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MWG digital

Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

[175]Editorischer Bericht

I. Zur Entstehung

In dem Text „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ entwickelt Max Weber die Unterscheidung zwischen einer soziologischen und einer juristischen Betrachtungsweise des Rechts, wie er es bereits 1907 in der kritischen Besprechung von Rudolf Stammlers Buch über „Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung“
1
[175] Stammler, Wirtschaft und Recht.
und erneut auf dem Ersten Deutschen Soziologentag im Oktober 1910
2
Vgl. Weber, Diskussionsbeitrag I (wie oben, S. 16, Anm. 69), bes. S. 268–270 [[MWG I/12, S. 269–272]]; ders., Diskussionsbeitrag II (wie oben, S. 19, Anm. 1), bes. S. 324–326 [[MWG I/12, S. 281–284]].
getan hatte. In diesem Text stellt Weber ein weiteres Mal die zentralen Differenzen zu Stammler heraus: das Erfordernis eines rein empirischen Rechts- und Geltungsbegriffs für die Analyse der „Beziehungen zwischen Wirtschaft und Recht“
3
Ebd., S. 268 [[MWG I/12, S. 272]].
einerseits, die Untauglichkeit eines erkenntnislogisch gemeinten „Form“-Begriffs für die empirische Analyse sozialer Ordnungen andererseits.
4
Vgl. dazu ausführlich die Einleitung, oben, S. 9 ff.
Das Manuskript enthält drei Abschnitte: Im ersten Abschnitt entwickelt Weber den empirischen im Gegensatz zum juristischen Rechtsbegriff. Im zweiten Abschnitt werden die Beziehungen des Rechts zu anderen gesellschaftlichen Ordnungen (Sitte, Konvention) und zur empirisch verstandenen Wirtschaftsordnung erörtert. Die allgemeinen wechselseitigen Bezüge zwischen Wirtschaft und Recht, die „keinerlei eindeutige, ,funktionelle‘, Beziehung zwischen ihnen“ darstellten,
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Weber, Verhandlungen 1910, S. 270 [[MWG I/12, S. 272]].
diskutiert Weber im abschließenden dritten Abschnitt.
1. Die äußere Gestalt des Manuskripts
Bei dem Text „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ handelt es sich um ein 20-seitiges Manuskriptkonvolut. Mehrere Bearbeitungsstufen sind nachweisbar. Um wie viele es sich handelt, läßt sich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Zugrunde liegt ein Typoskripttext. Er wurde mit Hilfe der erwähnten Schreib[176]maschinen 1 (Textgruppen I–III) und 2 (Textgruppe IV) sowie den jeweils zuzuordnenden Papiersorten hergestellt.
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[176] Zu Schreibmaschinentypen und Papiersorten siehe oben, S. 145 f.
Das Typoskript enthält noch keine Verweise auf andere Texte. Dieser Grundtext wurde von Max Weber umfassend handschriftlich bearbeitet und im Zuge der Bearbeitung durch Beschreibung der Blattränder und angeklebte Papierstücke (Allongen) stellenweise erweitert. Bei der handschriftlichen Bearbeitung und Erweiterung wurden die soziologischen Grundbegriffe eingebracht, die Max Weber im Aufsatz „Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie“ entwickelt. Auch erhält der Text nun Verweise auf andere Grundriß-Texte sowie den Kategorienaufsatz selber. An zwei Stellen sind maschinenschriftlich geschriebene Seiten (Textgruppen III und IV) nachträglich in das Typoskript-Grundgerüst (Textgruppen I und II) eingefügt worden.
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Die Textgruppe II zeigt zwar gegenüber der vorangehenden Textgruppe I einen Wechsel der maschinenschriftlichen Paginierungsart (Seitenzahl in Spiegelstrichen), der jedoch neben anderen Indizien eher für einen Neueinsatz bei der Typoskriptherstellung als für einen Texteinschub spricht.
Auch sie sind handschriftlich bearbeitet. Es spricht vieles dafür, daß diese Veränderung und Erweiterung nicht in einem Zug, sondern in mehreren Schritten geschehen ist. Wie die Satzanweisungen zeigen (z. B. „Petit“ oder „Absatz“), hatte Max Weber begonnen, das Manuskript für die Drucklegung vorzubereiten.
2. Der Entstehungskontext
Auf eine vermutliche Entstehung des Manuskripts im Kontext von Webers Beitrag „Wirtschaft und Gesellschaft“ für das „Handbuch der politischen Ökonomie“, der später als „Grundriß der Sozialökonomik“ bezeichnet wurde, und auf einen wohl ursprünglich beabsichtigten Zusammenhang mit dem Text „Die Entwicklungsbedingungen des Rechts“ wurde bereits im Editorischen Gesamtbericht hingewiesen.
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Vgl. oben, S. 135 f.
Den beiden überlieferten Dispositionen lassen sich darüber hinaus einige weitere Hinweise zur Entstehung des Textes entnehmen.
Aus dem im Mai 1910 per Rundschreiben an die Autoren des Sammelwerkes versendeten sog. Stoffverteilungsplan
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Abgedr. in: Winckelmann, Hauptwerk, S. 151–155, hier S. 151; MWG II/8, S. 808–816, hier S. 810.
geht hervor, daß Weber drei Unterabschnitte vorsah: „Wirtschaft und Recht“, „Wirtschaft und soziale Gruppen“ sowie „Wirtschaft und Kultur“. Der erste Unterabschnitt sollte zwei Teile umfassen: „a) Wirtschaft und Recht, 1. prinzipielles Verhältnis, 2. Epochen [177]der Entwicklung des heutigen Zustands“. In einem vor allem grundbegrifflichen Sinne behandelt „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ das prinzipielle Verhältnis von Wirtschaft und Recht. Auch die Terminologie des Typoskripts weist in diese Richtung, dem allerdings die abgeleiteten Formen des „Gemeinschaftshandelns“ (also das „Einverständnis“-, „Gesellschafts“-, „Verbands“- und „Anstaltshandeln“) noch fehlen. Sie wurden erst im Zuge der handschriftlichen Bearbeitung eingebracht. Der ansonsten selten benutzte Ausdruck „soziale Gruppe“ stammt offenbar auch aus dieser Arbeitsphase,
10
[177] Er ist allerdings nur an einer Stelle (unten, S. 242) nachweislich.
da der Stoffverteilungsplan unter Punkt b) aufführt: „Wirtschaft und soziale Gruppen (Familien- und Gemeindeverband, Stände und Klassen, Staat)“. Der Begriff der „sozialen Gruppe“ figuriert hier als Sammelausdruck für die sich aufstufenden Gemeinschaftsformen.
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Erwartungsgemäß benutzt Weber den Gruppenbegriff vergleichsweise häufig in den eher frühen Vorkriegsmanuskripten zu seinem Grundrißbeitrag – so beispielsweise in einigen Texten von: Weber, Gemeinschaften, MWG I/22-1, S. 98 f., 105, 171, 179, 196, 214, 231, passim –, während der Begriff in: Weber, Religiöse Gemeinschaften, MWG I/22–2, einem nachweislich späten Text (vgl. den Editorischen Bericht in: ebd., S. 89 f.), offenkundig keine Rolle mehr spielt.
An seine Stelle tritt in der „Einteilung des Gesamtwerkes“ von 1914 („Werkplan“)
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Abgedr. in: Winckelmann, Hauptwerk, S. 168–171, hier S. 168 f.; MWG II/8, S. 820–823, hier S. 820 f. Die „Einteilung des Gesamtwerkes“ wurde zusammen mit dem „Vorwort“ vom 2. Juni 1914 den Einzelbänden des „Grundriß der Sozialökonomik“ beigefügt; zuerst in: GdS, I. Abteilung: Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft, bearb. von K[arl] Bücher, J[oseph] Schumpeter, Fr[iedrich] Freiherrn von Wieser. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1914, S. X–XIV, hier S. Xf. [[MWG I/24, S. 168–173, hier S. 168f.]].
der Begriff der „Gemeinschaft“ bzw. der verschiedenen „Gemeinschaften“, wobei der Werkplan selbst ebenso wie erkennbare Textentwicklungen in „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ bereits den Übergang zum „Verband“ signalisieren, den spätestens die sog. Erste Lieferung (1921) vollzieht.
Der Werkplan gibt eine Kurzübersicht über die in Webers Grundrißbeitrag zu behandelnden Themenkomplexe, die sachlich weitgehend dem entspricht, was dieser dem Verleger im Dezember 1913 vorab brieflich angekündigt hatte.
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Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 30. Dez. [1913], MWG II/8, S. 448–450, hier S. 449.
Sein GdS-Beitrag sollte nunmehr eine Soziologie der Gemeinschaftsformen von der Hausgemeinschaft bis zum Staat jeweils in ihrem Verhältnis zur Wirtschaft entwerfen. Der Werkplan nennt als Bestandteil des Beitrags, nun „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“ betitelt, im Rahmen einer einleitenden Begriffslehre („1. Kategorien der gesellschaftlichen Ordnungen“) u. a. den Abschnitt „Wirtschaft und Recht in ihrer prinzipiellen Beziehung“. Dies entspricht fast wörtlich einer Formulierung am Ende des ersten Absatzes von „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ und greift zu[178]gleich die Formulierung aus dem Stoffverteilungsplan wieder auf.
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[178] Unten, S. 191.
Die Parallelen deuten auf Kontinuität. Der überlieferte Titel des Manuskripts „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ entspricht sachlich einer Erweiterung der Beziehung zum Recht um den normativen Kosmos von Sitte, Konvention und Gewohnheit. Aus dem anti-stammlerschen Projekt entwickelt und den sog. Stoffverteilungsplan von 1909/10 ausfüllend, weist der sachliche Gehalt des Textes über die ursprüngliche Kompositionsidee hinaus, sperrt sich aber zugleich einer eindeutigen Zuordnung zum Werkplan von 1914, da der Titel „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ keinem der beiden Gliederungsprojekte gänzlich entspricht. Dies hat Konsequenzen für die umstrittene Frage der Einordnung des Textes in den Rahmen des Weberschen Vorhabens.
Für die Positionierung von „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ im Grundrißgefüge kommen den Verweisen maßgebliche Bedeutung zu. Sie wurden von Weber für dieses Manuskript alle erst im Zuge der handschriftlichen Bearbeitung der Typoskriptfassung eingefügt.
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Hiroshi Orihara hat die Verweisstruktur zum Gegenstand systematischer Untersuchungen gemacht; vgl. ders., Eine Grundlegung zur Rekonstruktion von Max Webers „Wirtschaft und Gesellschaft“. Die Authentizität der Verweise im Text des „2. und 3. Teils“ der 1. Auflage, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 46, 1994, S. 103–121 (hinfort: Orihara, Grundlegung); ders., Über den „Abschied“ hinaus zu einer Rekonstruktion von Max Webers Werk: „Wirtschaft und Gesellschaft“ in drei Teilen. – Tokyo: University of Tokyo, Komaba 1992/93 (hinfort: Orihara, Rekonstruktion); ders., „Rekonstruktion des Manuskripts 1911–13“. – Tokyo: University of Tokyo 1994.
Es handelt sich im Einzelnen um einen Vorausverweis, der sich in der „Herrschaftslehre“ wie im Abschnitt „Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen“ auflösen läßt,
16
Unten, S. 245, Anm. 22.
einen Vorausverweis auf das Marktkapitel
17
Unten, S. 247, Anm. 28.
und einen Verweis auf den Abschnitt über „Ethnische Gemeinschaften“.
18
Unten, S. 212, Anm. 55.
Letzteren hat Weber zunächst als Rückverweis, dann als Vorausverweis und schließlich wieder als Rückverweis formuliert.
19
Ebd., textkritische Anm. f.
Ein Rückverweis auf die „Ethnischen Gemeinschaften“ scheint eine Spitzenstellung von „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ auszuschließen, während der ursprünglich als Vorausverweis formulierte Bezug der Positionierung am Anfang entsprechen würde, soweit man am Werkplan von 1914 als Disposition für die Anordnung der Vorkriegsmanuskripte zu Webers Grundrißbeitrag festhält.
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Vgl. ebd.
Zumindest zum Zeitpunkt der letztgültigen Verweisformulierung entsprach die Einordnung des Textes in die entstehende Manuskriptmasse noch nicht oder nicht mehr diesem Werkplan.
Eine weitere Veränderung kommt hier zum Tragen. Die römische Bezifferung des Manuskripts („I.“), die Weber nach mehreren Anläufen einer letztlich [179]verworfenen Paragrapheneinteilung wählt, könnte durchaus die im Werkplan vorgesehene vordere Position stützen.
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[179] Vgl. unten, S. 191 mit den textkritischen Anm. b und c, und ausführlicher unten, S. 188.
Insgesamt bleibt jedenfalls – auch angesichts der Paragraphengliederung des Textes „Die Entwicklungsbedingungen des Rechts“ und des nach arabischer Bezifferung gegliederten Textes „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ – zu beachten, daß die beiden Texte, die einmal als Einheit geplant waren, 1914 nicht mehr der Anordnung des Stoffverteilungsplanes von 1909/10 folgen.
22
Vgl. Editorischer Gesamtbericht, oben, S. 135.
Gleichwohl besteht keinerlei Zweifel daran, daß „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ ursprünglich zu dem Grundrißvorhaben Webers gehörte und auch nach der veränderten Disposition einen Platz darin gefunden hätte.
3. Zur Datierung
a) Zusammenhang mit dem Kategorienaufsatz
Für ein werkgeschichtliches Verständnis des Manuskriptes ist der Zusammenhang mit dem Aufsatz „Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie“ von Belang. Weber hatte die soziologischen Grundbegriffe erst im Zuge der handschriftlichen Bearbeitung in den Text eingebracht. Außerdem hat er den Text mit Rückverweisen und immanenten Verweisen versehen, die sich im Kategorienaufsatz auflösen lassen.
23
In: Weber, Kategorien, lassen sich folgende Rückverweise bzw. immanente Verweise auflösen: unten, S. 193, Anm. 6, und S. 194 f., Anm. 7, 8, 10; unten, S. 199, Anm. 23; unten, S. 198, Anm. 22. – Vgl. dazu auch die Einleitung oben, S. 38–40.
Diesen Aufsatz hatte Weber – wie er in der Einleitungsfußnote schreibt
24
Weber, Kategorien, S. 253, Fn. 1.
– ursprünglich für seinen Handbuchbeitrag geschrieben; und noch die im Werkplan vorgesehene „soziologische“ Kategorienlehre („1. Kategorien der gesellschaftlichen Ordnungen. […]“) scheint mit einem Unterabschnitt über „Wirtschaft und Recht in ihrer prinzipiellen Beziehung“ einen engen Zusammenhang zu bekräftigen. Indessen entschloß sich Weber Mitte 1913,
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Vgl. die Briefe Max Webers an Heinrich Rickert vom 3. Juli 1913, [nach dem 3. Juli] 1913 und vom 5. Sept. [1913], MWG II/8, S. 260 f. und S. 318–320, hier S. 318, sowie die Briefe an den Verleger vom 9. und 11. November 1913, MWG II/8, S. 367–370, hier S. 370, S. 373–375, hier S. 375 und S. 376 f., hier S. 377.
den Kategorienaufsatz separat zu publizieren, womit die dorthin aufzulösenden Verweise, u. a. auf die Definition des „Zwangsapparates“,
26
Vgl. unten, S. 195 mit Anm. 10, und S. 199 mit Anm. 23.
leerliefen. Nun ist ein (nicht überliefertes) grundbegriffliches Äquivalent zum Kategorienaufsatz, auf den die Verweise in „Die [180]Wirtschaft und die Ordnungen“ sinnvoll Bezug nehmen könnten, an sich ebensowenig auszuschließen wie ein möglicher Wiederabdruck des (überarbeiteten) Aufsatzes im Rahmen des „Grundriß der Sozialökonomik“.
27
[180] Vgl. dazu Orihara, Beitrag (wie oben, S. 138, Anm. 13), S. 730, und die Kritik von Schluchter, Replik (wie oben, S. 138, Anm. 13), S. 741.
Denkbar wäre immerhin auch, daß die Verweise als Platzhalter fungieren sollten bis zu dem Zeitpunkt, zu dem entweder ein Äquivalent erstellt oder aber eine andere Lösung gefunden worden wäre.
Sicher ist nach der Textlage, daß Weber durch sorgfältige redaktionelle Bearbeitung „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ auf das im Kategorienaufsatz erreichte Begriffsniveau gebracht hat, indem er den Grundbegriff des „Gemeinschaftshandelns“ durch die jeweils passenden abgeleiteten „Kategorien“ des „Einverständnis“-, „Gesellschafts“-, „Verbands“- und „Anstaltshandelns“ ersetzt. Und ebenso: Sollte dieser Teiltext tatsächlich einmal zum Manuskriptbestand des Kategorienaufsatzes gehört haben, dann basiert die maschinenschriftliche Grundschicht wohl auf einer frühen Textfassung desselben. Zumindest die früheste terminologisch relevante Bearbeitung von „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ könnte dann zusammen mit der des ursprünglichen Manuskriptes des Kategorienaufsatzes, noch vor dessen Publikation, erfolgt sein. Da aber sämtliche Textverweise auf den Kategorienaufsatz aus der manuellen Redaktionsschicht stammen, muß man diese Bearbeitung entweder zeitlich vor dem Entschluß zur Separatveröffentlichung ansetzen oder die erwähnten Möglichkeiten einer Doppelpublikation oder eines noch zu schaffenden grundbegrifflichen Äquivalents in Betracht ziehen.
Der Kategorienaufsatz, oder besser die dort entfaltete Kategorienterminologie, könnte also hilfreich sein bei dem Versuch, den Entstehungszeitraum von „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ einzugrenzen. Dann nämlich, wenn sich die Herstellungszeit dieses Aufsatzes und dieser Terminologie näher bestimmen ließe. Dies scheint auf den ersten Blick auch möglich zu sein, und zwar aufgrund von textlichen und brieflichen Hinweisen, die Weber selbst zu diesem Thema gibt.
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Vgl. hierzu und zum Folgenden bes. Schluchter, Wolfgang, Vorbemerkung: Der Kategorienaufsatz als Schlüssel, in: ders., Individualismus, Verantwortungsethik und Vielfalt. – Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2000 (hinfort: Schluchter, Individualismus), S. 179–189, hier S. 182–184.
So heißt es in der Einleitungsfußnote des Ende 1913 im „Logos“ publizierten Aufsatzes: „Keineswegs alle nachstehend (unten V–VII) aufgestellten Kategorien sind wir genötigt zu bilden. Sie sind zum Teil entwickelt, um zu zeigen, was Stammler ,hätte meinen sollen‘.“ Und Weber fährt fort: „Der zweite Teil des Aufsatzes ist ein Fragment aus einer schon vor längerer Zeit geschriebenen Darlegung, welche der methodischen Begründung sachlicher Untersuchungen, darunter eines Beitrags (,Wirtschaft und Gesellschaft‘) [181]für ein demnächst erscheinendes Sammelwerk dienen sollte [.. .].“
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[181] Weber, Kategorien, S. 253, Fn. 1.
Was hat es mit diesen Hinweisen Webers, zu denen noch eine Briefpassage hinzutritt, auf sich?
Nach überwiegender Ansicht bezieht sich die Formulierung „zweiter Teil“ auf die Abschnitte IV–VII dieses Aufsatzes, in denen die soziologischen Kategorien und ihre Ausdifferenzierungen, insbesondere das Einverständnis und seine Ableitungen, definiert werden.
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Vgl. bes. Schluchter, Wolfgang, Vorbemerkung: Der Kategorienaufsatz als Schlüssel, in: Schluchter, Individualismus (wie oben, S. 180, Anm. 28), S. 179–189, hier S. 182–184.
Was heißt es nun, wenn Weber sagt, dieser „zweite Teil“ sei schon „vor längerer Zeit“ geschrieben worden? Ein Brief an Heinrich Rickert, den Herausgeber der Zeitschrift „Logos“, gibt hierzu vielleicht näheren Aufschluß. Anfang September 1913 kündigt Weber darin die Manuskriptversendung des Kategorienaufsatzes mit den Worten an, er sende nun der Logos-Redaktion „den Aufsatz, der fertig da liegt, in seinem ursprünglichen Teil schon seit 3/4 Jahren, jetzt durchgesehen und mit einigen ,methodischen‘ Bemerkungen eingeleitet […]“.
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Brief Max Webers an Heinrich Rickert vom 5. Sept. [1913], MWG II/8, S. 318–320, hier S. 318.
In der Lesart von „3/4 Jahren“, von der entscheidend die Datierung des „ursprünglichen Teils“ des Kategorienaufsatzes abhängt, gehen die Meinungen auseinander. Liest man ,ein dreiviertel Jahr‘, dann wäre dieser Teil etwa Ende 1912/Anfang 1913 fertiggestellt worden. Man kann dagegen auch „3, 4“ Jahre lesen und käme dann auf 1909/1910 als möglichen Entstehungszeitraum.
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So Wolfgang Schluchter, für den das Einverständnis und seine Komposita zum „ursprünglichen Teil“ gehören, also eine zwar wesentliche, aber eben auch wesentlich früher zu datierende begriffliche Innovation sind, welche Weber offenbar schon bei der 1913 einsetzenden neuen Arbeitsphase am „Grundriß der Sozialökonomik“ aufgegeben habe; vgl. Schluchter, Replik (wie oben, S. 138, Anm. 13), S. 739; ders., Zur Entstehung von Max Webers Hauptbeitrag zum Handbuch der politischen Oekonomie, später: Grundriß der Sozialökonomik, in: ders., Handlung, Ordnung und Kultur. Studien zu einem Forschungsprogramm im Anschluß an Max Weber. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 2005, S. 228–238, hier S. 231 ff.
Weber schlägt im selben Brief vor, ggf. zunächst „nur den ursprünglichen Teil [zu] drucken“. Denkt man dabei mit der überwiegenden Ansicht an die Abschnitte IV–VII, also die Entfaltung der Kategorien, ergeben sich folgende Interpretationsmöglichkeiten: Entweder hat Weber die Kategorien im zeitlichen Kontext ihrer systematischen Formulierung, also ab Ende 1912 gebraucht und in die handschriftliche Bearbeitung eingebracht. Oder die handschriftliche Überarbeitung des Textes, in der die Kategorien eingearbeitet wurden, erfolgte schon zu einer wesentlich früheren Zeit, d. h. bereits ab 1909/10.
Die Überlieferung macht eine eindeutige Entscheidung für einen „frühen“ oder „späten“ Kategoriengebrauch schwierig: Geht man von einer frühen Datierung (und entsprechenden frühen Einarbeitung der „neuen“ Begrifflichkeit) [182]aus, stößt man im vorliegenden Text auf eine Ausnahme: Auf einer Allonge werden das „Einverständnishandeln“ und die entwickelte Begrifflichkeit des Kategorienaufsatzes verwendet. Die Rückseite
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[182] Blatt A 8/B 6, unten, S. 223, textkritische Anm. m.
der Allonge – auf welche die erstgenannte aufgeklebt ist – enthält einen Briefentwurf, der vermutlich im Kontext einer Sorgerechtsauseinandersetzung verfaßt wurde, in welche die mit Max und Marianne Weber befreundete Frieda Gross verwickelt war. Weber hat Frieda Gross in dieser Angelegenheit zwischen November 1913 und August 1914 intensiv beraten. Nach den sachlichen Hinweisen, die das Brieffragment enthält, könnte der Entwurf zwischen den Schreiben Webers an ihren Anwalt Otto Pellech vom 30. Januar und 11. Februar 1914 einerseits
34
MWG II/8, S. 490–496, hier S. 490, und S. 502–505, hier S. 502.
und den Briefen an Frieda Gross vom 4. und 16. März 1914 andererseits
35
MWG II/8, S. 536 f., hier S. 536 mit Anm. 5, und S. 555 f., hier S. 555.
entstanden sein – was dann belegen würde, daß Weber diese Begriffe auch später noch aktiv verwendete. Der einfachste Grund hierfür könnte freilich gerade in der Parallelität der Entstehungskontexte liegen. Kategorien wie das „Einverständnishandeln“ waren noch nicht verfügbar und hätten im Zuge redaktioneller Überarbeitungen (nach dem Vorbild des vorliegenden Textes) erst eingebracht werden müssen. Doch bewegen wir uns hier unvermeidlich sehr weitgehend auf dem Feld von Hypothesen und mehr oder weniger plausiblen Annahmen.
So bliebe bei einer späten Datierung der Kategorienformulierung und ihres Gebrauchs erklärungsbedürftig, warum er sie in zeitgleich entstandenen Texten, etwa zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“, nicht verwendete.
Man könnte dagegen überlegen, die oben zitierte Anschlußformulierung aus der Einleitungsfußnote des Kategorienaufsatzes („Der zweite Teil des Aufsatzes ist ein Fragment […]“) abgelöst vom vorhergehenden Satz im Sinne von „der andere Teil“ zu lesen und auf die Abschnitte I–IV zu beziehen.
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Zur folgenden Argumentation vgl. ausführlich Hermes, Siegfried, Vom Aufbau und der Ordnung der sozialen Welt. Zur Genesis, Genealogie und Textgeschichte von Max Webers Beitrag für den Grundriß der Sozialökonomik und speziell seiner „Rechtssoziologie“, in: Rechtstheorie, Jg. 38, 2007, S. 418–449.
Der „zweite (ältere) Teil“ beinhaltete demnach die logisch-methodischen Grundlagen sowie das „Gemeinschaftshandeln“ als grundlegenden soziologischen Begriff, den auch das Typoskript von „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ enthält. Liest man weiterhin „3, 4“ Jahre und bezieht den von Weber zur Publikation bestimmten „ursprünglichen“ Teil auf die methodisch-wissenschaftssystematischen Abschnitte I–IV, wäre das gerade im Hinblick auf den – offenbar durch die für Januar 1914 geplante Werturteilsdebatte des Vereins für Sozialpolitik motivierten – Veröffentlichungszeitpunkt plausibel, da diese Abschnitte schließlich das „methodische“ Fundament der nachfolgenden Begriffspyramide bilden. Nach diesem Verständnis sind das Einverständnis, [183]seine Komposita und Ableitungen wesentliche Begriffsinnovation des Kategorienaufsatzes und wiederum Produkte späterer Textentwicklung, wären demnach im Zuge der neuerlichen Durchsicht für die beabsichtigte Publikation, also Anfang bis Mitte 1913, eingefügt worden. Auch diese Auffassung würde für einen relativ späten terminus post quem für die handschriftlichen Revisionen von „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ sprechen.
b) Zeitlicher Horizont der spätesten Manuskriptbearbeitung
Es gibt darüber hinaus eine Reihe weiterer Indikatoren, die belegen, daß Max Weber 1913/14 an dem Manuskript „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ Veränderungen vorgenommen hat.
Für die späte Datierung wenigstens einer handschriftlichen Bearbeitungsschicht („Konzeptschrift“) würde die beiläufige, schließlich gestrichene Textstelle sprechen, in der Weber eine „neuerdings zur Berühmtheit gelangte preußische Kabinettsorder“ erwähnt.
37
[183] Unten, S. 194, textkritische Anm. m.
Dies bezieht sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf die sog. Zabernaffäre,
38
Vgl. ausführlich dazu Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. IV: Struktur und Krisen des Kaiserreichs. – Stuttgart u. a.: W. Kohlhammer 1969, S. 581–603.
in deren Verlauf das Straßburger Kriegsgericht am 10. Januar 1914 das für Übergriffe der Militärgewalt auf Zivilpersonen in der elsässischen Kreis- und Garnisonstadt Zabern im November 1913 verantwortliche militärische Führungspersonal freigesprochen hatte. Wenn Weber hier tatsächlich auf die Zabern-Affäre anspielt, dann wäre diese (mutmaßlich letzte) Redaktion von „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ noch nach dem 10. Januar 1914 erfolgt.
Im Hinblick auf die Datierung ist die Stelle noch unter einem anderen Gesichtspunkt bedeutsam. Sie ersetzt einen Passus, worin gegenüber dem nun entwickelten soziologischen Rechtsbegriff (Definition von Recht durch „objektive“ Zwangschancen)
39
Vgl. unten, S. 194 f.
ein inhaltlich grundverschiedener Leitgedanke postuliert wird: begriffskonstitutiv für die „Rechtsordnung“ sollen danach nämlich Rechtsverbindlichkeitsvorstellungen sein.
40
Vgl. unten, S. 194, textkritische Anm. k.
Die Passage steht im Kontext einer umfänglichen Texterweiterung, in der Weber die Idee des (zwangs-)garantierten Rechts sorgfältig ausarbeitet („garantiertes“, „indirekt garantiertes“, „ungarantiertes Recht“). Die Textänderung war unvermeidlich, weil sie logische Prämisse des Folgenden ist; der überklebte Text hätte gegenüber den anschließenden Ausführungen einen markanten logischen Bruch bedeutet. Im Kern geht es Weber hier nun um die Differenz von empirischer Ordnungsgeltung
41
Vgl. unten, S. 194 f.
und „formalem soziologischen Begriff des [184]Rechts“,
42
[184] Unten, S. 200.
wobei seine „Garantienlehre“ die Perspektive Georg Jellineks auf die Sozialgarantien des Rechts
43
Vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, bes. S. 334–336, 788 f.; vgl. auch die Einleitung, oben, S. 38 f.
gleichsam umkehrt, indem sie das Recht begrifflich an das Merkmal seiner Zwangsgarantie bindet. Vielleicht wurde die Begriffsreihe zum garantierten Recht direkt durch die Lektüre der „Allgemeinen Staatslehre“ angeregt, die Weber nach eigener Auskunft Ende 1913 in der von Walter Jellinek besorgten dritten Auflage erneut durchgesehen hat.
44
Brief an Walter Jellinek vom 30. Dez. 1913, MWG II/8, S. 446 f., hier S. 446. Die Neuauflage, die im Einband das Jahr 1914 als Publikationsjahr nennt, war bereits im November 1913 erschienen; vgl. Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Jg. 80, Nr. 272, 24. Nov. 1913, S. 12 760.
Diese Annahme ließe sich durch eine weitere, mit der Adaption der Jellinekschen Garantienlehre zusammenhängende Textbeobachtung bestätigen. Der rückseitige Text einer aus Abschnitt 2
45
Blatt A 8/B 6, unten, S. 223, textkritische Anm. m.
herausgelösten und nach Abschnitt 1 transferierten Seitenallonge
46
Vgl. unten, S. 197, textkritische Anm. n.
im Zusammenhang mit einem überklebten Randtext
47
Vgl. unten, S. 223, textkritische Anm. m.
auf der Ursprungsseite der abgetrennten Allonge zeigen, daß Weber, zunächst auf öffentlichrechtlichem Gebiet, mit Hilfe des Herrschaftsbegriffs eine Rechtstypologie zur Differenzierung von Recht und Konvention entwickelt.
48
Zur Rekonstruktion der fragmentarischen Rückseitenbeschriftung siehe Anhang III, unten, S. 677–679.
Herrschaftliche“ und „herrschaftslose“ Rechtsformen (mit „Zwangsapparat“) werden Rechtserscheinungen ohne Zwangsapparat gegenübergestellt. Wortwahl, Beispiele und die erwähnte Abgrenzungsproblematik der Normtypen lassen erkennen, wie an die Stelle der Differenzierung von Rechtstypen über den Herrschaftsbegriff diejenige über den Garantiebegriff tritt. Beide Rechtstypologien sind aber prinzipiell als je eigenartige Varianten Jellinekscher Denkfiguren vorstellbar und möglicherweise durch die erneute Lektüre der „Allgemeinen Staatslehre“ angeregt. Diese Referenz liegt auch deshalb nahe, weil Weber die Grenzproblematik zwischen „Recht“ und „Konvention“ auf öffentlichrechtlichem Gebiet, die er in einer gestrichenen Passage auf der erwähnten Allonge illustriert,
49
Vgl. unten, S. 197, textkritische Anm. r.
an anderer Stelle unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Jellinek erörtert.
50
Vgl. unten, S. 236 f.
Schließlich gibt es noch das oben erwähnte Brieffragment, das auf eine Bearbeitung von „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ noch im Frühjahr 1914 hindeutet.
51
Vgl. oben, S. 182.
[185]Eine Reihe von Indizien spricht andererseits gegen eine Bearbeitung des Textes während des Krieges oder danach.
52
[185] Mit großer Wahrscheinlichkeit bezieht sich die briefliche Erwähnung eines „Bogen[s] 3 des GdSÖ (Wirtsch[aft] u. Recht)“ während der Drucklegungsphase der „Ersten Lieferung“ zu Webers Grundrißbeitrag (Mai 1920) nicht auf „Die Wirtschaft und die Ordnungen“, wie dies vom Textumfang her denkbar wäre (Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 12. Mai [1920], VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/10 [[MWG II/10, S. 1086]]). Vielmehr ist aus der Verlagskorrespondenz zu vermuten, daß es sich bei Webers Bemerkung um eine Verschreibung handelt, die den „Bogen 3 von ,Wirtschaft und Gesellschaft‘“, also die ersten 16 GdS-Seiten der „Soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens“, den er zwei Wochen zuvor brieflich anführte, betrifft (Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 26. April 1920, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/10 [[MWG II/10, S. 1042]]).
So sind weder literarische noch zeitgeschichtliche Hinweise im Text auszumachen, die über das Jahr 1914 hinausreichen. Soweit der Text im Anschluß an Webers Stammler-Kritik und die Soziologentagsdiskussion das Problem der Abgrenzung empirischer und normativer Disziplinen behandelt, fällt auf, daß die zwischen 1915 und 1917 im „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ (dessen Mitherausgeber Weber war) ausgetragene Kontroverse zwischen Eugen Ehrlich als Vertreter einer soziologischen Rechtswissenschaft und Hans Kelsen als Exponent einer rein normativen Rechtswissenschaft keinerlei Niederschlag findet.
53
Vgl. hierzu sowie allgemein zum Kontext der Methodendiskussion in den Rechts- und Sozialwissenschaften um die Jahrhundertwende die Einleitung, oben, S. 20 ff.
Und angesichts der 1917 mit dem Verleger besprochenen Möglichkeit, die methodologischen Arbeiten, darunter den Kategorienaufsatz „in etwas geänderter (gemeinverständlicher) Form“,
54
Brief Max Webers an Werner Siebeck vom 1. Dez. [1917], MWG II/9, S. 829.
als Sonderband zu publizieren,
55
Vgl. den Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 24. Mai [1917], MWG II/9, S. 648 f.
hätte die sorgfältige begriffliche Adaption des Textes an die Kategorienterminologie bei erneuter Durchsicht wohl kaum Bestand gehabt. Umgekehrt dokumentieren die Charakterisierung der Duellpflicht als „staatliche Rechtspflicht“
56
Unten, S. 206 f.
ebenso wie die Diskussion der sog. Verfassungslücken anhand von staatsorganisationsrechtlichen Konstellationen der konstitutionellen Monarchie
57
Vgl. unten, S. 234–237, und S. 197, textkritische Anm. r.
so eindeutig die Rechtslage des Kaiserreichs, daß diese Beispiele nach Revolution und demokratischer Neuordnung nicht mehr als geltender Rechtszustand hätten beschrieben werden können.
58
So war etwa die Rechtsgrundlage für den Duellzwang entfallen. Art. 105 Abs. 4 WRV bestimmt, daß „die militärischen Ehrengerichte aufgehoben sind“ (Die Verfassung des Deutschen Reiches, vom 11. August 1919, RGBl. 1919, S. 1383 ff., hier S. 1403).
c) Zeitlicher Horizont der frühesten Textbearbeitung
Kommt also das Frühjahr 1914 als spätester Bearbeitungszeitraum des überlieferten Manuskripts in Betracht, so könnten die verschiedenen Korrektur[186]handschriften
59
[186] Vgl. oben, S. 148 ff.
Hinweise auf die früheste anzunehmende Typoskriptbearbeitung enthalten, wenn sie sich mit anderen, zeitlich bestimmten oder bestimmbaren Merkmalen verknüpfen lassen. Zwar widerspricht es auf den ersten Blick der relativen Chronologie dieser Handschriften (erst gut lesbare Schreibschrift, dann „Konzeptschrift“ in mehreren Arbeitsstufen), daß auf die begrifflich wichtige Unterscheidung von „Sitte“ und „Konvention“, welche Weber zu Beginn des zweiten Abschnitts von „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ handschriftlich in „Konzeptschrift“ einführt,
60
Unten, S. 210 mit textkritischen Anm. b und ba.
im Zuge der sonst durchweg früheren gut leserlichen Redaktionsstufe am Anfang des dritten Abschnitts rückverwiesen wird.
61
Unten, S. 238 mit textkritischer Anm. g.
Doch zielte der Verweis ursprünglich offenbar auf eine Textstelle in der Mitte des zweiten Abschnitts,
62
Unten, S. 226 mit textkritischer Anm. s.
an welcher die Unterscheidung ebenfalls in gut leserlicher Schrift eingearbeitet ist, um erst im Zuge der späteren definitorischen Begriffserweiterung auf den Anfang des Abschnitts umgelenkt zu werden. Nun enthält jedenfalls die publizierte Fassung des Kategorienaufsatzes, dessen Manuskript Weber der Logos-Redaktion Anfang September 1913 zusandte, eine begrifflich entsprechende Differenzierung zwischen „Sitte“ und „Konvention“.
63
Vgl. Weber, Kategorien, S. 282: „Durch das ,Geltungs‘-Einverständnis unterscheidet sich die ,Konvention‘ von der bloßen, auf irgend einer ,Eingeübtheit‘ und gewohnten ,Eingestelltheit‘ beruhenden ,Sitte‘, wie durch das Fehlen des Zwangsapparats vom ,Recht‘, – natürlich nach beiden Seiten flüssig.“
Berücksichtigt man die nachweislich enge Verbindung von „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ zum Kategorienaufsatz, dann erscheint die Annahme plausibel, daß die fragliche Begriffsklärung auch dort erst später eingearbeitet wurde. Dies wiederum bestätigt einerseits das „Einverständnis“ als entscheidende Neuerung der Druckfassung dieses Aufsatzes, denn die hier interessierende Differenz wird mit Hilfe dieses Terminus begrifflich faßbar. Andererseits setzt damit auch die früheste handschriftliche Bearbeitungsstufe den entwickelten Begriffsapparat des Kategorienaufsatzes voraus, wäre also nach dem hier angenommenen Zeitrahmen nicht vor Anfang/Mitte 1913 zu datieren.
In der Typoskriptfassung von „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ fehlt – mit Ausnahme des Gemeinschaftshandelns – nicht nur die ausgearbeitete Kategorienterminologie. Gegenüber dem Text letzter Hand dominiert die explizite Auseinandersetzung mit der „Soziologie“ Stammlers, die hauptsächlich im späteren zweiten Abschnitt über „Rechtsordnung, Convention und Sitte“ stattfindet, während die erweiternde Umarbeitung, etwa des späteren ersten Abschnitts mit den Ausführungen zur „empirischen Rechtsordnung“ und zum „garantierten Recht“, zunehmend die Form einer positiven Begriffskritik an[187]nimmt (Geltungsbegriff, Rechtsbegriff, Garantienlehre). Gegenüber dem Text letzter Hand steht vor allem die Typoskriptfassung ganz im Zeichen der Stammler-Kritik aus dem Jahre 1907, an welche Weber in seinem Beitrag zur Neuauflage des „Handbuchs der politischen Ökonomie“, des späteren „Grundriß der Sozialökonomik“, anknüpfte. In diesem Zusammenhang kommt Webers uneingelöster Ankündigung einer Fortsetzung dieser Kritik besondere Bedeutung zu.
64
[187] Vgl. Weber, Überwindung, S. 151.
Bekanntlich veröffentlichte Marianne Weber nach dem Tod ihres Mannes ein dazu passendes Textfragment aus dem Nachlaß,
65
Vgl. Weber, Nachtrag.
das ihm vermutlich als Material für zentrale Typoskriptteile des späteren zweiten Abschnitts von „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ diente.
66
Vgl. unten, S. 222–231. Möglicherweise zugleich ein Grund dafür, warum er das Fragment überhaupt aufbewahrt hat.
Der Vergleich des Typoskripts zu „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ mit der Textgestalt des Nachlaßfragments spricht jedoch gegen eine direkte Verwertung von vorhandenen Manuskriptteilen. Davon abgesehen, daß die Formulierungen in der Sache zwar vielfältige Parallelen aufweisen, aber nirgends übereinstimmen, fehlt im Stammler-Nachtrag vor allem der Grundbegriff des „Gemeinschaftshandelns“. Dementsprechend dürften die Typoskriptteile von „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ frühestens 1909/10, und zwar für das „Handbuch der politischen Ökonomie“, abgefaßt worden sein.
Das gilt auch für die eingeschobenen Typoskriptsegmente (Textgruppen III und IV),
67
Zu den Textgruppen vgl. hier und im folgenden die Übersicht, unten, S. 161–169.
die von der spezifischen Terminologie des Kategorienaufsatzes nur das „Gemeinschaftshandeln“ enthalten. Zwar erwähnt Weber im ersten Typoskripteinzug neben Recht und Konvention ausdrücklich auch die „Sitte“ als mögliche Quelle verbindlicher Umgangsformen der Staatsorgane untereinander,
68
Vgl. unten, S. 236.
doch zeigt der weitere Typoskripttext, daß „Sitte“ und „Konvention“ noch synonym verwendet werden. Gleiches gilt für die zur soziologischen Analyse verfassungsrechtlicher „Lücken“ hier noch unverfügbare Kategorie des „indirekt garantierten Rechts“, welche die Entwicklung der Garantienlehre voraussetzt und deshalb erst auf einer späteren Textstufe handschriftlich eingefügt werden konnte.
69
Vgl. unten, S. 236 mit textkritischer Anm. a.
Hinsichtlich der Datierung des vorliegenden Textes läßt sich somit festhalten: Den Text der Typoskriptfassung von „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ hatte Weber wohl schon sehr früh im Anschluß an die Stammler-Kritik von 1907, aber vermutlich eigens für seinen ab 1909 konzipierten Handbuchbeitrag und vielleicht als Teil des späteren Kategorienaufsatzes verfaßt. Die handschriftlichen Bearbeitungen, welche die entwickelte Kategorientermino[188]logie voraussetzen, sind nach der hier vertretenen Deutung des Textbefundes Produkte einer relativ späten Arbeitsphase an seinem Handbuch-, nunmehr Grundriß-Beitrag und vermutlich erst Anfang/Mitte 1913 bis Frühjahr 1914 entstanden.

II. Zur Überlieferung und Edition

Die Edition folgt dem Originalmanuskript, das sich im Deponat Max Weber, Bayerische Staatsbibliothek München, unter der Signatur Ana 446, OM 6, befindet. Ediert wird der Text letzter Hand (B), der das Typoskript einschließlich der handschriftlichen Bearbeitungen und Erweiterungen umfaßt. Abweichungen der maschinenschriftlichen Fassung (A) gegenüber dem Text letzter Hand sowie Überarbeitungen (Streichungen, Ersetzungen) in den rein handschriftlichen Passagen werden nach den im Editorischen Gesamtbericht dargelegten Regeln
70
[188] Vgl. oben, S. 155–159.
textkritisch nachgewiesen. Diesen Regeln folgen auch alle weiteren Details zur Edition des Textes.
Die Textüberschrift und die drei Abschnittsüberschriften hat Weber handschriftlich in den Text eingefügt. Sie sind somit von Weber autorisiert und werden zusammen mit der römischen Kapitel- und arabischen Abschnittsnumerierung für die Edition übernommen.
Weber sah anfangs abwechselnd für den gesamten Text und für die Einzelabschnitte eine Paragrapheneinteilung vor,
71
Das geht aus der mehrfachen Streichung des §-Zeichens vor der Titelei des 1. und 3. Abschnitts hervor; vgl. unten, S. 191 mit textkritischen Anm. b, c, und S. 238 mit textkritischer Anm. b.
die er schließlich zugunsten der römischen Kapitel- und arabischen Abschnittsnumerierung aufgab. Zunächst hatte er offenbar eine Paragraphengliederung in zwei Abschnitten geplant. Jeweils mit §-Zeichen und Spatium versehen waren die erste und dritte Abschnittsüberschrift: „§ [Spatium] Rechtsordnung und Wirtschaftsordnung“
72
Unten, S. 191 mit textkritischer Anm. c.
sowie „§ [Spatium] Grenzen des Rechtszwangs“.
73
Unten, S. 238 mit textkritischer Anm. b. Die nähere Bestimmung „für die Wirtschaft“ ist, wie man aus dem Schreibduktus schließen kann, vermutlich erst im Zuge der Umformulierung der Überschrift zum überlieferten Titel letzter Hand hinzugetreten.
Der Titel des Abschnitts 2 „Rechtsordnung, Convention und Sitte“ wurde ohne §-Zeichen nachträglich in den laufenden Text inseriert.
74
Unten, S. 210.
Weber entschied sich offensichtlich bei diesem Vorgang, die Paragraphengliederung zugunsten einer arabischen Gliederung aufzugeben.
[189]Das Typoskript setzt mit einer maschinenschriftlich gezählten Seite 3 ein
75
[189] Maschinenschriftlich gezählte Seiten 1 und 2 sind nicht überliefert.
und endete ursprünglich mit der Seite (A) 17 (Textgruppen I und II). An zwei Stellen sind Seiten nachträglich in das Typoskriptgerüst eingefügt worden, die maschinenschriftlich abgefaßt und von Weber handschriftlich bearbeitet wurden. Es handelt sich einmal um die Seiten der Textgruppe III (A 13a/B 12, A 13c/B 13, A 13c/B 13a), die die Textfortsetzung von A 13/B 11 auf A/B 14 erkennbar unterbrechen. An der zweiten Stelle sind die Seiten der Textgruppe IV (A/B 17 und 18) zwischen die Seiten A/B 16 und A 17/B 19 eingefügt worden; A/B 16 wurde in diesem Zusammenhang beschnitten und die ursprünglich letzte Seite 17 von Weber zu „18a“ umpaginiert. Auch diese Seite ist unten beschnitten. Später wurde das gesamte Manuskript handschriftlich (von fremder Hand, vermutlich von Marianne Weber)
76
Vgl. oben, S. 143.
, wo erforderlich, neu paginiert (A 3–A 13c wurden zu B 1–B 13a; A 17 wurde zu B 19).

[190]Anhang zum Editorischen Bericht

Die Rückseiten der ursprünglich am rechten Rand von Blatt A 8/B 6 befestigten, dort abgetrennten und nach Blatt A 4/B 2 transferierten Allonge (vgl. unten, S. 197, textkritische Anm. n), des von dieser abgerissenen und als Allonge an Blatt A 5/B 3 angebrachten Papierstücks (vgl. unten, S. 201, textkritische Anm. s) sowie des Papierstreifens, der beim Entfernen der Allonge an Blatt A 8/B 6 haften blieb (vgl. unten, S. 218 f., textkritische Anm. u), enthalten den Entwurf oder das Fragment eines vermutlich an Frieda Gross gerichteten Briefes von der Hand Max Webers (vgl. dazu den Editorischen Bericht, oben, S. 182). Das makulierte Brieffragment hat folgenden Wortlaut:
⟨[…] in die Wiener Klinik zu verlangen. // Dies müßte wohl sofort gescheh[…] es // überhaupt geschehen soll. Eventuell geben // Sie vielleicht Ihrem Herrn Vertreter die // Anweisung oder den Rath […] // Anregung zu folgen. // Im Übrigen kann jetzt […] // zweifellos vorläufig gänzlich […] // da ja nichts passieren kann. //Ich nehme an: daß Dr Schmidt (Graz [)] // die Zuständigkeit des dortigen Geri[…] // bestreitet und sich vorerst darauf […] // Man muß Ihnen au[…] // Verbindlichste für die […]⟩