[85]Editorischer Bericht
I. Zur Entstehung
Der Edition von Max Webers „Religiöse Gemeinschaften“ liegt ein Text zugrunde, der im Zweiten Teil der Erstauflage von „Wirtschaft und Gesellschaft“ als Kapitel IV unter dem Titel „Religionssoziologie (Typen religiöser Vergemeinschaftung.)“ 1921/22 posthum veröffentlicht wurde. Der Text ist vermutlich 1913 aus religionswissenschaftlichen Studien hervorgegangen, die Max Weber seit 1911 mit großer Intensität betrieben hat. Weber hatte 1919/20 vor, diesen Text nach einer gründlichen Umarbeitung als „Religionssoziologie“ in „Wirtschaft und Gesellschaft“ aufzunehmen. Da es dazu nicht mehr gekommen ist, haben die Herausgeber der Max Weber-Gesamtausgabe in Übereinstimmung mit Formulierungen Webers
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dem Text in der historisch-kritischen Edition die Überschrift „Religiöse Gemeinschaften“ gegeben.[85] Vgl. unten, S. 104 f.
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Vgl. die Allgemeinen Hinweise der Herausgeber, oben, S. XV.
Einen ersten, jedoch noch vagen Hinweis auf ein religionswissenschaftliches Vorhaben findet man in Planungen Max Webers für das „Handbuch der Politischen Ökonomie“. In dem im Mai 1910 versandten, von ihm entworfenen „Stoffverteilungsplan“ untergliederte Weber das geplante Kapitel „Wirtschaft und Gesellschaft“ in drei Teilbereiche, die er selber bearbeiten wollte: „4. Wirtschaft und Gesellschaft. a) Wirtschaft und Recht (1. prinzipielles Verhältnis, 2. Epochen der Entwicklung des heutigen Zustands). (Prof. Max Weber) b) Wirtschaft und soziale Gruppen (Familien- und Gemeindeverband, Stände und Klassen, Staat). (Prof. Max Weber) c) Wirtschaft und Kultur (Kritik des historischen Materialismus) (Prof. Max Weber)“.
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Der zuletzt genannte Teilbereich nimmt indirekt Bezug auf die Aufsätze „Die Protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ sowie die von ihnen aus[86]gelöste Debatte. Abgedruckt in: Winckelmann, Johannes, Max Webers hinterlassenes Hauptwerk: Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Entstehung und gedanklicher Aufbau. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1986, S. 151 (hinfort: Winckelmann, Max Webers Hauptwerk) [[MWG I/24, S. 145 f.]], und im Anhang zu: Weber, Max, Briefe 1909–1910, hg. von Μ. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön. – Tübingen J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1994, S. 768 (MWG II/6). Zum GdS vgl. die Darstellung, die im Band I/22-6 [[MWG I/24]] der MWG erscheinen wird.
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In ihnen hatte Weber eine Erklärung der kapitalistischen Wirtschaftsgesinnung vorgetragen, die gegen die einseitige Sichtweise des historischen Materialismus gerichtet war und diese um eine Erklärung aus kulturellen, speziell religionshistorischen Tatbeständen ergänzen sollte. Man kann annehmen, daß der Teilbereich „Wirtschaft und Kultur“ hierfür vorgesehen war. [86] Die Kontroverse um Weber, Protestantische Ethik I, II, wurde in den Jahren 1907 bis 1910 im „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ und der „Internationalen Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst, Technik“ ausgetragen. Vgl. die Zusammenstellung der Beiträge bei Winckelmann, Kritiken und Antikritiken [[MWG I/9]].
Als 1914 nach vielen Verzögerungen der erste Teilband des „Grundrisses der Sozialökonomik“,
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wie das Werk nun hieß, erschien, fügten „Schriftleitung und Verlag“, d. h. Max Weber und Paul Siebeck, dem auf den 2. Juni 1914 datierten Vorwort Grundriß der Sozialökonomik, VI. Abt.: Industrie, Bergwesen, Bauwesen, bearbeitet von Eberhard Gothein, Friedrich Leitner, Eugen Schwiedland, Heinrich Sieveking, Theodor Vogelstein, Adolf Weber, Alfred Weber, Moritz Rudolf Weyermann, Otto von Zwiedineck-Südenhorst. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1914.
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eine „Einteilung des Gesamtwerkes“ GdS, Abt. I, S. VII–IX, abgedruckt in: Winckelmann, Max Webers Hauptwerk, S. 165-167 [[MWG I/24, S. 164–167]]. Zum GdS vgl. den in Planung befindlichen Band I/22-6 der MWG [[MWG I/24]].
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hinzu. Danach war in dem ersten Buch des GdS („Grundlagen der Wirtschaft.“), Abteilung III, unter Punkt C als Webers eigener Grundrißbeitrag „Wirtschaft und Gesellschaft. I. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“ mit einem Abschnitt 5 „Religiöse Gemeinschaften. Klassenbedingtheit der Religionen; Kulturreligionen und Wirtschaftsgesinnung“ vorgesehen. GdS, Abt. I, S. X–XIII, abgedruckt in: Winckelmann, Max Webers Hauptwerk, S. 168 f. und S. 202 f. [[MWG I/24, S. 168–173]].
Ein erster Hinweis auf eine Niederschrift der „Religiösen Gemeinschaften“ findet sich in einem Brief Webers vom Juli 1913 an seinen Freiburger Freund Heinrich Rickert. Weber bedankte sich für einen angekündigten oder bereits erhaltenen Sonderdruck „Vom System der Werte“:
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„Ich freue mich sehr auf Ihre Systematik, schicke Ihnen dann als Gegengabe das Mscr. meiner Religionssystematik“. Rickert, Vom System der Werte (wie oben, S. 1, Anm. 1). Über den Begriff des Systematischen hat Weber bereits 1905 mit Rickert diskutiert (Brief Max Webers an Heinrich Rickert vom 2. April 1905, GStA Berlin, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 25, Bl. 13–14; MWG II/4).
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Ende November 1913 kam Weber in einem Brief an Rickert noch einmal auf sein eigenes Vorhaben zu sprechen: „NB. Ich würde Ihnen ganz gern meine (empirische) Casuistik der Contemplation und aktiven Religiosität schicken. Aber sie ist nur zu ¾ abgetypt“. Brief Max Webers an Heinrich Rickert vom Juli 1913 [nicht genauer datiert, wohl nach dem 3. Juli], GStA Berlin, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 25, Bl. 81 (MWG II/8).
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[87]Wie schon im ersten Brief nahm Weber auch in diesem auf Begriffe Rickerts Bezug. Rickert hatte in seinem Aufsatz „Vom System der Werte“ das „auf Wertverwirklichung gerichtete Verhalten“ des Menschen nach formalen Kriterien unterschieden und „entweder als Aktivität oder als Kontemplation“ charakterisiert. Brief Max Webers an Heinrich Rickert, ca. Ende November 1913, Privatbesitz (MWG II/8).
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Sucht man nach einem entsprechenden Text in den „Religiösen Gemeinschaften“, kommt dafür nur Abschnitt 10 in Frage: „Die Erlösungswege und ihr Einfluß auf die Lebensführung“. Weber unterscheidet hier – ähnlich wie Rickert – zwischen einem „kontemplativen“ und einem „mehr aktiv gesteigerten spezifisch religiösen Habitus“.[87] Rickert, Vom System der Werte (wie oben, S. 1, Anm. 1), S. 305.
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Ein weiterer Hinweis auf das Manuskript stammt vom Ende des Jahres 1913. Weber teilte in einem Brief am 30. Dezember 1913 seinem Verleger die Existenz eines neuen umfangreichen Manuskriptes mit: „Da Bücher ja – ‚Entwicklungsstufen‘ – ganz unzulänglich ist, habe ich eine geschlossene soziologische Theorie und Darstellung ausgearbeitet, welche alle großen Gemeinschaftsformen zur Wirtschaft in Beziehung setzt: von der Familie und Hausgemeinschaft zum ‚Betrieb‘, zur Sippe, zur ethnischen Gemeinschaft, zur Religion (alle großen Religionen der Erde umfassend: Soziologie der Erlösungslehren und der religiösen Ethiken, – was Tröltsch gemacht hat, jetzt für alle Religionen, nur wesentlich knapper) endlich eine umfassende soziologische Staats- und Herrschafts-Lehre. Ich darf behaupten, daß es noch nichts dergleichen giebt, auch kein ‚Vorbild‘. Von Bücher fallen 4 Bogen fort. 6+4 = 10 Bogen Raum hätte ich also. Aber es werden 25 Bogen sein, vielleicht etwas mehr und die Schicksalsfrage wird sein: ‚geht das‘? Ich schicke Ihnen in 14 Tagen erst einmal die Inhaltsübersicht. An allen Ecken ist noch zu bessern und zu ergänzen, es war eine sehr stramme Arbeiterei“. Vgl. unten, S. 312 und S. 323–325.
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Als Weber diesen Brief schrieb, war ihm klar, daß er den geplanten Umfang des Textes bereits überschritten hatte. Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 30. Dezember 1913, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/8).
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Auch nach diesem Zeitpunkt aber muß er am Text weiter geschrieben haben. Der gedruckte nachgelassene Text von „Wirtschaft und Gesellschaft“ besteht aus 39 Bogen von jeweils 16 Seiten (zuzüglich 11 weiterer Seiten). Der Text der „Religiösen Gemeinschaften“ allein umfaßt 8 Bogen zuzüglich 8 Seiten, insgesamt 136 Druckseiten. Vgl. Winckelmann, Max Webers Hauptwerk, S. 36.
Neben den „Religiösen Gemeinschaften“ gab es noch weitere Ergebnisse von Webers religionswissenschaftlichen Untersuchungen, die er offensichtlich ebenfalls 1913 niedergeschrieben hatte. Hierüber gibt seine erste Fußnote der „Einleitung“ in die „Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Religi[88]onssoziologische Skizzen“ Aufschluß: „Die nachstehenden Darlegungen erscheinen unverändert so wie sie vor zwei Jahren niedergeschrieben und Freunden vorgelesen waren. Einziehung zum Dienst machte es unmöglich, den wissenschaftlichen ‚Apparat‘, wie beabsichtigt, beizufügen“.
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Erinnerungen von Marianne Weber bestätigen diese Angabe. Zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ bemerkte sie im „Lebensbild“, die geschichtsphilosophische „Einleitung“ sowie die ersten Kapitel über den „Konfuzianismus“,[88] Zuerst erschienen in: AfSSp, Band 41, Heft 1, 1915; MWG I/19, S. 80 und 83. Ausgeliefert wurde dieses Heft am 14. Oktober 1915. Vgl. den Editorischen Bericht in MWG I/19, S. 60 f., sowie Schlechter, Religion und Lebensführung II, S. 595.
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1915 veröffentlicht, seien zwei Jahre zuvor niedergeschrieben worden. Auch die „Zwischenbetrachtung“ stamme aus der Zeit vor dem Krieg. Die Konfuzianismus-Studie war der erste Aufsatz Webers im Rahmen der „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ (vgl. MWG I/19).
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Die „Einleitung“ läuft streckenweise parallel mit den „Religiösen Gemeinschaften“ und stammt offensichtlich aus derselben Arbeitsphase. Schwieriger ist die Bemerkung zur „Zwischenbetrachtung“. Sie kann in der gedruckten Version erst nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges fertiggestellt worden sein. Weber schrieb nämlich in ihr: „Die Gemeinschaft des im Felde stehenden Heeres fühlt sich heute, wie in den Zeiten der Gefolgschaft, als eine Gemeinschaft bis zum Tode: die größte ihrer Art“. Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild, S. 561.
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Da die „Zwischenbetrachtung“ insgesamt aus einer Umarbeitung von Abschnitt 11 („Religiöse Ethik und ‚Welt‘“) der „Religiösen Gemeinschaften“ hervorgegangen ist, muß die Vorlage aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammen. Nur auf diesen Text kann sich die Bemerkung von Marianne Weber beziehen. In dem oben erwähnten Vorwort zum ersten Teilband des „Grundrisses der Sozialökonomik“, datiert vom 2. Juni 1914, kündigten „Schriftleitung und Verlag“, Max Weber und Paul Siebeck, gemeinsam eine baldige Veröffentlichung der Abteilung mit Webers Beitrag an: „[…] Abteilung III (Buch I, dritter Abschnitt) [gehen] im Oktober in Satz. Das Ganze soll im Laufe des Jahres 1915 gedruckt vorliegen“. MWG I/19, S. 492 f.
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Vergleicht man die „Einteilung des Gesamtwerkes“ bezogen auf Webers Beitrag im „Grundriß der Sozialökonomik“ GdS, Abt. I, S. IX, abgedruckt in: Winckelmann, Max Webers Hauptwerk, S. 167 [[MWG I/24, S. 167]]. Zum GdS vgl. den in Planung befindlichen Band I/22-6 der MWG [[MWG I/24]].
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mit Webers Brief an den Verleger von Ende 1913, zeigen sich große Übereinstimmungen. In der Einteilung kehren die „großen Gemeinschaftsformen“ wieder, die Weber laut Brief an den Verleger in einer „geschlossenen soziologischen Theorie und Darstellung“ zur Wirtschaft in [89]Beziehung gesetzt habe: Hausgemeinschaft, Betrieb, Sippe, ethnische Gemeinschaft, Religion, Staat und Herrschaft. Man wird annehmen können, daß Weber seine briefliche Ankündigung wahr gemacht und dem Verleger eine „Inhaltsübersicht“ seiner Darstellung dieses Textes geschickt hatte. GdS, Abt. I, S. X–XI, abgedruckt in: Winckelmann, Max Webers Hauptwerk, S. 168 f. [[MWG I/24, S. 168 f.]] und S. 202 f.
Zur Datierung
Als Herausgeberin von „Wirtschaft und Gesellschaft“ schrieb Marianne Weber im Oktober 1921 im Vorwort zum Zweiten Teil der Erstauflage, die Schriften aus dem Nachlaß seien „bis auf einige später eingeschobene Ergänzungen in den Jahren 1911–1913“ fixiert worden. Einen Hinweis Webers auf „eine authentische Mitteilung Dr. Franks“ versah sie mit der Fußnote: „Etwa 1912–13 geschrieben“.
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Weitere Indizien bietet die von Weber benutzte Literatur. Bei der editorischen Arbeit am Text konnte kein einziger Titel ermittelt werden, der aus dem Zeitraum nach 1913 stammt. Ins Jahr 1913 weist der Bezug Webers auf Julius Guttmann[89] Unten, S. 315, textkritische Anm. b. Zu den von Marianne Weber oder Melchior Palyi angebrachten Fußnoten vgl. unten, S. 102, Anm. 2.
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sowie der erratische Hinweis auf „John Wesleys Bemerkung“. In der Überarbeitung der „Protestantischen Ethik“ teilte Weber mit, ein Brief von Professor Sir William James Ashley aus dem Jahr 1913 habe ihn auf die Bemerkung Wesleys aufmerksam gemacht, daß Religion zwar Fleiß und Sparsamkeit hervorbringe, der daraus entstehende Reichtum aber zum Niedergang eben genau dieser Religion führe. Im Text „Religiöse Gemeinschaften“ ist in der Erstauflage von WuG auf S. 354 der Name „Gollmann“ erwähnt. Weber bezieht sich dort auf einen Aufsatz von Julius Guttmann, der im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Band 36, Heft 1, erschienen ist (vgl. unten, S. 426). Laut dem Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Nr. 29, ist dieses Heft am 5. Februar 1913 ausgeliefert worden.
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Zahlreiche Äußerungen Webers spielen auf zeitgenössische Ereignisse oder Diskussionen an. Wo Weber in diesen Zusammenhängen von „heute“ oder „neuerdings“ oder „jetzt“ spricht oder sich auf andere Weise auf Aktuelles bezieht, Vgl. unten im Text, S. 416, Anm. 88.
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paßt auch dies auf einen Zeitraum bis 1913, wie die Erläuterungen an Ort und Stelle zeigen. Genauere Datierungen ergeben sie jedoch [90]nicht. Alle Indizien zusammengenommen – die Hinweise auf Niederschriften, die benutzte Literatur, die beiläufigen Erwähnungen zeitgenössischer Sachverhalte –, stützen die Annahme, daß Weber den vorliegenden Text hauptsächlich im Jahre 1913 abgefaßt hat. Bei Webers Arbeitsweise läßt sich eine frühere Entstehung einiger Teile des Textes jedoch nicht ausschließen, ist umgekehrt eher wahrscheinlich. Man kann dies für Abschnitt 11 vermuten. In diesem Abschnitt kündigt Weber an, er werde auf die Stellung des sog. „Naturrechts“ zur religiösen Offenbarung „gelegentlich der Erörterung der religiösen Gemeinschaftsformen“ zurückkommen. Einige Beispiele in Auswahl: S. 130: Annahme des gregorianischen Kalenders in Rußland ist noch heute verhindert; S. 149: Kritik an Max Müllers Henotheismus; S. 170: Ungeschlichteter Streit über totemistische Verbrüderungen; S. 170: Die Ableitung fast aller sozialen Gemeinschaften und der gesamten Religion aus dem Totemismus ist heute wohl durchweg aufgegeben; S. 223: Dispens für das Sabbatjahr bei der zionistischen Besiedlung Palästinas; S. 425: noch jetzt haben die deutschen Rabbinen die Anwendung des Sabbatjahres auf die zionistische Palästinabesiedlung erzwingen wollen.
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Von keinem der Texte in WuG1 wird diese Ankündigung eingelöst. Auch gehen Ausführungen zur „religiösen Gemeinschaft“ dem Abschnitt 11 voraus und folgen ihm nicht. Es liegt nahe, Webers Worte als Ankündigung eines Vorhabens zu lesen, nicht als Teil der Verweisstruktur. Die Ausführung – so die Annahme – ist später beim Einbau der Verweise versehentlich stehen geblieben. Das Thema des Naturrechts hatte Weber anläßlich eines Vortrages von Ernst Troeltsch auf dem Ersten Deutschen Soziologentag in Frankfurt 1910[90] Vgl. unten, S. 396.
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beschäftigt. Für ein relativ höheres Alter des Abschnitts 11 spricht auch, daß Weber in ihm ankündigte, er werde „in bald zu erwähnender Weise“ die Ausschaltung des Zinsverbots in der katholischen Kirche behandeln. Troeltsch, Naturrecht, S. 166–192. Vgl. auch die Einleitung, oben, S. 13–17, sowie die entsprechende Textpassage, unten, S. 396 f.
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Tatsächlich hat er das in dem vorangehenden Abschnitt 10 getan (S. 348). Vgl. unten, S. 368 f.
Bearbeitungspläne
Äußerungen Webers hatten beim Verleger Paul Siebeck die Hoffnung auf einen baldigen Druck des gesamten Manuskripts seines GdS-Beitrages geweckt. Optimistisch hatte Weber im Frühjahr 1914 den Beginn der Drucklegung von Abteilung III „Wirtschaft und Gesellschaft“ des „Grundriß der Sozialökonomik“ angekündigt: „Mein Mscr. wird 15. IX. druckfertig werden, so daß der Satz beginnen kann“.
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In einem Schreiben vom 26. Juli 1914 beklagte Weber sich bei seinem Verleger zwar bitter über die Arbeit am GdS („das Unglück meines Lebens“), fügte dann aber unvorsichtigerweise hinzu: „Natürlich kann ich Ihnen bald große Teile schicken. Aber sie stehen [91]dann Monate im Satz! Und bedrücken mich! Also! so geht das nicht“. Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 21. April 1914, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/8).
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Der Verleger zog daraus seine Folgerungen und kündigte im August 1914 auf dem Einband des „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ das Erscheinen von Webers „Soziologie“ (als Abteilung III des GdS) für Ende 1914 an.[91] Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 26. Juli 1914, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/8).
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AfSSp, Band 39, Heft 1, 1914, Heftumschlag.
Der Ausbruch des Krieges machte diese Planung zunichte. Weber meldete sich beim örtlichen Garnisonskommando, das ihm, der wegen seines Alters nicht mehr felddiensttauglich war, den Posten des Disziplinoffiziers bei der Reservelazarettkommission und die Einrichtung von Reservelazaretten in Heidelberg übertrug.
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Während der Zeit des Dienstes, der bis zum Herbst 1915 dauern sollte, ging die Korrespondenz mit dem Verleger über die Veröffentlichung weiter. Im Februar 1915 mahnte Paul Siebeck und schlug Weber vor, das Manuskript so, wie es vorliegt, zu drucken. Weber reagierte darauf aber strikt ablehnend. Der Verleger sah sich gezwungen, seine Initiative Weber gegenüber zu rechtfertigen: „Was ich über Ihren eigenen Beitrag schrieb, geschah in der Annahme, dass Sie Ihr Manuscript einfach so drucken lassen könnten, wie es ist. Schrieben Sie mir doch am 28. Juli vorigen Jahres: ‚natürlich kann ich Ihnen bald grosse Teile schicken, aber sie stehen dann Monate im Satz‘. Ich meine, von hier aus angesehen, war meine Anfrage wenigstens halbwegs entschuldbar. Es wäre doch auch immerhin eine schöne und gute Sache gewesen, wenn Ihre ,Soziologie‘ vor dem Michels’schen Lexikon erschienen wäre“. Vgl. MWG I/15, S. 23.
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Brief von Paul Siebeck an Max Weber vom 27. Februar 1915, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446.
Um dem Verleger Paul Siebeck entgegenzukommen, bot Weber ihm zum Ausgleich eine Reihe von Aufsätzen über die „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ an. Diese Aufsätze seien „Vorarbeiten und Erläuterungen der systematischen Religions-Soziologie im ‚G.d.S.Ö.‘“, sie seien „ziemlich umfangreich“. „Es wird dem G.d.S.Ö. zu Gute kommen, wenn sie bald gedruckt werden, wenigstens einige von ihnen. Denn die Darstellung im G.d.S.Ö. muß viel gedrängter und ‚systematisch‘ sein“, schrieb Weber an seinen Verleger.
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Diesen Worten zufolge war Weber sich damals schon im klaren, daß eine Überarbeitung seines gesamten Grundriß-Beitrages nötig war, bevor er veröffentlicht werden konnte. Als dann die Aufsätze vom Oktober 1915 an publiziert wurden, konnte dies ebenfalls nicht ohne Wirkung auf den geplanten religionssoziologischen Abschnitt bleiben. Denn diese Aufsätze [92]und sein Beitrag in „Wirtschaft und Gesellschaft“ standen in einem inneren Zusammenhang, wie Weber in der „Einleitung“ zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ erläuterte, die 1915 im 41. Band des „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ erschien: „Diese Aufsätze waren nebenbei auch bestimmt, gleichzeitig mit der im ,Grundriß der Sozialökonomik‘ enthaltenen Abhandlung über ,Wirtschaft und Gesellschaft‘ zu erscheinen, den religionssoziologischen Abschnitt zu interpretieren und zu ergänzen (allerdings auch in vielen Punkten durch ihn interpretiert zu werden). Dieser Aufgabe werden sie wohl auch in ihrem jetzigen Zustand dienen können, […]. Auch in ihrer jetzigen Form können sie aber vielleicht zur Ergänzung der Problemstellungen der Religions- und hie und da wohl auch der Wirtschafts-Soziologie in einigen Punkten nützlich sein“. Brief von Paul Siebeck an Max Weber vom 22. Juni 1915, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446.
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Nach der Veröffentlichung der Aufsätze war eine Überarbeitung des Textes „Religionssoziologie. (Typen religiöser Vergemeinschaftung.)“ in WuG1 in Richtung auf eine systematische Religionssoziologie unausweichlich, ist jedoch nicht mehr geschehen. [92] AfSSp, Band 41, Heft 1, 1915, S. 1; MWG I/19, S. 83 f., Fn. 1. Wolfgang Schluchter hat in Anlehnung an diese Passage davon gesprochen, „Wirtschaft und Gesellschaft“ und „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ stünden in einem „Ergänzungs- und Interpretationsverhältnis“. (Schluchter, Religion und Lebensführung II, S. 588).
Als Weber im Sommersemester 1918 an der Universität Wien eine einstündige Vorlesung hielt, um zu prüfen, ob er den Ruf dorthin annehmen könne, war „Wirtschaft und Gesellschaft (Positive Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung)“ das Thema. Wie im Stoffverteilungsplan von vor acht Jahren war die Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung dabei der entscheidende Gesichtspunkt. Dem Verleger machte Weber im April 1918 noch einmal Hoffnung, er werde dadurch „das große Buch“ [„Wirtschaft und Gesellschaft“] stark fördern.
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Weber hat das Manuskript anscheinend seiner Vorlesung zugrunde gelegt, jedoch können wir Spuren einer Bearbeitung an keiner Stelle des Textes nachweisen. Hätte Weber das Manuskript bearbeitet, hätte er sicher den Satz geändert: Die „Unmöglichkeit, zwei Dutzend Heilige in einem Jahre durch Fortfall der ihnen heiligen Tage gefährlich zu kränken, hindert die Annahme des gregorianischen Kalenders in Rußland noch heute“, Brief Max Webers an Paul Siebeck, VA Mohr/Siebeck. Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/10). Die Verlagsantwort datiert vom 18. April 1918.
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da im Februar 1918 dieser Kalender in Rußland eingeführt worden war. Weber begann damals damit, die bereits veröffentlichten Aufsätze zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ „durch Ergänzung mit Material (für China) und Umarbeitung (für die letzten Partien: [93]Kürzung) [für die Gesammelten Aufsätze zum Druck] vorzubereiten“. Vgl. unten, S.130.
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Das „große Buch“ aber blieb liegen. Erst im Wintersemester 1919/20 machte er dem Verleger erneut Hoffnung: „Das Kolleg strapaziert sehr und hindert an stetiger Fortarbeit; erst Weihnachten kann ich wieder ganz stramm arbeiten. Das dicke alte Manuskript muß ganz gründlich umgestaltet werden und dabei bin ich (bezw. war ich) eben“.[93] Brief Max Webers an Paul Siebeck, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/10). Die Verlagsantwort datiert vom 18. April 1918.
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Spuren einer Überarbeitung sind im Text „Religiöse Gemeinschaften“ allerdings, wie schon bemerkt, nicht zu entdecken. Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 27. Oktober 1919, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/10).
Weber gab 1919 die überarbeiteten Aufsätze als „Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie“ zum Druck. In seiner „Vorbemerkung“ wies er darauf hin, daß er bei der Erfassung der Einflüsse kulturtragender Schichten und deren Lebensführung mehr als bisher die Ethnologie berücksichtigen müsse. Das solle bei der anstehenden Bearbeitung des Textes „Religionssoziologie“ innerhalb von WuG geschehen: „Es sei also nachdrücklich zugestanden und betont: daß hier eine Lücke besteht, welche der Ethnograph mit gutem Recht beanstanden muß. Einiges zu ihrer Ausfüllung hoffe ich bei einer systematischen Bearbeitung der Religionssoziologie tun zu können“.
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Je länger sich die Bearbeitung hinzog, um so mehr empfand er die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Neubearbeitung. Dazu aber kam er wegen seines plötzlichen, frühen Todes nicht mehr. Weber, Vorbemerkung, GARS I, S. 15 (MWG I/18).
Max Weber verstarb am 14. Juni 1920. Marianne Weber übergab dem Verlag im März 1921 einen Text zur Veröffentlichung, der in verschiedener Hinsicht unfertig war. Der Niederschrift von 1913 fehlte die Überarbeitung, für die Weber im Frühjahr 1914 noch ein halbes Jahr veranschlagt hatte. Dazu kam, daß der Text als Teil von „Wirtschaft und Gesellschaft“ zu lang geraten war. Die Notwendigkeit einer Bearbeitung nahm zu, als Weber ab 1915 die Aufsätze zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ veröffentlichte. Der Akzent des Textes hätte nun im Bereich einer religionssoziologischen Systematik liegen müssen. Schließlich dürfte auch die Weiterarbeit an der Rationalitätssthematik Änderungen gefordert haben. Weber war 1913 davon ausgegangen, daß Rationalität ein Produkt einer spezifischen Form von religiöser Vergemeinschaftung und Gesellschaftshandeln demnach ein spezieller Fall von Gemeinschaftshandeln sei. In den folgenden Jahren trat jedoch die Konzeption einer fortschreitenden Rationalisierung aller Sozialbeziehungen in den Vordergrund. Die „Vergemeinschaftung“ wurde zu einem davon unterschiedenen besonderen Typus sozialen Handelns.
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Vgl. WuG1, S. 21 f. (MWG I/23).
[94]Die Verweisstruktur: die Stellung der „Religiösen Gemeinschaften“ in WuG1
Der Text „Religiöse Gemeinschaften“ enthält insgesamt 80 Verweise auf andere Weber-Texte, überwiegend auf Teiltexte von WuG1. Studien Hiroshi Oriharas verdanken wir den Nachweis, daß diese Verweise authentisch sein müssen.
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Bei einer Auswertung für die Stellung des Textes im Zusammenhang von „Wirtschaft und Gesellschaft“ kann man allerdings nur drei der von Orihara gebildeten vier Verweiskategorien[94] Orihara, Hiroshi, Eine Grundlegung zur Rekonstruktion von Max Webers „Wirtschaft und Gesellschaft“. Die Authentizität der Verweise im Text des „2. und 3. Teils“ der 1. Auflage, in: KZfSS, Jg. 46, 1994, S. 103–121. Weiterhin standen uns folgende Manuskripte Oriharas zur Verfügung: Über den „Abschied“ hinaus zu einer Rekonstruktion von Max Webers Werk: „Wirtschaft und Gesellschaft“ in drei Teilen. – Tokyo: University of Tokyo, Komaba 1992/93 (hinfort: Orihara, Abschied), außerdem: ders., „Rekonstruktion des Manuskripts 1911–13“, ebd. 1994.
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gebrauchen: Rückverweise (etwa: „wie früher erwähnt“), Vorverweise (etwa: „wie noch zu erörtern“) und Andernortsverweise (etwa: „die bei der Kasuistik der Herrschaftsformen noch zu erörtern sein wird“). Einige Verweise sind textintern. Orihara arbeitet noch mit einer vierten Kategorie von Textverweisen, den sog. „beschränkenden Phrasen“, etwa von der Art „kann an dieser Stelle nicht erörtert werden“. Sie kann jedoch bei der Ermittlung der Reihenfolge von Texten wenig helfen.
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Der stilistische Bruch, den Wolfgang Schluchter zwischen den Abschnitten 1–6 und 7–12 der „Religiösen Gemeinschaften“ beobachtet hat, Vgl. hierzu den Anhang „Verweisauflösungen innerhalb des Textes ,Religiöse Gemeinschaften‘“, unten, S. 115.
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wird von den Verweisen nicht bestätigt. Zahlreiche Verweise aus den Abschnitten 1–6 beziehen sich auf Abschnitte 7–12 und umgekehrt. Allerdings darf man daraus nicht den Schluß ziehen, daß alle Abschnitte von Weber in derselben Arbeitsphase verfaßt worden seien. Man wird mit mehreren Bearbeitungsschichten zu rechnen haben, die durch die Verweise verknüpft sind. Manche der Verweise sind nicht viel mehr als Hinweise auf ähnliche Ausführungen anderswo. Außerdem gibt es zahlreiche Doppelnennungen derselben Sachverhalte, ohne daß Weber auf sie verweist. „Die §§ 1–6 scheinen sachlich und stilistisch zusammenzugehören, ebenso die §§ 7–12, sie könnten also zu verschiedenen Zeiten entstanden sein“. (Schluchter, Religion und Lebensführung II, S. 573).
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Die Gründe hierfür konnten nicht geklärt werden. Andere Verweise führen [95]in andere Teiltexte von „Wirtschaft und Gesellschaft“, einer darüber hinaus auch in den ersten Aufsatz zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“. Verdopplungen in den „Religiösen Gemeinschaften“: S. 136: Einschätzung der Ekstasis der Hellenen durch die Römer, und der römischen religio durch die Hellenen, nochmals aufgenommen auf S. 336; S. 147: Durchsetzung der Kanonisierung des Kriegsgottes durch das chinesische Heer im 19. Jahrhundert, nochmals aufgenommen auf S. 231; [95]S. 163 f.: Konflikt des chinesischen Fung-schui-Systems mit Eisenbahn- oder Fabrikanlagen und der Einfluß des Kapitalismus, nochmals aufgenommen auf S. 172; S. 204: „der Qualifizierte, zweimal Geborene“, nochmals aufgenommen auf S. 312; S. 222: Rauschkult, gegen den Moses kämpfte, nochmals aufgenommen auf S. 313; Kampf Zarathustras gegen den Rauschkult, schon auf S. 202 besprochen, nochmals aufgenommen auf S. 313 und auf S. 371; S. 223: Für die Chaberim ist „Landmann“ und „gottlos“ identisch, nochmals aufgenommen auf S. 308 und S. 425; S. 223: Dispens für das Sabbatjahr bei der zionistischen Besiedelung Palästinas, nochmals aufgenommen auf S. 425; S. 230: Verheißung des Heldenparadieses für den indischen Kshatriya, der in der Schlacht fällt und für den betagten Kriegshelden, nochmals aufgenommen auf S. 309 und auf S. 387; S. 244: Bild das Loskaufes der Christen mit dem Blut des Heilandes in die Freiheit von Gesetzes- und Sündenknechtschaft, nochmals aufgenommen auf S. 432; S. 260: Hiobbuch entstammt unvolkstümlichen Schichten, nochmals aufgenommen auf S. 272; S. 263: Sklavenaufstand in der Moral, nochmals aufgenommen auf S. 388; S. 264: „Proletarische Instinkte“, nochmals aufgenommen auf S. 388 und auf S. 422; S. 270: Die vorschriftsmäßige Weltentsagung des Brahmanen als Vanaprastha […], nochmals aufgenommen auf S. 387; S. 278: Philo von Alexandriens „Spezifikum der Juden“, nochmals aufgenommen auf S. 308; S. 279: Paulus „Gnosis“ und der Marcionitismus. nochmals aufgenommen auf S. 357; S. 315: Inder sind in Bosnien typische Träger von Derwischorgien, nochmals aufgenommen auf S. 339 und auf S. 436; S. 358: der alte Islam lehnt das Mönchtum ab, nochmals aufgenommen auf S. 434; S. 390 f.: der alte Islam und die Glaubensfremden, nochmals aufgenommen auf S. 433; S. 391: hadrianische Tempelzerstörung, nochmals aufgenommen auf S. 430; S. 415: der Ledige in der Sicht des Talmud, nochmals aufgenommen auf S. 434.
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Diese Verweise sind interessant im Blick auf das Verhältnis von Webers Texten zueinander. Schaut man sich eine tabellarische Gesamtübersicht der Verweise Vgl. unten, S. 117, letzte Spalte.
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an, die sowohl aus Webers WuG-Beitrag „Religiöse Gemeinschaften“ auf andere Teile von WuG1 führen sowie aus anderen Teilen in den Teil „Religiöse Gemeinschaften“, erkennt man drei unterschiedliche Fälle von Beziehungen. Von Webers 17 übrigen Beiträgen der Erstauflage von „Wirtschaft und Gesellschaft“ sind zehn mit dem Text „Religiöse Gemeinschaften“ durch Verweise verbunden, sieben andere nicht. Vgl. den Anhang „Verweisstruktur zwischen dem Text ‚Religiöse Gemeinschaften‘ und anderen WuG-Texten“, unten, S. 116 f. Die nachfolgenden Ausführungen folgen der Betitelung der WuG-Kapitel in der Erstauflage von „Wirtschaft und Gesellschaft“. Die geänderte Betitelung der MWG ist der Legende zum Anhang zu entnehmen, vgl. unten, S. 118.
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Betrachtet man diese zehn Teiltexte näher, erkennt man, daß in fünf Fällen die Verknüpfung einseitig ist, in fünf Fällen gegenseitig. Einseitig ist die Verweisrichtung zwischen den „Religiösen Gemeinschaften“ und folgenden Teiltexten von [96]WuG1: „Legitimität“ Vgl. unten, S. 99, Anm. 61 und die Tabelle unten, S. 116 f.
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und „Patrimonialismus“[96] Aus diesem Teil von „Wirtschaft und Gesellschaft“ (WuG1, S. 647, MWG I/22-4), führt ein Rückverweis in die RelGem, dort in den Abschn. 7, S. 253 f. Gegenstand sind die „früher berührten“ ökonomischen Anlässe der Veralltäglichung des Charisma, nämlich das Bedürfnis der positiv privilegierten Schichten, ihre soziale und ökonomische Lage legitimiert zu sehen.
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beziehen sich in Form von Rückverweisen auf die „Religiösen Gemeinschaften“, ohne daß diese sich auf diese beiden WuG-Texte beziehen. Dagegen verweist der Text „Religiöse Gemeinschaften“ auf „Ethnische Gemeinschaften“ Aus diesem WuG-Beitrag führen insgesamt zwei Rückverweise in die RelGem: Aus WuG1, S. 709 (MWG I/22-4), wird in den Abschn. 7, S. 233 f., verwiesen. Gegenstand ist die Wirkung des Konfuzianismus auf die Religion und das Wirtschaftsleben. Der zweite Rückverweis von WuG1, S. 709 (MWG I/22-4, das Vornehmheitsideal der Mandarinenschicht), läßt sich wie folgt in den RelGem auflösen: in Abschn. 7, S. 233 f., und S. 275, in Abschn. 11, S. 405 sowie in Abschn. 12, S. 423 f. und 426.
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und „Umbildung des Charisma“, Der Rückverweis von S. 170 der RelGem, Abschn. 3, läßt sich insgesamt zweimal auflösen, in WuG1, S. 219 f. (MWG I/22-1), und in WuG1, S. 187 (MWG I/22-1). Gegenstand sind Kultgenossenschaften und ihre Verbindung zu unterschiedlichen Arten von sozialen Verbänden.
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ohne daß diese Abschnitte sich auch umgekehrt auf ihn bezögen. Ein Textverweis löst sich in „Die Stadt“ In das WuG1-Kapitel „Umbildung des Charisma“ führen insgesamt drei Vorverweise aus den RelGem: 1) Aus Abschn. 2, S. 159, führt ein Andernortverweis („werden wir später (bei Erörterung der Herrschaftsformen)“), der in WuG1, S. 776–778 (MWG I/22-4), bzw. in WuG1, S. 784 (MWG I/22-4) seine Auflösung findet. Thematisiert wird die Erweckungserziehung und die Schulung der charismatischen Zauberer. 2) Abschn. 5 der RelGem, S. 194, führt in Form eines vorverweisenden Andernortsverweises in WuG1, S. 760 f. (MWG I/22-4). Der dritte Vorverweis auf das WuG-Kapitel „Umbildung des Charisma“ findet sich im Abschn. 6 der RelGem, S. 208, und löst sich in WuG1, S. 777 f. (MWG I/22-4), auf. Thema ist die „Gabelung der Erziehungssysteme“.
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auf. Wechselseitig ist die Verweisrichtung zwischen den „Religiösen Gemeinschaften“ und den folgenden sechs Teiltexten von WuG1: „Wirtschaft und Gesellschaft im allgemeinen“, Der Rückverweis von S. 241 der RelGem, Abschn. 7, löst sich in MWG I/22-5, S. 85–89, auf. Gegenstand sind Faktoren, die die Entwicklung der Stadt zu einer „Gemeinde“ stärker hemmten als die des Dorfes.
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„Typen der Vergemeinschaftung und Vergesellschaf[97]tung“, Aus den RelGem, Abschn. 3, S. 170, führt ein Rückverweis in WuG1, S. 187 (MWG I/22-1), der sich ebenfalls in WuG1, S. 219 f. (MWG I/22-1), auflöst. Thematisiert werden die Beziehungen zwischen Kultgenossenschaften und den verschiedenen Arten von sozialen Verbänden. Aus dem WuG1-Kapitel „Wirtschaft und Gesellschaft im allgemeinen“ (MWG I/22-1) führen insgesamt zwei Vorverweise in die RelGem: Der erste Verweis aus WuG1, S. 183 (MWG I/22-1), löst sich in mehreren Abschnitten auf, in Abschn. 1, S. 140 f., Abschn. 3, S. 167 ff., und in Abschn. 11, S. 368 ff. Gegenstand ist die „Eigengesetzlichkeit“ der Strukturformen des Gemeinschaftshandelns. Der zweite Verweis aus WuG1, S. 183 (MWG I/22-1), löst sich im Abschn. 12 der RelGem auf, S. 441 f. Gegenstand sind die Adäquanzbeziehungen konkreter Strukturformen des Gemeinschaftshandelns mit konkreten Wirtschaftsformen.
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„Rechtssoziologie (Wirtschaft und Recht)“,[97] Aus den RelGem führen insgesamt zwei Rückverweise in das WuG1-Kapitel „Typen der Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung“ (MWG I/22-1): Aus dem Abschn. 3, S. 171 führt ein Verweis in WuG1, S. 196 (MWG I/22-1); angesprochen wird die Hausgemeinschaft als eine Quelle der Tischgemeinschaft. Ein zweiter Verweis führt aus dem Abschn. 11, S. 372, in WuG1, S. 198 (MWG I/22-1). Thematisiert wird die Herleitung der brüderlichen Nothilfe aus dem Nachbarschaftsverband. Aus dem WuG1-Kapitel „Typen der Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung“ (MWG I/22-1) führt ein Vorverweis von WuG1, S. 202 in den Abschn. 3 der RelGem, S. 167 ff. Gegenstand sind die religiösen Gründe der Tabuierungen.
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„Klasse, Stand, Par[98]teien“, Zahlreiche Verweise aus der sog. „Rechtssoziologie“ (MWG I/22-3) führen in Form von Rückverweisen auf die RelGem: WuG1, S. 389 (Z. 42), führt in die Abschn. 3, S. 162 f., und 4, S. 177 ff. der RelGem. Thematisiert wird, daß die Autorität von Magiern und Propheten ähnlich frei von Beschränkungen durch Rechte und Normen sein kann wie die des Hausherrn. WuG1, S. 419 (Z. 33), führt in den Abschn. 11 der RelGem, S. 377. Gegenstand ist das Darlehen als zinslose Nothilfe unter Brüdern. Der Andernortsverweis aus WuG1, S. 427 (Z. 52), löst sich im Abschn. 11 der RelGem auf, dort S. 404 ff. Gemeint sind die Gründe des Gegensatzes zwischen der prophetischen Religion und der sexuellen Vertragsfreiheit. WuG1, S. 459 (Z. 4 f.), führt in den Abschn. 6 der RelGem, S. 205 ff. Behandelt wird das Ende des charismatischen Zeitalters. WuG1, S. 462 (Z. 46), führt in den Abschn. 1 der RelGem, S. 129. Es geht um die Rolle des Scheingeschäfts im Totenkult. WuG1, S. 463 (Z. 18 f.), führt ebenfalls in den Abschn. 1 der RelGem, S. 134–137. Gegenstand ist die juristische Behandlung der numina in der römischen „religio“. WuG1, S. 468 (Z. 8 f.), verweist auf den Abschn. 11 der RelGem, S. 386–402. Thematisiert wird die Eigenart der betreffenden Religion und ihr Verhältnis zu Recht und Staat. WuG1, S. 471 (Z. 26 f.), hat zwei Auflösestellen: Abschn. 11 der RelGem, S. 376–386, und WuG1, S. 801 f. (Staat und Hierokratie; MWG I/22-4). Gegenstand ist das Problem des Wucher- und Zinsverbotes. WuG1, S. 472 (Z. 48), findet im Abschn. 1 der RelGem, S. 128, seine Auflösung. Gegenstand sind die Einflüsse der animistischen Pflichten auf die Wirtschaft in China. WuG1, S. 473 (Z. 38 f.), führt in den Abschn. 6 der RelGem, S. 207. Thematisiert wird die Auffassung der christlichen Kirche über den Abschluß des prophetischen Zeitalters. WuG1, S. 474 (Z. 45), führt in den Abschn. 11 der RelGem, S. 369. Gegenstand ist das Fehlen der formalen Rationalität des Rechts im Islam. WuG1, S. 476 (Z. 29), löst sich im Abschn. 12 der RelGem, S. 418–422, auf. Gegenstand ist die Behauptung, im Judentum gelten andere ethische Normen für den Verkehr nach außen. WuG1, S. 476 (Z. 37), führt in den Abschn. 7 der RelGem, S. 276–278. Gegenstand sind die Schriftgelehrten als vornehme Literaten. WuG1, S. 479 (Z. 15), führt in den Abschn. 11 der RelGem, S. 396–398. Thematisiert wird die Behauptung, daß die christliche Kirche das stoische Naturrecht zu Hilfe nahm. Ein Andernortsverweis von WuG1, S. 479 (Z. 43 f.), löst sich im Abschn. 11 der RelGem auf, S. 348 f., 382 f. Thematisiert wird die elastische Haltung der Kirche zum Wucherverbot. WuG1, S. 505 (Z. 1), läßt sich an mehreren Stellen innerhalb der RelGem auflösen, in Abschn. 3, S. 175, Abschn, 10, S. 310 f. und Abschn. 11, S. 367–369. Besprochen wird die Systematisierung der religiösen Ethik. Umgekehrt führen aus den RelGem vier Verweisstellen in die sog. „Rechtssoziologie“ (MWG I/22-3): Abschn. 7 der RelGem, S. 221, verweist in Form eines Andernortsverweises auf WuG1, S. 496. Thematisiert wird das revolutionäre Naturrecht. Aus dem Abschn. 10 der RelGem, S. 335, wird in Form eines Vorverweises auf WuG1, S. 461–466 verwiesen. Gegenstand ist die Aussage, daß nur der römische Okzident ein rationales Recht entwickelt habe. Zwei weitere Verweise der RelGem haben mehrere Auflösestellen: Der Vorverweis aus Abschn. 6 der RelGem, S. 213, löst [98]sich in WuG1, S. 474 f. und WuG1, S. 481 (beide MWG I/22-3), aber auch WuG1, S. 804 auf (Staat und Hierokratie, MWG I/22-4). Gegenstand ist das Festhalten an dem Konsens der berufenen Träger der kirchlichen Lehrorganisation. Ein Verweis aus Abschn. 7 der RelGem, S. 247 „haben wir uns bei Erörterung der Ethik und des ‚Naturrechts‘ kurz damit zu befassen“, löst sich sowohl textintern auf S. 396 sowie in WuG1, S. 495–502, auf. Gegenstand sind „sozialpolitische“ Forderungen einer Religion als gottgewollt.
57
„Wirkungen des Patrimonialismus und des Feudalismus“ Aus den RelGem führen insgesamt zwei Vorverweise in das WuG1-Kapitel „Klasse, Stand, Parteien“ (MWG I/22-1): Aus dem Abschn. 7, S. 238, führt ein Verweis in WuG1, S. 631–635. Thema sind Schichten mit bürgerlich ökonomischem Klassencharakter. Ein zweiter Verweis führt aus Abschn. 7, S. 252, in WuG1, S. 636 f. Thematisiert wird das Würdegefühl der höchstprivilegierten, nichtpriesterlichen Schichten. Aus dem WuG1-Kapitel „Klasse, Stand, Parteien“ (MWG I/22-1) führen zwei Verweisstellen in die RelGem: Ein Verweis von WuG1, S. 637 („in anderem Zusammenhang zu besprechen“), löst sich im Abschn. 7 auf, auf S. 252. Gegenstand ist die Quelle und Eigenart des Wertgefühls der negativ privilegierten Schichten, die Juden als „auserwähltes Volk“. Ein weiterer Verweis, ein Rückverweis, führt ebenfalls von WuG1, S. 637 (MWG I/22-1), in den Abschn. 7 der RelGem, S. 257–265. Thematisiert wird die begrenzte Bedeutung des Ressentiments als einer Quelle der Pariareligiösität.
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sowie „Staat und Hierokratie“. Aus den RelGem, Abschn. 12, S. 441, führt ein Vorverweis in das WuG1-Kapitel „Wirkungen des Patrimonialismus und des Feudalismus“, WuG1, S. 741–752 (MWG I/22-4). Thema sind politische Hemmungen von Kapitalismus. Aus diesem WuG-Kapitel führen insgesamt zwei Rückverweise in die RelGem: Aus WuG1, S. 750 (MWG I/22-4), wird in den Abschn. 7, S. 252, verwiesen. Gegenstand ist die Diskussion, daß positiv privilegierte Schichten das eigene Dasein nicht funktionell anschauen, als Mittel im Dienst einer „Mission“, einer zweckvoll durchzuführenden „Idee“. Der zweite Rückverweis aus WuG1, S. 752 (MWG I/22-4), in dem der Geist der patrimonialen Verwaltung in der konfuzianischen Beamtenethik behandelt wird, läßt sich im Abschn. 7 der RelGem auflösen, dort S. 233 f.
59
Ob man aus diesem Befund auf eine zeitliche [99]Abfolge der Niederschrift von Textteilen schließen darf, ist allerdings angesichts seiner schmalen Basis fraglich. Eher sprechen einige Indizien dafür, daß Weber zwischen früheren und späteren Texten „Brücken“ baute. Aus dem WuG1-Kapitel „Staat und Hierokratie“ (MWG I/22-4) führt nur ein einziger Verweis (WuG1, S. 796, Z. 14 f.) in die RelGem, in den Abschn. 11, S. 380. Erörtert werden Konflikte der Hierokratie mit dem Kleinbürgertum. Umgekehrt führen insgesamt acht Verweise aus den RelGem in den WuG-Text „Staat und Hierokratie“, als Andernortsverweise oder als Vorverweise: Aus Abschn. 2 der RelGem, S. 159, führt ein Verweis in WuG1, S. 784, der sich ebenfalls in WuG1, S. 776–778 (Umbildung des Charisma) auflösen läßt. Gegenstand ist die auf „Wiedergeburt ausgehende ,Erweckungserziehung‘“ und Schulung der charismatischen Zauberer. Ebenfalls aus Abschn. 2 der RelGem, S. 160 führt ein Verweis in WuG1, S. 782 f., der sich ebenfalls textintern (unten, S. 176), auflösen läßt. Gegenstand ist die Rationalisierung des religiösen Lebens in Beziehung zur Entwicklung des Priestertums. Aus dem Abschn. 5 der RelGem führen zwei Verweise ins WuG1-Kapitel „Staat und Hierokratie“: ein Andernortsverweis von S. 199, der sich in WuG1, S. 779 ff. auflöst. Gegenstand sind die Beziehungen zwischen politischer Gewalt und religiöser Gemeinde. Von S. 200 führt ein Vorverweis in WuG1, S. 812–817. Der Verweis aus Abschn. 6 der RelGem, S. 213, hat mehrere Auflösestellen: WuG1, S. 804, aber auch WuG1, S. 474 f. (MWG I/22-3), und WuG1, S. 481 (MWG I/22-3). Gegenstand ist das Festhalten an dem Konsens der berufenen Träger der kirchlichen Lehrorganisation. Der Abschn. 7 der RelGem, S. 283, verweist auf WuG1, S. 786–788. Gegenstand ist ein Vergleich zwischen okzidentalem, orientalischem und asiatischem Mönchtum. Aus dem Abschn. 10 der RelGem, S. 339, führt ein Verweis in WuG1, S. 804. Thematisiert wird das Fehlen einer straffen büro[99]kratischen Organisation im Lamaismus. Der Abschn. 11 der RelGem enthält auf S. 368 f. einen formalen Vorverweis darauf, daß innerhalb der katholischen Kirche das Zinsverbot „in bald zu erwähnender Weise“ ausgeschaltet wurde. Die Umgehung des Zinsverbotes ist aber bereits einige Seiten zuvor, unten, S. 348, behandelt worden, und zusätzlich noch einmal in WuG1, S. 802 (MWG I/22-4) thematisiert worden. Weiter unten in den RelGem, unten, S. 382, kam Weber auf die Umgehung des Zinsverbotes in den „Montes pietatis“ zu sprechen. Vgl. hierzu auch den Anhang „Verweisauflösungen innerhalb des Textes ‚Religiöse Gemeinschaften‘“, unten. S. 115.
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Orihara, Hiroshi, Max Webers Beitrag zum „Grundriss der Sozialökonomik“, in: KZfSS, Jg. 51, 1999, S. 724–734, hier: S. 726. Vgl. dazu Schluchter, Wolfgang, „Kopf“ oder „Doppelkopf“ – das ist hier die Frage. Replik auf Hiroshi Orihara, in: ebd., S. 735–743.
Es muß besonders erwähnt werden, daß nicht alle Textteile des „alten Manuskripts“ durch Verweise mit den „Religiösen Gemeinschaften" verknüpft sind.
61
Was liegt näher, als diesen Befund mit Webers Brief vom 30. Dezember 1913 Nicht verknüpft durch Verweise sind die „Religiösen Gemeinschaften“ mit den WuG1-Kapiteln „Markt“ (MWG I/22-1, „Marktgemeinschaft“), „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ (MWG I/22-3, Recht), „Herrschaft“ (MWG I/22-4), „Politische Gemeinschaften“ (MWG I/22-1), „Machtgebilde. ‚Nation‘“ (MWG I/22-1, „Machtprestige und Nationalgefühl“), „Bürokratie“ (MWG I/22-4) sowie „Charismatismus“ (MWG I/22-4).
62
zu vergleichen? Er habe – so schrieb er dem Verleger Paul Siebeck – die großen Gemeinschaftsformen zur Wirtschaft in Beziehung gesetzt, und zwar in der Reihenfolge: von der Familie und Hausgemeinschaft zum Betrieb, zur Sippe, zur ethnischen Gemeinschaft, zur Religion, zu Staat und Herrschaft. Die Reihenfolge der Texte, die sich aus den Vor- und Rückverweisen des nachgelassenen Manuskriptes ergibt, entspricht in WuG1 diesen Angaben. Die Verweisstruktur läßt sich daher auch als eine Unterstreichung der Behauptung Webers im Brief an den Verleger lesen, es handele sich um eine „geschlossene soziologische Theorie und Darstellung“. Die Verweisstruktur stimmt übrigens auch mit der Stellung der „Religiösen Gemeinschaften“ in der Einteilung des Gesamtwerkes von 1914 überein. Hier steht er zwischen Hausgemeinschaft, Nachbarschaftsverband, ethnischen Gemeinschaften einerseits und Marktvergemeinschaftung, politischem Verband und Herrschaft andererseits. Vgl. oben, S. 87.
Die Stellung des Textes „Religiöse Gemeinschaften“ in der Anlage des „Grundrisses der Sozialökonomik“ ist demnach nicht zufällig, sondern systematisch begründet. Mehr beiläufig heißt es einmal von der ‚Gemeinde‘ im religiösen Sinn, sie sei „die zweite Kategorie von Gemeinde neben dem aus ökonomischen, fiskalischen oder anderen politischen Gründen verge[100]sellschafteten Nachbarschaftsverband“.
63
Diese Bemerkung wird durch eine Aussage Webers im einleitenden Text „Wirtschaft und Gesellschaft im allgemeinen“ verständlich, wonach sich an die „Vergesellschaftung“ regelmäßig eine „‚übergreifende‘ Vergemeinschaftung“ knüpft.[100] Unten, S. 195.
64
Man wird aus dieser Anordnung schließen können, daß Weber für die Behandlung des politischen Verbandes und der Herrschaftsformen eine Behandlung der religiösen Gemeinschaften benötigte, wie er umgekehrt für die Analyse der religiösen Gemeinschaften die Nachbarschaftsverbände brauchte. Einschränkend ist allerdings hinzuzufügen, daß Weber die geplante Arbeit an seinem Grundrißbeitrag nicht in allen Bereichen gleich weit vorangetrieben hatte. Wenn Marianne Weber im Vorwort zur zweiten Lieferung 1921 darüber klagt: Die „Einteilung des Gesamtwerkes“ von 1914 „gab zwar noch Anhaltspunkte, war aber in wesentlichen Punkten verlassen“, dann haben wir es bei den Verweisen mit den noch erkennbaren Anhaltspunkten zu tun, ohne die es ihr und Melchior Palyi kaum möglich gewesen wäre, die richtige Reihenfolge der Teile von „Wirtschaft und Gesellschaft“ zu finden. Besondere Beachtung verdienen die Verweise zwischen der „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ und dem Text „Religiöse Gemeinschaften“. WuG1, S. 187 (MWG I/22-1).
65
Die „Religiösen Gemeinschaften“ verweisen in Abschnitt 7, S. 277, auf eine Ausführung andernorts: „Stets ist, wie schon in anderem Zusammenhang erwähnt, der gebildete Hellene, mindestens der Idee nach, auch ein Krieger geblieben“. Eine entsprechende Erwähnung findet sich nur im ersten Aufsatz der „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“, der Konfuzianismusstudie. Neben dem oben bereits genannten Fall weisen die „Religiösen Gemeinschaften“ noch zwei weitere Bezüge auf die Aufsätze der „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ auf. Im Abschn. 10 der RelGem, S. 330 f., thematisiert Weber den Umschlag der Gottinnigkeit eines Mystikers in heilige Besessenheit von dem Gott. Der Mystiker werde dann zum Mystagogen. „Oder wenn er diesen Weg nicht beschreiten kann – auf die möglichen Gründe dafür kommen wir noch zu sprechen – sondern von seinem Gotte nur durch Lehre zeugen kann, dann wird seine revolutionäre Predigt an die Welt chiliastisch irrational, jeden Gedanken einer rationalen ,Ordnung‘ verschmähend“. In der „Zwischenbetrachtung“ machte Weber folgende Feststellung: „Anders da, wo, beim Mystiker, sich der psychologisch stets mögliche Umschlag vom Gottbesitz zur Gottbesessenheit vollzieht. […]. Der Mystiker wird dann zum Heiland und Propheten. Aber die Gebote, die er verkündet, haben keinen rationalen Charakter“. (MWG I/19, S. 499). Der Abschn. 11 der RelGem enthält auf S. 380 folgenden Satz: „In eigentümlicher Paradoxie gerät vor allen Dingen, wie schon mehrfach erwähnt, die Askese immer wieder in den Widerstreit, daß ihr rationaler Charakter zur Vermögensakkumulation führt“. Auf diese Paradoxie wies Weber in der Überarbeitung der „Protestantischen Ethik“ hin (GARS I, S. 195–197; MWG I/18), in der Konfuzianismusstudie (MWG I/19, S. 473) sowie in der „Zwischenbetrachtung“ (MWG I/19, S. 489).
66
Da dieser [101]Text ebenfalls 1913 entstanden ist und erst zwei Jahre nach der Abfassung veröffentlicht wurde, AfSSp, 41. Band, Heft 1, 1915, S. 60 = MWG I/19, S. 305. Dort heißt es: „Der hellenische vornehme Gebildete dagegen war und blieb in erster Linie Ephebe und Hoplit, solange die Bildung hellenisch – und nicht ‚hellenistisch‘ – war.“
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konnte Weber schon bei der Niederschrift der „Religiösen Gemeinschaften“ auf ihn verweisen. An anderer Stelle verweist Weber auf einen Sachverhalt, den er erst in der „Zwischenbetrachtung“[101] „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Religionssoziologische Skizzen“ und „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. (Zweiter Artikel)“, in: AfSSp, 41. Band, Heft 1, 1915, S. 1–87, ebd., Heft 2, 1915, S. 335–421. Heft 1 erschien am 14. Oktober 1915, Heft 2 am 23. Dezember 1915 (Auslieferungsdaten nach MWG I/19, S. 60 f. und Schluchter, Religion und Lebensführung II, S. 595).
68
ausführt. Weber schreibt in Abschnitt 11 der „Religiösen Gemeinschaften“, die Tanzorgiastik der Chlysten gab, „wie wir sahen, die Veranlassung zur Bildung der Skopzensekte“. Die erste Veröffentlichung der „Zwischenbetrachtung“ mit dem Untertitel „Stufen und Richtungen der religiösen Weltablehnung“ erschien im Novemberheft des Jahres 1915 des AfSSp, das am 23. Dezember 1915 ausgeliefert wurde.
69
Obwohl Weber bereits zuvor die „esoterische Gemeinde der Kastraten im Skopzentum“ erwähnt hat, Unten, S. 402 f.
70
machte er jedoch an dieser Stelle keine Angaben zur Entstehung. Erst in der „Zwischenbetrachtung“ findet sich die Präzisierung: „Die Gründung der Skopzen-(Kastraten-)Sekte in Rußland ging aus dem Streben hervor, dieser als sündlich gewerteten Folge des orgiastischen Tanzes (Radjenie) der Chlüsten zu entrinnen“. Unten, S. 318.
71
Umgekehrt verweist die „Einleitung“ zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ auf Webers geplanten Beitrag zu „Wirtschaft und Gesellschaft“, MWG I/19, S. 502, Fn. 3. Von den Skopzen und Chlysten sprach Weber bereits in seinen Rußlandstudien von 1905/06 (MWG I/10, S. 329 und 335). Vgl. auch unten, S. 402 f., Anm. 64 und 65.
72
allerdings nicht speziell auf die „Religiösen Gemeinschaften“, sondern auf die „Herrschaft“. Nach einer Erläuterung der drei Typen der Herrschaft heißt es in der Archivfassung von 1915: „Ihre Typologie wird an anderer Stelle, und zwar speziell unter dem Gesichtspunkt des Zusammenhangs mit der Wirtschaft, systematisch erörtert werden“. (MWG I/19, S. 126, textkritischer Apparat). Irrtümlich denkt Helwig Schmidt-Glintzer an den Ersten Teil von WuG1, S. 122–176, der jedoch später entstanden ist.
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Bezüge und Verweise der „Religiösen Gemeinschaften“ auf die späteren Aufsätze über die Wirtschaftsethik von „Hinduismus und Buddhismus“ und vom „Antiken Judentum“ gibt es nicht. WuG1, S. 611 f. (MWG I/22-4).
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Diese Fehlanzeigen sichern das bisherige Ergebnis. Die relative Chronolo[102]gie des Textes „Religiöse Gemeinschaften“ in „Wirtschaft und Gesellschaft“ bestätigt die Vermutung einer Abfassung im wesentlichen im Jahr 1913. Der erste Artikel zu Hinduismus und Buddhismus erschien im dritten Heft des 41. Bandes (ausgeliefert am 29. April 1916). Es folgten zwei Fortsetzungen im zweiten und dritten Heft des 42. Bandes (ausgeliefert am 2. Dezember 1916 bzw. am 16. Mai 1917). Die Studie zur Wirtschaftsethik des antiken Judentums erschien in sechs Heften in den Bänden 44 bis 46 von 1917 bis 1920. Auslieferungsdaten aus MWG I/20, S. 43 und Schluchter, Religion und Lebensführung II, S. 595.
II. Zur Überlieferung und Edition
Zwei Wochen nach dem Tod ihres Mannes (14. Juni 1920) teilte Marianne Weber dem Verleger Paul Siebeck mit, was sie mit den von Weber hinterlassenen Manuskripten zu tun gedenke: „Ich habe heute schon einen Teil der Manuskripte meines Mannes zur Soziologie zur Durchprüfung an einen jungen Gelehrten Dr. Palyi hier gegeben. […] Es ist offenbar druckfertig vorhanden: Religionssoziologie, Rechtssoziologie, dann Formen der Gesellschaft: (Ethnische Gemeinschaft, Sippen Nation Staat u. Hierokratie etc.) – ferner Formen der Herrschaft: (Charismatismus Patrimonialismus Feudalismus Bürokratismus) u. ein großes Konvolut: Formen der Stadt, u. schließlich ein höchst interessanter Abschnitt über Musiksoziologie“.
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Wenn man sich erinnert, wie ablehnend Weber 1915 auf das Vorhaben des Verlegers reagiert hatte, den Text samt allen weiteren Teilen der „geschlossenen soziologischen Theorie und Darstellung“ zu veröffentlichen, ist diese Einschätzung überraschend. Nimmt man alle Äußerungen Webers zusammen, kommt man kaum um die Feststellung herum: Marianne Weber gab einen Text zum Druck, der bei Kriegsausbruch noch nicht druckfertig war und den Weber selbst ohne erhebliche Umarbeitung nicht für druckfertig gehalten hatte. [102] Brief von Marianne Weber an Paul Siebeck vom 30. Juni 1920, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446.
Es folgte eine Zeit intensiver redaktioneller Arbeit an den Manuskripten. Die Erstherausgeber formulierten für die einzelnen Abschnitte Inhaltsübersichten. An einigen Stellen finden sich im Text erläuternde Bemerkungen.
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Im März 1921 konnte Marianne Weber Oskar Siebeck, der zusammen mit seinem Bruder Werner Siebeck den Verlag nach dem Tode von Paul Siebeck im November 1920 weiterführte, von München aus mitteilen: „Ich habe soeben das Manuskript eingepackt u. schicke es noch heute hochversichert an Sie ab. […] Dem Manuskript liegt ein genaues Verzeichnis der Kapitelfolge[,] so wie ich sie in Gemeinschaft mit Dr. Μ. Palyi festgestellt habe, bei. Zwei Kapitel sind leider unvollendet. Einige Seiten müssen noch abdiktiert werden, ich habe sie zurückbehalten u. schicke sie von Heidelberg aus oder aber lege sie der Fahnenkorrektur bei. Ob wir an der vorläufig beschlossenen Reihenfolge der Abschnitte genau festhalten können[,] läßt sich heute noch nicht übersehen. Es ist möglich, daß Verschiebungen vor[103]genommen werden müssen, das würde ja aber für die Druckerei nichts ausmachen. Ich nehme an, daß die Manuskripte mindestens zwei Bände füllen werden. Natürlich wäre es zweckmäßig[,] die Fahnenkorrektur erst umzubrechen, wenn der eine Band völlig gesetzt ist; denn erst[,] wenn alles im Satz vorliegt, kann man den genauen Überblick gewinnen und die Reihenfolge definitiv festsetzen“. Vgl. den textkritischen Apparat, unten, S. 240, S. 315 und S. 447.
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Diese Worte lassen etwas von den Schwierigkeiten erahnen, welche die nachgelassenen Manuskripte Marianne Weber bereiteten. Marianne Weber bestätigte das im Vorwort der zweiten Lieferung der Erstausgabe von WuG vom Oktober 1921, mit der der von ihr und Palyi herausgegebene Teil des Werks[103] Brief von Marianne Weber an Oskar Siebeck vom 25. März 1921, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446. Vgl. auch Winckelmann, Max Webers Hauptwerk, S. 94.
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beginnt: „Die Herausgabe dieses nachgelassenen Hauptwerkes des Verfassers bot naturgemäß manche Schwierigkeiten. Für den Aufbau des Ganzen lag kein Plan vor. Der ursprüngliche, auf S. X und XI Band I des Grundrisses der Sozialökonomik skizzierte gab zwar noch Anhaltspunkte, war aber in wesentlichen Punkten verlassen. Die Reihenfolge der Kapitel mußte deshalb von der Herausgeberin und ihrem Mitarbeiter entschieden werden. Einige Abschnitte sind unvollendet und müssen so bleiben. Die Inhaltsangabe der Kapitel war nur für die ‚Rechtssoziologie‘ fixiert“. Mit keinem Wort ging Marianne Weber allerdings darauf ein, daß der Plan von 1914 teilweise von Weber noch gar nicht erfüllt worden war. Die inhaltlichen Entscheidungen, die Marianne Weber und ihr Mitarbeiter Melchior Palyi getroffen haben, lassen sich hinsichtlich der „Religiösen Gemeinschaften“ nicht sicher rekonstruieren. Vom Manuskript, das dem Setzer vorgelegen hat, ist nur ein Fragment vom Umfang einer Druckseite erhalten. Noch zu Lebzeiten hatte Max Weber den Druck der 1. Lieferung des GdS (WuG1, S. 1–180) persönlich vorangetrieben. Der von Marianne Weber und Melchior Palyi besorgte Teil schließt hieran an.
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Zwar enthielt ein Brief von Heinz Maus aus Marburg an Johannes Winckelmann Vgl. den Faksimile-Abdruck und die Transkription, unten, S. 449 f.
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einen weiteren vielversprechenden Hinweis: „Max Graf zu Solms, hier in Marburg, besitzt zwei handgeschriebene Manuskriptseiten der Religionssoziologie“. Nachforschungen führten jedoch zu einem Manuskript, das nicht zum Text „Religiöse Gemeinschaften“ gehört, sondern zu dem WuG1-Text „Staat und Hierokratie“ (WuG1, S. 782–790, MWG I/22-4). Das wenige noch erhaltene Material zeigt in aller Deutlichkeit, wie schwierig die Entzifferung von Webers Handschrift war. Datiert vom 20. Februar 1961. Max Weber-Arbeitsstelle, Bayerische Akademie der Wissenschaften München.
[104]Der Titel „Religiöse Gemeinschaften“
Als Weber 1919 den Ersten Teil von WuG1 verfaßte, wies er an zwei Stellen auf einen als „Religionssoziologie“ angekündigten Text hin. Im Kapitel I „Soziologische Grundbegriffe“ heißt es bei der Gegenüberstellung von „Kirche“ und „Sekte“ im Zusammenhang mit den Begriffen „Anstalt“ und „Verein“: „Das Nähere gehört in die Religionssoziologie“.
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Im Kapitel III „Die Typen der Herrschaft“, § 12, heißt es bei der Erwähnung der Buddhisten und der hinduistischen Sekten: „siehe Religionssoziologie“.[104] WuG1, S. 30 (MWG I/23).
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In beiden Fällen kann aber nicht der nachgelassene Text gemeint sein. Weber wollte den Religionstext vor der Veröffentlichung erst noch überarbeiten. Außerdem war der theoretische Bezugsrahmen 1919 ein anderer als der von 1913. So wird man der Frage nicht ausweichen können, was der Titel des nachgelassenen Textes gewesen sein mag. Um den Titel des vorliegenden Textes unabhängig von seiner Funktion in WuG1 zu ermitteln, muß man in die Zeit seiner Entstehung im Jahre 1913 zurückgehen. WuG1, S. 146 (MWG I/23).
Es gibt einen guten Grund, den vorliegenden, aus dem Nachlaß edierten Text statt unter dem bisherigen Titel „Religionssoziologie“, wie er seit der ersten Auflage von WuG hieß, als „Religiöse Gemeinschaften“ zu edieren. Die „Einteilung des Gesamtwerkes“, die dem ersten und weiteren Bänden des „Grundrisses der Sozialökonomik“ seit 1914 beigegeben war, beschrieb den Abschnitt mit den Worten: „Religiöse Gemeinschaften. Klassenbedingtheit der Religionen: Kulturreligionen und Wirtschaftsgesinnung“.
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Da die Indizien dafür sprechen, daß der Text im wesentlichen 1913 abgefaßt wurde, steht diese Inhaltsübersicht dem Text zeitlich am nächsten. Nur wenn die „Einteilung des Gesamtwerkes” nicht von Weber stammen würde oder der Teil erst danach von ihm verfaßt worden wäre, wäre die Sachlage eine andere. GdS, Abt. I, S. X–XI, abgedruckt in: Winckelmann, Max Webers Hauptwerk, S. 169 [[MWG I/24, S. 169]] und 203. Zum GdS vgl. den in Planung befindlichen Band I/22-6 der MWG [[MWG I/24]].
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Dazu kommt, daß die drei im Werkplan von 1914 [105]genannten Programmschwerpunkte dem inhaltlichen Aufbau des nachgelassenen Textes entsprechen. Anders Wolfgang J. Mommsen, Zur Entstehung von Max Webers hinterlassenem Werk „Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie“, in: Europäisches Zentrum für Staatswissenschaft und Staatspraxis, Berlin, Discussion Paper, Nr. 42, Juni 1999. Weber habe bei der „Einteilung des Gesamtwerkes“ im April 1914 „die Federführung weitgehend Paul Siebeck überlassen“, durch das vorangehende gemeinsame Vorwort mit dem Verleger sei sie nur „indirekt autorisiert“ (ebd., S. 33). Mommsen stützt sich hierbei auf das Fehlen eines Manuskriptes. Mommsens Behauptung ist jedoch wenig wahrscheinlich, da Weber in seinem Brief vom Ende des Jahres 1913 dem Verleger mitgeteilt hatte, er würde ihm in 14 Tagen eine Inhaltsübersicht über den Teil schicken, zu dem auch die Ausführungen über Religion gehören.
Max Weber hat sich zum WuG-Beitrag „Religiöse Gemeinschaften“ auch später wiederholt geäußert. Nachdem er sich für die Veröffentlichung der Aufsätze zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ im Jahre 1915 entschieden hatte, tauchte in den Quellen eine andere Charakterisierung des Textes auf. In einem Brief an den Verleger sprach Weber von der „systematischen Religions-Soziologie im ,G.d.S.Ö.‘“,
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in einer Fußnote zur „Einleitung“ in die „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ aus dem Sommer 1915 von dem „religionssoziologischen Abschnitt in ,Wirtschaft und Gesellschaft‘“.[105] Vgl. oben, S. 91, Anm. 33.
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In der „Vorbemerkung“ zu den „Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie“ äußerte er schließlich 1919/20 die Hoffnung, einiges zur Ausfüllung der Lücken in den Aufsätzen „bei einer systematischen Bearbeitung der Religionssoziologie tun zu können“. Vgl. oben, S. 92, Anm. 34.
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Diese Abfolge von Charakterisierungen zeigt, wie Weber sich schrittweise von seiner einstigen Auffassung von Religion als einer speziellen Form von Gemeinschaftshandeln entfernte. Als Weber 1919 den Ersten Teil von WuG1 verfaßte, wies er an zwei Stellen auf einen als „Religionssoziologie" angekündigten Text hin. Diese Hinweise haben Marianne Weber und Melchior Palyi aufgegriffen und dem hier edierten Text den Titel „Religionssoziologie“ gegeben. GARS I, S. 15 (MWG I/18).
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Wolfgang J. Mommsen geht in der Einleitung des WuG-Teilbandes „Gemeinschaften“ (MWG I/22-1, in Zusammenarbeit mit Michael Meyer) von der Vermutung aus, daß Marianne Weber und Melchior Palyi massiv in die Titelgestaltung der Kapitelüberschriften, die in der Erstauflage von „Wirtschaft und Gesellschaft“ verwendet wurden, eingegriffen hätten.
Zur Frage der Authentizität von Überschriften, Inhaltsübersichten und Textuntergliederung
Daß alle Abschnittsüberschriften von Max Weber selber stammen, muß man bezweifeln. Als das Manuskript „Wirtschaft und Gesellschaft“ beim Verlag eintraf, schickte Oskar Siebeck eine stichwortartige Bestätigung des Inhalts der Sendung an Marianne Weber.
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Dort finden sich folgende Angaben, die hier vergleichend mit den Überschriften und Zwischenüberschriften der Erstausgabe von „Wirtschaft und Gesellschaft“ (rechte Spalte) wiedergegeben werden: Brief von Oskar Siebeck an Marianne Weber vom 29. März 1921, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446.
[106]
Religionssoziologie | Religionssoziologie. (Typen religiöser Vergemeinschaftung.) |
1. ––– | § 1. Die Entstehung der Religionen. |
2. Zauber, Priester | § 2. Zauberer – Priester. |
3. Gottesbegriff, Ethik, Tabu | § 3. Gottesbegriff. Religiöse Ethik. Tabu. |
4. „Prophet“ | § 4. „Prophet“. |
5. Gemeinde | § 5. Gemeinde. |
6. Heil. Wissen, Predigt, Seelsorge | § 6. Heiliges Wissen. Predigt. Seelsorge. |
7. Stände und Klassen u. Religion | § 7. Stände, Klassen und Religion. |
8. Theodizee | § 8. Das Problem der Theodizee. |
9. Erlösung und Wiedergeburt | § 9. Erlösung und Wiedergeburt. |
10. Erlösungswege | § 10. Die Erlösungswege und ihr Einfluß auf die Lebensführung |
11. Religiöse Ethik und „Welt“ | § 11. Religiöse Ethik und „Welt“. |
12. Die Kulturreligion und die Welt (Unvollendet) | § 12. Die Kulturreligionen und die „Welt“. |
Offensichtlich fehlte für den ersten Abschnitt eine Überschrift; sie muß von Marianne Weber oder Melchior Palyi nachträglich eingefügt worden sein. Allerdings muß im Manuskript mindestens eine Ziffer, vielleicht auch ein unleserlicher Titel, gestanden haben, so daß Oskar Siebeck in seiner Aufstellung eine Freistelle ließ. Noch einen weiteren Eingriff kann man erschließen. Siebeck gab keine Paragraphenzählung an, wie sie später in der Erstauflage verwendet wurde, sondern nur numerierte Abschnitte.
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Die hier vorliegende Edition gliedert den Text daher ebenfalls in numerierte Abschnitte, die Paragraphenzeichen entfallen in der Edition. Wenn nachweislich einer der Abschnittstitel von Marianne Weber oder Melchior Palyi eingefügt worden ist, wird man dasselbe bei den anderen nicht sicher ausschließen können, auch wenn es für den hier zu edierenden Text keine brieflichen Hinweise gibt.[106] Den übrigen minimalen Abweichungen sollte keine größere Bedeutung beigemessen werden. Oskar Siebeck wird sich bei seiner Inhaltsangabe des Manuskriptes auf Stichworte beschränkt haben.
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Man kann die Echtheit der Überschriften nur noch durch eine Prüfung des Textes selber zu klären versuchen. Eine solche Prüfung ist möglich. Weber kommt nämlich wiederholt auf die Grundlinien seiner Dar[107]stellung zu sprechen. Am Ende von Abschnitt 2 (Zauberer – Priester) kündigt er die Behandlung dreier „Faktoren“ an: der rationalen Metaphysik und Ethik von Priestern (Abschnitt 3, Gottesbegriff. Religiöse Ethik. Tabu), der „Propheten“ (Abschnitt 4) und drittens der „Laien“ (Abschnitt 5, Gemeinde). In einem Brief vom 27. Januar 1922 an Oskar Siebeck erwähnte Marianne Weber zwar, Palyi habe die Korrekturbögen der „Stadt“ noch einmal haben wollen, „vielleicht wegen der von ihm gemachten Kapitelüberschriften“. (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446). Jedoch scheint Marianne Weber damit die Inhaltsübersichten zu meinen.
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Am Ende von Abschnitt 3 wiederholt Weber, daß er die Beziehung der drei Faktoren Priester, Propheten, Laien behandeln wolle.[107] Vgl. unten im Text, S. 160 f.
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Am Ende des vierten Abschnitts folgt die Ankündigung, er wolle nun „die gegenseitigen Beziehungen von Priestern, Propheten und Nichtpriestern näher erörtern“, Vgl. unten im Text, S. 177.
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was in Abschnitt 5 (Gemeinde) geschieht. Allerdings ist dieser Abschnitt trotz seiner zentralen inhaltlichen Bedeutung nicht nur merkwürdig kurz geraten (nur fünf Seiten), sondern die Überschrift des folgenden Abschnittes 6 (Heiliges Wissen. Predigt. Seelsorge) unterbricht den laufenden Text. Abschnitt 6 bildet mit Abschnitt 5 eine Einheit. In beiden geht es um die angekündigten gegenseitigen Beziehungen von Priestern, Propheten und Laien. Ein gesonderter Abschnitt „Heiliges Wissen. Predigt. Seelsorge“ ist von Webers eigener Textmoderation nicht vorgesehen. Am Ende von Abschnitt 6 stellt Weber den weiteren Gang der Darstellung vor und weist auf die Laien als Träger rationaler Lebensführung hin. Damit leitet er zu Abschnitt 7 „Stände, Klassen und Religion“ über. Unten im Text, S. 194.
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Die Abschnitte 8 bis 11 werden von Weber anders verknüpft: nicht durch vorausgreifende moderierende Bemerkungen, sondern durch eine innere Logik von Religion als Entzweiung von „Sinn“ und „Welt“, von Sollen und Sein. Weber behandelte erst die Erfahrung der Unvollkommenheit der Welt und ihrer Verarbeitung in der Theodizee (Abschnitt 8). Dann folgen zwei Abschnitte „Erlösung und Wiedergeburt“ (Abschnitt 9) und „Die Erlösungswege und ihr Einfluß auf die Lebensführung“ (Abschnitt 10). Der kurze Abschnitt 9 gehört zum folgenden, die Überschrift paßt nicht recht. Abschnitt 11 („Religiöse Ethik und ,Welt‘“) legt die möglichen Spannungen zwischen religiöser Ethik und Welt dar. Abschnitt 12 beginnt und endet abrupt und mit Textverlust. Weber charakterisiert in ihm die Weltreligionen, die Gemeinden gebildet haben, im Blick auf ihr Wirtschaftsethos. Vgl. unten im Text, S. 218. Trotz der stilistischen Unterschiede zwischen den Abschnitten 1–6 und den Abschnitten 7–12, die Wolfgang Schluchter beobachtet hat (vgl. oben, S. 94, Anm. 44), schließt erst Abschnitt 7 die vorangehenden Ausführungen zur Religionsgemeinde ab.
Nimmt man alle Beobachtungen zusammen, kommt man zu dem Schluß, daß wir hier einen Text vor uns haben, dessen Zwischenüberschriften bis auf zwei zu den Ankündigungen des Autors passen. Einer der beiden Zweifelsfälle war Gegenstand der Korrespondenz zwischen Marianne Weber [108]und dem Verleger Oskar Siebeck über die zweite Lieferung von WuG1. Der Verleger war empört: „Nachdem er [Palyi] die ganze Korrektur zweimal in Fahnen bekommen hat, ist es für mich jedenfalls überraschend, dass er jetzt noch Einfügungen verlangt, die ohne ein Neuumbrechen ganzer Seiten und Bogen gar nicht möglich sind. […] Bei Seite 261 [von WuG1, jetzt: S. 203] vollends stehen wir nahezu vor einer technischen Unmöglichkeit. Würde die Inhaltsübersicht, die auf zwei Zeilen kaum unterzubringen sein wird, hier noch nachträglich eingefügt, so sehe ich keine andere Möglichkeit, für diese nachträgliche Einfügung Raum zu schaffen, als dass auf Seite 272 [von WuG1, jetzt: S. 233] die Fußnote gestrichen wird. Auch dann müssen aber ¾ Bogen ganz neu umbrochen werden. Da nun aber die Inhaltsübersichten ohnehin nicht allen Paragraphen vorgesetzt sind, wäre es m. E. höchstens ein Schönheitsfehler, wenn sie bei § 6 wegbliebe. Vielleicht kann ein gewisser Ersatz durch ein paar weitere Sperrungen im Text geschaffen werden. […]“.
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In ihrer Antwort bat Marianne Weber den Verleger am 23. September 1921, er möge die von Palyi eingefügten Anmerkungen auf S. 188 [von WuG1, MWG I/22-1] übernehmen, „sie sind für das Verstehen des historischen Sinnes des Textes nicht unwichtig. Dagegen müssen die § Überschriften [Inhaltsübersichten] auf S. 261 [von WuG1, jetzt: S. 203] fortbleiben. Umbrechung des Bogens sind sie nicht wert. Ich hatte, da § 6 so kurz ist[,] absichtlich die Untereinteilung, die freilich an sich doch erwünschenswert gewesen wäre, fortgelassen. Palyi hat leider bei der 2. Lesung der Fahnen keine Zeit gehabt – darum erst jetzt diese Einschiebungen. Falls die Einschiebung auf S. 267 [von WuG1, Inhaltsübersichten von § 7, jetzt: S. 218] Schwierigkeiten macht, muß sie fortbleiben, sonst wäre sie gut […]“.[108] Brief von Oskar Siebeck an Marianne Weber vorn 22. September 1921, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446.
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Brief von Marianne Weber an Oskar Siebeck vom 23. September 1921, VA Mohr/Siebeck. Deponat BSB München, Ana 446. Vgl. auch den Brief von Oskar Siebeck an Marianne Weber vom 26. September 1921: „Dagegen habe ich Weisung gegeben, dass die Ergänzung der Überschrift auf Seite 261 endgültig fortbleibt“. (Ebd.).
Dieser Ausschnitt aus der Korrespondenz zeigt in aller gewünschten Klarheit, daß Marianne Weber (und Melchior Palyi) mit den von ihnen selbst verfaßten Textzusätzen anders umgingen als mit den von Weber hinterlassenen Texten. Die Inhaltsübersichten – von ihr „Überschriften“ und „Untereinteilung“ genannt – konnten weggelassen werden, wenn drucktechnische Notwendigkeiten es geboten. Was hätte näher gelegen, auch den Abschnittstitel von 6 zu entfernen und den Text mit dem Abschnitt 5 (Gemeinde) zusammenzufassen, wenn dieser von ihr geschaffen worden wäre? Sie tat es nicht, obwohl sie ihn selber zu kurz fand. Verständlich wird das nur, wenn für die Erstherausgeber die Abschnittstitel zum Text Max Webers ge[109]hörten, die Inhaltsübersichten aber nicht.
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Daß sie dennoch nachweislich einen Titel eingefügt hat (Abschnitt 1, Die Entstehung der Religionen), hing mit dem außergewöhnlichen Umstand zusammen, daß Weber für den ersten Abschnitt zwar eine Numerierung, aber keine Überschrift hinterlassen hat. [109] Am 13. September 1921 schrieb Marianne Weber an Oskar Siebeck: „Der letzte Teil der Religionssoziologie (Bogen 12) ist noch nicht da u. ich brauche ihn[,] um bei der Inhaltsangabe des 12. Kapitels die Seitenzahlen auszufüllen“. (Ebd.).
Zum Abschluß muß die Frage gestellt werden, wie sich die Inhaltsangabe in der „Einteilung des Gesamtwerkes“ von 1914 zu den Abschnittstiteln des nachgelassenen Textes verhält. Ist es möglich, daß beide gleichermaßen authentisch sind? Bei einer Antwort müßte man bedenken, daß Weber den Text erst noch fertigstellen mußte. Ein halbes Jahr veranschlagte er im Frühjahr 1914 dafür. Diese Fertigstellung ist nicht mehr erfolgt. Es ist daher nicht zu entscheiden, ob die Überschriften aus dem nachgelassenen Text des Jahres 1913 stammen oder erst später eingefügt wurden.
Der Erstdruck
Der gedruckte Text der Erstausgabe enthält zahlreiche Fehler.
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„Palyi hat leider bei der 2. Lesung der Fahnen keine Zeit gehabt“, bemerkte Marianne Weber in einem Brief an den Verleger Oskar Siebeck vom 23. September 1921. In Auswahl: S. 136, Anm. e: alii cuti > dii certi (emendiert nach Hintze, Otto, Max Webers Soziologie, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche, Jg. 50, 1926, S. 83–95, hier: S. 87; hinfort: Hintze, Max Webers Soziologie). S. 136, Anm. g: incubi > incerti (emendiert nach Hintze, Max Webers Soziologie, S. 87); S. 273, Anm. n: Umodnitschestwo > Narodnitschestwo; S. 276, Anm. r: Mönche > Menschen; S. 285, Anm. f: erastianisch > erasmianisch, irenäisch > irenisch; S. 287, Anm. g: römischen > romanischen; S. 376, Anm. p: Lehr- > Lese-; S. 383, Anm. q: Acta di Calimala > Arte di Calimala (gleiche Verschreibung wie in WuG1, S. 802; MWG I/22-4); S. 416, Anm. m: restlose > rastlose (emendiert nach Hintze, Max Webers Soziologie, S. 87).
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Daher habe sie erst jetzt die Inhaltsangaben einzelner Abschnitte einschieben können. Brief von Marianne Weber an Oskar, Siebeck vom 23. September 1921, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446.
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Marianne Weber wies im Vorwort vom Oktober 1921 zur zweiten Lieferung auf die Gefahr von Fehlern gesondert hin: „Die Entzifferung der Manuskripte, für welche den Setzern des Verlages ein großes Verdienst zukommt, namentlich die richtige Lesart der zahlreichen fremdsprachigen Fachwörter außereuropäischer Einrichtungen u. dgl. gab zu mancherlei Zweifeln und Nachfragen Anlaß, und es ist möglich, daß trotz des freundlichen Beistands verschiedener Fachgelehrter Unstimmigkeiten [110]unterlaufen“ sind. Vgl. oben, S. 108.
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Welche Schwierigkeiten die Entzifferung machte, zeigt das aufgefundene Handschriftenfragment. Als Albert Salomon im Zuge der Arbeiten an einem Register zu den „Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie“ auch den Text von WuG1 durcharbeitete, erkannte er, wie viele Sinn- und Druckfehler der Text enthielt und teilte seine Beobachtung dem Verleger mit.[110] Johannes Winckelmann tadelte Marianne Webers Bemerkung als einen Versuch, die Verantwortung auf die Schultern der Setzer abzuwälzen: „Vielmehr ist dies ausgesprochenermaßen Aufgabe der Editoren und Korrektoren“. (Winckelmann, Max Webers Hauptwerk, S. 109, Anm. 36).
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In einem Brief an Marianne Weber schrieb der Verleger Oskar Siebeck am 29. Juni 1922: „Grosse Sorge bereitete mir eine Bemerkung, die Herr Dr. Salomon am Schlusse seines Brief macht. Er schreibt wörtlich: ‚Außerdem erlaube ich mir mitzuteilen, dass in der 2. Lieferung von Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft eine ganze Reihe schwerer, zum Teil sinnentstellender Druckfehler vorkommt, was mir auch von anderer Seite bestätigt wird‘“. Vgl. den Brief von Albert Salomon an Oskar Siebeck vom 16. Juni 1922, VA Mohr/Siebeck, Tübingen, Schachtel 405. Der für den Verlag Siebeck tätige pensionierte Heidelberger Dekan Karl Zeller prüfte ebenfalls die Fahnen von WuG1 auf Druckfehler. Vgl. etwa den Brief von Werner Siebeck an Marianne Weber vom 20. April 1921, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446.
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Rückblickend attestierten die Verleger Melchior Palyi „saumselige Erledigung der Korrekturen des Werkes“: Otto Hintze hat später in einer Rezension von „Wirtschaft und Gesellschaft“ bemängelt, daß „eine Reihe von sinnstörenden Druck- und Lesefehlern“ auch noch in der zweiten Auflage stehen geblieben seien. (Hintze, Max Webers Soziologie (wie oben, S. 109, Anm. 24), S. 87 f.).
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„[…] die Korrekturarbeit des Herrn Dr. Palyi scheint nach der technischen Seite unter keinem glücklichen Stern zu stehen“. Brief von Werner Siebeck an Marianne Weber vom 30. August 1922, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446.
31
Neben den Schwierigkeiten, die die Setzer mit der Entzifferung der Vorlagen hatten, gab es noch eine andere Fehlerquelle. Wie wir aus dem oben zitierten Brief Marianne Webers vom 25. März 1921 erfahren, mußten noch einige Seiten aus dem nachgelassenen Manuskript „abdiktiert“ werden, bevor sie an den Verlag abgingen. Eine Verschreibung, die ebenso in den „Religiösen Gemeinschaften“ (S. 383) wie in „Staat und Hierokratie” (WuG1, S. 802) vorkommt: „Acta di Calimala“ statt richtig „Arte di Calimala“, Brief von Oskar Siebeck an Marianne Weber vom 22. September 1922, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446.
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muß daher nicht unbedingt auf einem Fehler des Setzers, sondern kann auch auf einem mißverstandenen Diktat beruhen, das selber nicht mehr mit der Handschrift kollationiert worden ist. Der Abschnitt 11 der „Religiösen Gemeinschaften“ weist eine große Anzahl von parallelen Ausführungen mit dem WuG1-Kapitel „Staat und Hierokratie“ (MWG I/22-4) auf, besonders auf den Seiten WuG1, S. 800, 802 und 811. S. 382–384 der „Religiösen Gemeinschaften“ liest sich wie eine Doublette von WuG1, S. 802.
[111]Nimmt man an, daß Weber aus dem Abschnitt 11 der „Religiösen Gemeinschaften“ Teile entnommen hat, um die „Zwischenbetrachtung“ fertig zu stellen, könnte dies eine Textlücke in Abschnitt 12 erklären. Abrupt beginnt der Abschnitt mit dem Satz: „Die dritte in gewissem Sinn ‚weltangepaßte‘, jedenfalls aber ,weltzugewendete‘, nicht die ,Welt‘, sondern nur die geltende soziale Rangordnung in ihr ablehnende Religion ist das Judentum in seiner uns hier allein angehenden nachexilischen, vor allem talmudischen Form, über deren soziologische Gesamtstellung bereits früher einiges gesagt wurde“.
33
Nach dem Judentum spricht Weber vom Islam, um sich dann den weltablehnenden Religionen von Buddhismus und dem alten Christentum zuzuwenden. Es fehlen offensichtlich Konfuzianismus und Hinduismus: die Teile, die für die anstehenden Aufsätze über die „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ relevant waren und die Weber dafür entnommen haben könnte.[111] Vgl. unten, S. 414.
34
Auch am Ende ist der Abschnitt unvollständig. „Nach Notizen im Manuskript sollte dieser Abschnitt weitergeführt werden“, teilten die Erstherausgeber mit. Wolfgang Schluchter konstatierte: „Es fehlt der Text oder Textteil, den Weber bei der Umarbeitung der Studien über Konfuzianismus und Hinduismus mit einarbeitete“. (Schluchter, Religion und Lebensführung II, S. 280).
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Unten, S. 447, Anm. h.
Zu dieser Edition
Der Edition von Max Webers „Religiöse Gemeinschaften“ liegt, von einem Handschriftenfragment abgesehen,
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ein Text zugrunde, der im Zweiten Teil der Erstauflage von „Wirtschaft und Gesellschaft“ als Kapitel IV unter dem Titel „Religionssoziologie. (Typen religiöser Vergemeinschaftung.)“ im Grundriß der Sozialökonomik, Abteilung III: Wirtschaft und Gesellschaft. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1921/22, S. 227–363 (A), posthum veröffentlicht wurde. Dieser Band wurde in vier Lieferungen publiziert. Die zweite Lieferung vom Oktober 1921 enthielt die Seiten 227 bis 356, Vgl. den Faksimile-Abdruck und die Transkription, unten, S. 449 f.
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den weitaus größten Teil der „Religiösen Gemeinschaften“. Die letzten sieben Seiten von Abschnitt 12 (Die Kulturreligionen und die „Welt“, WuG1, S. 357–[112]363) erschienen erst mit der dritten Lieferung Vgl. den Brief von Oskar Siebeck an Marianne Weber vom 19. September 1919: „Sodann übergebe ich Ihnen in der Anlage einen Revisionsbogen der letzten 6½ Seiten der Religionssoziologie. Erst jetzt sehe ich, dass dieser Abschnitt eigentlich nicht ganz vollständig ist und das bestärkt mich in meiner Auffassung, dass ein Abbrechen der 2. Lieferung mit Seite 356 durchaus unbedenklich ist“. (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446).
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1922. Das zum Schluß gedruckte Inhaltsverzeichnis der Erstauflage des Bandes folgte dem der zweiten Lieferung und gab fälschlicherweise für die gesamte „Religionssoziologie“ die Seiten 227 bis 356 an. Tatsächlich hätte es aber 227 bis 363 heißen müssen. Die Zwischenüberschriften zu den Abschnitten 1–12 werden aus der Erstausgabe von „Wirtschaft und Gesellschaft“ übernommen. Ist die Authentizität nicht gesichert, so erfolgt die Wiedergabe in eckigen Klammern.[112] Vgl. den Brief von Oskar Siebeck an Marianne Weber vom 19. Oktober 1921: „Ich bitte es mir daher nicht als pedantischen Eigensinn auszulegen, wenn ich mit Bedacht daran festhalte, dass der Anschluss der Religionssoziologie bis zur 3. Lieferung zurückgehalten wird“. (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446).
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Auf die Wiedergabe der Inhalts- und Seitenübersichten, wie sie sich in der Erstausgabe von „Wirtschaft und Gesellschaft“ zu einzelnen Abschnitten finden, wird in der vorliegenden Edition verzichtet, da sie als nicht Weber-authentisch anzusehen sind. Vgl. unten, S. 121 mit Anm. b.
40
Im textkritischen Apparat erfolgt jedoch ein Hinweis auf diese Übersichten der Erstausgabe. Vgl. oben, S. 108 f.
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Vgl. unten, S. 121, Anm. b; S. 161, Anm. h; S. 177, Anm. k; S. 194, Anm. u; S. 218, Anm. m; S. 290, Anm. k; S. 305, Anm. o; S. 367, Anm. k und S. 414, Anm. I.
Die Edition versieht den Text mit Erläuterungen. An zahlreichen Stellen verwendet Weber in seiner Darstellung biblische Metaphern, Gleichnisse, Sprüche.
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Diese Quellen werden genannt und auch anderes Bildungsgut sichtbar gemacht. Andere Erläuterungen hängen mit dem Umstand zusammen, daß dieser Text, der aus Webers religionswissenschaftlichen Studien von 1911 bis 1913 hervorgegangen ist, nach dem Urteil seines Verfassers nicht druckreif war. Wie oben dargestellt, wollte Weber ihn erst nach gründlicher Überarbeitung, die nicht nur die Form, sondern auch den Inhalt der Ausführung betroffen hätte, publizieren. Besondere Schwierigkeiten und Anforderungen ergeben sich aus dem Fehlen von Literaturangaben, die Weber dem Text vorangestellt hätte. Um ein naheliegendes Mißverständnis auszuschließen: Es konnte nicht das Ziel der Erläuterungen sein, alle Ausführungen Webers auf die von ihm benutzten Quellen zurückzuführen. Die Edition beschränkt sich auf folgendes: Weber macht regelmäßig Aussagen, die sich direkt oder indirekt, befürwortend oder ablehnend auf Positionen der damaligen Forschung bezogen. An derartigen Stellen besteht Erläuterungsbedarf. Man muß mehr von diesen Positionen wissen, um Webers Text vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Religionswissenschaft und Religionsgeschichte verstehen zu können. Durch eine Rekonstruktion von [113]Webers eigener Einordnung in den wissenschaftlichen Erörterungskontext der damaligen Zeit soll seine Theorie und Darstellung religiöser Gemeinschaften dokumentiert werden. Dieser Ausgangspunkt der Literaturrecherchen bestimmt die Erläuterungen des Textes in dieser kritischen Edition. Die Auflösung erfolgt nach: Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments, nach der deutschen Übersetzung D. Martin Luthers. – Berlin: o.V. 1899.
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[113] Johannes Winckelmann hat die Texte aus „Wirtschaft und Gesellschaft“ mit „textkritischen Erläuterungen“ versehen. Diese sind jedoch weder systematisch angebracht noch bleiben sie im Zeithorizont von Weber (Vgl. Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5., revidierte Aufl. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1976. Die Seiten 69–105 beziehen sich auf die „Religiösen Gemeinschaften“). Die amerikanische Übersetzung von „Wirtschaft und Gesellschaft“ bietet eine partielle Kommentierung des Textes „Religiöse Gemeinschaften“. (Weber, Max, Economy and Society. An Outline of Interpretive Sociology, edited by Guenther Roth and Claus Wittich, vol. 2. – New York: Bedminster Press 1968, S. 399–634).
Noch ein Wort dazu, wie das geschieht. Weber nennt in seinem Text einige Male wissenschaftliche Autoren namentlich.
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Aber nur bei der Nennung von Kurt Breysig gibt er auch einen Hinweis auf den Titel der Publikation. Vgl. das Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur (unten, S. 505–507).
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Ansonsten muß man aus dem Kontext oder aus anderen Zusammenhängen erschließen, um welche Schriften es sich handelt. Da Weber aber nicht wörtlich zitiert, begnügt sich die Edition damit, Publikationen der genannten Autoren, in denen die entsprechenden Aussagen vorkommen und die Weber im Blick auf Zeit und Verbreitung kennen konnte, nachzuweisen. In vielen Fällen aber bezieht Weber Stellung zu religionswissenschaftlichen Kontroversen oder Auffassungen, ohne Autoren zu nennen. Hier identifiziert die Edition Autoren und Publikationen, die die von Weber vorausgesetzte Position vertreten. „[…] die Frage der ,Heilbringer‘, welche Breysig s. Zt. angeschnitten hat“ (unten, S. 177). Gemeint ist Breysig, Kurt, Die Entstehung des Gottesgedankens und der Heilbringer. – Berlin: Georg Bondi 1905.
Transkriptionen griechischer, hebräischer und arabischer Wörter und Namen werden in der Herausgeberrede entsprechend der vierten, seit 1998 erscheinenden Auflage der RGG vorgenommen.