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Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

[1]Einleitung

Max Webers Werk „Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht“ ist im Herbst 1891 erschienen und diente ihm bei seiner zu Beginn des folgenden Jahres in Berlin vollzogenen Habilitation für Römisches und Handelsrecht als „Probeschrift“ für das römische Recht.
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[1]Näheres über Webers Habilitation unten, S. 64 ff.
Es sind immer wieder drei Feststellungen, denen man im Zusammenhang mit dieser überaus konzentrierten, in relativ kurzer Zeit fertiggestellten Arbeit des 27jährigen Autors begegnet. Einmal haben die hervorragendsten Fachgelehrten bis in die jüngste Zeit hinein den außerordentlich hohen Rang dieser frühen Leistung Webers hervorgehoben. Von „genialer Forscherintuition“ sprach Max Kaser im Blick auf die Römische Agrargeschichte 1942; ein „geniales Werk“ nannte sie Alfred Heuß 1965, Webers „jugendliches Meisterwerk“ Arnaldo Momigliano 1982. Zugleich aber pflegen nicht minder emphatisch die großen Verständnisprobleme betont zu werden, die die Römische Agrargeschichte in weiten Partien biete und durch die sie überhaupt nur wenigen Fachleuten voll zugänglich sei: Die Römische Agrargeschichte sei „technisch zu schwierig, als daß sie von mehr als einer ganz kleinen Gruppe von Gelehrten verstanden worden wäre“ (Guenther Roth);
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Roth, Guenther, in: ders. und Wittich, Claus (Hg.), Max Weber, Economy and Society. An Outline of Interpretive Sociology [2. Aufl.]. – University of California Press: Berkeley – Los Angeles – London 1978, S. XLVI.
ja, man hat die Schrift Webers als ein „wegen seines spröden und sehr verschlüsselten Stoffes“ selbst z. B. für Historiker des Altertums nur schwer zugängliches Werk bezeichnet. Dies wiederum liefert zumindest teilweise eine Erklärung für das dritte Phänomen, daß nämlich die Römische Agrargeschichte sowohl in der Weber-Forschung eine Art Schattendasein fristet als auch fachwissenschaftlich ein vergleichsweise eher schwaches Echo ausgelöst hat; Alfred Heuß hat sogar formuliert [2]– vielleicht ein wenig zu pointiert –, daß das Werk „im allgemeinen von der Altertumswissenschaft ignoriert“ worden sei.
Wenn dies alles zutrifft und es überdies richtig ist, daß sich „der ‚Gelehrte‘ Max Weber […] zu einem wesentlichen Teil in der Beschäftigung mit dem Altertum aus(bildete)“,dann dürfte es wohl gerechtfertigt sein, wenigstens fünf Hauptaspekten dieses Frühwerkes eine genauere Betrachtung zu widmen: Webers vorbereitender Beschäftigung mit der Antike vor der Römischen Agrargeschichte, den wissenschaftlichen Haupteinflüssen, die das Werk geprägt haben, seinem Aufbau und Inhalt, seiner Aufnahme in der Fachwissenschaft sowie den in der Römischen Agrargeschichte erkennbar werdenden Bezügen zu Webers späterer Entwicklung.

1. Weber und seine Beschäftigung mit der Antike vor der Inangriffnahme der Römischen Agrargeschichte

Wie kam Max Weber zur Römischen Agrargeschichte? Die Frage ist im einzelnen, sieht man von den Hinweisen Marianne Webers im „Lebensbild“ ab, noch kaum untersucht. Ihre Beantwortung bleibt nicht zuletzt angesichts der schwierigen Quellenlage, wie die folgende, notwendigerweise sehr mosaikhafte Darstellung erkennen läßt, in vielem mühsam und unvollständig. Doch zeichnen sich im großen immerhin drei Hauptetappen von Webers Entwicklung in dieser Hinsicht einigermaßen deutlich ab, nämlich seine Gymnasialzeit mit der Aneignung insbesondere der alten Sprachen, das juristische Studium (1882–1886), das ihm mit dem römischen Recht den entscheidenden wissenschaftlich-methodischen Zugang zur Antike verschaffte, und schließlich die Zeit als Referendar, in der zu den bis dahin gewonnenen Grundlagen noch die Agrarproblematik als die eigentliche Hauptfragestellung für Webers Auseinandersetzung mit der Antike trat.
Es ist klar, daß die ersten, zumal sprachlichen Voraussetzungen für den Weg, der schließlich zu Webers Habilitation für Römisches Recht führte, während seines Besuches des Kaiserin-Augusta-Gymnasiums in Charlottenburg (1872–1882) gelegt wurden, wo er zuerst mit der antiken Welt in engere Berührung kam. Es ist nicht allzuviel, was man darüber weiß; doch geben die veröffentlichte Auswahl seiner „Jugendbriefe “ und einige andere Dokumente wenigstens für die Jahre 1877–1879 einen etwas näheren Einblick und lassen auch ein starkes geschichtliches Interesse des Schülers gerade für die Antike deutlich erkennen. So sind aus dem Beginn und dem Ende des Jahres 1877 zwei größere Aufsätze des damals Zwölf- bzw. Dreizehnjährigen erhalten. Der erste, „Die Römische Kaiserzeit. Die Zeit [3]der Völkerwanderung […]. Von 337–955. […] Nach vielen Quellen“, besteht aus etwas mehr als 12 engbeschriebenen Textseiten, wobei Zeichnungen der Herrscherköpfe nach Münzdarstellungen, ein Grundriß von Konstantinopel sowie ein Stammbaum der Familie Konstantins d.Gr. den Eifer des jungen Weber anschaulich unterstreichen.
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[3]Vgl. auch Weber, Marianne, Lebensbild1, S. 49.
Statt vom Tode Konstantins bis zur Schlacht auf dem Lechfeld ist er mit diesem für einen Zwölfjährigen zweifellos bemerkenswerten Abriß der Herrschergeschichte allerdings nur bis in die 70er Jahre des 4. Jahrhunderts gelangt; d. h. „Caput I“ und mit ihm der ganze Aufsatz endet noch vor dem Schluß des Abschnitts III, „Valentinianus I. und Valens. Hunnen am Tanais. Tod Valentinians. 364–376“. Vom Dezember des gleichen Jahres stammt ein weiterer erhaltener, diesmal 48 Seiten umfassender und nun dem Mittelalter gewidmeter Aufsatz Webers, „Der Hergang der deutschen Geschichte im Allgemeinen namentlich in Rücksich[t] auf die Stellung von Kaiser und Pabst“.
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Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild1, ebd. – Beide Jugendaufsätze: Bestand Max Weber-Schäfer, Privatbesitz.
Aus den Briefen der folgenden Jahre, 1878 und 1879, geht klar hervor, wie sehr den Gymnasiasten Weber damals die antiken ,Schulschriftsteller‘ beschäftigten: Homer, Herodot, Cicero, Sallust, Vergil, Livius.
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Vgl. Weber, Jugendbriefe, S. 9–14 (9. Sept. 1878); S. 14 f. (25. Okt. 1878); S. 18 (29. Dez. 1878); S. 22 f. (19. Jan. 1879); S. 25 f. (10. Aug. 1879); S. 27 (13. Aug. 1879); S. 29 (11. Okt. 1879); S. 31 f. (19. Dez. 1879); Weber, Marianne, Lebensbild1, S. 53–60. – Bei Webers Briefen wird in diesem Abschnitt lediglich auf den Abdruck in den „Jugendbriefen “ verwiesen, soweit sie dort vorliegen; wörtliche Zitate erfolgen dagegen grundsätzlich nach Kopien der Originale, wobei Abweichungen gegenüber dem von Marianne Weber aufbereiteten gedruckten Text nicht eigens vermerkt werden.
Aber auch die Bekanntschaft mit bedeutenden zeitgenössischen historischen Darstellungen, so mit Mommsens Römischer Geschichte und Wilhelm Drumanns „Geschichte Roms in seinem Übergang von der republikanischen zur monarchischen Verfassung“, wird erkennbar. Zu Weihnachten 1878 erhielt Weber u. a. Ernst Curtius’ dreibändige Geschichte Griechenlands, die er sich selbst gewünscht hatte, sowie Gaston Boissiers „Cicéron et ses amis“ in deutscher Übersetzung. Schon kurz zuvor, im Dezember 1878, war er auf Viktor Hehns Buch über Kulturpflanzen und Haustiere im Altertum [4]gestoßen, mit dem er sich dann längere Zeit hindurch „ganz außerordentlich viel“ beschäftigte, wie er Anfang 1879 berichtet; immerhin findet dieses Werk noch an einer Stelle der Römischen Agrargeschichte ausdrückliche Erwähnung.
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Unten, S. 297.
Von Ende 1879 datiert dann eine dritte größere Arbeit von 49 Textseiten, deren Titelblatt lautet: „Betrachtungen Ueber Völker-Charakter, Völker-Entwicklung und Völker-Geschichte bei den Indogermanischen Nationen. Skizze zu einem Aufsatz von Maximilian Weber. 1879 Weihnachten“.
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Bestand Max Weber-Schäfer, Privatbesitz. – Vgl. dazu Weber, Marianne, Lebensbild1, S. 49 f. Der Vergleich zwischen Homer und Ossian, der in dem Aufsatz eine große Rolle spielt (Textblatt 20–27), auch in dem etwa gleichzeitigen Brief an Fritz Baumgarten, Weber, Jugendbriefe , S. 30 f. (19. Dez. 1879).
Hier geht es dem Fünfzehnjährigen schon um nichts weniger als um die „hauptsächlichsten der Gesetze […], durch welche der ganze Erdkreis und also auch die Geschicke der Völker bestimmt werden“. Besonders wichtig erscheint ihm der Gegensatz zwischen ‚Orient‘ und ‚Okzident‘ bzw. den ‚Semiten‘ und ihrem ‚Despotismus‘ und den ‚Indogermanen‘, und das Grundproblem der antiken Geschichte meint er folgendermaßen formulieren zu können: „Denn aus unbekannten Gründen wurden der indogermanische und der semitische Stamm, die beiden Hauptzweige der kaukasischen Race von Vorzeiten her durch unüberwindlichen Widerwillen und Haß geschieden und durch diesen Widerwillen ist die ganze Geschichte des Alterthums bedingt.“
So naheliegend es sein mag, mit Eduard Baumgarten mancherlei erste Keime späterer Auffassungen und Interessen Webers schon in den frühen Zeugnissen aus seiner Schulzeit zu suchen, so liegt für Webers wissenschaftliches Verhältnis zur Antike die entscheidende Zäsur doch in der Aufnahme seines juristischen Studiums im Sommersemester 1882 in Heidelberg. Es ist offensichtlich, daß erst die Hinwendung zum speziellen Bereich des römischen Rechts und seines Systems Webers Beschäftigung mit der Antike eine bestimmte Richtung gab, wobei es von Anfang an charakteristisch war, daß die Rechtsdogmatik als solche ihm durchaus fern lag und es ihm vielmehr auf die konkreten historischen Zusammenhänge der Rechtsentwicklung und die mit dem Recht verbundenen Interessen ankam.
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Zu Webers Studienzeit allgemein siehe Weber, Marianne, Lebensbild1, S. 69–111 ; zu [5]den von ihm besuchten Lehrveranstaltungen vgl. die Lebensläufe in: Weber, Solidarhaftprinzip , S. 59 f., sowie unten, S. 65 Anm. 4.
[5]Freilich sind die Nachrichten über Webers Beschäftigung mit dem römischen Recht in seinem Studium, d. h. im wesentlichen seine eigenen brieflichen Äußerungen dazu, vergleichsweise spärlich. Wichtig waren für ihn gleich im ersten Semester die römischrechtlichen Vorlesungen Immanuel Bekkers (1827–1916), eines der angesehensten Romanisten seiner Zeit, bei dem er damals das Institutionenkolleg sowie römische Rechtsgeschichte hörte. Von der Institutionenvorlesung rühmt er, daß Bekker dort „ganz hübsche und witzige praktische Bemerkungen“ einstreue,
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Weber, Jugendbriefe, S. 41 (2. Mai 1882). Zur Bedeutung des „praktischen“ Moments für Weber vgl. unten, S. 17 f. und 48.
während er von der römischen Rechtsgeschichte anfänglich enttäuscht war. Diese begann mit der Lehre vom römischen Prozeßverfahren, gab dann einen Überblick über die Rechtsquellen und kam erst im dritten und letzten Teil zur „geschichtlichen Entwicklung des Privatrechts“. Diese Vorlesung gefiele ihm, „dem Puchta noch im Kopf sitzt“, schon deshalb weniger, „weil es keine Geschichte ist“.
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Ebd. Georg Friedrich Puchta (1798–1846) gilt zwar als der eigentliche Begründer der später besonders von Rudolf von Ihering angegriffenen „Begriffsjurisprudenz“ des 19. Jahrhunderts; doch war der hier offensichtlich gemeinte „Cursus der Institutionen“ (vgl. die Angaben unten, S. 104, Anm. 16), in dem Weber sich anscheinend vor Beginn seines Studiums orientiert hatte, ausgesprochen historisch angelegt.
Und weiter heißt es von Bekker: „Er kümmert sich um die ganze Entwicklungszeit, um die Zeit z. B. vor den 12 Tafeln, gar nicht“.
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Ja, Weber argwöhnte sogar, daß die historische Entwicklung des Privatrechts, „die doch die Rechtsgeschichte ausmacht“, bei Bekker ganz unter den Tisch fallen würde.
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Doch konnte er dann am 22. Juni 1882 der Mutter mitteilen, die Prozeßlehre sei endlich abgeschlossen „und die eigentliche Geschichte des Rechts“ begonnen, auf die er schon lange „gelauert“ habe.
Von dieser Vorlesung ist – ein Unikum – eine vollständige von Weber angefertigte Nachschrift erhalten.
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British Library of Political and Economie Sciences, London (Kopie im Max Weber-Archiv, München).
Sie umfaßt neben dem von Weber stammenden Titelblatt „Bekker/Römische Rechtsgeschichte/I Semester Heidelberg/Sommer 1882 “ 145 von Weber beschriebene, nichtpaginierte Textseiten. Beigelegt ist Bekkers gedruckter „Grundriß zur Römischen Rechtsgeschichte“, der auf 8 Seiten eine in Einleitung und drei „Bücher“ sowie 155 Paragraphen gegliederte Inhaltsübersicht der Vorlesung mit Verweisen auf die zugehörigen Stellen in den Institutionen des Gaius enthält. Weber selbst erwähnt in einem Brief diesen Grundriß Bekkers, „nach dem [6]er geht und den er jedem verabreicht“. Es handelt sich naturgemäß um eine vergleichsweise elementare Einführung in den Stoff. Immerhin finden sich hier die ersten Aufzeichnungen Webers zur Gromatik, der Bekker einen Paragraphen (§ 123) widmete, sowie zum römischen Bodenrecht. Weber hat offensichtlich die beiden Kapitel über Personen- und Sachenrecht (Buch III, Kapitel 1 und 2, §§ 104–133) später erneut durchgearbeitet, wie die nur hier zu findenden Unterstreichungen, Striche am Rande und die ebenfalls nachträglich hinzugefügten, ausgeschriebenen Zitate aus Gaius und (zu Bekkers Abschnitt über coloni) dem Codex lustinianus zeigen. Im Kapitel „Sachenrecht“ finden sich allenthalben Stichwörter am Rand in einer anderen Schrift Webers. Es spricht einiges dafür, daß Weber, als er sich sieben Jahre später der Römischen Agrargeschichte zuwandte, sich diesen Teil seiner Nachschrift der Bekkerschen Vorlesung noch einmal vorgenommen hat.
So bedeutsam für Weber das römische Recht immer war: was sonst an konkreten Einzelheiten dazu aus seiner Studienzeit bekannt ist, ist dürftig und geht über eine Anzahl eher äußerlicher Fakten kaum hinaus. So belegte Weber im zweiten Semester die Pandektenvorlesung sowie ein Seminar dazu bei Bekker, wobei er mit dem Seminar von Anfang an Schwierigkeiten hatte. Da wegen der großen Teilnehmerzahl die Quellenlektüre zu kurz kam, las er „täglich privatim einige Capitel im Corpus juris, eine Anfangs sehr saure Arbeit“, und am Ende besuchte er dieses Seminar nur noch unregelmäßig. Neben Bekker hat Weber in Heidelberg auch Otto Karlowa (1836–1904) gehört. Anläßlich seines Aufenthaltes in Berlin nach dem 3. (letzten) Heidelberger Semester erfährt man, daß er nebeneinander die „Deutsche Rechtsgeschichte“ von Ferdinand Walter sowie das damals maßgebliche „Lehrbuch des Pandektenrechts“ von Bernhard Windscheid (1817–1892), des führenden Vertreters der Pandektistik des 19. Jahrhunderts, durcharbeitete. Dann kam die einjährige Militärzeit in Straßburg (1883–1884), während der er den Rechtshistoriker und Kirchenrechtler Rudolph Sohm (1841–1917) hören konnte. In den Jahren 1884–1885 studierte Weber zwei Semester in Berlin, im Winter 1885/86 noch ein Semester in Göttingen. In Berlin vertiefte er sich erneut gründlich in das römische Recht. Im Blick auf das bald beginnende Wintersemester 1884/[7]85, ein „tüchtiges Arbeitssemester“, kündigt er dem Onkel Hermann Baumgarten an, er wolle „hauptsächlich […] zu Hause Pandekten arbeiten“;
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[7] ZStA Merseburg, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 7 (4. Okt. 1884).
und wohl im Rückblick darauf heißt es später, er habe „dies Semester wesentlich dazu genutzt, römisches und deutsches Privatrecht ganz gehörig mit allen Schikanen durchzuarbeiten“.
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Weber, Jugendbriefe, S. 165 (14. Juli 1885, an Hermann Baumgarten). – Unklar ist, worauf sich die Mitteilung Marianne Webers, Lebensbild1, S. 102, stützt, Weber habe in dieser Berliner Zeit eine oder mehrere „historische Vorlesungen“ Mommsens gehört. Weber selbst erwähnt in keinem seiner Lebensläufe (Weber, Solidarhaftprinzip, S. 59 f.; vgl. ferner unten S. 65, Anm. 4) die Teilnahme an einer Lehrveranstaltung Mommsens. – In den Berliner Vorlesungsverzeichnissen ist für das Wintersemester 1884/85 und das Sommersemester 1885 jeweils eine vierstündige Vorlesung Mommsens „Geschichte und Verfassung Roms im 4. Jhdt. [n. Chr.]“ sowie eine zweistündige Übung „Aus dem Gebiet der römischen Geschichte“ angekündigt. Zu Webers späterem teilweisen Besuch einer Vorlesung Mommsens über römisches Staatsrecht vgl. unten, S. 9.
Zu Beginn des letzten Göttinger Semesters erwähnt er schließlich in einem Brief an den Vater , auf ein Digestenexegetikum hätte er verzichtet, weil er „ohnehin schon einen beträchtlichen Teil des Corpus Juris gelesen habe“, was doch wohl zumindest als Bestätigung seiner sehr intensiven Arbeit im römischen Privatrecht gelten darf.
Eine über das römische Recht
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Zu Webers erhaltenem Exzerpt von Band 1 und 2 des Mommsenschen Staatsrechts, das möglicherweise erst aus dem Jahr 1886/87 stammt, vgl. unten, S. 9 f.
hinausgehende, tiefere Beschäftigung Webers mit der Antike wird während seiner Studienzeit nur wenig greifbar, obwohl es auch daran nicht gefehlt hat. So teilt er im Juni 1885 der Mutter mit, er lese jetzt den fünften Band von Mommsens Römischer Geschichte, der kurz zuvor erschienen war.
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Weber, Jugendbriefe, S. 161 f. (dort: 16. Juni 1885, im Original: 16. Juli 1885). – Bereits in dem Brief an Hermann Baumgarten vom 4. Okt. 1884 (oben, Anm. 27) äußert sich Weber aufgrund von Mitteilungen seines Freundes Karl Mommsen ausführlich über das bevorstehende Erscheinen dieses Bandes derRömischen Geschichte.
Vom Ende des gleichen Jahres stammt ein Brief aus Göttingen an den 17jährigen Bruder Alfred, der ihn wegen eines Aufsatzes über die griechischen Poleis in Kleinasien um Rat gefragt hatte. Hier weist er darauf hin, daß das (von Alfred so genannte) „Netz von Kaufmannstädten“, das sich nach dessen Darstellung seit dem frühen 5. Jahrhundert v. Chr. entwickelt habe, in Wirklichkeit bereits wesentlich früher, in der Epoche der Kolonisation, entstanden sei; außerdem macht er auf den neuen Aufschwung der Städte unter den Römern aufmerksam, da diese „ihre Provinzialordnung in erster Linie auf die Stadtgemeinden“ aufgebaut hätten. Die Betonung des frühen Handels erinnert ein wenig an die in der Römischen Agrargeschichte und auch später verfochtene Auffassung [8]Webers im Hinblick auf Rom; auch die grundlegende Funktion der Städte als Basis des römischen Imperiums kehrt als wichtiger Gesichtspunkt dort wieder.
Von Webers sonstigem Studium, soweit es für seine künftige Art der Betrachtung der Antike von Bedeutung wurde, ist hier vor allem sein zunehmendes Interesse an der Nationalökonomie hervorzuheben, seitdem er im 3. Semester in Heidelberg die Vorlesung von Karl Knies (1821–1898), eines der Begründer der Historischen Schule, besucht hatte: „Knies hat mir jetzt, wo ich doch einige Grundbegriffe nationalökonomischer Betrachtungsweise durch das Studium von Adam Smith habe, einen wesentlich anderen Eindruck gemacht, als vor einem Jahre, wo ich mitten im Semester einmal hinging und mich schrecklich ödete.“ Im Mittelpunkt standen freilich neben dem römischen Recht das deutsche Privatrecht und seine Geschichte, Staats- und Verwaltungsrecht. Hier hat er zumal während der beiden Berliner Semester die Größen dieser Fächer im 19. Jahrhundert gehört, den Rechtshistoriker Heinrich Brunner (1840–1915), den berühmten deutschrechtlichen Antipoden Savignys Georg Beseler (1809–1888) und vor allem den Staats- und Verwaltungsrechtler Rudolf von Gneist (1816–1895). Höchst kennzeichnend ist das Lob, das er 1884 den Vorlesungen des Letzteren spendete:
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Weber, Jugendbriefe, S. 145 (an Hermann Baumgarten, 8. Nov. 1884; ZStA Merseburg, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 7).
Gneists Collegien über deutsches Staatsrecht und preußisches Verwaltungsrecht sind, wie ich finde, nach Form wie Inhalt ein wahres Meisterwerk und haben mir von allen juristischen Collegien, die ich bisher gehört habe, am meisten gefallen […]. Ich habe über Staatsrecht noch nie etwas gelesen oder vortragen hören, was die Fragen desselben, auch soweit sie historisch sind, in so direkt praktischer Weise und unter Festhaltung des Zusammenhangs mit den nationalökonomischen und religiösen Elementen, welche auf Staatsbildung und -Ordnung von Einfluß sind, behandelt hätte.“ Wenn man vom – später für Weber so bedeutsamen – religiösen Moment absieht: Der Zusammenhang der Entwicklung von Recht und Wirtschaft unter praktischen Gesichtspunkten – damit ist schon hier ein Grundanliegen sowohl der „Handelsgesellschaften “ wie auch der Römischen Agrargeschichte formuliert.
Am 15. Mai 1886 schloß Weber sein Studium mit dem Ersten juristischen Staatsexamen in Celle ab.
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Die folgende, sich über vier Jahre bis 1890 erstreckende Referendarzeit in Berlin bildet eine dritte wichtige Etappe in seiner wissenschaftlichen Entwicklung, die durch eine verstärkte Hinwen[9]dung zu rechtshistorischen Fragen der römischen Antike wie des Mittelalters, zugleich aber auch durch ein wachsendes nationalökonomisches Interesse gekennzeichnet ist. In dieser Zeit entsteht mit der Dissertation über die mittelalterlichen Handelsgesellschaften Webers erstes selbständiges wissenschaftliches Werk und beginnt außerdem die Arbeit an der Römischen Agrargeschichte.
Sehr ausgeprägt tritt zunächst Webers Neigung zu einer vertieften Beschäftigung mit dem römischen Privat- und Staatsrecht hervor, ohne daß dabei aber schon ein konkreter Arbeitsgegenstand erkennbar wäre. Der Göttinger Deutschrechtler Ferdinand Frensdorff, bei dem Weber offenbar einen besonders positiven Eindruck hinterlassen hatte, schlug ihm ein deutschrechtliches Thema für eine Dissertation vor, aber Weber entzog sich dem Anfang 1887 mit dem Hinweis auf seine überwiegend romanistischen Interessen:
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[9]ZStA Merseburg, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 10 (22. Jan. 1887); vgl. die teilweise Wiedergabe in: Weber, Jugendbriefe, S. 214 ff.
„Ich glaube richtig verfahren zu sein, wenn ich mich zunächst wieder auf möglichst gründliche Durcharbeitung des römischen Rechts, der Grundlage für die zu gewinnende juristische Bildung, gelegt habe.“ Weber hat, wie dem gleichen Brief zu entnehmen ist, offenbar im Wintersemester 1886/87 an der Universität zwei Veranstaltungen zum römischen Recht besucht, und zwar das Seminar des Romanisten Alfred Pernice sowie „ein Mommsen’sches Colleg über Römisches Staatsrecht“, übrigens die einzige Lehrveranstaltung Mommsens, von der bekannt ist, daß Weber an ihr teilgenommen hat.
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Es handelt sich offenbar um die im Berliner Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1886/87 vierstündig angekündigte Vorlesung „Römisches Staatsrecht“. Das Wintersemester dauerte bis zum 15. März; wegen der bereits am 30. Januar beginnenden militärischen Übung in Straßburg (vgl. Anm. 43) konnte Weber die Vorlesung jedoch nur teilweise hören, und vielleicht ist dies der Grund, daß er sie in seinen Lebensläufen (vgl. oben, Anm. 14) nicht erwähnt.
Es gibt ein im Nachlaß Webers erhaltenes Dokument, das man freilich nur vermutungsweise gerade mit dieser Nachricht in Verbindung bringen kann, und zwar ein überaus ausführliches, durchlaufendes Exzerpt der beiden ersten Bände von Mommsens Staatsrecht.
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ZStA Merseburg, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 31, Bd. 5; vgl. unten, S. 67, Anm. 1. Dort jetzt als Bl. 49–69 numeriert; die ursprüngliche Reihenfolge war jedoch Bl. 56–63 (Band I); 64–69, 49–51 Vorderseite (Band II 1); 51 Rückseite–55 Vorderseite (Band II 2).
Dabei handelt es sich um 21 große, in Webers sehr kleiner Handschrift jeweils doppelseitig
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Mit Ausnahme von Bl. 55, d. h. der letzten Seite.
eng beschriebene Blätter, die zwar keine eigenen Bemerkungen bzw. Stellungnahmen Webers enthalten, aber doch ein eindrückliches Dokument seiner sehr intensiven Beschäftigung mit dem Römischen Staatsrecht darstellen. Die Exzerpte dürften auf jeden Fall aus der Zeit vor der zweiten Hälfte des [10]Jahres 1887 stammen und könnten somit in Zusammenhang mit dem Besuch jener Übung Mommsens stehen
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[10]Das ergibt sich daraus, daß den Auszügen – wie sich leicht an zahlreichen Details nachweisen läßt – die 2. Auflage von Band 1 und 2,1–2 (1876–1877) zugrundeliegt. Die 3. Auflage erschien erst 1887, wobei Mommsens Vorwort vom August dieses Jahres datiert. Der Weber zum Zeitpunkt des Exzerpierens offenbar noch nicht vorliegende Band 3,1–2 folgte (in erster Auflage) ebenfalls erst 1887–1888.
– Webers Äußerungen über seine romanistischen Studien wiederholen sich auch in der folgenden Zeit: „Ich sitze aber jetzt wirklich zu tief im römischen Recht, um etwas Besseres als ledernes Zeug zu schreiben“, erklärt er Emmy Baumgarten Ostern dieses Jahres;
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Weber, Jugendbriefe, S. 230. In den Monaten Februar und März 1887 hatte Weber bei seinem Regiment in Straßburg (Infanterie-Regiment 47) die erste von drei Übungen als Reserveoffizier absolviert, vgl. Brief an Emilie Benecke vom 20. Jan. 1887, Bestand Max Weber-Schäfer, Privatbesitz; ferner Weber, Jugendbriefe, S. 214 (22. Jan. 1887).
„außerdem muß römisches Recht getrieben werden“, heißt es später, im Herbst des Jahres 1887.
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ZStA Merseburg, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 7 (30. Sept. 1887, an Hermann Baumgarten); teilweise wiedergegeben in: Weber, Jugendbriefe, S. 270 ff.
In dem erwähnten Brief an Frensdorff vom Januar 1887 ist von engen Kontakten Webers nicht nur mit Pernice, sondern auch mit dem Handelsrechtler Levin Goldschmidt (1829–1897) die Rede; und nicht bei Pernice (auch nicht bei Mommsen!), sondern bei Goldschmidt, dem Begründer der modernen Wissenschaft vom Handelsrecht, dessen Forschungen damals dem mittelalterlichen Recht der Handelsstädte galten, fand Weber im gleichen Jahr 1887 endlich das Thema für eine größere wissenschaftliche Arbeit. Ein Referat über ‚Handelsgesellschaften nach mittelalterlichen italienischen und spanischen Quellen ‘, das Weber für Goldschmidts Seminar „Historische und Praktische Übungen aus dem Gebiet des Handelsrechts“ im Winterseminar 1887/88 verfaßte,
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Wie Anm. 44; vgl. auch Weber, Jugendbriefe, S. 272. Schon hier spricht Weber die Hoffnung aus, daß sich diese rechtshistorische Arbeit „vielleicht gelegentlich verwerthen“ ließe. Vgl. außerdem Weber, Jugendbriefe, S. 273 f. (21. Okt. 1887, an Emmy Baumgarten).
wurde zur Grundlage für die von ihm angestrebte juristische Promotion .
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ZStA Merseburg, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 10 (11. Jan. 1888, an Ferdinand Frensdorff); vgl. Weber, Jugendbriefe, S. 283.
Im Lauf des folgenden Jahres, 1888–1889, arbeitete er dann sein Werk „Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter“ vollständig aus. Das dritte Kapitel daraus wurde zunächst gesondert gedruckt und diente als Dissertation für die Promotion im Jahre 1889.
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Vgl. unten, S. 55 f.
Für den Disputationsakt am 1. August dieses Jahres waren der Dissertation fünf Thesen beigegeben, von denen die ersten beiden dem römischen Privat- und Staatsrecht galten; die zweite [11]These läßt klar erkennen, daß Weber damals zumindest einige Grundgedanken der Römischen Agrargeschichte bereits konzipiert hatte.
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[11]Vgl. unten, S. 57. – Wiedergabe der Thesen auch bei Winckelmann, Johannes, Max Webers Dissertation, in: Kölner Zeitschr. für Soziol. und Sozialpsychol., Sonderh. 7, 1963, S. 10 f. Eine Reminiszenz an die erste These unten S. 302, Anm. 32; vgl. ferner unten, Anm. 57.
Weber hat also über der Arbeit bei Goldschmidt das römische Recht keineswegs vernachlässigt, und gewiß nicht nur deswegen, weil es als Teilgebiet für die Promotion unerläßlich war. Im gleichen Brief an Frensdorff, in dem er von der Seminararbeit über die Handelsgesellschaften als Grundlage für eine mögliche Dissertation spricht, heißt es: „Ich hoffe noch dazu zu kommen, auch die deutschen städtischen Statuten daraufhin durchzugehen, und so doch mit dem deutschen Recht in Berührung zu kommen, obgleich ich im übrigen in erster Linie römische Rechtsgeschichte zu arbeiten mir vorgenommen und bisher auch ausgeführt habe.“ Weber hat in dieser Zeit das Seminar des schon erwähnten Alfred Pernice besucht sowie Heinrich Dernburg (1829–1907) gehört, der ihn auch im mündlichen Teil des Doktorexamens prüfte. Pernice hat Weber wichtige Anregungen für die Römische Agrargeschichte geliefert.
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Vgl. unten, S. 14, sowie besonders S. 296, Webers Fußnote 160.
Doch der eigentliche Impuls für diese Arbeit kam nicht vom römischen Recht; ausschlaggebend war vielmehr, daß sich gleichzeitig mit Webers rechtshistorischen Studien auch seine nationalökonomischen Interessen wesentlich verstärkten. So liest man im Herbst 1887 in einem Brief, daß er durch den Privatdozenten Dr. Hoeniger „gelegentlich in eine Gesellschaft junger Nationalökonomen“ käme.
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Weber, Jugendbriefe, S. 272 f. (30. Sept. 1887). – Der Historiker Robert Hoeniger (1855–1929) las damals als Privatdozent an der Berliner Universität vor allem über mittelalterliche Wirtschaftsgeschichte.
Er hörte den Nationalökonomen und führenden „Kathedersozialisten“ Adolph Wagner (1835–1917) und nahm vor allem – im Staatswissenschaftlich-Statistischen Seminar – an den agrarhistorischen Übungen von August Meitzen teil.
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Nach den Berliner Vorlesungsverzeichnissen hat Meitzen seine Übung „Untersuchungen zur Agrargeschichte“ im fraglichen Zeitraum im Sommersemester 1887, Wintersemester 1887/88 sowie im Sommersemester 1888 abgehalten, ohne daß sich genau sagen ließe, seit wann Weber daran teilgenommen hat.
Aus diesen Übungen ist dann offenbar die entscheidende Anregung zur Römischen Agrargeschichte erwachsen. Nicht unwichtig mag außerdem sein, daß Webers Regiment am 1.4.1887 von Straßburg in den Osten Preußens, in die Provinz Posen, verlegt worden war.
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Vgl. den Brief an Emilie Benecke, wie oben, Anm. 43.
Anläßlich Webers zweiter achtwöchiger Offiziersübung, die er von Mitte Juli bis Mitte September 1888 dort zu absolvieren [12]hatte, erfährt man, daß er nach dem Ende der Übung auf Einladung des Landrats des Kreises Gnesen, Nollau, Kolonistengüter der preußischen Ansiedlungskommission besichtigen wollte.
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[12]Davon ist in vier Briefen an die Mutter die Rede, ZStA Merseburg, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 3 (25. Juli, 15. Aug., 23. Aug. sowie 9./14. Sept. 1888). Die Frau Nollaus war eine Jugendfreundin von Webers Mutter und noch im Juni 1888 auf „Logierbesuch“ bei der Familie Weber in Charlottenburg gewesen, vgl. Max Webers Brief an Hermann Baumgarten vom 25. Juni 1888, ZStA Merseburg, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 7. – Weber hat die Ansiedlungen dann in Begleitung des Landrats offenbar am 14. und 15. Sept. 1888 besucht, vgl. den zitierten Brief vom 9./14. Sept. 1888. Vgl. auch die Auszüge in: Weber, Jugendbriefe, S. 306 und 308.
Die „Königliche Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen“ war nicht lange zuvor, durch Gesetz vom 26. April 1886, ins Leben gerufen worden. Ihr politischer Hauptzweck bestand darin, daß sie durch umfangreiche Landkäufe und die Aufteilung dieser Ländereien vorwiegend in der Form von Rentengütern unter deutsche Ansiedler einen starken deutschen Kleingrundbesitz schaffen sollte, um auf diese Weise eine Konsolidierung des vor allem durch die anhaltende Abwanderung der ländlichen Arbeitskräfte und die Zuwanderung von polnischen Saisonarbeitern gefährdeten deutschen Elements in den beiden preußischen Provinzen zu bewirken.
57
Vgl. zur Ansiedlungskommission etwa den detaillierten Artikel von Wilhelm Schultze: Ansiedlungsgesetz, preußisches, für Posen und Westpreußen, in: HdStW 13, 1909, S. 509–518. Die damalige lebhafte Diskussion um die Einführung des Rentenguts, mit dem z. T. an Gedanken und Forderungen von Karl Rodbertus angeknüpft wurde, fand ihren Niederschlag auch in Webers 5. (letzter) Promotionsthese (vgl. Weber, Solidarhaftprinzip, S. 58), die er in der Römischen Agrargeschichte erneut aufgriff. Vgl. unten, S. 191.
Hier, im Spätsommer 1888, sieht man Weber zum ersten Mal in Berührung mit aktuellen Fragen der preußischen Siedlungs- und Agrarpolitik im Osten und überhaupt – neben den Meitzenschen Übungen – mit agrarischen Problemen. Zu seiner bisherigen intensiven, jedoch noch nicht erkennbar auf ein spezielles Ziel gerichteten Beschäftigung mit römischer Rechtsgeschichte und seinen nationalökonomischen Interessen waren damit jene neuen, agrarhistorischen wie z. T. agrarpolitischen Gesichtspunkte getreten, die Weber eine fruchtbare Fragestellung für eine größere römischrechtliche Untersuchung lieferten, die ihm als Habilitationsschrift dienen konnte. In den erhaltenen Dokumenten wird das Projekt einer Arbeit über römische Agrarverhältnisse zwar nicht vor Ende Mai 1889, unmittelbar nach Webers mündlicher Doktorprüfung, faßbar; doch war der Plan bei ihm (und, so wird man sagen müssen, bei Meitzen) zweifelsohne schon geraume Zeit vor diesem Datum herangereift.
58
Vgl. unten, S. 57 und 78. – Das Nähere zur Entstehung des Werkes im Editorischen Bericht, unten, S. 55 ff.
Daß sich mit dieser Hinwendung zu Agrarfragen zunächst im römischen Recht bald noch viel weiterreichende [13]wissenschaftliche Perspektiven für ihn auftaten, konnte der junge Weber damals wohl noch kaum wissen.

2. Zum wissenschaftsgeschichtlichen Kontext der Römischen Agrargeschichte: Webers Werk und die Einflüsse von Meitzen, Rodbertus und Mommsen

Es hat sich gezeigt, daß der entscheidende Impuls für Webers Römische Agrargeschichte nicht von seinem ‚eigentlichen‘ Fach, dem römischen Recht, ausging, und so ist es auch nicht überraschend, daß die in den Jahren 1889–1891 entstandene Schrift nicht einfach eine römischrechtliche (oder ‚altertumswissenschaftliche‘) Arbeit innerhalb der üblichen Fachgrenzen darstellt, sondern daß darin Gesichtspunkte, die ganz anderen Disziplinen entstammen, vor allem solche allgemein agrarhistorischer, nationalökonomischer sowie wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Art eine charakteristische Rolle spielen. Damit im Zusammenhang steht auch, daß das Werk als Ganzes relativ stark durch den zeit- und wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund seiner Entstehungszeit geprägt ist.
Dies kann hier freilich nur in sehr allgemeinen Zügen angedeutet werden. Was den zeitgeschichtlichen Hintergrund betrifft, so ist vor allem die Ausstrahlungskraft der großen Agrarfragen des 19. Jahrhunderts in Preußen auf die Römische Agrargeschichte allenthalben spürbar. Es sind in erster Linie die weitreichenden Reformen zu Beginn des Jahrhunderts mit der Bauern- und Bodenbefreiung und der rigorosen, liberal-individualistischen Durchbrechung einer jahrhundertealten, streng gebundenen Agrarverfassung, die Weber fasziniert und seine Vorstellungen von der römischen Agrarentwicklung nachhaltig angeregt haben. Aber auch die letztlich auf diese elementare Umwälzung zurückgehenden unmittelbaren, drängenden Gegenwartsprobleme zumal der ostelbischen Agrarwirtschaft und Webers Interesse dafür machen sich in dem Werk in den verschiedensten Zusammenhängen immer wieder geltend; ‚Freizügigkeit‘, ‚Saisonarbeit‘ und ‚Rentengut‘ z. B. sind dafür typische, aber keineswegs die einzigen Stichwörter.
1
[13] Vgl. unten, S. 49.
Neben den vor allem agrarpolitischen zeitgeschichtlichen Kontext tritt der speziellere Bereich der zeitgenössischen Fachwissenschaften und der in ihnen vorherrschenden Strömungen. Hier sind es vor allem drei Disziplinen, die entscheidende Voraussetzungen für Webers Römische Agrargeschichte bildeten, die in ihrem Zusammenspiel die eigentümliche Physiognomie des Werkes formten und ohne die die Römische Agrargeschichte in ihrer typischen Gestalt wohl gar nicht denkbar wäre. Es ist natürlich an erster [14]Stelle die „klassische“ Altertumswissenschaft als solche, die zumal mit dem Latein- und Griechisch-Unterricht im gesamten höheren Bildungswesen noch des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Deutschland einen zentralen Platz einnahm und deren starke geschichtliche Orientierung sich in einer Reihe führender Historiker, nicht zuletzt Theodor Mommsen, manifestierte.
2
[14]Vgl. auch die Bemerkungen von Heuß (wie oben, S. 1, Anm. 3), S. 532 f., über die „große realistische Wendung der gesamten Altertumswissenschaft“ etwa seit den 80er Jahren.
Es ist ferner das römische (Privat-)Recht, das in seiner ‚modernen‘, von der ‚Pandektenwissenschaft‘ gelehrten Form trotz der im 19. Jahrhundert aufgekommenen, mit ihm zeitweise rivalisierenden deutschrechtlichen Richtung für die Juristenbildung noch bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches (1900) von unmittelbar praktischer Bedeutung war, das sich aber gerade damals angesichts der neuen Kodifikation von einer wesentlich normativen zu einer ausgeprägt historischen Disziplin zu entwickeln begann; und es ist schließlich – als neues, besonders aktuelles Element – die zeitgenössische Nationalökonomie, deren Fragestellungen damals ebenfalls nachhaltig durch die herrschende Historische Schule geprägt waren. Welchen Niederschlag die Impulse aus diesen sehr verschiedenen Disziplinen in Webers Werk gefunden haben, ist hier nicht im einzelnen zu verfolgen; einen Überblick darüber, welche Arbeiten bzw. Autoren Weber selbst herangezogen hat, vermittelt das Verzeichnis der von ihm zitierten Literatur.
3
Unten, S. 370 ff.
Neben den vielen Fachautoren, die außer Mommsen Webers Studie in ihren wissenschaftlichen Details mitgeformt haben – wobei wohl besonders die Romanisten Adolf Friedrich Rudorff, Alfred Pernice und Moritz Voigt zu nennen wären
4
Von Rudorff sind vor allem die – von Weber kaum je eigens zitierten – „Gromatischen Institutionen“ zu nennen (in: Römische Feldmesser, Band 2, S. 227–464); vgl. zu ihm auch Webers Bemerkung in: Agrarverhältnisse im Altertum3, S. 187. Die Arbeiten von Voigt und Pernice unten, S. 380 f. und 378.
– und neben zahlreichen sonstigen Einflüssen, die sich in Einzelheiten geltend machen, sind es jedoch die Arbeiten von im Grunde nur sehr wenigen, und zwar vor allem drei Persönlichkeiten, die auf die Gesamtkonzeption der Römischen Agrargeschichte einen dominierenden Einfluß ausgeübt haben und durch deren Vermittlung vorzugsweise auch die allgemeinen Zeitströmungen auf Webers Jugendschrift gewirkt haben, nämlich August Meitzen, Karl Rodbertus und Theodor Mommsen.
An erster Stelle ist dabei aus vielen Gründen mit Meitzen jener Nationalökonom bzw. Agrarhistoriker zu nennen, der offensichtlich der eigentliche Anreger der Römischen Agrargeschichte war, der Weber energisch zu seiner Studie gedrängt hat, den Weber seinerseits in der Einleitung als [15]seinen „hochverehrten Lehrer“ bezeichnet und dem das Buch „in dankbarer Verehrung“ auch gewidmet ist.
5
[15] Vgl. unten, S. 92.
August Meitzen (1822–1910), seit 1875 außerordentlicher Professor für Statistik und Nationalökonomie an der Universität Berlin,
6
Zu Meitzen und seinen wichtigsten Arbeiten vgl. insbesondere den (mit „Red.“ gezeichneten) biographisch-bibliographischen Artikel in: HdStW 63, 1910, S. 644 f.; dazu Harnisch, Hartmut, August Meitzen und seine Bedeutung für die Agrar- und Siedlungsgeschichte, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1975, 1, S. 97–119.
ist der Verfasser bzw. Herausgeber einer großen Zahl von Arbeiten zu Agrar-, agrarhistorischen und statistischen Fragen. Sein Hauptwerk auf letzterem Gebiet ist die von ihm in amtlichem Auftrag herausgegebene, umfassende Bestandsaufnahme der preußischen Agrarverhältnisse, „Der Boden und die landwirtschaftlichen Verhältnisse des Preußischen Staates“, wovon zur Zeit der Abfassung der Römischen Agrargeschichte vier Bände erschienen waren, in denen sich vielfach die große Bedeutung der historischen Betrachtungsweise auch für den Agrarstatistiker Meitzen zeigt. Seine eigentlichen agrargeschichtlichen Untersuchungen mit den von ihm vertretenen charakteristischen und oftmals wiederholten Anschauungen, wie sie z. B. schon 1863 in den „Urkunden schlesischer Dörfer“ dargestellt sind, können hier nicht aufgezählt werden. Einen instruktiven Gesamtüberblick über Meitzens diesbezügliche Lehren kann jedoch sein zwischen 1882 und 1891 in drei Bearbeitungen im Schönbergschen „Handbuch der Politischen Ökonomie“ erschienener Beitrag „Agrarpolitik im engeren Sinn“ vermitteln. Dieser Beitrag ist, wenn auch mit starkem Übergewicht der Agrarreformen des 19. Jahrhunderts, praktisch als agrarhistorischer Abriß angelegt, ganz entsprechend der von Meitzen einleitend selbst gegebenen Definition: „Die wissenschaftliche Agrarpolitik muß […] wesentlich agrarhistorische Darstellung sein. Sie muß ihren Zweck darin sehen, die agrarpolitischen Maßregeln der modernen Kulturstaaten aus dem gesamten Entwickelungsgange ihres Agrarwesens zu erklären“. – In den Jahren, als Weber mit Meitzen in Berührung kam, bereitete dieser das als Summe seiner agrarhistorischen [16]Forschungen gedachte Werk „Wanderungen, Anbau und Agrarrecht der Völker Europas nördlich der Alpen“ vor, eine große vergleichende Studie, deren erster (und einziger) Teil, „Siedelung und Agrarwesen der Westgermanen und Ostgermanen, der Kelten, Römer, Finnen und Slawen“ in drei Bänden dann 1895, also vier Jahre nach der Römischen Agrargeschichte Webers, erschien. Es ist wohl offensichtlich, wie sehr Meitzen, dessen eigener Forschungsschwerpunkt in erster Linie in der deutschen Agrargeschichte, daneben in der Agrarentwicklung im slawischen und ‚keltischen‘ bzw. irischen Bereich lag, gerade damals eine gründliche Bearbeitung des ihm selbst ferner liegenden römischen Agrarwesens als wissenschaftliches Desiderat erscheinen mußte.
Für Webers Römische Agrargeschichte wichtig wurden in erster Linie zwei Aspekte von Meitzens Forschungen, ein methodischer und ein inhaltlicher. Methodisch ging es Meitzen vor allem darum, die älteren deutschen und sogar germanischen Agrarverhältnisse vom Flurbild, von der gleichsam topographischen Aufteilung der Flur her zu erfassen, wie diese vor den neuzeitlichen Agrarreformen mit ihrer Beseitigung der Gemengelagen bzw. der alten Gewannteilung und der Allmenden existiert hatte. Sachlich führte ihn dies, jedenfalls im Bereich der deutschen Agrargeschichte, immer wieder auf den scheinbar festen und uralten Grundtypus einer geschlossenen Dorfsiedlung mit Hufenverfassung und Gewannteilung, wobei Meitzen, einflußreichen älteren, gerade im 19. Jahrhundert von deutschen Rechtshistorikern weiter ausgebauten Lehren von ursprünglicher germanischer Freiheit und Gleichheit folgend, glaubte, daß dieses Hufensystem für die germanische Agrarverfassung von den frühesten Anfängen an kennzeichnend gewesen wäre.
12
Aus der Fülle der hierhergehörigen Publikationen Meitzens können hier nur die folgenden Zusammenfassungen genannt werden: Agrarpolitik3, besonders S. 137–141; Artikel Hufe, in: HdStW 53,1910, S. 488–498; dazu die ausführliche Darstellung in: ders., Siedelung und Agrarwesen 1, S. 33–173. Vgl. noch Harnisch (wie oben, Anm. 6), S. 106–108.
Ursprünglich, bevor sie (von der Allmende abgesehen) zu einer Summe fester (und im Idealfall gleicher) Bodenanteile wurde, stellte die Hufe nach dieser Auffassung als „ideelle“ Hufe ein anteiliges, gleiches Nutzungsrecht der Hufengenossen an den verschiedenen Bestandteilen der Flur (Hofstätten, Gartenland, Gewanne, Allmende) dar, das, was die konkreten Flächen der Gewannanteile betraf, durchaus dem Wechsel unterworfen sein konnte und auch insofern noch kein Privateigentum an Grund und Boden darstellte. Etwas von der Arbeitsweise und Atmosphäre im Meitzenschen Seminar klingt vielleicht noch nach in einer Bemerkung der [17]Römischen Agrargeschichte, wo die Rede ist von dem, der „zum ersten Mal auf die Flurkarte einer deutschen, nach dem Hufenprinzip ausgelegten Flur blickt“, ohne doch imstande zu sein, das zu Grunde liegende ‚Prinzip‘ sofort zu erfassen.
13
[17]Unten, S. 194.
Den grundsätzlich „genossenschaftlichen“ germanischen Strukturen stellte Meitzen insbesondere die „keltische“ Agrarverfassung als „clanschaftlich“ gegenüber; d. h. sie war durch die überragende Autorität des Clanhäuptlings bestimmt und führte bei fester Ansiedlung zu einem anderen, durch Einzelhofwirtschaft und unregelmäßige Feldblöcke geprägten Flurbild.
14
Vgl. wiederum nur als Auswahl: Meitzen, Agrarpolitik3, S. 135 f. ; Artikel Ansiedelung, in: HdStW 13, 1909, S. 493–508; dazu ausführlich: ders., Siedelung und Agrarwesen 1, S. 174–232.
– Es ist klar, daß Meitzen mit seinen Theorien selbst in einer festen agrargeschichtlichen Tradition stand, wie sie u. a. durch die Forschungen des Dänen Oluf Christian Olufsen (1763–1827), des Deutschen Georg Hanssen (1809–1894) für die dänischen und deutschen und des Engländers Frederik Seebohm (1833–1912) für die „keltischen“ (irischen, walisischen) Verhältnisse repräsentiert wird.
15
Vgl. die kurze, aber instruktive Übersicht bei Meitzen, Siedelung und Agrarwesen 1, S. 19–28; dazu auch Harnisch, S. 108–113. Es war Olufsen, der, selbst ursprünglich als Feldmesser tätig, die Bedeutung des Flursystems für die Agrargeschichte zuerst erkannt hat.
Doch ist davon auszugehen, daß Weber all dies im wesentlichen ausschließlich durch Meitzen vermittelt wurde, d. h. daß er sich bei der Abfassung der Römischen Agrargeschichte nicht etwa selbst mit diesen und anderen agrarhistorischen Autoren beschäftigt hat.
Nach seinen eigenen Worten in der Einleitung der Römischen Agrargeschichte hat Weber von Meitzen vor allem dessen „praktische“ Betrachtungsweise übernommen, d. h. insbesondere die ständige Frage nach der praktischen Bedeutung des römischen Agrarrechts „für die daran Interessierten“,
16
Unten, S. 101.
was ja auch Webers seit jeher betonter Abneigung gegen eine dogmatische Rechtsbetrachtung entsprach.
17
Dazu oben, S. 4. Hierher gehört aber zweifellos auch z. B. die Frage nach der praktischen Bedeutung der agrimensorischen Bodenarten (vgl. unten, S. 27, sowie S. 107 ff.).
Doch obwohl Meitzen von ihm in der Römischen Agrargeschichte fast nie namentlich und mit keiner seiner gedruckten Veröffentlichungen zitiert wird,
18
Ausnahmen sind lediglich zwei Verweise auf das noch in der Entstehung befindliche große agrarhistorische Werk (oben, Anm. 11); vgl. unten, S. 100, 282, Webers Fußnote 127, dazu 345, Webers Fußnote 105.
geht sein Einfluß auf das Werk offensichtlich weit über diesen einen Aspekt hinaus. Neben der Grundidee einer römischen „Agrargeschichte“ als solcher, der Vorstellung einer begrenzten Zahl von Grundtypen der Agrarverfassung
19
Vgl. unten, S. 97.
und der [18]Gegenüberstellung von genossenschaftlicher und clanschaftlicher Besiedelung
20
[18]Vgl. unten, S. 141 und öfter.
ist vor allem dreierlei hervorzuheben: Einmal Webers Versuch, ganz ähnlich wie Meitzen die Grundlegung der Agrargeschichte von den Flurformen her zu gewinnen, wie es in Kapitel I der Römischen Agrargeschichte geschieht, ferner die zahlreichen Bezugnahmen nicht etwa auf die griechische oder sonstige antike, sondern stets auf die mittelalterliche und neuzeitliche Agrargeschichte, denen offensichtlich in erster Linie, wenn nicht ausschließlich Meitzens agrarhistorische Perspektiven zugrundeliegen; und schließlich die wohl auffallendste, zugleich auch problematischste Anlehnung an Meitzen, nämlich Webers Versuch in Kapitel II und III, die ganze älteste römische Agrarverfassung nach dem Muster der von Meitzen erschlossenen ‚genossenschaftlichen‘ germanischen Hufenverfassung zu rekonstruieren. Die Idee einer solchen Übertragung dürfte kaum von Meitzen selbst stammen, der sich hinsichtlich Roms ohnedies eher zurückhielt; es hat vielmehr den Anschein, daß sich Weber nicht zuletzt durch Mommsens – allerdings viel vageres – Bild einer frühen römischen „Feldgemeinschaft“ und einer „ Hufenverfassung“ im 1. Band der Römischen Geschichte dazu inspirieren ließ, in einzelnen Details von viel später überlieferten Institutionen Spuren einer ursprünglichen, der ‚germanischen‘ Hufenverfassung im Sinne Meitzens analogen Ordnung (z. T. sogar einschließlich des Gewannsystems) auch in Rom zu suchen.
22
Vgl. unten, S. 142, Anm. 8; zu Mommsen auch Momigliano (wie oben, S. 1, Anm. 4), S. 16 f. und 27 ff.
Hier steht man zweifellos vor einer der sichtbarsten Schwächen der Römischen Agrargeschichte, und zwar in doppelter Hinsicht: Weder ist die Übertragung der genossenschaftlichen Hufenverfassung mit all den von Weber daraus in der Römischen Agrargeschichte gezogenen Konsequenzen auf das älteste Rom hinreichend begründet noch hat sich Meitzens Rekonstruktion der germanischen Agrarverfassung ihrerseits halten lassen: Die agrarhistorische Forschung hat hier von Meitzens Ideen längst überwiegend Abschied genommen und zeigen können, daß von einem streng genossenschaftlichen Hufensystem als der ursprünglichen ‚germanischen‘ – im Gegensatz zur ‚keltischen‘ – Agrarverfassung nicht gesprochen werden kann.
23
Zur Orientierung sei hier nur verwiesen auf die Zusammenfassung von Karl Wührer, Artikel „Agrarverfassung“, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde von Johannes Hoops, 2. Aufl., 1. Band. – Berlin, New York: Walter de Gruyter 1973, S. 100–110; [19]ferner z. B. auf Werkmüller, Dieter, Artikel „Gewann“, in: Erler, Adalbert und Kaufmann, Ekkehard (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 1. Band. – Berlin: Erich Schmidt 1971, Sp. 1649–1652.
[19]Weber hat allerdings selbst bald nach der Veröffentlichung der Römischen Agrargeschichte erkannt, daß das germanische bzw. deutsche Hufensystem im Sinne Meitzens keine tragfähige Analogie für die Erfassung der älteren römischen Agrargeschichte bot. Dies hat denn auch zu einigen deutlichen sachlichen Abweichungen gegenüber der Römischen Agrargeschichte in den Rom gewidmeten Teilen von Webers Beiträgen zum Handwörterbuch der Staatswissenschaften, den „Agrarverhältnissen im Altertum“ von 1897, 1898 und 1909, geführt: Weber hielt zwar stets daran fest, daß ursprünglich „irgendwelche Familiengebundenheiten des Ackers“ existiert hätten und daß erst die Zwölftafelgesetzgebung „die Etablierung streng individualistischen Bodenrechts“ bedeutet hätte;
25
Ebd., S. 156.
aber er distanzierte sich, in den Fassungen von 1897 und 1898 eher stillschweigend und erst 1909 auch explizit, von der auf einem genossenschaftlichen Hufensystem basierenden Flurgemeinschaft als Grundlage der römischen Agrarentwicklung.
26
Vgl. besonders Weber, Agrarverhältnisse im Altertum1, S. 9 f.; dass.2, S. 75 f. ; dass.3, S. 143; 144 f.; 188; dazu Capogrossi Colognesi, Modelli (wie Anm. 21), S. 127–133; ders., Communita (wie ebd.), S. 77 ff.
Doch auch wenn der Einfluß Meitzens sich zumindest in dieser Beziehung auf das Werk eher negativ ausgewirkt hat, bleibt dieses als Ganzes ohne die grundlegenden von ihm empfangenen agrarhistorischen Impulse kaum vorstellbar und muß, wenn überhaupt jemand, dann Meitzen als ‚Lehrer‘ Webers bei dieser Arbeit gelten
26a
Meitzen war mein Lehrer“: So Weber nach Honigsheim, Paul, Erinnerungen an Max Weber, in: Kölner Zeitschr. für Soziol. und Sozialpsych., Sonderh. 7, 1963, hier S. 212, vgl. S. 166. Vgl. außerdem unten, S. 100.
.
Von ganz anderer Art ist demgegenüber der Einfluß von Rodbertus auf die Römische Agrargeschichte. Johann Karl Rodbertus-Jagetzow (1805–1875), auf dessen bedeutende sozialökonomische Theorien hier nicht im Detail eingegangen werden kann, hat in zahlreichen Schriften nicht zuletzt die Überwindung der kapitalistischen Wirtschaft und des in ihr herrschenden Gesetzes der „fallenden Lohnquote“ durch eine staatliche Lenkung der Wirtschaft und eine Art „Staatssozialismus“ verfochten.
27
Zu Rodbertus vgl. etwa die ältere Darstellung von Karl Diehl, in: HdStW 73, 1911, S. 141–148. Ein vollständiger Neudruck seiner Schriften liegt seit 1972 vor. Vgl. unten, S. 370, Anm. 2.
Auch ihm ging es um eine tiefere historische Fundierung seiner nationalökonomischen Auffassungen, was ihn zu einer intensiven Beschäftigung mit Problemen der Wirtschaft des Altertums führte. Sein Hauptwerk in dieser Hinsicht sind die in den Jahren 1864–1867 erschienenen „Untersuchungen [20]auf dem Gebiete der Nationalökonomie des klassischen Altertums“.
28
[20]Rodbertus, Agrarische Entwicklung Roms; ders., Römische Tributsteuern. Vgl. die vollständigen Angaben im Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur unten, S. 379; dazu auch Rodbertus’ eigene Ausführungen über die Bedeutung seiner altertumswissenschaftlichen Untersuchungen für seine Theorie, abgedruckt in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik im Deutschen Reich 15, 1891, S. 268 f.
Von den beiden Abhandlungen, aus denen die „Untersuchungen“ bestehen, gilt die erste einer gegen die seit Savigny übliche juristische Interpretation gerichteten, z. T. vor allem auf theoretischen ökonomischen Überlegungen beruhenden Erklärung der Entstehung des Kolonats: Im Anschluß an die von Johann Heinrich von Thünen in seinem „Isolierten Staat“ aufgestellten allgemeinen ökonomischen Standortgesetze glaubt Rodbertus z. B. nachweisen zu können, daß die in Italien als dem Zentrum des römischen Wirtschaftssystems notwendigerweise dominierende intensive Garten-, Gemüse- und Milchwirtschaft über die deswegen erforderliche Parzellenwirtschaft die Beseitigung der Sklaverei und den Übergang zum Kolonat erzwungen habe. Die zweite Untersuchung stellt – in vielem auch gegen Savigny – den Versuch einer ,Besteuerungs‘geschichte des römischen Reiches von Augustus bis Diokletian dar, wobei Rodbertus im fiskalischen System zugleich den „Reflex der bestehenden volkswirtschaftlichen Verhältnisse und der Rechtsideen“ und die Besonderheiten der „wirtschaftlichen und rechtlichen Unterlagen“ des Römischen Reiches erfassen wollte.In diesem Zusammenhang gelangte er – in Anknüpfung an Aristoteles – zu der von ihm geschaffenen, später von Karl Bücher (1847–1930) erneuerten, heute im ganzen überholten, aber wissenschaftsgeschichtlich überaus bedeutungsvollen sog. „Oikentheorie“ der antiken Wirtschaft.
31
Vgl. unten, S. 317, Anm. 34. Die von ihm behauptete Dominanz des „Oikos“ bzw. der geschlossenen „Haus“-Wirtschaft faßte Rodbertus dabei in gewisser Weise als eine ‚idealtypische‘ Zuspitzung der Realität auf; vgl. Rodbertus, Römische Tributsteuern, S. 343, Anm. 3: „Unter der Einschränkung, daß die Wirklichkeit niemals das Ideal völlig erreicht, war der Oikos die wirklich bestehende Grundlage […] jener berühmten antiken Staatenart, welche die Alten selbst als ‚Polis‘ bezeichneten.“
Rodbertus, dessen Name gerade in den späten 80er Jahren im Zusammenhang mit der bereits erwähnten „Rentenguts“-Diskussion eine gewisse Aktualität gewonnen hatte, wird von Weber in der Römischen Agrargeschichte nur selten und dann auch fast nur mit gleichzeitiger Kritik an seinen Auffassungen zitiert. Aber auch wenn sein Einfluß auf das Werk viel [21]weniger augenfällig ist als der Meitzens, so verdient doch die Äußerung Webers in der ersten Fassung der „Agrarverhältnisse im Altertum“ (1897) Aufmerksamkeit, wonach wesentliche Gesichtspunkte der Römischen Agrargeschichte „in der Hauptsache ursprünglich durch Rodbertus angeregt“ worden seien. Dabei handelt es sich nicht um die, wie Weber selbst gleich in der Einleitung zu erkennen gibt,
34
Unten, S. 98.
teilweise sehr problematischen sachlichen Resultate von Rodbertus, sondern um dessen grundsätzliche Methoden und Problemstellungen. An der Spitze steht dabei zweifellos Rodbertus’ Versuch, überhaupt systematische Fragestellungen und ökonomische Theorien für die Analyse der antiken literarischen Quellen fruchtbar zu machen. Dies hatte vor ihm zumindest in Deutschland noch niemand in vergleichbarer Intensität unternommen. Rodbertus ging es, wie er selbst ausführt, nicht um die „sogenannten Haupt- und Staatsaktionen“, sondern um die „stille, aber unaufhaltsame Veränderung in den Anschauungen, Sitten und wirtschaftlichen Verhältnissen, zu welchen sich jene oberflächlichen Geschichtsereignisse nur verhalten wie die kräuselnden Wellen zu der tiefen strömenden Flut“. Webers Analyse des Kolonats im IV. Kapitel der Römischen Agrargeschichte ist, wie er selbst in der Einleitung andeutet,
36
Vgl. unten, S. 98 f.
wesentlich im Kontrast zu Rodbertus’ erster Untersuchung zu sehen, und ebenso ist die starke Betonung der steuerlich-fiskalischen Fragen im II. und vor allem im III. Kapitel nicht von Rodbertus’ zweiter Untersuchung zu trennen; ihr Einfluß wird auch etwa an der These von den Naturallasten als eines die Auflösung des Reiches beschleunigenden Faktors deutlich.
37
Vgl. unten, S. 291 mit Anm. 79.
Doch auch allgemeinere Züge, wie z. B. der enge Zusammenhang von Recht und Ökonomie, das Interesse für große, übergreifende Gesichtspunkte bei aller Vertiefung in das Detail und nicht zuletzt der Sinn für die Präzision ökonomischer Begriffe und ihre Anwendung auf die antike Überlieferung sind in Rodbertus’ „Untersuchungen“ wie in der Römischen Agrargeschichte so stark ausgeprägt, daß der als Jurist natürlich auch an begriffliche Genauigkeit gewöhnte Weber, sofern er einzelnes nicht von Rodbertus übernahm, sich dadurch doch in eigenen Anschauungen entscheidend bestärkt sehen mußte. Dabei zeigt allein die Bemerkung zum Kernstück von Rodbertus’ Untersuchungen, der „Oikos-Theorie“, in der Römischen Agrargeschichte, welch in der Sache diametral entgegengesetzter Standpunkt Webers mit diesen methodischen Übereinstimmungen einhergehen konnte.
38
Unten, S. 317.
– Weber hat Rodbertus’ scharfen ökonomischen [22]bzw. wirtschaftshistorischen Blick immer wieder gegen allzu vordergründige Kritik in Schutz genommen. Er tat dies schon in der Römischen Agrargeschichte
39
[22]Unten, S. 98.
und hat es in einem Brief an Lujo Brentano aus dem Jahre 1893 wiederholt;
40
Vgl. unten, S. 98, Anm. 4.
er sprach in der zweiten Fassung der „Agrarverhältnisse im Altertum“ (1898) davon, daß „für die Gesamtentwicklung“ der römischen Agrarverhältnisse „Rodbertus’ grundlegende Verdienste niemals vergessen werden dürfen“, und noch in der letzten Fassung von 1909 erklärte er in offensichtlicher Bezugnahme auf Rodbertus drastisch, daß „die Fortschritte der Erkenntnis der Historiker […] dadurch erzielt sind, daß sie (erfreulicherweise) mit dem Kalb der verachteten ökonomischen ‚Theoretiker‘ zu pflügen begannen“.
42
Dass.3, S. 183.
Nur bei Rodbertus fand Weber das, was ihm so weder Meitzen noch Mommsen bieten konnten: eine Analyse der antiken Quellen mithilfe genuin ökonomischer und fiskalischer Kategorien.
Schließlich Theodor Mommsen (1817–1903), der bekanntlich auch in persönlichen Beziehungen zum Elternhaus Webers stand und in dessen Haus Weber selbst schon als Student vor allem dank seiner Freundschaft mit einem der Söhne Mommsens, dem etwas älteren Juristen Karl Mommsen (1861–1922), verkehrte.
43
Vgl. z. B. Weber, Marianne, Lebensbild1, S. 42; 147 f.; dazu oben, S. 7, Anm. 31, und unten, S. 57, Anm. 12.
Wohl ist außer der Staatsrechtsvorlesung vom Wintersemester 1886/87 keine Lehrveranstaltung Mommsens bekannt, die Weber regelmäßig besucht hätte
44
Vgl. oben, S. 9.
und kann auch von einem eigentlichen Schülerverhältnis, wie es in vieler Hinsicht gegenüber Meitzen bei der Abfassung der Römischen Agrargeschichte tatsächlich bestand,
45
Vgl. oben, S. 19.
nicht gesprochen werden. Dennoch besteht an der Bedeutung, die die Lehren des „großen Meisters Herrn Professor Mommsen
46
So unten, S. 197, Webers Fußnote 102; vgl. auch S. 100.
für den jungen Weber hatten, kein Zweifel, wie dies auch die umfangreichen Exzerpte des „Römischen Staatsrechts“ und die Energie, mit der sich Weber die „Römische Geschichte“ zu eigen machte,
47
Vgl. oben, S. 9 f., und unten, S. 86.
deutlich erkennen lassen.
Anders als Meitzen und Rodbertus, die mehr grundsätzlich für Problemstellung und Methode der Römischen Agrargeschichte wichtig waren, war Mommsen vor allem im engeren stofflich-fachlichen Bereich für Weber die zentrale Autorität. Seine überragende Bedeutung in dieser Hinsicht für die Römische Agrargeschichte zeigt sich auf zweifache Weise. Neben dem „Römischen Staatsrecht“ und dem von Mommsen geleiteten und z. T. [23]selbst herausgegebenen „Corpus Inscriptionum Latinarum“ sind es vor allem die überaus zahlreichen Einzelforschungen und Aufsätze Mommsens, die vielfach direkt auch die agrarischen Verhältnisse Roms betreffen und die im Text bzw. in den Anmerkungen der Römischen Agrargeschichte in aller Regel auch explizit genannt werden. Davon kann hier beispielhaft allenfalls die Publikation des in großen Teilen inschriftlich erhaltenen römischen Ackergesetzes aus dem Jahr 111 v. Chr. im 1. Band des CIL (1863) durch Mommsen mit der in seinem umfangreichen Kommentar dazu gegebenen, grundlegenden Behandlung des römischen Bodenrechts der republikanischen Zeit hervorgehoben werden. Daneben ist etwa für die agrarische Entwicklung der Kaiserzeit und für die Anfänge des Kolonats Mommsens Aufsatz von 1880 über die kurz zuvor gefundene Inschrift vom saltus Burunitanus, einem kaiserlichen Gut in Nordafrika, von besonderer Bedeutung. Einen Überblick über die vielen von Weber herangezogenen Einzelstudien Mommsens, durch die dieser – ganz im Gegensatz zu den beiden anderen großen Anregern Meitzen und Rodbertus – zu dem mit Abstand meistgenannten modernen Autor in der Römischen Agrargeschichte wird, bietet das Verzeichnis der von Weber zitierten Literatur.
48
[23]Unten, S. 370 ff.
Doch geht auch der Einfluß Mommsens auf die Römische Agrargeschichte über das von Weber selbst dokumentierte Maß noch wesentlich hinaus. So wird man vor allem sagen können, daß das gesamte allgemeine Bild Webers zumindest von der vorkaiserzeitlichen Entwicklung Roms, wie es in der Römischen Agrargeschichte zutagetritt, nahezu ausschließlich auf Mommsen und dessen „Römischer Geschichte“ beruht, ohne daß diese jemals von Weber zitiert würde.
49
Vgl. unten, S. 86.
Dazu gehören ganz allgemein die für die Römische Agrargeschichte charakteristischen sozialgeschichtlichen Fragestellungen und im einzelnen so wesentliche – und zugleich problematische – Elemente wie Webers Vorstellung von ursprünglich, in der Epoche vor der ‚kontinentalen‘ Expansion, stark auf den (See-)Handel gerichteten Interessen der Führungsschicht Roms wie auch seine ganze Anschauung von der anfänglichen gemeinwirtschaftlichen Organisation des römischen Agrarwesens, wo ihm die „Feldgemeinschaft“ und die „Hufenordnung“ in Mommsens „Römischer Geschichte“ die Übertragung des genossenschaftlichen Typus der germanischen Agrarverfassung, wie Meitzen sie erschließen zu können geglaubt hatte, auf Rom möglich erscheinen ließen.
50
Vgl. oben, S. 16 ff.
Vor allem aber dürfte Weber auch eine Auffassung Mommsens aus dessen „Römischer Geschichte“ übernommen haben, für die Mommsen sich bekanntlich schon Marx’ heftigen Tadel zugezogen hat,
51
Vgl. Marx, Karl, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. 3 Bände (Karl Marx-[24]Friedrich Engels, Werke, Band 23–25). – Berlin (DDR): Dietz 1962–1964 [zuerst 1867– 1894]; hier Band 23, S. 182, Anm. 25; Band 25, S. 339, Anm. 46; ebd. S. 795, Anm. 43.
an der Weber aber auch später [24]gegen Kritik stets kategorisch festhielt: Das ist der Gedanke einer genuin „kapitalistischen“ Entwicklung in Rom, wobei zu bemerken ist, daß auch Rodbertus die Anwendung des Kapitalbegriffs auf die antike Wirtschaft ausführlich erörtert hatte.
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Rodbertus, Römische Tributsteuern (1867), bes. S. 388–392; vgl. ebd. S. 357 ff., 404 ff.
Doch ähnlich wie bei der anfänglichen „Flurgemeinschaft“ ohne Individualeigentum steht auch hinter dem „Kapitalismus“ in Rom als die eigentliche fachliche Autorität zunächst Mommsens „Römische Geschichte“. Es ist hier nicht zu fragen, wie weit in allen diesen Punkten auch Mommsen selbst wieder Vorgängern folgt; denn es dürfte klar sein, daß Weber seinerseits – ähnlich wie im Bereich der Agrargeschichte von Meitzen – in derartigen Fragen der republikanischen Geschichte Roms ausschließlich von Mommsens Werk als dem anerkannten Fundament ausgeht. Freilich wurden dabei Auffassungen, die im Gesamtrahmen der „Römischen Geschichte“ oft eine eher sekundäre Rolle spielten, z. T. gleichsam zu tragenden Säulen von Webers Konzeption der älteren Agrargeschichte Roms und erhielten eine Bedeutung, die sie in dieser Weise in der „Römischen Geschichte“ nicht besaßen.
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Vgl. auch Capogrossi Colognesi, Modelli (wie oben, Anm. 21), S. 114.
Aber in mancher Hinsicht waren diese forcierten Anleihen des jungen Weber bei Mommsen wohl ein Preis für den kühnen Versuch, mit Hilfe Meitzenscher Agrarhistorie und einer ökonomischen Interpretation der klassischen Quellen nach dem Beispiel von Rodbertus
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Damit ist zugleich auch gesagt, daß in der Römischen Agrargeschichte nirgends ein spezieller Einfluß von Karl Marx erkennbar wird, wie man z. T. gemeint hat; vgl. etwa Weyembergh, Maurice, Le volontarisme rationnel de Max Weber (Acad. Royale de Belgique, Mém. de la cl. des Lettres, 2e sér., t. 61,1). – Bruxelles: Palais des Académies 1972, S. 30 f.; vgl. S. 94 ff.; vorsichtiger Sereni im Vorwort seiner italienischen Übersetzung (wie unten, S. 40, Anm. 13), S. XIII; XVI. Der früheste bisher bekannte direkte Beleg einer Beschäftigung Webers mit Marx scheint in einem Brief vom 13.12.1892 vorzuliegen, vgl. Riesebrodt (wie Anm. 32), S. 565, Anm. 31. – Deutliche Spuren hat dagegen die Lektüre von Bebels Buch „Die Frau und der Sozialismus“ hinterlassen, vgl. unten, S. 298, Anm. 10, sowie S. 349.
unter ganz bestimmten – juristischen – Hauptgesichtspunkten etwas zu entwerfen, was es bis dahin nicht gab und was auch bis heute – in einer wesentlich veränderten wissenschaftsgeschichtlichen Situation – nicht wieder in vergleichbarer Form zu realisieren versucht worden ist: eine alle Epochen umfassende Analyse der „Agrargeschichte“ Roms.

[25]3. Die Römische Agrargeschichte: Aufbau und Inhalt. Zur Darstellungsweise Webers

Worum ging es nun Weber vorrangig in seiner Untersuchung der Agrargeschichte Roms? Zumal im Blick auf sein späteres Werk könnte es naheliegen, die Arbeit vor allem als eine Analyse des römischen (Agrar-)Kapitalismus, seiner Entstehung, seines Höhepunktes und seines schließlichen Niedergangs zu sehen. Doch so sehr der Gedanke an das Emporkommen und die spätere Zurückdrängung eines sich zeitweise ungemein stark entwickelnden antiken Kapitalismus Webers Studie untergründig begleitet, steht dies doch nicht im Vordergrund. Vielmehr gelten nach dem äußeren Aufbau die ersten drei Kapitel hauptsächlich dem Problem der öffentlich- und privatrechtlichen Stellung der von Weber herausgearbeiteten verschiedenen Bodenkategorien, während das vierte Kapitel dem römischen Gutsbetrieb gewidmet ist. Hinter dieser systematischen Gliederung des Werkes wird jedoch zugleich deutlich das Konzept einer durchlaufenden Entwicklung sichtbar, die gleichsam in drei großen Phasen von der „Flurgemeinschaft“ zur „Grundherrschaft“ verläuft, indem auf die von Weber angenommenen ursprünglichen „Flurgemeinschaften“ ohne Privateigentum (bis ca. zur Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr.) zunächst die überaus starke Ausbildung von privatem Grundeigentum und Individualwirtschaft folgt, die im Großgrundbesitz mit „Sklavenkasernen“ gipfelt, bis sich in einem letzten Zeitabschnitt (etwa vom späten 1. bis zum 5./6. Jahrhundert n. Chr.) auf dem Kolonat bzw. auf schollengebundenen Bauern beruhende „Grundherrschaften“ entwickeln, die bereits unmittelbar auf mittelalterliche Verhältnisse vorausweisen.
Damit sind die allgemeinsten Phasen bezeichnet, die nach Weber für die agrarische Entwicklung Roms charakteristisch waren. Was die methodische Konzeption des Werkes betrifft, so sind vor allem zwei Aspekte von Bedeutung. Einmal handelt es sich nicht um eine vollständige, systematischerzählende Darstellung der römischen Agrargeschichte (die aus der Natur der Sache wie der Überlieferung auch kaum zu leisten wäre), sondern vor allem um die Erhellung der Zusammenhänge, die nach Weber zwischen den Rechtsstrukturen des römischen Agrarwesens und den jeweiligen ökonomischen und sozialen Verhältnissen in den verschiedenen Epochen der römischen Agrarentwicklung bestanden, d. h. um die Frage, welchen konkreten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen und Interessen die Rechtsstellung von Grund und Boden und die Rechtslage der in der Landwirtschaft tätigen Personen entsprachen. Zum andern aber handelt es sich für den Juristen Weber nicht so sehr um die Eruierung neuer historischer Einzel‚fakten‘ als vielmehr, wie schon der Titel anklingen läßt, um die Erfassung von Zusammenhängen zwischen an sich bereits bekannten Tat[26]Sachen, um die Herausarbeitung der „Wesentlichkeit oder Unwesentlichkeit mancher Momente“
1
[26]Unten, S. 105. Vgl. im einzelnen z. B. unten, S. 158 f., 193, 207, 285, Webers Fußnote 137, 345 ff.
für die Agrargeschichte Roms sowie um die Erfassung von Entwicklungstendenzen.
Wenn man nach dem Inhalt der Römischen Agrargeschichte im einzelnen fragt, so hat Weber selbst seinem Werk eine so detaillierte Gliederung gegeben, daß sich auf den ersten Blick hier kaum größere Fragen zu stellen scheinen. Doch zeigt jede nähere Betrachtung, daß angesichts der Fülle von Aspekten in nahezu jedem Abschnitt, der vielfältigen, in die verschiedensten Richtungen weisenden expliziten und impliziten Bezüge, nicht zuletzt auch wegen des Fehlens einer chronologisch entwickelnden Darstellung (obwohl Weber ein historisches Gesamtbild des römischen Agrarwesens in den großen Linien offenbar stets vor Augen stand) der Versuch einer zusammenfassenden Durchmusterung des Inhalts mit manchen Problemen zu kämpfen hat. Er dürfte dennoch, nimmt man auch noch die z. T. erheblichen technischen Verständnisschwierigkeiten für jeden Nichtspezialisten hinzu, wohl angebracht sein.
An den Anfang des ganzen Werkes hat Weber eine aus einem methodischen und einem mehr inhaltlichen Teil bestehende „Einleitung“ gestellt. Im ersten Teil (S. 97–101) weist Weber selbst auf sein weitgehend ‚konstruktives‘ Verfahren bei der Feststellung der „Ausgangspunkte“ des römischen Agrarwesens hin. Auch hebt er hervor, daß die spätere Gesamtentwicklung im römischen Reich zwar nicht als ‚Gesetz‘, aber doch in Form von „Tendenzen“ erfaßbar sei, und begründet zugleich die Unmöglichkeit einer historisch fortschreitenden Darstellung. Der zweite Teil (S. 101–106) nennt dann die inhaltlichen Ausgangsfragen Webers bei seiner Studie: Die Ursachen des Übergangs von der von ihm angenommenen anfänglich maritimen Orientierung Roms zur ‚kontinentalen Eroberungspolitik‘, die sozialen und wirtschaftlichen Triebkräfte hinter der Entstehung des römischen Privateigentums am Boden wie des öffentlichen Landes, die Rechtsformen in der Verwertung des eroberten, agrarisch genutzten Landes vor allem in Italien, die Behandlung des minderberechtigten, steuerpflichtigen Grund und Bodens in den Provinzen durch die römische Verwaltung in der Kaiserzeit und endlich, in der spätrömischen Epoche, die Herausbildung von „Grundherrschaft“ und Kolonat. Ausdrücklich betont Weber hier auch (S. 104 f.), daß es in der ganzen Untersuchung primär nicht um die Gewin[27]nung einzelner neuer Fakten, sondern um die Gewichtung der Hauptfaktoren für die agrarische Entwicklung Roms gehe. Dies ist wohl nicht als Resignation angesichts der bereits geleisteten Feststellung der historischen ‚Fakten‘ zu verstehen, sondern eher im Zusammenhang seines eigenen damaligen Verständnisses der Römischen Agrargeschichte als eine Art erster Rahmen, innerhalb dessen er dann eine ganze Reihe von Spezialuntersuchungen zu Einzelproblemen vornehmen wollte.
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[27] Vgl. unten, S. 66.
Der Hauptteil der Arbeit ist dann so aufgebaut, daß die Kapitel I bis III gegenüber dem letzten Kapitel einen enger zusammengehörigen Komplex bilden, in dem es in erster Linie um die unterschiedlichen rechtlichen Qualitäten des Bodens und ihre Bedeutung für die Agrargeschichte Roms geht, während das letzte Kapitel dem Anbau als solchem, vor allem aber der inneren Organisation der landwirtschaftlichen Betriebe mit dem Schwerpunkt in der Kaiserzeit gilt.
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Etwas zugespitzt ließe sich formulieren, daß in den ersten drei Kapiteln das Meitzensche Grundproblem des Zusammenhangs der Agrarentwicklung mit der Flurteilung, im vierten Kapitel dagegen die „Landarbeiterfrage“ dominiert.
Indem Weber im I. Kapitel, „Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum mit den staats- und privatrechtlichen Qualitäten des römischen Bodens“ (S. 107–140), zunächst vom äußeren Flurbild, d. h. hiervon den unterschiedlichen Aufteilungsarten des Bodens nach dem Zeugnis der kaiserzeitlichen römischen Feldmesser ausgeht, folgt er im Grunde unmittelbar dem methodischen Ansatz Meitzens.
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Vgl. oben, S. 17.
Neben dem ager arcifinius, dem, so Weber, von der römischen Flurteilung nicht erfaßten Boden, unterscheidet er nach den Gromatikern vor allem drei Aufmessungsarten: die Zenturiation als ‚vollkommenste‘ Art der Aufteilung, d. h. die Aufmessung der Flur als ‚ager limitatus‘ in quadratische, 200 iugera (= ca. 50,46 ha) umfassende centuriae mit einem festen öffentlichen Wegesystem (limites), ferner die Skamnation, die Aufteilung in rechteckige Parzellen (scamna, strigae) ohne ein gleichwertiges Wegenetz, und schließlich die römische Vermessung nur nach den äußeren Flurgrenzen (ager per extremitatem mensura comprehensus). Weber glaubt nun, einen festen Zusammenhang zwischen diesen verschiedenen Flurformen der Agrimensoren und den zunächst andersartigen juristischen Bodenkategorien, speziell auch deren Behandlung durch die römische Steuerverwaltung, als „ohne weiteres wahrscheinlich“ (S. 107) annehmen zu können.
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Rodbertus, Römische Tributsteuern, S. 253, hatte das Vorhandensein eines solchen Zusammenhangs ausdrücklich bestritten; vgl. auch unten, S. 109, Anm. 8.
Er bestand nach ihm darin, daß – aufs Ganze gesehen – die Zenturiation dem im vollen römischen Privateigentum stehenden und damit einer regelmäßigen Grundsteuer entzogenen Grund und Boden, die Skamnation dem individuell abgabepflichti[28]gen Acker und die Aufmessung per extremitatem dem einer pauschalen Abgabe (stipendium) unterworfenen Territorium entsprach (vgl. S. 122 f.; 136 f.). Als Besonderheit des steuerfreien und limitierten Bodens versucht Weber herauszuarbeiten, daß bei diesem lediglich die Zahl der iugera des Eigentümers (modus agri) auf der Flurkarte (forma) in der betreffenden Zenturie vermerkt wurde, während z. B. beim skamnierten Boden aus fiskalischen Gründen die einzelnen Besitzgrenzen bzw. die Abmessungen der einzelnen Besitzungen genau verzeichnet waren (S. 109; 111). Weber muß selbst erkennen, daß im einzelnen zahlreiche und auch erhebliche Abweichungen von dem von ihm aufgestellten Prinzip sowie Mischformen existierten und geht auch im Detail – mit zahlreichen zusätzlichen Hypothesen – einer Reihe von „Sonderfällen“ nach (z. B. dem ager quaestorius, S. 129 ff.). Die auf diese Weise von Weber gewonnenen agrimensorischen wie juristischen Hauptkategorien, d. h. der im privaten Eigentum befindliche und daher (grund-)steuerfreie und der im öffentlichen Eigentum stehende (verpachtete usw.) und daher abgabepflichtige Boden, bestimmen den ganzen weiteren Gang der Untersuchung, indem die beiden folgenden Kapitel die zwei großen Komplexe des ager privatus einerseits und des ager publicus bzw. der übrigen Kategorien des nicht zu vollem römischem Privateigentum vergebenen Ackers andererseits behandeln.
Das zweite Kapitel, „Der grundsteuerfreie römische Boden in seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung“ (S. 141–206), setzt ein mit Fragen der staats- und verwaltungsrechtlichen Zuordnung des assignierten Ackers innerhalb der römischen Gemeindeorganisation (S. 141–156). Das eigentliche Hauptthema bildet hier jedoch Webers Versuch, den Prozeß der Herausbildung von vollem Privateigentum an Grund und Boden in Rom in seiner agrargeschichtlichen Bedeutung zu erfassen, d. h. die rechtliche und ökonomische „Mobilisierung“ des Grundeigentums in Rom und damit die Entstehung von teilweise denkbar „modernen“ (individuellen und z. T. „kapitalistischen“) Wirtschafts- und Besitzstrukturen, aufgrund deren Rom auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung gegen Ende der Republik, in Webers Formulierung, geradezu zur „Immobilienbörse der Welt“ (S. 187) geworden sei.
Zu diesem Zweck greift Weber weit zurück und entwickelt eine ganze Anzahl von vielfach ungesicherten rechts- und agrargeschichtlichen Hypothesen. Offensichtlich im Anschluß an Meitzens Anschauung von der ursprünglichen germanischen Hufenverfassung wie an die Vorstellungen Mommsens von einer anfänglichen Feldgemeinschaft und Hufenverfassung in Rom sowie unter Berufung auf einzelne späte Zeugnisse vor allem der Gromatiker glaubt Weber, auch im ältesten Rom als Ausgangspunkt der Entwicklung ein gemeinwirtschaftlich gebundenes Agrarwesen ohne Individualeigentum am Ackerland erschließen zu können. So unternimmt er es, [29]eine der germanischen (im Sinne Meitzens) weithin entsprechende römische Hufenverfassung zu rekonstruieren, die ursprünglich auf „ideellen“ Hufen – d. h. Anteilsrechten ohne Bindung an feste Flächen innerhalb der einzelnen „Flurgemeinschaften“ (wohl der gentes) – basiert hätte; eine von Webers vielen Vermutungen lautet z. B., daß fundus, in historischer Zeit ein Wort für den (geschlossenen) landwirtschaftlichen Besitz, ursprünglich eben dieses bloße „Anteils-“ bzw. „Genossenrecht“ an der Flur bezeichnet habe (S. 171).
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[29]Zum späteren eigenen Abrücken Webers von der auf dem „Hufensystem“ basierenden „Flurgemeinschaft“ in Rom vgl. oben, S. 19. – Charakteristisch ist in diesem Zusammenhang auch die gegenüber der recht apodiktischen Erklärung von fundus als „Genossenrecht“ deutliche Abschwächung dieser Behauptung und ihr schließliches stillschweigendes Verschwinden in den späteren Arbeiten; vgl. Weber, Agrarverhältnisse im Altertum1, S. 13; dass.2, S. 79, sowie dass.3, S. 157.
Vor allem jedoch im Nebeneinander des „modus-“ und des „locus-Prinzips“ (vgl. besonders S. 162 ff.), das er noch in Details des Sachen- und Prozeßrechts der Zeit der Agrimensoren und der späteren Kaiserzeit finden zu können glaubt, meint Weber Nachwirkungen der Tatsache fassen zu können, daß in Rom die Herausbildung von Eigentum an einer bestimmten Fläche (locus) gegenüber dem älteren Recht nur auf eine bestimmte Zahl von iugera (modus) erst eine jüngere Entwicklung darstellte; auch die Manzipation von Grundeigentum z. B. war nach ihm wesentlich eine Übertragung von ‚modus agri‘ (vgl. S. 169). Den schrittweisen Prozeß der Durchsetzung des „locus-Prinzips“ gegen das „modus-Prinzip“ versucht er in seinen Hauptetappen sehr subtil zu rekonstruieren, wobei aber nicht nur die Chronologie vielfach überaus vage bleibt, sondern zahlreiche Einzelheiten (z. B. die Abfolge: Unveräußerlichkeit der „Hufe“ wie von Teilen davon – Veräußerlichkeit fester Bruchteile – Veräußerlichkeit von ,modus‘ überhaupt – Veräußerlichkeit beliebiger fester Flächen (S. 170 f.), ebenso etwa die Abfolge: Schutz des Erwerbs konkreter Flächen nur durch Interdikt, später auch bei Ersitzung (Usukapion) und schließlich auch durch das sog. publizianische Edikt) schon mangels ausreichender Überlieferung, wie auch Weber selbst erkennt, nicht zu beweisen sind.
Daß diese älteste Agrarverfassung Roms relativ früh (jedenfalls im Vergleich mit den von Meitzen untersuchten Verhältnissen nördlich der Alpen) starken ‚Modernisierungs‘tendenzen unterlag, versucht Weber durch eine Reihe von Ursachen zu erklären, so durch den städtischen Charakter der Besiedlung, der eo ipso die Entwicklung von der Gemein- zur Individualwirtschaft begünstigt habe (S. 144), ferner durch den Aufstieg der von ihm als „mittlere Ackerbürgerpartei“ (S. 205) aufgefaßten Plebejer. Deren Interessen seien gegen die sie bewuchernden und ihrerseits ursprünglich auf den (See-)Handel ausgerichteten Patrizier u. a. notwendig auf die „Emanzipation des Grundeigentums“ gerichtet gewesen (S. 205); ihr Landhunger für [30]ihre unversorgten Nachkommen habe überdies in der folgenden Zeit einen Hauptimpuls für die Abkehr von der maritimen Orientierung und die Hinwendung zur kontinentalen Expansion und Kolonisation in Italien (S. 159 f.) gebildet. Weber geht davon aus, daß für die rechtliche Emanzipation des Grundeigentums die entscheidende Zeit die Epoche von der sog. servianischen Verfassung bis zur Zwölftafelgesetzgebung war und daß erst in der Zeit der Zwölftafeln (451/0 v. Chr.) die definitive ‚Aufteilung der Flurgemeinschaft zu vollem Privateigentum‘ erfolgte, die Weber ganz in Analogie zur neuzeitlichen Agrarpolitik des 18. und 19. Jahrhunderts als Separation und Verkoppelung sehen will (S. 205). Daß hinter der Schaffung des ager privatus eine ‚bewußte agrarpolitische Tendenz‘ stand, glaubt er gerade auch aus den scharf ausgeprägten rechtlichen Besonderheiten des assignierten Ackers (u. a. Census- und Manzipationsfähigkeit, Abgabenfreiheit, zivilrechtlicher Schutz) und seinem Gegensatz zum ager publicus erschließen zu können (S. 157 f., 207); als ihr Ziel siebter (wiederum im Sinne der neuzeitlichen Bestrebungen) die „unbedingte Freiheit der wirtschaftlichen und rechtlichen Disposition über das Grundeigentum und dessen möglichste Mobilisierung“ (S. 201). Hauptvoraussetzungen dafür sind die konsequente Schaffung von geschlossenem Besitz durch die Assignation bzw. eines der individualwirtschaftlichen Bearbeitung voll zugänglichen Grund und Bodens zumal durch die mit der Zenturiation verbundene Limitation, ferner aber die von Weber wesentlich als Übertragung von modus aufgefaßte Manzipation. Gerade letztere ermöglichte nach ihm einen Immobilienhandel großen Ausmaßes in Rom, zu dem auch die Rolle des ager privatus als Pfandgegenstand bei großen geschäftlichen Aufträgen des römischen Staates beitrug, während die Formen des privaten Bodenkredits – ein wichtiges Thema in der zeitgenössischen Agrardebatte – eher schwach entwickelt blieben (S. 189). In diesen Zusammenhang gehört auch Webers schon anläßlich seiner Promotion mit Mommsen persönlich diskutierte These, daß noch in der Kaiserzeit die Erhebung eines Ortes zur römischen Kolonie wesentlich die Schaffung limitierten Ackers, d. h. „eine mit Verkoppelung und Separation verknüpfte Flurregulierung“ bedeutete (unten, S. 197), eine These, die offenkundig die in den ersten drei Kapiteln entwickelten Grundgedanken Webers vom Zusammenhang zwischen agrimensorischer Flurteilung und Rechtslage des Bodens bereits voraussetzt. – Nur kurz geht Weber darauf ein, daß die Steuerfreiheit des ager privatus insgesamt auf Italien beschränkt blieb und auf das private römische Grundeigentum in den Provinzen (d. h. insbesondere in den dort gelegenen Kolonien) nicht ausgedehnt wurde (S. 200).
Das III. und zugleich umfangreichste Kapitel, „ Das öffentliche und steuerbare Land und die Besitzstände minderen Rechts“ (S. 207 ff.), ist dann dem nicht im römischen Privateigentum stehenden Boden gewidmet, d. h. dem [31]ager publicus und dem peregrinen Provinzland, deren wichtigstes gemeinsames Kennzeichen die hier überall bestehenden öffentlichen Lasten der verschiedensten Art waren. Da Weber hier weniger mit Rückschlüssen arbeitet, ist dieses Kapitel teilweise stärker chronologisch ausgerichtet und reicht dabei von der Entstehung eines abgabepflichtigen Bodens in Rom überhaupt über die Vielfalt von Bodenbelastungen in der späteren Republik und der Prinzipatszeit bis zur (freilich nur der Intention nach einheitlichen) spätantiken Grundsteuer, wobei überdies im Gegensatz zum vorangehenden Kapitel das Schwergewicht hier (natürlicherweise) insgesamt stärker auf der Kaiserzeit liegt.
In einem weiten Rückgriff und wieder in offensichtlicher Anknüpfung an die Anschauungen Meitzens von Struktur und Entwicklung der älteren deutschen Agrarverfassung versucht Weber den Nachweis, daß der (in historischer Zeit ausschließlich aus neu erobertem Land gewonnene) ager publicus in seiner juristischen Struktur ursprünglich nicht auf das Weideland bzw. die „Allmenden“ der „Flurgemeinschaften“ zurückgehe, deren Relikte vielmehr im späteren ager compascuus vorlägen, sondern auf die „gemeine Mark“ der Flurgemeinschaften, d. h. das Rottland mit dem dort bestehenden Rodungsrecht, und daß folglich das Okkupationsrecht auf dem ager publicus mit den damit verbundenen Abgaben in seinem Ursprung den „Bifängen“ des frühen Mittelalters, d. h. der Inbesitznahme von ungerodetem Land in der freien Mark, entsprochen habe (S. 213 f.).
Die vielen verschiedenen Boden- und Besitzkategorien auf dem „öffentlichen und steuerbaren Land“ geben Weber im folgenden Hauptteil Anlaß zu äußerst umfangreichen juristischen Klassifikationen, bei denen z. T. chronologisch weit voneinander entfernte Rechtsformen unmittelbar nebeneinander erscheinen. Ausgangspunkt ist zunächst die Zweiteilung in „Domanial“- und Provinzland. Im Bereich der staatlichen Domäne stehen sich dann die Okkupationen der älteren Zeit auf dem ager occupatorius und die vielfältigen sonstigen, später entstandenen Besitzstände gegenüber. Letztere gliedert Weber nach ihrer zeitlichen Befristung sowie nach der Art der auf ihnen liegenden Belastungen: Dienstleistungen, nominelle, reelle Abgaben. Im einzelnen besprochen werden hier vor allem der gegen Geldzahlung rechtlich befristet aus dem ager publicus von den Censoren vergebene Pachtacker (ager vectigalis, S. 221 ff.), ferner die unbefristet gegen Dienstleistungen ausgetanen Äcker der viasii vicani (S. 228 ff.) und der navicularii (S. 231) sowie die agri limitotrophi der Spätantike (S. 232), weiterhin die ebenfalls unbefristet, aber gegen eine Art Anerkennungsgebühr zugewiesenen ‚trientabula‘ (S. 234 f.; vgl. Kap. I, S. 131 ff.), die gracchischen Landzuweisungen (S. 235) und der unbefristet gegen eine reelle Abgabe zugewiesene Boden, zu dem Weber insbesondere den ager privatus vectigalisque der lex agraria von 111 v. Chr. in Africa stellt (S. 236 ff.). Als in ihrer [32]Rechtsstruktur diesen domanialen Besitzständen ,nachgebildet‘ folgen schließlich noch der munizipale ager vectigalis (S. 252 ff.) sowie die spätrömische Emphyteuse (S. 259 f.). Daran schließt sich die nähere Behandlung des provinzialen Bodens und seiner finanziellen Leistungen vor allem anhand der genauer bekannten Verhältnisse in den Provinzen Sizilien, Asia und Africa (S. 260 ff.).
Der letzte Teil des Kapitels gilt dann der Entwicklung der Bodenabgaben in der Spätzeit seit dem 3. Jahrhundert n. Chr. und der zunehmenden, wenn auch keineswegs vollendeten Nivellierung bzw. „Unifizierung“ der vielfältigen Bodenrechte und -lasten im Imperium (S. 270 ff.).
Im Vordergrund der Argumentation stehen auch im III. Kapitel zunächst die rechtlichen Probleme, d. h. die öffentlich- und privatrechtliche Struktur der vielen unterschiedlichen Ackerkategorien außerhalb des quiritischen Eigentums, wobei Weber die besondere Wichtigkeit der Rolle rein „verwaltungsrechtlicher“ Regelungen in diesem Bereich im Gegensatz zu dem des privaten Grundeigentums betont (vgl. besonders S. 295 f.). Vor allem die zu leistenden Abgaben, die Veräußerungsformen, die Vererbung, der Rechtsschutz des Besitzes und die inneren Zusammenhänge zwischen diesen einzelnen Aspekten sind Hauptgesichtspunkte, unter denen die verschiedenen Bodenkategorien untersucht werden; auch das hier vorherrschende, von Weber so bezeichnete „locus-Prinzip“ und die Beziehungen zu den gromatischen Aufmessungsformen treten wiederholt in den Blick.
Aber auch in diesem in seiner Vielfalt fast verwirrenden Bereich der Besitzstände auf dem ager publicus und in den Provinzen führt Webers primär juristische Analyse doch ständig auf die damit eng verbundene soziale Realität (z. B. von Klein- und Großpächtern). Darüber hinaus werden auch hier allgemeinere historische Entwicklungstendenzen deutlich erkennbar. Während die ältere, d. h. im wesentlichen die republikanische Zeit, im Zeichen einer ungewöhnlichen „Mobilisierungs“-Dynamik zumal in Italien, nämlich der Entfaltung des vollen Privateigentums, eines schrankenlosen „Kapitalismus“ auf dem ager occupatorius (vgl. S. 216) und überhaupt eines erbitterten „Klassenkampfes“ (vgl. S. 216) um den ager publicus steht, versiegen diese Auseinandersetzungen gegen Ende der Republik mehr und mehr, u. a. infolge des Verbots der Okkupationen und der fortschreitenden Umwandlung des ager publicus in Italien in volles römisches Privateigentum. Dieses weist in der Kaiserzeit keine wesentliche Weiterentwicklung mehr auf, sondern ist eher durch ein allmähliches Zurücktreten der alten zivilrechtlichen Formen gekennzeichnet. Dagegen gewinnen jetzt die Besitzstände „minderen Rechts“ in den Provinzen mit ihren erheblichen Steuerleistungen für das Imperium eine immer größere Bedeutung. Hier verfolgt Weber nicht zuletzt drei weiterreichende Entwicklungslinien: Es geht einmal um die langfristigen Tendenzen zur Einebnung der zahlreichen [33]Unterschiede des Bodenrechts, der die Schaffung einer einheitlichen Grundsteuer im ganzen Reich entspricht, die schließlich auch Italien selbst mit dem alten ager privatus erfaßt. Wenn es zumal in der in diesem Zusammenhang diskutierten diokletianischen Steuerreform eine durchgehende Tendenz gab, dann war es nach Weber diejenige zur Umlegung der Grundsteuer nach größeren „Grundherrschaften“ (S. 289), die sich im Laufe der Kaiserzeit herauszubilden begannen. – Daneben geht es um die mit diesem Aufkommen von „Grundherrschaften“ unmittelbar verbundenen sozialstrukturellen Wandlungen. Hier ist in erster Linie die Entstehung eines neuen sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Gegensatzes zwischen „Possessoren“ und (persönlich freien) „Hintersassen“ zu nennen (vgl. S. 285), der durch die Entstehung von langfristiger Pacht und Erbpacht sowie durch die Zunahme der Großpacht vorbereitet wurde, – Erscheinungen, die ihrerseits durch die römische Verwaltung bzw. durch die verwaltungsrechtlichen Maximen begünstigt wurden, welche jene bei den minderprivilegierten Besitzständen vorzugsweise anwendete. In einer dritten Entwicklungstendenz bei den Grundsteuern, nämlich der wachsenden Bedeutung der Natural- gegenüber den Geldabgaben in der spätrömischen Zeit, sieht Weber (offenbar unter dem Einfluß von Rodbertus) einen wesentlichen Faktor für den schließlichen Zerfall des Imperiums (S. 291).
Das letzte, IV. Kapitel, „Die römische Landwirtschaft und die Grundherrschaften der Kaiserzeit“ (S. 297–352), gilt dem römischen landwirtschaftlichen Betrieb und seinen Wandlungen in der Zeit von Catos „De agricultura“ (2. Jahrhundert v. Chr.) bis zum Corpus Iuris Justinians (6. Jahrhundert n. Chr.). Die Hauptthemen sind dabei die agrarische Produktion und ihre Veränderungen und vor allem die Entwicklung vom Sklavenbetrieb bei Cato, Varro und Columella hin zu den schon im III. Kapitel genannten „Grundherrschaften“, die wiederum eng mit der Ausbildung des ‚abhängigen‘ Kolonats verbunden war. Auch hier treten Gesichtspunkte Webers in den Vordergrund, die schon in den vorangegangenen Kapiteln eine wesentliche Rolle spielten: die vielerlei günstigen Bedingungen für die Entwicklung von großem Grundbesitz in der römischen Landwirtschaft und die Bedeutung des Staates bzw. von Verwaltung und Verwaltungsrecht für die Gestaltung der agrarischen Strukturen (vgl. auch S. 224 ff., 259 f.).
Ein kürzerer erster Teil (S. 297–306) behandelt das Verhältnis von Getreideanbau und wachsendem Hervortreten von Oliven-, Wein- und anderen ‚kapitalintensiven‘ und zugleich gewinnträchtigen Kulturen in Italien; Weber betont dabei vor allem den engen Zusammenhang mit dem politischen Interesse der „in Rom domizilierenden Gutsherren“ (S. 302) an der Höhe ihrer „Grundrente“.
Die ganzen folgenden Teile des Kapitels sind dann im wesentlichen der Fortentwicklung der großen Güter zu förmlichen „Grundherrschaften“ und [34]dem damit zusammenhängenden Wandel in ihren sozialen Strukturen gewidmet. Schon in der späteren republikanischen Zeit zeichnet sich nach Weber ab, daß weder die Kleineigentümer mit ihrer Eigenwirtschaft noch die selbständigen Kleinpächter (coloni) ein die Zukunft bestimmendes Element bilden können, sondern daß diese ganz bei den größeren Gütern liegt (S. 307–312).
Dort ist zunächst der Sklavenbetrieb mit zunehmend sich verschärfender Ausbeutung der ‚kasernierten‘ Sklaven die Normalform (S. 312–318). Doch leitet der Übergang zum Prinzipat in Rom grundlegende Veränderungen ein, indem einerseits der Sklavennachschub im Laufe des 1. Jahrhunderts n. Chr. beträchtlich zurückgeht und sich nach Weber zugleich das rein wirtschaftliche Interesse der Grundbesitzer an ihren Gütern verstärkt. Dies führt zur vermehrten Heranziehung der Arbeitsleistungen von Parzellenpächtern auf den größeren Gütern, da sich damit vor allem eine Lösung der nach Weber gerade bei der Sklavenwirtschaft seit jeher bestehenden Probleme der saisonalen Schwankungen des landwirtschaftlichen Arbeitsanfalls ergibt. Auf diese Weise bildet sich bei den größeren Gütern allmählich – entsprechend etwa den vom saltus Burunitanus in Nordafrika her bekannten Verhältnissen – der Typ einer mit Sklaven und Kleinpächtern (Kolonen) betriebenen Gutswirtschaft heraus (S. 323). Mit diesen ökonomischen und sozialen Wandlungen verbinden sich starke staatliche Einflüsse, indem Verwaltung und Verwaltungsrecht, nicht zuletzt die staatliche Steuerorganisation, auf die Entstehung eines auch „rechtlich sichergestellten Gewaltverhältnisses“ zwischen Gutsherrn und Kolonen hinwirken: einmal im Zusammenhang der z. T. zu beobachtenden, alten Mustern (vgl. S. 153 f.) folgenden Herausnahme von großen Gutsbezirken aus dem Munizipalverband und ihrer administrativen Verselbständigung gegenüber diesem, zum andern durch die wachsende Bindung der Kolonen an das Gut über die Steuern und andere staatliche Lasten (S. 284 f.). Die damit sich herausbildenden, ausgesprochen ‚obrigkeitlichen‘ und ‚grundherrlichen‘ Züge in der Stellung der Gutsherren sieht Weber in enger Verbindung mit einer sich verstärkenden Landflucht, den Tendenzen zur Autarkie bzw. zur ökonomischen Ablösung der großen Güter vom städtischen Gewerbe sowie der allgemeinen Stagnation, ja dem teilweisen Rückgang des Städtewesens überhaupt (S. 338–341). Neben dem „gutsuntertänigen Kolonat“ lassen sich auch noch andere Kolonats- bzw. kolonatsähnliche Verhältnisse ermitteln (S. 334 f.); wesentlich ist jedoch vor allem, daß sich am Ende die ländlichen „Grundherrschaften“ mit ihren schließlich schollengebundenen Kolonen geradezu gleichwertig neben den Städten bzw. sogar über sie erheben und damit bereits auf frühmittelalterliche Strukturen vorausdeuten – dies auch insofern, als sich die soziale Situation der Sklaven gegenüber ihrem früheren Kasernement (das Weber vor allem im Anschluß an Colu[35]mella noch einmal plastisch schildert, S. 345–348) grundsätzlich wandelt und sich insbesondere mit der Bildung eigener Haushalte allmählich der der Kolonen annähert (S. 348–350).
Mit einem knappen Ausblick auf die erst im Mittelalter (d. h. nach dem Verschwinden der römischen Reichsorganisation) durch die Verselbständigung der Gutshandwerker möglich gewordene neue gewerbliche Entwicklung sowie einem kurzen Hinweis auf die rigorose Reduzierung des ‚Gedanken- und Interessenkreises‘ des größeren Teils der Reichsbevölkerung auf den engsten – ländlichen – Bereich der eigenen Scholle, die den bisherigen Zusammenhalt der Reichsorganisation zweifellos mit untergrub, schließt das Werk (S. 351–352). – Auch wenn Weber mehrfach den engen Zusammenhang der Spätantike mit der weiteren Entwicklung zumindest bis hin zum Fränkischen Reich hervorhebt (vgl. S. 232 f., 335, 338, 350) und insbesondere die Grundherrschaft als entscheidendes strukturelles Element der Kontinuität von der antiken römischen zur Welt des Mittelalters betrachtet (S. 352), so ist doch mit dem Zerfall des Reiches der Abschluß der römischen Agrargeschichte erreicht.
Einige wenige Bemerkungen sind hier noch zur darstellerischen Seite der Römischen Agrargeschichte zu machen. Für sie ist zweifellos vor allem die außerordentliche inhaltliche Dichte der Darlegungen mit ihrer nur mühsam gebändigten Fülle der Gedanken charakteristisch, die auf die Leser oft wenig Rücksicht nimmt und die auch mit gelegentlichen formalen Schwächen einhergeht.
So verzichtet Weber z. B. auch bei komplexen Sachverhalten zumal des römischen Rechts vielfach auf jede systematische Hinführung und nimmt in seiner Darstellung nicht selten Bezug auf den Inhalt explizit gar nicht genannter Arbeiten, wobei keineswegs nur an Handbücher wie Mommsens Staatsrecht oder Marquardts Römische Staatsverwaltung zu denken ist.
8
[35]Vgl. z. B. unten, S. 143 f., 146, 156 usw.; 232, 281 u. a.
Weber war sich der Problematik dieses summarischen Verfahrens durchaus bewußt, wie die ausdrückliche (und mit dem nicht ganz überzeugenden Hinweis auf den äußeren Umfang des Buches begründete) Bemerkung in der Einleitung zeigt, er habe die moderne Literatur nur dort zitiert, „wo dies unumgänglich war“. Wie zur Entschuldigung fügt er noch hinzu: „Man wird unschwer erkennen, wo und wie die Ergebnisse der früheren Arbeiten benutzt sind, und ich habe vorgezogen, für denjenigen, welcher sich über den Stand der Fragen informieren will, am Schluß ein keinerlei Vollständigkeit prätendierendes Verzeichnis von Monographien beizufügen.“
9
Unten, S. 100; vgl. auch S. 359, Anmerkung.
In der Tat liefert dieses – wiederum fragmentarische – Literaturverzeichnis bis zu einem gewissen Grad Hinweise auf die Herkunft einzelner im Text der [36]Römischen Agrargeschichte ohne näheren Beleg erscheinender Feststellungen und Argumente, die entgegen dem dort beim Leser zunächst entstehenden Eindruck nicht als allgemein geläufig gelten können und auch nicht von Weber selbst stammen, sondern die er jeweils ganz bestimmten Arbeiten moderner Autoren entnommen hat, deren Kenntnis er beim Leser als bekannt (oder doch ohne weiteres erlangbar) voraussetzt.
10
[36]Näheres dazu im Editorischen Bericht, unten S. 85 f.
Doch wird z. B., wie schon erwähnt, Mommsens Römische Geschichte von Weber auch im Literaturverzeichnis nicht zitiert,
11
Vgl. oben, S. 23.
und ähnlich fehlt auch jegliche Dokumentation der für Teile der Römischen Agrargeschichte wichtigen agrarhistorischen Forschungen Meitzens.
12
Vgl. unten, S. 86 f.
Dies sind nur zwei besonders markante Beispiele für ein generell charakteristisches Verfahren Webers, das gewiß nicht aus dem Versuch resultiert, den Einfluß irgendwelcher modernen Autoren auf die Römische Agrargeschichte gleichsam zu unterschlagen, sondern hinter dem im allgemeinen zweifellos das Streben nach Kürze und nach Freiheit von (in Webers Einschätzung) überflüssigem Ballast steht. Allerdings mögen sich in einzelnen Fällen damit doch noch andere Absichten verbinden, so wenn Weber an manchen Stellen, wo er speziell gegen Auffassungen Mommsens Stellung bezieht, anscheinend bewußt davon absieht, diesen namentlich zu zitieren, und gleichsam eine sichtbare Auseinandersetzung vermeidet.
13
Vgl. unten, S. 159, 202, 302, 305.
Von all dem bisher Angeführten wird man kaum sagen können, daß es etwa in allgemeinen Usancen der wissenschaftlichen (oder auch nur der juristischen bzw. römischrechtlichen) Literatur der Zeit begründet und von daher erklärbar sei.
14
So wird auch schon in zeitgenössischen Rezensionen Webers Behandlung der neueren Literatur kritisiert; vgl. unten, S. 40 f. mit Anm. 20.
Dasselbe gilt auch für mancherlei sonstige Nachlässigkeiten Webers, von denen hier nur die Tatsache, daß er weder für die Rechtsquellen noch für die Agrarschriftsteller in jedem Fall die neuesten Ausgaben heranzog,
15
Vgl. den Editorischen Bericht, unten S. 82–85.
ferner die zahlreichen Uneinheitlichkeiten in der Orthographie und in der Zitierweise von Quellen und moderner Literatur
16
Unten, S. 80.
wie auch die gelegentlichen Namensverwechslungen bei antiken Quellenautoren
17
Vgl. außer der von Weber selbst in dem Druckfehlerhinweis, S. 92, korrigierten Verwechslung von Lukas und Matthäus unten, S. 182, Anm. 42, 277, Anm. 13, 317, Anm. 48.
genannt seien. Auf einer etwas anderen Ebene liegt es, wenn sich bei manchen Quellenzitaten unzweideutig ergibt, daß Weber sie ohne eigene Prüfung des Textes lediglich aus der Sekundärliteratur übernommen [37]hat. Es bleibt gleichwohl festzuhalten, daß diese (und andere) letztlich mit auf der großen Schnelligkeit der Abfassung der Römischen Agrargeschichte beruhenden Schwächen nirgends die Substanz des Werkes beeinträchtigen, die insgesamt im Zeichen jener ungemein scharf zupackenden, immer auf das wesentliche zielenden Ausdrucks- und Darstellungsweise steht, die in manchem lebhaft an Mommsen denken läßt.

4. Die Rezeption des Werkes in der wissenschaftlichen Kritik

Man wird wohl sagen können, daß Webers römischrechtliche Habilitationsschrift in ihrer gesamten Konzeption nicht nur ohne Vorbild war, sondern auch eine Art Einzelgänger geblieben ist und die römische ,Agrargeschichte‘, wie Weber sie in seinem Werk entworfen und im wesentlichen auch später in den „Agrarverhältnissen im Altertum“ vertreten hat, keine Schule gemacht und keine eigentlichen Nachfolger gefunden hat. Die Gründe dafür sind komplexer Art. Sie mögen in Schwächen der Gesamtkonzeption zu suchen sein, auch in ihrer insgesamt doch stark juristischen Orientierung, aber z. T. ebenso darin, daß eine hinreichende Beherrschung der ganz verschiedenen, von Weber aufeinander bezogenen Forschungsgebiete, d. h. dem römischen Recht, den Schriften der Gromatiker, der Epigraphik, der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Roms (wozu heute insbesondere noch Geschichte und Archäologie der römischen Provinzen sowie die Papyrologie kommen müßten), Probleme besonderer Art aufwirft. Zugleich ist die Forschung auf allen diesen Einzelgebieten seither intensiv fortgeschritten, hat sich z. B. die Anzahl der einschlägigen Inschriften erheblich vermehrt, so daß Webers Römische Agrargeschichte von 1891 – unbeschadet ihrer überaus hohen Einschätzung durch führende Fachkenner bis in die jüngste Zeit
2
Vgl. oben, S. 1.
– notwendigerweise in sehr vielen – wenn auch längst nicht in allen – sachlichen Details, was den Diskussionsstand, den Umfang der herangezogenen Materialien usw. betrifft, überholt ist. Doch ist andererseits auch zu betonen, daß viele gerade der zentralen und übergreifenden Fragen, die ja im Mittelpunkt von Webers Interesse standen, auch heute als ungelöst bzw. kontrovers gelten müssen.
Es kann nicht Aufgabe einer Einleitung zur Edition der Römischen Agrargeschichte im Rahmen der Max Weber-Gesamtausgabe sein, Thesen und Ergebnisse des Weberschen Werkes von 1891 im Detail mit dem gegen[38]wärtigen Forschungsstand zu konfrontieren. Was die allgemeineren Gesichtspunkte angeht, so wurde bereits erwähnt, daß der ganze historische wie juristische Rekonstruktionsversuch der ältesten agrarischen Verhältnisse in Rom durch Weber besonders problematisch ist und daß auch Weber selbst hier schon früh deutliche Abstriche gemacht hat.
3
[38] Vgl. oben, S. 18 f.
Was Fragen wie die Zenturiation bzw. die Formen der römischen Flurteilung, das römische Bodenrecht, das spätrömische Grundsteuerwesen, die Organisation der landwirtschaftlichen Betriebe oder die Herausbildung des Kolonats betrifft, so hat die seitherige Spezialforschung eine Fülle weiterer Einzelheiten, Erkenntnisse und Probleme zu dem von Weber gezeichneten Bild hinzugefügt. Anderem gegenüber, wie Webers juristischer Deutung der gromatischen Bodenkategorien und seiner z. T. an der neuzeitlichen Entwicklung orientierten Schilderung des Umfangs der „ Mobilisierung“ des Bodens, der Individualwirtschaft und des „Kapitalismus“ in Rom, ist die Forschung von Anfang an skeptisch geblieben, so anregend und diskussionswürdig in vielem die von Weber vertretenen Positionen gleichwohl bis heute erscheinen. Über eine Frage wie die, wie früh und wie weit der gemischte Sklaven-Kolonen-Betrieb oder auch „Grundherrschaften“ im römischen Reich verbreitet waren, besteht heute wohl ebensowenig Einigkeit wie über die Ursachen, die Formen und das Ausmaß des Rückgangs der Sklaverei in der römischen Landwirtschaft, wobei auch zu beachten bleibt, daß man es bei Weber vielfach mit Thesen zu tun hat, die nicht ohne weiteres durch einzelne Quellentexte „verifiziert“ bzw. „falsifiziert“ werden können.
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß zumindest anfänglich die Römische Agrargeschichte eine ganze Reihe weiterführender Einzeluntersuchungen unmittelbar mit angeregt haben dürfte; dies gilt nicht nur für das IV. Kapitel, wo Weber als erster die Bedeutung der römischen Agrarschriftsteller als sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Quelle erfaßt und herausgestellt hat. Neben dem Aufsatz Mommsens von 1892 zum römischen Bodenrecht
5
Vgl. unten, S. 42.
wären hier insbesondere die frühen Arbeiten von Adolf Schulten[39]sowie die Monographien von His und Gummerus zu nennen; aber auch ein Werk wie Mitteis’ rechtshistorische Studie zur antiken Erbpacht darf dabei wohl nicht unerwähnt bleiben. Nicht zuletzt hat etwa Alfons Dopsch in seinem großen Werk zur Kontinuität von der römischen Antike zum frühen Mittelalter vielfach auf die Römische Agrargeschichte Bezug genommen und sich mit ihr auseinandergesetzt.
Zu vermerken ist in diesem Zusammenhang ferner, daß im Jahre 1907 eine italienische Übersetzung der Römischen Agrargeschichte erschien, und zwar im Rahmen der „Biblioteca di Storia Economica“. Diese Reihe, deren offizieller Herausgeber Pareto war, wurde im wesentlichen von Ettore Ciccotti (1863–1939) besorgt, einem namhaften Althistoriker und zugleich (bis 1915) sozialistischen Politiker (sowie z. B. Übersetzer der Werke von Marx und Engels ins Italienische), auf den auch die Konzeption des Unternehmens zurückging; in ihm wurde eine große Anzahl wichtiger älterer und zeitgenössischer Arbeiten zur antiken Wirtschaftsgeschichte in italienischer Übersetzung vorgelegt. Die jeweiligen Autoren wirkten dabei selbst offensichtlich nicht mit, und auch für eine Beteiligung Webers in irgendeiner Form (Korrekturen, Ergänzungen des Textes von 1891 usw.) gibt es keinerlei Anzeichen.
11
Die Übersetzung gibt auch die Originalpaginierung der deutschen Ausgabe mit an und enthält an etwas mehr als einem Dutzend Stellen z. T. längere, vom Übersetzer beigegebene Erklärungen von Ausdrücken aus der deutschen Agrar- und Rechtsgeschichte (z. B. Gewann, Hufe, Rentengewere), wobei diese sich jeweils auf Artikel aus der 2. Auflage des Handwörterbuchs der Staatswissenschaften, rechtsgeschichtliche Darstellungen sowie Brockhaus stützen.
Der Übersetzer wird bei Webers Arbeit ebenso wie bei vielen anderen in der Serie übersetzten Werken nicht genannt; wahrscheinlich handelt es sich jedoch um Ciccotti selbst, der auch die Einleitung zu dem – neben Arbeiten von Mommsen, Rodbertus u. a. – die Römische Agrargeschichte enthaltenden Band II, 2 verfaßte, ohne dort freilich auf Weber und seine Schrift eigens Bezug zu nehmen.
12
Mit der gesamten Reihe wurde 1977 in Mailand bei Arnaldo Forni auch diese Übersetzung der Römischen Agrargeschichte als Einzelband nachgedruckt.
[40]Auch heute noch, nahezu 100 Jahre nach ihrem ersten Erscheinen, pflegt die Römische Agrargeschichte zu einzelnen Details in einschlägigen Spezialarbeiten durchaus herangezogen und zitiert zu werden, und der zweimalige Neudruck der Originalausgabe der Römischen Agrargeschichte in den sechziger Jahren ist zweifellos ein Indiz für ihre zumindest partielle, fortwirkende fachwissenschaftliche Aktualität
12a
[40] Die Nachdrucke erschienen 1962 und 1966 bei P. Schippers N.V., Amsterdam.
. Dasselbe gilt für die neue italienische Übersetzung von 1967.
13
Weber, Max, Storia agraria romana dal punto di vista del diritto pubblico e privato. Prefazione di Emilio Sereni. Traduzione di Saverio Franchi. – Milano: II Saggiatore 1967 (mit einer Einleitung von Emilio Sereni, S. IX—XXI, und einer Auswahl wichtiger neuerer Literatur zu den in der Römischen Agrargeschichte behandelten Themenkreisen, S. XXII— XXVI).
Die Hauptbedeutung des Werkes wird man dennoch weniger in den von Weber erzielten ‚positiven‘ Ergebnissen bzw. einzelnen von ihm vertretenen Thesen zu sehen haben als in den überaus reichen in seiner Arbeit enthaltenen Beobachtungen und Anregungen, in Webers mehr denn je bedeutsamen ‚interdisziplinären‘ Methoden, seinem Sinn für tiefdringende, wesentliche Fragestellungen und auch seiner bis heute keineswegs einfach veralteten Gesamtkonzeption einer römischen Agrargeschichte.
Was die an den Rezensionen ablesbare zeitgenössische Aufnahme des Werkes betrifft, so weist sie deutlich eine doppelte Tendenz auf: Einerseits wurde praktisch durchgehend die Gesamtleistung Webers als originell und fruchtbar begrüßt bzw. seine ungewöhnliche, vielseitige „Sachkenntnis“
15
Hartmann, S. 215; Liebenam, S. 155.
und „Begabung“
16
Krüger, S. 493.
gerühmt;
17
Beloch, S. 292; Pöhlmann, S. 315; Sombart, S. 349.
zum anderen wurden z. T. starke Bedenken gegen einzelne methodische und darstellerische Grundzüge wie auch gegen eine Reihe von Thesen und Ergebnissen des Buches geltend gemacht. Dies gilt insbesondere für die große Zahl von unbewiesenen Hypothesen,
18
Vgl. Pöhlmann, S. 315; Sombart, S. 354; Krüger, S. 493.
den Mangel einer durchgehenden entwicklungsgeschichtlichen Darstellung,
19
Hartmann, S. 215; Sombart, S. 350.
die zu geringe explizite Berücksichtigung der moder[41]nen Literatur,
20
[41]Hartmann, S. 215; vgl. Krüger, S. 493.
die chronologischen Unklarheiten bzw. das zu wenig differenzierte Nebeneinander zeitlich oft weit auseinanderliegender Erscheinungen,
21
Hartmann, S. 215; 216.
aber auch für die Ausführungen des I. Kapitels
22
Beloch, S. 292; Pöhlmann, S. 315 f.; vgl. Krüger, S. 481–493.
und den Widerspruch zwischen einer erheblichen Entwicklung des Handels im frühen Rom und der von Weber gleichzeitig postulierten Existenz einer ‚flurgemeinschaftlichen‘ Agrarverfassung noch bis in die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr.
23
Pöhlmann, S. 315; Beloch, S. 292.
Im einzelnen sind die Rezensionen nicht zuletzt durch die unterschiedlichen fachlichen Ausgangspunkte der Kritiker bestimmt. Die Besprechung Hermann Schillers, der vor allem durch seine einem traditionellen Ansatz folgende „Geschichte der römischen Kaiserzeit“ bekannt geworden war, sieht zwar das „eigenartige Verdienst“ der Römischen Agrargeschichte in den „umfassenden volkswirtschaftlichen und juristischen Kenntnissen“ Webers und spricht von „schlagende(n) Analogien aus Mittelalter und Neuzeit“, beschränkt sich in der Substanz jedoch auf ein reines Inhaltsreferat.
24
Schiller, Sp. 66–69; die Zitate, ebd., Sp. 68. Vgl. dazu auch Heuß (wie oben, S. 1, Anm. 3), S. 553 f.
Von den führenden Vertretern einer betont sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Betrachtungsweise des Altertums erfuhr Weber trotz der gerade auch von ihnen vorgebrachten kritischen Einwände insgesamt nachhaltige Zustimmung. Dies gilt für Ludo Moritz Hartmann ebenso wie für Robert von Pöhlmann und Karl Julius Beloch, von denen der erstere vor allem zusätzliche eigene Gesichtspunkte zur Entstehung des Kolonats der Spätantike beizusteuern suchte,
25
Hartmann, S. 216–218.
während die beiden anderen insbesondere die die Kaiserzeit und den Kolonat betreffenden Ergebnisse Webers positiv werteten.
26
Pöhlmann, S. 316; Beloch, S. 293; ähnlich Liebenam, S. 155.
Die sehr ausführliche Rezension des Romanisten Paul Krüger, die einzige von Webers eigentlichem Fachgebiet aus, gab sich demgegenüber – bei ausdrücklichem persönlichem Lob Webers – merklich zurückhaltender. Krüger wandte sich mit spürbarem Nachdruck gegen die „Art der Quellenbenutzung Webers“
27
Krüger, S. 491; vgl. 492.
und unterzog neben einer Reihe von Detailfragen besonders dessen Vorstellung vom „modus-Prinzip“ und alle damit zusammenhängenden Theorien (d. h. von der ursprünglichen Flurgemeinschaft und dem Hufenrecht und ihrer Auflösung über Webers Deutung der Manzipation bis zu seiner Interpretation einer Reihe spätantiker Rechtstexte) einer eingehenden rechtshistorischen Kritik.
28
Krüger, S. 485–487. Weber hat, auch wenn er bekanntlich seine Theorie der auf einem [42]Hufensystem basierenden Flurgemeinschaft später aufgegeben hat (vgl. oben, S. 19), doch an wesentlichen Momenten seiner in der Römischen Agrargeschichte entwickelten Auffassung der älteren römischen Agrarverhältnisse (z. B. modus- und locus-Prinzip, Beurteilung der Rolle der Manzipation) stets festgehalten, wie noch die letzte Fassung der „Agrarverhältnisse im Altertum“ (1909) zeigt.
Überaus positiv [42]äußerte sich dagegen in einer ebenfalls längeren Besprechung der – fachlich der römischen Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte fernerstehende – Nationalökonom Werner Sombart. Kritisch betonte er die Notwendigkeit einer stärkeren Differenzierung zwischen „Mobilisierung“ und „Individualisierung“ des Grundeigentums in Rom und sprach (unter der Voraussetzung eines stattgehabten Wandels vom „modus-“ zum „locus-Prinzip“) die Vermutung aus, daß die fortschreitende Individualisierung eher zu einer Verringerung der Mobilität des Bodeneigentums hätte führen müssen;
29
Sombart, S. 352 f.
auch lehnte er grundsätzlich die Anwendung des Begriffs „kapitalistisch“ auf antike Verhältnisse (d. h. beim Fehlen eines „freien proletarischen Arbeiterstammes“) ab.
30
Sombart, S. 353. – Zu Webers andersartiger Auffassung des Kapitalismus siehe jedoch unten, S. 46.
Besondere Beachtung verdient noch die der Römischen Agrargeschichte durch Mommsen zuteilgewordene besondere Antwort, deren Tenor insgesamt dem der förmlichen Rezensionen des Werkes entspricht. Sie findet sich in dem Anfang 1892 erschienenen Aufsatz „Zum römischen Bodenrecht“, wo Mommsen sich mit mehreren in der Römischen Agrargeschichte behandelten Fragen eingehend kritisch auseinandersetzt, und zwar mit dem Problem der rechtlichen Aspekte der agrimensorischen Bodenkategorien, dem skamnierten ager limitatus, der Katasterinschrift von Arausio (Orange) sowie mit der schon seit Webers Promotionsthese zwischen beiden umstrittenen Frage einer „praktischen“, nämlich die Fluraufteilung betreffenden Differenz zwischen Kolonie und Municipium. Mommsen bezeichnet darüber hinaus Webers Vorstellung, daß die Form der Manzipation die Mobilisierung des Grundeigentums gefördert habe, als „anregend“,
32
Mommsen, S. 117.
wendet sich jedoch gegen die seiner Meinung nach von Weber überschätzte Individualisierung des Grundeigentums und speziell gegen das von Weber angenommene Ausmaß von Enterbungen in der älteren Zeit.
33
Mommsen, S. 117 f.
Zusammenfassend heißt es (im Anschluß an die Erörterung des Verhältnisses von colonia und municipium) auch hier: „Wenn die ‚römische Agrargeschichte‘ in dieser Beziehung sowohl wie in zahlreichen anderen zum Widerspruch herausfordert und mehr Fragen aufwirft als löst, so bleibt es doch in hohem Grade [43]erfreulich, nicht bloß daß überhaupt jüngere Talente sich diesen Forschungen zuwenden, sondern daß sie sie vom rechtlichen und nationalökonomischen Standpunkt aus aufnehmen; wenn für diese Untersuchungen überhaupt die Sonne aufgehen kann, so liegt ihr Osten in jener Richtung, und die philologisch-historische Unsicherheit, welche zur Zeit auf diesem Gebiet herrscht, ist hoffentlich ein Morgengrauen“.
34
[43] Mommsen, S. 117.
Mommsen hat also das Neue an Webers Ansatz nicht nur erkannt, sondern auch grundsätzlich begrüßt.
Der Brief, in dem sich Weber am 10. Februar 1892 bei Mommsen für die Zusendung dieses Aufsatzes (am Tag zuvor) kurz bedankte, ist erhalten.
35
DStB Berlin (DDR), Nl. Theodor Mommsen. – Weber hat danach die Abhandlung „zwar natürlich sofort gelesen, aber noch nicht [. ..] eingehend studiert“ und kann Mommsen daher „für jetzt nur für die so freundliche Form Ihrer Kritik, in welcher ich ein erneutes Zeichen Ihres freundlichen und mich ehrenden Wohlwollens erblicken darf, aufrichtigsten Dank […] sagen.“
Nicht lange danach, am 28. April, heißt es in einem Brief an den Onkel Hermann Baumgarten:
36
ZStA Merseburg, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 7; vgl. Weber, Jugendbriefe, S. 343–347 (dort, S. 343, irrtümlich auf den 18. April datiert).
„[…] Daneben muß ich mich nun auf einen Feldzug gegen meine schon erstandenen und noch erstehenden Kritiker rüsten, voran Mommsen, dessen sachlich sehr ablehnende, persönlich recht freundliche Auseinandersetzung mit meinem Buch im ‚Hermes‘ Veranlassung zu eingehender Opposition bietet. Der Sommer wird sich also, denke ich, ziemlich arbeitsreich gestalten.“ Der Hinweis auf den „Feldzug“ und die „eingehende Opposition“ läßt erkennen, daß Weber sich gegenüber der teilweisen Kritik an seinem Werk – soweit sie ihm damals bekannt sein konnte – durchaus stark fühlte.
38
Vgl. noch Webers spätere Äußerung, daß er Mommsens Ausführungen „nur in begrenztem Umfang für überzeugend halten“ könne: Weber, Agrarverhältnisse im Altertum3, S. 188.
Doch ist von einem solchen „Feldzug“ nichts bekannt und hat sich Weber, der damals bereits voll mit der Landarbeiterenquête beschäftigt war, ja in der Folgezeit vorrangig auch anderen Interessengebieten zugewandt.

5. Zu den Bezügen zwischen der Römischen Agrargeschichte und Webers späterem Werk

Als Weber die soeben erschienene Römische Agrargeschichte im Oktober 1891 der Berliner Juristischen Fakultät als Habilitationsschrift vorlegte, be[44]trachtete er sie vor allem als einen ersten, zusammenfassenden Entwurf von „Gesichtspunkten“, die er „in einer größeren Zahl von Spezialuntersuchungen“ vertiefen wollte.
1
[44] Vgl. unten, S. 66.
In der Arbeit selbst wird eine künftige Auswertung auch der patristischen Quellen zu den ländlichen Verhältnissen der Kaiserzeit zumindest angedeutet,
2
Unten, S. 100 mit Anm. 6.
an einer anderen Stelle eine genaue Analyse der agrarischen Besitzinterdikte
3
Unten, S. 179 mit Anm. 32.
und schließlich eine detaillierte Untersuchung des ‚colonia-municipium-Problems‘ in Aussicht gestellt.
4
Unten, S. 199 mit Anm. 53.
Weber hat bekanntlich weder diese noch andere Spezialstudien zur römischen Agrargeschichte veröffentlicht. Das hat zweifellos nichts mit den geschilderten Einwänden der Rezensenten oder gar mit grundsätzlichen Zweifeln Webers an den von ihm in der Römischen Agrargeschichte aufgestellten Haupt-„Gesichtspunkten“ zu tun. Noch nahezu zwei Jahrzehnte später, in der letzten Fassung der „Agrarverhältnisse im Altertum“ von 1909, ‚bekennt‘ er sich rückblickend und im Bewußtsein der Mängel ausdrücklich zu dem „gewiß an ‚Jugendsünden‘ reichen Buche […], welches gewiß heute in recht vielem überholt ist, in manchem von Anfang an (Übertragung Meitzenscher Kategorien auf heterogene Verhältnisse) auf irrigem Wege war.“
5
Vgl. Weber, Agrarverhältnisse im Altertum3, S. 188; ähnlich auch dass.2, S. 84f; zu Meitzen oben, S. 16 f.
Auch wenn Weber die mit der Römischen Agrargeschichte ursprünglich verbundenen Projekte nicht weiter verfolgt und manche Mängel seiner Arbeit durchaus erkannt hat, ist dieses Frühwerk doch in mehrfacher Hinsicht für ihn von besonderer Bedeutung. Einmal bildet es das feste, quellenmäßig selbst erarbeitete Fundament für alle späteren agrar- bzw. rechts-, sozial- und wirtschaftshistorischen Arbeiten und Äußerungen Webers zur römischen Antike, ja, in mancher Hinsicht zum Altertum überhaupt, die in seinem Werk bis zum Schluß nie abreißen sollten; zum andern wird bereits in der Römischen Agrargeschichte eine ganze Reihe weiterreichender thematischer wie methodischer Grundthemen erkennbar, die unmittelbar auf Webers spätere Entwicklung vorausweisen.
Was den ersten Punkt betrifft, so muß die Feststellung genügen, daß nicht nur Webers bekannter Vortrag von 1896, „Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur“, trotz nicht unerheblicher Modifikationen wesentlich aus dem Kapitel IV der Römischen Agrargeschichte hervorgegangen ist, sondern daß auch, wiederum von gewissen, jedoch begrenzten Änderungen abgesehen, die Rom betreffenden Teile der „Agrarverhältnisse im Altertum“ in ihren ersten beiden Fassungen (1897, 1898) praktisch ganz [45]und in der dritten Fassung (1909) zu einem gewissen Teil auf der Römischen Agrargeschichte und dem dort gewonnenen Bild der agrarischen Entwicklung Roms beruhen und vielfach nur kürzere Zusammenfassungen der dortigen Darlegungen bieten. Aber auch später begegnen immer wieder Erkenntnisse aus der Römischen Agrargeschichte und einzelne, oft überraschend präzise, Reminiszenzen an sie an den verschiedensten Stellen und in den verschiedenartigsten Zusammenhängen, wobei insbesondere „Wirtschaft und Gesellschaft“ sowie Webers letzte vollständig gehaltene Vorlesung, der „Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ von 1919/20, zu nennen sind.
6
[45] Vgl. z. B. unten, S. 145, Anm. 21, 160, Anm. 75, 174, Anm. 21, und öfter.
Aufmerksamkeit verdienen jedoch auch die über die römische bzw. antike Welt hinaus auf den späteren Weber weisenden Züge der Römischen Agrargeschichte. Dabei muß hier Einzelnes beiseite bleiben, wie z. B. die nicht wenigen direkten Querverbindungen zwischen der Römischen Agrargeschichte und Webers Arbeiten aus den unmittelbar folgenden Jahren zur ostelbischen Agrarproblematik, in deren Mittelpunkt nach Weber ja der Übergang von einer „patriarchalischen“ zu einer „kapitalistischen Organisation“ der Landwirtschaft stand und die mithin strukturelle Vergleiche mit den antiken römischen Verhältnissen nahelegte, auch wenn dort von der Republik zur späteren Kaiserzeit die Entwicklung im ganzen in umgekehrter Richtung verlaufen war.
8
Vgl. dazu Riesebrodt, Martin (wie oben, S. 20, Anm. 32), S. 554 ff.; 560 f.
Doch sind unter thematischen Gesichtspunkten vor allem zwei große Komplexe wichtig, die in vieler Hinsicht bereits in Webers Arbeit über die mittelalterlichen Handelsgesellschaften präsent sind, die aber auch der Römischen Agrargeschichte untergründig das Gepräge geben, nämlich eben der „Kapitalismus“ sowie die Stadt.
Der „Kapitalismus“ in der Römischen Agrargeschichte ist zweifellos nicht nur eine beiläufige Übernahme von Mommsen, als was er auf den ersten Blick und angesichts der prominenten Rolle der „Kapitalisten“ in der „Römischen Geschichte“ Mommsens vielleicht erscheinen könnte. Bei Weber, der sich schon in den „Handelsgesellschaften“ eingehend mit „Kapitalisten“ im Spätmittelalter befaßt hatte, beruht der Kapitalismusbegriff von Anfang an auch auf eigener Reflexion und insbesondere auf der Voraussetzung, daß eine kapitalistische Wirtschaftsform nicht an eine bestimmte soziale bzw. Arbeitsverfassung, nämlich die freie Lohnarbeit, gebunden ist, sondern ebenso z. B. in der Antike in Zusammenhang mit der Sklaverei [46]auftreten kann.
10
[46]Zur Bedeutung von Rodbertus in dieser Hinsicht vgl. oben, S. 24; außerdem Webers spätere Äußerungen in: Weber, Agrarverhältnisse im Altertum3, S. 58 f.
So führte in Rom die „Mobilisierung“ von Grund und Boden zu einer ausgesprochen „kapitalistischen“ Entwicklung, die von Weber mehrfach in drastischen Formulierungen geschildert wird. Bereits in der Einleitung konstatiert er, daß die römische Eroberung Italiens wesentlich einer „fortwährende[n] Vergrößerung des der römischen Besiedelung und kapitalistischen Ausbeutung unterliegenden Areals“ entsprochen habe (S. 101). Die der „freien Konkurrenz“ überlassenen Okkupationen auf dem ager publicus stellten für ihn „den schrankenlosesten Kapitalismus auf agrarischem Gebiet dar, welcher in der Geschichte jemals erhört gewesen ist“ (S. 216). Ebenso spricht Weber vom „kapitalistischen Geist“ des Ackergesetzes von 111 v. Chr. mit seiner massenhaften Schaffung von ager privatus
11
Unten, S. 239, 241.
und vom Rom der späteren republikanischen Zeit als der „Immobilienbörse der Welt“ (S. 187). Der Gutsbesitzer der ausgehenden Republik war im wesentlichen ein „städtischer Kapitalist“, dem es „regelmäßig […] um Ziehung einer festen Geldrente“, wenn nicht „um bloßes momentanes Geldmachen“ ging (S. 308). Im gleichen Zusammenhang heißt es, daß die Grundstücke damals oft nur noch als „Spekulationsobjekte und Mittel für die Beteiligung an kapitalistischen Geschäften“ dienten (S. 308). Erst mit dem Übergang zum Prinzipat trat allmählich eine weitgehende Wandlung ein. Die „kapitalistischen“ Elemente gingen zurück; von einer ‚Erschwerung der Kapitalbildung […] in hohem Grade‘ ist einmal die Rede (S. 337), und es ist nicht weniger kennzeichnend, daß sich die Steuerverwaltung in dieser Zeit nicht mehr der „Dazwischenkunft der Spekulation und des Kapitals der großen Steuerpachtunternehmer bediente“, sondern die Steuereinnahmen in eigene Regie nahm (S. 291). So erweist sich die agrarische Geschichte Roms in ihren verschiedenen Phasen als aufs engste verbunden mit dem jeweiligen Stand der „kapitalistischen“ Entwicklung, und die Agrargeschichte Roms und seines Reiches ist insofern zu einem wesentlichen Teil auch die Geschichte der Ausbildung und des Niedergangs des römischen (Agrar-)Kapitalismus. Auf die grundlegende Bedeutung des Kapitalismus in Webers späterem Gesamtwerk ist in diesem Zusammenhang nicht einzugehen; hinzuweisen ist nur darauf, daß Weber gerade auch nach seinen detaillierten Studien zum neuzeitlichen Kapitalismus sein zuerst in der Römischen Agrargeschichte gewonnenes Bild des Ausbeutung römischen bzw. antiken Kapitalismus nicht aufgab, sondern diesem in der Einleitung zur 3. Fassung der „Agrarverhältnisse im Altertum“ 1909 noch eine explizite theoretische Grundlegung verlieh, wobei er dann freilich auch die von ihm keineswegs geleugneten Unterschiede zwischen antikem [47]und modernem Kapitalismus scharf betonte. Auch in „Wirtschaft und Gesellschaft“ spielt der antike Kapitalismus noch eine prominente Rolle.
Neben dem Thema „Kapitalismus“ kündigt sich gerade in der Römischen Agrargeschichte auch schon die Problematik der Stadt an, die Weber von Anfang an sichtlich stärker beschäftigte als etwa die des Staates. Die von ihm so stark betonte frühe Dynamik in der Entwicklung der römischen Agrarstrukturen (im Gegensatz z. B. zu den von ihm so oft zum Vergleich herangezogenen germanischen Verhältnissen) erklärt Weber zu einem wesentlichen Teil damit, daß der italischen Besiedlung „von Anfang an ein unauslöschlicher halbstädtischer Charakter aufgeprägt“ gewesen sei, wodurch das Agrarwesen „frühzeitig modernen wirtschaftlichen Gesichtspunkten zugänglich“ wurde (S. 144). Es war, so heißt es später ausdrücklich, (S. 202) das „Eintreten des Übergewichts städtischer Rechtsgedanken“, das jene „agrarische Umwälzung“ in Rom herbeigeführt habe (S. 201), die zur Beseitigung jeder Art von Gemeinwirtschaft und zur „unbedingten Freiheit der wirtschaftlichen und rechtlichen Disposition über das Grundeigentum“ führte (S. 201). Die Berührung der kleinen Grundbesitzer mit „städtischem Wesen“ habe in der von den Plebejern als „mittlerer Ackerbürgerpartei“ entscheidend mitgetragenen römischen Eroberung Italiens eine wichtige Rolle gespielt, indem durch die damit verbundene römische Kolonisation wiederum die städtischen Strukturen mit ihrem ausgesprochen „gemeinheitsfeindlichen […] Charakter“ (S. 219) vermehrt und gefestigt wurden; und sicherlich nicht zufällig konnte auf dem Höhepunkt dieser „Mobilisierungs“-Bewegung der römischen Agrargeschichte Caesar (nach Weber) an die Organisation des gesamten Reiches auf der Basis von „in der Selbstverwaltung autonomen Municipien“, also Städten, denken (S. 341). Mit dem Verlust der „expansiven Energie“ der Plebejer trat freilich auch hier, ähnlich wie in der Entwicklung des agrarischen Kapitalismus, eine grundsätzliche Wende ein; dieser Verlust hing, so Weber, eng mit dem „wachsenden großstädtischen Charakter Roms“ zusammen, wo das „Proletariat“ zu einem „städtischen Pöbel modernen Charakters“ wurde, welchem „der Sinn für die Standesehre des Grundbesitzes mehr und mehr abhanden kam“ und das daher auch den expansiven Tendenzen des Großbesitzes immer weniger Widerstand entgegensetzte (S. 217). Die letzte Phase der Entwicklung war dann durch die merkliche Rückentwicklung vieler Städte und eine Verlagerung von Entwicklungsschwerpunkten auf das Land und die dortigen Gutsbezirke gekennzeichnet. Diese wurden z. T. aus den städtischen Verwaltungsstrukturen herausgenommen und fast gleichberechtigt neben diese gestellt, und so stand am Ende, so Weber in einer besonders einprägsamen Formulierung, jenes „Netz von Grundherrschaften“, auf welchem die Munizipien nach dem weitgehenden Verlust ihrer Bedeutung für Gewerbe, Handel und Kapitalbildung „nur als Schröpf[48]köpfe im Interesse der staatlichen Steuerverwaltung saßen“ (S. 341). Hinter den großen Wandlungen der agrarischen Strukturen Roms verbirgt sich also schon in der „Römischen Agrargeschichte“ auch die Frage nach der antiken Stadt und ihren Besonderheiten, nicht zuletzt ihren (relativen) ‚Strukturschwächen‘. In gewisser Weise ist in Webers freilich äußerst knappen und pauschalen Schlußbemerkungen über die abweichende soziale und gewerbliche Entwicklung im Mittelalter (S. 351 f.) in nuce erstmals das Thema angeschlagen, das dann vom letzten Teil der „Agrarverhältnisse im Altertum“ von 1909 zu dem großangelegten Vergleich zwischen mittelalterlicher und antiker Stadt in der Studie „Die Stadt“ führen sollte.
Zu den methodischen Aspekten, die von der Römischen Agrargeschichte auf das spätere Werk Webers verweisen, gehört neben der betont auf die Erfassung „praktischer“ Zusammenhänge gerichteten Betrachtungsweise vor allem das ständige Streben, durch historische Vergleiche zu einem vertieften Verständnis zu kommen, womit das weitere Ziel zusammenhängt, überhaupt zu „Prinzipien“ und, wenn auch nicht zu eigentlichen „Gesetzen“, so doch zu allgemeinen „Tendenzen“ der historischen Entwicklung Roms vorzustoßen.
Von dem „praktischen“ Moment ist an den verschiedensten Stellen der Römischen Agrargeschichte die Rede. Schon in der „Vorbemerkung“ gilt der Dank an August Meitzen ja bezeichnenderweise vor allem der „Fülle von praktischen Gesichtspunkte für die agrarhistorische Forschung“, die Weber von ihm empfangen habe (S. 100). Die vielen Hinweise auf das „Praktische“ können hier nicht im einzelnen verfolgt werden; aber es ist wohl klar, daß damit vorrangig eine Absage an eine rechtsdogmatische Betrachtungsweise gemeint ist. Das Bestreben, von einer juristischen zu einer ökonomischen und sozialen Analyse vorzudringen, ist eines der Hauptmerkmale der Römischen Agrargeschichte, und Weber selbst dürfte seine Situation zwischen den verschiedenen Einzeldisziplinen nicht ganz unzutreffend charakterisieren, wenn er im Januar 1891 seinem Onkel Hermann Baumgarten schreibt, er sei „ungefähr zu einem Drittel Nationalökonom“ geworden.
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[48]So in dem unten, S. 60, Anm. 28, zitierten Brief; vgl. Jugendbriefe, S. 327.
Neben dem „praktischen“ Interesse Webers fallen vor allem zwei Merkmale ins Auge, die in ihren Dimensionen weit über das in einer römischrechtlichen Untersuchung Übliche hinausgehen und ebenfalls deutlich auf Webers weitere Entwicklung vorausweisen. Das sind die zahlreichen, für das ganze Werk so charakteristischen Vergleiche der römischen mit der mittelalterlichen und neuzeitlichen Agrarentwicklung sowie die immer wiederkehrende Frage nach dem Typischen und Prinzipiellen. Die überaus zahlreichen historischen Parallelen sind dabei nicht etwa als bloße Schau[49]stücke Weberscher Gelehrsamkeit zu verstehen, sondern von ihm als substantielle, strukturerhellende Vergleiche gedacht. Auffällig erscheint, daß als Vergleichsfolie für die römische Agrargeschichte fast nie die sonstige antike (griechische usw.) Agrarentwicklung dient, sondern in erster Linie die deutsche Agrargeschichte von den Anfängen bis in Webers unmittelbare Gegenwart. Die Erklärung dafür besteht offensichtlich darin, daß man es hier im wesentlichen mit der agrarhistorischen Gesamtperspektive Meitzens zu tun hat.
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[49] Vgl. oben, S. 14 ff.
Im einzelnen treten die von Weber angestellten Vergleiche – neben der Bezugnahme auf die Typen der germanischen und keltischen Agrarverfassung und der Übertragung der ersteren auf das älteste Rom – besonders deutlich in zwei Bereichen hervor, und zwar in den Parallelen zwischen der älteren römischen Agrarentwicklung nach der Beseitigung der „Flurgemeinschaften“ und den neuzeitlichen Agrarreformen im späteren 18. und im 19. Jahrhundert sowie zwischen den späteren kaiserzeitlichen Verhältnissen in Rom und der älteren deutschen, vor allem preußischen Agrarverfassung etwa vom frühen 16. Jahrhundert bis zum Beginn der Reformepoche. So erscheinen z. B. die „Regulierungen und Gemeinheitsteilungen“, die „Separationen und Verkoppelungen“ des späten 18. und des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Ausbildung des römischen ager privatus und wird überhaupt das ganze agrarpolitische Vokabular des 19. Jahrhunderts, „Mobilisierung“, „Entfesselung“ des Bodens, „Individualwirtschaft“ usw. zur Beschreibung der agrarischen Dynamik der republikanischen Zeit in Rom aufgeboten;
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Vgl. z. B. unten, S. 160, 193, 206.
ebensowenig fehlen Begriffe aus der Liberalisierung des Zivilrechts im 19. Jahrhundert wie „Vertragsfreiheit“, „Testierfreiheit“ und „Freizügigkeit“.
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Vgl. unten, S. 205; 159; 331.
Auch hier wird man in manchem an die Römische Geschichte Mommsens mit ihren vielen offenen Bezügen zur zeitgenössischen politischen Entwicklung und Begrifflichkeit erinnert. Ebenso erscheinen, zumal im IV. Kapitel, „Gutsherrschaft“ und „Gutswirtschaft“ der neueren Zeit mit „Gutsuntertänigkeit“, „Hintersassen“, „Häuslern“, „Kätnern“ und „Lassiten“, ja, die ganzen „gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse“, bei denen man sich zeitweise eher in die preußische als in die römische Agrargeschichte versetzt wähnen könnte. Auch werden wiederholt einzelne akute Probleme der 80er und 90er Jahre des 19. Jahrhunderts zur Erhellung auch der römischen Agrargeschichte bemüht, Fragen wie die der landwirtschaftlichen Saisonarbeit, des Bedarfs an gutsfremden Arbeitern im Osten, der Rentengutsverträge u. a.m. So überrascht es auch nicht, wenn in der Römischen Agrargeschichte die landwirtschaftlichen Lehren aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts, die [50]„Rationelle Landwirtschaft“ eines Albrecht Thaer ebenso wie Johann Heinrich von Thünens agrarische Standortlehre eigens erwähnt werden, und ebensowenig, wenn sich dort Georg Friedrich Knapps großes Werk über die „Bauernbefreiung“ in Preußen und aus der zeitgenössischen nationalökonomischen Literatur neben Rodbertus Lujo Brentano, Werner Sombart und dessen Vater zitiert finden.
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[50] Vgl. das Personenregister.
Aber die Römische Agrargeschichte lebt nicht nur von den Vergleichen mit der neuzeitlichen Agrarentwicklung. Auch das Mittelalter, vom Fränkischen Reich bis zum Spätmittelatter, liefert Weber immer wieder Vergleichspunkte; Begriffe wie „Rente“, „Grundherrschaft“ und „Hofrecht“ lassen erkennen, welche Rolle die Wahrnehmung der kaiserzeitlichen römischen Agrarstrukturen aus einer z. T. gleichsam mittelalterlichen Perspektive für Weber spielt; andere, ebenfalls nicht der Antike entnommene Termini wie z. B. „Personalfolie“, „Erbregister“, „Anerbenrecht“, „Hufenschoß“ bestätigen, wie Weber immer wieder seine Kenntnis der ‚allgemeinen‘ Agrargeschichte zur schärferen Erfassung der römischen Verhältnisse nutzt. Nicht zu übersehen ist dabei, daß sich Weber auf diese Weise – gleichsam im Meitzenschen Sinn der unmittelbaren Verbindung von Agrargeschichte und Agrarpolitik – allenthalben als äußerst vielseitiger Kenner nicht nur der Agrargeschichte Roms, sondern der vielfältigen sozialen, ökonomischen und juristischen Problematik des Agrarwesens überhaupt ausweist, ob dies Fragen der ländlichen Arbeiter und der Arbeitsorganisation, des Erbrechts oder z. B. des Grundbuch- und Kreditwesens betrifft; und man wird wohl annehmen können, daß diese in der Römischen Agrargeschichte so auffällig hervortretenden Züge eine wesentliche Rolle bei der Heranziehung Webers zur Auswertung der Landarbeiterenquête gespielt haben.
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Vgl. dazu Riesebrodt, Martin, Editorischer Bericht, in: Weber, Max, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland. 1892 (wie Anm. 7), S. 18 ff., bes. S. 22–24. – Auffällig erscheinen in diesem Zusammenhang die zahlreichen Verweise gerade auf die ostelbischen Verhältnisse in der Römischen Agrargeschichte. Doch interessierte sich Weber dafür bereits seit spätestens 1888, vgl. oben, S. 11 f. Auch erfolgte die Umorganisation der Enquêteauswertung, die die Heranziehung weiterer Mitarbeiter, darunter Webers, erforderlich machte, erst nach Erscheinen des Buches. Der bislang früheste Hinweis auf Webers Mitarbeit an der Enquête stammt vom 11. Februar 1892, also aus der Zeit kurz nach dem Abschluß von Webers Habilitation. Vgl. Riesebrodt, S. 21 f. und 19.
Dem Verfahren, zur Erhellung der römischen Agrarentwicklung Beispiele aus den verschiedensten Epochen der Agrargeschichte heranzuziehen, in dem in Anfängen deutlich der spätere Weber der universalhistorischen Strukturvergleiche zumal in „Wirtschaft und Gesellschaft“ erkennbar wird, entspricht noch ein anderes Moment. Wenn es ihm nämlich vor allem um die konkreten wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen des römischen [51]Rechts für das Agrarwesen geht, so ist das Erkenntnisinteresse des Juristen Weber zugleich nicht so sehr auf das Erfassen von Einzelerscheinungen als vielmehr auf grundsätzliche Aussagen bzw. „Prinzipien“ gerichtet. In gewisser Weise zeigt sich dies schon in dem starken Zurücktreten von Personen und Einzelereignissen. Gleich zu Beginn des I. Kapitels setzt Weber der Überlegung, daß in der Praxis ein Rechts‚prinzip‘ vor lauter Ausnahmen nicht mehr zu erkennen sei, die Feststellung entgegen, es sei „ein Verzicht auf juristisches Erfassen der historischen Erscheinungen […], wenn man aus diesem Grunde ganz von Aufsuchung des Prinzips absehen wollte, und soll daher der Versuch, dasselbe festzustellen, gemacht werden“ (S. 107). Hier geht es um den das ganze I. Kapitel bestimmenden und keineswegs unproblematischen Versuch, im Verhältnis zwischen den Flurformen der Gromatiker und den juristischen Bodenkategorien ein (praktisches) „Prinzip“ zu entdecken, das dann auch für die beiden folgenden Kapitel von größter Bedeutung bleibt. Ähnlich steht das II. Kapitel weithin im Zeichen des Versuchs, in der römischen Agrarrechtsentwicklung einen durchgehenden Gegensatz zweier Prinzipien, des „modus“- und des „locus“-Prinzips, herauszuarbeiten. Doch auch in zahlreichen Details zeigt sich dasselbe Interesse. So kommt Weber z. B. an einer Stelle zu dem Ergebnis, daß es nicht möglich sei, das Verhältnis zwischen neuen Siedlern in einer römischen Kolonie und den alten Bewohnern des Ortes „auf ein Prinzip zurückzuführen“, was ihn zur sofortigen Abkehr von diesem Problem und dem Zusatz veranlaßt: „Nur um die Ermittelung solcher Prinzipien handelt es sich hier“ (S. 155). Charakteristisch ist ebenso, wenn es von der Wandlung von der Flurgemeinschaft zur Individualwirtschaft in Rom, mit der sich ein „radikal neues Prinzip“ durchsetzte, außerdem heißt, dies pflege „von allen Agrarverfassungen mit dem Eintreten des Übergewichts städtischer Rechtsgedanken in der einen oder anderen Form vollzogen zu werden“ (S. 202). Ähnliches zeigt sich, wenn Weber einer Bemerkung über die Veränderung im Charakter der Plebs infolge der großstädtischen Entwicklung Roms den Satz hinzufügt, dies sei „eine Umwandlung, welche überall unter ähnlichen Verhältnissen nur eine Frage der Zeit ist“ (S. 217). – Dem Aufspüren von allgemein gültigen Prinzipien korrespondiert, wenn es um ihren Wandel geht, die Ermittlung längerfristiger „Entwicklungstendenzen“, die in der Römischen Agrargeschichte eine grundlegende Rolle spielen, wie z. T. bereits die Inhaltsanalyse gezeigt hat
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[51]Vgl. dazu auch Riesebrodt, Martin (wie oben, S. 20, Anm. 32), S. 557 f.
. Dies braucht hier nicht näher ausgeführt zu werden; es sei lediglich darauf verwiesen, daß Weber im letzten Kapitel – da, wo er die von Caesar (nach seiner Auffassung) einst geplante der tatsächlichen Verwaltungsstruktur des römischen Imperiums in der Spätantike gegenüberstellt – ausdrücklich erklärt, daß Entwicklungstendenzen wie die hier zugrundeliegenden, weil sie „ganz rein überhaupt [52]vielleicht nirgends erscheinen“, nur in „Idealbildern“ zu erfassen seien (S. 340). Mit Recht hat man gerade hier oft einen frühen Vorläufer von Webers späterem „Idealtypus“ gesehen.
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[52]Vgl. z. B. Käsler (wie oben, Anm. 9), S. 38; Weyembergh (wie oben, S. 24, Anm. 54), S. 23 f. Zu Rodbertus in diesem Zusammenhang vgl. oben, S. 20, Anm. 31.
Einen letzten Hinweis verdient noch das Problem der „Werturteile“, die an einer Reihe von Stellen der Römischen Agrargeschichte in teilweise sehr prononcierter Form erscheinen und durchaus zu den Charakteristika des Werkes zu zählen sind.
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Dies hebt mit Recht auch hervor Christ, Karl, Römische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft. – München: C.H. Beck 1982, S. 107: „die zahlreichen emphatischen allgemeinen Wertungen“.
Auch hier dürfte der Einfluß von Mommsens Römischer Geschichte offenkundig sein. Im einzelnen wäre etwa die heftige Ablehnung der Sklaverei zu nennen, ein Punkt, in dem sich Weber unmittelbar mit Mommsen trifft. Sie zeigt sich besonders in der Beschreibung der Sklaven„kasernen“ und tritt vollends zutage bei der Schilderung, wie allmählich an die Stelle „kasernierter“ Sklaven wieder Familien von Sklaven traten: „ein Moment tiefer innerer Gesundung“, heißt es, und dies, obwohl Weber gleichzeitig das „Zurücksinken der ‚oberen Zehntausend‘ in jahrhundertelange Barbarei“ zu den Folgen rechnet (S. 349). Auch fällt in diesem Zusammenhang ein deutlicher Seitenhieb gegen August Bebel und die ihm vorschwebende ‚freie Ehe‘ (ebd.).
Während Weber also nicht zögert, die Sklaverei explizit und rigoros zu verurteilen, läßt er einen eigentümlichen Zwiespalt in der Bewertung der „kapitalistischen“ Epoche Roms erkennen. Einerseits faszinieren ihn nämlich ganz offensichtlich deren ‚moderne‘ Züge: der Individualismus, die „unbedingte Freiheit der wirtschaftlichen und rechtlichen Disposition über das Grundeigentum“ (S. 201), ebenso Rom als die „Immobilienbörse der Welt“ (S. 187), ‚Spekulation und Kapital der großen Steuerpachtunternehmer‘ und deren „große einheitliche geschäftliche Gesichtspunkte“ (S. 291). An der Ausgestaltung des privaten Bodeneigentums im römischen Recht rühmt Weber das ‚Raffinement seiner logischen Durcharbeitung‘ und stellt fest, daß es „die Gedanken der Jurisprudenz, solange es eine solche gibt, beherrscht hat und noch beherrscht“ (S. 205 f.). Andererseits muß er erkennen, daß eben dieser Eigentumsbegriff, „welcher noch heute unser juristisches Denken beherrscht“, zwar von den einen bewundert, von den anderen aber „als Wurzel alles Übels auf dem Gebiet unsers Grundbesitzrechtes befehdet“ wird (S. 102), und ebenso sieht er z. B. klar „so manche soziale und wirtschaftliche Schäden“, die der römische Agrarkapitalismus mit sich brachte (ebd., vgl. auch S. 201). – Indem er andererseits in der späteren Zeit den Rückgang und das schließliche Verschwinden dieses Kapitalismus und die in diesem Zusammenhang begegnende freiwillige [53]Aufgabe ihrer bisherigen „Freiheit“ durch die Städter verfolgt, stellt er fest, daß es sehr unterschiedliche und je nach der gesellschaftlichen Gesamtentwicklung auch jeweils durchaus berechtigte unterschiedliche Vorstellungen von „Freiheit“ gibt: Während das ‚individualistische‘ Freiheitsideal der Gegenwart z. B. zur massenhaften Flucht aus der Gebundenheit in den Gütern des deutschen Ostens in die Stadt führt,
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[53]Eine eindringliche Schilderung des von ihm hier gemeinten Ideals von „Freiheit“ liefert Weber im Schlußabschnitt der Landarbeiterschrift von 1892 (wie Anm. 8), S. 919 ff.
flüchtete umgekehrt der spätrömische (freie) Städter als colonus in die Abhängigkeit eines „Grundherrn“, um sich vor allem der staatlichen Steuerverwaltung zu entziehen. Weber spricht hier geradezu von „säkularen Hebungs- und Senkungserscheinungen“, denen derartige Wertvorstellungen unterworfen blieben (S. 338). Sie lassen sich, so ist sein an geologische Vorgänge anknüpfendes Bild zu verstehen, ebensowenig wie die Agrargeschichte insgesamt
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Hingewiesen sei auch auf das ebenfalls in der Landarbeiterschrift von 1892 (wie Anm. 8), S. 923, skizzierte Auf und Ab in der Emanzipation der ländlichen Arbeiter von der römischen Kaiserzeit bis zur unmittelbaren Gegenwart. Vgl. ferner die Gegenüberstellung von ‚Kasernensklaven‘-Wirtschaft in Rom und zeitgenössischer ländlicher Arbeitsverfassung in Argentinien als „Extreme“ („Symptome einer ungefähr gleich großen sozialen Barbarei“, wobei die Sklavenwirtschaft eher noch etwas besser abschneidet), zwischen denen sich „alle gesunden und normalen ländlichen Arbeitsverfassungen seßhafter und civilisierter Völker bewegen“: Weber, Max, Die Erhebung des Vereins für Sozialpolitik über die Lage der Landarbeiter, II, in: Das Land, 1. Jahrgang, Nr. 2 (15. Jan. 1893), S. 25 (MWG I/4).
in ein evolutionistisches, auf der Annahme eines kontinuierlichen „Fortschritts“ beruhendes Geschichtsbild einfügen: Die menschliche Freiheit ist nicht – wie bei Hegel oder Marx – grundsätzlich im Fortschreiten zu denken, sondern folgt einem nie endgültig entschiedenen Auf und Ab. Auch in dieser Ambivalenz werden die Wurzeln von grundlegenden Vorstellungen erkennbar, die erst in Webers späterem Werk voll zur Geltung kommen sollten.
Die Bedeutung von Max Webers Römischer Agrargeschichte, so hat sich gezeigt, kann nicht auf einen bestimmten Hauptgesichtspunkt reduziert werden. Auch wenn es sich bei ihr um die römischrechtliche Habilitationsschrift des Siebenundzwanzigjährigen handelt, dem zunächst auch durchaus eine weitere Karriere in dieser Richtung vorschwebte, so ist doch deutlich, daß sie mit ihren zahlreichen nationalökonomischen, wirtschafts-, sozial- und speziell agrargeschichtlichen Elementen weit über eine durchschnittliche römischrechtliche Monographie der Zeit hinausragt. Dabei ist ihre starke Verwurzelung in der allgemeinhistorischen wie wissenschaftsgeschichtlichen Situation der Zeit offensichtlich. Ohne die große Aktualität der Agrarfragen in Preußen, ohne die besondere Rolle des klassischen Altertums für die höhere Allgemeinbildung, des römischen Rechts für die [54]damalige Jurisprudenz und der Historischen Schule für die zeitgenössische Nationalökonomie ist das Werk nicht denkbar.
Nicht weniger als das Produkt einer besonderen wissenschaftshistorischen Konstellation erweist sich die Römische Agrargeschichte aber auch als eine höchst persönliche Leistung des jungen Weber, wenn man auf den ungemein konzentrierten Gedankenreichtum der Arbeit blickt, auf die verblüffend rasche und sichere Bewältigung eines sämtliche Epochen der römischen Geschichte von den Anfängen bis in die Zeit des Corpus Iuris umfassenden Themas, das die Beherrschung eines breiten und z. T. außerordentlich schwierigen und komplexen Quellenmaterials verlangte, schließlich auf die sachlichen Ergebnisse und die zwar in manchem durchaus anfechtbaren, z. T. nicht haltbaren, doch stets kühnen und weitreichende Fragen gleichsam an ihrem Nerv berührenden Thesen. In ihrem Grundansatz nahm die Römische Agrargeschichte gerade auch vom Standpunkt des Historikers aus in der rein historischen Betrachtung des römischen Privatrechts wie in ihrer dezidiert sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Orientierung spätere fachwissenschaftliche Tendenzen voraus. Überdies werden in dem Werk in ersten Umrissen bereits deutlich Gegenstände und Sichtweisen von großer Bedeutung für Webers eigene spätere Entwicklung erkennbar: Themen wie Kapitalismus und Stadt, aber auch – nicht weniger bedeutsam – Webers überaus starke systematische, typologische und komparatistische Interessen.
Obwohl Weber den zunächst mit seiner Habilitationsschrift geplanten Weg schließlich nicht einschlug und Mommsens „Speer“ gewissermaßen nicht aufnahm,
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[54]Vgl. unten, S. 57; dazu auch Heuß (wie oben, S. 1, Anm. 3), S. 552 f. – Das Gerücht, Mommsen habe nach Webers Habilitation „erwogen […], ihn auf einen Lehrstuhl für alte Geschichte oder Römisches Recht zu bringen“, erwähnt Honigsheim (wie oben, S. 19, Anm. 26a), S. 205; vgl. S. 221.
hat ihn trotz oder vielmehr wegen des „an Jugendsünden reichen Buches“ seine – wenn man es so ausdrücken darf – ‚Jugendliebe‘ zur Antike später nie losgelassen und hat er dem Altertum dann auch – stark beeinflußt von Eduard Meyer, der 1895 der Römischen Agrargeschichte ausdrückliches Lob zollte – weitere wichtige Arbeiten gewidmet, die die agrar- wie die sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Problematik noch wesentlich vertieften und die den Inhalt eines weiteren Bandes der Max Weber-Gesamtausgabe bilden werden.
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Weber, Max, Zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Altertums. Schriften 1896–1909 (MWG I/6).