Sicherheit festgestellt werden, ob die genannten Textschichten tatsächlich zeitlich nennenswert auseinanderliegen.
Hingegen spricht die formale Ähnlichkeit des Stichwortmanuskripts AII mit dem Mitte Januar entstandenen Stichwortmanuskript für die Rede „[Der freie Volksstaat]“
74
Siehe Webers Stichwortmanuskript [Der freie Volksstaat], Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446, OM 9 (MWG I/16, S. 160–173). Vgl. dazu auch unten, S. 135.
dafür, daß es im Januar 1919 entstanden ist. Beide sind auf Papier gleichen Formats und in einem sehr ähnlichen Schriftduktus niedergeschrieben worden. Der Hinweis in der ersten Zeile des Manuskripts: „Wer hat Beruf zur Politik (Eisner)“,
75
Siehe den Text, unten, S. 147.
dürfte im Zusammenhang mit der Absicht der Freistudenten stehen, nach Webers Rücktritt von dem Vortrag „Politik als Beruf“ an Eisner als Redner heranzutreten. Auch dies legt eine Datierung des Stichwortmanuskripts AII in den Januar 1919 nahe. Allerdings könnte die etwas gequetschte Plazierung der ersten beiden Zeilen des Stichwortmanuskripts AII oberhalb der hervorgehobenen Worte „Ethik – Politik“, deren Schriftzüge geringfügig angeschnitten wurden,
76
Siehe das Faksimile, unten, S. 146.
auch für deren nachträgliche Hinzufügung sprechen.
[128]Aufgrund des geschilderten Befundes könnte also zumindest die ältere Schicht von AI für einen anderen Vortrag bzw. andere Vorträge verfaßt und erst nachträglich als Vorlage für die Rede „Politik als Beruf“ herangezogen worden sein. Allerdings läßt sich das Teilmanuskript AI den uns bekannten Vorträgen Max Webers aus den Jahren 1917 bis 1919 nicht zuordnen. Die Vorträge auf Burg Lauenstein und vor der Soziologischen Gesellschaft in Wien am 25. Oktober 1917 kommen dafür nicht in Frage, da sie eine wesentlich andere Thematik behandelt haben,
77
[128] Zu den Vorträgen auf Burg Lauenstein vgl. oben, S. 57f. und S. 117; zu dem Wiener Vortrag über „Probleme der Staatssoziologie“ vgl. den Bericht der Neuen Freien Presse, Nr. 19 102 vom 26. Okt. 1917, S. 10.
und ebenso auch nicht der Vortrag in Heppenheim über „Staat und Verfassung“, der für den 18. September 1917 geplant war.
78
Zu dem Vortrag in Heppenheim vgl. die Einleitung zu MWG I/15, S. 19, Anm. 26. Eine kurze inhaltliche Skizze des geplanten Vortrags findet sich in dem Brief Max Webers an Martin Spahn vom 15. Sept. [1917], Privatbesitz.
Allenfalls könnte das Stichwortmanuskript AI für einen Kurs an der Odenwaldschule gedient haben, den Max Weber im Spätsommer 1918 gleichsam als „Ferien-Vergnügen“ halten wollte. Er dachte dabei an einen „14tägigen Kurs geschichtlicher (kulturgeschichtlicher und politisch-geschichtlicher) Art“, wobei es ihn vor allem interessierte, „ob man pädagogisch gewisse geschichtliche Dinge für so junge Altersklassen behandeln kann.“
79
Siehe Briefe Max Webers an Lili Schäfer vom 7. Dez. [1917] und 25. April [1918], ZStA Merseburg, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 26.
Weniger wahrscheinlich ist dagegen eine ursprünglich anderweitige Verwendung des Teilmanuskripts AII. Immerhin legt die augenfällige Hervorhebung der Passage „Ethik – Politik“ am Anfang, die ursprünglich als Titel gedacht gewesen sein könnte, auch hier die Erwägung nahe, ob AII nicht für einen Vortrag über das Verhältnis von „Ethik [und] Politik“ konzipiert worden sein dürfte, da, wie bereits erwähnt, die Schriftzüge der Großbuchstaben der Passage „Ethik – Politik“ angeschnitten sind und die Passage „Wer hat Beruf zur Politik (Eisner) Innere Sachverhalte: Spannungen g[e]g[en] Leben“
80
Siehe den Text, unten, S. 147.
nachträglich hinzugefügt sein könnte. Doch ist uns von einem Vortrag dieses Themas nichts bekannt. Vermutlich wurde AII demgemäß unmittelbar für „Politik als Beruf“ geschrieben; dafür spricht auch, daß sich die entsprechenden Stichworte mit Ausnahme einiger weniger Passagen
81
Siehe unten, S. 130.
in der Druckfassung durchgängig wiederfinden.
Insgesamt läßt die unbefriedigende Überlieferungslage verschiedene Hypothesen über die Entstehung des Stichwortmanuskriptes zu. Berücksichtigt man die verfügbaren Informationen und Max Webers Lebensum[129]stände im Herbst 1918 und Januar 1919, so erscheint der folgende Ablauf am plausibelsten:
Nachdem es Anfang November 1918 sicher schien, daß Weber den Vortrag „ Politik als Beruf“ bald halten werde, könnte er in der zweiten Hälfte Dezember, nach seiner Rückkehr aus Berlin, wo er an den Verfassungsberatungen teilgenommen hatte, zur Vorbereitung auf diesen ein älteres Stichwortmanuskript herangezogen und bearbeitet haben. Dafür spricht insbesondere die inhaltliche Nähe der Ausführungen über die Verhältnisse in Deutschland seit der Novemberrevolution zu seiner Abhandlung „Deutschlands künftige Staatsform“, die in dieser Form in seinen Wahlreden nicht nachzuweisen ist. In diesem Zusammenhang könnten die zahlreichen Einschaltungen entstanden sein, die sich auf die Frage des äußeren „Berufs zur Politik“ unter den Bedingungen der Moderne beziehen und die dem Kerntext von AI, der vorwiegend historisch gehalten ist, die Ausrichtung gaben, die ihn als Vorlage für „Politik als Beruf“ überhaupt erst geeignet machte.
Ende Dezember 1918 zog Weber sich dann, verbittert über das Scheitern seiner Kandidatur für die Nationalversammlung, von der eingegangenen Verpflichtung zurück und ließ sich nur mit einiger Mühe wieder umstimmen, den Vortrag schließlich doch zu halten. In der ersten Hälfte Januar 1919 war er aber für die DDP ständig unterwegs und innerlich wie äußerlich viel zu beschäftigt, um sich weiter der Ausarbeitung des Vortrags „Politik als Beruf“ widmen zu können. Erst im Zuge der Verhandlungen über die Durchführung und den endgültigen Termin für „Politik als Beruf“, die am 23. Januar 1919 abgeschlossen waren, dürfte er wieder an die Vortragsvorbereitungen gegangen sein. Die Mitteilungen an Else Jaffé am 19. und 23. Januar, daß der Vortrag „schlecht“ würde,
82
[129] Siehe oben, S. 121.
sprechen, obwohl sie sich primär auf private Motive beziehen, immerhin dafür, daß er zu diesem Zeitpunkt mit der konzeptionellen Ausarbeitung noch in den Anfängen stand.
Vermutlich unternahm Max Weber in den darauf folgenden Tagen einen ganz neuen Anlauf und schrieb am Leitfaden der ihn intensiv beschäftigenden Thematik des antinomischen Verhältnisses von großer verantwortlicher Machtpolitik und ethisch motivierter Gesinnungspolitik das Stichwortmanuskript AII in einem Zuge nieder, ohne wesentliche Ergänzungen oder Einschübe, und zwar zwischen dem 23. und dem 28. Januar; dafür spricht insbesondere die äußere Ähnlichkeit mit dem kurz vor dem 17. Januar entstandenen Stichwortmanuskript „[Der freie Volksstaat]“, aber auch die Bezugnahme auf Kurt Eisner gleich zu Beginn des Manuskriptes.
Dieser Ablauf würde die großen formalen und inhaltlichen Unterschiede von AI und AII verständlich machen und erklären, weshalb sie keine durch[130]gehende Paginierung aufweisen. Es ist jedoch auch denkbar, daß Max Weber im Anschluß an die Abfassung von AII, also nur wenig vor dem 28. Januar 1919, eine Bearbeitung des Kerntextes von AI der ja bereits im Dezember 1918 vorgelegen haben muß, vornahm. Diese Annahme fände eine Stütze in dem Umstand, daß Weber den Hinweis auf Liebknecht als Märtyrer wieder gestrichen hat. Doch ist dies angesichts des sehr unterschiedlichen Erscheinungsbilds beider Teilmanuskripte weniger wahrscheinlich.
Für den mündlichen Vortrag dürfte Max Weber dann beide Vorlagen miteinander kombiniert und seinen Ausführungen zugrunde gelegt haben. Allerdings gibt es über den Vortrag am 28. Januar 1919 nur wenige und nicht sehr aussagekräftige Schilderungen von Teilnehmern. Daher wissen wir nicht, ob Max Weber das Schwergewicht auf AI oder ΑII gelegt hat. Aufgrund des Charakters der Vortragsreihe ist jedoch anzunehmen, daß die Überlegungen zum ‚inneren Beruf der Politik‘, die sich in ΑII finden, im Vordergrund standen.
Für die Druckfassung (B) wurde dann das Stichwortmanuskript als Ganzes berücksichtigt. Fast alle darin aufgeführten Stichworte finden sich in der gedruckten Abhandlung wieder, wenn auch teilweise in erheblich veränderter Abfolge. Nur für wenige Stichworte gibt es keine Entsprechung. Dies gilt etwa für die Aussage, daß in den Einzelstaaten eine „Tendenz zur Parlaments-Omnipotenz“ vorherrsche,
83
[130] Siehe den Text, unten, S. 145.
für den Hinweis auf John Stuart Mill,
84
Siehe den Text, unten, S. 151.
der zwar in „Wissenschaft als Beruf“,
85
Siehe den Text, oben, S. 99.
nicht aber in der Druckfassung von „Politik als Beruf“ erwähnt wird, für die in ΑII mit „Reife“ eingeleitete Passage „Liebe des reifen Mannes anders als die der Jugend (gesättigt mit Wissen)“
86
Siehe den Text, unten, S. 155.
und für den Hinweis auf „Siegmund“ in Richard Wagners Walküre.
87
Siehe den Text, unten, S. 151.
Letztere finden sich hingegen in Webers religionssoziologischen Aufsätzen wieder.
88
Siehe dazu Weber, Max, Zwischenbetrachtung, in: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Band 1. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1920, S. 561 (MWG I/ 19, S. 507), und Weber, Max, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, ebd., S. 98 (MWG I/18).
Die Passagen des Stichwortmanuskripts AI „Aristokratie lebt für die Politik“ und „Demokratisierung notwendige Folge: leben von der Politik“,
89
Siehe den Text, unten, S. 141.
kehren in der Druckfassung nur in einer sehr veränderten Form wieder.
90
Siehe den Text, unten, S. 171f.
[131]Nachdem der Vortrag „Politik als Beruf“ am 28. Januar 1919 stattgefunden hatte, ging Immanuel Birnbaum unverzüglich daran, dessen Drucklegung zu betreiben. Da es inzwischen ganz unsicher geworden war, wann die beiden anderen Vorträge zu den Themen „Erziehung als Beruf“ und „Kunst als Beruf“ stattfinden würden,
91
[131] Siehe dazu den Editorischen Bericht zu „Wissenschaft als Beruf“, oben, S. 56f.
nahm er von seinem ursprünglichen Plan Abstand, alle vier Vorträge in einem Sammelband unter dem Titel „Geistige Arbeit als Beruf“ zu publizieren. Unter Hinweis auf die Vereinbarung vom 8. Juni 1918
92
Siehe dazu oben, S. 118, sowie den Editorischen Bericht zu „Wissenschaft als Beruf“, oben, S. 62.
schlug Birnbaum dem Verlag Duncker & Humblot am 30. Januar 1919 die eigenständige Veröffentlichung der beiden Vorträge „Wissenschaft als Beruf“ und „Politik als Beruf“ vor, um deren Erscheinen „nicht allzulange herauszuzögern.“
93
Brief Immanuel Birnbaums an den Verlag Duncker & Humblot vom 30. Jan. 1919, Verlagsarchiv Duncker & Humblot, Privatbesitz.
Der Verlag stimmte diesem Vorschlag sofort zu. Der Anregung Birnbaums, die im Juni 1918 vereinbarten Konditionen hinsichtlich der Auflagenhöhe und des Honorars für Weber zu verbessern, folgte der Verlag allerdings nur teilweise. Während er bei „Wissenschaft als Beruf“ bei der für die Gesamtreihe einmal vereinbarten Auflage von 2200 Exemplaren und einem Honorar für Max Weber von 300 Mark bleiben wollte, war er bereit, für „Politik als Beruf“ die Auflage auf 3000 Exemplare und das Honorar auf 450 Mark zu erhöhen.
94
Brief des Verlags Duncker & Humblot an Immanuel Birnbaum vom 31. Jan. 1919, ebd.
Der Vortrag Webers über „Politik als Beruf“ wurde ebenso wie „Wissenschaft als Beruf“ von einem Stenographen aufgenommen. Die Reinschrift des Stenogramms dürfte Weber zusammen mit dem Spesenhonorar von 120 Mark Anfang Februar 1919 übersandt worden sein; dies geht aus einem Brief Birnbaums vom 9. Februar 1919 hervor, in dem er Max Weber „um freundliche Durchsicht und Korrektur der Nachschrift“ bat, die er ja bereits in den Händen halte.
95
Siehe Brief Immanuel Birnbaums an Max Weber vom 9. Febr. 1919, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446.
Am 21. Februar 1919 übergab Birnbaum dem Verlag Duncker & Humblot das Manuskript von „Wissenschaft als Beruf“ und kündigte an, daß das Manuskript von „Politik als Beruf“ in wenigen Tagen folgen werde.
96
Vermerk über ein Gespräch zwischen Immanuel Birnbaum und dem Verlag Duncker & Humblot vom 21. Febr. 1919, Verlagsarchiv Duncker & Humblot, Privatbesitz.
Offensichtlich sind dann jedoch Verzögerungen eingetreten. Anläßlich der Übersendung der ersten Fahnen von „Wissenschaft als Beruf“ ersuchte der Verlag am 3. März 1919 Weber dringend um das Manuskript von „Politik als Beruf“, da er beide Schriften gemeinsam an den Buchhandel ausliefern wolle.
97
Brief des Verlags Duncker & Humblot an Max Weber vom 3. März 1919, ebd.
Max Weber antwortete am 5. März, daß sich [132]das Manuskript bereits seit einigen Tagen in den Händen Birnbaums befinden müsse.
98
[132] Brief Max Webers an den Verlag Duncker & Humblot vom 5. März 1919, ebd.
Auf eine entsprechende Anfrage hin teilte Birnbaum jedoch am 10. März dem Verlag mit, daß er das Manuskript bisher noch nicht erhalten habe.
99
Brief Immanuel Birnbaums an den Verlag Duncker & Humblot vom 10. März 1919, ebd.
Es dauerte dann vermutlich noch über eine Woche, bis das Manuskript beim Verlag einging, da dieser es erst am 19. März der Piererschen Hofbuchdruckerei übergeben konnte.
100
Brief des Verlags Duncker & Humblot an die Pierersche Hofbuchdruckerei vom 19. März 1919, ebd.
Wie aus Äußerungen von Max Weber und den an der Drucklegung beteiligten Personen hervorgeht, hat dieser die stenographische Mitschrift seines Vortrags „Politik als Beruf“ für die Druckfassung erheblich überarbeitet. Offenbar fand Max Weber seine im Januar wiederholt geäußerte Befürchtung, daß die Rede am 28. Januar sicher „schlecht“ werden würde,
101
Siehe oben, S. 121.
bei der Lektüre des Stenogramms bestätigt; so schrieb er an Else Jaffé, daß er den Vortrag in seiner mitstenographierten Fassung als „doch recht mäßig empfunden habe.
102
Brief Max Webers an Else Jaffé von „Dienstag“ [4. März 1919], Privatbesitz.
Er habe ihn deshalb so „umgestaltet, daß er druckfähig“ und „jetzt wenigstens passabel“ sei.
103
Ebd.
Offensichtlich hat es sich bei dieser Umgestaltung vor allem um eine Erweiterung des Textes gehandelt. Dies geht auch aus dem Begleitbrief des Verlags Duncker & Humblot an die Druckerei anläßlich der Übersendung des Manuskripts vom 19. März 1919 hervor, demzufolge das Manuskript 32 Blätter „mit Einschaltungen“ (gegenüber 24 Blättern für „Wissenschaft als Beruf“) umfaßt habe.
104
Brief des Verlags Duncker & Humblot an die Pierersche Hofbuchdruckerei vom 19. März 1919, Verlagsarchiv Duncker & Humblot, Privatbesitz.
Auch Immanuel Birnbaum erinnerte sich noch Jahre später daran, daß Max Weber die stenographische Mitschrift „außerordentlich“ erweitert und umgearbeitet habe. Die Entzifferung der „schwer leserlichen, riesigen Einschaltungen“ habe insbesondere die Druckerei vor erhebliche Probleme gestellt; man sei – so referierte Birnbaum die Aussage eines Verlagsmitarbeiters – schließlich froh gewesen, einen Setzer mit Spezialkenntnissen von Webers Schrift zu finden, damit das Manuskript überhaupt einwandfrei habe gelesen werden können.
105
Dies geht aus dem Brief Frithjof Noacks an Marianne Weber vom 26. Okt. 1924, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, hervor. In ihrer „Vorbemerkung“ zur 2. Auflage von „Politik als Beruf“, die 1926 bei Duncker & Humblot erschien, betonte Marianne Weber ausdrücklich, daß Max Weber „seine Ausführungen nachträglich für den Druck" ergänzt habe.
Leider sind wir über den genauen Umfang dieser handschriftlichen Erweiterungen nicht unterrichtet. Im Hinblick auf den Umstand, daß in der Druck[133]fassung eine Reihe von Sachverhalten behandelt werden, die im Stichwortmanuskript nicht oder nur beiläufig erwähnt werden, darf vermutet werden, daß sie in der Redefassung vom 28. Januar 1919 noch nicht vorhanden gewesen und erst später hinzugefügt worden sind. Dies gilt unter anderem für jene Ausführungen Webers, die sich mit den „Drei Typen der Herrschaft“,
106
[133] Siehe den Text, unten, S. 160f.
mit der Rolle der Presse und den Aufstiegsmöglichkeiten von Journalisten zu politischen Führern
107
Siehe den Text, unten, S. 191–196.
sowie mit dem Parteiensystem in den USA beschäftigen,
108
Siehe den Text, unten, S. 212–218.
vor allem aber für die berühmten Formulierungen über die „Führerdemokratie mit ‚Maschine‘“.
109
Siehe den Text, unten, S. 224.
Da im folgenden das Stichwortmanuskript dem Text als Marginalie beigesetzt wird und dadurch die Erweiterungen der Druckfassung gegenüber der Vortragsfassung deutlich werden, erübrigt sich an dieser Stelle eine eingehendere Darstellung.
Darüber hinaus nahm Max Weber im Zuge seiner Überarbeitung der Redefassung, wie bereits erwähnt, zahlreiche Umstellungen in der Abfolge der Argumentation vor. So wurde in der Druckfassung die Unterscheidung zwischen „Gelegenheits- und Gewohnheitspolitikern“ auf S. 1 des Stichwortmanuskripts AI hinter die Überlegungen über das „Streben des Fürsten nach Enteignung der Stände“ geschoben, die sich im Stichwortmanuskript AI erst auf S. 2 finden.
110
Siehe den Text, unten, S. 139, 141 und 165–171.
Auch gegenüber dem Stichwortmanuskript AII gibt es in der Druckfassung von „Politik als Beruf“ zahlreiche Umstellungen.
111
Einige Beispiele mögen hier genügen. Während sich die Begriffe „Leidenschaft“ und „Augenmaß“ im Stichwortmanuskript AII erst auf Blatt 4 finden (siehe den Text, unten, S. 153), bildet die berühmte Forderung Webers an den Politiker nach „Leidenschaft – Verantwortungsgefühl – Augenmaß“ in der Druckfassung die Überleitung zu seinen Ausführungen über Ethik und Politik (siehe den Text, unten, S. 227). Die Passagen auf Seite 2 Mitte des Stichwortmanuskripts AII „2 Arten von Ethik […] rechnet damit, daß die Welt dumm ist“ wurden vor die Passage gerückt, die den Stichworten von AII auf Seite 2 oben „Also: Verschiedene Ethik?“ entsprechen (siehe den Text, unten, S. 149 und 237f.). Augenscheinlich hat Max Weber für die Druckfassung auch einen anderen Schluß als bei der Rede am 28. Januar 1919 gewählt; wie aufgrund des Stichwortmanuskripts anzunehmen ist, dürfte die Rede mit dem Luther-Zitat geendet haben: „‚ich kann nicht anders‘“ (siehe den Text, unten, S. 155). Dieser Ausspruch wird in der Druckfassung bereits an früherer Stelle zitiert (siehe den Text, unten, S. 250).
Eine Übersicht läßt sich aus dem Vergleich des Stichwortmanuskripts mit den der Druckfassung marginal beigegebenen Stichworten gewinnen. Die Zuordnung der Stichworte zur Druckfassung ist allerdings vielfach nicht mit letzter Eindeutigkeit möglich, weil nicht selten Veränderungen in der Abfolge der Argumentation vorliegen und diese zuweilen in anderen Zusammenhängen neu aufgenommen wird.
[134]Wie wir aus dem Schriftwechsel zwischen dem Verlag Duncker & Humblot und der Piererschen Hofbuchdruckerei wissen, haben sich der Satz und die anschließende Fahnenkorrektur von „Politik als Beruf“ bis Ende Mai 1919 hingezogen.
112
[134] Brief der Piererschen Hofbuchdruckerei an den Verlag Duncker & Humblot vom 25. Mai 1919, Verlagsarchiv Duncker & Humblot, Privatbesitz.
Beide Broschüren waren Ende Juni oder Anfang Juli 1919 fertiggestellt; Max Weber teilte Marianne Weber am 5. Juli 1919 mit, daß „‚Politik als Beruf‘ und ‚Wissenschaft als Beruf‘ […] nun fertig versandt“ seien und daß er Freiexemplare an eine Reihe von Kollegen schicken wolle.
113
Brief Max Webers an Marianne Weber von „Samstag“ [5. Juli 1919], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446.
Der genaue Zeitpunkt der Auslieferung an den Buchhandel ist jedoch nicht zu ermitteln; im „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ werden sowohl „Wissenschaft als Beruf“ als auch „Politik als Beruf“ am 13. Oktober 1919 in der Rubrik „Erschienene Neuigkeiten des deutschen Buchhandels“ aufgeführt.
114
Siehe: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 24 vom 13. Okt. 1919, S. 10 009.

Zur Überlieferung und Edition

Als älteste Fassung des vorliegenden Textes hat das eigenhändige Stichwortmanuskript zu gelten, auf dessen Grundlage Max Weber am 28. Januar 1919 seinen Vortrag „Politik als Beruf“ gehalten haben dürfte. Dieses „Stichwortmanuskript“ wurde Mitte der 1950er Jahre von Eduard Baumgarten, der es aus dem Nachlaß Marianne Webers erhalten hatte, dem Max Weber-Archiv, München, überlassen. Auszüge davon sind bei Baumgarten, Eduard, Max Weber. Werk und Person. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1964, Tafel 12, 14 und 16 abgebildet. In den „Erläuterungen zu den Bildtafeln“ wurde es von Baumgarten als „Vortragsmanuskript“ bezeichnet. Offenbar aufgrund einer mündlichen, auf Marianne Weber zurückgehenden Überlieferung hielt er es für sicher, daß es sich dabei um die Vorlage der Redefassung von „Politik als Beruf“ gehandelt hat. Das Original ist in den 1970er Jahren verschollen. Wolfgang J. Mommsen hatte 1958 davon eine Kopie angefertigt, die heute in der Arbeitsstelle der Max Weber-Gesamtausgabe am Historischen Seminar der Universität Düsseldorf aufbewahrt wird. Kopien einzelner Seiten des Manuskripts, die seinerzeit von dem Original gefertigt worden sind, finden sich auch in der Arbeitsstelle der Max Weber-Gesamtausgabe in München. Dort befinden sich auch Abzüge der Fotografien, die seinerzeit für Baumgartens Buch „Max Weber. Werk und Person“ angefertigt wurden.
[135]Das Stichwortmanuskript besteht aus zwei
1
[135] Es ist zwar davon auszugehen, daß das uns überlieferte Manuskript vollständig ist, doch kann nicht ausgeschlossen werden, daß es noch weitere Teilstücke gegeben hat.
eigenständig paginierten Teilmanuskripten (AI und AII), die sich aufgrund formaler und inhaltlicher Merkmale unterscheiden.
2
Zu den sich daraus möglicherweise ergebenden Konsequenzen vgl. oben, S. 124–130.
AI besteht aus vier Blättern mit einer Abmessung von 14,2 x 22,2 cm. Benutzt wurden dabei offenbar Papierbögen eines schwach senkrecht geprägten Papiers der Abmessung 28,5 x 22,2 cm, die in der Mitte längs durchgerissen wurden. AII besteht ebenfalls aus vier Blättern, jedoch mit einer Abmessung von 9,5 x 22,2 cm. Benutzt wurden dabei Papierbögen des gleichen Formats und der gleichen Art wie im Falle von AI, doch wurden diese jeweils in drei Blätter gerissen. Dies ergibt sich aus einem Vergleich von AII mit dem uns erhaltenen Stichwortmanuskript „[Der freie Volksstaat]“, das Anfang Januar 1919 entstanden ist und AII in der äußeren Textgestaltung und im Schriftduktus sehr nahesteht.
3
Das Stichwortmanuskript [Der freie Volksstaat] befindet sich im Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446, OM 9. Es ist abgedruckt in: MWG I/16, S. 160–173.
Hier lassen sich die ebenfalls ca. 9,5 x 22,2 cm großen Blätter des Originals fugenlos zu Bögen einer Abmessung von 28,5 x 22,2 zusammenschieben. Ersichtlich sind in allen drei Fällen die gleichen Papierbögen verwendet worden, die jedoch im Falle von AI halbiert, im Falle von AII und „[Der freie Volksstaat]“ gedrittelt wurden.
Die ersten drei Seiten von AI sind von Max Weber eigenhändig paginiert, während Blatt 4 unpaginiert ist. AII ist von Seite 2 bis 4 paginiert, Blatt 1 ist unpaginiert; auf Seite 4 findet sich mit „verte!“ ein Hinweis auf die Fortsetzung des Textes auf der Rückseite.
AI besteht aus einem „Kerntext“, der auf der rechten Seite der Blätter angeordnet ist. In diesen wurden zahlreiche Passagen, die auf der linken Seite der Blätter stehen, mit den entsprechenden Strichen eingefügt. Die Abfolge der einzelnen Passagen des „Kerntextes“ blieb im wesentlichen auch in der Druckfassung erhalten,
4
In ihrer Anordnung vertauscht wurden beispielweise die Passagen „Zweck […] materielles Ziel“ und „Das ist ‚politisch‘ […] was die Art der Machtverteilung betrifft“ auf Seite 1 des Stichwortmanuskripts AI. (Siehe den Text, unten, S. 139 und 159). Die unter dem Stichwort „Berufspolitiker“ subsumierte Listung auf Seite 2 des Stichwortmanuskripts AI (siehe den Text, unten, S. 141) wurde insofern verändert, als in der Druckfassung die Position „2. Juristen[-]Stand“ hinter „5. Patriziat: []Gentry’ in England“ gesetzt wurde. (Siehe den Text, unten, S. 185f.) Dies ist vermutlich geschehen, weil Max Weber in der Druckfassung an dieser Stelle der Bedeutung der Juristen für die Entwicklung des okzidentalen Staates einen sehr umfangreichen Abschnitt widmet.
während die Einschübe dort zum Teil anders plaziert wurden. Auf Seite 3 des Stichwortmanuskripts AI findet sich eine Passage „Moderner Berufspolitiker […] (Beruf ideell materiell)“, die von Max Weber eigenhändig als „Auf S. 1 unten!“ zu plazieren gekenn[136]zeichnet wurde.
5
[136] Siehe den Text, unten, S. 143.
Wie der Vergleich mit der Druckfassung ergibt, sollte diese in den Einschub auf Seite 1 des Stichwortmanuskripts AIGelegenheits-Pol[itiker] […] Welcher Typus?“ inseriert werden.
6
Siehe den Text, unten, S. 169.
Die Einschübe, deren Duktus zuweilen von dem des „Kerntextes“ abweicht, finden sich, wie bereits erwähnt, in der Druckfassung teilweise an anderer Stelle, als dies im Stichwortmanuskript vorgesehen war.
7
Dies gilt beispielsweise für die Passage „Gelegenheits-Pol[itiker] […] Welcher Typus“ auf Seite 1 des Stichwortmanuskripts AI (siehe den Text, unten, S. 139) die in der Druckfassung hinter die den Stichworten auf Seite 2 des Stichwortmanuskripts AI „Streben des Fürsten […] Prozeß der Entstehung des modernen Staates“ (siehe den Text, unten, S. 141) entsprechenden Passagen geschoben worden ist (siehe den Text, unten, S. 165–171). Auch erfuhr der Einschub auf Seite 3 des Stichwortmanuskripts AI „Örtl[iche] Honoratioren […] Schneider“, (siehe den Text, unten, S. 143) eine Umstellung. In der Druckfassung schließt er direkt an die dem Stichwortmanuskript AI entsprechende Passage auf derselben Seite „Entwicklung in England: […] Gefolgschaft im Lande u[nd] deren Gefolge“ an. (Siehe den Text, unten, S. 206).
Anders als bei AI finden sich bei AII kaum Einschübe. Die Vorlage ist offenbar in einem Zuge niedergeschrieben worden. Auffallend ist freilich die Gestaltung der dritten Zeile „Ethik – Politik“, die stark hervorgehoben ist
8
Siehe das Faksimile, unten, S. 146.
und möglicherweise gar als „Titel“ bzw. „Untertitel“ gedacht war.
Als zweite Fassung von „Politik als Beruf“ muß die stenographische Mitschrift der Rede Max Webers vom 28. Januar 1919 gelten. Jedoch sind uns weder das Stenogramm noch die davon angefertigte Reinschrift, die Max Weber Anfang Februar 1919 zugeschickt wurde,
9
Siehe oben, S. 131.
erhalten.
Diese Reinschrift hat Max Weber vor der Drucklegung im März 1919 einer umfassenden Bearbeitung unterzogen. Im Zuge dieser Bearbeitung wurde der Text, wie Birnbaum berichtet, um „riesige Einschaltungen“ erweitert.
10
Siehe oben, S. 132.
Auch diese dritte Fassung ist uns nicht überliefert. Jedoch läßt sich der Umfang der Einschaltungen aus einem Vergleich des Stichwortmanuskripts mit der Druckfassung wenigstens in groben Zügen rekonstruieren. Dafür ist das Stichwortmanuskript dem Text der Druckfassung im folgenden als Marginalie beigesetzt.
Als vierte Fassung muß die uns ebenfalls nicht überlieferte Fahnenkorrektur Max Webers gelten, von der wir jedoch nicht wissen, zu welchem Zeitpunkt sie stattgefunden hat.
Im folgenden kommt zunächst das „Stichwortmanuskript“ (A) zum Abdruck, wobei die Transkription die als Faksimile wiedergegebene handschriftliche Fassung
11
Das Faksimile wird aus den besten vorhandenen Reproduktionen zusammengestellt.
mit ihren Einschüben und Streichungen genau wider[137]spiegelt. Dabei werden von den Herausgebern hinzugefügte Satzzeichen in eckige Klammern gesetzt, Abkürzungen werden in eckigen Klammern aufgelöst. Unleserliche Wörter und Zeichen werden mit [??] wiedergegeben. Von Max Weber gestrichene Wörter werden in spitze Klammern gesetzt; falls sich die Streichungen nicht entziffern lassen, steht 〈??〉. Textänderungen von Webers Hand werden im textkritischen Apparat mit dem Zeichen > für „wird zu“ wiedergegeben. Dem Abdruck liegt die Kopie des verlorenen Originals zugrunde, die sich im Besitz von W. J. Mommsen, Arbeitsstelle der Max Weber-Gesamtausgabe, Düsseldorf, befindet. Auf eine Kommentierung wird hier verzichtet, mit Ausnahme eines einzigen Stichworts, für das es in der Druckfassung keine Entsprechung gibt.
Anschließend kommt der Text in der Fassung zum Abdruck, in der er als eigenständige Broschüre: „Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag: Max Weber. Politik als Beruf. – München und Leipzig: Duncker & Humblot 1919“, erschienen ist (B). Die jeweils korrespondierenden Stichworte des „Stichwortmanuskripts“ werden ohne den textkritischen Apparat als Marginalien wiedergegeben, um dem Leser einen durchgängigen Vergleich beider Texte zu ermöglichen. An einer einzigen Stelle greift die Edition eine Umstellung im Text auf, die Marianne Weber beim Abdruck von „Politik als Beruf“ in: Max Weber. Gesammelte Politische Schriften, 1. Aufl. – München: Drei Masken Verlag 1921, S. 396–450, vorgenommen hat, da diese sich als sachlich plausibel erweist und durch die Abfolge der Stichworte des Stichwortmanuskripts gestützt wird. Es handelt sich dabei um die Passage, die mit „Jeder Herrschaftsbetrieb […]“ beginnt und mit „[…] die sachlichen Verwaltungsmittel“ endet.
12
[137] Siehe den Text, unten, S. 162f.
Diese Passage war in B zwischen der Passage, die mit „[…] Menschengruppen, die er umschließt“ endet, und der Passage, die mit „Das entspricht im wesentlichen […]“ beginnt,
13
Siehe den Text, unten, S. 159.
plaziert. Es ist möglich, daß Marianne Weber bei ihrer Umstellung auf eine wie auch immer geartete Instruktion Max Webers zurückgreifen konnte. Ansonsten wird der Abdruck in den GPS vernachlässigt.
Ein kurzer Auszug aus „Politik als Beruf“ wurde in der Deutschen Allgemeinen Zeitung, Nr. 610 vom 11. Dezember 1919, S. 2, unter der Überschrift „Der Journalist“ nachgedruckt. Es handelt sich dabei um die Passagen „Die Soziologie der modernen politischen Journalistik […] wie Außenstehende es nicht leicht vermuten“.
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Siehe den Text, unten, S. 191–196.
Da dieser Teilnachdruck bis auf das Fehlen der Hervorhebungen sowie einige wenige Auslassungen, die von der Redaktion der Deutschen Allgemeinen Zeitung vorgenommen sein dürften, keine Änderungen gegenüber der bei Duncker & Humblot veröffentlichten Fassung aufweist, kann er hier vernachlässigt werden.