[1]Einleitung
1. Abschied von „Wirtschaft und Gesellschaft“? S. 1. – 2. Die Entwicklung von Max Webers Beitrag „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“ zum Grundriß der Sozialökonomik während der Kriegszeit, S. 5. – 3. Die Rückkehr an die Universität und das Eintreten für ein ‚hybrides‘ Fach, S. 18. – 4. München – die Konzentration auf das Werk, S. 27. – 5. Soziologie, wie Max Weber sie nicht betreiben will, S. 30. – 6. Methode und allgemeine Grundbegriffe der verstehenden Soziologie (Kapitel I), S. 36. – 7. Besondere Grundbegriffe der verstehenden Soziologie (Kapitel II bis IV), S. 40. – 7.1. Die Typen der Herrschaft (Kapitel III), S. 41. – 7.2. Stände und Klassen (Kapitel IV), S. 48. – 7.3. Soziologische Grundkategorien des Wirtschaftens (Kapitel II), S. 52. – 8. Soziologische Typisierung und dynamische Analyse, S. 69. – 9. Aktuelle Bezüge, S. 71. – 10. Schlußbemerkung, S. 76.
1. Abschied von „Wirtschaft und Gesellschaft“?
In den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts begann man „Abschied von Wirtschaft und Gesellschaft“ zu nehmen. Mit diesem provokativen Titel seines Aufsatzes leitete Friedrich H. Tenbruck die Debatte um die angemessene Edition des einen der beiden Hauptwerke Max Webers ein.
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Bis dahin war man der zuerst von Marianne Weber vertretenen These gefolgt, „Wirtschaft und Gesellschaft“ sei ein Buch in Teilen, einer These, die aber erst Johannes Winckelmann, nach sorgfältiger editorischer Arbeit und in kritischer Auseinandersetzung mit Marianne Webers Ausgaben, konsequent umsetzte.[1]Tenbruck, Friedrich H., Abschied von Wirtschaft und Gesellschaft, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 133, 1977, S. 703–736. Zuvor schon ders., Das Werk Max Webers, in: KZfSS, Jg. 27, 1975, S. 663–702. Als das andere Hauptwerk können die Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie gelten (MWG I/19, I/20 und I/21). Tenbruck hatte behauptet, die Bände über die Wirtschaftsethik der Weltreligionen enthielten Max Webers Hauptwerk, nicht aber Wirtschaft und Gesellschaft. Gegenargumente, basierend auf der Komplementaritätsthese, sind entwickelt in: Schluchter, Wolfgang, Die Religionssoziologie. Eine werkgeschichtliche Rekonstruktion, in: ders., Religion und Lebensführung, Band 2. – Frankfurt a.Μ.: Suhrkamp 1988 (hinfort: Schluchter, Lebensführung II), S. 557 ff., insbes. S. 588 („Die Komplementarität der beiden Großprojekte“).
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Seine Edition der 4. Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft“ aus dem Jahre [2]1956 galt als maßgeblichDies betraf außer der Textkritik besonders die Komposition und innere Kohärenz des zweiten Teils.
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und war auch die Grundlage für Übersetzungen.[2] Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Mit einem Anhang: Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik, 4., neu hg. Aufl., besorgt von Johannes Winckelmann, 2 Halbbände. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1956. Die Unterteilung in Halbbände fällt nicht mit der Unterteilung in „Teile“ zusammen.
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Mit der 4. Auflage sei der Absicht, welche Max Weber mit diesem Werk verband, endlich entsprochen, und dies war nicht nur die Überzeugung von Johannes Winckelmann, sondern auch der meisten, die sich für Webers Werk interessierten. Die 5. Auflage 1976, gegenüber der 4. Auflage revidiert und von einem eindrucksvollen Ergänzungsband mit „textkritischen Erläuterungen“ von über 300 Seiten begleitet, vervollständigte und festigte dieses Bild. Dies gilt vor allem für die von Guenther Roth und Claus Wittich besorgte erste vollständige englischsprachige Ausgabe, die in enger Abstimmung mit Johannes Winckelmann erfolgte, was auch Rückwirkungen auf dessen 5. Auflage hatte. Vgl. Weber, Max, Economy and Society. An Outline of Interpretive Sociology, ed. by Guenther Roth and Claus Wittich, 3 vols. – New York: Bedminster Press 1968; dazu auch das „Preface to the 1978 Re-Issue" zur Paperback-Ausgabe (dass., 2 vols., Berkeley, Los Angeles, London: University of California Press 1978, S. XXIX-XXX), in dem die Zusammenarbeit mit Johannes Winckelmann noch einmal unterstrichen wird (ebd., S. XXIX). Interessanterweise hielten Roth und Wittich zwar an der Zweiteilungsthese fest, druckten aber Auszüge des Kategorienaufsatzes im Anhang mit ab (Weber, Economy and Society III, S. 1375–80), zeigten also ein Gespür für die Veränderung der Begrifflichkeit zwischen dem „ersten“ und dem „zweiten Teil“.
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Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5., revidierte Aufl., mit Textkritischen Erläuterungen hg. von Johannes Winckelmann. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1976, zwei Halbbände und ein Erläuterungsband.
Friedrich H. Tenbrucks Provokation zeitigte freilich langfristige Wirkung. Sie forderte natürlich auch Johannes Winckelmann selbst heraus. In einer groß angelegten Untersuchung über die Werkgeschichte suchte er seine Edition zu verteidigen.
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Er machte zwar Konzessionen beim Titel – statt „Wirtschaft und Gesellschaft“ jetzt „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“ –, nicht aber bei der Behauptung, Webers Hauptbeitrag zum „Grundriß der Sozialökonomik“ sei ein Buch in zwei Teilen. Der erste, zeitlich spätere Teil enthalte eine „umfassende, wenngleich unvollendet gebliebene, klassifikatorische Kategorienlehre“, in der die „allgemeinsten Kategorien der Gesellschaftswissenschaft“ entwickelt würden, von den „minima socialia“ bis zu den „umgreifenden“ Vergemeinschaftungen und Vergesellschaftungen; der zweite, zeitlich frühere Teil bestehe aus den „konkret-empirischen Analy[3]sen der gesellschaftlichen Sonderformen“, aus den Sachanalysen. Winckelmann, Johannes, Max Webers hinterlassenes Hauptwerk. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1986.
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Der erste Teil sei typologisch, der zweite bestehe in der Darstellung historischer Entwicklungen. Aber dem unbefangenen und aufmerksamen Leser mußte unabhängig von Tenbruck schon an der 4. Auflage auffallen, daß dies nicht stimmen konnte, weil beide Teile mehr oder weniger typologisch angelegt sind, weil Weber in beiden Teilen teilweise dieselben Problemfelder behandelt und weil er dabei verschiedene Grundbegriffe verwendet: Im ‚früheren Teil‘, wenn auch nicht durchgängig, die Begriffe des Kategorienaufsatzes aus dem Jahre 1913,[3]Dazu das Vorwort zur fünften Auflage (Sommer 1976) und das Vorwort zur vierten Auflage (Sommer 1955), beide von Johannes Winckelmann, abgedruckt in der fünften Auflage, S. XIff. bzw. S. XXVff., hier S. XVIf. und S. XXV.
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im ‚späteren Teil‘ von 1919/20 die „Soziologischen Grundbegriffe“.Weber, Kategorien, S. 253–294. In der erläuternden Fußnote zum Titel heißt es: „Der zweite Teil des Aufsatzes ist ein Fragment aus einer schon vor längerer Zeit geschriebenen Darlegung, welche der methodischen Begründung sachlicher Untersuchungen, darunter eines Beitrags (Wirtschaft und Gesellschaft) für ein demnächst erscheinendes Sammelwerk dienen sollte und von welcher andre Teile wohl anderweit gelegentlich publiziert werden.“ Ebd., S. 253, Fn. 1.
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Diese konnten also im ‚früheren Teil‘ gar nicht auftauchen und deshalb auch nicht die begriffliche Grundlegung für diesen sein. Dazu unten, S. 147–215.
Auch eine genauere Prüfung der Werkgeschichte weckte Zweifel an der These von einem Buch in zwei Teilen. Diese Zweifel wurden in einer Beratungsvorlage für die Erarbeitung einer Editionsstrategie im Rahmen der Max Weber-Gesamtausgabe ausführlich dargelegt.
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Nach eingehender Diskussion entschieden sich die Herausgeber der Max Weber-Gesamtausgabe, bei der Neuedition von „Wirtschaft und Gesellschaft“ nicht Johannes Winckelmann zu folgen, sondern von der von ihm so eindrucksvoll entwickelten und perfektionierten These von einem Buch in zwei Teilen Abschied zu nehmen. Es war freilich, um einen Aufsatztitel von Guenther Roth zu variieren, ein [4]Abschied mit Wiedersehen.Schluchter, Wolfgang, ‚Wirtschaft und Gesellschaft‘. Das Ende eines Mythos, in: Schluchter, Lebensführung II (wie oben, S. 1, Anm. 1), S. 597 ff. Inzwischen wurden die damaligen Argumente weiter vertieft und mit Quellen untermauert in: Schluchter, Entstehungsgeschichte, in: MWG I/24, S. 1–131, insbes. „II: Von ‚Wirtschaft und Gesellschaft' über ‚Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte' zur ‚Soziologie': Max Weber als Autor des Sammelwerks“. S. 47 ff. Der Unterschied zwischen den Editionsstrategien von Marianne Weber und Johannes Winckelmann einerseits und denen der Herausgeber der Max Weber-Gesamtausgabe andererseits ist in „III. Die Editionen von ‚Wirtschaft und Gesellschaft'“, ebd., S. 93 ff., dargelegt. Zu den Entscheidungen der Herausgeber ebd., S. 109 ff. Vgl. auch „Zur Edition von ‚Wirtschaft und Gesellschaft'. Allgemeine Hinweise der Herausgeber der Max Weber-Gesamtausgabe“, oben, S. VII-XVII, einen Text, der allen Bänden und Teilbänden der neuen Edition von Webers Hauptbeitrag zum „Grundriß der Sozialökonomik“ beigegeben ist.
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„Wirtschaft und Gesellschaft“ ist zwar kein Buch in zwei Teilen, wohl aber ein Projekt in zwei Fassungen, einer Vorkriegsfassung, die noch einmal in sich ,Bearbeitungsstufen‘ aufweist, von 1909/10 bis 1914 entstanden, und einer Nachkriegsfassung, vermutlich hauptsächlich 1919/20, teilweise auf der Grundlage der Vorkriegsmanuskripte, verfaßt.[4]Roth, Guenther, Abschied oder Wiedersehen? Zur fünften Auflage von Max Webers ‚Wirtschaft und Gesellschaft', in: KZfSS, Jg. 31, 1979, S. 318–327.
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Dies ist das Wiedersehen, das die Max Weber-Gesamtausgabe bietet, allerdings unter einem veränderten Titel. Denn auch der Titel „Wirtschaft und Gesellschaft“ stimmt für die Nachkriegsfassung nur bedingt. Die Herausgeber der Max Weber-Gesamtausgabe haben angesichts dieser Lage vier Folgerungen gezogen: die Vorkriegsfassung von der Nachkriegsfassung auch äußerlich deutlich zu trennen (MWG I/22-1 bis 5 für die Vorkriegsfassung, MWG I/23 für die Nachkriegsfassung), die Vorkriegsfassung vor die Nachkriegsfassung zu stellen und für die Nachkriegsfassung den Zusatztitel „Soziologie“ zu wählen, um beide Fassungen von „Wirtschaft und Gesellschaft“ auch im Titel zu unterscheiden („Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“ für die Vorkriegsfassung, „Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie“ für die Nachkriegsfassung.)Man muß allerdings den Begriff Nachkriegsfassung cum grano salis nehmen. Wir wissen nämlich nicht genau, wann Weber mit der Niederschrift dieser Fassung begann. Dazu auch der Editorische Bericht, unten, S. 79.
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Die vierte Folgerung besteht darin, als zu edierenden Text der Nachkriegsfassung die „1. Lieferung“ von „Wirtschaft und Gesellschaft“ zu verwenden, die Max Weber selbst noch korrigierte und teilweise für den Druck freigab. Auf eine lieferungsweise Veröffentlichung des Werkes hatten sich Max Weber und der Verleger Paul Siebeck vertraglich geeinigt. Die „1. Lieferung“ erschien im Februar 1921, noch bevor Marianne Weber diese um drei weitere Lieferungen aus dem Nachlaß ergänzte und man alle vier Lieferungen schließlich zur 1. Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft“ zusammenband.Dies wird auch durch die Verlagsankündigung von Webers Beitrag für den Grundriß der Sozialökonomik vom April 1920 bestätigt. In den „Neuigkeiten“ des Verlags heißt es: „III. Abteilung: Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie. Von Max Weber.“ Dazu auch Editorischer Bericht, unten, S. 79 ff.
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[5]Wie ist diese neue Fassung entstanden und worin unterscheidet sie sich von der alten? Diesen beiden Fragen wenden wir uns nun zu. Bei der Datierung der Lieferungen gibt es eine Diskrepanz zwischen den Daten, die sich aus dem Briefwechsel zwischen dem Verlag und Marianne Weber ergeben, und denen, die im Börsenblatt des deutschen Buchhandels aufgeführt sind. Nach dem Börsenblatt erschien die 1. Lieferung erst am 17. März 1921, nach dem Briefwechsel bereits im Februar. Die „2. Lieferung“ erschien laut Börsenblatt im Dezember 1921, laut Briefwechsel bereits im November 1921, die „3. Lieferung“ laut Börsenblatt im Juni 1922, laut Briefwechsel bereits im Mai 1922. Noch deutlicher ist die Diskrepanz bei der „4. Lieferung“. Sie ist laut Börsenblatt erst im Dezember 1922 erschienen, laut Briefwechsel aber bereits im September 1922. Die vier Lieferungen wurden dann zur 1. Auflage zusammengebunden und mit dem bei den Grundrißbänden üblichen Einband versehen. Marianne Weber hatte zuvor mit dem Verlag vertraglich ver[5]einbart, die Abteilung III des Grundrisses der Sozialökonomik, die sich ursprünglich Max Weber und Eugen von Philippovich teilen sollten, ganz für die Texte Max Webers zu reservieren, den Abteilungstitel „Wirtschaft und Gesellschaft“ als Beitragstitel zu verwenden und die „1. Lieferung“ mit „Erster Teil“ zu bezeichnen. Dazu ausführlich: Schluchter, Entstehungsgeschichte, in: MWG I/24, S. 97 ff. und Dokument Nr. 19, ebd., S. 227 ff. Marianne Weber stellte der „2. Lieferung“ ein Vorwort voran, in dem sie ihre Sicht der Sachlage wie folgt darstellt: „Die in dieser [gemeint ist die „Zweite Lieferung“, W.S.] und den beiden folgenden Lieferungen erscheinende Fortsetzung von ‚Wirtschaft und Gesellschaft' fand sich im Nachlaß des Verfassers. Diese Schriften sind vor dem Inhalt der ersten Lieferung: der systematischen soziologischen Begriffslehre fixiert, wesentlich, d. h. bis auf einige später eingeschobene Ergänzungen in den Jahren 1911–13. Der systematische Teil, der vermutlich noch fortgeführt worden wäre, setzte ja für den Forscher die Bewältigung des empirischen Stoffs, den er in eine möglichst prägnante soziologische Begriffslehre einbauen wollte, voraus; dagegen wird deren Verständnis und Aufnahme für den Leser wesentlich erleichtert durch die mehr schildernde Darstellung soziologischer Erscheinungen. Auch in diesen Teilen, die als ‚konkrete‘ Soziologie im Unterschied zur ‚abstrakten' des ersten Teils bezeichnet werden könnten, ist der riesenhafte historische Stoff schon ‚systematisch', d. h. im Unterschied zu bloß schildernder Darstellung, durch ‚idealtypische' Begriffe geordnet“ (Weber, Marianne, Vorwort, in: WuG1, S. III). Sie hatte also in Bezug auf den methodischen Status der ‚Teile' eine durchaus zutreffende Einsicht, zog aber daraus die falsche editorische Konsequenz. Vgl. auch unten, S. 76 f. Nach der Zusammenstellung der Lieferungen zur ersten Auflage im Jahre 1922 besorgte Marianne Weber dann eine „Zweite, vermehrte Auflage“ im Jahre 1925. Diese wurde 1947 als 3. Auflage nachgedruckt. Über die vierte und fünfte Auflage vgl. oben, S. 2, Anm. 3 und 5.
2. Die Entwicklung von Max Webers Beitrag „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“ zum Grundriß der Sozialökonomik während der Kriegszeit
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges legte Max Weber seine für eine baldige Veröffentlichung vorgesehenen wissenschaftlichen Manuskripte beiseite. Seit er im Jahre 1909 die Schriftleitung des Handbuchs der politischen Ökonomie, später: Grundriß der Sozialökonomik, übernommen hatte,
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wurden diese immer umfänglicher und thematisch weiter gespannt.Zur Entstehungsgeschichte des Sammelwerks und zu Webers ursprünglich geplanten Beiträgen dazu vgl. Schluchter, Entstehungsgeschichte, in: MWG I/24, S. 39.
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Drei Schwer[6]punkte lassen sich im Rückblick ausmachen: erste Niederschriften zu einer Soziologie der Kulturinhalte, hauptsächlich zu den rationalen Grundlagen der akkordharmonischen Musik;Es ist bemerkenswert, daß Weber, nachdem er im September 1910 mit dem „Antikritischen Schlußwort zum ‚Geist des Kapitalismus'“ (in: AfSSp, Band 31, Heft 2, 1910, S. 554–599; MWG I/9) die 1907 ausgebrochene Kontroverse um seine Studie über den asketischen Protestantismus für sich als beendet erklärt hatte, bis zum Ausbruch des Weltkriegs wenig publizierte. Die wichtigen Ausnahmen: Weber, Kategorien (1913), und Weber, Äußerungen zur Werturteildiskussion im Ausschuß des Ver[6]eins für Sozialpolitik. Als Manuskript gedruckt – o.O., 1913, S. 83–120 (MWG I/12; hinfort: Weber, Gutachten). Diese Äußerungen wurden aber nur intern verteilt.
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Skizzen über die Wirtschaftsethik der Weltreligionen, Konfuzianismus, Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Islam und Christentum umfassend; und schließlich Manuskripte für seinen Hauptbeitrag zum Grundriß der Sozialökonomik, zunächst „Wirtschaft und Gesellschaft“, dann „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“ genannt. Als Weber die Arbeit an diesen drei wissenschaftlichen Projekten einstellte, um sich einer wissenschaftsfernen Tätigkeit in der Heidelberger Lazarettverwaltung zuzuwenden, hatte er sich kurz zuvor gegenüber dem Verleger und der Leserschaft auf ein Veröffentlichungsdatum für sein drittes Projekt, seinen Hauptbeitrag zum Grundriß der Sozialökonomik, verpflichtet:Dazu Weber, Zur Musiksoziologie, MWG I/14. Marianne Weber datiert die Entstehung des musiksoziologischen Manuskripts auf „um 1910“ (Weber, Marianne, Lebensbild, S. 349). Dazu auch: Weber, [Debattenbeitrag zu:] Werner Sombart: Technik und Kultur, in: Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.–22. Oktober 1910 in Frankfurt a.Μ. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1911, S. 95– 101 (MWG I/12; hinfort: Weber, Debattenbeitrag zu Sombart).
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Dieser sollte im Frühjahr 1915 erscheinen. Doch zumindest gegenüber Paul Siebeck behielt er sich auch ein späteres Erscheinungsdatum vor.Dazu Schriftleitung und Verlag, Vorwort, in: MWG I/24, S. 164–167, hier S. 167, wo der Veröffentlichungsplan für die noch fehlenden Bücher des Grundrisses der Sozialökonomik, einschließlich Buch III, mitgeteilt ist.
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Der Ausbruch des Krieges machte diesen Zeitplan zunichte. Vor allem aber: Er zog Max Weber auch mental von diesem wissenschaftlichen Großprojekt ab. „Ich kann mich ganz unmöglich jetzt mit dem Grundriß auch nur in Gedanken befassen“, schreibt er am 3. Dezember 1914 aus dem Reservelazarett Heidelberg an seinen Verleger, und er fügt hinzu, daß angesichts der allgemeinen Lage mit einer „Lektüre des Buchs“ jetzt sowieso nicht zu rechnen sei.Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 30. Juli 1914: „Ich kann nicht garantieren, wann ich fertig bin.“ MWG II/8, S. 778.
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Der Verleger reagierte enttäuscht, denn er nahm an, Weber wolle sich von dem über lange Jahre mit viel Geduld gemeinsam betriebenen Projekt verabschieden. Daraufhin bekräftigte dieser seine gegenüber Paul Siebeck eingegangene Verpflichtung erneut: „Verehrter Freund! Werfen Sie doch nicht die Flinte so ins Korn! Der Grundriß wird gemacht. Aber es darf nicht auf die Zeit ankommen.“ Und dann, den Verleger für den unvermeidlichen Aufschub um Verständnis bittend: „[…] es ist wirklich schlechterdings unmöglich für unsereinen und die meisten unsrer Mitarbeiter, jetzt auch nur mit einem Gedanken bei dieser Sache zu sein.“Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 3. Dezember 1914, MWG II/8, S. 801.
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Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 27. Dezember 1914, MWG II/8, S. 805.
[7]Der Krieg, den Max Weber, da er Solidarität stifte,
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zunächst „bei aller Scheußlichkeit doch groß und wunderbar“ nannte,[7]Über die solidaritätsstiftende Rolle des Krieges generell die entsprechenden Passagen in der „Zwischenbetrachtung“, MWG I/19, S. 492. Hier geht es um die Fremdheit der Sphären Politik und Religion, insbesondere bei voller Rationalisierung beider, und auch darum, daß mit dem Krieg die Politik in ein direktes Konkurrenzverhältnis zur religiösen Ethik tritt: „Der Krieg als die realisierte Gewaltandrohung schafft, gerade in den modernen politischen Gemeinschaften, ein Pathos und ein Gemeinschaftsgefühl und löst dabei eine Hingabe und bedingungslose Opfergemeinschaft der Kämpfenden und überdies eine Arbeit des Erbarmens und der alle Schranken der naturgegebenen Verbände sprengenden Liebe zum Bedürftigen als Massenerscheinung aus, welcher die Religionen im allgemeinen nur in Heroengemeinschaften der Brüderlichkeitsethik ähnliches zur Seite zu stellen haben.“ (ebd.).
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dauerte länger, als er wohl erwartet hatte, und die Scheußlichkeit nahm zu.Brief Max Webers an Ferdinand Tönnies vom 15. Oktober 1914, MWG II/8, S. 799.
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Je länger aber dieser scheußliche und für Deutschland schließlich desaströse Krieg dauerte, desto intensiver engagierte sich Weber politisch, um die „entsetzliche Unfähigkeit unserer Diplomatie“, der er schon 1914 den deutschen Kriegseintritt zuschrieb, zu bekämpfen,Die Euphorie, die am Beginn des Krieges herrschte, verflog bald. Am 5. April 1916 bemerkt Weber gegenüber seiner Frau, er habe „die vielen Phrasen der ‚Ideen von 1914‘ gründlich satt“. Brief Max Webers an Marianne Weber vom 5. April 1916, MWG II/9, S. 372.
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als Redner, Berater oder Artikel- und Eingabenschreiber. Auch nach Ausscheiden aus der Lazarettverwaltung am 30. September 1915 kehrte er nicht einfach zu wissenschaftlicher Arbeit zurück. Die Soziologie der Kulturinhalte blieb in der Schublade, desgleichen der Grundrißbeitrag. Allerdings: Für die „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ nahm sich Weber neben der Politik wieder Zeit. Dies freilich nicht zuletzt auch deshalb, weil ihm von offizieller Seite keine politische Verwendung angeboten wurde, die seinen Ambitionen entsprochen hätte.Ebd. Entsprechend fallen die Urteile über die handelnden Personen aus, die Weber in seinen Briefen fällte. So heißt es z. B. in einem Brief an Franz Boese vom 27. Oktober 1916: „Bethmann ist für uns ein schlimmes Schicksal.“ „Jagow, diese blöde Null, ist unser Unstern. Der müßte fort.“ MWG II/9, S. 553. Sein Urteil über den politisch dilettierenden Kaiser ist hinlänglich bekannt.
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Immerhin profitierte diese Aufsatzfolge, die dann in die auf vier Bände angelegte Sammlung von Aufsätzen zur Religionssoziologie mündete, von diesem unfreiwilligen Verzicht. Dazu Schluchter, Einleitung, in: MWG I/17, S. 5 f.
Tatsächlich blieb Max Weber trotz seiner Leidenschaft für Politik und seiner wachsenden Sorge über den außenpolitischen Dilettantismus der Reichsspitze, der ihn zu immer heftigeren öffentlichen Interventionen bewog,
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auch während des Krieges fest bei seinen wissenschaftlichen Plänen. Unter den gegebenen Bedingungen traute er sich aber nicht mehr zu als die schrittweise Publikation seiner vergleichenden religionssoziologischen Studien in [8]Aufsatzform. Sie dienten ihm auch dazu, seine mit dem politischen Geschäft verbundenen Frustrationen auszugleichen. So heißt es, nachdem er drei Monate in Berlin vergeblich auf eine amtliche Stellung gewartet hatte, am 14. Mai 1916 in einem Brief an Marianne Weber: „Ich fühle mich so wohl und arbeitsfähig, sobald ich mit chinesischen und indischen Sachen zu schaffen habe; sehne mich sehr danach. Halb-Beschäftigung [gemeint ist: in der Politik, W.S.] ist unerträglich.“Dokumentiert in Weber, Zur Politik im Weltkrieg, MWG I/15.
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Wenig später heißt es in einem Brief an Mina Tobler: „Ich sitze täglich – jetzt wegen der Juden – auf der Bibliothek, da ich nun doch mal in der Kriegsverwaltung nicht verwendet werde.“[8]Brief Max Webers an Marianne Weber vom 16. Mai 1916, MWG II/9, S. 420. Erschwerend kam hinzu, daß Max Weber in dieser Angelegenheit in einer latenten Konkurrenz mit seinem Bruder Alfred stand, mit dessen Neigung zur Theatralik er Schwierigkeiten hatte, so daß er es vorzog, nachdem dieser erfolgreicher als er war, ihm das Feld zu überlassen. Zu Webers Haltung gegenüber dem Bruder auch ebd., S. 417, 423 ff., 426.
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Dafür mischte er sich als Privatperson in das politische Geschehen ein. Nachdem Paul Siebeck zu der Einsicht gelangt war, Max Weber werde in absehbarer Zeit zu seinem Grundrißbeitrag nicht kommen, bat er ihn, ihm wenigstens eine Separatausgabe seiner inzwischen berühmten Aufsatzfolge „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ zu gestatten. Weber hatte diese von Siebeck bereits zuvor mehrmals geäußerte Bitte stets dilatorisch behandelt.Brief Max Webers an Mina Tobler vom 11. August 1916, MWG II/9, S. 492. Weber arbeitete intensiv an seinen Studien über das antike Judentum.
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Auch diesmal ging er auf den Vorschlag nicht ein. Wohl um die Enttäuschung des Verlegers über seine Zurückhaltung in Grenzen zu halten, machte er ihm allerdings ein Angebot, das diesen offensichtlich mit der eingetretenen Situation einigermaßen versöhnte. Am 22. Juni 1915 schreibt Max Weber an Paul Siebeck: „Ich wäre bereit, dem ‚Archiv‘ eine Reihe von Aufsätzen über die ‚Wirtschaftsethik der Weltreligionen‘ zu geben, welche seit Kriegsanfang hier liegen und nur stilistisch durchzusehen sind – Vorarbeiten und Erläuterungen der systematischen Religions-Soziologie im ‚G.d.S.Ö‘. Sie müssen so erscheinen wie sie sind – fast ohne Fußnoten, da ich jetzt keinen Strich daran arbeiten kann. Sie umfassen Konfuzianismus (China), Hinduismus und Buddhismus (Indien), Judentum, Islam, Christentum. Ich schmeichle mir, daß diese Aufsätze, welche die allgemeine Durchführung der Methode in dem Aufsatz ,Protest[antische] Ethik und Geist des Kapitalismus' bringen, den betreffenden Heften s. Z. starken Absatz bringen. Später können sie ja, wenn [9]Sie dazu bereit sind, zusammen mit jenem Aufsatz gesondert erscheinen. Jetzt nicht. Denn in der jetzigen Form eignen sie sich nur für Zeitschriften-Aufsätze.“ Und weiter: „Die Aufsätze sind ziemlich umfangreich. Etwa 4 Aufsätze à 4–5 Bogen. Es wird dem G.d.S.Ö. zu Gute kommen, wenn sie bald gedruckt werden, wenigstens einige von ihnen. Denn die Darstellung im G.d.S.Ö. muß viel gedrängter und ‚systematisch‘ sein.“Der erste Vorschlag Paul Siebecks, eine Sonderausgabe der Artikel zu veranstalten, stammt vom 17. Juli 1906. Vgl. Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 24. Juli 1906, MWG II/5, S. 119, Hg.-Anm. 3. Die Verhandlungen zogen sich bis zum Mai 1907 hin, und obgleich Weber am 10. Mai 1907 versprach, jetzt an die Durchsicht des Textes zu gehen (vgl. MWG II/5, S. 300), blieb letztlich alles beim Alten. Auch spätere Versicherungen, endlich etwas in der Sache zu tun, blieben folgenlos. Näheres dazu in der Einleitung zu MWG I/9.
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[9]Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 22. Juni 1915, MWG II/9, S. 69 f.
Max Weber betont also die Komplementarität von Grundrißbeitrag und Aufsatzfolge, aber auch, daß er, jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt, weder diese Aufsätze verbessern noch an der Serie weiterarbeiten könne. Doch dies ändert sich schnell.
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Nachdem er „Einleitung“, „Konfuzianismus“ und „Zwischenbetrachtung“, mit großer Wahrscheinlichkeit in ihrer Vorkriegsfassung, im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik veröffentlicht hatte,Äußerlich war dafür wichtig, daß Weber mit Wirkung vom 1. Oktober 1915 seinen Dienst in der Heidelberger Lazarettverwaltung quittiert hatte und sich wieder anderen Aufgaben, auch politischen, zuwenden konnte. Zu dem Hintergrund des Vorgangs Weber, Marianne, Lebensbild, S. 543 f.
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entwickelte er spätestens ab 1916 die vergleichenden religionssoziologischen Skizzen auf der Grundlage der alten Manuskripte intensiv weiter. Aus den 16 bis 20 Bogen, also den etwa 250 bis 320 Seiten, von denen im Brief die Rede war, werden bis zum Ende des Weltkriegs etwa 800 Seiten im Druckspiegel des Archivs. Bis zum Abbruch der Serie im Januar 1920, als der erste Band der Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie bereits im Druck war, kommen noch einmal über 100 Seiten hinzu. Im Vergleich dazu ‚ruhten‘ die Soziologie der Kulturinhalte und der Grundrißbeitrag – aber wohl nicht die gedankliche Auseinandersetzung mit ihnen. Darauf gibt es Hinweise. So enthält die überarbeitete Fassung des Gutachtens über die Rolle der Werturteile in den Sozialwissenschaften Betrachtungen über eine empirische Soziologie der Kunst im Umfang von sechs Seiten. Diese Passagen über Architektur, Musik und Malerei verweisen auf sein andauerndes Interesse an diesem Gegenstandsbe[10]reich.Die drei Texte erschienen im 41. Band des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, der erste Artikel (Einleitung, Der Konfuzianismus I, II) ausgeliefert am 14. Oktober 1915, der zweite Artikel (Der Konfuzianismus III, IV, Zwischenbetrachtung) ausgeliefert am 23. Dezember 1915 (vgl. Editorischer Bericht, MWG I/19, S. 60 f.). Es ist deshalb nicht auszuschließen, daß Weber an diesen Vorkriegsmanuskripten bereits kleinere Veränderungen vornahm. Daß er Teile daraus während oder unmittelbar nach seinem Lazarettdienst erst schrieb, ist dagegen unwahrscheinlich. Auch in der Fußnote betont er ausdrücklich, daß die Artikel unverändert so erscheinen würden, wie vor zwei Jahren, also 1913, „niedergeschrieben und Freunden vorgelesen“ (MWG I/19, S. 83, Fn. 1). Für eine solche ‚Vorlesung‘ kommen natürlich vor allem „Einleitung“ und „Zwischenbetrachtung“ in Betracht.
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Dies gilt erst recht für den Grundrißbeitrag. Auch hier steht die gedankliche Arbeit natürlich nicht still. Dies zeigt sich zum Beispiel an dem Vortrag, den Weber im Herbst 1917 in Wien über „Probleme der Staatssoziologie“ hielt und über den ein Zeitungsbericht vorliegt. Hier wird die dreigliedrige Herrschaftstypologie, die er übrigens in der „Einleitung“ zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ zum ersten Mal öffentlich gemacht hatte, in eine viergliedrige überführt.[10]Weber, Max, Der Sinn der ,Wertfreiheit‘ der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften, in: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur, Band 7, Heft 1, 1917, S. 40–88, hier S. 68 ff. (MWG I/12).
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Die komplementären Projekte „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“ und „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ – die Soziologie der Kulturinhalte, die nicht weitergeführt werden konnte, lassen wir in der Folge beiseiteDie „Einleitung“ von 1915 enthält die erste Veröffentlichung der drei Typen der Herrschaft (MWG I/19, S. 119–126), der Vortrag in Wien den Übergang von der dreigliedrigen zur viergliedrigen Herrschaftstypologie (MWG I/22-4, S. 752–756). Die Herausgeberin Edith Hanke sieht in diesem Vortrag vom Oktober 1917 einen Anhaltspunkt dafür, daß Weber in der zweiten Jahreshälfte 1917 die Arbeit an seinem Grundrißbeitrag wieder aufnahm, ebd., S. 746.
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– entwickeln sich also, kriegsbedingt, asymmetrisch. Die Wirtschaftsethik läuft gewissermaßen voraus, der Grundrißbeitrag hängt zurück. Dies hat sicherlich auch damit zu tun, daß Weber bei der Wirtschaftsethik kein gravierendes Kompositionsproblem hatte. Hier ging es nicht um ‚Systematik‘, sondern um typologisch kondensierte historische Darstellung. Gewiß mußte er diese Darstellungsform methodisch und die Auswahl sowie die Anordnung der dargestellten Religionen systematisch begründen. Auch einige Grundbegriffe waren zu erläutern, weil der Grundrißbeitrag, dem diese Aufgabe zufiel, ja noch nicht verfügbar war. Aber dies stellte Weber vor keine großen Probleme. Sie wurden denn auch in der „Einleitung“ zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ und in der „Zwischenbetrachtung“ elegant gelöst.Weber holte das vor dem Krieg begonnene Manuskript über die akkordharmonische Musik nach dem Krieg noch einmal hervor, um über den Stoff zu dozieren. Dazu der Editorische Bericht in MWG I/14, S. 131–134. Ferner die Briefe an Marianne Weber vom 23. Juli 1919, an Else Jaffé vom 10. August 1919 und an Mina Tobler vom 16. August 1919, MWG II/10, S. 702 f., 715 und 723.
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Es ist kein Zufall, daß sie die größte Nähe zum noch unveröffent[11]lichten Grundrißbeitrag aufweisen, insbesondere zu dem Abschnitt über „Religiöse Gemeinschaften“.Weber schreibt im Januar 1916, kurz nach Erscheinen von „Einleitung“, „Konfuzianismus“ und „Zwischenbetrachtung“, an Heinrich Rickert: „Von meinem Aufsatz sollten Sie nur die ,Zwischenbetrachtung‘ – S. 387 ff. – lesen, die eine rationale ,Weltanschauungs‘-Systematik (religiösen Gepräges) als Idealtypik für meine Zwecke enthält.“ Brief Max Webers an Heinrich Rickert vom 11. Januar 1916, MWG II/9, S. 258. Jahre vorher hatte er schon Rickerts Versuch, ein System der Werte aufzustellen, kommentiert und seine „(empirische) Casuistik der Contemplation und aktiven Religiosität“, also die „Zwischenbetrachtung“, in Aussicht gestellt. Brief Max Webers an Heinrich Rickert von Ende November 1913, MWG II/8, S. 411.
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[11]Dazu die Fußnote 1 der „Einleitung“ von 1915, in der Sache 1920 nicht verändert, MWG I/19, S. 83 f. Zur ‚systematischen‘ Religionssoziologie MWG I/22-2. Die größte Ähnlichkeit besteht zwischen „11. Religiöse Ethik und ‚Welt‘“ und der „Zwischenbetrachtung“ sowie zwischen „7. Stände, Klassen und Religion“ und der „Einleitung“. Aber auch „10. Die Erlösungswege und der Einfluß auf die Lebensführung“ steht der „Einleitung“ nah.
Die „religionssoziologischen Skizzen“, wie er sie im Untertitel von 1915 noch bescheiden nannte, dienten Weber dazu, seine These aus der Aufsatzfolge „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ aus den Jahren 1904/05 in einen weiteren religionsgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen.
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Wenn man so will, steht im Mittelpunkt das dort aufgeworfene historische Erklärungsproblem. Es interessieren ihn deshalb nur jene „für die Wirtschaftsethik wichtigen Züge der Religionen“, die zum ökonomischen Rationalismus in Beziehung gesetzt werden können, und zwar, wie er präzisiert, „zum ökonomischen Rationalismus von demjenigen Typus, der den Okzident als eine Teilerscheinung der dort heimisch gewordenen Art der bürgerlichen Lebensrationalisierung seit dem 16. und 17. Jahrhundert zu beherrschen begann.“Weber begründete später seine Entscheidung, die Studien zum asketischen Protestantismus nicht, wie noch 1910 geplant, sofort weiterzuführen, unter anderem mit der Absicht, sie „ihrer Isoliertheit zu entkleiden und in die Gesamtheit der Kulturentwicklung hineinzustellen.“ Dazu wollte er „zunächst die Resultate vergleichender Studien über die universalgeschichtlichen Zusammenhänge von Religion und Gesellschaft niederschreiben.“ Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: GARS I, S. 17–206, hier S. 206, Fn. 1 (MWG I/18). Dies ist dann in Gestalt der „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ und der „Religiösen Gemeinschaften“ auch geschehen. Dazu auch die Einleitung in MWG I/18.
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Methodisch gesehen sollen diese Skizzen weder eine systematische Typologie der Religionen liefern noch rein historische Darstellungen einzelner Religionen. Vielmehr gehe es, wie schon in der Studie über den asketischen Protestantismus, um die Frage, wie eine bestimmte Religion eine Wirtschaftsgesinnung geprägt habe, also um jene Züge, „welche der einzelnen Religion im Gegensatz zu anderen eigen und zugleich für unsere Zusammenhänge wichtig sind“.Weber, Einleitung, MWG I/19, S. 117.
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Dieses Erklärungsziel erlaubte es Weber, die Religionen individuell und nacheinander zu betrachten. Daß er für die Serie die wirkungsmächtigsten Religionen wählte, hatte rein pragmatische Gründe,Ebd., S. 116.
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[12]daß ihre Anordnung mit dem Konfuzianismus beginnt und über Hinduismus und Buddhismus, Judentum und den Islam bis zum Christentum fortschreitet, besser: fortschreiten sollte,Dazu der Beginn der „Einleitung“: „Unter ‚Weltreligionen‘ werden hier, in ganz wertfreier Art, jene fünf religiösen oder religiös bedingten Systeme der Lebensreglementierung verstanden, welche besonders große Mengen von Bekennern um sich zu scharen gewußt haben: die konfuzianische, hinduistische, buddhistische, christliche, islamitische religiöse Ethik.“ MWG I/19, S. 83. Als sechste mit zu behandelnde Religion trete das Judentum hinzu, aber nicht, weil es Massen mobilisiert habe, sondern [12]wegen seiner historischen Bedeutung für Christentum und Islam. Weber nennt wohl deshalb die Serie mitunter auch „Aufsätze über die Culturreligionen", so z. B. gegenüber Werner Sombart. Brief Max Webers an Werner Sombart vom 2. Dezember 1913, MWG II/8, S. 415, Fn. 1.
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ist weder einem geographischen noch gar einem evolutionistischen Gesichtspunkt geschuldet, sondern folgt ausschließlich aus „innere[n] Zweckmäßigkeitsgründe[n] der Darstellung“.Tatsächlich kam Weber im Rahmen der Aufsatzfolge im „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ nur bis zum antiken Judentum. Da die Sammlung dieser Aufsätze und ihre Fortführung bis zum Christentum schon im Mai 1917 mit dem Verlag fest vereinbart waren, schwenkte Weber jetzt auf die Vorbereitung dieser Sammlung um. So heißt es in einem Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 24. Mai 1917: „Ich gedenke, diese Aufsatz-Serie in diesem Band abzuschließen [gemeint ist Band 44, W.S.]. Die Um- und Ausarbeitung der ersten Aufsätze für die Gesammtausgabe (wenn Sie wollen: der ‚Gesammelten Aufsätze‘, zusammen mit ‚Kapitalismus und Protestantismus') nach dem Krieg ist im Gang.“ (MWG II/9, S. 648). Weber veröffentlichte 1919 einen Gesamtplan für dieses Projekt, der tatsächlich bis zum Christentum reichte. Über Plan und Ausführung die Übersicht in: Schluchter, Wolfgang, Grundlegungen der Soziologie. Eine Theoriegeschichte in systematischer Absicht, Band 1. – Tübingen: Mohr Siebeck 2006, S. 300 f. (hinfort: Schluchter, Grundlegungen I). – Die Publikation der Serie im „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ endete allerdings nicht mit Heft 1 von Band 44, sondern zog sich noch über Heft 2 und Heft 3 sowie im 46. Band über die Hefte 1, 2 und 3 hin. Schon der zweite Artikel endet mit „Schluß folgt“, der darauf folgende dagegen mit „Fortsetzung folgt“. Das spricht nicht für den Abdruck eines abgeschlossenen Manuskripts, sondern für eine Fortschreibung nach 1917. Man muß allerdings in Rechnung stellen, daß es kriegsbedingt Schwierigkeiten mit der Papierversorgung gab und deshalb nicht alle Hefte im zunächst vorgesehenen Umfang erscheinen konnten. Übrigens fügte Weber dem ersten Abschnitt eine interessante Fußnote bei: „Die nachstehende Darstellung wird hier unter Fortlassung der Erörterung der ägyptischen, babylonischen und persischen Verhältnisse publiziert. Bei einer künftigen Sammlung und umgearbeiteten (und für China mit Quellenzitaten versehenen und ergänzten) Veröffentlichung dieser in Verbindung mit andern älteren und einigen noch unpublizierten Aufsätzen wird der fehlende Teil eingefügt werden.“ Weber, Das antike Judentum, MWG I/21, S. 234, textkritische Anm. g (= AfSSp, 44. Band, Heft 1, 1917/18, S. 52, Fn. 1).
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Diese Darstellung ist letztlich auf die religiös gezüchteten Motive der Weltbejahung oder der Weltverneinung gerichtet und, im Falle der Weltverneinung darauf, ob diese zur Weltabwendung oder zur Weltzuwendung führt. Da in der Serie dieser spezielle Gesichtspunkt betont werden soll, ist auch die ungleichmäßige typologische Darstellung der einzelnen Religionen für Weber gerechtfer[13]tigt. Das sähe bei einer Religionssystematik, einer „systematische[n] ‚Typologie' der Religionen“,Weber, Einleitung, MWG I/19, S. 119, Fn. 3. Weber betont, die behandelten Religionen seien nicht „einfach in eine Kette von Typen, deren jeder gegenüber dem andern eine neue ‚Stufe‘ bedeutet, einzugliedern. Sondern sie sind sämtlich historische Individuen höchst komplexer Art“. Ebd., S. 116.
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anders aus. [13]Ebd.
Im Unterschied zu der Aufsatzserie mußte Weber um die Kompositionsidee für seinen Hauptbeitrag zum Grundriß der Sozialökonomik offenbar lange ringen. Das zeigt sich schon daran, daß er den Titel änderte. Aus „Wirtschaft und Gesellschaft“ (1910) wurde „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“ (1914). Aber bereits 1914 stellte sich die Frage, ob nicht „Soziologie“ die angemessene Bezeichnung sei. Weber hatte gegenüber der Fachbezeichnung Soziologie zwar lange Zeit Vorbehalte, weil er sein eigenes wissenschaftliches Tun nicht mit den in seinen Augen dilettantischen Versuchen anderer auf diesem Gebiet identifiziert sehen wollte. Aber schon bei der Konzeption des Handbuchs der politischen Ökonomie im Jahre 1909 spielte das Verhältnis von Nationalökonomie und Soziologie eine wichtige Rolle,
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und schließlich gehörte er zu den Mitbegründern der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Jahre 1909, der er die Durchführung von zwei soziologischen Enqueten, über das Zeitungs- und das Vereinswesen, empfahl.Schluchter, Entstehungsgeschichte, in: MWG I/24, S. 12–14.
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Auch hatte er 1913 einen Aufsatz mit dem Titel „Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie“ veröffentlicht, wo er gegenüber der Rechtswissenschaft wie der Psychologie für eine eigenständige empirische Wissenschaft vom menschlichen Handeln eintritt.Dazu Weber, Max, Geschäftsbericht der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, in: Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.–22. Oktober 1910 in Frankfurt a.Μ. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1911, S. 39–62 (MWG I/13).
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Und im Werturteilsgutachten von 1913 ist das fruchtbare Zusammenspiel von Nationalökonomie, Soziologie und Geschichtswissenschaft ausdrücklich betont.Weber, Kategorien, S. 253–294.
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Zwar dachte er über die Leistungsfähigkeit der Soziologie im Konzert der Disziplinen auch jetzt sehr bescheiden. Dies wird besonders deutlich in einem Brief, den er im Sommer 1914 an Georg von Below schrieb. Nachdem er dessen Buch Der deutsche Staat des Mittelalters gelesen hatte, teilt er ihm mit, er wolle demnächst einen „ziemlich umfangreichen Beitrag“ über die politischen Verbände veröffentlichen, und zwar „vergleichend und systematisch“, im Rahmen einer Soziologie, „wie ich sie verstehe“.Weber, Gutachten (wie oben, S. 5f., Anm. 16). Die entsprechenden Passagen, die in der überarbeiteten Fassung von 1917 weggelassen sind, finden sich am Ende des Gutachtens. Hier heißt es unter anderem: „Denn die Nationalökonomie, speziell auch die historische, ist eine menschliches Handeln in seinen Motiven und Konsequenzen ‚verstehende‘ Wissenschaft, eben daher intim verknüpft mit der ‚verstehenden Soziologie‘.“ Ebd., S. 120.
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Er wisse, daß er sich damit dem Spott, nur Dilettanten würden vergleichen, aussetze. Aber seine Soziologie müsse eben eine [14]vergleichende Wissenschaft sein. Als Paul Siebeck im Mai 1916 wieder einmal vorfühlte, wie es denn um Webers Grundrißbeitrag, um seine Soziologie, stünde, antwortete dieser ganz in diesem neuen Verständnis: „Meine ‚Soziologie'? Du lieber Gott! Ich bin froh, wenn ich jetzt während des Krieges noch Ihnen die Aufsätze über die ,Wirtschaftsethik der Weltreligionen' so fertig stellen kann, daß sie mit der ‚Protestantischen Ethik' zusammen herausgegeben werden können!“ Und weiter: „Die Soziologie muß nach dem Krieg fertig gestellt werden. Sie wird fertig, davor haben Sie keine Angst. Aber es wäre ewig schade, sie vor der Zeit zu publizieren. Es ist sehr viel Litteratur erschienen inzwischen.“Brief Max Webers an Georg von Below vom 21. Juni 1914, MWG II/8, S. 723 f. Weber verteidigt dabei die vergleichende Betrachtung gegenüber von Below, die frei[14]lich, wie er zugibt, dem Spezialisten, dessen Gebiet dabei mit herangezogen werde, zumindest in dieser Hinsicht als dilettantisch erscheinen müsse.
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Er akzeptiert also die lange gemiedene Bezeichnung Soziologie für seine eigene Arbeit, schiebt aber ihre Veröffentlichung und damit die Demonstration ihrer Leistungsfähigkeit gegenüber anderen soziologischen Ansätzen und der Nationalökonomie weiter hinaus. Brief Max Webers an Paul Siebeck, vor dem 10. Mai 1916, MWG II/9, S. 411.
Ist der entscheidende Grund dafür tatsächlich die Notwendigkeit, weitere Literatur zu rezipieren? Das schwierigste noch zu lösende Problem scheint die Textkomposition gewesen zu sein. Vergleicht man die Disposition von 1910 („Wirtschaft und Gesellschaft“) mit der von 1914 („Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“) und diese wiederum mit den aus dem Nachlaß überlieferten Manuskripten, so gab es bei Ausbruch des Krieges nicht nur unklare Zuordnungen, sondern auch Lücken. Weber hatte eine ihn selbst überzeugende Gestaltung seines Beitrags im Jahre 1914 noch nicht erreicht. Ein Indiz dafür ist die Tatsache, daß er, als er mit einer baldigen Veröffentlichung seines Beitrags im Rahmen des Grundrisses fest rechnen mußte, auf Siebecks Bitte, für seine „Soziologie“ doch von vornherein auch eine Separatausgabe ins Auge zu fassen, äußerst zurückhaltend reagierte. So heißt es in einer Notiz: „Das möchte ich mir vorbehalten. Ich möchte diesen Abschnitt so ausgestalten, daß er in der zweiten Auflage als Separatabdruck erscheinen könnte.“
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Erst in der zweiten Auflage – was heißt dies anderes, als daß er für die definitive Gestaltung dieser Soziologie noch Zeit brauchte, daß die gedankliche Organisation des dafür herangezogenen riesigen Stoffes noch nicht abgeschlossen war? Tatsächlich zeigt ein Vergleich der Dispositionen von Webers Hauptbeitrag zu dem Sammelwerk aus den Jahren 1910, 1914 und 1920, wie stark sich im Laufe der Jahre die Kompositionsidee wandelte.Weber, Bemerkungen und Korrekturen zum Rundschreiben des Verlags über Separatausgaben von Beiträgen zum „Handbuch der Sozialökonomie“, MWG I/24, S. 191–193, Zitat: S. 193.
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Während die Disposition von 1914 aus der von 1910 gleichsam Schritt für Schritt herauswächst, gibt es 1919/20 gegenüber 1914 zwei einschnei[15]dende Veränderungen: Weber schreibt ein umfängliches Kapitel über „Soziologische Grundkategorien des Wirtschaftens“, ein Thema, das er 1914 noch stiefmütterlich behandelt hatte, und er komprimiert seine Manuskripte zu einer Soziologie der Herrschaft und plaziert sie nicht mehr, wie 1914, am Ende, als den Teil, auf den alles zuläuft, sondern zieht sie nach vorne. Er stellt sie damit gewissermaßen gleichrangig in die typologische Behandlung der Orientierungen, Beziehungen, Ordnungen und Verbände von Handlungen in universalhistorischer Perspektive, um die es in der neuen Fassung zunächst in erster Linie geht.Der Vergleich der Dispositionen findet sich unten, S. 16.
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(Siehe Übersicht 1) [15]Dies hängt auch damit zusammen, daß in der neuen Fassung im Vergleich zur alten der entwicklungsgeschichtliche Gedanke hinter den typologischen, der dynamische hinter den strukturellen Gedanken zurücktritt. In der Vorkriegsfassung hatte Weber den Übergang von den Struktur- zu den Entwicklungsformen an die Erörterung der Herrschaftsformen gebunden: „Die Erörterung der speziellen, oft höchst verwickelten Wirkungen der Bedarfsdeckung der Gemeinschaften gehört nicht in diese allgemeine, auf alles einzelne nur exemplifizierende Betrachtung. Wir wenden uns vielmehr, unter Verzicht auf jede systematische Klassifikation der einzelnen Gemeinschaftsarten nach Struktur, Inhalt und Mitteln des Gemeinschaftshandelns – welche zu den Aufgaben der allgemeinen Soziologie gehört – zunächst einer kurzen Feststellung des Wesens der für unsere Betrachtung wichtigsten Gemeinschaftsarten zu.“ Er wolle also zunächst die „allgemeinen Strukturformen menschlicher Gemeinschaften“ erörtern. Dies geschehe „nur in allgemeiner Charakteristik, während […] ihre Entwicklungsformen in einigermaßen präziser Art erst später im Zusammenhang mit der Kategorie der ‚Herrschaft‘ besprochen werden können.“ Weber, Hausgemeinschaften, MWG I/22-1, S. 114. Das sieht 1919/20 anders aus.
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Doch wir greifen vor, müssen zunächst noch zu klären versuchen, wann nach der kriegsbedingten Pause Webers Weiterarbeit an seinem Grundrißbeitrag vermutlich einsetzte. Ein erstes Indiz haben wir bereits genannt. Es ist der Vortrag über die „Probleme der Staatssoziologie“ am 25. Oktober 1917 vor der „Soziologischen Gesellschaft“ zu Wien. Hier gestaltet er seine hauptsächlich 1912/13 entworfene Herrschaftssoziologie neu, indem er sie auf das Legitimitätskriterium zentriert und den drei Typen der Herrschaft – der Herrschaft der „vereinbarten oder oktroyierten rationalen Regeln“, der Herrschaft „kraft traditioneller Autorität“ und der charismatischen Herrschaft – einen vierten hinzufügt, die demokratische Herrschaft, deren Legitimität sich aus dem Willen der Beherrschten speist.
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Diesen letzten Typus benötige man, so Weber, [17]um die modernen politischen Herrschaftsformen untersuchen zu können, die aus dem kontingenten Zusammenwirken von obrigkeitsstaatlicher Bürokratie, marktgesteuertem Kapitalismus und städtischer Autonomie hervorgegangen seien.Weber, Probleme der Staatssoziologie, MWG I/22-4, Zitate: S. 753 f. – Weber hatte zwar Ende 1913 an Paul Siebeck geschrieben, er habe „eine umfassende soziologische Staats- und Herrschafts-Lehre“ entwickelt, und hinzugefügt: „Ich darf behaupten daß es noch nichts dergleichen giebt, auch kein ‚Vorbild‘.“ Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 30. Dezember 1913, MWG II/8, S. 450. Aber die Edition der im Nachlaß gefundenen Manuskripte zeigt, daß diese bei Ausbruch des Krieges keineswegs ein kohärentes Ganzes bildeten. Weder sind die drei Typen der legitimen Herrschaft konsequent am Geltungsgedanken ausgerichtet, wie im „Eingangskapitel“ angekündigt – der Text über Bürokratismus enthält zwar alles über Organisation, aber nichts über Geltungsgründe –, noch sind die Texte über charismatische Herrschaft [17]aufeinander abgestimmt. Dazu Edith Hanke, Einleitung und Editorische Berichte zu MWG I/22-4. Zum Eingangskapitel, das relativ isoliert steht, Weber, Herrschaft, ebd., S. 127 ff., hier bes. S. 147.
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Dieser Gedanke ist neu.Laut Zeitungsbericht unterstrich Weber in seinem Vortrag die entscheidende Rolle der okzidentalen Stadt für diese Entwicklung, in interessantem Unterschied zu der Disposition von 1914, wo die Stadt noch unter dem Titel „nichtlegitime Herrschaft“ figuriert. Auch der aus dem Nachlaß veröffentlichte Text „Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft“, der nach der Herausgeberin „zwischen dem Sommer 1917 und der Neufassung von ‚Wirtschaft und Gesellschaft‘ 1919/20 entstanden“ sein dürfte (dazu MWG I/22-4, S. 722), spricht dafür, daß Weber an seiner Herrschaftssoziologie weiter feilte. Hier verwendet er übrigens bereits die Unterscheidung Vergemeinschaftung-Vergesellschaftung, wie sie dann in den „Soziologischen Grundbegriffen“ ausbuchstabiert wird. Dazu Weber, Probleme der Staatssoziologie, MWG I/22-4, S. 726-742, bes. S. 729, 734 und 739.
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Herrschaftssoziologische Betrachtungen finden sich natürlich auch in den schließlich als Broschüren veröffentlichten politischen Schriften „Wahlrecht und Demokratie in Deutschland“ aus dem Jahre 1917 und „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“ aus dem Jahre 1918, beide in MWG I/15, S. 347–396 bzw. S. 432–596, die Weber selbst aber nicht als herrschaftssoziologische Abhandlungen im Sinne seiner Soziologie, sondern als staatstechnische Schriften einstuft, die, wie es im zweiten Text heißt, keinem staatsrechtlichen Fachmann etwas Neues sagten und sich auch „nicht mit der Autorität einer Wissenschaft“ begründeten, ebd., S. 432. In diesem Zusammenhang ist auch die Broschüre „Politik als Beruf“ relevant. Zur Charakterisierung Schluchter, Einleitung, in: MWG I/17, bes. S. 18 f.
Ein zweiter Hinweis auf zumindest gedankliche Weiterarbeit am Grundrißbeitrag läßt sich Max Webers Wunsch nach einer Sammlung seiner methodologischen Schriften entnehmen. Auch er fällt in das Jahr 1917. Am 24. Mai fragt er bei Paul Siebeck an, ob außer der Sammlung religionssoziologischer Aufsätze auch die seiner „Aufsätze zur Methodologie der Sozialwiss[enschaft] (im Archiv, bei Schmoller, im Logos etc.) möglich“ wäre.
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Der Verlag zeigte sich geneigt und fragte an, ob er dabei auch an den Kategorienaufsatz aus dem Jahre 1913 denke. Weber bejahte dies, kündigte aber eine Überarbeitung an. Er wolle diesen Text „in etwas geänderter (gemeinverständlicherer) Form“ präsentieren.Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 24. Mai 1917, MWG II/9, S. 649. Max Weber wiederholt diese Frage am 8. November 1919 in einem Brief an Paul Siebeck, MWG II/10, S. 833.
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Aber es ging inzwischen wohl nicht mehr nur um die [18]Verbesserung einzelner Formulierungen, sondern um eine Neufassung der allgemeinen Grundbegriffe seiner verstehenden Soziologie selbst. Dies fiel zusammen mit dem Erfordernis, für den Grundrißbeitrag einen überzeugenden ,Kopf‘ zu formen. Denn dieser hatte bei Ausbruch des Krieges ja noch gefehlt.Brief Max Webers an Werner Siebeck vom 1. Dezember 1917, MWG II/9, S. 829. Dies war offensichtlich auch eine Reaktion auf die Rezeption, die seine damalige Veröffentlichung erfuhr. So heißt es schon Ende 1913 in einem Brief an Hermann Kantorowicz, der den Aufsatz offensichtlich kritisch kommentiert hatte: „‚Verstehende Soziologie‘ – unverständlich? und Ihnen? – ‚wenn das am grünen Holz geschieht‘ – wie miserabel muß ich formuliert haben!“ Brief Max Webers an Hermann Kantorowicz vom [18]29. Dezember 1913, MWG II/8, S. 442. Weber spielt hier auf Lukas 23, 21 an: „Wenn das an grünem Holz geschieht, was soll aus diesem werden?“
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Zur Problematik des ‚Kopfes‘ Schluchter, Entstehungsgeschichte, in: MWG I/24, S. 124 f. Ausführlich wird diese Problematik erörtert auch in meiner Auseinandersetzung mit Hiroshi Orihara, in: Schluchter, Wolfgang, Individualismus, Verantwortungsethik und Vielfalt. – Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2000, S. 179–236.
Wir können für das Jahr 1917 erkennen, daß Weber sein Grundrißbeitrag „Wirtschaft und Gesellschaft“ in Gedanken beschäftigte. Ob er allerdings auch daran schrieb, wissen wir nicht. Mit ziemlicher Sicherheit kann man es für die Jahre 1915 (Lazarettverwaltung) und 1916 (Hinduismus und Buddhismus, Judentum) ausschließen. Die Zeit von „Wirtschaft und Gesellschaft“, seiner Soziologie, kommt offenbar erst in den Jahren von 1918 bis zum Tod 1920. Weber kehrt an die Universität zurück, scheidet, nicht zuletzt wegen der gescheiterten Kandidatur für die Nationalversammlung,
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aus der ‚Politik‘ aus und konzentriert sich ganz auf die Publikation seiner beiden Hauptwerke. Diesen Entwicklungen wenden wir uns zunächst zu. Weber, Erklärung zum Scheitern der Kandidatur für die Wahlen zur Nationalversammlung im Wahlkreis 19 (Hessen-Nassau), MWG I/16, S. 152–156. Dazu Schluchter, Einleitung, in: MWG I/17, S. 19 f.
3. Die Rückkehr an die Universität und das Eintreten für ein ‚hybrides‘ Fach
Max Weber war im Laufe des Jahres 1917 wieder verstärkt in das universitäre Berufungsgeschehen verwickelt, und zwar nicht nur als Gutachter für andere, der er seit seinem Ausscheiden aus dem Lehramt oft gewesen war, sondern auch als Kandidat für eine Professur. In Heidelberg gab es die Überlegung, ihn, nach seinem Rückzug im Jahre 1903, wieder enger an die Fakultät zu binden.
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In München stand die Nachfolge von Lujo Brentano an. Bei den [19]ersten Versuchen, eine Berufungsliste zustande zu bringen, spielte auch Webers Name eine Rolle. Doch zu einer Berufung kam es zunächst nicht.Dies war wohl bereits eine Reaktion auf die Wiener Entwicklung. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Brief, den Weber am 14. November 1917 an den Hochschuldezernenten des badischen Ministeriums für Justiz und Unterricht schrieb. Darin warf er unter anderem die für ihn entscheidende Frage auf, „ob ich sachlich und persönlich richtiger tue, als Gelehrter hier zu verbleiben und möglicherweise einmal in begrenztem Umfang hier Soziologie zu lehren oder die dortige unzweifelhaft verlockende Stellung mit voller Lehrpflicht für Staatswissenschaften zu übernehmen.“ Sollte er in Heidelberg bleiben und seine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen, so wolle er mit einer zweistündigen Lehrtätigkeit beginnen und diese im Lauf der Zeit auf vier [19]Stunden erweitern. Als Vorlesungen kämen „neben der ‚Allgemeinen Soziologie': ‚Staatssoziologie’, ‚Religionssoziologie' und ‚Rechtssoziologie' in Betracht. Brief Max Webers an Victor Schwoerer vom 14. November 1917, MWG II/9, S. 809–812, hier S. 809 f. und S. 812. Weber stand ja immer noch in einem Beamtenverhältnis zum Badischen Staat, weshalb das Ministerium über die Wiener Vorgänge unterrichtet wurde. Höchst interessant ist, was die Heidelberger Philosophische Fakultät unter dem Dekanat von Eberhard Gothein über ihren in den Ruhestand versetzten Ordentlichen Honorarprofessor formulierte. Er habe epochemachende Leistungen auf dem Gebiet der Soziologie erbracht, heißt es, in einem Fach, das die Universität auszugestalten wünsche. Und weiter: „Die Wissenschaft der Soziologie oder allgemeinen Gesellschaftslehre hat im letzten Jahrzehnt einen außerordentlichen Aufschwung genommen. Sie hat sich als eine unentbehrliche Grundlegung der Volkswirtschaftslehre und der Staatswissenschaft erwiesen; sie hat reiche Früchte für Philosophie und Religionsgeschichte, wie die Arbeiten von Simmel und Troeltsch zeigen, bereits jetzt getragen. In erster Linie ist es der unermüdlichen wissenschaftlichen Arbeit von Max Weber zu danken, die unserer Universität von Neuem einen großen und dauernden Einfluß im gesamten Gebiet der Geisteswissenschaften sichert.“ Antrag von Eberhard Gothein vom 8. Oktober 1917, hier zitiert aus dem Kommentar zum oben genannten Brief, für den die Fakultätsakten ausgewertet wurden, ebd., S. 811, Hg.-Anm. 10.
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In Wien mußten die beiden Ordinariate für Staatswissenschaften wieder besetzt werden, die nach dem Tod von Eugen von Philippovich und der Ernennung von Friedrich von Wieser zum Handelsminister verwaist waren. Man suchte nach prominenten Nachfolgern, und Weber war ohne sein Zutun auch hier schnell im Gespräch. Man machte ihm ein Angebot, und er verband [20]den oben genannten Vortrag über die „Probleme der Staatssoziologie“ mit der Berufungsverhandlung. Weber schreibt am 27. Mai 1917 an Mina Tobler: „Ich bin in München an 1. Stelle vorgeschlagen“, MWG II/9, S. 652. Am 10. Juli 1917 heißt es in einem Brief an Ludo Moritz Hartmann: „Man hatte mich in München für Brentano vorgeschlagen. Aber die Regierung hat gesagt: ,als remunerierter freier Lehrer ja, als Ordinarius nein'. Als ‚freier Lehrer' aber würde ich wohl nur für Soziologie dort hin gegangen sein, weiß also nicht, ob, wenn das an mich kommen sollte, es etwas wird.“ Ebd., S. 687–689. Weber war wohl von Brentano ins Spiel gebracht worden, zusammen mit Gerhart von Schulze-Gaevernitz und Moritz Julius Bonn, nachdem eine erste Berufungsliste gescheitert war. Aber auch dies führte nicht zum Erfolg. Die Regelung der Nachfolge von Lujo Brentano war politisch höchst umstritten. Weber und Schulze-Gaevernitz galten insbesondere im konservativen Lager als wirtschaftspolitisch links stehende Kandidaten, und man berief den politisch angeblich unverdächtigen Reichsrat Prof. Dr. Georg von Schanz aus Würzburg, der aber ablehnte. Bis zu der dann doch erfolgten Berufung Max Webers im Frühjahr 1919 – dazu weiter unten – blieb Brentanos Lehrstuhl vakant. Über die verschiedenen Anläufe, Brentanos Nachfolge zu regeln, MWG II/9, S. 687 f., Hg.-Anm. 2. Brentano wollte übrigens Max Weber bereits 1904, nach dessen Ausscheiden aus dem Lehramt in Heidelberg, für den Lehrkörper der Universität München gewinnen. Dazu der Brief von Lujo Brentano an Max Weber vom 29. März 1904, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, sowie den Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 28. März 1904, BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr. 67, BI. 167–168 (MWG II/4).
Man einigte sich schließlich auf ein Probesemester und eine Ausstiegsklausel, da Weber sich seiner Leistungsfähigkeit nicht sicher war. Im Herbst 1917 verband er mit dieser Herausforderung auch eine Erwartung. Am 26. November 1917 heißt es in einem Brief an den Verleger: „Ich gehe im Sommer nach Wien, probeweise, mit Rücktrittsrecht bis Juli, falls ich die Sache dort zu strapazant und meine wissenschaftliche Arbeit schädigend finde. Ich lese: mein Buch für den Grundriß. Das wird ihm nützen und die Fertigstellung beschleunigen.“
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[20]Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 26. November 1917, MWG II/9, S. 821.
Obwohl es aus arbeitsökonomischen Gründen nahegelegen hätte, der Vorlesung die vergleichenden religionssoziologischen Studien zugrunde zu legen, an denen er ja ständig weitergeschrieben hatte, trug er wohl tatsächlich nicht daraus, sondern aus seinem ,Buch‘ vor. Darauf deutet nicht nur der Brief, sondern auch der Titel der Vorlesung hin. Weber wählte „Wirtschaft und Gesellschaft (Positive Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung)“,
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und die Klammer erinnert an die Disposition von 1910, wo der dritte Abschnitt „Wirtschaft und Kultur (Kritik des historischen Materialismus)“ lautete.Anhang zur Einleitung: Die Lehrveranstaltungen Max Webers 1918–1920, MWG III/7, S. 40.
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Das spricht dafür, daß er auch die ,Religionssystematik‘ aus „Wirtschaft und Gesellschaft“ mit heranzog, was der kurze Stimmungsbericht über die Vorlesung, den wir von Theodor Heuss besitzen, ebenfalls nahelegt.Stoffverteilungsplan für das „Handbuch der politischen Ökonomie“ Mai 1910, MWG I/24, S. 146.
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Aber er dürfte darüber hinaus auch über seine Herrschaftssoziologie, vielleicht sogar über seine Überlegungen zu einer Soziologie des Wirtschaftens gesprochen haben. Genaues freilich wissen wir nicht. Vielleicht betonte er in der Ankündigung seine Absicht, eine positive Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung vortragen zu wollen, auch deshalb, weil in Wien nicht nur die Öster[21]reichische Schule der Nationalökonomie, der er ja nahestand, sondern auch der Austromarxismus beheimatet war.Zur Stimmung während der Vorlesung die Bemerkungen von Theodor Heuss, der an mehreren Sitzungen teilnahm. Vgl. Heuss, Theodor, Erinnerungen 1905–1933. – Tübingen: Rainer Wunderlich Verlag 1963, S. 225 f. Er deutet an, daß Weber auch über Religion vorgetragen hat. Sofern dies der Fall gewesen sein sollte, konnte Weber sich natürlich auch auf seine „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ stützen. Immerhin ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, daß an dem Abschnitt „Religiöse Gemeinschaften“ aus dem Grundrißbeitrag nach Ende 1913 vermutlich keine Änderungen mehr vorgenommen wurden. Im Editorischen Bericht zu MWG I/22-2 heißt es: „Bei der editorischen Arbeit an dem Text konnte kein einziger Titel ermittelt werden, der aus dem Zeitraum nach 1913 stammt“, ebd., S. 89. Weber erklärte 1920, er wolle die systematische Religionssoziologie noch überarbeiten, Weber, Vorbemerkung, in: GARS I, S. 15 (MWG I/18). Man muß also konstatieren, daß sich die Arbeit in Wien jedenfalls in diesem überlieferten Text noch nicht niederschlug.
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„Positive Kritik“ heißt, etwas Besseres an die Stelle des Kritisierten zu setzen, ohne dessen relatives Recht gänzlich zu leugnen. Dies hatte Weber schon in seiner Studie über den asketischen Protestantismus getan.[21]Dazu zählte Max Adler. Dieser suchte eine ungewöhnliche Verbindung von Marx und Kant dadurch herzustellen, daß er die Marxsche Analyse vom Fetischcharakter der Ware und die Kantsche Analyse vom Bewußtsein überhaupt parallel setzte: Bei Marx verschleiere die Warenform die Sozialverhältnisse, indem sie diese als Sachverhältnisse erscheinen lasse, bei Kant die subjektive Ich-Form die Sozialverhältnisse, indem sie die Vergesellschaftung des Bewußtseins und damit seinen überindividuellen Charakter subjektiviere. Marx decke den Schein der Warenproduktion auf, Kant den Schein des Paralogismus. Es sei deshalb fruchtbar, beide aufeinander zu beziehen. Adler will Naturform und Sozialform transzendentallogisch begründen, um damit Natur- und Geisteswissenschaft logisch zu fundieren. Dabei geht er auch kritisch auf den südwestdeutschen Neukantianismus ein. Man könne Erkennen nicht auf ein Sollen gründen, wie es Windelband und Rickert mit ihrer Wertphilosophie täten. Den Wert der Wahrheit anzuerkennen, gehöre nicht in die Erkenntnislogik, sondern in die Erkenntnispsychologie. Denknotwendigkeit und Handlungsmöglichkeit dürfte man nicht verwechseln. Sonst komme es zu einer Überdehnung des Zweckbegriffs und der teleologischen Urteilskraft. Wer Erkennen auf Anerkennen gründe, verwische diesen Unterschied zwischen Müssen und Sollen. Dazu Adler, Max, Kausalität und Teleologie im Streit um die Wissenschaft, in: Marx-Studien. Blätter zur Theorie und Politik des wissenschaftlichen Sozialismus, hg. von Dr. Max Adler und Dr. Rudolf Hilferding, Erster Band. – Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung Ignaz Brand 1904, S. 195–433, hier vor allem S. 325 ff. und 373 ff. Weber hätte sich eigentlich für diese methodologische Position interessieren müssen, zumal Adler auch noch vom „epochemachenden“ Buch von Rudolf Stammler sprach (ebd., S. 207). Ob Weber bei Weiterführung seiner abgebrochenen Stammler-Kritik auch darauf eingegangen wäre, läßt sich nicht mehr sagen. Immerhin ging es ja auch dabei um das Verhältnis von Kausalität und Teleologie.
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Es könnte ihn also gereizt haben, seine verstehende Soziologie im Spannungsfeld von Grenznutzenlehre und transzendentaler Begründung des Sozialen zu exponieren, zwischen der Position von Menger, Böhm-Bawerk und Wieser einerseits und der von Max Adler andererseits.Weber räumte dem historischen Materialismus ein triviales Recht ein. Allerdings sei mit ihm allein, ohne Ergänzung, der historischen Wahrheit nicht gedient. Dasselbe gelte für den historischen Idealismus, den Spiritualismus. Auch im Stoffverteilungsplan von 1910 stellte er bei der beabsichtigten Behandlung des Verhältnisses von Wirtschaft und Kultur die Kritik des historischen Materialismus ins Zentrum, MWG I/24, S. 146. Ferner seine Äußerungen zum Vortrag von Werner Sombart auf dem Ersten Deutschen Soziologentag in Frankfurt a.M. 1910, Weber, Debattenbeitrag zu Sombart (wie oben, S. 7, Anm. 17).
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Daß Weber in Wien neben vielen anderen auch mit Menger, Wieser und Max Adler Kontakt hatte, ist durch den Briefwechsel bezeugt. Max Adler läßt er sogar Sonderdrucke seiner Aufsätze zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ zukommen. In seinem Brief an Marianne Weber vom 6. Juni 1918 heißt es: „Kannst Du wohl meine ,Weltreligionen‘ (alle Artikel) zusammenfinden und an Dr. Max Adler, VIII, Josefstädter Str. 43 schicken? Er ersuchte mich darum.“, MWG II/10, S. 184.
[22]Webers Auftritt an der Universität Wien war ein großer Erfolg beschieden. Aber die Lehre strengte ihn nach eigenem Bekunden übermäßig an. Noch vor Beginn der Vorlesung am 28. April 1918 schrieb er abermals an Paul Siebeck: „Hier hoffe ich nun das große Buch stark zu fördern“.
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Er sprach auch von „täglich 10 Stunden in der Bibliothek“.[22]Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 18. April 1918, MWG II/10, S. 127.
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Doch er beklagte die schlechten Bibliotheksverhältnisse, die schlampige Verwaltung und das ewige Laufen, um die Kollegen zu besuchen. Dies tat er offensichtlich sehr intensiv. Aber subjektiv war das Gefühl vorherrschend, er habe durch Krankheit und Alter seine Fähigkeit, auch Lehrer zu sein, weitgehend verloren. Er schätzte seine Leistung in der Vorlesung trotz übermäßiger Anstrengung und im Unterschied zu seinen Hörern als nur mittelmäßig ein. Am 7. Mai 1918 schreibt er an seine Frau. „Nein – ich bin für die Feder geboren, und für die Rednertribüne, nicht für [das] Katheder.“Brief Max Webers an Marianne Weber vom [14. April 1918], MWG II/10, S. 124.
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Nach dieser Erfahrung hielt er die Übernahme eines Ordinariats für Staatswissenschaften, mit Schwerpunkt Nationalökonomie und einem Lehrdeputat von 8 bis 10 Semesterwochenstunden, für ein Ding der Unmöglichkeit. Auch der gutgemeinte Versuch eines Kollegen, für ihn Sonderkonditionen zu erwirken und die Bezeichnung des Ordinariats in Gesellschaftslehre umzuwandeln, scheiterte wohl schon im Vorfeld, weil er keine Sonderkonditionen wollte. Im Übrigen hielt er dieses Fach für „noch viel zu hybrid, um als Lehrfach eines Ordinarius und vollends: als Prüfungsfach (was dann wohl die Folge sein würde) konstituiert werden zu können oder auch nur zu dürfen.“Brief Max Webers an Marianne Weber vom 7. Mai 1918, MWG II/10, S. 166.
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Wie wir sehen werden, hört sich dies freilich schon wenig später anders an. Hinzu kam die politikferne Existenz, die er in Wien führte, ja führen mußte, und die für ihn etwas Unwirkliches hatte: „Ein merkwürdiges ‚Abenteuer‘ ist so das Ganze geworden, fast unwirklich und gespenstisch, zumal auf diesem Hintergrund des Krieges, Sieges, Hungers, und aller denkbaren Außeralltäglichkeiten.“Dazu das Schreiben Max Webers an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht in Wien vom 5. Juni 1918, in dem er seine Ablehnung begründet, abgedruckt in: MWG II/10, S. 179–182, Zitat: S. 181.
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Schnell stand die Entscheidung fest: Er sagte Wien ab.Brief Max Webers an Mina Tobler vom 1. Juni 1918, MWG II/10, S. 175.
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Weber bot der Fakultät allerdings an, jedes 2. Semester 4 Stunden zu unterrichten. Dazu sein Brief an Marianne Weber vom 6. Juni 1918, MWG II/10, S. 183. Dazu kam es aber nicht.
Ob Weber dies von vornherein vorhatte, also die Wiener Alternative nie ernsthaft erwog, läßt sich im Rückblick schwer sagen. Manches im Ton des Briefwechsels spricht dafür. Freilich war mit diesem Rückzug auch nichts verloren. Denn die Angebote, an die Universität zurückzukehren, häuften sich. Nach Wien und Heidelberg kam der Vorschlag, an der Berliner Handelshoch[23]schule die Nachfolge von Werner Sombart anzutreten, dann meldete sich Frankfurt, schließlich gab es auch noch ein sehr attraktives Angebot aus Bonn. Aber auch München stand immer noch oder wieder in Aussicht, unerwarteterweise, denn die Berufung mußte inzwischen von der Revolutionsregierung ausgesprochen werden, der Kurt Eisner vorstand. Und Weber und Eisner trennte politisch begründete gegenseitige Abneigung.
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Dennoch wurde ihm überraschenderweise die Nachfolge Lujo Brentanos an der Universität München angeboten, und dies, obgleich ihn die Fakultät nicht an erster Stelle vorgeschlagen hatte.[23]Zu Eisners Haltung zur Berufung Webers der Brief von Max Weber an Carl Heinrich Becker vom 9. Februar 1919, MWG II/10, S. 435–437, zu Webers Einschätzung von Eisner der Brief an Else Jaffé vom 18. Februar 1919: „Er ist ein Demagoge ohne alles politische Gewissen.“ MWG II/10 S. 465. Ferner Editorischer Bericht zu Weber, Politik als Beruf, in: MWG I/17, S. 119 ff. und Schluchter, Wolfgang, Die Entzauberung der Welt. Sechs Studien zu Max Weber. – Tübingen: Mohr Siebeck 2009, S. 97 ff. (hinfort: Schluchter, Entzauberung).
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Am 31. Januar 1919 schreibt Max Weber an seine Mutter: „Berlin lehnte ich ab, ebenso voraussichtlich Frankfurt. Es wird wohl München werden, wenn es gesundheitlich geht.“Der Beschluß, mit Max Weber Berufungsverhandlungen aufzunehmen, wurde vom Ministerrat in Abwesenheit von Kurt Eisner am 18. Januar 1919 gefaßt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß insbesondere Edgar Jaffé als Finanzminister im Kabinett Eisner die Dinge so beeinflußte. Jaffé war gewissermaßen der Gewährsmann sowohl von Eisner wie von Weber. Eisner akzeptierte dann auch die Entscheidung seiner Kollegen, obgleich er einen linksgerichteten Kandidaten lieber gesehen hätte, aber wohl keinen vorweisen konnte. Die Berufung Max Webers löste denn auch in der linken Szene Proteste aus. Dazu: Lepsius, Einleitung, in: MWG II/10, S. 16, und der Kommentar zu Weber, Wissenschaft als Beruf, MWG I/17, S. 77, Hg.-Anm. 11 mit Verweis auf das Ministerratsprotokoll.
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Es wurde tatsächlich München, nicht zuletzt, weil ihn dies in die räumliche Nähe zu Else Jaffé brachte und auch Marianne Weber einwilligte,Brief Max Webers an Helene Weber vom 31. Januar 1919, MWG II/10, S. 418.
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vor allem aber, weil die Fachzuordnung und die Lehrbelastung seinen wissenschaftlichen Interessen entsprachen. Brief Marianne Webers an Else Jaffé vom 9. Juni 1920. Der Brief ist abgedruckt in der „Einleitung“ zu MWG II/10, S. 31.
In diesem Zusammenhang ist interessant, was Weber auf das Angebot des Unterstaatssekretärs im Preußischen Kultusministerium Carl Heinrich Becker, an der Juristischen Fakultät der Universität Bonn ein Ordinariat für Staatslehre und Politik zu übernehmen, über seine gewünschte Fachzuordnung an den Dekan der dortigen Fakultät äußert. Er könne nicht beanspruchen, Staatsrechtslehrer zu sein, obgleich er sich schon seit längerer Zeit „mit sehr umfassenden, hoffentlich bald vollendeten Arbeiten über Staatslehre (,Staats-Soziologie‘)“ befasse. Aber seine Art, die Probleme des Staates zu behandeln, passe nicht in eine Juristische Fakultät. Und weiter: „Mir liegt, wenn ich in ein akademisches Lehramt wieder eintrete, daran, die ‚Gesellschaftswissen[24]schaft‘ (Soziologie) in ihrem vollen Umkreis, vor Allem freilich die Rechts- und Staats-Soziologie, zu traktieren. Ich bilde mir thatsächlich ein, die äußerst dilettantische Art, wie diese beiden Fächer (und die Soziologie überhaupt) heute vielfach, zumal von Nicht-Juristen, aber gelegentlich auch von Juristen, behandelt und dadurch diskreditiert worden sind, durch eine schärfere und ganz klare Scheidung juristischer und soziologischer Betrachtungsweise verdrängen zu können.“
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Zu den erstgenannten dürfte er wohl Othmar Spann wegen seiner ‚organischen Soziologie‘ zählen, zu den zweitgenannten zweifellos Rudolf Stammler. Wir kommen darauf zurück. Folgerichtig stellte er vor der Rufannahme an die Universität München die Bedingung, sein Lehrauftrag müsse auf Gesellschaftswissenschaft und Nationalökonomie lauten, und er verband dies mit der Erwartung, „später ganz vorwiegend das erstere, jetzt an der Universität München ganz und gar in Verfall geratene Fach zu vertreten, die Nationalökonomie nur zur Ergänzung der beiden andren Ordinarien“.[24]Brief Max Webers an Josef Heimberger vom 5. Februar 1919, MWG II/10, S. 429.
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Später erweiterte er diese gewünschte Denomination um Wirtschaftsgeschichte, so daß der ihm übertragene Lehrauftrag „Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte, Nationalökonomie“ heißen sollte.Brief Max Webers an Franz Matt vom 2. Februar 1919, MWG II/10, S. 426.
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Dieser Wunsch wurde akzeptiert.Brief Max Webers an Franz Matt vom 19. Februar 1919, MWG II/10, Zitat: S. 466.
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Die Reihenfolge ist Programm. Max Weber wurde mit Wirkung vom 1. April 1919 „Im Namen der Regierung des Volksstaates Bayern“ gemäß Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an den Senat der Universität München „zum ordentlichen Professor der Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie in der staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität München mit einem jährlichen Gehalte von 12 500 Μ in etatsmäßiger Eigenschaft ernannt.“ BayHStA, MK 35 787. Nachdem er bereits in München lehrte, schlug er vor, zwei Ordinariate für Volkswirtschaftslehre neu zu besetzen und ihn zum Extraordinarius mit Lehrauftrag für Soziologie und Wirtschaftsgeschichte zurückzustufen. Der Plan realisierte sich nicht. Dazu Brief Max Webers an das Bayerische Unterrichtsministerium vom 13. November 1919, MWG II/10, S. 837–839. Aber der Plan zeigt, wie wichtig ihm inzwischen die Soziologie war. Dazu auch: Schluchter, Einleitung, in: MWG III/6, S. 1 ff.
Was geschah in der Zwischenzeit mit dem Grundrißbeitrag? Nach der Rückkehr aus Wien, wo er, wie gesagt, möglicherweise daran gearbeitet hatte, klagte er über große Erschöpfung und mangelnde Produktivität. Dann kam die Novemberrevolution. Weber wurde erneut tief in das politische Geschehen hineingezogen, schrieb Artikel, hielt Reden, beteiligte sich an der Ausarbeitung der neuen Verfassung, machte Wahlkampf, kandidierte für die Nationalversammlung, erfolglos, was für ihn subjektiv ein schwerer Rückschlag war. Damit trat in Webers Lebensführung „Politik als Beruf“ gegenüber „Wissenschaft als Beruf“ wieder zurück. Zugleich arbeitete er diese beiden, später berühmt gewordenen Reden für die Veröffentlichung aus, die dann [25]auch als Broschüren erschienen.
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Blieb in dieser Phase nach Wien und vor München für die intensive Arbeit an dem Grundrißbeitrag überhaupt Zeit und Kraft? [25]Ediert in MWG I/17.
Mit der Entscheidung für München trat Max Weber in eine neue, letzte Lebensphase ein, die allerdings nicht lange währen sollte.
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Sie war geprägt vom Verzicht auf politische Betätigung und der Konzentration auf das Werk. Am 18. März 1919 heißt es in einem Brief an Else Jaffé: „am ,Kolleg‘-Arbeiten bin ich schon! Alle Politik ist jetzt zu Ende.“Allgemein dazu Lepsius, Μ. Rainer, Max Weber in München: Rede anläßlich der Enthüllung einer Gedenktafel, in: ders., Interessen, Ideen und Institutionen. – Opladen: Westdeutscher Verlag 1990, S. 9–30, und ders., Münchens Beziehungen zu Max Weber und die Pflege seines Werkes, in: Ay, Karl-Ludwig und Knut Borchardt (Hg.), Das Faszinosum Max Weber. Die Geschichte seiner Geltung. – Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2006, S. 17–27. Ferner die Einleitung in MWG II/10, S. 21 ff.
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Das erwies sich freilich als voreilig, denn, nachdem er die Münchner Berufung angenommen hatte, fuhr er als Sachverständiger und als Mitglied der deutschen Delegation zu den Friedensverhandlungen des Deutschen Reiches mit den Alliierten nach Versailles.Brief Max Webers an Else Jaffé vom 18. März 1919, MWG II/10, S. 526.
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Aber Wissenschaft als Beruf und das Werk waren nun, gewissermaßen konkurrenzlos, in den Mittelpunkt getreten. Der Lehrauftrag ließ sich glücklicherweise so gestalten, daß der Grundrißbeitrag Thema und Inhalt der Vorlesungen weitgehend bestimmen konnte. Über die Belastung durch die Lehre allerdings klagt Weber ähnlich wie in Wien. Er beginnt in dem wegen der politischen Unruhen verspätet einsetzenden Münchener Sommersemester 1919 mit „Die „allgemeinsten Kategorien der Gesellschaftswissenschaft“Dazu Mommsen, Wolfgang J., Einleitung und die „Beiträge zur amtlichen Politik in den Friedensverhandlungen von Versailles“, in: MWG I/16, S. 19–33 und 285–355.
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also dem revidierten Kategorienaufsatz von 1913, wovon schon 1917 die Rede war. Es folgt im Wintersemester 1919/20 ein „Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“, der im Ausgangspunkt immerhin auf der Linie der Grundrißarbeit liegt.Im Mai 1919 herrschte in Bayern nach der Niederwerfung der Räterepublik noch der Ausnahmezustand. Der Rektor der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität, Friedrich Müller, informierte die Professoren und Dozenten in einem Rundbrief vom 28. Mai 1919 darüber, daß das Sommerhalbjahr erst am 16. Juni beginne und Ende August ende (UA München, Sen 415). Weber meldete seine Veranstaltungen dem Rektorat erst am 16. Juni 1919 (Brief Max Webers an das Rektorat der Universität München vom 16. Juni 1919, MWG II/10, S. 646). Diese finden sich deshalb auch nicht im gedruckten Vorlesungsverzeichnis, in dem man noch von einem Semesterbeginn am 6. Mai ausgegangen war. (Ludwig-Maximilians-Universität München, Verzeichnis der Vorlesungen Sommer-Halbjahr 1919. – München: J. Lindauer-M. Rieger 1919, S. 3). Weber begann mit seinem Kolleg am 24. Juni (Brief Max Webers an Marianne Weber vom 25. Juni 1919, MWG II/10, S. 663).
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Denn in der „Begrifflichen Vorbemer[26]kung“ für die Vorlesung scheint er aus Kapitel II zu schöpfen. Jedenfalls zeigt diese „Begriffliche Vorbemerkung“ im Aufbau eine große Ähnlichkeit mit den ersten 26 Paragraphen von Kapitel II.Hierzu Schluchter, Einleitung, in: MWG III/6, bes. S. 13 ff.
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Im Sommersemester 1920 folgen dann „Allgemeine Staatslehre und Politik (Staatssoziologie)“, also im Wesentlichen die Herrschaftssoziologie, an der er weitergearbeitet hatte.[26]Dazu der Vergleich der Dispositionen in MWG III/6, S.8 f. Vom zeitlichen Ablauf her gesehen könnte zwar die „Begriffliche Vorbemerkung“ der Vorlesung auch die Grundlage für Kapitel II gewesen sein. Denn die Drucklegung von Kapitel II beginnt erst nach diesem Teil der Vorlesung. Aber der Briefwechsel spricht eine andere Sprache. Danach muß Weber Ende September zumindest im Besitz eines ‚Urmanuskripts‘ über das Wirtschaften und die Wirtschaft gewesen sein. Dazu auch Editorischer Bericht, unten, S. 83.
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Daneben behandelt er den Sozialismus.Hierzu MWG III/7.
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Mitten in dieser euphorischen Arbeitsphase kommt der Tod. Die ,Bücher‘ bleiben unvollendet zurück. Zu den Lehrveranstaltungen unter Einschluß der Veranstaltungen in Wien: der Anhang zur Einleitung, in: MWG III/7, S.40 f.
Fassen wir das bisher Gesagte zusammen. Als der Krieg ausbrach, hatte Weber umfangreiche Manuskripte für eine baldige Veröffentlichung vorgesehen. Die eine Manuskriptgruppe trug den Titel „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“, die er im Rahmen des Grundrisses für Sozialökonomik veröffentlichen wollte, die andere den Titel „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen“, für die zunächst ein Beiheft des Grundrisses vorgesehen war. Beide Textkonvolute standen, wie Weber 1915 noch einmal ausdrücklich betonte, in einem komplementären Verhältnis zueinander.
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Aber sie entwickelten sich während der Kriegszeit mit unterschiedlicher Geschwindigkeit: Die Produktion der „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“, die schließlich in die auf vier Bände angelegten Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie münden sollte, schritt zügig voran, der Grundrißbeitrag, die Soziologie, dagegen hing zurück. Wenn überhaupt, brachte hier erst der Aufenthalt in Wien eine Änderung. Bei den religionssoziologischen Aufsätzen beginnt die Weiterarbeit, wie gezeigt, an der Jahreswende 1915/16. Hier sind Vorkriegs- und Nachkriegsphase kontinuierlich verzahnt. Dies ist beim Grundrißbeitrag anders. Zwar gibt es aus dem Jahre 1917 die Hinweise auf eine Erweiterung der Herrschaftssoziologie und auf die Notwendigkeit einer Revision des Kategorienaufsatzes sowie aus Wien die Mitteilung, er werde aus seinem ,Buch‘ lesen. Aber darüber hinaus bleiben die Quellen stumm. Wir besitzen keinerlei Belege dafür, daß Weber vor seiner Münchner Verpflichtung an der Revision seines Grundrißbeitrags zusammenhängend geschrieben hätte. Allerdings sprechen Umfang und Dichte des Textes, der bei Webers Tod vorlag, nicht dafür, daß dies alles in der Zeit von Juni 1919 bis Juni 1920 neben dem 1. Band der Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie entstanden ist. Weber, Einleitung, MWG I/19, S. 83 f., Fn. 1.
[27]4. München – die Konzentration auf das Werk
Am 10. Juni 1919 brach Weber sein Schweigen gegenüber Paul Siebeck, mit dem er sich seit Wien nicht mehr über seine ,Bücher‘ ausgetauscht hatte. Er teilte mit, er werde jetzt nach München übersiedeln und ihm von dort aus zusenden: „1. Wirtschaftsethik (für die S.A.)[,] 2. Anfang von ‚Wirtschaft und Gesellschaft‘ (G.d.S.Ö.)“. In sechs Wochen seien die Manuskripte beim Verlag.
1
Dann klagte er über große Akklimatisierungsschwierigkeiten, was die Abgabe der Manuskripte verzögere, doch er sei fest bei der Arbeit.[27]Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 10. Juni 1919, MWG II/10, S. 636. Mit „S. A.“ ist die Sammlung der Aufsätze zur Religionssoziologie gemeint.
2
So sandte er denn auch am 11. September die ersten Manuskripte für die Religionssoziologie an den Verlag. Die Überarbeitung des ursprünglichen Textes „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ sei abgeschlossen. Dies solle der erste Aufsatz „für die ‚Gesammelten Aufsätze zur Soziologie der Kulturreligionen‘“ sein. In acht Tagen werde der umgearbeitete Sektenaufsatz folgen. Dann kämen die Aufsätze zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“: „China (Confuzianismus) ist schon teilweise ergänzt, bedarf aber weiterer Arbeit von einigen Wochen. Indien ist so gut wie druckreif so wie es ist, nach Durchkorrektur. Dann ist ein Aufsatz einzuschieben, der noch zu schreiben ist (im Kopf fertig) über die allgemeine Grundlage der occidentalen Sonderentwicklung. Dann folgt das Judentum (ist nur durchzukorrigieren).“Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 22. August 1919, MWG II/10, S. 734. Die Aussage bezieht sich sicherlich nicht nur auf das Wetter, sondern wohl auch auf die schwierigen Lebensumstände in München im Jahre 1919. Zu diesen Lebensumständen die „Einleitung“ zu MWG II/10, S. 21 ff.
3
Am folgenden Tag teilte er mit, er werde noch eine kurze Einleitung in die Sammlung liefern.Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 11. September 1919, MWG II/10, S. 771.
4
Das erste Projekt ist also auf die Schiene gesetzt. Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 12. September 1919, MWG II/10, S. 772. Mit „Einleitung“ dürfte Weber, Vorbemerkung, in: GARS I, S. 1–16 (MWG I/18), gemeint sein.
Auch mit dem zweiten Projekt scheint Weber voranzukommen. Die neue Kompositionsidee ist gefunden, der Anfang, die „Soziologischen Grundbegriffe“, formuliert.
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Zugleich gibt Weber Auskunft über sein weiteres Vorgehen. In dem Brief vom 25. September 1919 an Paul Siebeck heißt es: „Ihrem Wunsch entsprechend schicke ich hier den Anfang des Mscr. ‚Wirtschaft und Gesellschaft‘. Grade der unmittelbar folgende Teil (‚Wirtschaftliche Grundbegriffe[‘]) bedarf noch einmal der Durchsicht, kommt also erst in einigen Wochen, bei Semesteranfang. Dann auch der dann folgende Teil (Wirtschaft und Herrschaft). Dann freilich wird das Semester in der weiteren Endredaktion [28]des dann Folgenden eine Pause herbeiführen, bis etwa Weihnachten. Ich stelle lieferungsweises Erscheinen anheim (wohl sehr zu empfehlen).“Zu den Einzelheiten der Editorische Bericht, unten, S. 79 ff.
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[28]Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 25. September 1919, MWG II/10, S. 789.
Obgleich die neue Kompositionsidee klar ist, scheint der Umfang des ‚Buches‘ noch offen. Weber schreibt am 27. Oktober an Paul Siebeck, er sitze über dem alten Manuskript, das „ganz gründlich umgestaltet werden“ müsse. Er könne ihm natürlich eine Inhaltsübersicht – wohl über das Ganze – schicken. Entscheidend aber sei: „Das Buch wird jetzt kürzer zusammengefaßt, als ursprünglich, und streng lehrbuchhaft gefaßt.“
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Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 27. Oktober 1919, MWG II/10, S. 826.
Offensichtlich hatte Weber seine Vorlesung im Sommersemester 1919 mit der Neukonzeption des Kategorienaufsatzes, mit den „Soziologischen Grundbegriffen“, bestritten (Kapitel I). Die „Wirtschaftlichen Grundbegriffe“, im Druck mit „Soziologische Grundkategorien des Wirtschaftens“ überschrieben, waren zumindest im Entwurf vorhanden (Kapitel II). Dies erklärt auch, daß er sie, wie bereits erwähnt, zu Beginn des Wintersemesters in seiner Vorlesung „Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ in Kurzform verwenden konnte.
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Mit „Wirtschaft und Herrschaft“, später „Die Typen der Herrschaft“ (Kapitel III), sind wohl die „sehr umfassenden, hoffentlich bald vollendeten Arbeiten über Staatslehre (,Staats-Soziologie‘)“ gemeint, von denen er in dem Brief an den Bonner Dekan Josef Heimberger gesprochen hatte und die er dann auch seiner Vorlesung im Sommersemester 1920 zugrunde legte.Also ab 20. Oktober, der ersten Vorlesungsstunde. Dazu der Editorische Bericht, in: MWG III/6, S. 52.
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Er hatte sie, wie ausgeführt, zuvor schon für seinen Vortrag in Wien 1917 und vermutlich auch für die Vorlesung an der Universität Wien 1918 benutzt. Die Vorlesung über Sozialismus, ebenfalls für das Sommersemester 1920 angekündigt und im Mai begonnen, gab möglicherweise auch Gelegenheit, „Stände und Klassen“ mitzubehandeln (Kapitel IV), für die er zuvor eine eigene Vorlesung vorgesehen hatte, die er dann aber der Wirtschaftsgeschichte opferte.Brief Max Webers an Josef Heimberger vom 5. Februar 1919, MWG II/10, S. 429. Dazu Hübinger, Einleitung, in: MWG III/7, S. 33–39. Der vorgetragene Stoff umfaßt bis zum Abbruch der Vorlesung nahezu ausschließlich die Herrschaftssoziologie. Da die Vorlesung aufgrund von Webers Krankheit und Tod mitten im Semester endet, muß offen bleiben, ob er noch eine Spezifikation der Herrschaftssoziologie zur Staatssoziologie vorgenommen hätte. Die in den Vorlesungsnachschriften mitgeteilte Disposition der Vorlesung (MWG III/7, S. 66 f.) schließt dies jedenfalls nicht aus.
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Der Anfang des Manuskripts mit dem im Ver[29]gleich zu 1914 neuen Aufbau stand also fest, der Umfang nicht nur des ganzen Buches, auch der einzelnen Kapitel war immer noch offen. Das zeigen die Verhandlungen über den Verlagsvertrag. Weber hatte zunächst vor, im Wintersemester 1919/20 eine Vorlesung mit dem Titel „Staaten, Klassen, Stände“ zu halten, neben einer Vorlesung „Wirtschaftsgeschichte (I. Teil)“. Jede Vorlesung sollte zweistündig sein. Er entschied sich dann aber, die erste Vorlesung fallen zu lassen und stattdessen die Wirtschaftsgeschichte unter dem Titel „Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ vierstündig zu lesen. Dazu der Editorische Bericht, in: MWG III/6, S. 49.
Nachdem Weber die ersten Manuskripte für die beiden ,Bücher‘ beim Verlag eingeliefert hatte, hielt Paul Siebeck es für angebracht, jetzt auch in ein förmliches Vertragsverhältnis darüber einzutreten. Bisher hatte die Zusammenarbeit zwischen beiden weitgehend auf mündlichen Absprachen beruht. Weber stimmte dem Abschluß von Verträgen zu, wobei er betonte, daß er diese, angesichts des Vertrauensverhältnisses zwischen ihnen, im Grunde für überflüssig halte. Bei den Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie – so jetzt der endgültige Titel – einigte man sich schnell. Beim Grundrißbeitrag dagegen mußte erst noch festgelegt werden, wie die Manuskripte, die ja überwiegend noch zu bearbeiten waren, erscheinen sollten. Man wählte, abweichend von dem im Grundriß Üblichen, die Erscheinungsweise in Lieferungen. Dies kam Webers Arbeitsweise entgegen, der ja die Gewohnheit hatte, noch während des Drucks gestaltend in seine Texte einzugreifen – was er denn auch hier wieder ausgiebig tat.
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Bei der Umfangsbestimmung der ersten Lieferung, welche die im Brief genannten Kapitel enthalten sollte, war sich Weber noch bei Vertragsabschluß, also Ende November, Anfang Dezember 1919, nicht sicher. Er schätzte zunächst den ,Rest‘ der 1. Lieferung, also die Kapitel II und III, auf etwa 5 bis 7 Bogen.[29]Dazu der Editorische Bericht, unten, S. 85 ff.
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Das hätte, zusammen mit den „Soziologischen Grundbegriffen“, etwa 7 bis 9 Bogen ergeben. Siebeck setzte in den Entwurf des Vertrags die Zahl 10. Weber korrigierte in 7 bis 10, ließ sich also einen relativ großen Spielraum. Später, in der gedruckten Fassung, wurden etwas mehr als 11 Bogen daraus.Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 8. November 1919, MWG II/10, S. 833. Ein Bogen umfaßte 16 Druckseiten. Weber ging also zu diesem Zeitpunkt noch von einer 1. Lieferung im Umfang von 112 bis 160 Seiten aus.
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Vgl. auch Editorischer Bericht, unten, S. 84 f.
Während die Genese von Kapitel I und III sowie des begonnenen Kapitels IV offen zutage liegt – aus dem Kategorienaufsatz werden die „Soziologischen Grundbegriffe“, aus „8. Die Herrschaft“der Disposition zur alten Fassung „Die Typen der Herrschaft“, aus „Stände, Klassen, Parteien“ der alten Fassung „Stände und Klassen“ –, liegt die des Kapitels II mit den soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens im Dunkeln. Wie aus dem Nichts taucht dieser kasuistisch unerhört differenzierte, mit 90 Druckseiten umfangreichste Text der Neufassung auf. Es gibt keinen erkennbaren Vorläufer in der Vorkriegsfassung und auch keinen Hinweis darauf, daß Weber nach Ausbruch des Weltkriegs an einem solchen Text gearbeitet hätte. In seinen verschiedenen Einlassungen zur Gestaltung seines Lehrauftrags sprach er zwar von [30]Staats-, Rechts- und Religionssoziologie, wofür ja auch umfangreiche Manuskripte bereits existierten, niemals aber von Wirtschaftssoziologie.
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[30]Einer der wenigen Hinweise auf eine „Wirtschaftssoziologie“ findet sich in der Fußnote, die Weber der Veröffentlichung seiner 1913 entworfenen Skizzen zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ Ende 1915 beigab. Dazu Weber, Einleitung, MWG I/19, S. 84, Fn. 1. Ob Weber ein wirtschaftssoziologisches Manuskript als Reaktion auf Wiesers Beitrag noch vor Ausbruch des Krieges begann, ist ausführlich erörtert in Schluchter, Entstehungsgeschichte, in: MWG I/24, S. 80 ff. Ferner ders., Einleitung, in: MWG III/6, S. 12 ff.
Unstrittig freilich sollte sein, daß es sich bei den Kapiteln I bis III und dem begonnenen Kapitel IV, die Weber hauptsächlich vom Sommer 1919 bis zu seinem Tod in die uns überlieferte Gestalt brachte, seinem Selbstverständnis nach um die Bausteine einer Soziologie handelt, darum, dieses ‚hybride‘ Fach endlich „streng fachlich-wissenschaftlich zu behandeln statt der Dilettanten-Leistungen geistreicher Philosophen.“
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Diese Soziologie sollte eine empirische Wissenschaft vom Handeln und als solche verstehend sein. Weber klärt also erst die methodischen Grundlagen dieser Erfahrungswissenschaft,Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 8. November 1919, MWG II/10, S. 833.
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dann den Begriff des Handelns. Darauf baut er dann seine weiteren Grundbegriffe, die allgemeinen und die besonderen, auf. Weber kommt übrigens in diesem Zusammenhang auf den Plan zurück, eine Sammlung seiner „methodologisch-logischen Aufsätze“ zu veranstalten (ebd., S. 833). Das ist zu seinen Lebzeiten nicht mehr geschehen. Erst Marianne Weber konnte diesen Wunsch ihres Mannes erfüllen, indem sie diese Aufsätze unter dem Titel Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre 1922 herausbrachte. Im Verlagsvertrag hieß es noch „Gesammelte Aufsätze zu Geschichte und Methode der Sozialwissenschaft“. Heinrich Rickert riet übrigens von „Wissenschaftslehre“ ab. Dies gemahne an Fichte, und dies bezeichne nicht, was Weber wolle. Sein Vorschlag: Gesammelte Aufsätze zur Logik der Kulturwissenschaft. Der Titel Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre stammt übrigens nicht von Marianne Weber, sondern wurde von Oskar Siebeck vorgeschlagen. Er gab dafür verlegerische Gründe an. Brief Oskar Siebecks an Marianne Weber vom 10. März 1922, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446.
5. Soziologie, wie Max Weber sie nicht betreiben will
Bevor wir uns näher mit der Anlage dieser Grundbegriffe und der darauf folgenden Kapitel beschäftigen,
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kommen wir zurück auf die Ansätze anderer, von denen Weber sich mit seiner ‚Soziologie‘ absetzen möchte. Wer ist damit gemeint? Wir haben oben schon zwei Namen genannt, Othmar Spann und Rudolf Stammler, die auch in Kapitel I zur Abgrenzung herangezogen wer[31]den. Tatsächlich stehen sie in Webers Augen für zwei Weisen, wie er Soziologie nicht betreiben will. Dabei bleibt die Druckgeschichte zunächst unberücksichtigt. Sie ist im Editorischen Bericht, unten, S. 80–93, dargelegt.
Die Kritik an Rudolf Stammler beginnt 1907
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und erstreckt sich über das Textfragment „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ und den Kategorienaufsatz von 1913 bis zu den „Soziologischen Grundbegriffen“ von 1919/20. Weber ärgert besonders, daß Stammler das Verhältnis von sozialem Leben und Recht mißversteht. Recht gelte ihm als die Form, das soziale Leben als deren Inhalt. Aber das Recht bilde nur einen Teil der Normen, an denen sich das Handeln orientiert. Ohne diese Einsicht müsse man auch das Verhältnis von Rechtswissenschaft und Soziologie von Grund auf falsch bestimmen. Weber will mit seinen 1913 entworfenen Kategorien der verstehenden Soziologie unter anderem zeigen, was Stammler „hätte meinen sollen“. Denn dieser habe „unheilvoll verwirrungstiftend“ gewirkt.[31]Es handelt sich um eine äußerst polemische Rezension der 2. Auflage von Rudolf Stammler, Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung. Eine sozialphilosophische Untersuchung. – Leipzig: Veit & Co 1906. Die im Februar 1907 erschienene Rezension, Weber, R. Stammlers ‚Überwindung‘ der materialistischen Geschichtsauffassung, in: AfSSp, Band 24, Heft 1, 1907, S. 94–151 (MWG I/7), wurde, wie die meisten methodologischen Abhandlungen Webers, nicht zu Ende geführt.
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In den „Soziologischen Grundbegriffen“ wiederholt er diese Aussage. Hier spricht er von Stammlers „stark irreführende[m] Buch“ und verweist auf seine Kritik von 1907, „welche die Grundlagen des Nachfolgenden vielfach schon enthielt“.Beide Zitate in: Weber, Kategorien, S. 253, Fn. 1.
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Die Soziologie sei eben, anders als die Rechtswissenschaft, keine normative Disziplin, die mit Kategorien der ‚Geltungssphäre‘ arbeite. Sie verwende Idealtypen, die zwar im Einzelfall durchaus nach den Kategorien der ‚Geltungssphäre‘ geformt sein könnten, aber sie erfüllten dann, wie auch die Idealtypen als „sublimierte Faktizität“, eine rein heuristische Funktion.Kap. I, Vorbemerkung, unten, S. 148.
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Weber demonstriert dies an der Rechtsregel, also an einer Norm, die man einmal unter dem Gesichtspunkt ihrer Gültigkeit, einmal unter dem Gesichtspunkt ihrer Wirksamkeit betrachten könne. Tue man das Letztere, so verwandle man die Norm in eine konventionelle Gepflogenheit. Eine Norm werde wirksam, wenn die Handelnden von ihrer Geltung überzeugt seien. Dies sei die soziologische Betrachtungsweise. Die Brücke zwischen Gültigkeit und Wirksamkeit werde mittels der Geltungsvorstellungen der Handelnden geschlagen, ohne daß deshalb die Differenz zwischen soziologischer und rechtswissenschaftlicher Betrachtungsweise verschwände. Diesen entscheidenden Sachverhalt habe Stammler verkannt. [32]In den „Soziologischen Grundbegriffen“ heißt es, die alte Kritik aufnehmend: „Bei Stammler ist nicht nur das empirische und das normative Gelten nicht geschieden, sondern überdies verkannt, daß das soziale Handeln sich nicht nur an ‚Ordnungen‘ orientiert; vor allem aber ist in logisch völlig verfehlter Weise die Ordnung zur ‚Form‘ des sozialen Handelns gemacht und dann in eine ähnliche Rolle zum ‚Inhalt‘ gerückt, wie sie die ‚Form‘ im erkenntnistheoretischen Sinn spielt (von andern Irrtümern ganz abgesehen).“Dazu Weber, Kategorien, S. 263. Weber stellt hier noch den Richtigkeitstypus, geformt auf Basis einer gültigen Norm, dem Irrtumstypus, geformt aus sublimierter Faktizität, kontrastierend gegenüber. Wir kommen darauf zurück. Diese Terminologie gibt er aber in den „Soziologischen Grundbegriffen“ auf.
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[32]Kap. I., § 5, 3, unten, S. 184 f. Weber entschuldigt sich für seine in der Form vielleicht zu scharf geratene Kritik von 1907, die aus dem Verdruß über die von Stammler angerichtete Verwirrung entstanden sei.
Die Kritik an Othmar Spann hat im Werk nicht die gleiche prominente Stellung wie diese Kritik an Rudolf Stammler. In den „Soziologischen Grundbegriffen“ scheint Weber Spann gar zu loben: Seine Arbeiten seien „oft reich an guten Gedanken“.
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Doch dieses Lob täuscht. In einem Brief an seinen ehemaligen Schüler Robert LiefmannKap. I, § 1, 9, unten, S. 166.
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heißt es, nachdem dieser Webers Abstinenz in der wirtschaftswissenschaftlichen Theoriebildung beklagt hatte: „Daß ich so wenig oder fast nichts für die Theorie habe tun können, bedaure ich selbst, aber man kann nicht alles. Es ist keine Minderschätzung der Theorie. Die anderen Dinge wollen halt auch getan sein. Gerade weil Sie mit Ihrer Kritik an Spann (diese Art von Soziologie ist mir fürchterlich, Sie werden schon [33]sehen warum!) ganz recht haben, muß man da richtig arbeiten. Das versuche ich zu tun.“Liefmann hatte sich mit einem umfangreichen theoretischen Werk, in dem er sich auch von der Österreichischen Schule absetzt, als Theoretiker unter den Nationalökonomen der Zeit zu profilieren versucht. Liefmann, Robert, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, I. Band: Grundlagen der Wirtschaft und II. Band: Grundlagen des Tauschverkehrs. – Stuttgart und Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt 1917 und 1919 (hinfort: Liefmann, Grundlagen l–ll). Er trat mit einem unmäßigen Anspruch auf und kritisierte alles und jeden. Auch die Soziologie verfiel seiner Kritik. Er bestritt die „gesamte Grundlage der bisherigen ökonomischen Theorie“ und hoffte, mit seinem Werk „die Grundlage für die ökonomische Theorie wenigstens der nächsten Jahrzehnte“ zu schaffen, verstand sich als der Ricardo des 20. Jahrhunderts (Vorwort, ebd., Band I, S. XXf.). Die „Aufstellung eines einheitlichen theoretischen Systems zur Erklärung der tauschwirtschaftlichen Erscheinungen auf psychischer Grundlage“ war sein Ziel (ebd., Band I, S. 227). Weber hatte durchaus eine gewisse Sympathie für Liefmanns Ansatz, denn dieser vertrat eine individualistische Betrachtungsweise, die, von den Bedürfnissen und Erwägungen des Wirtschaftenden ausgehend, die Beziehungen der Einzelwirtschaften im Tauschverkehr in den Mittelpunkt rückte. Bei Liefmann heißt es: „Ich will mit diesem Werke ein geschlossenes einheitliches ökonomisches System auf neuer Grundlage aufstellen, welches meines Erachtens die Hauptprobleme des Tauschverkehrs so viel besser erklärt, viele damit zusammenhängende Streitfragen so einfach löst, daß es mir berufen scheint, in absehbarer Zeit die bisherigen Systeme völlig zu verdrängen.“ Ebd., Band I, S. 223. Freilich distanzierte sich Weber von dem Psychologismus, der in Liefmanns Ansatz steckt.
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[33]Brief Max Webers an Robert Liefmann vom 12. Dezember 1919, MWG II/10, S. 862.
Warum ist Spanns Ansatz für Weber ,so fürchterlich‘, trotz mancher guter Gedanken? Das muß wohl daran liegen, daß Spann Tatsachenurteile und Werturteile ständig vermischt, das Verhältnis von Nationalökonomie und Soziologie falsch bestimmt und sich daher die Soziologie als eine übergreifende Wissenschaft vom Ganzen vorstellt. Spann hatte unter dem Titel „Wirtschaft und Gesellschaft“ eine dogmenkritische Betrachtung angestellt, die er als eine Einleitung in die Gesellschaftslehre verstanden wissen wollte. Diese Untersuchung war methodologischer Natur. Es ging Spann dabei um die Bestimmung des Verhältnisses der Wirtschaft zu den übrigen gesellschaftlichen Erscheinungen, also um die Frage, „ob das Objekt der Nationalökonomie die ganze empirische Wirtschaft in ihrem historisch-gesellschaftlichen Zusammenhange oder ein reiner, abstrakter Teil-Inhalt der Gesellschaft sei?“
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Spann nahm von diesem Ausgangspunkt aus zum Methodenstreit in der deutschsprachigen Nationalökonomie Stellung, indem er behauptete, dieser drehe sich um die falsche Frage. Nicht Induktion oder Deduktion sei das Problem, sondern das Verhältnis des Wirtschaftlichen zum Gesellschaftlichen.Spann, Othmar, Wirtschaft und Gesellschaft. Eine dogmenkritische Untersuchung. – Dresden: O.V. Böhmert 1907, S. 1.
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Die historische Schule habe das Wirtschaftliche schon immer als Teil des Gesellschaftlichen verstanden, während die theoretische Schule vom Gesellschaftlichen abstrahiere. Spann fordert, diesem Grundgedanken zu folgen und die Gesellschaft in „Objektivationssysteme“ zu zergliedern, in „Systeme gleichartiger Handlungen der Individuen und der Verhältnisse, die sich dabei ergeben“.Ebd., S. 22.
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Die Wirtschaft sei nur ein Objektivationssystem unter anderen, mit denen sie in Wechselwirkung steht. Ebd., S. 6 (im Original gesperrt).
Dies hört sich zunächst an wie Max Weber, und dieser könnte ihm wohl auch folgen, wenn bei Spann nicht ein weiterer Schritt hinzukäme. Dieser lautet: Analyse der „Funktion jedes Objektivationssystems im Ganzen der Gesellschaft“
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und Unterscheidung zwischen einem formalen und einem materialen Gesellschaftsbegriff. Denn die Konstruktion der Objektivationssysteme und ihres Verhältnisses zueinander sei ein Problem, „das vom Standpunkte der Einzelwissenschaften aus unlösbar ist, da es prinzipiell unter der Bedingung des Begriffes vom gesellschaftlichen Ganzen“ stehe.Ebd., S. 131.
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Deshalb müsse es einen doppelten Gesellschaftsbegriff geben: einen formalen, der [34]als Oberbegriff gegenüber der sozialen Erscheinungswelt diene, und einen materialen, der die aus dem Oberbegriff deduzierten Objektivationssysteme umfasse.Ebd., S. 138 (im Original gesperrt).
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[34]Ebd., S. 140.
Nach Spann hat die Soziologie also die Aufgabe, diesen doppelten Begriff von Gesellschaft als obersten Zweckbegriff der Sozialwissenschaften zu entwickeln und die Gesellschaft als „ein System funktionell ineinandergreifender Komponenten“ darzustellen.
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Sie müsse zeigen, daß die Objektivationssysteme funktionelle Teilsysteme eines Ganzen seien, die sich aus relativ selbständigen Zielen menschlichen Handelns ergeben. So sei das Ziel des Objektivationssystems Wirtschaft die Güterversorgung, das des Objektivationssystems Familie die Liebe der Geschlechter. Man sieht sofort: Bei äußeren Ähnlichkeiten zu Webers Ansatz besteht größte innere Differenz. Weber kennt keinen doppelten Gesellschaftsbegriff, ja er definiert Gesellschaft überhaupt nicht. Seine grundbegriffliche Reihe beginnt mit dem Handeln und endet mit dem Verband. Eine funktionale Analyse taugt in seinen Augen allenfalls zur Klärung einer „Vorfragestellung“. Für die eigentliche soziologische Analyse, in der es um das „Verstehen des Handelns von typisch differenzierten einzelnen Menschen“ gehe, tauge sie nicht.Ebd., S. 223 (im Original gesperrt).
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Kap. I, § 1, 9, unten, S. 166 f.
Daß Max Weber es ablehnt, den Form-Inhalt-Dualismus als konstitutiv für die Soziologie anzusehen, erklärt auch, weshalb er sich von dem Ansatz seines Freundes Georg Simmel distanzierte, dessen Arbeiten er im übrigen aufgrund ihres Gedankenreichtums außerordentlich schätzte. Simmel hatte das Eigenrecht der Soziologie im Konzert der Sozialwissenschaften damit begründet, daß sie zwar kein besonderes Objekt habe, aber eine besondere Betrachtungsweise: „Nicht ihr Objekt, sondern ihre Betrachtungsweise, die besondre, von ihr vollzogene Abstraktion differenziert sie von den übrigen historisch-sozialen Wissenschaften“, heißt es im Ersten Kapitel seiner Soziologie.
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Diese besondere Betrachtungsweise sei der Blick auf die Wechselwirkung oder Vergesellschaftung zwischen den Menschen, und zwar auf deren Form, nicht auf deren Inhalt. Nur so lasse sich eine neue Linie durch die bekannten Tatsachen legen, die von den übrigen Sozialwissenschaften bereits untersucht würden.Simmel, Georg, Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. – Leipzig: Duncker & Humblot 1908, S. 23 (hinfort: Simmel, Soziologie); eine Teilkopie des Handexemplars von Max Weber befindet sich in der Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München.
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Die Soziologie habe die Formen der Vergesellschaftung zu ermitteln, in die sich historisch variierende Inhalte fügten. Dabei lasse sich die Form verstehen als die objektive Gestaltung einer überpersönlichen Einheit. Dies [35]führe zu einer „eigentümliche[n] Verschlingung des subjektiven und des objektiven Charakters, des Persönlichen und des Überpersönlich-Generellen“, wie es Simmel an Mehrfachbeziehungen, aber auch an Zweierbeziehungen, wie etwa der Ehe, demonstriert.Ebd., S. 4 f.
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Für Simmel ist die Soziologie zwar keine allumfassende Wissenschaft wie etwa für Spann, aber er hält die Gesellschaft, besser: die Vergesellschaftung, verstanden als Wechselwirkung, für einen besonderen und zugleich leistungsfähigen Gesichtspunkt. Dies verneinte Weber schon früh. Noch vor Erscheinen von Simmels Soziologie, die dieser allerdings in Gestalt von Aufsätzen gewissermaßen vorveröffentlicht hatte, betonte Weber, die Ausweitung einer besonderen und deshalb einseitigen Betrachtungsweise zu einer allgemeinen Sozialwissenschaft kranke daran, „daß der Gesichtspunkt des ‚Sozialen‘, also der Beziehung zwischen Menschen, nur dann irgend welche zur Abgrenzung wissenschaftlicher Probleme ausreichende Bestimmtheit besitzt, wenn er mit irgend einem speziellen inhaltlichen Prädikat versehen ist“.[35]Ebd., S. 89, Fn. 2.
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Dies aber ließ Simmels formale Soziologie per definitionem nicht zu. Für Weber ist deshalb Simmels Ansatz mit drei Problemen behaftet. 1. Gesellschaft oder Vergesellschaftung (Wechselwirkung) sei kein tragfähiger Gesichtspunkt, um Soziologie als eine empirische Sozialwissenschaft zu begründen; 2. Simmels Methode verlange gerade keine strikte Scheidung zwischen dem subjektiven und dem objektiven Sinn, die er „oft absichtsvoll ineinander fließen“ lasse.Weber, Objektivität, S. 41.
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3. Simmels Ansatz trage dem historischen Gedanken nicht genügend Rechnung. Die Soziologie sei eben keine Geometrie des Sozialen, wie Simmel meine,Kap. I, Vorbemerkung, unten, S. 148.
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sondern eine historische und theoretische Sozialwissenschaft. In einem Manuskriptfragment, unter dem Titel „Georg Simmel als Soziologe und Theoretiker der Geldwirtschaft“ überliefertSimmel, Soziologie, S. 12.
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und vermutlich nach Erscheinen von Simmels Soziologie geschrieben, macht sich Weber interessanterweise sogar Argumente von Spann gegen Simmel zunutze. Jener hatte in äußerst scharfsinniger Weise sowohl die erkenntnistheoretische wie die sachliche Unzulänglichkeit des Begriffs der Wechselwirkung für die Begründung der Soziologie als selbständiger Wissenschaft dargetan.Weber, Max, Georg Simmel als Soziologe und Theoretiker der Geldwirtschaft, Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446, OM 4 (MWG I/12; hinfort: Weber, Simmel).
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Spann kritisiert dabei nicht die angestrebte Trennung von Form und Inhalt, sondern sucht zu zeigen, daß Simmel sie nicht in überzeugender Weise zustande bringe, daß sein Ansatz „die erkenntnistheoretisch-methodologischen Bedingungen, die ein formaler Sozialbegriff zu erfüllen hätte, in keiner Weise zu erfüllen imstande ist. Eben[36]sowenig natürlich die eines materiellen Gesellschaftsbegriffes.“Dazu Spann, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 189–220.
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Bei Simmel stehe entweder die Form zum Inhalt wie das Prinzip zum Akzidenz oder die Form sei ein Spezialfall von Inhalt.[36]Ebd., S. 211.
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Der Form-Inhalt-Dualismus sei also falsch gefaßt. Weber stellt gleichfalls den Begriff der Wechselwirkung ins Zentrum seiner Kritik, dessen Untauglichkeit er am Herrschaftsverhältnis illustriert. Zugleich wendet er sich gegen Simmels Neigung, Analogien anstelle von kausalen Zurechnungen zu verwenden. Dies werde dem historischen Gedanken in den Sozialwissenschaften nicht gerecht. Am Beginn dieses Fragments bringt Weber aber trotz seines „überwiegend antagonistischen Standpunkts“ auch seine Wertschätzung von Simmel als Autor zum Ausdruck. Er nennt dessen Darstellungsweise „schlechthin glänzend“, gepaart mit einer Fülle „von prinzipiell wichtigen neuen Gedanken und feinsten Beobachtungen“.Ebd., S. 216–218.
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Weber distanziert sich also sowohl von der Methode der organischen Soziologie Othmar Spanns als auch von der der formalen Soziologie Georg Simmels. Aber die Abgrenzung gegenüber einer organischen Soziologie ist ihm das Wichtigere. Weber, Simmel (wie oben, S. 35, Anm. 40), S. I.
6. Methode und allgemeine Grundbegriffe der verstehenden Soziologie (Kapitel I)
Webers soziologischer Ansatz ist also antiorganizistisch.
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Er befolgt eine „‚individualistische‘ Methode“ mit dem Ziel, Lehrsätze oder ‚Gesetze‘ aufzustellen, die „durch Beobachtung erhärtete typische Chancen eines bei Vorliegen gewisser Tatbestände zu gewärtigenden Ablaufes von sozialem Handeln [beschreiben], welche aus typischen Motiven und typisch gemeintem Sinn der Handelnden verständlich sind“.Diese Tendenz läßt sich bereits im Roscher-Aufsatz erkennen. Dazu Weber, Roscher und Knies I; zur „‚organischen‘ Gesellschaftstheorie“ insbes. S. 11 ff.
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Dieser Ansatz ist aber auch ,nicht-funktionalistisch‘ insofern, als er sich mit der bloßen „Feststellung von funktionellen Zusammenhängen und Regeln (‚Gesetzen‘)“ nicht begnügt, sondern darüber hinaus etwas erstrebt, was „aller ‚Naturwissenschaft‘ (im Sinn der Aufstellung von Kausalregeln für Geschehnisse und Gebilde und der ‚Erklärung‘ der Einzelgeschehnisse daraus)“ unzugänglich bleiben müsse: „eben das ,Verstehen‘ des Verhaltens der beteiligten Einzelnen, während wir das Verhalten z. B. von Zellen nicht ‚verstehen‘, sondern nur funktionell erfassen und dann nach Regeln seines Ablaufs feststellen können“.Kap. I, § 1, 10, unten, S. 167 f.
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Schon früh, als [37]aus seiner Sicht die Theorie der Deutung noch in den Anfängen steckte, verwies er auf diese Mehrleistung, welche die Soziologie (aber auch die Nationalökonomie) erbringen könne: die deutende und nicht bloß beobachtende Erklärung. Hier wird sie als „gerade das dem soziologischen Erkennen Spezifische“ angeführt.Kap. I, § 1, 9, unten, S. 163.
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[37]Kap. I, § 1, 9, unten, S. 163.
Aber sind Verstehen und Erklären nicht unvereinbare Methoden? Hatte Wilhelm Dilthey mit seiner Schrift über die beiden Psychologien, die erklärende und die verstehende, nicht eine Grenze zwischen beiden gezogen, die die Vorstellung einer deutenden Erklärung, eines verstehenden Erklärens oder erklärenden Verstehens, geradezu verbot?
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Weber wendet sich an dieser Stelle gegen Dilthey. Schon im Kategorienaufsatz hatte er sich gegen die Annahme gewehrt, „daß ‚Verstehen‘ und kausales ‚Erklären‘ keine Beziehung zueinander hätten“, obgleich er zugestand, „daß sie durchaus am entgegengesetzten Pol des Geschehens mit ihrer Arbeit“ begännen, das eine bei den Motivationsverkettungen, das andere bei den statistischen Häufigkeiten.Dilthey, Wilhelm, Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie, in: Gesammelte Schriften, V. Band, 5., unveränderte Aufl. – Stuttgart: B.G. Teubner Verlagsanstalt 1968, S. 139–240 (ursprünglich 1894).
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Aber nur die Verbindung beider führe die Soziologie zum Ziel. Jetzt betont er, das soziologische Erkennen müsse darauf verpflichtet werden, immer eine Kongruenz zwischen Sinnadäquanz und Kausaladäquanz herzustellen. Aber auch die Kosten verschweigt er nicht: „Diese Mehrleistung der deutenden gegenüber der beobachtenden Erklärung ist freilich durch den wesentlich hypothetischeren und fragmentarischeren Charakter der durch Deutung zu gewinnenden Ergebnisse erkauft.“Weber, Kategorien, S. 261.
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Kap. I, § 1, 8, unten, S. 163.
Weber plädiert also für eine antiorganizistische und auf funktionale Analyse nicht eingeschränkte verstehende Soziologie, für eine empirische Wissenschaft vom Handeln, die mit Typenbegriffen arbeitet und generelle Regeln des Geschehens aufspürt. Sie ist ihm eine „generalisierende Wissenschaft“.
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Als solche stellt sie der Geschichtswissenschaft eindeutige Begriffe bereit, die durch ein „möglichstes Optimum von Sinnadäquanz erreicht“ werden.Kap. I, § 1, 11, unten, S. 170.
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Dadurch erleichtert sie dieser die kausale Zurechnung. Sie muß also einen Begriffsapparat entwickeln, der dieser Aufgabe gerecht wird. Auf dieses Ziel hin ist jetzt der Grundrißbeitrag konzipiert. Kap. I, § 1, 11, unten, S. 170.
Nicht alles Verstehen ist freilich auch erklärend, also kausal ausgerichtet. Es gibt auch Textverstehen, allgemeiner: Symbolverstehen. Textverstehen ist akausal, entfaltet sich im hermeneutischen Zirkel. Nur Handlungsverstehen ist [38]kausal, entfaltet sich im Motivzusammenhang. Weber vertritt einen handlungstheoretischen Ansatz, der Gründe als Ursachen behandelt. Motiv ist definiert als sinnhafter Grund. Dabei kann Handlungsverstehen „aktuell“ oder „motivationsmäßig“ sein,
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und wenn motivationsmäßig, pragmatisch oder psychologisch. Aber in all diesen Fällen geht es um die Perspektive des Teilnehmers, um dessen subjektiv gemeinten Sinn. An diesen muß der wissenschaftliche Beobachter anschließen. Dies kann nur dann erfolgreich gelingen, wenn Teilnehmer und Beobachter ein symbolisches Universum teilen. Insofern kann man sagen, Webers Soziologie sei im Kern Kulturwissenschaft.[38]Kap. I, § 1, 5, unten, S. 155.
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Kap. I, § 1, 11, unten, S. 169 f.
Wir erkennen also, weshalb Weber seinen Grundrißbeitrag mit der Definition eröffnet, Soziologie sei für ihn eine Wissenschaft, „welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären“ wolle.
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In diese Definition ist zugleich der Unterschied zwischen Handlungsmotiv und Handlungsfolge, sei diese gewollt oder ungewollt, mit eingebaut. Von diesem Grundbegriff des sozialen Handelns, dem der des Handelns vorausliegt, nimmt alles Weitere seinen Ausgang. Sozial ist dabei noch unspezifisch gefaßt. So ist zum Beispiel wirtschaftliches Handeln natürlich Handeln, häufig auch soziales Handeln, aber nicht alles Handeln oder soziales Handeln auch wirtschaftliches Handeln. Und so durch alle Lebensbereiche hindurch. Kap. I, § 1, unten, S. 149.
Weber bringt nun seine „Soziologischen Grundbegriffe“, seine „allgemeinsten Kategorien“, wie es im Titel der Vorlesung vom Sommersemester 1919 heißt, in eine Folge.
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Es ist wichtig sich klarzumachen, daß dies keine genetische, sondern eine logische Folge ist. Sie beginnt mit den Begriffen Handeln/soziales Handeln, schreitet fort über den Begriff der sozialen Beziehung zum Begriff der sozialen Ordnung und endet mit dem Begriff des Verbandes. Das Folgende impliziert dabei das Vorausgegangene. So gibt es Handeln oder soziales Handeln ohne soziale Beziehung, nicht aber das Umgekehrte, und so weiter. Ein Verband schließt immer Ordnung, Beziehung und Handeln/soziales Handeln mit ein. Die Begriffsfolge endet nicht mit dem Begriff der [39]Gesellschaft, sondern mit einer Typologie der Verbände. Tatsächlich gelingt es Weber auf diese Weise, ohne den Gesellschaftsbegriff im Sinn eines übergreifenden und einheitsstiftenden Gesamtbegriffs auszukommen. Dies verbindet er mit einer Kritik an Ansätzen, die mit Kollektivbegriffen arbeiten, also einer organizistischen Auffassung von sozialen Gebilden huldigen.Weber verwendet „Kategorie“ und „Grundbegriff“ austauschbar. „Kategorie“ findet sich 1913 („Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie“), 1919 (Vorlesung „Die allgemeinsten Kategorien der Gesellschaftswissenschaft“) und 1920 (in Kapitel II „Soziologische Grundkategorien des Wirtschaftens“, wobei Grundkategorie streng genommen ein Pleonasmus ist); „Grundbegriff“ findet sich 1919 („Wirtschaftliche Grundbegriffe“ im Brief vom 25. September 1919) und 1919/20 (in Kapitel I „Soziologische Grundbegriffe“). „Kategorie“ ist natürlich nicht im Sinn von Kant gemeint. Hinzu kommt der „Typus“. In den Überschriften der ersten drei Kapitel finden alle drei Bezeichnungen Verwendung: „Grundbegriff“ in Kapitel I, „Kategorie“ in Kapitel II, „Typus“ in Kapitel III. Dazu auch Editorischer Bericht, unten, S. 93 f.
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[39]Weber bestreitet nicht, daß man auch Begriffe für Kollektive benötigt. Aber jede damit verbundene Substantialisierung, wie besonders in organischen Gesellschaftstheorien üblich, lehnt er ab.
Dieser logische Aufbau der „Soziologischen Grundbegriffe“ wird äußerlich dadurch verdeckt, daß Weber seine Paragraphenfolge nicht strikt daran ausrichtet. So stellt er den Beziehungsbegriff zwar vor den Ordnungsbegriff, behandelt nach diesem jedoch abermals Beziehungen (§§ 8 bis 11). Ähnliches gilt für den Verbandsbegriff (§ 16). Dieser logische Aufstieg zum Verbandsbegriff zeigt, daß Weber alle sozialen Gebilde an das Handeln der Einzelnen bindet. Denn ein soziales Gebilde heißt nur die Chance, daß ein bestimmt geartetes Handeln in einem bestimmten Umfang tatsächlich erfolgt. Ist dies nicht (mehr) der Fall, so existiert es aus soziologischer Sicht nicht (mehr).
Ist Max Weber mit den „Soziologischen Grundbegriffen“ tatsächlich die beabsichtigte Verbesserung des Kategorienaufsatzes gelungen? Das kann man wohl uneingeschränkt bejahen. Vier wichtige Veränderungen des neuen gegenüber dem alten Text lassen sich feststellen: 1. Weber ersetzt den Begriff „Gemeinschaftshandeln“ durch den Begriff „soziales Handeln“, worin das „Unterlassen oder Dulden“ einbezogen ist.
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2. Die Gegenüberstellung von „Gesellschaftshandeln“ und „Einverständnishandeln“, die den Begriffsaufbau des Kategorienaufsatzes bestimmt hatte, gibt er auf, und der Begriff „Einverständnishandeln“ samt all seinen Komposita verschwindet gänzlich. Nun sind „Vergesellschaftung“ und „Vergemeinschaftung“ Fälle sozialer Beziehungen. 3. Die Zuordnung von „Zweckverein“ und „Anstalt“ zu „Vergesellschaftung“ und von „Verband“ zu „Einverständnishandeln“ wird beseitigt. Stattdessen rückt der Begriff „Verband“ ins Zentrum, und „Anstalt“ und „Verein“ werden zu Fällen von Verbänden gemacht.Kap. I, § 1, II, 1, unten, S. 149.
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4. Die methodischen Grundlagen der verstehenden Soziologie sind konsistent und konsequent entwickelt. Im Kategorienaufsatz waren Methode und Grundbegriffe noch nicht konsequent getrennt.Dazu ausführlich Schluchter, Grundlegungen I (wie oben, S. 12, Anm. 43), S. 158 und ders., Entzauberung (wie oben, S. 23, Anm. 77), S. 123–128.
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Marianne Weber sah dies ähnlich: „Diese 10 Seiten sind das präziseste u. schärfste[,] was der Verfasser über die Methode der verstehenden Soziologie niedergelegt hat“, heißt es in einem Brief an den Verlag, in dem sie [40]für die Aufnahme auch dieses Textes in die Gesammelten Aufsätze zur Wissenschaftslehre eintritt.Das hat mit der Zweiteilung dieses Aufsatzes und der unterschiedlichen Entstehungszeit der beiden Teile zu tun. Dazu Schluchter, Entstehungsgeschichte, in: MWG I/24, S. 52 ff. und ders., Entzauberung (wie oben, S. 23, Anm. 77), S. 113–117.
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Auch Weber selbst zeigt sich von seinen „Soziologischen Grundbegriffen“ sehr überzeugt. Am 26. April 1920 schreibt er an Heinrich Rickert, der um einen Beitrag für den Logos nachgefragt hatte: „Was nun meine Ansichten vom ,sozialen Handeln‘ anlangt, so ist dies ein wertfreier Begriff. Denn stets ist der subjektiv gemeinte Sinn des Handelns der Einzelnen allein in Betracht gezogen; dieser kann sich (,wertrational‘) subjektiv an der Vorstellung von ,geltenden Normen‘ oder ,gültigen Werten‘ orientieren – oder auch rein ,emotional‘, oder rein ,traditional‘, oder rein ,zweckrational‘: (konkrete Zwecke ohne Reflexion über ,Wert‘-Gehalt, mit rationalen Mitteln) orientiert sein. Der für die Staatssoziologie wichtigste (aber auch sonst wichtige) Fall ist: daß das Handeln seinem subjektiv gemeinten Sinn nach (auch! – nicht: nur!) orientiert ist an der Vorstellung von der Geltung einer ,Ordnung‘, und daß Menschen da sind, welche – als ,Leiter‘ oder ,Verwaltungsstab‘ [–] ihr Handeln darauf einstellen: diese ,Ordnung‘ als empirisch ,geltend‘ durchzusetzen. Dies sind die Grundbegriffe, mit denen man fast gänzlich auskommt; wie Sie sehen werden. Wertende Menschen als Objekt Betrachtung haben wir natürlich vor uns, – aber wir sind nicht genötigt, zu werten.“[40]Brief von Marianne Weber an den Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) vom 5. Mai 1922, VA Mohr/Siebeck, BSB Deponat München, Ana 446. Marianne Weber hatte in den Gesammelten Aufsätzen zur Wissenschaftslehre, die §§ 1–6 von Kap. I, WuG, S. 1–19, nochmals abgedruckt.
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Brief Max Webers an Heinrich Rickert vom 26. April 1920, MWG II/10, S. 1040. Weber teilt auch mit, er sei mit seinem Buch beschäftigt, das im Herbst erscheine, und er könne die inzwischen niedergelegten Kapitel nicht gleichzeitig in dem Buch und im Logos erscheinen lassen.
7. Besondere Grundbegriffe der verstehenden Soziologie (Kapitel II bis IV)
„Fast gänzlich auskommt“, aber eben nur „fast“. Denn Ziel ist ja ein Begriffsapparat, mit dessen Hilfe die Wirtschaft in ihrem Verhältnis zu den übrigen gesellschaftlichen Ordnungen und Mächten in universalhistorischer Perspektive untersucht werden kann. Die Kapitel II, III und das begonnene Kapitel IV, wohl auch die geplanten, aber nicht mehr geschriebenen Kapitel über die Gemeinschaften, die Religion, das Recht und den Staat dienen dazu, diesen erweiterten Begriffsapparat zu entwickeln. Dabei geht es jeweils um die Spezifikation des subjektiv gemeinten Sinns. Denn Objekte und Vorgänge erhalten nach Webers verstehender Soziologie „ihr Gepräge als solche gänzlich durch den Sinn“, welchen menschliches Handeln ihnen zuspricht. Es ist also [41]der „besondersartige gemeinte Sinn“, der bei dieser Spezifikation leitend sein muß.
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[41]Kap. II, § 1, 2, unten, S. 217.
Mit dem Wirtschaften als Haushalten und Erwerben, dem Herrschen als Befehlen und Verwalten, aber auch mit dem Öffnen und Schließen sozialer Beziehungen, das sich in der Formation von Ständen und Klassen äußert, werden Handlungszusammenhänge bezeichnet, die auf solchem ,besonders gearteten gemeinten Sinn‘ beruhen. Sie verlangen deshalb auch jeweils eine begriffliche Bearbeitung. Wir verstehen die Kapitel II, III und das begonnene Kapitel IV in diesem Sinne. Hier werden besondere soziologische Grundbegriffe entwickelt, durch deren Verbindung man dann auch Gesamtzusammenhänge des Handelns untersuchen kann.
So müssen etwa alle komplexeren sozialen Gebilde wirtschaften (wirtschaftender Verband), sich herrschaftlich organisieren (Herrschafts- und Verwaltungsverband) und Ungleichheiten zwischen ihren Mitglieder bewältigen (geschichteter Verband). Eine Kirche etwa ist ein wirtschaftender Verband, der ohne finanzielle Beiträge welcher Art auch immer nicht lebensfähig ist; sie spendet Heilsgüter, was die „Grundlage geistlicher Herrschaft über Menschen“ bildet;
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und sie ist ein geschichteter Verband, in religiöse Virtuosen und religiöse Massen geteilt. Was hier für den Verband Kirche gesagt wurde, läßt sich für alle komplexeren sozialen Gebilde sagen. Um sie untersuchen zu können, bedarf es neben den allgemeinen Grundbegriffen besonderer Grundbegriffe, organisiert um den jeweils ‚besondersartigen gemeinten Sinn‘. Kap. I, § 17, 4, unten, S. 214.
Abweichend von Max Webers Aufbau beginnen wir mit den Kapiteln III und IV, weil uns zunächst interessiert, wie er seine gegenüber Paul Siebeck geäußerte Absicht wahr machte, er müsse das „dicke alte Manuskript“ gründlich umgestalten und es dabei knapper und lehrbuchhafter fassen.
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Denn für Kapitel III und IV existieren Texte aus der Vorkriegszeit, an denen diese Umgestaltung vorgenommen wurde. Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 27. Oktober 1919, MWG ll/10, S. 826.
7.1. Die Typen der Herrschaft (Kapitel III)
Bei dem ,dicken alten Manuskript‘ handelt es sich in Wahrheit freilich nicht um ein Manuskript, sondern, gerade im Fall der Herrschaftssoziologie, um mehrere Manuskripte, die bei Ausbruch des Krieges noch nicht völlig aufeinander abgestimmt waren.
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Als Weber dann im Jahre 1915 die Grundzüge seiner Herrschaftssoziologie in der „Einleitung“ zu den Skizzen über die „Wirtschafts[42]ethik der Weltreligionen“ zum ersten Mal veröffentlicht, bietet er ein Kondensat dieser Manuskripte. Dabei geht er hier vom Charisma und den damit verbundenen Herrschaftsbeziehungen aus.Dazu der von Edith Hanke in Zusammenarbeit mit Thomas Kroll herausgegebene Teilband: Herrschaft, MWG I/22–4, besonders die Texte über Charisma („Charismatismus“, „Umbildung des Charisma“, „Erhaltung des Charisma“; ebd., S. 454–563).
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Durch Veralltäglichung des Charismas entwickle sich die „‚traditionalistische Autorität‘“, ausgeprägt vor allem im Pietätsprinzip des Patriarchalismus.[42]In den Vorkriegsmanuskripten war die Reihenfolge umgekehrt. Vgl. insbesondere ebd., S. 148 f. und den Aufbau des gesamten Teilbandes.
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Daran knüpft er die These, die „charismatische Herrschaft, die auf dem Glauben an die Heiligkeit oder den Wert des Außeralltäglichen ruht, und die traditionalistische (patriarchale) Herrschaft, die auf den Glauben an die Heiligkeit des Alltäglichen sich stützt, teilten in früher Vergangenheit die wichtigsten Arten aller Herrschaftsbeziehungen unter sich auf.“Weber, Einleitung, MWG I/19, S. 121. Zitiert wird nach der Fassung von 1915, nicht nach der von 1920.
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Erst später trete neben diese beiden Arten der „rationale Typus der Herrschaft“, dessen „historisch wichtigste Spielart die bureaukratische Herrschaft war und ist.“Ebd., S. 122.
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Die drei Typen der Herrschaft sind also formuliert, doch in einer Terminologie, die noch nicht genau dem entspricht, was wir aus der Neufassung kennen. Außerdem ist die Reihenfolge der Typen gegenüber den Vorkriegsmanuskripten hier umgekehrt. Dort sollte zunächst das bürokratische Strukturprinzip, dann sollten die vorbürokratischen Strukturprinzipien behandelt werden.Ebd., S. 124. In der Fassung 1915 heißt es noch „rationaler“, nicht – wie in der späteren Fassung von 1920 – „legaler“ Typus der Herrschaft.
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Unter diese fielen die patriarchale, die patrimoniale und die feudale Herrschaftsbeziehung. Die charismatische bildete in dieser Anlage der Typologie den Schluß.Zum Begriff der vorbürokratischen Strukturprinzipien Weber, Patrimonialismus, MWG I/22–4, S. 247.
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Das Manuskript über „Staat und Hierokratie“ (MWG I/22–4, S. 564 ff.) fällt aus dieser Typologie heraus.
Weber betont in Kapitel I, soziologische Kasuistik sei „nur vom reinen (,Ideal‘-)Typus her“ möglich. Je schärfer und eindeutiger, je „weltfremder“ also Idealtypen konstruiert seien, „desto besser leisten sie ihren Dienst, terminologisch und klassifikatorisch sowohl wie heuristisch.“
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Klassifikatorisch nicht zuletzt deshalb, weil sich dann neben Subtypen auch Mischtypen konstruieren lassen, solche, in denen Merkmale der reinen Typen miteinander verbunden sind (z. B. Patrimonialbürokratie). Kap. I, § 1, 11, unten, S. 170 f.
Kapitel III, überschrieben „Die Typen der Herrschaft“, bietet nun eine gänzliche Neufassung der alten ‚Herrschaftssoziologie‘ aus der Zeit vor dem Kriege und der Teilveröffentlichung von 1915. Für die Vorkriegsmanuskripte gilt dies zunächst rein quantitativ, denn Weber kondensiert die nahezu 175 Seiten, welche die alten Manuskripte zur Herrschaft (ohne das Manuskript [43]„Die Stadt“) ausmachten, auf knapp 55 Seiten.
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Es gilt aber auch kasuistisch und terminologisch, und zwar sowohl für die Vorkriegsmanuskripte wie für die Veröffentlichung von 1915. Denn Weber richtet seine reine Typologie konsequent an dem Prinzip der Legitimitätsgeltung und der Form der Verwaltung aus.[43]Es ist allerdings schwierig, diesen Umfangsvergleich wegen des Petitdrucks und der Paragrapheneinteilung in der Neufassung einigermaßen exakt vorzunehmen.
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Diese beiden Gesichtspunkte für die Bestimmung von Herrschaftsstrukturen sind bei ihm zwar nicht neu,Dies war bei der Behandlung des bürokratischen Strukturprinzips in dem Text über den Bürokratismus aus der Zeit vor dem Krieg nicht so. Dazu Weber, Bürokratismus, MWG I/22–4, S. 157 ff.
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wohl aber die Konsequenz, mit der er sie zur Unterscheidung der drei reinen Typen der Herrschaft verwendet. Dabei dient die Form der Verwaltung auch dazu, innerhalb des reinen Typus Subtypen zu bilden, was insbesondere für die traditionale Herrschaft gilt. Unter der neuen Terminologie „traditionale Herrschaft“Sie finden sich bereits in dem vermutlich ältesten Text über Herrschaft unter der Überschrift „Herrschaft durch ‚Organisation‘. Geltungsgründe“, wobei die drei Prinzipien der Legitimation schon genannt sind, wenn auch noch nicht exakt in der späteren Terminologie. Dazu Weber, Herrschaft, MWG I/22–4, S. 145–149.
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werden die in den Vorkriegsmanuskripten unter den Namen Patriarchalismus, Patrimonialismus und Feudalismus behandelten Herrschaftsstrukturen neu gefaßt und im Fall des Feudalismus auch neu angeordnet. Die in Kapitel I getroffene Unterscheidung zwischen einem Herrschaftsverband ohne und mit einem Verwaltungsstab leitet dabei die interne begriffliche Differenzierung an.Diese neue Terminologie: „traditionale“ statt „traditionelle“ oder „traditionalistische“ Herrschaft, wird allerdings bereits in „Politik als Beruf“ verwendet. Dazu Weber, Politik als Beruf, MWG I/17, S. 160 ff.
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Auf diese Weise lassen sich Gerontokratie und primärer Patriarchalismus vom Patrimonialismus unterscheiden. Dieser wiederum kann, abhängig von der Struktur, der Rekrutierung und der Stellung des Verwaltungsstabs, Sultanismus oder ständische Herrschaft sein. Entscheidend aber ist, daß Weber den Feudalismus jetzt nicht mehr auf eine Linie mit diesen Subtypen traditionaler Herrschaft stellt. Er führt ihn absichtlich erst nach dem Typus charismatische Herrschaft und nach der Veralltäglichung des Charismas ein. Denn mit Feudalismus, sei er Lehens- oder Pfründen-Feudalismus, werde die Struktur eines Herrschaftsverbandes bezeichnet, „welche vom Patrimonialismus ebenso wie vom genuinen oder Erb-Charismatismus verschieden“ sei.Weber, Soziologische Grundbegriffe, unten, S. 211, dann aufgenommen in: Kap. III, § 7, unten, S. 469.
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Insbesondere der okzidentale Lehensfeudalismus läßt sich als eine Verbindung von patrimonialen und charismatischen Merkmalen (beneficium und homagium) verstehen. Der Typus charismatische Herrschaft wiederum ist so konzipiert, daß er nicht nur auf frühe Strukturformen der Herrschaft zutrifft. Die Veralltäglichung des Cha[44]rismas kann so Ursprung sowohl traditionaler wie legaler Herrschaft sein. Mit dem Konzept der Veralltäglichung des Charismas werde, so Weber, zudem der „Anschluß an die empirischen Herrschaftsformen wesentlich gesteigert“.Kap. III, § 12b, unten, S. 513.
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Dieser Anschluß verlange ganz generell die Kombination von Merkmalen, die in den reinen Typen und ihren Subtypen in Kontrast zueinander stehen. Dies sei ja gerade der Vorteil solcher Vorgehensweise, „daß sie im Einzelfall an einer Herrschaftsform angeben kann: was ,charismatisch‘, ,erbcharismatisch‘ (§§ 10, 11), ,amtscharismatisch‘, ,patriarchal‘ (§ 7), ,bureaukratisch‘ (§ 4), ,ständisch‘ usw. ist oder sich diesem Typus nähert“.[44]Kap. III, § 2, unten, S. 455.
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Dies heißt zugleich, daß Weber in Kapitel III es bei der bloßen abstrakten Kasuistik der Herrschaftsformen nicht belassen möchte, sondern auch den Anschluß an die empirischen Verhältnisse in der Vergangenheit und vor allem in der Gegenwart sucht. Kap. III, § 2, unten, S. 455.
Die Präsentation der drei reinen Typen der Herrschaft folgt dabei keinem entwicklungsgeschichtlichen Schema. Weber geht „von der spezifisch modernen Form der Verwaltung aus, um, wie bereits in den Vorkriegsmanuskripten, die anderen Formen damit zu kontrastieren.
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Die Wahl dieses Ausgangspunktes dient also einem heuristischen Zweck. Wer eine soziologische Kasuistik der Herrschaft ausarbeiten möchte, muß solche Kontraste zwischen den reinen Typen betonen. Nur dann kann deren Kombination für die empirische Forschung nützlich sein. Kap. III, § 3, unten, S. 455.
Anders als in dem erwähnten Wiener Vortrag verzichtet Weber allerdings darauf, einen vierten Legitimitätstyp, den demokratischen, ,gleichrangig‘ neben die drei reinen Typen zu stellen. Er widmet diesem (vierten) Legitimitätsprinzip aber einen eigenen Abschnitt, den er „Die herrschaftsfremde Umdeutung des Charisma“ überschreibt.
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Diese antiautoritäre Umdeutung des Charismas, wie es auch heißt,Kap. III, § 14, unten, S. 533 ff.
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ist sowohl von den reinen Typen und deren Subtypen wie von der Veralltäglichung des Charismas zu unterscheiden. Insofern kommt die Wiener Einsicht, daß es sich bei der demokratischen Legitimität um einen weiteren eigenständigen Herrschaftstypus handelt, in der Neufassung der Herrschaftssoziologie durchaus zu ihrem Recht. Kap. III, § 13, unten, S. 533.
Weber unterscheidet also reine Typen, Subtypen innerhalb der reinen Typen und Übergänge des einen Typus in einen anderen. Wohl deshalb plant er auch ein Kapitel über Revolution, über eine „Theorie des Umsturzes“,
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für das vermutlich eine Charakterisierung des Unterschieds zwischen traditionalistischen und modernen Revolutionen vorgesehen war. Vielleicht wollte er [45]dieses Kapitel seiner „Staatssoziologie“ vorordnen, auf die er in der „Herrschaftssoziologie“ häufiger hinweist.Kap. III, § 14, unten, S. 532.
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Es ist allerdings nicht klar, ob und, wenn ja, wie er die Staatssoziologie von der Herrschaftssoziologie abzugrenzen gedachte. In seiner Disposition von 1914 jedenfalls deutet er bereits einen Unterschied zwischen beiden an. Denn auf die Herrschaftssoziologie sollte dort eine Staatssoziologie folgen, die Entwicklung des modernen Staates und der modernen politischen Parteien umfassend.[45]Kap. III, § 18, unten, S. 568.
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Im Außenverhältnis, wie ja auch der oben zitierte Brief an Heinrich Rickert zeigt, spricht er aber stets nur von seiner Staatssoziologie. Auch seine Vorlesung vom Sommersemester 1920, unter dem Titel „Allgemeine Staatslehre und Politik (Staatssoziologie)“, gibt über dieses Verhältnis keinen Aufschluß. Die überlieferten Nachschriften von Erwin Stölzl und Hans Ficker zeigen, daß Weber, von aktuellen Beispielen abgesehen, im wesentlichen den Definitionen und dem Aufbau der Kapitel I und III seines Grundrißbeitrags folgte – solange er lesen konnte, bevor die tödliche Krankheit ausbrach.Grundriß der Sozialökonomik. Einteilung des Gesamtwerkes (1914), MWG I/24, S. 169.
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Aber in der Disposition der Vorlesung waren darüber hinausgehende Erörterungen vorgesehen.Zu den Nachschriften MWG III/7, S.66 ff.
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Dazu MWG III/7, S. 66 f. So etwa über politische und hierokratische Gewalt. Dazu unten mehr. Zur Vorlesung auch Hübinger, Einleitung, ebd., S.33 ff.
Eine weitere wichtige Veränderung bleibt anzumerken. Weber löst den Abschnitt über Parteien aus dem Verbund mit Klassen und Ständen, in dem er in der alten Fassung stand,
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und gliedert ihn der Herrschaftssoziologie ein. Dabei wird zugleich die Typologie der Parteien erweitert. Im Mittelpunkt steht die Unterscheidung zwischen einer formal-legal und einer nicht formal-legal organisierten Partei. Da Parteien für Weber begrifflich nur innerhalb eines Verbandes möglich sind, was ihre Internationalisierung natürlich nicht ausschließt,Weber, „Klassen“, „Stände“ und „Parteien“, MWG l/22–1, S. 252–272.
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sind sie immer auf die Eroberung der Herrschaft desjenigen Verbandes bezogen, innerhalb dessen sie operieren. Aber auch dort, wo dies ein legaler Herrschaftsverband ist, wie etwa in modernen Demokratien, muß die Partei nicht zwingend auch formal-legalen Charakters sein. Es kann sich vielmehr – außer um formal – legale Patronage–, Klassen– oder Weltanschauungsparteien – um charismatische, traditionalistische, Glaubens – oder reine Appropriationsparteien handeln.Zu verbandsübergreifenden, internationalen Parteibildungen vgl. Weber, „Klassen“, „Stände“ und „Parteien“, MWG l/22–1, S. 271 f.
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Dieser Paragraph 18 von Kapitel III gibt [46]tatsächlich kaum mehr als „ein Gerippe“, wie es an anderer Stelle heißt.Weber benutzte die Unterscheidung zwischen Patronage-, Klassen- und Weltanschauungspartei in seinen politischen Stellungnahmen vor dem Kriege, etwa im Zusammenhang mit der SPD und dem Zentrum in Deutschland und den Parteien in den USA. Unklar ist der im Text nahegelegte Unterschied zwischen einer Patronage- und einer Appropriationspartei, Kap. III, § 18, unten, S. 5665–68.
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Weber sagt denn auch, „alles Nähere (Materiale) gehört in die Staatssoziologie“.[46]Kap. II, § 15, unten, S. 299.
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Kap. III, § 18, unten, S. 568.
Freilich sind die Ausführungen über demokratische Herrschaft reicher, als man es bei dem äußerlichen Fehlen eines reinen Typus ,demokratische Legitimität‘ vermuten würde. Sie finden sich eingebettet in die Ausführungen über monokratische und kollegiale Herrschaft einerseits, herrschaftsfremde (unmittelbare) und repräsentative (mittelbare) Verbandsverwaltung andererseits. Es geht dabei nicht um die Satzungs-, Traditions- oder Sendungsgebundenheit der Herrschaft, um deren immanente Schranken, die aus dem jeweils geglaubten Legitimitätsprinzip resultieren, sondern „um spezifische, die Herrschaft beschränkende soziale Beziehungen und Verbände“.
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Deshalb stehen hier Alternativen wie ständische oder konstitutionelle Gewaltenteilung, monokratische oder kollegiale Herrschaftsausübung, gebundene oder ungebundene Repräsentation der Beherrschten, imperatives oder freies Mandat der Vertreter, aber auch moderne Regierungsformen wie parlamentarische Kabinettsregierung oder plebiszitäre Präsidialregierung und deren Mischformen im Mittelpunkt. Dabei geht es auch hier zunächst um Begriffsbildung, nicht um politische Stellungnahmen zu aktuellen Fragen. Freilich spielen diese mit hinein. Weber schrieb diese Passagen in einer Phase fundamentaler politischer Umwälzungen, nicht nur in Deutschland, sondern vor allem auch in Rußland und in Ungarn.Kap. III, § 15, unten, S. 542.
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Immer wieder kommt deshalb auch die sozialistische Alternative in den Blick. Aber im Mittelpunkt bleibt die Entwicklung eines Begriffsapparats für universalhistorische Vergleiche. So sagt Weber bei der Darstellung der Typen der Kollegialität ausdrücklich, daß Kollegialität keineswegs, wie man denken könnte, etwas spezifisch Modernes oder gar spezifisch ,Demokratisches‘ sei.Zu Ungarn hatte er einen persönlichen Bezug: Georg Lukács. Vgl. auch den Brief Max Webers an den Vater von Georg Lukács, Jόzsef von Lukács, vom 9. Januar 1920, MWG II/10, S. 882–885.
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Monokratische und kollegiale Herrschaftsausübung finde sich im Rahmen sowohl der traditionalen als auch der legalen Herrschaft.Kap. III, § 15, unten, S. 553.
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Dennoch interessiert ihn auch hier zugleich das Spezifische des [47]Okzidents. Nicht zufällig endet Kapitel III mit einer Feststellung, die das unterstreicht und sowohl die Verbindung zum Ende des ersten Kapitels herstellt als auch den Ausblick auf das vierte Kapitel eröffnet: „Sowohl die genuine parlamentarische Repräsentation mit voluntaristischem Interessentenbetrieb der Politik, wie die daraus entwickelte plebiszitäre Parteiorganisation mit ihren Folgen, wie der moderne Gedanke rationaler Repräsentation durch Interessenvertreter sind dem Okzident eigentümlich und nur durch die dortige Stände- und Klassen-Entwicklung erklärlich, welche schon im Mittelalter hier, und nur hier, die Vorläufer schuf. ‚Städte‘ und ‚Stände‘ (rex et regnum), ‚Bürger‘ und ‚Proletarier‘ gab es nur hier.“Am ausführlichsten behandelt Weber die verschiedenen Typen der Kollegialität und dabei die Frage, was sie gegenüber der Monokratie ,leisten‘ könne (unten, S. 543–562). Letztlich geht es ihm dabei um die technische Überlegenheit der monokratischen gegenüber der kollegialen Leitung. Die verschiedenen Typen der Kollegialität förderten zwar in mehr oder weniger großem Maße die gründliche Beratung und konsensuelle Entscheidungsfindung, doch bedeute dies in der Regel auch, daß es hier nicht zu präzisen und schnellen Entscheidungen komme, ganz zu schweigen von der Diffusion der Verantwortung.
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[47]Kap. III, § 22, unten, S. 591. Ähnlich Weber, Vorbemerkung, in: GARS I, S. 3 und S. 9. (MWG 1/18).
Bei der Besprechung moderner Regierungsformen greift Weber teilweise auf Schriften zurück, die er in der Auseinandersetzung um die Reform der Verfassung des Deutschen Reiches und um die Neuordnung Deutschlands als Streitschriften verfaßt hatte.
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Dies bedeutet aber keinen Wechsel ins Normative, denn auch diese Streitschriften waren in erster Linie staatstechnisch angelegt. Weber nennt hier (Kap. III, § 21, unten, S. 583) ausdrücklich seine Schrift „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“, in: MWG I/15, S. 432–596.
Anders als der erste Teil von Kapitel III, in dem die drei reinen Typen der Herrschaft sowie die mit ihnen verbundenen immanenten Legitimitätsschranken im Mittelpunkt der Betrachtung stehen (§§ 1 bis 14), ist der zweite Teil, über die organisatorischen Beschränkungen von Herrschaft (§§ 15 bis 22), weit weniger durch Vorkriegsmanuskripte vorgeprägt, aber auch weniger konsistent entwickelt. Hier nehmen auch die aktuellen Bezüge zu. Man gewinnt den Eindruck, als sei dieser Teil bei Weber noch ,in der Entwicklung‘. Dennoch ist er für das Verständnis seiner Herrschaftssoziologie insgesamt essentiell, weil hier die Herrschaftssoziologie systematisch um den wichtigen Gesichtspunkt der ‚Gewaltenteilung‘ erweitert wird.
Verglichen mit den Vorkriegsmanuskripten zur Herrschaft bringt also das Kapitel III tatsächlich eine lehrbuchartige Darstellung mit terminologischen und klassifikatorischen Präzisierungen sowie insgesamt eine argumentative Verdichtung. Ein Vorkriegsmanuskript allerdings, über „Staat und Hierokratie“,
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das in der Disposition von 1914 nach den drei Typen der legitimen Herrschaft angeordnet war und auch in der Vorlesung über Staatssoziologie wohl verwendet werden sollte, findet in der Neufassung der Herrschaftssoziologie noch keinen Platz. Vielleicht wollte Weber das spannungsreiche Verhältnis zwischen politischer und hierokratischer Herrschaft in der Religionssoziologie oder in der Staatssoziologie oder in einer Verbindung beider behandeln. In der Neufassung der Herrschaftssoziologie jedenfalls kommen das Verhältnis [48]zwischen politischer Herrschaft und Religion sowie die verschiedenen Ausprägungen dieses Verhältnisses (Theokratie, Cäsaropapismus, Dualismus) nicht vor. Im Mittelpunkt steht vielmehr die spannungsreiche Beziehung zwischen politischer Herrschaft und Wirtschaft. Dabei wird die Wirtschaft einmal als führend, wie etwa bei der Veralltäglichung des Charismas, einmal als geführt vorgestellt.Weber, Staat und Hierokratie, MWG I/22-4, S. 579–679.
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Als Wirtschaft figuriert überwiegend das formal-rationale Wirtschaften, dessen optimale Voraussetzungen Weber in Kapitel II erörtert, wobei hier die Frage im Mittelpunkt steht: Durch welche politische Herrschaftsform wurde dieses an rationaler Geldrechnung kontrollierte Haushalten und Erwerben in seiner Entwicklung begünstigt, durch welche obstruiert? [48]Zur Unterscheidung von „führend“ und „geführt“ Kap. III, § 12 a, unten, S. 512.
7.2. Stände und Klassen (Kapitel IV)
Wir sehen an den Kapiteln I und III, für die es überlieferte Vorläufer aus der Vorkriegszeit gibt, wie ernst es Max Weber mit seiner Aussage war, er müsse das „dicke alte Manuskript“ gründlich umgestalten.
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Auch auf das begonnene, aber nicht mehr abgeschlossene Kapitel IV, überschrieben „Stände und Klassen“, trifft dies zu. Wie im Fall der Kapitel I und III, lag Weber auch hier ein Text aus der Vorkriegszeit vor, den er der Neufassung zugrunde legte.Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 27. Oktober 1919, MWG II/10, S. 826.
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Man kann sogar mit Gründen vermuten, daß es sich bei diesem Vorkriegstext um eines der frühesten Ergebnisse seiner Arbeit für das „Erste Buch“ des Sammelwerks handelt, als noch der „Stoffverteilungsplan“ galt und „Wirtschaft und Gesellschaft“ in drei Abschnitte gegliedert war. Folgt man dieser Gliederung von 1910, so wollte Weber nach „Wirtschaft und Recht“ und nach den „Familien- und Gemeindeverbänden“ „Stände und Klassen“ behandeln. Darauf sollte der „Staat“ folgen.Es handelt sich um Weber, „Klassen“, „Stände“ und „Parteien“, ediert in: MWG I/22 1, S. 248–272.
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Auch noch 1914, nach der Veränderung des Beitragstitels und dieser Gliederung, blieb diese Abfolge im Grundsatz bestehen. Jetzt freilich war die Behandlung der Stände und Klassen der des politischen Verbands zugeordnet und um die Behandlung der Parteien erweitert, aber immer noch, wie schon 1910, auf die Rechtsordnung bezogen.Stoffverteilungsplan 1910, MWG I/24, S. 145 f.
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Der überlieferte Vorkriegstext beginnt nicht zufällig mit der Feststellung: „Jede (nicht nur die ‚staatliche‘) Rechtsordnung wirkt durch ihre Gestaltung direkt auf die Machtverteilung innerhalb der betreffenden Gemeinschaft ein“.Einteilung des Gesamtwerkes 1914, MWG I/24, S. 169.
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Wolle man diese Machtverteilung und ihre Wirkung [49]innerhalb einer Gemeinschaft klären, so fuhr Weber vor dem Krieg fort, müsse man die „Phänomene“ Klassen, Stände und Parteien analysieren. Er ordnet dabei die Klassen der Wirtschaftsordnung, die Stände der sozialen Ordnung und die Parteien der „Sphäre der ‚Macht‘“, treffender: der politischen Ordnung, zu.Weber, „Klassen“, „Stände“ und „Parteien“, MWG I/221-1, S. 252.
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Er verbindet dies mit der These, Klassenlage sei letztlich Marktlage, dagegen bedeute die ständische Gliederung einer Gemeinschaft immer auch eine „Hemmung der freien Marktentwicklung“.[49] Ebd., S. 269 (Zitat). Treffender deshalb, weil ja alle drei gemäß Definition als Phänomene der Macht behandelt werden.
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Klassen seien normalerweise keine Gemeinschaften. Ob aus einer Klassenlage nicht nur bloßes Massenhandeln, sondern auch Gemeinschaftshandeln oder gar eine Vergesellschaftung hervorgehe, sei von vielen zusätzlichen Bedingungen abhängig. Ebd., MWG I/22-1, S. 267.
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Stände dagegen seien von Natur aus Gemeinschaften, [50]denn ihnen lägen Prozesse der Öffnung und Schließung sozialer Beziehungen, der Inklusion und Exklusion von Handelnden, zugrunde. Weber untersucht vor dem Krieg beide „Phänomene“, Klassen und Stände, interessanterweise mit Hilfe des Machtbegriffs. Weber geht also davon aus, daß Klassen nicht per se Handlungseinheiten sind, sondern erst dazu gemacht werden. Es ist aus seiner Sicht ein weiter Weg von der Klassenlage zum Klassenkampf. Im Vorkriegsmanuskript heißt es pointiert: „Der Grad, in welchem aus dem ,Massenhandeln‘ der Klassenzugehörigen ein ‚Gemeinschaftshandeln‘ und eventuell ‚Vergesellschaftungen‘ entstehen, ist an allgemeine Kulturbedingungen, besonders intellektueller Art, und an den Grad der entstandenen Kontraste, wie namentlich an die Durchsichtigkeit des Zusammenhangs zwischen den Gründen und den Folgen der ‚Klassenlage‘ gebunden. Eine noch so starke Differenzierung der Lebenschancen an sich gebiert ein ‚Klassenhandeln‘ (Gemeinschaftshandeln der Klassenzugehörigen) nach allen Erfahrungen keineswegs. Es muß die Bedingtheit und Wirkung der Klassenlage deutlich erkennbar sein. Denn dann erst kann der Kontrast der Lebenschancen als etwas nicht schlechthin Gegebenes und Hinzunehmendes, sondern entweder 1. aus der gegebenen Besitzverteilung oder 2. aus der Struktur der konkreten Wirtschaftsordnung Resultierendes empfunden und dagegen nicht nur durch Akte eines intermittierenden und irrationalen Protestes, sondern in Form rationaler Vergesellschaftung reagiert werden.“ MWG I/22-1, S. 256. In der Neufassung wird derselbe Gedanke, nun aber ohne jeden Bezug auf die alten Begriffe und in systematisierter Form, wie folgt ausgedrückt: „Vergesellschaftetes Klassenhandeln ist am leichtesten zu schaffen a) gegen den unmittelbaren Interessengegner (Arbeiter gegen Unternehmer, nicht: Aktionäre, die wirklich ‚arbeitsloses‘ Einkommen beziehen, auch nicht: Bauern gegen Grundherren), b) nur bei typisch massenhaft ähnlicher Klassenlage, c) bei technischer Möglichkeit leichter Zusammenfassung, insbesondere bei örtlich gedrängter Arbeitsgemeinschaft (Werkstattgemeinschaft), d) nur bei Führung auf einleuchtende Ziele, die regelmäßig von Nicht-Klassenzugehörigen (Intelligenz) oktroyiert oder interpretiert werden.“ Kap. IV, § 2, unten, S. 597 f. Weber sieht also das Problem der Klasseneinheit sehr viel differenzierter als Marx, der allerdings seine Untersuchung dieses Problems nicht mehr abschließen konnte. Ähnlich erging es Max Weber, der aber schon vom Ansatz her die Marxsche Klassentheorie hinter sich läßt. Weber spricht denn auch, bezogen auf den modernen Kapitalismus, von vier sozialen Klassen: 1. der „Arbeiterschaft als Ganzes, je automatisierter der Arbeitsprozeß wird“; 2. dem „Kleinbürgertum“; 3. der „besitzlose[n] Intelligenz und Fachgeschultheit“, wozu er „Techniker, kommerzielle und andere ‚Angestellte‘“, ferner das Beamtentum rechnet, wobei diese Kategorien untereinander sozial durchaus geschieden sein könnten, „je nach den Schulungs[50]kosten“; 4. „die Klassen der Besitzenden und durch Bildung Privilegierten“. Kap. IV, § 3, unten, S. 596. Für Marx waren einige davon nur Zwischen- und Übergangsklassen, die durch die Weiterentwicklung des Kapitalismus untergehen würden.
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Anders verfährt er beim „Phänomen“ Parteien, das für eine angemessene Analyse den Herrschaftsbegriff verlange. Denn das „‚ parteimäßige‘ Gemeinschaftshandeln“, das, anders als das von Klassen und Ständen, „stets eine Vergesellschaftung“ darstelle, hänge in seiner Struktur nicht nur von der klassenmäßigen oder ständischen Gliederung einer Gemeinschaft, sondern auch von ihrer „Struktur der ‚Herrschaft‘“ ab. Eine Partei, „stets ein um Herrschaft kämpfendes Gebilde“ und „daher selbst, oft sehr straff, ‚herrschaftlich‘ organisiert“, werde von der Herrschaftsstruktur der sie umfassenden Gemeinschaft beeinflußt, Dabei definiert er Macht hier wie folgt: „Unter ‚Macht‘ wollen wir dabei hier ganz allgemein die Chance eines Menschen oder einer Mehrzahl solcher verstehen, den eigenen Willen in einem Gemeinschaftshandeln auch gegen den Widerstand anderer daran Beteiligter durchzusetzen“. Weber, „Klassen“, „Stände“ und „Parteien“, MWG I/22-1, S. 252. In den „Soziologischen Grundbegriffen“ werden dann Macht, Herrschaft und Disziplin durch Qualifikation der Gehorsamschance begrifflich differenziert (Kap. I, § 16, unten, S. 210 f.).
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und dies gelte auch dann, wenn ihr Aktionsradius über eine einzelne Gemeinschaft hinausreiche. Mit dieser Bemerkung leitet Weber im Vorkriegsmanuskript zu seiner Herrschaftssoziologie über – auf die ja dort die gesamte Argumentation hingeordnet war. Weber, „Klassen“, „Stände“ und „Parteien“, MWG I/22-1, S. 269 f.
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Dies deutet übrigens darauf hin, daß der kurze Abschnitt über die Parteien dem vermutlich früheren Text über die Stände und Klassen erst später hinzugefügt wurde. Denn in dem alten Text wird zwar Macht, nicht aber Herrschaft definiert. Als Weber die Arbeit an dem Projekt begann, war die Herrschaftssoziologie noch nicht entwickelt.
Es ist deshalb kein Zufall, im Grunde nicht einmal ein neuer Gedanke, daß mit dem Vorziehen der Herrschaftssoziologie 1919/20 gegenüber 1914 die Ausführungen über die Parteien, wie bereits gesagt, auch dorthin wandern, also aus dem Verbund mit den Ständen und Klassen gelöst werden, in den sie vor dem Krieg geraten waren. Ihr systematischer Ort ist in der Herrschaftssoziologie. Da in der Neufassung des Kapitels über Klassen und Stände nach dem Kriege der Bezug zur Rechtsordnung entfällt – diese sollte erst später behandelt werden –, steht auch das Verhältnis von Rechtsordnung, Wirtschaftsordnung, sozialer Ordnung und politischer Ordnung jetzt nicht mehr im Zentrum. Vielmehr geht es ganz allgemein um Strukturen der Ungleichheit, seien sie durch Klassenlage oder durch ständische Lage oder durch eine [51]Kombination beider bedingt, was dann auch zu verschiedenartigen sozialen Klassen führen kann. „Allgemein“ heißt, daß Ungleichheit in Gemeinschaften und Verbänden gleich welcher Art auftritt. Zwar verankert Weber die Klassenlage weiterhin in der Wirtschaftsordnung, aber auch die ständische Lage gilt ihm als ökonomisch bedingt. Denn Stände, so heißt es 1920 „entstehen und bestehen […] vorzugsweise auf dem Boden der monopolistisch leiturgischen oder der feudalen oder der ständisch patrimonialen Bedarfsdeckung von Verbänden“,
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während Klassen auf „Maß und Art der Verfügungsgewalt (oder des Fehlens solcher) über Güter oder Leistungsqualifikationen und aus der gegebenen Art ihrer Verwertbarkeit für die Erzielung von Einkommen oder Einkünften“ beruhen.[51]Kap. IV, § 3, unten, S. 599.
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Kap. IV, § 1, unten, S. 592.
Wie in den anderen neugefaßten Texten, tritt auch hier das Interesse an Entwicklung zurück hinter das Interesse an Typologisierung. In der alten Fassung war es umgekehrt. Die Terminologie des Kategorienaufsatzes, die in der alten Fassung gerade dieses Textes über „,Klassen‘, ‚Stände‘ und ‚Parteien‘“ besonders prominent ist und ihn gedanklich und begrifflich in die Nähe von „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ rückt,
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ist in der Neufassung gänzlich verschwunden. Im Mittelpunkt steht die Unterscheidung zwischen Besitzklassen- und Erwerbsklassengliederung einerseits, geburtsständischer und berufsständischer Gliederung oder Gliederung nach Lebensführungen andererseits. Darüber hinaus interessieren bei der Klassengliederung die „Mittel(stands)klassen“ sowie die Verhältnisse, in denen Klassenlagen und ständische Lagen einander begünstigen oder obstruieren. Bei der Klassengliederung kommt unter der Kategorie der „sozialen Klasse“ der Gesichtspunkt der Mobilität, also die Chance eines Wechsels zwischen Klassenlagen, sei es persönlich oder in der Generationenfolge, hinzu.Dieser Text ist ediert in: MWG I/22-3, S. 1912–47.
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Entscheidend ist, daß die Überlegungen zu den Klassen- und Ständegliederungen jetzt vor dem Kapitel über die Gemeinschaften und Verbände stehen. Man kann es auch so sagen: Will man Gemeinschaften und Verbände gleich welchen Zuschnitts soziologisch untersuchen, so muß man auf den Zusammenhang der Herrschaftsund Verwaltungsverhältnisse mit den Klassen- und Ständeverhältnissen achten. Im Kapitel III und in dem begonnenen Kapitel IV wird dafür ein Begriffsapparat, eine „soziologische Typisierung“, bereitgestellt.Kap. IV, § 1, unten, S. 592. Weber spricht ausdrücklich von „drei Klassenkategorien“. Zu den „sozialen Klassen“ auch oben, S. 49, Anm. 12.
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So die Formulierung in Kapitel II, § 15, unten, S. 299.
[52]7.3. Soziologische Grundkategorien des Wirtschaftens (Kapitel II)
Will man Gemeinschaften und Verbände soziologisch untersuchen, so muß man sie aber darüber hinaus zur ‚Wirtschaft‘ in Beziehung setzen. Nicht ohne Grund hatte Weber ja für die Vorkriegsfassung im Jahre 1914 den Titel „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“ gewählt. Auch die Neufassung steht noch im Zeichen dieses Titels. In der Vorkriegsfassung fiel allerdings die Behandlung der ‚Wirtschaft‘ spärlich aus. Für Kapitel II wissen wir von keinem Vorkriegsmanuskript, das Weber 1919/20 hätte überarbeiten können. Es gibt unter den Vorkriegsmanuskripten zwar den kurzen Text über die wirtschaftlichen Beziehungen der Gemeinschaften und Verbände
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sowie den noch kürzeren über die Marktgemeinschaft,[52]Weber, Wirtschaftliche Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen, MWG I/22-1, S. 77–107.
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und die Klassifikation der wirtschaftlichen Orientierung von Verbänden – wirtschaftender Verband, Wirtschaftsverband, wirtschaftsregulierender Verband, Ordnungsverband –, die Weber in § 5 von Kapitel II vornimmt, baut vermutlich auf dem erstgenannten Text auf.Weber, Marktgemeinschaft, MWG I/22-1, S. 193–199. Dieser Text steht im Zusammenhang mit der Unterscheidung von Gemeinschaften. Dabei wird die Marktgemeinschaft als ein ‚sachliches‘ Gebilde den übrigen Gemeinschaften als ‚persönlichen‘ Gebilden gegenübergestellt, als der Typus des rationalen Gesellschaftshandelns, als „Vergesellschaftung durch Tausch auf dem Markt“, ebd., S. 193. Dieser noch in den Kategorien des Kategorienaufsatzes formulierte kurze Text gehört wohl zu der ersten Phase der Arbeit an „Wirtschaft und Gesellschaft“ und ist vermutlich schon 1914 überholt.
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Aber wir können bei Kapitel II nicht von der Neufassung eines Vorkriegsmanuskripts sprechen. Vielmehr müssen wir annehmen, daß dieser Text irgendwann zwischen 1914 und 1919/20 entstanden ist. Möglicherweise wurden das Manuskript oder Teile davon tatsächlich erst 1919/20 geschrieben.Kap. II, § 5, unten, S. 232 f. An diesem Paragraphen machte Weber vermutlich noch später Wortkorrekturen. Dazu Editorischer Bericht, unten, S. 88.
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Sollte Weber bereits im März/April 1914, wie der Briefwechsel mit Paul Siebeck über Wiesers Beitrag immerhin nahelegt, auf dessen Beitrag mit einer Erweiterung seines eigenen Beitrags um eine ‚Wirtschaftssoziologie‘ reagiert haben, so fand dies jedenfalls keinen Eingang mehr in die Disposition von „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“ aus dem März 1914.Es widerspricht allerdings dem gesunden Menschenverstand, daß Weber die von wahrer Klassifikationswut geprägten Passagen, wie etwa die §§ 15 bis 26, ohne eine Vorlage, gewissermaßen aus dem Kopf, in wenigen Wochen niedergeschrieben haben soll, neben all den Texten, an denen er sonst noch arbeitete. Aber ausschließen kann man es nicht.
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Weber beließ es damals offen[53]sichtlich bei der ursprünglich angestrebten arbeitsteiligen Verbindung zwischen Wirtschaftstheorie und Soziologie, also zwischen Wiesers Beitrag und seinem eigenen.Die Einteilung des „Grundrisses der Sozialökonomik“ mit handschriftlichen Korrekturen Max Webers. März 1914, in: MWG I/24, S. 155–162, bes. S. 157. Dazu auch: Schluchten Entstehungsgeschichte, in: MWG I/24, S. 74 ff.
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Dies scheint auch 1919/20 noch so. Denn Weber stellt in der „Vorbemerkung“ zu Kapitel II fest, er wolle „keinerlei ‚Wirtschaftstheorie‘ betreiben, sondern nur „gewisse allereinfachste soziologische Beziehungen innerhalb der Wirtschaft“ feststellen.[53]Dazu ebd., S. 12 ff. Man dachte ursprünglich an ein Ergänzungsverhältnis.
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Es geht ihm also um eine „soziologische Theorie der Wirtschaft“,Kap. II, Vorbemerkung, unten, S. 216.
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nicht um eine ökonomische. Kap. II, § 1, 7, unten, S. 223.
Es ist dabei allerdings eine offene Frage, was Weber hier unter Wirtschaftstheorie versteht. Folgt man der „Vorbemerkung“ weiter, so hält er sich zugute: „Der viel umstrittene Begriff ‚Wert‘ konnte terminologisch ganz umgangen werden.“
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Dies ist zweifellos auf dem Hintergrund der wirtschaftstheoretischen Debatte seiner Zeit gesagt. Daß Weber einen ökonomischen Wertbegriff in seiner soziologischen Theorie der Wirtschaft terminologisch und wohl auch in der Sache umgeht, heißt natürlich nicht, der Wertbegriff allgemein spiele in seiner Soziologie keine Rolle. Im Gegenteil: Er ist ein zentraler Begriff sowohl seiner Kulturtheorie wie seiner soziologischen Grundbegriffe. Dort spricht er von religiösen Werten, von ethischen Werten, aber auch von Kulturwerten sowie von Wertsphären und den Konflikten zwischen ihnen, hier von Wertrationalität. Man könnte nun die Frage nach der Wirtschaftstheorie dahingestellt sein lassen, denn Weber will ja seine eigenen, davon unabhängigen soziologischen Begriffe für die Untersuchung des Wirtschaftens schaffen – für das Haushalten und das Erwerben, für den Haushalt und den Erwerbsbetrieb,Kap. II, Vorbemerkung, unten, S. 216.
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für die planwirtschaftliche und die verkehrswirtschaftliche Bedarfsdekkung, für die Natural- und die Geldrechnung bis hin zur rationalen Haushaltsund Kapitalrechnung,Genauer wäre Erwerbsunternehmung, weil eine Unternehmung mehrere Betriebe, verstanden als technische Einheiten, umfassen kann. Zur Unterscheidung zwischen „Unternehmung“ und „Betrieb“ und zu der Notwendigkeit, sie zu beachten, Kap. II, § 15,2, unten, S. 299–301. Weber spricht aber meist verkürzt von „Erwerbsbetrieb“.
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aber auch für die Vielgestaltigkeit der Appropriations- [54]und Marktbeziehungen, die mit dem Produktionsprozeß verbunden sind.Kap. II, §§ 1 bis 14, unten, S. 216–295. Man kann darin geradezu eine Aufstufung im Sinne der „Soziologischen Grundbegriffe“ sehen, in diesem Fall in der Reihenfolge Handlung, Verband, Ordnung. Es gibt weitere Begriffsbestimmungen, die mit diesen polaren Typen verbunden werden, z. B. die Unterscheidung zwischen Orientierung an Bedarfsdeckung und an Gewinn, zwischen Vermögen und Kapital. Dabei sagt Weber ausdrücklich, diese Klassifikation sei nicht vollständig, Kap. II, § 15, unten, S. 297 ff. Dort auch die bereits erwähnte Unterscheidung zwischen „Unternehmung“ und „Betrieb“. Er hält sie aber wohl für zweckmäßig, weil es ihm nicht nur um die begriffliche, sondern auch um die historische ökonomische Trennung von „Haushalt“ und „Erwerbsbetrieb“ geht. Neben der Rationalisierung des Rechnungswesens (doppelte Buchführung) gilt ihm die ökonomische Trennung von Haushalt und Erwerbsbetrieb als eine wichtige Voraussetzung für ein formal-rationales kapitalistisches Wirtschaf[54]ten. Weitere Voraussetzungen werden in § 30, unten, S. 375 ff., aufgeführt. – Weber betont auch ausdrücklich, die Frage, ob man bei einem wirtschaftlichen Handeln von Haushalten oder von Erwerben sprechen könne, hänge für den Beobachter häufig erst vom letzten Handlungsakt ab. Die organisatorische Trennung von Haushalten und Erwerben, also die Trennung von Haushalt und Erwerbsbetrieb, ist bei seinem Erkenntnisinteresse von größter Relevanz.
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Hinzu kommen soziologische Begriffe für die verschiedenen Formen des Handels unter Einschluß von Banken und BörsenKap. II, §§ 15 bis 26, unten, S. 295–363.
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sowie für die Geld- und Finanzverfassungen, mittels deren die wirtschaftlichen Verbände insbesondere mit den politischen Verbänden in Beziehung gesetzt werden.Kap. II, §§ 27 bis 29, unten, S. 363–375.
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Und all dies letztlich unter der Fragestellung, worin die optimalen Vorbedingungen für formal-rationales Wirtschaften bestehen.Kap. II, §§ 32 bis 41, unten, S. 382–448.
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Die Frage nach der Wirtschaftstheorie offen zu lassen, geht aber schon deshalb nicht, weil Weber betont, sie bilde für die Wirtschaftssoziologie „die Grundlage“.Dazu insbesondere die §§ 9, 30 und 31, unten, S. 251 f., 375–378 und 379–382. Ferner auch die Bemerkung in Kap. II, § 15, unten, S. 303.
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Ein solcher Bezug auf die Wirtschaftstheorie wird denn auch an anderer Stelle wiederholt. So stellt Weber bei der Behandlung der verkehrswirtschaftlichen Bedarfsdeckung fest, die Verkehrswirtschaft sei „die weitaus wichtigste Art alles an ‚Interessenlage‘ orientierten typischen und universellen sozialen Handelns“, welches auf Bedarfsdeckung ziele. Als solche sei sie „Gegenstand der Erörterungen der Wirtschaftstheorie und hier im Prinzip als bekannt vorauszusetzen“.Kap. II, § 1,7, unten, S. 223.
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Wie also sieht Weber das Verhältnis von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftssoziologie? Kap. II, § 14, 1, unten, S. 290.
Es ist nicht leicht, darüber Klarheit zu gewinnen, denn Webers Äußerungen dazu sind spärlich. Daß Wirtschaftssoziologie für ihn nicht einfach Wirtschaftsgeschichte ist, versteht sich von selbst. Ein Vergleich der Anlage von Kapitel II mit der Vorlesung „Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ zeigt denn auch, wo er den Unterschied zwischen beiden verortet: in der Erkenntnisabsicht, in der Zielsetzung.
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Man kann den Akzent auf die Begriffsbildung oder auf die Begriffsanwendung legen. Beides bedingt sich zwar wechselseitig, bleibt aber ein ‚arbeitsteiliges‘ Bemühen. Hier gilt, was Weber über das Verhältnis von Soziologie und Geschichte in Kapitel I allgemein formuliert: „Die Soziologie bildet – wie schon mehrfach als selbstverständlich vorausgesetzt – Typen-Begriffe und sucht generelle Regeln des Geschehens. Im Gegensatz zur Geschichte, welche die kausale Analyse und Zurechnung individueller, kulturwichtiger, Handlungen, Gebilde, Persönlichkeiten [55]erstrebt.“Dazu ausführlich Schluchter, Einleitung, in: MWG III/6, S. 13 ff.
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Bereits im Objektivitätsaufsatz findet sich diese Verhältnisbestimmung von theoretischer und historischer Betrachtung: „theoretische Konstruktionen unter illustrativer Benutzung des Empirischen – geschichtliche Untersuchung unter Benutzung der theoretischen Begriffe als idealer Grenzfälle“.[55]Kap. I, § 1, 11, unten, S. 169.
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Weber, Objektivität, S. 78. Dort auch die ganze „Musterkarte“ von „gedankliche[n] Bildungen“.
Ginge es um das Recht, also um das Verhältnis von Rechtswissenschaft und Rechtssoziologie, so ließe sich das Verhältnis beider Wissenschaften zueinander einfach bestimmen. Denn Rechtswissenschaft ist für Weber eine dogmatische, Rechtssoziologie aber eine empirische Disziplin. Wie wir sahen, kam Weber über seine Kritik an Stammler zu der Position, die Rechtswissenschaft bestimme das normativ Gültige, die Soziologie das empirisch Geltende, wobei sich die Rechtssoziologie der rechtsdogmatischen Begriffe zu heuristischen Zwecken bedienen könne. Insofern seien Rechtswissenschaft und Soziologie zwar aufeinander bezogen, aber ihre Betrachtungsweisen blieben verschieden, und das dabei gewonnene Wissen lasse uns den normativen Anspruch und die Wirksamkeit einer Rechtsordnung besser verstehen. Was für die Rechtswissenschaft gilt, kann man für alle normativen Wissenschaften im Verhältnis zur Soziologie sagen. Aber die Wirtschaftstheorie ist auch für Weber keine normative Disziplin. Jedenfalls ist sie es nicht in dem gleichen Sinn, wie dies für die Rechtswissenschaft festgestellt wurde. Was folgt daraus? Weber beschäftigte dieses Problem im Jahre 1913 ganz besonders intensiv, als er sein Gutachten über Werturteilsfreiheit vorbereitete. Seine ‚Lösung‘ bestand dort darin, daß er die Wirtschaftstheorie so behandelte, als ob sie eine Dogmatik hätte, wenn auch eine solche besonderer Art: „Die ökonomische Theorie ist eine ‚Dogmatik‘ in einem logisch sehr anderen Sinn als die Rechtsdogmatik; sie gebiert keinerlei praktische ‚Kunstlehre‘ aus sich; ihre Begriffe verhalten sich zur ökonomischen Realität spezifisch anders als diejenigen der Rechtsdogmatik zur empirischen Rechtsgeschichte. Aber wie jene als ‚Idealtypen‘ für die letztere verwertet werden können und müssen, so ist diese Art der Verwendung der geradezu ausschließliche Sinn der reinen ökonomischen ‚Theorie‘.“
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Weber, Gutachten (wie oben, S. 5 f., Anm. 16), S. 119. Weber sagt übrigens an dieser Stelle auch, dies sei bei der rationalen Kalkulationslehre anders. Ihr komme für die Einzelwirtschaft in der Erwerbswirtschaft der Status einer echten Dogmatik zu. Deshalb lasse sich daraus auch eine Kunstlehre mit normativ-praktischen Zwecken entwickeln. Er macht also einen Unterschied zwischen der volkswirtschaftlichen und der betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweise. Die betriebswirtschaftliche Kalkulationslehre steht deshalb zur Soziologie in einem ähnlichen Verhältnis wie die Rechtswissenschaft. Ebd., S. 118.
Nun löst diese Aussage unser Problem deshalb nicht, weil ja auch die Soziologie mit Idealtypen arbeitet und auf generelle Regeln des Geschehens aus [56]ist. Weber hat denn auch 1913 die „systematische Nationalökonomie“, wenn auch mit Vorbehalten, zu einem Spezialfall der verstehenden Soziologie erklärt.
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Wirtschaftstheorie und soziologische Theorie der Wirtschaft (Wirtschaftssoziologie), so könnte man schließen, folgen zwar vielleicht verschiedenen Erkenntnisinteressen, haben aber vergleichbare Erkenntnisabsichten: Beide streben nach Idealtypen generellen Charakters, nach generellen Regeln des Geschehens.[56]Ebd., S. 119.
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Daß Weber auch 1920 noch so dachte, ergibt sich aus Kap. I, § 1, 6, unten, S. 155 f. Dort wird die Wirtschaftstheorie zur Illustration der idealtypischen Begriffsbildung herangezogen und dem verstehenden Soziologen geradezu als Vorbild vorgeführt: „Solche idealtypische Konstruktionen sind z. B. die von der reinen Theorie der Volkswirtschaftslehre aufgestellten Begriffe und ‚Gesetze‘. Sie stellen dar, wie ein bestimmt geartetes, menschliches Handeln ablaufen würde, wenn es streng zweckrational, durch Irrtum und Affekte ungestört, und wenn es ferner ganz eindeutig nur an einem Zweck (Wirtschaft) orientiert wäre. Das reale Handeln verläuft nur in seltenen Fällen (Börse) und auch dann nur annäherungsweise so, wie im Idealtypus konstruiert.“ Vgl. auch Kap. I, § 1, 11, unten, S. 170 ff.
Es ist deshalb folgerichtig, wenn Weber mit seinen soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens weder Wirtschaftstheorie betreiben noch diese kritisieren möchte. Sie bleibt für ihn ein Gesprächspartner,
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sofern sie in einer verstehenden Theorie des Handelns fundiert ist und eine individualistische Methode praktiziert. Dies grenzt allerdings den Kreis der für Weber relevanten wirtschaftstheoretischen Positionen nur ungefähr ein. Immerhin wird daran deutlich, weshalb er den Vertretern der Österreichischen Schule der Nationalökonomie mit Sympathie begegnet, aber auch seinem Schüler Robert Liefmann, den er allerdings wegen seiner Neigung zum Psychologismus zugleich kritisiert.Ein schönes Beispiel dafür ist die Passage über Zins auf geliehenes Kapital in einem Erwerbsbetrieb, Kap. II, § 11, unten, S. 168 f. Wie darf der Unternehmer hoffen, „bei Zahlung dieses Entgelts an die Darleihenden dennoch Rentabilität zu erzielen“? Antwort der ökonomischen Theorie: „Grenznutzrelation künftiger im Verhältnis zu gegenwärtigen Gütern“. Den Soziologen dagegen interessiert: In welchem Handeln von Menschen kommt „diese angebliche Relation“ so zum Ausdruck, „daß sie die Konsequenzen dieser Differenzialschätzung in der Form eines ‚Zinses‘ ihren Operationen zugrunde legen können. Denn wann und wo dies der Fall ist, das wäre nichts weniger als selbstverständlich.“ Also doch: Quasidogmatik gegen Wirksamkeitsanalyse?
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Denn man dürfe weder die Wirtschaftstheorie noch die Soziologie [57]auf Psychologie gründen. Das hatte Weber bereits in seiner Auseinandersetzung mit Lujo Brentano über den Status der Grenznutzenlehre der Österreicher ausgeführt.Dazu der wichtige Brief von Max Weber an Robert Liefmann, in dem er die ersten 240 Seiten von Liefmann, Grundlagen I, kritisch kommentiert: „Zunächst Ihr Kampf gegen die ‚Soziologie‘, ich verstehe dies schon – will aber bemerken: wenn ich jetzt nun einmal Soziologe geworden bin (laut meiner Anstellungsurkunde!) dann wesentlich deshalb, um dem immer noch spukenden Betrieb[‚] der mit Kollektivbegriffen arbeitet, ein Ende zu machen. Mit anderen Worten: auch Soziologie kann nur durch Ausgehen vom Handeln des oder der, weniger oder vieler Einzelner, strikt ‚individualistisch‘ in der Methode also, betrieben werden.“ Und weiter: „Unbegreiflich ist mir, [57]daß Sie als ein streng rationaler Theoretiker (ein anderer als ein solcher ist gar nicht möglich!) irgend etwas von der Psychologie erwarten.“ Brief Max Webers an Robert Liefmann vom 9. März 1920, MWG II/10, S. 946–954, hier S. 946 und 953. Liefmann hatte unter anderem formuliert: Das Einheitliche in wirtschaftlichen Handlungen und Beziehungen liege „nicht in der Sachgüterbeschaffung, sondern in einer besonderen Art von Erwägungen, die auf einem Gegenüberstellen und Vergleichen von Nutzen und Kosten, rein psychisch aufgefaßt, mit dem Ziel eines möglichst großen Nutzenüberschusses, Genusses, beruhen.“ Liefmann, Grundlagen I, S. 115. § 1 von Kapitel II enthält ebenfalls eine Auseinandersetzung mit Liefmann, unten, S. 217–221.
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Verstehe man das Grenznutzgesetz richtig, so sei kein Gran Psychologie darin enthalten. Es handele sich vielmehr um eine Maxime, deren Befolgung, die technischen Mittel vorausgesetzt (z. B. Geldrechnung und Preise), zu einem relativ rationalen Wirtschaften führt. In den „Soziologischen Grundbegriffen“ bringt Weber das „Prinzip des Grenznutzens“ in einen Zusammenhang mit der zweckrationalen Handlungsorientierung. Denn der Handelnde könne „die konkurrierenden und kollidierenden Zwecke ohne wertrationale Orientierung an ‚Geboten‘ und ‚Forderungen‘ einfach als gegebene subjektive Bedürfnisregungen in eine Skala ihrer von ihm bewußt abgewogenen Dringlichkeit bringen und darnach sein Handeln so orientieren, daß sie in dieser Reihenfolge nach Möglichkeit befriedigt werden“.Weber, Grenznutzlehre, S. 546 ff. Dazu auch der Brief von Max Weber an Lujo Brentano vom 30. Oktober 1908, MWG II/5, S. 688 f., in dem er Menger gegen den Angriff von Brentano verteidigt.
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In Kapitel II beschränkt er diese Handlungsorientierung auf das rationale Haushalten und stellt es dem rationalen Erwerben gegenüber: „Die Kapitalrechnung und Kalkulation des Marktunternehmers kennt, im Gegensatz zur Haushaltsrechnung, keine Orientierung am ‚Grenznutzen‘, sondern an der Rentabilität.“Kap. I, § 2, 4, unten, S. 176.
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Kap. II, § 11, unten, S. 261.
Es ist darüber hinaus folgerichtig, wenn Weber mit dem Kapitel II keine wirtschaftsgeschichtlichen Betrachtungen verbindet. Es gibt vielmehr theoretische Konstruktionen unter illustrativer Benutzung des Empirischen.
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Er nennt seine Darstellung, die von den „Beziehungen innerhalb der Wirtschaft“Man kann sogar sagen, der Wechsel zwischen Normaldruck und Petitdruck in der äußeren Textgestaltung reflektiere den Unterschied zwischen der theoretischen Konstruktion und der illustrativen Benutzung des Empirischen. Allerdings ist dies nicht immer streng durchgehalten.
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(hauptsächlich die §§ 1 bis 31), aber auch von den Beziehungen zwischen der Wirtschaft und politischen Verbänden handelt (hauptsächlich die §§ 32 bis 41), bescheiden eine „allgemeine Vorbemerkung“Kap. II, Vorbemerkung, unten, S. 216.
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für die soziologische Untersuchung des Wirtschaftens, in der historische Erklärungen noch keine [58]Rolle spielten. Wollte man sie geben, so müßte beispielsweise eine Preis- und Geldtheorie entwickelt sein. Solches aber sei nicht beabsichtigt. Und dies gelte auch für Erklärungen der Entstehung des modernen Kapitalismus, auf den Webers Erkenntnisinteresse natürlich in besonderem Maße gerichtet ist. Erklärungen von dessen Entstehen etwa im Zusammenhang mit der dunklen Epoche vom 10. bis zum 12. Jahrhundert, mit der Preisrevolution im 16. Jahrhundert oder mit der englischen Handelspolitik zur Herstellung von Massenmärkten blieben absichtlich in dieser „allgemeinen Vorbemerkung“ ausgeklammert, weil sie sich im Rahmen dieser „schematischen Systematik“, dieser „soziologischen Typisierung“, (noch) nicht prüfen ließen. Ihr Zweck sei vielmehr Begriffskasuistik. Wolle man Erklärungen dieser Art, so brauche man Tatbestände: „Denn nur ökonomische Tatbestände liefern das Fleisch und Blut für eine wirkliche Erklärung des Ganges auch der soziologisch relevanten Entwicklung“, heißt es explizit. Doch eine Voraussetzung dafür seien klare Begriffe: „Es soll eben vorerst hier nur ein Gerippe gegeben werden, hinlänglich, um mit leidlich eindeutig bestimmten Begriffen operieren zu können.“Kap. II, § 15, 1, unten, S. 298.
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Und dies gilt für die anderen Kapitel auch. [58]Kap. II, § 15, 1, unten, S. 299. Man kann sich allerdings fragen, ob die eindeutig bestimmten Begriffe auch immer einen soziologischen Gehalt besitzen. Denkt man etwa an Webers Übernahme der Kunstbegriffe von Knapp, so kommen Zweifel auf.
An dieser Stelle lohnt sich ein kurzer vergleichender Blick auf drei wirtschaftsbezogene Texte in Webers Werk, die in der Sache Zusammenhängen, aber verschiedene Zwecke erfüllen: die Vorlesung(en) über „Allgemeine (‚theoretische‘) Nationalökonomie“ aus der Zeit vor der Jahrhundertwende,
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die Vorlesung „Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ aus dem Wintersemester 1919/20MWG III/1.
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und die „Soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens“, die Weber der Münchner Vorlesung teilweise zugrunde legte, an denen er aber parallel dazu vermutlich weiterschrieb.MWG III/6.
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Zunächst fällt auf, daß sich gegenüber der Zeit vor der Jahrhundertwende Webers Vergleichshorizont auch bei der Untersuchung wirtschaftlicher Sachverhalte enorm erweitert hat. Der historische Blick ist nicht mehr vornehmlich auf die vorderasiatisch-okzidentale Entwicklung gerichtet, sondern erfaßt jetzt alle großen Zivilisationen, insbesondere auch China und Indien.Die „Wirtschaftlichen Beziehungen der Gemeinschaften im allgemeinen“, MWG I/22-1, S. 77–107, bleiben unberücksichtigt, weil dieser Zwischentext in seinen zentralen Aussagen in die „Grundkategorien“ übernommen ist. Vgl. oben, S. 52 mit Anm. 21. Der Vergleich zwischen den drei Texten ist ausführlich entwickelt in Schluchter, Einleitung, in: MWG III/6, S. 7 ff. Dort auch die Gegenüberstellung der Dispositionen S. 8 f.
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Dies ist auch Resultat der [59]Beschäftigung mit der vergleichenden und entwicklungsgeschichtlich ausgerichteten Religionssoziologie, in der ja nicht nur religiöse, sondern auch wirtschaftliche und herrschaftliche Sachverhalte eine Rolle spielen. Dann kann man konstatieren, daß sich Webers Interesse an der kulturellen Prägung von ‚Gesinnungen‘, von ‚Mentalitäten‘, seit der Jahrhundertwende verstärkt hat. Dies ist natürlich Resultat seiner historisch angelegten Studie über die Prägekraft des asketischen Protestantismus. In der Vorlesung von 1919/20 spielen Ausführungen zu dieser Problematik eine wichtige Rolle: Im „Vierten Kapitel“ ist der § 9 „Die Entfaltung der kapitalistischen Gesinnung“ überschrieben,Weber überarbeitete ja in demselben Zeitraum seine 1915 veröffentlichte Studie über Konfuzianismus für die Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie, wobei er [59]sie, nunmehr unter dem Titel „Konfuzianismus und Taoismus“, nahezu auf die doppelte Länge brachte, indem er insbesondere die „Soziologischen Grundlagen“, also Untersuchungen über die politische und wirtschaftliche Verfassung des kaiserlichen Chinas, hinzufügte. Dies ergibt schon der Vergleich der beiden Inhaltsverzeichnisse. Dazu MWG I/19, S. 77–79.
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und die Vorlesung endet mit Ausführungen über die mentale Seite der Entwicklung, die zum modernen Kapitalismus führt. Auch in den „Soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens“ werden die kulturellen Einflüsse auf die Bildung von Motiven beachtet, etwa bei der Gegenüberstellung verkehrswirtschaftlicher und planwirtschaftlicher Bedarfsdeckung,Weber, Wirtschaftsgeschichte, MWG III/6, S. 380 und 525; dazu: Schluchter, Einleitung, ebd., S. 40 ff.
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insofern der Wirtschaftende dort durch das Unversorgtheitsrisiko, hier durch „ideale Antriebe ‚altruistischen‘ Charakters“ in seinem Handeln bestimmt werde,Weber stellt dabei das Haushalten und das Erwerben auch auf der Ebene der Wirtschaftsordnung einander gegenüber. Der verkehrswirtschaftlichen Bedarfsdeckung entspricht auf der Verbandsebene die Trennung des Haushalts, der sein Wirtschaften am Grenznutzenprinzip ausrichtet, vom Erwerbsbetrieb, der sich an Rentabilität orientiert. Dies ist in seinen Augen eine Konstellation, die der formalen Rationalität des Wirtschaftens, also der Steigerung der Rechenhaftigkeit wirtschaftlicher Vorgänge, besonders günstig ist. Bei der planwirtschaftlichen Bedarfsdeckung dagegen wird die materiale Rationalität des Wirtschaftens betont, was zwingend zu einer Minderung der formalen Rationalität führt. Dazu ausführlich Schluchter, Entzauberung (wie oben, S. 23, Anm. 77), S. 78 ff.
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oder bei der Diskussion der Arbeitswilligkeit, die über Anreize oder Wertorientierung zustande kommen könne, man kann auch sagen: erfolgsorientiert (im Rationalitätsfall: zweckrational) oder eigenwertorientiert (im Rationalitätsfall: wertrational).Kap. II, § 14, unten, S. 288 ff., Zitat: S. 290.
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In beiden Hinsichten, beim Vergleichshorizont und bei der Gewichtung mentaler Faktoren, stehen die beiden späten Texte einander näher, als jedem von den frühen. Hier wirkt sich die ‚Entdeckung‘ aus, die Weber zwischen 1910 und 1914 machte und die sein Erkenntnisinteresse auf die Ratio[60]nalisierungsproblematik im universalhistorischen Kulturvergleich lenkte, aber auch seine schon früh formulierte Einsicht, daß die ökonomischen Faktoren um die außerökonomischen ergänzt werden müssen, wenn man ein zutreffendes Bild der wirtschaftlichen Zusammenhänge gewinnen will.Kap. II, § 25, unten, S. 355 ff. Weber hat hier auch seine Untersuchungen über die „Psychophysik der industriellen Arbeit“ im Hintergrund. Dazu Weber, Psychophysik, MWG I/11, S. 150–380, dort besonders „Akkordverdienste und Leistungsdifferenzen“, S. 294 ff.
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[60]Dazu ausführlich Schluchter, Entstehungsgeschichte, in: MWG I/24, S. 63 ff. Diese Ausweitung ist allerdings bereits in den Vorlesungen vor der Jahrhundertwende angedeutet, als Weber in § 7 (6) das „Verhältnis der Wirtschaft zu den anderen Culturerscheinungen, insbesondere Recht und Staat“ diskutiert. Weber, Allgemeine („theoretische“) Nationalökonomie, MWG III/1, S. 364–370.
Trotz der Distanz der späten Texte zu den frühen steht die Vorlesung über universale Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, anders als die „Soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens“, den Theorievorlesungen vor der Jahrhundertwende dennoch relativ nahe. Dies hängt vor allem damit zusammen, daß auch diese frühen Vorlesungen trotz ihres Theorieanspruchs stark wirtschaftsgeschichtlich ausgerichtet sind. Das zeigt der Vergleich des Aufbaus dieser Vorlesungen mit den Standardwerken des Faches. Webers Aufbau weicht deutlich von diesen ab, gibt der historischen Sicht weit mehr Raum.
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Nachdem er sich durchaus intensiv mit dem ökonomischen Wertbegriff und dem ökonomischen Wertgesetz auseinandergesetzt hat, geht er zur Untersuchung der vorderasiatisch-okzidentalen Wirtschaftsentwicklung über,Schluchter, Grundlegungen I (wie oben, S. 12, Anm. 43), S. 207, Anm. 21 mit Bezug auf Knut Borchardt. Die Gliederung des Lehrbuchs von Eugen von Philippovich wird der der Vorlesung von Max Weber gegenübergestellt in MWG III/1, Anhang 4 (S. 69–79).
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wobei er im Wesentlichen der im Fach verbreiteten Wirtschaftsstufentheorie folgt, wie sie in glänzender Form vor allem Karl Bücher vorgelegt hatte.Weber, Allgemeine („theoretische“) Nationalökonomie § 7, MWG III, S. 374–407.
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Auch in der Vorlesung über Sozial- und Wirtschaftsgeschichte geht er dieser Entwicklung nach, allerdings nicht mehr im alten Schema der Wirtschaftsstufentheorie. Stattdessen spricht er von vorkapitalistischem und kapitalistischem Zeitalter und skizziert die Entwicklung vom ersten zum zweiten für die verschiedenen Wirtschaftszweige. Doch er benutzt immer noch das alte Material, freilich ergänzt und um die außereuropäischen Zivilisationen erweitert, und fügt es in diese elementare Unterscheidung der Zeitalter ein. Dies ist bei den „Soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens“ anders. Hier geht es nicht um eine wie auch immer geartete historische Gliederung des Stoffs. Zu Büchers Stufentheorie: Bücher, Karl, Die Entstehung der Volkswirtschaft. Vorträge und Versuche, 2., stark vermehrte Aufl. – Tübingen: H. Laupp 1898, insbes. S. 49–124 (hinfort: Bücher, Entstehung der Volkswirtschaft2); 1. Aufl. 1883. Zitiert wird nach der 2. Auflage, zu der ein Handexemplar Max Webers vorliegt, Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München.
Es geht aber auch nicht um jene Art von Theorie, die Weber in den Vorlesungen zur theoretischen Nationalökonomie vor der Jahrhundertwende betrieben hatte. Dort setzte er sich ausführlich mit der ökonomischen Wert[61]problematik der abstrakten Wirtschaftstheorie auseinander, von der tauschlosen Wirtschaft bis zur Verkehrswirtschaft.
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Zur Klärung der dabei aufgeworfenen theoretischen Fragen bediente er sich des Grenznutzenprinzips, ganz im Sinne der Österreichischen Schule.[61]Weber, Allgemeine („theoretische“) Nationalökonomie, MWG III/1, § 1, S. 200 ff. und § 2, S. 273 ff.
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Allerdings wollte er bereits hier seinen Hörern den Sinn des Satzes, Angebot und Nachfrage bestimmten den Preis eines Gutes, nicht in erster Linie werttheoretisch, sondern konflikttheoretisch erläutern. Denn er konstatiert, Angebot und Nachfrage seien „nichts Einfaches, sondern complexe Erscheinungen, hinter denen Personen mit differenten Interessen“ stünden, „keine Güterquanten, die gegeneinander agieren, sondern Menschen, die einander gegenüberstehen mit höchst mannigfachen Interessen.“ Es handle sich also bei der Preisbildung nach Angebot und Nachfrage um „keine naturgesetzlich funktionierenden Vorgänge“, sondern um „von Menschen bewußt nach ihren Interessen regulierte.“Ebd., S. 248.
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Und das sagt er auch 1919/20 in seiner soziologischen Theorie der Wirtschaft, nun allerdings im Rahmen seines in den „Soziologischen Grundbegriffen“ definierten Kampfbegriffs.Ebd., S. 288.
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Die Konkurrenz, auch die geregelte Konkurrenz auf dem Markt ist ihm „Marktkampf“, Geldpreise sind ihm nicht allein Folge von Einkommens- und den damit verbundenen Kaufkraftverhältnissen, sondern immer auch Folge von Machtkonstellationen: „‚Geld‘ ist keine harmlose ‚Anweisung auf unbestimmte Nutzleistungen‘, welche man ohne grundsätzliche Ausschaltung des durch Kampf von Menschen mit Menschen geprägten Charakters der Preise beliebig umgestalten könnte, sondern primär: Kampfmittel und Kampfpreis, Rechnungsmittel aber nur in der Form des quantitativen Schätzungsausdrucks von Interessenkampfchancen.“Kap. I, § 8, unten, S. 192.
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Kap. II, § 13, 1, unten, S. 286.
Tatsächlich zeigt sich der Unterschied zwischen der Theorievorlesung und Kapitel II auch im Aufbau der „Soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens“. Während Weber als ein Vertreter der ökonomischen Theorie der Wirtschaft vor der Jahrhundertwende von der Definition der Wirtschaft (des Wirtschaftens) und der idealtypischen Konstruktion des homo oeconomicus über die wirtschaftlichen Bedürfnisse, den wirtschaftlichen Güterbegriff zum wirtschaftlichen Wertbegriff fortschritt, geht er jetzt als der Vertreter der soziologischen Theorie der Wirtschaft nach der Definition des Wirtschaftens (der Wirtschaft) zur Definition des Güterbegriffs über. „Eine soziologische Theorie der Wirtschaft“, so heißt es in den „Soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens“, sei „genötigt, alsbald den ‚Güter‘-Begriff in ihre Kategorien einzustellen (wie dies § 2 geschieht). Denn sie hat es mit jenem ,Handeln‘ zu tun, [62]dem das Resultat der (nur theoretisch isolierbaren) Überlegungen der Wirtschaftenden seinen spezifischen Sinn verleiht.“
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Die ökonomische Theorie, so Weber weiter, könne hier vielleicht anders verfahren.[62]Kap. II, § 1, 7, unten, S. 223.
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Warum und wie, sagt er allerdings nicht. Dazu der Kommentar unten, S. 223, Hg.-Anm. 17.
Während also vor der Jahrhundertwende Werttheorie und Wirtschaftsstufentheorie bei Weber noch eine prominente Rolle spielten, liegt der Akzent in der Wirtschaftssoziologie weder auf dem einen noch auf dem anderen. Aber der Unterschied zwischen einer historischen und einer theoretischen Betrachtung der Wirtschaft bleibt. Jene ist kausal zurechnend, diese typologisch. Dabei folgt die soziologische Theorie der Wirtschaft einem anderen Erkenntnisinteresse als die ökonomische. Soweit die Wirtschaftstheorie abstrakte Theorie ist – und dies scheint diejenige Auffassung von ökonomischer Theorie zu sein, die sich im Werk durchhält –, operiert sie mit der Kunstfigur des nutzenkalkulierenden homo oeconomicus. Für die Wirtschaftssoziologie ist dies aber nur eine Handlungsorientierung unter anderen. Diese geht auch beim Wirtschaften von einem Handelnden aus, der traditional, affektuell, zweckrational oder wertrational orientiert sein kann. Der rationale Nutzenkalkulierer ist ihr also nicht der allgemeine Fall, sondern, wenn man so will, der Ausnahmefall.
Es werden also in diesen drei Kapiteln und in dem begonnenen vierten Kapitel die empirisch-historischen Fragen (noch) nicht aufgeworfen. Aber auch „die typisch-genetische Aufeinanderfolge der einzelnen möglichen Formen“, so Weber, komme hier (noch) nicht zu ihrem Recht.
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Im Zentrum stehe vielmehr die Begriffskasuistik. Dabei betont er ja immer wieder: Welche Begriffe man bilde, sei reine Zweckmäßigkeitsfrage, wie man sie bilde, dagegen nicht. Man habe zwar sehr oft nur die Wahl zwischen unklaren und klaren Begriffen, aber wenn man klare Begriffe wolle, müsse man Idealtypen bilden, in der Wirtschaftstheorie genauso wie in der Wirtschaftssoziologie und in der Soziologie insgesamt.Kap. II, § 15, 1, unten, S. 299.
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Kap. I, § 1, 11, unten, S. 172.
Wie man Begriffe bildet, ist also das eine, welche man bildet, das andere. Beim ersten sind wir als Wissenschaftler festgelegt, beim zweiten aber frei. Welche Begriffe wir bilden, hängt ab von unserem Erkenntnisinteresse, Weber sagt noch mit Rickert: von der gewählten Wertbeziehung. Entscheidend ist, ob die Begriffe, bezogen auf dieses Erkenntnisinteresse, zweckmäßig sind oder nicht. An dieser Stelle scheinen sich nun Wirtschaftstheorie und Wirtschaftssoziologie auch thematisch zu verzweigen, scheinen in verschiedene Richtungen zu gehen. In der Auseinandersetzung mit Robert Liefmann, der Weber Interesse nur an speziellen Zusammenhängen statt an der allgemei[63]nen Theorie vorgeworfen hatte, repliziert er: „Ja, wenn man die Frage: Warum nur im Occident rationaler (Rentabilitäts-)Kapitalismus entstanden ist, einen ‚speziellen‘ Zusammenhang nennt!“ Und weiter: „Es muß doch auch Leute geben, die dieser Frage nachgehen.“
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Einer dieser Leute, die sich für die Entstehungsgeschichte des rationalen Kapitalismus interessieren, will er sein. So kann man sagen, die soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens (und natürlich auch die des Befehlens und Verwaltens sowie der Ungleichheit) haben den Zweck, die Untersuchung der okzidentalen Sonderentwicklung in vergleichender Perspektive auf eine sichere begriffliche Grundlage zu stellen. Deren Erkenntnis zu ermöglichen, ist auch der Zweck dieser Begriffsbildung.[63]Brief Max Webers an Robert Liefmann vom 9. März 1920, MWG II/10, S. 949. In diesem Zusammenhang heißt es auch: „Daß Soziologie und Wirtschaftsgeschichte Theorie [gemeint ist Wirtschaftstheorie, W. S.] nie ersetzen, ist eine meiner Grundüberzeugungen“.
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So endet der Teil von Kapitel II, der gewissermaßen die Behandlung der innerwirtschaftlichen Beziehungen abschließt. Weiter geht es mit der Beziehung der Wirtschaft zu den selbständigen politischen Verbänden, mit den verschiedenen Arten kapitalistischer Erwerbsorientierung unter Berücksichtigung der Sonderstellung des Okzidents. Kap. II, § 31, unten, S. 379 ff.
Gleichzeitig mit der Arbeit am Grundrißbeitrag – erinnert sei an die Komplementaritätsthese
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– entsteht die „Vorbemerkung“ zu den Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie,Vgl. oben, S. 9 ff.
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mit der Weber seine Studien über den asketischen Protestantismus mit denen über die Wirtschaftsethik der Weltreligionen zusammenbindet.Werner Siebeck bestätigt am 24. September 1919, das Manuskript der „Vorbemerkung“ im Umfang von 10 Blatt sei eingegangen. Brief Werner Siebecks an Max Weber vom 24. September 1919, VA Mohr/Siebeck, BSB Deponat München, Ana 446. Wenige Tage später ist auch Kapitel I zum „Grundriß“ beim Verlag.
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Dort ist dieses Interesse in aller wünschenswerten Klarheit formuliert. Er wolle zentrale kulturgeschichtliche Unterschiede unserer Kultur zu anderen Kulturen herausarbeiten, und dazu müsse man für die wichtigsten Kulturkreise erkunden, „welche Sphären und in welcher Richtung sie rationalisiert wurden“. Letztlich erstrebe er, „die besondere Eigenart des okzidentalen und, innerhalb dieses, des modernen okzidentalen, Rationalismus zu erkennen und in ihrer Entstehung zu erklären.“Dazu ausführlich Weber, Einleitung, MWG I/19, S. 83 ff.
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Dies erfordere einen auf dieses Erklärungsproblem zugeschnittenen Begriffsapparat. Weber, Vorbemerkung, in: GARS I, S. 12 (MWG I/18).
Tatsächlich geht es in Kapitel II letztlich auch um den typologischen Ort des modernen Kapitalismus unter den vielen Arten des erwerbsmäßigen und des haushaltsmäßigen Wirtschaftens,
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so wie es in Kapitel III um den typolo[64]gischen Ort des modernen Staates unter den vieler Arten des Befehlens und Verwaltens und in Kapitel IV um die modernen Klassen- und Ständeverhältnisse unter den vielen Arten sozialer Ungleichheit geht. Das zweckrationale wirtschaftliche Handeln, die durch Geld vermittelte und marktgesteuerte Tauschbeziehung, der auf Geldrechnung beruhende rationale Haushalt und der davon getrennte, auf Kapitalrechnung beruhende rationale Erwerbsbetrieb, die verkehrswirtschaftliche Bedarfsdeckung als Ordnungsrahmen, all dies fügt sich zu einem Wirtschaften zusammen, das, wie Weber in seiner Vorlesung über Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sagt, namentlich dank dem Durchdringen der Buchführung „in hohem Grade rationalisiert“ sei. Und er geht dort so weit zu sagen, daß „in gewissem Sinn und in gewissen Grenzen […] die gesamte Wirtschaftsgeschichte die Geschichte des heute zum Siege gelangten ökonomischen, auf Rechnung aufgebauten Rationalismus“ sei.Beispiele sind etwa die geschlossene Hauswirtschaft und die Oikenwirtschaft mit ihren verschiedenen Varianten, die Weber im Zusammenhang mit der Unterschei[64]dung von Natural- und Geldrechnung behandelt. Dazu Kap. II, § 12, unten, S. 273 ff. Über die „untereinander artverschiedene[n] typische[n] Richtungen ‚kapitalistischer‘ (d. h. im Rationalitätsfall: kapitalrechnungsmäßiger) Orientierung des Erwerbs“ Kap. II, § 31, unten, S. 379. Hier ist die Überwindung der Naturalrechnung durch Geldrechnung Voraussetzung. Insgesamt geht es auch in Kapitel II immer wieder um die „optimalen Vorbedingungen formaler Rationalität der Wirtschaft“, ebd., § 15, 4, unten, S. 303.
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Die moderne Wirtschaft wird denn auch in Kapitel II in komplexer Weise von anderen Wirtschaften unterschieden und das Verhältnis von Wirtschaftsverbänden, der ‚Wirtschaft‘, zu den „(primär) außerwirtschaftlich orientierten Verbänden“, insbesondere zu den politischen Verbänden, beschrieben.Weber, Wirtschaftsgeschichte, MWG III/6, S. 94. Ähnliche Formulierungen lassen sich auch in Kap. II finden, so etwa, wenn es in § 15, 4, unten, S. 303, heißt: „Zweck der Erörterung ist auch hier [!] vor allem: Feststellung der optimalen Vorbedingungen formaler Rationalität der Wirtschaft und ihrer Beziehung zu materialen ‚Forderungen‘ gleichviel welcher Art.“ Auf die spannungsreiche Beziehung zwischen formaler und materialer Rationalität weist Weber auch in der Vorlesung hin und fügt hinzu, die Wirtschaft sei keineswegs das „einzige Kulturgebiet, auf dem sich dieser Kampf der formalen mit der materialen Rationalität“ abspiele, Weber, Wirtschaftsgeschichte, MWG III/6, S. 95. Und er geht denn auch in Kap. III am Beispiel der Herrschaftsverhältnisse wieder darauf ein (Kap. III, § 5, unten, S. 465). Weber spricht dort sogar von „eine[r] jener großen Irrationalitäten: Antinomie der formalen und materialen Rationalität“, von denen „die Soziologie so viele zu konstatieren“ habe.
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Dabei steht neben der Geldverfassung die Finanzverfassung, die Art der Finanzierung politischer Verbände, im Mittelpunkt. Dies schließt auch die Frage ein, welche Rückwirkungen sich aus den bestehenden Regelungen für die Wirtschaftsverbände ergeben, für ihr autonomes Wirtschaften einerseits, für die formale Rationalisierung ihres Wirtschaftens andererseits.Kap. II, § 38, unten, S. 428.
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In Kapitel III wird [65]das vertieft. Denn die Besprechung der Typen der Herrschaft endet regelmäßig, wie schon gesagt, mit der Frage, wie sich der dargestellte Herrschaftstypus zur Wirtschaft verhält, insbesondere ob er formal rationale Wirtschaften begünstigt oder obstruiert. Hierzu in Kapitel II vor allem die §§ 30 und 31 in Verbindung mit den folgenden Paragraphen, insbesondere mit den §§ 37 ff. (unten, S. 375–382 und 427–448). Die Ausführungen sind nicht auf politische Verbände beschränkt. Weber will damit aber [65]nicht die Theorie der Wirtschaftsstufen wiederbeleben, die einst Karl Bücher in seiner Aufsatzsammlung so glänzend vorgetragen und, allerdings in einer ausgedünnten Fassung, für Abteilung I des Ersten Buches des Grundrisses der Sozialökonomik geliefert hatte. Weber zeigte sich von diesem Beitrag sehr enttäuscht. Bücher, Entstehung der Volkswirtschaft2; und ders., Volkswirtschaftliche Entwicklungsstufen, in: Grundriß der Sozialökonomik, Abt. I. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1914, S. 1–18. Zur Problematik der Theorie der Wirtschaftsstufen, der „ökonomischen ‚Entwicklungsstufen‘“, auch Kap. II, § 15, 3, unten, S. 302.
Doch trotz der gemeinsamen Zwecksetzung der ersten vier Kapitel und der Verknüpfungen zwischen ihnen steht Kapitel II wie ein erratischer Block in Webers intellektueller Landschaft. Es ist kein Zufall, daß es in der Sekundärliteratur meist umgangen wird. Aber das Kapitel ist weder gänzlich isoliert, noch ist es der Schlüssel für das Werk als Ganzes. Es ist vielmehr ein unverzichtbarer Bestandteil einer die verschiedenen Sphären des Handelns durchdringenden soziologischen Typisierung, die auch die Beziehungen zwischen ihnen, den „Gesamtzusammenhang von Handeln“,
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bearbeiten will. Dabei sind auch ungleiche und ungleichzeitige Entwicklungen, aber auch strukturelle Unvereinbarkeiten zwischen den verschiedenen Sphären des Handelns zu beachten. Allerdings besitzt dieses Kapitel nicht dieselbe übersichtliche Gliederung wie Kapitel I und Kapitel III.Formulierung übernommen aus Kap. II, § 1, 4, unten, S. 219, wo es um den Zusammenhang von Technik und Wirtschaft geht.
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Dies mag auch damit zusammenhängen, daß Weber hier noch während des Drucks den Text über das übliche Maß hinaus verändert und erweitert. So werden zwei lange Paragraphen über die Geldverfassung noch nachgeschoben, als der Druck bereits weit fortgeschritten ist. Wie im Editorischen Bericht dargelegt, geht die Erweiterung sogar darüber hinaus.Im Unterschied zu den übrigen Kapiteln verzichtete Weber hier auch auf Zwischenüberschriften. Dazu Editorischer Bericht, unten, S. 93 f. Es spricht auch nicht für eine überlegte Gliederung, wenn z. B. die Kapitalrechnung an drei verschiedenen Stellen erörtert wird (§ 11, § 27, § 30, unten, S. 259ff, 363–365 und 375–378).
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Weber entschuldigt sich dafür beim Verleger mit folgender Begründung: „‚Wirtschaft und Gesellschaft‘ habe ich unter Ihrem Drängen s. Z. in rasender Hast fertig gestellt (das fertig da liegende Mscr. mußte umgestaltet werden). Daher jetzt, bei den letzten §§ des Kap. II, die Notwendigkeit der beiden eingeschobenen langen §§. Es geht nicht anders und bringt übrigens Das, was die Fachleute an diesem Kap. (II) besonders reizen wird: Auseinandersetzung mit Knapp’s ‚Staatliche Theorie des Geldes‘, [66]die stets mißverstanden wird. Aber nun ist die Sache endgültig vollständig und sie geht übermorgen oder Montag an Sie ab.“Dazu der Editorische Bericht, unten, S. 89 f.
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[66]Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 23. April 1920, MWG II/10, S. 1027 f.
Nun wird man kaum behaupten wollen, das Kapitel II verlöre an Substanz, würde die Auseinandersetzung mit Knapp fehlen, so interessant sie auch für die Zeitgenossen gewesen sein mag.
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Zudem wirkt der „Exkurs über die staatliche Theorie des Geldes“ wie ein Fremdkörper in einem sowieso schon relativ unübersichtlichen Text.Dies betrifft insbesondere die Ansätze zu einer Theorie der Inflation. Davon später.
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Gewiß, Weber verwendet Knapps eigenwillige Terminologie in § 6 (Tauschmittel), dann in den §§ 32 ff. (Geldverfassung und Geldpolitik), so daß eine Erläuterung von dessen Ansatz durchaus am Platze ist. Und er kündigt auch mehrmals an, er werde Knapps Theorie – „das großartigste Werk des Fachs“ – später noch eingehender behandeln, weil es zwar die formale Seite des Geldproblems glänzend löse, nicht aber die materiale. Aber es zeugt nicht gerade von überlegter Textkomposition, dies dann in nachgeschobenen Paragraphen und in einem mit dem übrigen Text nur locker verbundenen Exkurs tun zu müssen.Kap. II, § 36, unten, S. 415–427.
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Möglicherweise hatte Weber zunächst gar nicht vor, Knapp diese prominente Stellung in seinen Überlegungen zur Geldverfassung einzuräumen. Dazu Editorischer Bericht, unten, S. 89 f. Zudem verwundert in diesem Zusammenhang die Kombination von Knapps staatlicher Theorie des Geldes mit der Geldtheorie von Ludwig von Mises. Von dieser sagt Weber, sie sei ihm für die von Knapp nicht gelösten materialen Probleme „die im ganzen annehmbarste“, Kap. II, § 6 (S. 40). Mises aber hatte Knapps These, der Staat ‚proklamiere‘ die Geltung des Geldes als gebietsuniversales Zirkulationsmittel mittels Recht und setze seine Akzeptanz mittels Sanktionen durch, scharf angegriffen: „Nicht der Staat, sondern die auf dem Markt Tauschenden in ihrer Gesamtheit schaffen Geld.“ Mises, Ludwig von, Theorie des Geldes und der Umlaufmittel. – München und Leipzig: Duncker & Humblot 1912, S. 68. Während Knapp in seiner Geldtheorie den Bezug zur Rechtsordnung und zur Rechtsgeschichte herstellt, unterscheidet von Mises scharf zwischen einer rechtswissenschaftlichen und einer wirtschaftswissenschaftlichen Betrachtungsweise. Geldgeschichte dürfe man nicht als Rechtsgeschichte verstehen. Knapp gibt eine genetische und eine funktionelle Einteilung der Geldarten, die sehr differenziert ist. Die entscheidende Aussage lautet: Es gibt kein vom Staat unabhängiges Geld. Knapp, Georg Friedrich, Staatliche Theorie des Geldes, 2. Aufl. – München und Leipzig: Duncker & Humblot 1918 (hinfort: Knapp, Staatliche Theorie2) (1. Aufl. 1905), Knapps Übersichten S. 64 und S. 84 ff.
Die kompositorischen Schwierigkeiten,
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aber auch die Feststellung in dem Brief an Paul Siebeck, dieser habe ihn bei seiner Arbeit am Grundrißbeitrag [67]zu ‚rasender Hast‘ angetrieben, führt noch einmal zurück zu der Frage, ob für Kapitel II nicht doch ein Text aus der Vorkriegsfassung als Vorlage diente. Was heißt in diesem Brief ‚seiner Zeit‘? Daß Siebeck Weber 1914 drängte, endlich seinen Beitrag abzuschließen und abzuliefern, läßt sich hinreichend belegen. Das spräche für ein älteres Manuskript als Grundlage der Wirtschaftssoziologie. Es kann aber auch sein, daß Weber mit ‚seiner Zeit‘ den Sommer 1919 oder das Frühjahr 1920 meinte.Sie zeigen sich übrigens auch darin, daß die vier Kapitel trotz der Paragraphenfolge äußerlich uneinheitlich bleiben: Die Kapitel I und II beginnen jeweils mit einer Vorbemerkung und haben keine Zwischenüberschriften; bei Kapitel III und dem begonnenen Kapitel IV wählt Weber zusätzlich zu den Paragraphen Zwischenüberschriften, verzichtet aber auf Vorbemerkungen. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, daß zumindest Kapitel III zu einem früheren Zeitpunkt als Kapitel I und II für die neue Fassung [67]fertiggestellt wurde. Man erfährt über die Genese dieses Kapitels im Briefwechsel mit dem Verleger ja auch praktisch nichts. Allerdings sind auch hier Veränderungen im April/Mai 1920 wahrscheinlich. Dazu der Editorische Bericht, unten, S. 86 ff.
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Denn zu dieser Zeit stand Siebeck als Unternehmer vor der Frage, wie er angesichts der sich verschlechternden wirtschaftlichen Verhältnisse seinen Betrieb aufrechterhalten konnte. Um Mitarbeiter nicht entlassen zu müssen, benötigte er kontinuierliche und angemessene Aufträge für die Druckerei. Dazu mußten aber Manuskripte rechtzeitig ,zufließen‘. Das war nach aller Erfahrung bei Weber nicht immer der Fall. So schreibt Paul Siebeck am 5. August 1919 an ihn: „Bei dieser Gelegenheit möchte ich mir die höfliche Anfrage erlauben, bis wann etwa ich die von Ihnen in Aussicht gestellten Manuskripte erwarten darf. Zur Beschäftigung der Setzer in der Druckerei von Laupp jr. wäre mir ein baldiges Eintreffen der Manuskripte erwünscht.“Bezieht man das Drängen nicht nur auf den Grundrißbeitrag, sondern auch auf die geplanten Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie, so ließen sich noch frühere Daten nennen. So schreibt etwa Paul Siebeck am 26. November 1918 an Weber: „Hochverehrter Freund, die Demobilisierung macht es notwendig, daß das aus dem Feld zurückkehrende Personal der Druckereien beschäftigt wird. Ein Mittel dazu ist das Freiwerden stehenden Satzes für die Hand der Setzer. Es wäre daher erwünscht, daß die Separatausgabe Ihrer Aufsätze im Archiv, die im Satze stehen, sogleich nach Eintreffen des Papieres gedruckt werden können.“ Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 26. November 1918, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446. Und am 21. Februar 1919 heißt es: „Noch ein Anderes liegt mir heute am Herzen, die Arbeitslosigkeit der Setzer. Die hiesige Druckerei hat, wie der Arbeiterrat mir mitgeteilt hat, in erschreckendem Masse Kündigungen vorgenommen, was natürlich sehr unzeitgemäß ist. Um sie nun zur Rücknahme der Kündigung veranlassen zu können, sollte ich wegen der augenblicklichen Not möglichst viel Manuscripte der hiesigen Druckerei zuteilen können, und da kam ich auf den Gedanken, ob es nicht möglich wäre, mit dem unveränderten Neusatz Ihrer Abhandlungen im ‚Archiv für Sozialwissenschaft‘ Band 20, Heft 1 und Band 21, Heft 1 zu beginnen.“ Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 21. Februar 1919, ebd. Weber ging in beiden Fällen darauf nicht ein, spürte aber sicherlich den damit verbundenen und in der Sache gerechtfertigten Druck.
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Schwierigkeiten bei der Papierbeschaffung verschärften die Lage. Für Webers Grundrißbeitrag hatte man eigens eine größere Menge Spezialpapier zurückgehalten,Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 5. August 1919, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446.
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und die Nichtverwendung dieser kostbaren Ressource schädigte den Verlag. Am 5. März 1920 entschließt sich [68]Paul Siebeck gar zu folgendem Brandbrief an Max Weber: „Hochverehrter Freund, die Lage auf dem Papiermarkt wird immer schwieriger. Daher muß ich sehen, daß ich die bei mir lagernden Papiere möglichst rasch verwende. Zu den Papieren, die ich schon längere Zeit auf Lager habe, gehört einmal das für den GdS bestellte und auch das Papier für Ihre ‚Gesammelten Aufsätze‘. Ich verkenne durchaus nicht, daß Sie mit den Lieferungen der Manuscripte Ihr Möglichstes tun, aber wenn wir an dem GdS nicht bald weiterdrucken können, so muß ich, so leid mir es tut, das für den GdS bestimmte Papier anderweitig verwenden. Sie können mir glauben, daß ich mich zu diesem Briefe nur sehr schwer entschlossen habe, aber die große Notlage, in der wir uns mit der Papierbeschaffung befinden, hat mich die Bedenken, die ich gegen einen solchen Brief habe, überwinden lassen.“Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 13. September 1919, ebd.
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[68]Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 5. März 1920, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446.
Wir müssen also abermals feststellen, daß es keine gesicherte Antwort auf die Frage gibt, ob Weber bei der Konzeption und Niederschrift von Kapitel II ein Vorkriegsmanuskript benutzte. Denn das „seiner Zeit“ im Brief kann sich sowohl auf 1914 wie auf Sommer 1919 oder Frühjahr 1920 beziehen. Außer Frage steht allerdings, daß Weber auf Vorkriegswissen zurückgreifen konnte, auch auf solches, das er als nationalökonomischer Lehrer erworben hatte.
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Doch dieses entfaltet sich nun in einem soziologischen Zusammenhang, im Aufbau einer Wirtschaftssoziologie. Hier kommen hauptsächlich seine Vorlesungen über „Allgemeine (‚theoretische‘) Nationalökonomie“ aus den Jahren 1894 bis 1898 (MWG III/1) in Frage.
Kapitel I enthält also die allgemeinen Kategorien der verstehenden Soziologie, Kapitel II Kategorien des Haushaltens und Erwerbens, Kapitel III Kategorien des Befehlens und Verwaltens, Kapitel IV Kategorien der sozialen Ungleichheit. Aber dieses Vorgehen ist kein Selbstzweck. Es ist die begriffliche Vorarbeit dafür, daß die Eigenart des okzidentalen, und innerhalb dieses, des modernen okzidentalen Rationalismus erkannt und in ihrem Entstehen erklärt werden kann. Aber es ist selbst noch keine Erklärung. Dafür mußten Tatbestände herangezogen werden, über das zur Illustration der Begriffe verwendete empirisch-historische Material hinaus.
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Begriffsentwicklung und Begriffsanwendung, diese beiden Forschungsabsichten galt es zwar gleichermaßen zu verfolgen. Aber der Grundrißbeitrag ist in erster Linie der Ort der Begriffsentwicklung, die Aufsätze zur Religionssoziologie der Ort der Begriffsanwendung. Dies motivierte Weber vermutlich dazu, sein Doppelprojekt, den Grundrißbeitrag und die Gesammelten Aufsätze zur Religionsso[69]ziologie, mit der gleichen Intensität zu verfolgen. Man sollte sie nicht unabhängig voneinander betrachten, weil sie in Wechselwirkung stehen. Das ist eingelöst z. B. in der Aufsatzfolge „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ aus den Jahren 1904 und 1905, die Weber ja gleichzeitig mit dem Grundrißbeitrag in erweiterter Fassung neu vorlegte. Dazu MWG I/9 und MWG I/18.
8. Soziologische Typisierung und dynamische Analyse
Anders als bei den Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie, für die wir eine Gesamtdisposition von Webers Hand besitzen, fehlt eine solche für den neu gefaßten Grundrißbeitrag. Weber hatte sie Siebeck zwar versprochen, aber offenbar nicht vorgelegt. Wir können deshalb nur aus Verweisen in den ersten Kapiteln schließen, wie es vermutlich weitergegangen wäre. Kapitel IV war, wie gezeigt, schon begonnen, aber über die Paragraphen 1 bis 3 nicht hinausgelangt. Kapitel V sollte eine soziologische Typisierung der Gemeinschaften und Verbände bringen, wohl mit Hausgemeinschaft und Nachbarschaftsverband beginnend. Dann hören Hinweise auf die weitere Kapitelfolge auf. Es ist nur noch von einer Religions-, einer Rechts- und einer Staatssoziologie die Rede.
1
Auch ein Kapitel über Revolutionen, über eine „Theorie des Umsturzes“, schien, wie bereits erwähnt, geplant.[69]Dazu die Übersicht im Anhang zum Editorischen Bericht, unten, S. 108 ff.
2
Für die Religions- und Rechtssoziologie gab es Vorlagen aus der alten Fassung. Von der Religionssoziologie läßt sich sicher sagen, daß er sie umgearbeitet hätte,Kap. III, § 14, unten, S. 532.
3
von der Rechtssoziologie weiß man es nicht. Über das Problem der Staatssoziologie haben wir gesprochen. Vielleicht dachte Weber, wie schon 1914, an eine Entstehungsgeschichte des modernen Staates und der modernen politischen Parteien, also an eine historisch ausgerichtete Betrachtung der politischen Verbände in Verbindung mit der Rechtsgeschichte, unter Einschluß einer Theorie der Demokratie.Weber, Vorbemerkung, in: GARS I, S. 15 (MWG I/18), wo er von einer noch zu leistenden „systematischen Bearbeitung der Religionssoziologie“ spricht.
4
In Kapitel III finden sich mehrere Bemerkungen dazu, etwa in Gestalt der Gegenüberstellungen von plebiszitärer Führerdemokratie und führerloser Demokratie,Hinweise darauf Kap. III, § 1,7, unten, S. 453 und § 5, unten, S. 468.
5
von unmittelbarer und repräsentativer DemokratieKap. III, § 14, unten, S. 533 ff.
6
sowie der Vielfalt ihrer repräsentativen Formen.Kap. III, § 19, unten, S. 574 f.
7
Aber dies ist Spekulation. Kap. III, § 21, 4, unten, S. 581 ff. Weber scheint hier besonders die Arbeiten von Wilhelm Hasbach im Blick zu haben, der sich unter anderem mit der Entwicklung der demokratischen und liberalen Ideen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert sowie mit der parlamentarischen Entwicklung vor allem in England beschäftigt hatte. Dazu Hasbach, Wilhelm, Die moderne Demokratie. Eine politische Beschreibung. – Jena: Gustav Fischer 1912, sowie ders., Die parlamentarische Kabinettsregierung. Eine politische Beschreibung. – Stuttgart und Berlin: Deutsche Verlagsanstalt 1919 (hinfort: [70]Hasbach, Kabinettsregierung). Diese Arbeit wird von Weber auch ausdrücklich zitiert, ebd., § 21, 4, unten, S. 582 f.
[70]Dies wirft das interessante Problem auf, wie konsequent Weber auch in der Folge seinen Grundrißbeitrag auf reine Begriffsarbeit beschränkt hätte. Es heißt an der oben zitierten Stelle wohl nicht ohne Absicht „vorerst“. Und auch in der „Vorbemerkung“ zu Kapitel II formuliert er, daß „vorerst“ jegliche Dynamik beiseite gelassen sei.
8
Dieses „Vorerst“ wiederholt sich immer wieder. Dies spricht dafür, daß nicht nur soziologische Typisierung vorgesehen war. In den Vorkriegsmanuskripten hatte er zwischen Strukturformen und Entwicklungsformen unterschieden und die Entwicklungsformen auf die Herrschaftssoziologie bezogen. Dies ist jetzt anders, aber deshalb ist diese Unterscheidung nicht obsolet. In einer Notiz an den Verlag von Anfang Januar 1920 liest man, das Buch wolle insgesamt „keineswegs ‚dürr‘ und ‚abstrakt‘ sein“.Kap. II, Vorbemerkung, unten, S. 216.
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Was folgt daraus? Notiz Max Webers an den Verlag, vor dem 9. Januar 1920, MWG II/10, S. 881. Die Druckerei hatte die Vorbemerkung zu Kap. I so gesetzt, als würde sie für die gesamte 1. Lieferung gelten. Dies wurde von Weber korrigiert.
Wir können auch hier wieder nur mehr oder weniger plausible Vermutungen anstellen. Immerhin spricht Weber außer von weiteren Kapiteln und Soziologien (Religion, Recht, Staat) auch von soziologischen Einzelanalysen, von zahlreichen in der Einzelanalyse festzustellenden Sonderumständen, von Eigenarten, über die später gesondert geredet werden müsse, auch davon, daß auf etwas gesondert näher eingegangen werde oder daß etwas einer besonderen Betrachtung vorbehalten sei.
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Obgleich solche Verweise mitunter mehrdeutig sind – sie können auch auf etwas außerhalb des Buches verweisen –, lassen sie doch vermuten, daß er dynamische wirtschafts-, religions-, rechts- und staatssoziologische Betrachtungen im Rahmen des Grundrißbeitrags nicht gänzlich ausschloß. Eine aufschlußreiche Stelle in dieser Hinsicht findet sich am Ende von Kapitel II. Dort heißt es: „Ehe auf die Entwicklungsstufen und Entwicklungsbedingungen der Wirtschaft zurückgekommen wird, muß erst die rein soziologische Erörterung der außerwirtschaftlichen Komponenten vorgenommen werden.“Belegstellen dazu im Anhang zum Editorischen Bericht, unten, S. 108 ff.
11
Dies ist vielleicht der stärkste Beleg dafür, daß die ‚Dynamik‘ nur zunächst ausgeklammert war. Dies gilt aber wohl nicht allein für die Wirtschaft und die wirtschaftlichen Mächte, sondern auch für die übrigen gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Vielleicht haben Hinweise dieser Art Marianne Weber dazu angeregt, von einer abstrakten und einer konkreten Soziologie innerhalb des Grundrißbeitrags zu [71]sprechenKap. II, § 39, 3, unten, S. 440. Weber deutet übrigens an, wie eine Theorie der wirtschaftlichen Entwicklungsstufen angelegt sein könnte, nämlich als Theorie der Leistungsspezialisierung und -verbindung, also als Theorie der Struktur der Wirtschaft.
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und daraus eine Konzeption für ihre Edition von Wirtschaft und Gesellschaft zu gewinnen, die es ihr erlaubte, die von ihrem Mann zum Druck gegebenen und korrigierten Kapitel mit den im Nachlaß gefundenen Vorkriegsmanuskripten zu einem Buch zu verbinden. Daß dies allerdings ein Irrweg war, hat die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte des Grundrißbeitrags gezeigt.[71]Weber, Marianne, Vorwort zur 2. Lieferung, in: WuG1, S. III, vor S. 181.
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Schluchter, Entstehungsgeschichte, in: MWG I/24, bes. S. 93 ff.
Aber selbst wenn man nur auf die drei Kapitel und das begonnene vierte blickt, wird deutlich, daß Weber tatsächlich über bloße soziologische Typisierung hinausgeht. An manchen Stellen tauchen schon hier Aussagen zwar nicht zu konkret historischen, wohl aber zu strukturellen Dynamiken auf. Es werden Grundspannungen in den verschiedenen Sphären des Handelns gezeigt, in der wirtschaftlichen Sphäre sowohl wie in der politischen und der sozialen. In Kapitel II hebt Weber die Grundspannung zwischen Appropriations- und Marktbeziehungen, in Kapitel III die zwischen Herrn und Verwaltungsstab, in Kapitel IV die zwischen Klassen- und Ständelage hervor. Je nachdem, wie diese Spannungen ‚ausgeglichen‘ werden, entstehen verschiedene Wirtschafts-, Herrschafts- und Ungleichheitsformen. Und wo immer dabei Rationalisierungsprozesse angestoßen werden, führt dies zu der Antinomie von formaler und materialer Rationalität.
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So die Formulierung in Kap. III, § 5, unten, S. 465.
Ein weiterer Hinweis auf das Interesse an Dynamik läßt sich entdecken. Der Beitrag, so haben wir bereits mehrmals betont, wurde 1914 nicht grundlos „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“ genannt. Dieser Titel wurde von Weber 1919/20 auch keineswegs verworfen, obgleich ihm der Titel „Soziologie“, wie gezeigt, wohl inzwischen näher lag. Der ältere Titel macht deutlich, daß es ihm nicht nur um Spannungen in den Ordnungen, sondern vor allem um die Spannungen zwischen ihnen zu tun war. „Die Zusammenhänge der ökonomischen Dynamik mit der Gesellschaftsordnung werden s. Z. stets erneut erörtert werden“, heißt es am Schluß des Kapitels II.
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Die Wirtschaft und die wirtschaftlichen Mächte in ihrem spannungsreichen Verhältnis zu den übrigen gesellschaftlichen Ordnungen und Mächten zu analysieren, das war die Zielsetzung 1914, und sie ist es noch 1919/20. Kap. II, § 41, unten, S. 448.
9. Aktuelle Bezüge
Die Texte enthalten auch viele aktuelle Bezüge. Dies ist nicht verwunderlich, denn Max Weber schrieb sie in einer Zeit der fundamentalen politischen und ökonomischen Umwälzung. Schon während der Kaiserzeit, vor allem aber [72]während der Revolutionszeit setzte sich Weber in Wort und Schrift für eine Neuordnung Deutschlands ein, gegen die politischen Kräfte von links und von rechts.
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Nach dem Untergang des Kaiserreichs schwebte ihm ein ‚freier Volksstaat‘ vor, eine föderale Republik mit zwei Kammern, dem aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Reichstag, der die Reichsregierung wählen und kontrollieren sollte, und dem Bundesrat, über den die Länder an der Gesetzgebung mitwirken sollten, sowie einem Reichspräsidenten an der Spitze, direkt vom Volk gewählt.[72]Auf der Linken waren die wichtigsten Gegner der linke Flügel der USPD und der Spartakusbund, auf der Rechten die annexionistischen und die antisemitischen Strömungen sowie die DNVP. Dazu aus den vielen Reden, die allerdings überwiegend nur indirekt überliefert sind, etwa die Rede vom 17. Januar 1919 in Heidelberg, Weber, Der freie Volksstaat, MWG I/16, S. 461–474. Dazu auch das Stichwortmanuskript ebd., S. 160–176.
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Hierzu die verschiedenen verfassungspolitischen Vorschläge, abgedruckt in MWG I/16, darunter besonders die als Sonderabdruck aus der Frankfurter Zeitung erschienene Broschüre „Deutschlands künftige Staatsform“, ebd., S. 98–146, und der Artikel „Der Reichspräsident“, ebd., S. 200–224.
Zwei dieser aktuellen Bezüge, die sich im Grundrißbeitrag finden, seien beispielhaft herausgegriffen, einer aus Kapitel II, einer aus Kapitel III. Wir dürfen bei Weber in einem wissenschaftlichen Text allerdings keine politischen Werturteile erwarten, sondern wissenschaftlich fundierte Tatsachenurteile, allenfalls verbunden mit technischer Kritik. Weber unterschied ja sauber zwischen der Rolle des Wissenschaftlers und der des Politikers, und er praktizierte diese Rollentrennung. Der Wissenschaftler, so seine Überzeugung, kann nur sagen, was man kann, unter Umständen auch, was man will, aber, anders als der Politiker, nicht, was man soll.
Für die Wirtschaft standen in Deutschland nach Krieg und Revolution die Konversion zur Friedenswirtschaft und die wirtschaftliche Wiederaufrichtung auf der Tagesordnung. Dabei stellte sich unter anderem die Frage, ob Sozialisierung dafür ein geeignetes Mittel sei. Am 20. Dezember 1918 hatte der Allgemeine Deutsche Rätekongreß gefordert, zur Lösung der deutschen Wirtschaftsprobleme „mit der Sozialisierung aller hierzu reifen Industrien, insbesondere des Bergbaus, zu beginnen“.
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Weber, der Politiker, war offensichtlich anderer Meinung. Zwar könne man über die Sozialisierung in einzelnen Bereichen durchaus reden, doch er fürchtete um die Kreditwürdigkeit Deutschlands im Ausland, sollten das Privateigentum an Produktionsmitteln und das freie Unternehmertum abgeschafft werden. Er fürchtete aber auch [73]um das Handwerk, den Kleinhandel und die Bauern, also um den wirtschaftlichen Mittelstand.Zitat aus den Stenographischen Berichten des Allgemeinen Kongresses der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands vom 16.–21. Dezember 1918, hier nach MWG I/16, S. 423 Hg.-Anm. 3.
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[73]Dazu z. B. die Rede Max Webers, Deutschlands Wiederaufrichtung, MWG I/16, S. 410–428.
Weber, der Wissenschaftler, erörtert solche Fragen nicht politisch, sondern technisch. Er bettet sie in die Unterscheidung zwischen verkehrswirtschaftlicher und verwaltungs- oder planwirtschaftlicher Bedarfsdeckung sowie in die zwischen Naturalrechnung und Geldrechnung ein. Er fragt, wieviel ‚Sozialisierung‘ mit welcher Form der Bedarfsdeckung verträglich ist und was die eine oder die andere Lösung ‚kostet‘. Ob man aber bei Abwägung dieser ‚Kosten‘ für oder gegen Sozialisierung eintreten soll, das sagt er nicht. Er zeigt sich sogar davon überzeugt, daß man mit dem Nachweis, was man bei einer Sozialisierung der Wirtschaft ,in Kauf nehmen müßte‘, keinen Gesinnungssozialisten umstimmen könne. Denn das sei etwas, was „keine Wissenschaft vermag“.
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Kap II, § 12, 1, unten, S. 280.
In diesem Zusammenhang hält Weber auch Überlegungen von Otto Neurath für interessant, die dieser vor allem während der Revolutionszeit vorgetragen hatte.
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Neurath forderte eine Vollsozialisierung der Wirtschaft. Damit verband er bewußt die Rückkehr zu einer Naturalwirtschaft. Gehe man von der Verkehrswirtschaft zur Verwaltungswirtschaft und damit von der Unternutzung der wirtschaftlichen Kräfte zu ihrer Vollnutzung, von der Herrenwirtschaft zur Gemeinwirtschaft, über, was bedeute, eine sozialistische Verwaltungswirtschaft einzuführen, die sowohl Produktion wie Konsum regle,Hier vor allem Neurath, Otto, Durch die Kriegswirtschaft zur Naturalwirtschaft. – München: Georg D.W. Callwey 1919 (hinfort: Neurath, Kriegswirtschaft). Es handelt sich um eine Aufsatzsammlung mit Beiträgen, die bis in das Jahr 1909 zurückreichen. Im „Geleitwort“ sind Neuraths Absichten klar formuliert. Seine Arbeiten seien von dem Gedanken getragen, „die Zeit der freien Verkehrswirtschaft gehe zu Ende, die Zeit der Verwaltungswirtschaft beginne, die Geldwirtschaft löse sich auf, um einer durchorganisierten Naturalwirtschaft Platz zu machen.“ Die Revolution biete die Chance „für eine durchgreifende Sozialisierung“, dafür, daß „der Wirtschaftsplan den Reingewinn ersetzen könne.“ Ebd., S. VII. Neurath wollte diese Chance auch praktisch ergreifen, als Präsident des Zentralwirtschaftsamtes, ein Amt, das er allerdings nur 6 Wochen innehatte (vom 31. März bis 14. Mai 1919). In diesem Amt war er mit der Sozialisierung Bayerns betraut. Zu Neuraths Vorschlägen während der Revolutionszeit auch Neurath, Otto, Vollsozialisierung. Von der nächsten und übernächsten Zukunft (Deutsche Gemeinwirtschaft, hg. von Erich Schairer, Heft 15). – Jena: Eugen Diederichs 1920 (hinfort: Neurath, Vollsozialisierung). Neurath hatte zunächst Arbeiterräte beraten, so etwa in München. Dazu Neurath, Otto, Wesen und Weg der Sozialisierung. Gesellschaftstechnisches Gutachten, vorgetragen in der 8. Vollsitzung des Münchner Arbeiterrates am 25. Januar 1919. – München: Georg D. W. Callwey 1919.
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dann müsse [74]an die Stelle der Geldwirtschaft die Naturalwirtschaft treten. Neurath ging aber nicht so weit, auch die Geldrechnung abschaffen zu wollen: „Wir sprechen […] zweckmäßig von einer Naturalwirtschaft mit Geldrechnung.“Für Neurath ist der Zusatz ,sozialistisch‘ wichtig. Er will nicht bloß eine Verwaltungswirtschaft, die ja immer noch eine Herrenwirtschaft sein könne, sondern eine Gemeinwirtschaft. Im übrigen hält er die Verkehrswirtschaft für eine Wirtschaftsord[74]nung, die nicht nur Riesenreichtümer mit Massenarmut verbinde, sondern auch das wirtschaftliche Potential eines Volkes nicht voll nutze: „Die überlieferte Wirtschaftsordnung erscheint unwirtschaftlicher, als eine sozialistische Wirtschaft, welche die Vollnutzung an die Stelle der Unternutzung setzen könnte […]. Die freie Verkehrswirtschaft verschwendet Kräfte, die der Erzeugung von Verbrauchsgegenständen dienen könnten, um z. B. eine Überzahl von Verkaufsstellen offenzuhalten, in denen zahlreiche Personen nur ungenügend beschäftigt ihre Zeit verbringen. Eine Unmenge an Rohstoffen und Kräften dient der Reklame, von den Plakaten und Litfaßsäulen angefangen bis zu den Scharen der Geschäftsreisenden, die das Land überschwemmen.“ Neurath, Vollsozialisierung, S. 9.
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Für Weber ist aber die formale Rationalität der Geldrechnung an materiale Bedingungen gebunden,Neurath, Vollsozialisierung, S. 15.
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die in Neuraths sozialistischer Verwaltungswirtschaft nicht existieren würden, für ihn eines der Beispiele dafür, daß in der Wirtschaft generell „materiale und (im Sinn exakter Rechnung:) formale Rationalität“ weitgehend auseinanderfallen, eine, wie Weber sagt „grundlegende und letztlich unentrinnbare Irrationalität der Wirtschaft“, die er übrigens für „eine der Quellen aller ‚sozialen‘ Problematik, vor allem: derjenigen alles Sozialismus“ hält.Kap. II, § 13, unten, S. 285 ff.
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Kap. II, § 1 4, unten, S. 290.
Weber als Politiker will keine Sozialisierung mit Verwaltungswirtschaft, sondern eine Verkehrswirtschaft.
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Dies schon deshalb, weil er im formal-rationalen Wirtschaften an Märkten ein Gegengewicht zu der universellen Bürokratisierung sieht. Schon während seines Probesemesters in Wien im Jahre 1918, bei einem Vortrag über den Sozialismus vor österreichischen Offizieren, verwies er auf diese Zusammenhänge. Der verwirklichte Sozialismus mit seiner ‚Gemeinwirtschaft‘ führe eben keine Herrschaft der Arbeiter, sondern die Diktatur der (Partei-)Bürokratie herauf.Zur verkehrswirtschaftlichen Bedarfsdeckung Kap. II, § 14, unten, S. 288–290.
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Weber, Der Sozialismus, MWG I/15, S. 599–633, bes. S. 621. Der Begriff „Gemeinwirtschaft“ findet sich ebd., S. 613. Der Begriff „Deutsche Gemeinwirtschaft“ geht vermutlich auf Wichard von Moellendorff zurück. Dazu Moellendorff, Wichard von, Deutsche Gemeinwirtschaft. – Berlin: Karl Siegismund 1916. Im Jahre 1917 begann der Verlag Eugen Diederichs in Jena eine Reihe unter diesem Titel, in der Autoren wie Wichard von Moellendorff, Rudolf Wissell, Walther Rathenau, aber auch Otto Neurath publizierten. Die Reihe wurde mit einer Schrift von Wichard von Moellendorff, Von Einst zu Einst. Der alte Fritz, J. G. Fichte, Freiherr vom Stein, Friedrich List, Fürst Bismarck, Paul Lagarde über Deutsche Gemeinwirtschaft. – Jena: Eugen Diederichs 1917, eröffnet. Otto Neuraths Studie über die Vollsozialisierung war bereits die Nr. 15 in dieser Reihe.
[75]Auch den Exkurs zu Knapps staatlicher Theorie des Geldes nutzt Weber gleichzeitig für eine Kritik an Knapp und für eine aktuelle Analyse. Sie betrifft das von Knapp aus Webers Sicht unzureichend behandelte Problem der Inflation.
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In seinen politischen Stellungnahmen der Zeit zeichnet Weber die wirtschaftliche Situation Deutschlands äußerst düster: sinkende Arbeitsproduktivität, mangelnde Arbeitsdisziplin, wachsende Rohstoffknappheit, große Vermögensverschiebungen, fehlende Kreditwürdigkeit, enorme Kriegsschulden – und dazu noch Inflation. Es sei theorieimmanent zwar verständlich, aber in der Sache dennoch bedenklich, „daß Knapp für moderne Verkehrswirtschaften die Möglichkeit einer planvollen, rationalen, auf einer der ‚Devisenpolitik‘ an Rechenhaftigkeit irgendwie ähnlichen Grundlage ruhenden Preispolitik durch Inflation ganz außer Betracht“ lasse.[75]Das ändert nichts an Webers allgemeiner Wertschätzung von Knapps Werk. Weber hatte sich gegenüber Knapp bereits nach Lektüre der 1. Auflage anerkennend über den fachlichen Gehalt des Buches geäußert, wenngleich er eine noch klarere Trennung zwischen der rechtsdogmatischen und der rechtshistorischen oder nationalökonomischen Betrachtungsweise, zwischen der juristischen und der soziologischen Begriffsbildung, vorgezogen hätte, ein Thema, das ihn zu diesem Zeitpunkt besonders beschäftigte. Dazu der Brief Max Webers an Georg Friedrich Knapp vom 22. Juli 1906, MWG II/5, S. 115–117. Der Brief enthält übrigens bereits den Tenor, in dem Weber dann 1920 seinen Exkurs anlegt: „Genug, – die Gedanken Ihres Buches werden sich m. E. siegreich durchsetzen; nur wird man vielleicht bestreiten, daß die ‚staatliche‘ Theorie des Geldes die ganze Theorie des Geldes sei“. Ebd., S. 117.
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Aber diese Möglichkeit sei historisch immer wieder ergriffen worden – und, so kann man Weber interpretieren, gerade auch in Deutschland wieder aktuell. Leidtragende solcher Preis-, Geld- und Devisenpolitik seien all jene, die ein „nominal gleichgebliebenes Einkommen oder ein Nominal-Wertpapiervermögen haben (vor allem: der feste Rentner[,] dann: der ‚fest‘ – d. h. nur durch langes Lamentieren erhöhbar – besoldete Beamte, aber auch: der ‚fest‘ – d. h. nur durch schweren Kampf beweglich – entlohnte Arbeiter).“Kap. II, § 36, Exkurs, unten, S. 422.
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Kap. II, § 36, Exkurs, unten, S. 420.
Auch in dem Kapitel III, über die Typen der Herrschaft, lassen sich viele aktuelle Bezüge erkennen. In der Umbruchsituation stellte sich natürlich die Frage: Was ist die angemessene Organisationsform für eine Massendemokratie? Wie für die wirtschaftliche Ordnung die „Sozialisierung“ heiß diskutiert wurde, so für die politische Ordnung die „Räte-Verfassung“. Die Arbeiter- und Soldatenräte hatten in der Novemberrevolution und in der darauf folgenden Übergangszeit ja eine große Rolle gespielt.
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Weber, der Politiker, beklagt ihren Dilettantismus, spricht gar von der „Miß- und Schandwirtschaft in Ber[76]lin“,Der Rätegedanke war so mächtig, daß er auch in die Weimarer Reichsverfassung Eingang fand. Art. 165 sah neben „Betriebsarbeiterräten sowie nach Wirtschaftsgebieten gegliederten Bezirksarbeiterräten“ auch einen „Reichsarbeiterrat“, ferner „Bezirkswirtschaftsräte“ und einen „Reichswirtschaftsrat“ vor.
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die Deutschland schweren Schaden zugefügt habe. Er hält das Rätemodell nicht für die angemessene politische Organisation in einer Massendemokratie. Dabei hat er als Wissenschaftler durchaus ein Interesse daran, die Möglichkeiten und Grenzen einer „herrschaftsfremde[n] Verbandsverwaltung“ auszuloten.[76]Weber, Diskussionsbeitrag zur Rede des badischen Justizministers Ludwig Marum über „Das neue Deutschland und seine Zukunft“ am 3. Januar 1919 in Heidelberg, MWG I/16, S. 431 f., Zitat: S. 431.
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Diese organisatorische Vorkehrung zur Minimierung der Herrschaft funktioniere aber nur in kleinen, überschaubaren Herrschaftsverbänden, in denen eine effektive Genossenversammlung eingerichtet werden kann.Kap. III, § 19, unten, S. 573.
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Beispiele dafür seien das „nordamerikanische town-ship“ und der „schweizerische Kleinkanton“.Kap. III, § 19, unten, S. 574. Dies ist allerdings keine neue Position. Weber vertrat sie bereits in den Vorkriegsmanuskripten. Dazu Weber, Herrschaft, MWG I/22-4, S. 139–145. Daran zeigt sich abermals, daß die neue Fassung auf der alten aufbaut, die neue aber knapper und präziser ist.
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Aber selbst diese hätten bereits eine Größe erreicht, jenseits derer die Genossenversammlung nicht mehr effektiv funktioniere. Die herrschaftsfremde Verbandsverwaltung könne in einer Massendemokratie generell nicht jene positive Wirkung entfalten, die sie in kleinen, überschaubaren Verbänden durchaus haben könne. Die Massendemokratie verlange eine repräsentative Demokratie, unter Umständen um plebiszitäre Elemente ergänzt. Weber resümiert seine Auffassung in allgemeiner Form in Kapitel III mit folgenden Worten: „Sowohl die genuine unmittelbare Demokratie wie die genuine Honoratiorenverwaltung versagen technisch, wenn es sich um Verbände über eine gewisse (elastische) Quantität hinaus (einige Tausend vollberechtigte Genossen) oder um Verwaltungsaufgaben handelt, welche Fachschulung einerseits, Stetigkeit der Leitung andrerseits erfordern.“Kap. III, § 19, unten, S. 574. Weber erwähnt Glarus, Schwyz und die beiden Appenzell.
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Kap. III, § 20, unten, S. 577.
10. Schlußbemerkung
Als Max Weber stirbt, sind Kapitel I bis III und der Anfang von Kapitel IV gesetzt, umbrochen und korrigiert. Damit ist der Textbestand für eine 1. Lieferung gesichert und autorisiert. Paul Siebeck läßt diese 1. Lieferung gemäß der „Einteilung des Gesamtwerkes“ von 1914 unter dem alten Titel für die Veröffentlichung vorbereiten, und so erscheint sie im Februar 1921, nachdem inzwischen auch Paul Siebeck gestorben war. Zu diesem Zeitpunkt hatte Marianne Weber bereits eingegriffen und zwei strategische Entscheidungen vorbereitet: Erstens ließ sie unter den Titel der 1. Lieferung „Erster Teil“ set[77]zen, weil sie die Vorkriegsmanuskripte als „Zweiten Teil“ bzw. „Dritten Teil“ an die 1. Lieferung anschließen wollte; zweitens arbeitete sie darauf hin, die Abteilung III des Grundrisses der Sozialökonomik, die, nach der „Einteilung des Gesamtwerkes“, in die Beiträge von Max Weber und Eugen von Philippovich unterteilt war, ganz für Webers nachgelassene Grundrißmanuskripte frei zu machen, was ihr mit dem Verlagsvertrag vom 1. Juni 1921 auch gelang.
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Damit konnte sie auch den alten Abteilungstitel „Wirtschaft und Gesellschaft“ zum Beitragstitel machen. So entstand das Buch Wirtschaft und Gesellschaft zunächst in drei, dann, durch die Arbeit von Johannes Winckelmann, in zwei Teilen – und als ein Buch in Teilen bestimmte es die Rezeption.[77]Verlagsvertrag mit Marianne Weber über das hinterlassene Manuskript „Wirtschaft und Gesellschaft“ vom 1. Juni 1921, in: MWG I/24, S. 227–229.
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Dazu oben, S. 1 ff.
Wir müssen auf diese Zusammenhänge hier nicht weiter eingehen, weil sie am Anfang dieser Einleitung und vor allem in Band I/24 der Max Weber-Gesamtausgabe ausführlich dargestellt wurden. Doch eine rückblickende Betrachtung sei noch erlaubt. Weber brach im Jahre 1909/10 keineswegs auf, um im Rahmen des von ihm organisierten und redaktionell betreuten Handbuchs der politischen Ökonomie, später umbenannt in Grundriß der Sozialökonomik, eine „Soziologie“ zu schreiben. Dies ergab sich erst in den folgenden Jahren, und zwar Schritt für Schritt. Aber auch noch 1914 fühlte er sich nicht in der Lage, diese Soziologie in einer Form zu veröffentlichen, die ihn befriedigt hätte. Dies gelang ihm erst 1919/20. Jetzt skizzierte er die methodischen und grundbegrifflichen Umrisse einer verstehenden Soziologie in lehrhafter Form, die keine normativen Ansprüche stellt und sowohl organizistische wie funktionalistische Irrwege vermeidet. Es ist eine Soziologie, die die Verbindung mit der Wirtschaftstheorie aufrechterhalten will. Sein allzu früher Tod verhinderte, daß sie vollendet wurde. Sie blieb Fragment. Das hat freilich nicht gehindert, daß sie eine mächtige Wirkung entfaltete, die einzige deutsche Soziologie des 20. Jahrhunderts, bei der man von Weltgeltung sprechen kann.