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MWG digital

Die digitale Max Weber-Gesamtausgabe.

[625]Anhang zum Editorischen Bericht

Im folgenden wird Rachfahls zweite Kritik an Weber, Protestantische Ethik I und II, die eine Erwiderung auf Weber, Antikritisches zum „Geist des Kapitalismus“ ist, abgedruckt. Zugrunde liegt: Rachfahl, Felix, Nochmals Kalvinismus und Kapitalismus, in: Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, hg. von Paul Hinneberg, 4. Jg., 1910, Nr. 22 vom 28. Mai, Sp. 689–702; dass. (Fortsetzung), Nr. 23 vom 4. Juni, Sp. 717–734; dass. (Fortsetzung), Nr. 24 vom 11. Juni, Sp. 755–768; dass. (Schluß), Nr. 25 vom 18. Juni, Sp. 775–796 (= Rachfahl, Nochmals Kalvinismus). Der Text ist fortlaufend wiedergegeben, auf die Wiederholung der Autoren- und Titelangabe bei den einzelnen Aufsatzfolgen wird verzichtet. Eine Zuordnung ist durch die marginal mitlaufende Spaltenzählung möglich.N1 In MWG digital als ED + Spaltenzahl sigliert. Der Text wird hier durchgängig in Petit wiedergegeben. Im Original gesperrt Gedrucktes ist hier kursiv gesetzt, der Fettdruck beibehalten. Die seitenweise Fußnotenzählung des Originals mit Sonderzeichen ist auf fortlaufende arabische Zählung umgestellt. Stillschweigend korrigiert sind doppelte Anführungszeichen in Zitaten und reine Rechtschreibfehler, wie z. B. „Enwicklung“ (S. 632), „Verwandschaft“ (S. 639) oder „mann“ statt „man“ (S. 648). Andere sinnstörende Verschreibungen, wie „Nebenliebe“ statt richtig „Nächstenliebe“ (S. 658, Anm. 37) sowie die fehlerhaften Spaltenangaben Sp. „1372“ statt richtig „1352“ (S. 644), Sp. „1203“ statt „1293“ (S. 645) und Sp. „85“ statt „780“ (S. 656), werden in eckigen Klammern korrigiert. Dies gilt auch für Sebastian „Frank“ statt „Franck“ (S. 639 f.). Als Lesehilfe werden Abkürzungen und zum Verständnis notwendige Satzzeichen in eckigen Klammern ergänzt. An einer Stelle fanden sich eckige Klammern in der Vorlage (S. 650, Fn. 29: „[1906]“).

[[ED 689]]Nochmals Kalvinismus und Kapitalismus.
Von Felix Rachfahl, Professor an der Universität Kiel.

Auf meinen Einspruch1)[625][ED 689] Vergl. meine Abhandlung „Kalvinismus und Kapitalismus“ in dieser Zeitschrift Jahrg. 3 Nr. 39 bis 43, fortan zitiert „Abhandlung“ mit Angabe der betreffenden Spalte. gegen die Art und Weise, wie die Heidelberger Gelehrten Weber und Troeltsch einen kausalen Zusammenhang zwischen dem die ökonomische Entwicklung der Neuzeit beherrschenden „kapitalistischen Geiste“ und gewissen Richtungen der Reformation feststellen zu dürfen vermeinten, haben sich nunmehr beide Autoren zum Worte gemeldet.2) Weber, Antikritisches zum „Geist des Kapitalismus“ im „Archiv für Sozialwissenschaft“, XXX, S. 176 ff., fortan zitiert „Webers Antikritik“. – Troeltsch, Die Kulturbedeutung des Kalvinismus, in dieser Zeitschrift Jahrg. 4 Nr. 15 und 16. Indem sie beide heftig dagegen protestieren, daß ihre Ausführungen zu diesem Thema „Kollektivarbeit“ seien, haben sie sich in die [lies: sich die] Aufgabe, mich zu widerlegen, im großen und ganzen geteilt: Weber wendet [ED 690]sich [626]ausschließlich gegen meine Kritik der von ihm behaupteten Herleitung „kapitalistischen Geistes“ aus Kalvinismus und anderen protestantischen Sekten, Troeltsch in der Hauptsache gegen den letzten Teil meiner Abhandlung3)[626][ED 690] Abhandlung, Heft 43 Sp. 1349 ff. , der dazu bestimmt war, häufig auftretende Vorstellungen über die Beziehungen des Kalvinismus zu bestimmten Entwicklungsreihen der modernen Kultur auf ein richtiges Niveau zurückzuführen. Ausdrücklich überläßt er das Problem „Kalvinismus und Kapitalismus“ seinem Kollegen Weber als dem „nationalökonomischen Fachmanne“ und begnügt sich hier mit einigen Einwendungen, die ihm als Theologen besonders nahe liegen. Der Schwerpunkt meiner Replik wird also in der Auseinandersetzung mit Webers Aufsatze liegen, und sie gliedert sich von selbst in drei Abschnitte. Zuerst werde ich den übereinstimmenden Protest von Weber und Troeltsch dagegen, daß bei ihnen eine „Kollektivarbeit“ vorliege, beleuchten müssen; dann werde ich auf die Ausführungen von [ED 691]Troeltsch bezüglich der „Kulturbedeutung des Kalvinismus“ antworten. Zum Schlusse kommt als letzter und Hauptteil nochmals eine Erörterung über die Frage „Kalvinismus und Kapitalismus“; er wird sich im wesentlichen mit Weber beschäftigen und daneben die hierher gehörigen Bemerkungen von Troeltsch auf ihre Stichhaltigkeit hin prüfen.

I.

Mit großer Energie protestieren Weber und Troeltsch dagegen, daß man ihre Ausführungen über den konfessionellen Ursprung des modernen kapitalistischen Geistes als „Kollektivarbeit“ behandele, um beide „für einander verantwortlich zu machen“,– oder wie Troeltsch sagt, es ist „durchaus irreführend“, wenn sie beide bei mir „als eine gemeinsame wissenschaftliche Firma erscheinen, wo man jeden mit den wirklichen oder vermeintlichen Passiven des Andern belasten kann“. Weber bezeichnet das sogar als „eine, beiläufig bemerkt, wenig loyale Praxis“. Demgegenüber stellen sie vielmehr fest, daß bei ihnen „keinerlei, auch keine latente, Kollektivarbeit vorliege: beide seien sie ganz selbständig, bei durchaus unabhängiger Forschung, von völlig verschiedenem Ausgangspunkte und bei völlig verschiedener Fragestellung zu den gleichen Ergebnissen gelangt“. Und für sich selber fügt Weber noch hinzu, daß er schon seit langen Jahren Ausführungen im Kolleg vertreten habe, die seiner jetzigen These entsprächen, und daß er dazu nicht erst die Anregung aus Sombarts „Kapitalismus“ geschöpft habe.

Wie es sich gebührt, nehme ich von diesen Äußerungen Notiz. Daß Sombarts Kapitalismus Einfluß auf Webers These ausgeübt hätte, berichtete Troeltsch selber: wie hätte ich auf die Vermutung kommen können, daß er in einem für die Herkunft von Webers These so wichtigen Punkte so vollkommen falsch orientiert wäre? In seiner Rede auf dem Historikertage von 19064)[ED 691] Historische Zeitschrift 97, S. 42–46. hat Troeltsch die Entdeckung „der eigentlichen Bedeutung des Kalvinismus für den Aufschwung des modernen Kapitalismus“, nämlich durch die Einflüsse der protestantischen Askese, ausdrücklich auf das Verdienstkonto von Weber gesetzt; er hat über Ursprung, Wesen und Bedeutung dieser Entdeckung in einer Weise gesprochen, die niemand anders als dahin [ED 692]auffassen konnte, daß er sich hier lediglich referierend verhalte, und zwar zustimmend; nirgendswo findet sich eine Zeile oder auch nur ein Sterbenswörtchen, worin die leiseste Andeutung steckt, daß er auch seinerseits, und zwar unabhängig, zur selben „Entdeckung“ gelangt sei. Im Gegenteil; [627]er sagt sogar noch jetzt (Internat[ionale] Wochenschr[ift] Sp. 453), er habe bei seinen speziellen Studien „den sachlichen Ergebnissen Webers betreffs des Kalvinismus nicht aus dem Wege gehen können“, und fährt fort: „da ich sie in allem wesentlichen für richtig hielt und halte, habe ich sie übernommen.“ Ganz anders freilich stellt Weber den Sachverhalt dar (Antikritik S. 177): „Es mag schon sein, daß Troeltsch, der auf völlig eigenen Wegen ebenfalls schon lange vorher dem ihn5)[627][ED 692] Die Sperrungen in den Zitaten aus Webers Antikritik rühren von diesem selbst her; ebenso verhält es sich bei Zitaten aus der Antwort von Troeltsch. interessierenden Thema nachging, wie durch andere Schriftsteller, so auch durch einzelne Bemerkungen meiner Aufsätze zum Überdenken mancher seiner Probleme unter ökonomisch-soziologischen Gesichtspunkten mit angeregt wurde, wie er dies gelegentlich ausgesprochen hat. Aber keinerlei, ,Übernahme‘ einer Theorie des einen durch den andern.“

Man sieht den Widerspruch, in den die beiden wiederum gefallen sind. Weber lehnt jede Übernahme irgendeiner „Theorie“ des einen durch den andern ab, also auch der Theorie von der Entstehung des „kapitalistischen Geistes“ der Neuzeit aus der reformierten Berufsethik. Troeltsch dagegen sagt nur, daß es ganz andere Probleme sind, die im Mittelpunkte seines Interesses stehen, wie das bei Weber der Fall ist, und daß das, worauf Webers Augenmerk hauptsächlich gerichtet ist, für ihn eine nur peripherische Bedeutung habe, daß er aber eben deshalb Webers „sachliche Ergebnisse“ in diesem Falle „übernehme“, zumal da er sie auch für richtig halte. Wer hat nun recht von beiden? Wo es sich um Vorgänge im Innern Webers handelt, da muß ich, wo die Aussagen beider auseinandergehen, wie z. B., was das Verhältnis von Webers These zu Sombart betrifft, mich schon an die Erklärungen von Weber selber halten, nicht aber da, wo Troeltsch Aussagen darüber macht, wie sich die Dinge in seinem Geiste entwickelt haben; da ist er [ED 693]doch schließlich ein besserer Gewährsmann als Weber. Und da Troeltsch noch jetzt ausdrücklich versichert, er habe die These über die Provenienz des „kapitalistischen Geistes“ von Weber „übernommen“ und eben hier dessen „Ergebnisse lediglich“ in einen andern, von seinem eigenen „Erkenntnisziel aus bestimmten Zusammenhang eingestellt“, so nehme ich das unbedenklich als unumstößlich sicher an. Inwieweit man in einer solchen „Übernahme“ eine „Kollektivarbeit“ erblicken will, lasse ich dahingestellt. Ich habe diesen Ausdruck nie gebraucht, und noch viel weniger ist es mir eingefallen, eine „Kollektivarbeit“ der beiden Autoren in irgend einem andern Punkte als eben in der sogenannten „Weber-Troeltschschen Hypothese“ zu behaupten. Wenn die Kritik die „Übernahme“ einer These eines Autors durch einen andern feststellt und zwar auf Grund der eigenen Äußerungen dieses zweiten, wenn dieser zweite auch noch ausdrücklich nachher die Richtigkeit dieses Sachverhaltes anerkennt und bestätigt – inwiefern darf man das als eine „wenig loyale Praxis“ brandmarken? Ist sich Weber der Schwere dieses Vorwurfes wohl überhaupt bewußt geworden?

Selbst wenn den Versicherungen von Troeltsch zuwider eine „Übernahme“ nicht vorläge, wenn zwischen ihm und Weber in diesem Punkte nicht der geringste Zusammenhang bestünde (unmöglich wäre es ja keineswegs, daß Troeltsch auch in diesem Punkte sich selber noch einmal in Zukunft desavouiert), so wäre ich doch berechtigt gewesen, auf die Unterschiede aufmerksam zu machen, die sich – bei aller Gleichheit des Resultats – zwischen beiden Autoren in der Begründung und in der Ausführung der Einzelheiten konstatieren lassen. Das ist ein gutes Recht der Kritik bisher jederzeit gewesen, das zu bestreiten noch Niemandem eingefallen ist. Nehmen wir an, daß zwei Gelehrte [628]ganz unabhängig voneinander zum gleichen Ergebnis gelangt sind – eine Prüfung darauf hin, was bei ihnen miteinander übereinstimmt, und worin sie voneinander abweichen, ist dann nicht nur zulässig, sondern geradezu geboten; denn es ist der sicherste Weg, um zu einer Gewißheit über die Stichhaltigkeit des gemeinsamen Resultats zu gelangen. Es handelt sich ja darum, die sachliche Richtigkeit eines bestimmten Satzes zu ermitteln, nicht etwa darum, festzustellen, [ED 694]ob der oder jener recht oder unrecht hat. Und darin soll ein Mangel an Loyalität liegen? Es müßte denn überhaupt illoyal sein, die Geistesprodukte eines Max Weber mit demselben Maßstabe zu messen, wie er an die Erzeugnisse anderer angelegt wird, worauf er offensichtlich Anspruch macht. Nicht eine illoyale Usurpation der Kritik ist hier also im Spiele, sondern der Anspruch Webers auf ein Privileg, auf ein Ausnahmerecht in der kritischen Behandlung seiner Expektorationen, und ich wüßte nicht, welchen Grund er für die Bewilligung eines solchen geltend machen könnte – er, der doch selber sonst mit andern nicht eben sehr sänftiglich umzugehen pflegt. Oder meint er, daß, wenn er sich zu einer Befruchtung der Historie herbeiläßt, dieser nichts anderes geziemt, als in stummer und ehrfürchtiger Bewunderung den ungeahnten Segen in sich aufzunehmen?

Das Schönste aber ist: indirekt gibt Weber selber zu, daß eine „Übernahme“ seiner Ansichten bei Troeltsch vorliegt, – freilich nur, um dabei abermals gegen mich den Vorwurf der Illoyalität schleudern zu können. Er bemerkt nämlich (S. 177 Anm. 2) wörtlich: „Dabei sind Troeltsch wohl in einigen wenigen (für sein Thema gänzlich irrelevanten) Punkten Formulierungen unterlaufen, die, wie es bei solchen notgedrungen stark verkürzten Wiedergaben fremder Ansichten kaum vermeidlich ist, nicht ganz meinen Aufsätzen entsprechen. Es blieb der illoyalen Kleinlichkeit einer ,historischen‘ Kritik vorbehalten, diesen Umstand zu fruktifizieren. Rachfahl war über jenen Sachverhalt in keinem Punkt in Zweifel.“ Man sieht: Weber gibt hier zu, daß es sich bei den Ausführungen von Troeltsch über die Provenienz des „kapitalistischen Geistes“ (denn etwas anderes kann dabei nicht in Betracht kommen, und es ist ganz gleichgültig, ob es sich dabei für Troeltsch um Fragen von nur peripherischem Werte handelt; für Weber sind sie von zentraler Bedeutung) um eine „Wiedergabe fremder Ansichten“ handelt, und gerade in den Fällen, wo ich auf Differenzen zwischen beiden aufmerksam machte. Aber eine „Wiedergabe fremder Ansichten“ ist um Gottes Willen keine „Übernahme“, und „kleinlich“ und „illoyal“ ist meine Gegenüberstellung dieser Differenzen auf jeden Fall! Ich meine freilich, daß die Kritik nicht nur das Recht, sondern [ED 695]auch die Pflicht hatte, hier „den einen gegen den andern auszuspielen“ – und das um so mehr, als ich nie daran gezweifelt habe, daß es sich bei diesen Differenzen keineswegs nur um ungenaue Exzerpte handelt, vielmehr um Korrekturen, die Troeltsch stillschweigend, aber bewußt an Webers Ausführungen vornahm, wo sie ihm mit der historischen Wirklichkeit in allzu grellem Widerspruche zu stehen schienen.6)[628][ED 695] Vergl. z. B. Hist[orische] Zeitschr[ift] 97 S. 45: „Der Nachweis ist m. E. Weber vollständig gelungen, wenn man vielleicht auch stärker betonen darf“ … sowie ebenda den Passus über Ungarn, Ostfriesland, die bäuerlichen Provinzialstaaten der Niederlande und „das gut lutherische Hamburg“. Durch eine inzwischen erfolgte Erklärung von Troeltsch hat sich zu meinem großen Erstaunen gezeigt, daß diese Auffassung irrig war; ich komme darauf alsbald noch näher zu sprechen. Trotzdem bleibt bestehen, daß ich sie gehabt habe, und niemand, der den darauf bezüglichen Passus meiner Abhandlung unbefangen gelesen hat, wird eine andere Ansicht vom [629]Sachverhalte haben. Weber freilich – derselbe, der sich noch jetzt nicht einmal über das Verhältnis der Ausführungen von Troeltsch zu seinen eigenen zur Gewißheit durchgerungen hat – hegt keinen Zweifel daran, daß ich die Abweichungen bei Troeltsch für irrige Exzerpte gehalten habe; wenn er nun also auch über die Vorgänge, die sich in mir abspielten, besser Bescheid weiß, als ich selber, so geht es wohl doch etwas zu weit, wenn er dem Gegner Illoyalität beimißt, wo für diesen höchstens eine sehr beklagenswerte Ignoranz in den Dingen seines eigenen Selbst gelten könnte. Ich mußte „den einen gegen den andern ausspielen“, weil es meine Aufgabe war, zu zeigen, daß jeder Versuch, auch der von Troeltsch, die These Webers für die historische Wirklichkeit durchzuführen, mißglückt ist, und darin eine „illoyale Kleinlichkeit“ zu erblicken, dazu gehört wieder der Anspruch Webers auf besondere Schonung durch die Kritik. Schwerlich wird er auch auf allgemeine Zustimmung für seinen lapidaren Satz rechnen dürfen, daß bei der „Wiedergabe fremder Ansichten“ im Exzerpte „Formulierungen kaum vermeidlich sind“, die der Vorlage nicht entsprechen. Die historische Kritik wenigstens wird bei der „Kleinlichkeit“, die ihr nun einmal anhaftet, nicht so schnell, wie ich fürchte, den Mut haben, sich auf diesen [ED 696]ebenso erhabenen wie angenehmen Standpunkt emporzuschwingen.

Die Frage der „Kollektivarbeit“ von Weber und Troeltsch dürfte somit zur Genüge geklärt sein; ich knüpfe daran nur noch einige Bemerkungen über die Art und Weise, wie Troeltsch speziell sein Verhältnis zur Weberschen These jetzt aufgefaßt wissen will.

Unumwunden erklärt er sich, was die These Webers anbelangt, jetzt als nicht kompetent; er gibt seine früheren Ausführungen, durch die er sie zu stützen und auszugestalten versuchte, rückhaltlos preis, und er läßt, wie schon erwähnt wurde, für ihre Verteidigung Weber als „dem nationalökonomischen Fachmanne“ das Wort. Er betont, ich hätte mehr berücksichtigen sollen, daß seine Ausführungen, insofern sie sich auf „den Gang der Dinge“, d. h. auf die tatsächliche historische Entwicklung, beziehen, für das Hauptthema seiner Untersuchungen, die Geschichte der christlichen Soziallehren, nur von peripherischer Bedeutung sind, keinerlei fachwissenschaftliche Autorität beanspruchen, und daß ihm daher Irrtümer im einzelnen untergelaufen sein können. Aber er erachtet doch die sachlichen Aufstellungen Webers, betreffend die Herkunft des modernen kapitalistischen Lebensstils, im wesentlichen für richtig; er beteuert, daß er seinerseits „den Nachweis, heute noch, auch nach Rachfahls Kritik für glänzend gelungen und das Ganze für ein Meisterstück historisch-genetischer Analyse“ hält. Er geht noch viel weiter: er gesteht ein, daß er bei der Wiedergabe der Weberschen Sätze „vielleicht manchmal unzulässig generalisiert, und insbesondere bei dem Versuch einer Darstellung von der Art der Durchsetzung und Ausbreitung des kalvinistischen Kapitalismus vielfach auch zu allgemein geurteilt hat“. Trotzdem sei, dabei beharrt er, Webers Theorie in ihrer Richtigkeit oder Unrichtigkeit völlig unabhängig von den Irrthümern, die sich bei ihm selber fänden, nämlich in seinem Versuche, mit Hülfe der ihm bekannten Literatur den von Weber absichtlich nicht dargestellten Gang der Dinge anzudeuten: diesen Irrtümern nun hätte ich „ein Gewicht für die Beurteilung der Weberschen Lehre beigelegt, die [lies: das] ihnen nicht zukommt“.

Mit anderen Worten: Troeltsch bekennt sich, was „den Gang der Dinge“, d. h. die tatsächliche historische Entwicklung, anbelangt, als Nichtfachmann; er gesteht ein, in dieser [ED 697]Richtung Irrtümer begangen, ja sogar Weber nicht immer ganz richtig verstanden und wiedergegeben zu haben. Sollte nicht unter diesen Umständen die unumwundene Zustimmung und Anerkennung, die er Weber von neuem auszusprechen sich [630]gedrungen fühlt, etwas an Wert verlieren? Kommt sie doch von einem Manne, der als Einziger den Versuch gemacht hat, die Webersche These wirklich an der Hand des geschichtlichen Materials durchzuführen, und der nunmehr rund aussprechen muß, daß er dabei gescheitert ist! Die gesamte Erörterung zeugt aber auch von einer völligen Verkennung der für die historische Arbeit maßgebenden methodologischen Gesichtspunkte. Webers These gipfelte, wie Troeltsch einmal7)[630][ED 697] Histor[ische] Zeitschr[ift] a. O. 43. ganz richtig sagt, im Versuche, „die eigentliche Bedeutung des Kalvinismus für den Aufschwung des modernen Kapitalismus“ zu ermitteln. Da muß denn doch zuerst festgestellt werden, ob und in welchem Umfange ein „Aufschwung des Kapitalismus“ unter dem Einflusse des Kalvinismus stattgefunden hat; dann erst kann untersucht werden, welchen speziellen Faktoren innerhalb des kalvinistischen Systems diese Wirkung zuzuschreiben ist. Aber nur der zweiten Aufgabe dieses Doppelproblems hat sich Weber zugewandt, indem er die reformierte Berufsethik als eine mögliche Triebfeder für die Entwicklung des kapitalistischen Geistes nachwies; die erste hat er durchaus vernachlässigt. Das giebt auch Troeltsch nunmehr zu; er sagt ausdrücklich, Weber habe zunächst (in seinen Aufsätzen über die protestantische Ethik usw.) „über den Gang der Dinge im einzelnen nichts geäußert“ und auch jetzt (d. h. in seiner „Antikritik“) nur []manches derartige inzwischen nachgeholt“. Trotzdem erklärt er „den Nachweis Webers für glänzend gelungen“. Fühlt er denn nicht selbst den klaffenden Widerspruch, der in solcher Argumentation liegt? Um so weniger wird seine erneute Zustimmung eine andere Bedeutung als die einer bloßen, sachlich belanglosen, weil unbegründeten Sympathiebezeugung beanspruchen können. Denn für Thesen und Theorien auf dem Gebiete der historischen Forschung gibt es nur eine Form des „Nachweises“: an der Hand des geschichtlichen Materials zu zeigen, daß für die Entwicklung tatsächlich eben der Gesichtspunkt maßgebend war, von dem die [ED 698]Theorie das supponiert, und zwar in der von ihr behaupteten Intensität. Daran hat sich Weber überhaupt zunächst nicht gewagt, und die Versuche, die er jetzt neuerdings in seiner „Antikritik“ in dieser Richtung gemacht hat, sind vereinzelt, ungenügend und teilweise verfehlt, wie noch gezeigt werden wird. Nur Troeltsch ist im Zusammenhange an diese Aufgabe herangetreten; aber er selber hat seine Lösung als unrichtig preisgegeben und widerrufen.

Was Weber „gelungen“ ist, das habe ich von vornherein ausdrücklich konstatiert: der Nachweis, daß die kalvinistische Berufsethik (und zwar nicht nur die puritanische, sondern, worauf ich noch zu sprechen komme, auch die Kalvins selber) Elemente enthält, die der Entwicklung des kapitalistischen Geistes Vorschub zu leisten geeignet waren. Darüber hinaus hat er nichts bewiesen, sondern lediglich manches angedeutet, wovon einiges wahr sein kann, das meiste aber falsch und übertrieben ist. Und da nach Troeltschs eigenem Eingeständnis eine Rekonstruktion des „Ganges der Dinge“ vom Autor der These selbst nicht vorliegt, sollte es da nicht das gute Recht des Kritikers sein, falls eine solche von anderer Seite gemacht ist, und zwar unter ausdrücklicher Berufung auf Weber eben als den Autor dieser These, sich damit zu beschäftigen, um zu zeigen, daß der einzige zusammenhängende Versuch, das Webersche Schema dem historischen Verlauf als zu Grunde liegend aufzudecken, keineswegs als geglückt anzusehen ist, welches auch immer die Bedeutung sein möge, die ihm im Verhältnis zu dem eigentlichen Thema der Studien von Troeltsch zukomme? Wie recht ich dabei hatte, zeigt ja der Erfolg, nämlich der Widerruf, zu dem sich Troeltsch für seine Rekonstruk[631]tion der Entwicklung verstanden hat. Jedenfalls hat Troeltsch durch seine Argumentation weder die Position der Weberschen Theorie gefestigt und gebessert, noch auch für meine Kritik seiner Ausführungen über Kalvinismus und Kapitalismus irgend welchen Mangel an Berechtigung dargetan.

II.

In der Hauptsache ist die Polemik von Troeltsch, wie schon bemerkt wurde, dem Problem der „Kulturbedeutung des Kalvinismus“ gewidmet. Er meint, daß ich hier seine Thesen bekämpft habe, ohne sie freilich von [ED 699]denen Webers gesondert zu haben. Darin täuscht er sich; ich habe garnicht daran gedacht, ihn im Schlußkapitel meines Aufsatzes zur Zielscheibe irgendwelcher Angriffe zu machen. Ich habe darin lediglich auf Wunsch der Redaktion im Anschluß an meine Kritik der Weberschen Theorie aus Anlaß des Kalvin-Jubiläums eine allgemeine Charakteristik der geschichtlichen Bedeutung Kalvins und seines Werkes gegeben. Meine Auffassung weicht nun freilich in dieser Hinsicht mehrfach von der von Troeltsch ab; insbesondere bewerte ich den Einfluß des humanistisch-rationalistischen Elements höher, als das bei Troeltsch wenigstens zum Ausdruck kommt; ich sehe auch manches nicht als eine Schöpfung der konfessionellen Faktoren an, was Troeltsch dafür erachtet. Das aber ist noch lange keine Unterschätzung des Kalvinismus und hatte auch keineswegs die Bestimmung einer Polemik gegen Troeltsch, dessen Name in diesem ganzen Abschnitt auch nicht ein einziges Mal erwähnt worden ist.

Ob nun aber die Ausführungen, an denen Troeltsch Anstoß genommen hat, als Angriffe von meiner Seite gegen ihn intentioniert waren oder nicht, – ich bin der Letzte, der ihm das Recht absprechen würde, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, wenn er die darin enthaltenen Ansichten nicht teilt. Tatsächlich aber ist die ganze Polemik, die Troeltsch gegen mich entfaltet, nur dadurch möglich geworden, daß er mir Ansichten unterschiebt, die ich nie geäußert habe, und die ich auch garnicht besitze, sowie daß er unbestreitbare Wahrheiten ausspricht, deren Spitze sich offenbar gegen mich kehren soll, die ich aber nie bestritten habe und auch garnicht zu bestreiten willens bin. Wenn ich gegen handgreifliche Übertreibungen hinsichtlich des Einflusses der religiösen Lehren auf dem Gebiet des Nichtreligiösen protestiere, so macht Troeltsch (Sp. 460) daraus, daß ich „die religiösen Ideen für etwas historisch verhältnismäßig unwichtiges halte“. Wo habe ich denn das – direkt oder indirekt – gesagt? Wo habe ich denn „kulturfördernde Wirkungen des Kalvinismus und der Konfessionen überhaupt“ (Sp. 506) geleugnet, wo die „These einer allein wirklich kulturfördernden Macht der Toleranz und Aufklärung“ aufgestellt? Und wenn mir Troeltsch darauf erwidern wollte, ich hätte das zwar nicht verbis expressis behauptet, das wäre aber der Grundton, der [ED 700]aus meinen Erörterungen herausklänge, so müßte ich ihm darauf zurückgeben, daß ein solcher Eindruck nur auf Grund einer recht flüchtigen und voreingenommenen Lektüre entstanden sein könnte.

Immerhin könnte man die Entstellung meiner Ansichten in diesen Fällen noch durch eine Annahme solcher Art, nämlich eines unrichtigen Allgemeineindruckes auf Grund flüchtiger Lektüre, einigermaßen erklären. Anders aber steht es, wenn er einen Passus über die Macht, die das konfessionelle Element noch heutzutage entfaltet, mit dem Satze abschließt: „Es kann also sogar für die Gegenwart gar keine Rede davon sein, daß ,kirchliche Kräfte ihre Wirksamkeit über das eigentlich Religiöse nicht hinaus zu [632]erstrecken pflegen‘“. Troeltsch vindiziert mir hier eine Äußerung als wörtlich von mir getan, die ich vergeblich in meiner Abhandlung suche8)[632][ED 700] Meines Erachtens handelt es sich dabei um eine schiefe Wiedergabe meiner Ausführungen, Abhandl[ung] Sp. 1327 ff., deren Sinn natürlich ein ganz anderer ist. . Ich könnte sie sogar nach der Grundanschauung, die mir Troeltsch – fälschlich – zuschreibt, nicht einmal getan haben: denn ich, der ich ja doch, wie er meint, die kulturfördernde Wirkung des konfessionellen Elementes in Abrede stelle, werde doch nicht etwa aber deshalb auch jede Wirksamkeit des Religiösen über das eigentlich religiöse Gebiet heraus, also auch einen kulturhemmenden Einfluß, bestreiten wollen? Die Anführungszeichen können doch nur den Zweck haben, den Leser glauben zu machen, daß ich solche Ungereimtheiten tatsächlich behauptet hätte; da ist es freilich leicht, zu polemisieren. Wenn Troeltsch bekennen muß – schüchtern genug, wie aus den Worten „vielleicht manchmal“ hervorgeht, – die Sätze seines Freundes Weber ungenau wiedergegeben zu haben, so darf ich mich ja nicht wundern, wenn mir durch ihn ein Gleiches widerfährt; aber von da bis zur Anführung falschen Wortlautes ist es doch noch ein starkes Stück Weges. Mir fällt es übrigens, nebenbei hier noch bemerkt, keineswegs „schwer, zu sagen, was denn dieses ,eigentlich Religiöse‘ sei, über das die kirchlichen Kräfte nicht (vielleicht gestattet mir Troeltsch hier behufs richtiger Wiedergabe der Erörterungen auf Spalte 1327 meiner Abhandlung die daselbst sich findenden, keineswegs belanglosen, von [ED 701]ihm freilich bezeichnenderweise unterdrückten Wörtchen ,ganz unbedingt‘ einzuschieben) hinauswirken.“ Aber das hat wohl seinen Grund darin, daß ich „offenbar nicht gewohnt bin, über solche Probleme nachzudenken, und daß ich das nicht für die Aufgabe des Historikers halten mag.“ Um die Tiefe dieses Problems zu würdigen, muß man eben mehr als bloß Historiker sein.

Wie Troeltsch mir bestimmte Ansichten und Urteile mit und ohne Anführungszeichen supponiert, um dagegen mit Mut und Eifer zu kämpfen, so stellt er sich für gewisse Wahrheiten in Verteidigungspositur, gleich als ob ich sie angegriffen hätte, obwohl mir das nie eingefallen ist. „Unrichtig“, so ist bei ihm zu lesen (Sp. 504), „ist schon der Satz, daß der Protestantismus wesentlich religiöser Individualismus ist. Er ist ebensosehr kirchliches Denken und als solches die Einbefassung des Staates und der gesamten Kultur nicht unter hierarchische Elemente, aber unter religiöse Normen.“ Das glaubt er mir vorhalten zu müssen, der ich (Abh[andlung] Sp. 1354) gerade davor gewarnt hatte, den Anteil des Kalvinismus an der Entwicklung einer freieren christlichen Religiosität auf der Grundlage einer wirklichen Durchführung des individuellen Prinzips und an der Ausbildung des modernen, religiös relativ weniger beeinflußten Staates zu überschätzen. Er tritt ein für die „mitbestimmende Macht des religiösen Gedankens“ bei der Ausbildung der Idee der Kirchenfreiheit und der Menschenrechte wie bei der Demokratisierung des [ED 702]politischen Denkens, während ich doch nur versucht habe, gewisse Behauptungen, die darüber weit hinausgehen, auf ein bescheideneres Maß zurückzuführen (vgl. Abh[andlung] Sp. 1357 f.). Auf demselben Blatt steht es, wenn Troeltsch sich nicht genug tun kann, die Rolle der konfessionellen Momente als Kultur- und vollends gar als Machtfaktoren zu unterstreichen. Es soll eben der Eindruck im Leser erweckt werden, als ob ich davon überhaupt nichts wissen wollte, und zu diesem Zwecke muß mir die Meinung vindiziert werden, „daß positive Kulturwirkungen nur von einem dogmenfreien und aufgeklärten Toleranz- und Moralchristentum ausgehen können“. Daß ich das nie gesagt und sogar nicht einmal gedacht haben kann, erhellt [633]schon daraus, daß ich die Möglichkeit eines Einflusses reformierter Berufsethik auf die wirtschaftliche Kultur anerkannt habe. Freilich was das Maß dieser Kulturwirkungen im einzelnen anbelangt, so wird zwischen Troeltsch und mir schwerlich Übereinstimmung herrschen: das gibt ihm aber noch lange nicht die Befugnis, mir schlechthin eine Verneinung alles Einflusses konfessioneller Momente auf die Kulturentwicklung nachzusagen. Und wenn er mir gar die Machtstellung der kalvinischen Orthodoxie des Kuyperschen Schlages in Holland und des Zentrums in Deutschland vor Augen führt, um mich an die Bedeutung des konfessionellen Elementes als Machtfaktor zu erinnern, so scheine ich ihm doch wohl der Belehrung etwas allzu bedürftig.

[[ED 717]] Einen ziemlich breiten Raum in der Polemik von Troeltsch (Sp. 502 ff.) nimmt der Widerspruch ein, den er gegen die einzelnen Beispiele einlegt, mit denen ich „mit einem an sich gewiß schätzenswerten, gesunden Menschenverstande9) [633][ED 717]Etwas wohlwollend herablassend! Aber immer noch besser, als wenn einem der gesunde Menschenverstand abgesprochen werden könnte! die Unwirksamkeit des religiösen Elementes gegenüber dem allgemeinen Leben veranschaulichen wolle“. Das ist zunächst wiederum eine durchaus falsche Supposition: ich habe nicht Beispiele zum Belege für „die Unwirksamkeit des religiösen Elementes gegenüber dem allgemeinen Leben“ beigebracht, sondern habe lediglich Beispiele für Übertreibung des Einflusses religiöser Momente angeführt: das ist doch wohl etwas ganz anderes. Ich werde die einzelnen Fälle nach einander prüfen, die er heranzieht; vorher muß ich indes noch einen Einwand allgemeiner Natur gegen diesen Passus bei Troeltsch erheben. Er wirft nämlich hier zwei ganz verschiedene Dinge durch einander: meine Zurückweisung des Übertreibens der religiösen Einflüsse und meinen Widerspruch gegen die Häussersche Formulierung des Gegensatzes zwischen Kalvinismus und Luthertum in ihrem Verhältnisse zur Lehre vom Widerstandsrechte. Selbstverständlich habe ich die Berufung der Geusen auf die deutsch-lutherische Publizistik statt auf Beza nicht als Beleg „der Gleichgültigkeit religiöser Theorien für die Praxis erzählt“. Das ist abermals eine falsche Unterstellung [ED 718]von Troeltsch, die lediglich beweist, daß er meine Abhandlung mit einer Flüchtigkeit gelesen hat, die denn doch selbst, um mit Weber zu reden, für die Zwecke einer „effektvollen Polemik“ zu weit geht.10)[ED 718] Man vergl. z. B. den ersten Satz auf Sp. 1359 meiner Abhandlung. Und es ist, um nochmals mit Weber zu reden, geradezu „unerhört“, wenn Troeltsch den Zweck der „Beispiele“, die ich in diesem Zusammenhange angeführt habe, darin erblickt, „die Bedeutungslosigkeit der religiös-ethischen Ideale für die Praxis des Lebens“ zu erweisen. Ich habe bestimmte konkrete Fälle vorgebracht, in denen Übertreibungen des Einflusses religiöser Momente auf dem Gebiet staatlicher und allgemein-kultureller Entwicklung begangen worden sind; daraus habe ich aber keinen allgemeinen Schluß nach der von Troeltsch behaupteten Richtung hin gezogen, und wenn er mir einen solchen unterschiebt, so ist das ein Verfahren, das ich hier lieber nicht charakterisieren will, da ich dann sehr bittere Worte wählen müßte.

Nun aber zu den einzelnen „Beispielen“! Troeltsch behauptet, das Luthersche Verbot der Anrufung der Obrigkeit durch die Christen, auch wenn ihnen Unrecht geschähe, stamme aus seinen spiritualistischen Anfängen und sei durch ihn später ausdrücklich widerrufen worden. Der größeren Sicherheit halber wandte ich mich um Auskunft an Erich Brandenburg, in dessen spezielles Forschungsgebiet diese Dinge ja fallen; ich gebe seine Ansicht darüber mit seiner Erlaubnis wieder. [ED 719]Darnach findet sich das [634]besagte Verbot in der Schrift „von weltlicher Obrigkeit“ von 1525; in der Auslegung des Matthäus von 1532 statuierte Luther davon zwei Ausnahmen, nämlich wenn der zu Unrecht Betroffene durch seine Stellung als Obrigkeit, Gatte, Hausvater, Dienstherr usw. zum Eintreten für andere verpflichtet ist, oder wenn sein Motiv nicht im Streben nach Rache und persönlicher Genugtuung, sondern nach Wiederherstellung des gekränkten Rechtes als solchen besteht. Das ist aber noch kein Widerruf des Verbotes: Luther bleibt vielmehr seiner Grundanschauung völlig treu, daß der Christ als solcher und für sich selbst zur Verhütung seines Schadens oder Sicherung seines Vorteiles die Gerichte nicht anrufen soll, sondern nur als Beschützer Anderer und als Verteidiger des Rechtes als solchen; dabei aber warnt Luther selber vor der Gefährlichkeit des letzten Argumentes. – Niemals habe ich behauptet, daß sich die Lutheraner mit ihren religiösen Skrupeln, betreffend das Widerstandsrecht, „so leicht abgefunden hätten“. Auch mir ist es nicht ganz unbekannt, wie sehr durch solche Skrupel die Aktionskraft der deutschen Lutheraner geschwächt worden ist; aber man hat sich schließlich doch damit abgefunden, sogar Luther selber: die realen Bedürfnisse waren eben hier einmal stärker, als das anfängliche religiöse Postulat. Und wenn man dabei verlangte, daß dazu das positive Recht eine Handhabe biete, so brauchte man da in der Regel nicht lange zu suchen. – Als Beleg dafür, daß auch Luthertum und Heroismus zusammengewirkt und große Erfolge erzielt hätten, verwies ich auf Gustav Adolf. Troeltsch entgegnet mir darauf, daß die Grundsätze des Königs „in diesem Punkte auch nicht wesentlich lutherisch waren“, daß er vielmehr unter dem Einflusse der Lehren von Hugo Grotius stand. Er beweist damit eben nur die Richtigkeit meiner These, daß nämlich religiöse Momente oft da ausgeschaltet werden, wo ihre Befolgung den realen Interessen schädlich sein würde. Gewiß war Gustav Adolf ein guter Lutheraner; aber in seiner Politik ließ er sich durch die lutherische Lehre, wo diese über das „eigentlich Religiöse“ hinausging, nicht binden: wo dieses aufhört, dafür haben die handelnden Personen der Geschichte oft einen merkwürdig feinen Instinkt bewiesen, wenngleich dem modernen Theologen die Abgrenzung schwer fallen mag. Im Übrigen ist doch Grotius nichts [ED 720]weniger als ein „genuiner Kalvinist“; jedenfalls hatte der Widerstand gegen die katholische Restauration auch noch andere Wurzeln als die kalvinistische Resistenzlehre. – Gegenüber meiner Bemerkung, die Passivität des Luthertums in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts sei zum guten Teile auf die Tatenscheu und Saturiertheit der Fürsten jener Generation zurückzuführen, macht Troeltsch geltend, daß doch zu diesen „der Hauptführer des sächsisch-lutherischen Konservativismus, Kurfürst August, sicherlich nicht gehörte“. Er irrt sich; gerade auf diesen bezieht sich mein Urteil in erster Linie. An seinem Mangel an Mut und Energie, an seinem kleinlichen Geize ist das Bestreben Wilhelms von Oranien, die lutherischen Fürsten Deutschlands in den niederländischen Aufstand hineinzuziehen, vornehmlich gescheitert, und seine religiösen Grundsätze hätten dem Kurfürsten das Eingreifen nicht verboten; hätte es heimlich, ohne Gefahr und Kosten geschehen können, so war er wohl dafür zu haben. Wenn man über den „Gang der Dinge“ so wenig orientiert ist, sollte man etwas vorsichtiger sein. – Entstehung landwirtschaftlicher Großbetriebe und Steigerung der agrarischen Produktion waren, wie ich Troeltsch nochmals (vergl. Abh[andlung] Sp. 1327) vorhalten muß, keineswegs eine „naturalwirtschaftliche Reaktion“, sondern bedeuteten im 16. Jahrhundert geradezu eine Entwicklung im Sinne kapitalistischer Unternehmung. Worauf es ankommt, das hat er bei diesem Punkt, wie man sieht, immer noch nicht erfaßt. – Daß die lutherische Staatslehre der absolutistischen Tendenz Vorschub zu lei[635]sten geeignet war, wird Niemand leugnen wollen, aber deshalb darf man noch lange nicht den bevormundenden Polizeistaat des patriarchalischen Absolutismus als „ein echtes Kind des Luthertums“ bezeichnen. Wenn von einer Parallelentwicklung in der katholischen Welt gesprochen wird, so wird man in erster Linie nicht an Frankreich denken, sondern an die größeren katholischen Territorien in Deutschland, vor allem die habsburgischen Gebiete und Bayern. In den lutherischen Ländern kommt für diese Institutionen dem religiösen Element eben nur eine „fördernde“ Bedeutung zu, und eine solche hat es auch in Ländern reformierten Bekenntnisses gehabt.11)[635][ED 720] Troeltsch bemerkt (Sp. 503), daß seines „Wissens auf dem Boden des reformierten Individualismus [ED 721]derartige Entwicklungen (im Sinne von Patrimonialstaat und Absolutismus) nicht eingetreten sind“. Da darf ich ihn vielleicht auf ein Beispiel in seiner nächsten Umgebung aufmerksam machen. In der Abhandlung von R. Sillib, Stift Neuburg bei Heidelberg (N[eues] Arch[iv] f[ür] d[ie] Gesch[ichte] der Stadt Heidelberg und der Rhein[ischen] Pfalz V, Heidelberg 1903), findet sich (S. 201) der Satz: „In der kommenden Epoche (sc. seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrh[underts]) steht die Geschichte Neuburgs unter dem Zeichen der kurfürstlichen Herrschaft. Die Reformation erwies sich in ihren Folgen für die weitere Ausbildung der fürstlichen Machtentfaltung günstig, ja der Absolutismus fand gerade in den Theologen seine wirksame Stütze. Er wurde zur herrschenden Staatsform.“ Wenn der Kalvinis[ED 721]mus in Holland, Schottland und England in antimonarchische, republikanische oder ständisch-parlamentarische Bahnen einlenkte, so dürfte die Ursache dafür weniger in seiner speziellen Staatslehre zu erblicken sein, als vielmehr in der Notwendigkeit, sich überhaupt als religiöses Prinzip durchzusetzen, d. h. zunächst seine Existenz gegenüber dem andersgläubigen Herrscher zu behaupten; von da bis zur „politisch-liberal-demokratischen Gesellschaft“ (Sp. 461) ist es noch recht weit, so daß ihre und des Kalvinismus „innerliche Verschmelzung“12) Daß das wieder eine der unzulässigen Generalisierungen ist, wie sie Troeltsch so sehr liebt, geht aus dem Beispiel der von ihm selbst so oft angeführten antirevolutionären, kalvinistisch-orthodoxen Partei Hollands von Groen van Prinsterer bis Kuyper hervor. Die Existenz dieser Partei hindert ihn aber nicht, (Sp. 465) zu behaupten, daß der moderne Kalvinismus zwar die Anwandlungen des Rationalismus des 18. Jahrhunderts ausgeschieden habe und wieder orthodox geworden sei, daß er aber den „politisch-sozialen Liberalismus“ beibehalten habe! ein Problem ist, das vielleicht noch etwas schwieriger ist, als es nach dem recht bequemen Konfessions-Schema ist, wie Troeltsch es sich zurechtlegt. Und bekanntlich ist in zahlreichen lutherischen Staaten das „echte Kind des Luthertums“, der absolute Staat, nicht in die Erscheinung getreten, sondern es haben sich hier die Landstände im Besitz einer geschützten verfassungsmäßigen und auch starken politischen Position erhalten. Diese Dinge sind ja so bekannt, daß ich sie für den einigermaßen Kundigen nur anzudeuten brauche.

Man wird es verstehen, wenn ich es vermeide, auf die Schlußbemerkungen von Troeltsch einzugehen, daß meine These von einer allein wirklich kulturfördernden Macht von Toleranz und Aufklärung mehr mein persönliches [ED 722]Kulturideal betreffe, als die „tatsächliche Kultur, die wir leben“, daß nicht nur die Konfessionen intolerant seien, sondern auch die heutige Aufklärung, und daß meine Leugnung der kulturfördernden Wirksamkeit der Konfessionen eben einer intoleranten Animosität rationalistischer Grundauffassung als meines Kulturideals entspringe. Schon die Voraussetzungen sind falsch, nämlich die Behauptung, daß ich Toleranz und Aufklärung als die allein [636]wirklich kulturfördernden Faktoren erklärt, den konfessionellen Elementen dagegen diese Bedeutung abgesprochen hätte13)[636][ED 722] Troeltsch fällt über mein Buch „Wilhelm von Oranien“ (Sp. 464) das Urteil: „Es ist daran unverkennbar eine persönliche Auffassung der religiösen Dinge beteiligt, derzufolge die Wirkung der Religion auf das Leben nicht bloß heute, sondern auch früher eine verhältnismäßig geringe ist und positive Kulturwirkungen nur von einem dogmenfreien und aufgeklärten Toleranz- und Moralchristentum ausgehen können.“ Was man nicht alles aus einem Buch heraus- oder (richtiger gesagt) in ein Buch hineinlesen kann! ; falsch ist daher erst recht, was Troeltsch aus diesen Prämissen für die Motive und grundlegenden Gesichtspunkte meiner Ausführungen zu folgern unternimmt. Ob diese den „Gang der Dinge“ richtig wiedergeben oder nicht, lediglich darauf kommt es an. Die Frage des persönlichen Kulturideals scheidet so lange aus, bis mir schiefe und unrichtige Vorstellungen und Urteile nachgewiesen sind, die sich als unbewußte oder gar als bewußte Ausflüsse meines angeblichen „Kulturideals“ entpuppen würden. Es handelt sich hier um eine Kontroverse rein sachlicher Natur; was soll da die Verquickung mit dem Momente der persönlichen Weltanschauung, eine Gewissensriecherei solcher Art? Mit Recht könnten sich Weber und Troeltsch beschwert fühlen, wenn jemand z. B. zur Erklärung ihrer Stellungnahme zum Luthertum einerseits, zum reformierten Kirchentum andererseits auch nur auf die Möglichkeit der Existenz persönlicher Beweggründe hinweisen würde.

Eine bequeme, freilich nicht gerade in ihren Mitteln sehr wählerische Polemik ist es, dem Gegner den Vorwurf der „Animosität“ wider gewisse Einrichtungen entgegenzuschleudern, die gerade das Objekt der Diskussion sind. Wenn man die Hauptbedeutung eines bestimmten positiven Bekenntnisses in dem erblickt, was von ihm für die Fortbildung christlicher Religiosität geleistet worden ist, [ED 723]wenn man ihm nicht alle diejenigen Wirkungen zuzuerkennen vermag, die ihm auf Gebieten zugeschrieben werden, welche mit dem Religiösen nur in losem und indirektem Zusammenhange stehen – ist das wirklich eine „Animosität“? Je vollkommener sich in einem Bekenntnisse das religiöse Prinzip darstellt, um so wohltätiger werden seine Ausstrahlungen auf die übrigen Lebensgebiete sein, auch wo diese ihm gegenüber ihre Selbständigkeit behaupten, und gerade dafür bietet der Kalvinismus genug der Beweise. Gewiß ist weder die frühere noch auch die heutige Aufklärung „durchaus tolerant“. Aber die Toleranz verdankt nichts anderem in höherem Grade ihre Entstehung, Ausbildung und Aufrechterhaltung, als der Aufklärung, und sie ist hinwiederum das Prinzip, auf dem die Aufklärung beruhte, der Boden, aus dem sie ihre Nahrung saugte. Wenn die Aufklärung nicht tolerant war, dann oft genug nur deshalb, weil es sich um eine notgedrungene Abwehr handelte, da Toleranz nicht gleichbedeutend mit kampfscheuer Kapitulation vor feindlichen Mächten ist. Was die Frage der relativen Intoleranz der Aufklärung mit meinen Aufsätzen zu tun hat, ist mir freilich schlechterdings unfaßbar; denn in ihnen wird kein Unbefangener eine Spur von „Animosität“ gegen den Kalvinismus als positiv-christliches Bekenntnis finden.

Gewiß, ein scharfer Hauch, das gebe ich zu, mag Troeltsch aus meinen Blättern entgegengeweht haben. Aber diese „Animosität“ hat nichts mit dem Objekte der Diskussion zu tun. Sie ist nichts weiter als der Ausdruck der Stimmung, die den Historiker befällt, wenn er sieht, wie der „Gang der Dinge“ zu Gunsten konstruktiver Theorien mitunter vergewaltigt wird. Voreiliges, unbefugtes Generalisieren auf Grund unzuläng[637]licher Kenntnis des Sachverhaltes, – das ist das Merkzeichen der Art und Weise, wie sich Troeltsch auf dem historischen Gebiete betätigt. Und ebenso verhält es sich mit seiner Praxis des literarischen Kampfes: warnt der Gegner davor, den Einfluß des religiösen Momentes auf die weltlichen Dinge in einzelnen ganz bestimmten Punkten zu überschätzen, so macht Troeltsch daraus eine von der Intoleranz der Aufklärung eingeblasene Geringschätzung der positiven Bekenntnisse im Allgemeinen, ihrer Macht- und Kulturwirkungen, ja sogar der Bedeutung der religiös-ethischen Ideale für die Praxis des Lebens [ED 724]überhaupt, der Wichtigkeit der religiösen Ideen schlechthin. So konstruiert er sich ein Phantom, gibt es für die Ansicht des Gegners aus und schlägt wacker drauf los. Eine Polemik dieser Art ist zur Unfruchtbarkeit verdammt.14)[637][ED 724] Zum Schlusse dieses Abschnittes noch einige Bemerkungen: Auf Sp. 1353 meiner Abhandlung hatte ich gesagt: Weingarten habe gezeigt, wie in England „durch die Synthese kalvinistischer und täuferischer Religiosität das Prinzip der Toleranz erzeugt und in einem großen, gewaltigen Anlaufe zum Siege geführt und statuiert wurde.“ Das glossiert Troeltsch (Sp. 505) mit den Worten: „Die kalvinistische Toleranz ist auch nach meiner Meinung aus dem Täufertum erst eingedrungen, was Rachfahl aus dem glänzenden Buche Weingartens gelernt haben will, wo jedoch gerade davon nichts steht.“ Was ich in meinem Satze gesagt habe, wird allerdings durch Weingarten belegt; er ist geradezu das Thema des ersten Teiles. Bei dieser Gelegenheit belehrt mich Troeltsch auch über die Unterschiede zwischen der kalvinistischen und der rationalistisch-aufklärerischen Toleranz. Ich bin ihm dafür natürlich sehr dankbar, möchte aber hinzufügen, daß sich bekanntlich die Toleranzbewegung in England selbst im Zeitalter der ersten Revolution nicht nur mit der Rechtfertigung der nichtkonformistischen Freikirchenbildungen begnügte, sondern auch die Forderung der individuellen Gewissensfreiheit statuierte, ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu bestimmten Sekten, und das auch von independentistischer Seite; vgl. u. a. Weingarten S. 110 ff. insbesondere S. 112 Anm. 1.

III.

Mit Troeltsch wäre somit in der Hauptsache die Abrechnung vollzogen. Insoweit als noch von ihm Äußerungen zum Thema „Kalvinismus und Kapitalismus“ im engeren Sinne vorliegen, werden sie berücksichtigt werden bei der nunmehr folgenden Auseinandersetzung mit Weber. Bei eben dieser wird es sich vornehmlich um drei Punkte handeln, um die sogenannte protestantische Askese, sodann um das Verhältnis von Toleranz und Kalvinismus für die Entwicklung des neuzeitlichen Kapitalismus und endlich um die Art und Weise, wie Weber den Begriff des „kapitalistischen Geistes“ aufgefaßt wissen will.

Der Ethik gewisser Richtungen innerhalb des Protestantismus, die er als „asketisch“ bezeichnet, schreibt Weber eine bestimmte Bedeutung für die Entwicklung des „kapitalistischen Geistes“ zu. Er versteht unter „Askese“ eine an Gottes Willen orientierte rationale Gestaltung des ganzen Daseins, [ED 725]eine methodisch gepflegte und kontrollierte Lebensführung und bezeichnet als asketische Richtungen im Protestantismus Kalvinismus, Methodismus, Baptismus und Pietismus.

Durchaus korrekt hatte ich (Abh[andlung] Sp. 1228) Webers Ansicht über den Umfang der „asketischen Richtungen“ im Protestantismus mit den Worten wiedergegeben: „Der Kalvinismus ist die bedeutendste, aber nicht die einzige Richtung des Protestantismus, die eine solche methodisch-gepflegte und kontrollierte, d. h. asketische [638]Lebensführung vorschreibt; sie ist auch, wenngleich in verschiedenartiger Begründung und Abstufung … im Pietismus, im Methodismus, im Baptismus zu finden.“ Nun erklärt Weber, daß ich viel zu lange bei seinen Ausführungen über den Kalvinismus, nicht auch bei denen bezüglich der übrigen asketischen Denominationen verweilt und dadurch ein falsches Bild von seiner These gegeben hätte: „Die Schiefheiten der Rachfahlschen Polemik beginnen schon mit dem ersten Worte der Überschrift seines Aufsatzes ‚Kalvinismus und Kapitalismus‘[]. Denn er handele, so setzt Weber auseinander, nicht nur vom Einflusse des Kalvinismus auf die Entwicklung des kapitalistischen Geistes, sondern des asketischen Protestantismus, da den asketischen Sekten in dieser Hinsicht vollste Gleichstellung mit dem Kalvinismus zukomme. Er bezichtigt mich demgemäß (S. 182) einer „Verdrehung des Diskussionsobjektes“.

Nicht nur in meiner Kritik, sondern auch in Webers These steht tatsächlich der Kalvinismus im Mittelpunkte der Erörterung. Denn aus seinem Schoße ist ja eben die Ethik entsprungen, der Weber solchen Einfiuß auf die Entwicklung des neuen kapitalistischen Stils zuschreibt, – nämlich die Lehre vom Gnadenstande und von der Bewährung und damit des Antriebes für den Einzelnen zur methodischen Kontrolle seines Gnadenstandes in der Lebensführung: das eben ist ja die „Askese“ im Sinne Webers. Die „asketischen“ Sekten, die in England im 17. Jahrhundert entstanden, sind in diesem entscheidenden Punkte einfach die Erben des Kalvinismus, und dasselbe gilt nach Webers eigener Auffassung vom Pietismus.15)[638][ED 725] Vergl. z. B. Archiv 21 S. 39 f. und Antikritik 184. Nicht anders wie ich haben Webers Freunde und Anhänger, Troeltsch und Gothein, den Zusammenhang aufgefaßt; sie haben nicht anders wie ich die Weber[ED 726]sche These in dem Schlagworte „Kalvinismus und Kapitalismus“ zusammengefaßt. Und da ich nicht nur gegen Webers These allein und an und für sich kämpfen wollte, sondern auch gegen die Art und Weise, wie sie in der wissenschaftlichen Literatur Geltung zu gewinnen begann, mußte ich meinem Aufsatze eben jene Überschrift geben.

Troeltsch sekundiert anscheinend Weber in diesem Punkte, wenigstens bis zu einem gewissen Grade. Er bezeugt (Sp. 452), Weber habe ausdrücklich hervorgehoben, „daß es sich nicht um eine unmittelbare Wirkung des primitiven Genfer Kalvinismus, sondern um eine solche des späteren puritanischen Kalvinismus handele“, und an einer andern Stelle sagt er (Sp. 455): „Überdies unterscheidet Weber vollkommen scharf den primitiven Genfer Kalvinismus von dem späteren englisch-puritanischen … Um die praktische Bedeutung dieses Puritanismus handelt es sich allein.“ Aber ob „primitiver Genfer“ oder „späterer englisch-puritanischer Kalvinismus“, – die Berechtigung meiner Überschrift wird dadurch nicht in Frage gestellt; hat doch eben derselbe Troeltsch vorher (Hist[orische] Zeitschrift 97, 43) schlechthin von einer „eigentlichen Bedeutung des Kalvinismus für den modernen Kapitalismus“ gesprochen. Und die Position der Weberschen These wird durch die neue Einschränkung von Troeltsch keineswegs gebessert; durch die Einschränkung, daß es sich bei ihr lediglich „um die praktische Bedeutung des Puritanismus handele,“ wird der Kreis ihrer Geltung noch mehr eingeengt. Für den Kapitalismus in der reformierten Schweiz, bei den Hugenotten und in den Niederlanden wird dadurch die Provenienz aus der „Askese“ revoziert: wir haben hier also den Fall der Koexistenz von Kalvinismus und Kapitalismus, aber ohne kausale Verknüpfung; in diesen Geltungsgebieten reformierter Religiosität ist wohl also der Kapitalismus noch auf Grund des „zu allen Zeiten wirksam gewesenen Erwerbstrie[639]bes“ ohne „spezifisch modem-kapitalistischen“ Habitus entstanden? Oder „belastet“ Troeltsch hier wieder einmal die These Webers „mit Irrtümern“? Nimmt man noch dazu, daß, wie wir noch sehen werden, nach dem Geständnisse beider Autoren der puritanische Kapitalismus in England und Nordamerika auf die Mittelklassen beschränkt blieb, so muß man allerdings sagen, daß sehr wenig vom modernen Kapitalismus in diesem [ED 727]„spezifisch modern-kapitalistischem“ Geiste wurzelt. Was bleibt dann überhaupt von den praktischen Wirkungen noch übrig, die er angeblich gehabt hat?

In meiner Kritik hatte ich die Frage gestellt: paßt für eine am Gotteswillen orientierte rationale Gestaltung des Daseins, für eine methodisch gepflegte und kontrollierte Lebensführung der Name „Askese“, den Weber ihr beilegt? Daß ich sie verneinte, hat Weber mit Groll erfüllt. Das Einzige, so führt er in seiner Antikritik aus, was ich selber zum Schlusse meiner „seltsamen“ Kritik aufrechterhalte, sei mein Widerspruch dagegen, daß er der von ihm analysierten Lebensführung den Namen „Askese“ beilege. Um so steriler sei diese Polemik über den Namen, als ich ihn schließlich für die gleiche Sache anwende, nur daß ich ihn in Gänsefüßchen setze. Er kann sich das nicht anders erklären, als dadurch, daß „die Professoreneitelkeit grundsätzlich der Akzeptierung irgend einer nicht von dem betreffenden selbst geprägten Bezeichnung widerstrebt“. Als Eideshelfer dafür, daß zwischen der katholischen Askese und der von ihm analysierten „innerweltlichen Askese“ des Protestantismus eine innere Verwandtschaft bestehe, zitierte er Sebastian Frank [lies: Franck] mit seinem Ausspruche, daß „jeder Mensch fortan eine Art von Mönch sei“, und Ritschls Äußerung von den „katholischen Resten“ im Protestantismus. Er betont nochmals, das Eigentümliche in der protestantischen Askese, was zugleich die Anwendung eben dieses Namens rechtfertige, bestehe eben im Bedenken gegen den Genuß als solchen, sowohl gegen den sinnlichen als auch gegen den ästhetischen, und in der rationalen Durchdringung des Lebens innerhalb der Ordnungen der Welt: Familie, Erwerb, soziale Gemeinschaft; er protestiert dagegen, daß ich ihm die Meinung supponiere, der Protestantismus habe diese seine „Askese“ einfach vom Katholizismus übernommen, und rügt das niedrige Niveau, auf das ich die Diskussion hinabgezogen habe.

Wenn Weber meint, die Polemik gegen den Namen „Askese“ sei das einzige, was ich zum Schlusse selber von meiner Kritik aufrechterhalten habe, so hat er von ihr doch wohl einen allzu optimistischen Eindruck empfangen, und seine übrigen Erörterungen gegen mich stimmen mit dieser seiner Behauptung schlecht überein. Verfehlt ist es, [ED 728]wenn er mir einen Widerspruch insofern zuschreibt, als ich selbst ohne das Wort „asketisch“ nicht auszukommen vermöchte, nur daß ich ihm Gänsefüßchen beifüge. Denn diese sind hier das Entscheidende; sie sollen dem Leser natürlich zum Bewußtsein bringen, daß ich den Ausdruck hier in einem Sinne anwende, wie er populär oft vorkommt, wie er aber nur uneigentlich zu verstehen ist, oder eben im Sinne Webers. Es ist mir gar nicht eingefallen, das Wort in der von mir reprobierten Weberschen oder in seiner populär-uneigentlichen Bedeutung von mir aus zu gebrauchen. Oft gebraucht man die Bezeichnung „asketisch“, um irgendwelche Unbequemlichkeiten, ein wenngleich geringes Maß von Enthaltsamkeit, eine gewisse durch Rücksicht und Einsicht diktierte Diskretion gegenüber dem Lebensgenusse zu charakterisieren. Der starke Raucher redet wohl schon von „Askese“, wenn er sich auf Gebot des Arztes nur noch eine Importe am Tage gönnen darf: solch populären Sprachgebrauch16)[639][ED 728] Die Literatur bietet dafür unzählige Beispiele. Besonders häufig findet er sich bei [640]Keller; so läßt z. B. im „Grünen Heinrich“ (II 10) eine „asketische Laune“ dem Helden eine Wanderung durch Nacht, Kot und Regen als eine Wohltat erscheinen. aber darf man nicht [640]in die wissenschaftliche Terminologie einschmuggeln. Bei dieser Gelegenheit, da von Askese in solchem Sinne die Rede ist, will ich mich alsbald mit Webers Tadel abfinden, ich hätte das Niveau meiner Kritik „nicht sonderlich hoch gegriffen“. Dem von ihm als Idealtypus der Unternehmer „neuen Stils“ herangezogenen reichen Geschäftsmanne, der, „asketisch“ gestimmt, nur mit Mühe zum ärztlich verordneten Austerngenuß zu bewegen war, hatte ich nämlich die gewißlich größere Zahl von Kapitalisten gegenüber gestellt, die dazu nicht erst ärztlicher Vorschrift bedürfen, ohne doch deshalb „kapitalistischen Geistes“ zu ermangeln. Nun, das Niveau der Kritik ist dem Niveau der Argumente, die durch sie bekämpft werden sollen, vollkommen angemessen. Sicherlich gibt es Kapitalisten, die „von asketischen Bedenken gegen den Genuß als solchen“ erfüllt sind; aber sie sind nicht typisch für die Kapitalistenklasse der Neuzeit, auch im Weberschen Sinne des „Unternehmers neuen Stils“, und ihre „asketischen Bedenken“ sind nicht charakteristisch für den kapitalistischen Stil der Neuzeit und seine Entstehung. Ich [ED 729]habe jedenfalls nicht damit angefangen, die Modalitäten des Austerngenusses für die Erkenntnis von Entstehung und Wesen des kapitalistischen Geistes zu verwerten.

Handelt es sich hier aber wirklich nur um eine „sterile Namens-Polemik“, und ist von meiner Seite lediglich „Professoreneitelkeit“ im Spiele, wenn ich gegen diesen Weberschen Terminus Einspruch erhebe? Niemals würde ich es wagen, bei Weber ein gleiches Motiv dafür vorauszusetzen, daß er mit solcher Zähigkeit und Vaterfreude an dem Worte „innerweltliche Askese“ festhält. Aber es ist in der Tat nicht nur der Name, der meine Bedenken erregt. Aus Webers neuesten Ausführungen (179) geht ja abermals hervor, daß er den Namen für sachlich vollkommen berechtigt erachtet, nämlich wegen der inneren Verwandtschaft zwischen katholischer und protestantisch-innerweltlicher Askese: es soll also tatsächlich durch den Namen ein sachlicher Zusammenhang angedeutet werden. Prüfen wir die Gründe, die Weber neuerdings dafür beigebracht hat.

Wenn Sebastian Frank [lies: Franck] die Leistungen der Reformation dahin kennzeichnet, daß jeder Mensch fortan „sein Leben lang eine Art von Mönch sein müsse“ (Antikritik 179), so geht schon aus der ganzen Art dieser Äußerung hervor, daß es sich lediglich um einen Vergleich, um eine Redefigur handelt, die er zur Wiedergabe seines subjektiven Eindruckes verwendet; darauf läßt sich keine wissenschaftliche These begründen. Ohne Zweifel hat Ritschl Recht, wenn er von „katholischen Resten“ im Protestantismus, zumal im Pietismus spricht; es finden sich hier Züge, die man als „asketisch“ bezeichnen kann, und zwar im Sinne der echten katholischen Askese, nämlich in der Richtung zu Weltflucht und zu Erwerbung besonderen Verdienstes: das sind gewiß katholisierende Tendenzen, wenn man so will, „katholische Reste“. Ein gleiches gilt von den Täufern und den von ihnen abgeleiteten Sekten. Was sie vom eigentlichen Protestantismus unterscheidet, das ist ja gerade ihre in des Wortes eigentlichster Bedeutung „asketische“ Grundauffassung im Sinne mittelalterlicher Weltflucht, und auch darin flndet ein Kenner der Reformationsgeschichte, wie Kawerau17)[ED 729] Möller-Kawerau, Lehrbuch der Kirchengeschichte. III2 1899. S. 83. [ED 730]den Beweis, daß sie im Gegensatz zum Protestantismus noch von der „katholischen Stufe des Christentums“ sich nicht vollständig emanzipiert hatten: gerade der Mangel an „Askese“ ist somit nach Kawerau das entscheidende Merkmal, welches die protestantische von der katholischen Religiosität trennt; einer Auffassung dieser Art aber würde die Annahme [641]einer „inneren Verwandtschaft“ reformierter Berufsethik mit katholischer Askese wahrlich nicht entsprechen. Weber verwahrt sich dagegen (S. 180), daß ich ihm „die törichte Behauptung unterschiebe, daß der Altprotestantismus als Ganzes die Askese vom mittelalterlichen Katholizismus übernommen habe“. Daß ich ihm diese Behauptung nicht untergeschoben haben kann, geht daraus hervor, daß gerade ich auf die Meinungsdifferenz aufmerksam gemacht habe, die zwischen Weber und Troeltsch insofern vorliegt, als nur dieser von einer Askese des Altprotestantismus als eines Ganzen spricht, – und was die Berechtigung des schmückenden Beiwortes „töricht“ anbelangt, so überlasse ich die Äußerung darauf dem Autor des Satzes: „Aber auch noch ein weiteres Hauptcharakteristikum dieser Kultur (sc. der supranaturalistischen Kultur des katholischen Mittelalters) dauert fort, die Askese“.18)[641][ED 730] Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus, Histor[ische] Zeitschr[ift] 97. S. 24. Wie sich Weber mit der von mir konstatierten, soeben erwähnten „Meinungsdifferenz“ zwischen ihm und Troeltsch abfindet, werden wir alsbald erfahren; hier sei nur noch einmal speziell zu Webers kalvinistischer „Askese“ bemerkt: keineswegs bestehen in der kalvinistischen Ethik Bedenken gegen den Lebensgenuß an und für sich, weder in sinnlicher, noch auch in ästhetischer Hinsicht; weit davon entfernt, ihn zu verbieten, hat Kalvin ihn sogar für geboten erklärt, in Ansehung, daß es sich dabei um Geschenke Gottes handelte, insofern nur die Freude an diesen Genüssen das Übermaß vermeide. Eine rationalistisch geregelte Lebenshaltung, die an Gottes Willen orientiert ist, ist keine Askese; sie wird auch vom katholischen Laien gefordert, und noch viel weniger dürfen wir eine unter religiösen Gesichtspunkten methodisch gepflegte und kontrollierte Lebensführung deshalb Askese nennen, weil es im Katholizismus eine besondere Art der Askese gibt, deren Kenn[ED 731]zeichen methodische Regelung und Kontrolle ist.

Zur Frage der Askese hat sich auch Troeltsch sehr eingehend (Sp. 458 ff.) geäußert; sie ist fast das einzige Kapitel im Thema „Kalvinismus und Kapitalismus“, das er jetzt noch im Zusammenhange behandelt, und er tut das, weil er sich hier als theologischer Fachmann auf seinem Gebiete fühlt, über das ich als Laie „kaum zu urteilen“ imstande bin. Sowohl er wie auch Weber erkennen an, daß sie mit dem Worte „Askese“ verschiedenartige Vorstellungen verbinden. Troeltsch sucht diese Differenz dadurch zu erklären, daß sie beide „von einer ganz verschiedenen Problemstellung“ ausgegangen seien. Das mag ja ganz richtig sein; aber eine Tatsache ist es, daß beide unter „Askese“ im Protestantismus etwas ganz anderes verstehen, und ich habe eben lediglich dieses Faktum konstatiert. Noch bequemer findet sich Weber mit der Schwierigkeit ab; indem er meine Feststellung erwähnt, bemerkt er (S. 182 Anm. 1): „Freilich töricht genug: Es handelt sich einfach um Unterschiede in der Terminologie, nicht in der Sache.“ Das ist freilich eine billige Manier, Meinungsverschiedenheiten in grundlegenden Fragen unter einen Hut zu bringen. Für den einen ist jedenfalls die ganze altprotestantische Ethik „Askese“, für den andern nur die des Kalvinismus und bestimmter Sekten: ist das wirklich nur ein Unterschied der Terminologie? Auch Troeltsch meint freilich: „Auf Worte kommt es nicht an. Der Sachverhalt ist klar.“ Ganz kann man doch wohl nicht der passenden „Worte“ für die Feststellung des Sachverhalts entbehren. Im übrigen formuliert er jetzt einen Unterschied zwischen „asketischen Übungen im engeren Sinne“ und zwischen „Askese im weiteren Sinne“, indem er hierunter „die überweltliche Richtung des christlichen Denkens“ versteht; er erklärt, daß das „ein längst einge[642]bürgerter Sprachgebrauch“ sei. Da hätten wir nun also glücklich die dritte Art „protestantischer Askese“.

Allerdings über die „Askese“ mitzureden, habe ich kein Recht; das ist ein mir „fachwissenschaftlich nicht vertrautes Gebiet“, auf dem mir ebensolche Entgleisungen widerfahren, wie Troeltsch auf dem meinigen. Er führt das auch dem Leser eindringlich genug vor Augen. In meiner Abhandlung (Sp. 1263) hatte ich das Urteil gefällt: „Die Askese des Mittelalters war eine Sondermoral, die der [ED 732]Protestantismus nicht übernommen, sondern verworfen hat. Er hat vielmehr die allgemeine christliche Ethik, wie sie für jedermann ohne Ausnahme gilt, nach bestimmten Richtungen fortgebildet. Dazu gehörte es, daß die Berufslehre auf einem neuen Fundamente aufgebaut wurde, indem sie zur höchsten sittlichen Betätigung des Menschen erklärt und allen zur Pflicht gemacht wurde.“ Das glossiert Troeltsch mit den Worten (Sp. 460); „Also der Katholizismus ist allgemeine christliche Ethik plus Sondermoral der Askese, der Protestantismus ist dasselbe ohne hinzukommende Sondermoral, überdies aber eine Fortbildung in bestimmten Richtungen, die trotzdem gleichzeitig doch ein neues Fundament sind; und das Ergebnis von alledem ist die Arbeit als höchste sittliche Betätigung!“ Wenn er hinzufügt; „Hier ist jeder Satz falsch und geht alles drunter und drüber“, so hat er damit ganz recht, wenn er nämlich seine Verdrehung meiner Erörterung meint. Urteile über bestimmte Entwicklungsvorgänge in das Gewand einer arithmetischen Formel kleiden, – das kann nichts anderes als ein Zerrbild geben. Er korrigiert weiterhin die letzte Wendung in dem aus meiner Abhandlung zitierten Passus dahin, die Berufsarbeit sei für den Protestanten nicht die höchste sittliche Leistung, sondern nur „die natürliche Form, innerhalb deren die eigentlich sittliche Leistung der Gottesliebe und Nächstenliebe sich zu bewegen hat.“ Ich akzeptiere diese Belehrung sehr gern, wundere mich aber, warum er sie nicht in erster Linie an die Adresse Webers gerichtet hat, dem ich in diesem Falle nur gefolgt bin19)[642][ED 732] Vergl. Weber, Archiv 20, S. 41: „unbedingt neu war jedenfalls (sc. in der Reformation) zunächst eines: die Schätzung der Pflichterfüllung innerhalb der weltlichen Berufe als des höchsten Inhaltes, den die sittliche Selbstbetätigung überhaupt annehmen konnte“. Man sieht: ich referiere in dem durch Troeltsch beanstandeten Passus lediglich Webers Ansichten. ; ich will es mir aber merken, daß nicht einmal auf die Partien Webers unbedingter Verlaß ist, die ich bisher im Gefühle meiner Unzuständigkeit nicht angezweifelt habe. Im übrigen bin ich mir der Grenzen meiner Kompetenz sehr wohl bewußt, und ich greife nicht gern auf Gebiete hinüber, wo ich zu den Urteilen eigentlicher Fachleute Stellung nehmen muß. Hier liegt nun die Sache so, daß ich mit meiner Auf[ED 733]fassung, insofern ich mich damit in Widerspruch gegen die Autorität von Troeltsch setze, keineswegs allein als Nichtfachmann dem Fachmanne gegenüberstehe; ich schließe mich hier lediglich gegen Troeltsch anderen Fachleuten an, wie Loofs, Lang, Scheel und Kawerau, die von einer protestantischen Askese im Sinne von Troeltsch nichts wissen und sie zum Teil direkt ablehnen20)[ED 733] Kattenbusch, in dem soeben erschienenen Referate „Kirchengeschichte“ in der „Theolog[ischen] Rundschau“, Jahrg. 1910, Heft 4, S. 144, schließt die „innerweltliche Askese“ gleichfalls in Gänsefüßchen und fügt hinzu; „wie er (sc. Weber) es nannte[] – eine recht skeptische Nuance. , und das um so lieber, als sich mein historisches Gefühl gegen die Vermengung zweier so grundverschiedener Erscheinungskomplexe, wie der katholischen Weltverneinung und der protestantischen Ethik, durch das Bindeglied einer [ED 734]gemeinsamen Benennung sträubt. Ich kann es wohl [643]verstehen, wenn gerade bei diesem Probleme Troeltsch das Bedürfnis nach einer kleinen Revanche anreizt, nun einmal mir gegenüber den Fachmann herauszukehren; ich fürchte nur, daß die Gelegenheit vielleicht nicht ganz glücklich gewählt ist. Sollte seine Lehre von der protestantischen Askese erst einmal in der theologischen Wissenschaft allgemein anerkannt sein, so will ich mich einer vox communis der Fachmänner schließlich beugen; vorderhand scheint es mir geraten, erst noch ein Weilchen eine abwartende Haltung einzunehmen und nichts zu übereilen.

[ED 755]IV.

Nur eine „einzige ernsthafte These“, so dekretiert Weber (Antikritik S. 182), setze ich der seinigen entgegen, und auch für diese, fügt er hinzu, „bietet überhaupt erst die Möglichkeit“ die von mir beliebte „ganz willkürliche Beschränkung des Diskussionsobjektes auf den Kalvinismus.“ Dieser Zusammenhang leuchtet mir nicht ganz ein; ich halte dafür, daß ich auch, wenn ich statt „Kalvinismus“ den Titel „asketische Denominationen im Protestantismus“ gesetzt hätte, der Toleranz ganz dieselbe Rolle für die ökonomische Entwicklung hätte zuschreiben können, von der Weber hier spricht. Wenigstens gibt er hier doch zu, daß ich eine „ernsthafte These“ aufgestellt habe, wenngleich sie die „einzige“ ist und bleibt, und er geht daran, sie zu „erledigen“. Nicht viel später (S. 190) hat er dieses kleine Zugeständnis aber schon wieder vergessen, indem er mir vorwirft, ich hätte überhaupt keinen Standpunkt, mit dem man sich auseinandersetzen könnte: „Man kaut bei ihm (sc. Rachfahl) auf Sand!“ Wohl bekomm’s!

Sowohl Weber wie auch Troeltsch sind mit der Rolle nicht einverstanden, die ich der Toleranz zuschreibe; ihre Argumentation ist ganz dieselbe; ich halte mich hier an die Formulierung bei Troeltsch (Sp. 505): „Die Toleranz ist unzweifelhaft ein Mittel der ökonomischen Förderung gewesen. Aber nicht die Toleranz an sich bewirkte Intensität der wirtschaftlichen Arbeit, sondern die Eigenart der Menschen, denen die Toleranz zugute kommt … Wenn heute in Spanien die volle Toleranz eingeführt würde, so würde sie vermutlich an dem wirtschaftlichen Charakter der Bevölkerung wenig ändern … Daß die Toleranz als Wegfall kirchlicher Bindungen dann einem natürlichen und normalen, überall vorhandenen Erwerbstriebe damit eo ipso Raum schaffen würde, das wäre doch eine sehr kindliche, längst überwundene ,Psychologie‘.“ Und ebenso führt Weber aus: „Für die Entwicklung desjenigen Habitus, den ich (ad hoc und lediglich für meine Zwecke) ,kapitalistischen Geist‘ getauft habe, kommt es [ED 756]ganz offenbar darauf an, wem die Toleranz im konkreten Fall zugute kam.“ Waren das, so fügt er hinzu, die asketischen Richtungen im Protestantismus, so wirkten sie regelmäßig im Sinne der Verbreitung dieses Geistes; aber diese Wirkung war nicht eigentlich Folge der Toleranz als solcher: „wo ,asketische‘ protestantische Denominationen mit den anderen christlichen Denominationen gleichberechtigt konkurrieren, war die Regel, daß die ersteren die Träger des Geschäftslebens sind.“

Das ist wieder einmal das bewährte Fechterstückchen, – einen Popanz herzustellen, als Meinung des Gegners auszugeben und wacker drauf los zu pauken. Wo habe ich denn auch nur mit einem Wort die Toleranz als solche als Trägerin „kapitalistischen Geistes“ oder als wirkende Ursache kapitalistischer Entwicklung hingestellt? Wer immer meine Abhandlung mit einiger Aufmerksamkeit gelesen hat, wird mir zugestehen, daß ich die Toleranz für die ökonomische Entwicklung lediglich zu den kulturfördernden Faktoren rechne. Ich muß es mir doch sehr verbitten, daß mir eine so „kindli[644]che Psychologie“ zugeschrieben wird, als ob ich meinte, es gäbe einen überall gleichmäßig vorhandenen und normalen Erwerbstrieb, der mit dem Wegfall kirchlicher Bindungen sofort eo ipso in Aktion träte. Kann man mit Gegnern, die mit derartigen Suppositionen arbeiten, überhaupt noch diskutieren? Mit solchen Ungereimtheiten haben meine Ausführungen über Toleranz und Wirtschaft nichts gemeinsam. Ich habe lediglich (Abh[andlung] Sp. 1372 [lies: 1352] ff.) ausgeführt, wie für die ökonomischen Schicksale der großen Nationen das Verhältnis von Einfluß war, in welchem bei ihnen Religion und Politik standen, und wie die freiere Gestaltung dieses Verhältnisses in der Tendenz zur Ausbildung einer staatlichen Toleranz in religiösen Dingen dem wirtschaftlichen Gedeihen der protestantischen Völker Vorschub leistete; sie war der Boden, dessen der kapitalistische Geist bedurfte, um feste Wurzel zu fassen und nicht der Verkümmerung ausgesetzt zu sein, und das ist nicht Konstruktion, sondern historische Tatsache.

[ED 757]Es ist selbstverständlich, daß da, wo die reformierte Ethik unter der Herrschaft des Toleranzprinzipes die ökonomische Entwicklung vorwärts getrieben hat, das „nicht einfach Folge der Toleranz als solcher war“. Ich gebe auch weiterhin zu, daß unter der Herrschaft der Toleranz reformierte und pietistische Minderheiten vielfach vor den anderen christlichen Gruppen einen Vorsprung gewonnen haben, Träger kapitalistischer Entwicklung geworden sind, und daß dafür ihre spezielle Berufsethik eine Rolle gespielt haben mag.21)[644][ED 757] Mehr als die Möglichkeit (allerdings in einem hohen Grade der Wahrscheinlichkeit) wird man, wie bisher die Sachlage immer noch ist, nicht behaupten können. Damit ist nun freilich Troeltsch nicht zufrieden. Ich hatte Webers These, daß die Lehre Baxters das praktische Leben entscheidend beeinflußt hätte, als eine „bloße Meinung“ gekennzeichnet. Troeltsch ist damit nicht einverstanden: „dafür gibt Rachfahl keinen Grund an. Jedenfalls hat er ihre Unwirksamkeit in diesem Falle nicht bewiesen, und die Übereinstimmung von Theorie und Praxis, für die Weber genug Beispiele bringt, braucht daher hier garnicht in Frage gestellt zu werden“. Eine sonderbare Art von historischer Methode! Die Verpflichtung des Beweises liegt doch wohl dem Autor einer These ob. Wo sind denn übrigens die Beispiele Webers für die Übereinstimmung zwischen Theorie und Praxis zu finden? Auch habe ich gar nicht die „Unwirksamkeit“ von Webers These „in diesem Falle“ behauptet. Aber leugnen muß ich, daß es da, „wo ,asketische‘ protestantische Denominationen mit anderen christlichen Denominationen gleichberechtigt konkurrierten, die Regel war, daß die ersteren die Träger des Geschäftslebens sind.“ Wenn Weber jetzt abermals diese Behauptung ausspricht, so ignoriert er einfach denjenigen Teil meiner Abhandlung, worin ich für die Länder Westeuropas und für die Vereinigten Staaten von Nordamerika nachgewiesen habe, daß Weber und Troeltsch die Bedeutung des Kalvinismus, sowohl des genuinen als auch des puritanischen, für die Entwicklung des „Geschäftslebens“ übertreiben, daß vielmehr als Träger des kapitalistischen Geistes und der Kapitalbildung libertinistische, rationalistische, indifferente und aufklärerische Elemente in viel größerem Umfange in Betracht kommen, als man nach diesen beiden Autoren annehmen sollte.22) In meinen Aufsätzen hatte ich zur Korrektur der zumal von Weber vertretenen Ansicht vom kalvinistischen Monopol für die kapitalistische Entwicklung auf das lutherische Hamburg hingewiesen. [ED 758]Dem gegenüber begnügt sich Weber (S. 184) „für jetzt von einer freundlichen brieflichen Mitteilung des Herrn Kollegen Adalbert Wahl in Hamburg Gebrauch zu machen“. Darnach reicht in charakteristischem Gegensatz zu [645]dem ihm (A. Wahl) von früher bekannten Verhältnissen in dem reformierten Basel mit seinem sparsam festgehaltenen Reichtum des alten Patriziates, in Hamburg „keines der bedeutenden Familienvermögen, auch der als altvererbt geltenden, in das 17. Jahrhundert zurück, – mit einer einzigen Ausnahme: und diese bildet eine bekannte reformierte Familie.“ Ich weiß nicht, ob Weber dem Briefschreiber einen besonderen Dienst mit der Wiedergabe dieser Äußerung erwiesen hat. Einmal ist, worauf mich ein Kollege von auswärts aufmerksam macht, der Reichtum einer Überseehandelsstadt viel beweglicher und unsicherer, als der einer Industriestadt, wie Basel. Sodann kommt es in diesem Falle auf die ökonomische Stellung und Bedeutung Hamburgs nach der Mitte des 16. Jahrhunderts an, auf den seit diesem Zeitpunkte unverkennbaren wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt, nicht auf die Provenienz des heutigen Hamburger Großkapitals.

[645]Es lohnt sich, die Antikritik Webers, [ED 758]insoweit sie sich mit diesem Teile meiner Abhandlung beschäftigt, etwas schärfer unter die Lupe zu nehmen. Ich richte, so hält er mir vor, das Augenmerk viel zu sehr auf die „großen Geldleute, die ökonomischen Übermenschen“, während doch die Repräsentanten des kapitalistischen Geistes vielmehr gerade „in den bürgerlichen aufstrebenden Mittelständen“ zu suchen sind, welche die Träger der puritanischen Lebensauffassung waren. Gewiß kann auch ein Flickschuster in der Verwertung seiner Arbeit Gaben entfalten, die man „kapitalistischen Geist“ zu nennen sich versucht fühlen möchte: aber sollten sich nicht – wir kommen noch darauf zu sprechen – Untersuchungen über die Geschichte des „kapitalistischen Geistes“ lieber solche Verhältnisse zum Objekte wählen, wo wirklich der Kapitalismus das Substrat des „kapitalistischen Geistes“ ist? Die „bürgerlichen Mittelklassen“, wie sehr sie auch aufstrebten, ihre ökonomische und soziale Position verbesserten, sind doch als solche nicht zu Trägern des Kapitals und des kapitalistischen Systems geworden, und so dürfte es für Fragen, die im weitesten Umfange mit der Geschichte des Kapitals zusammenhängen, doch geraten sein, den Blick vornehmlich auf die „großen Geldleute“ und „auf die ökonomischen Übermenschen“ zu lenken, d. h. auf die Entstehung der großen Vermögen23) Anderwärts weiß Weber freilich sehr genau, daß dies das wahre Problem ist, wenigstens benutzt [ED 759]er sehr gern Wahls Mitteilung über Hamburg bezüglich der jetzt „bedeutenden Familienvermögen, auch der altererbten“; vergl. die vorige Anmerkung. und den „Geist“ zu ergründen, der dabei wirksam war.

[ED 759]Einen ernsthaften Versuch, meinen Nachweis, daß kapitalistische Entwicklung und „kapitalistischer Geist“ in seinem Sinne keineswegs in dem von ihm angedeuteten Verhältnisse stehen, im einzelnen zu bestreiten, hat Weber nicht einmal gewagt. Was Frankreich betrifft, so begnügt er sich mit dem Ausrufe: „Noch schlimmer freilich, daß er (sc. Rachfahl) von der Bedeutung des Hugenottentums und seiner Beziehungen zur Industrie einfach gar nichts weiß!“ Noch nie ist mir meine Ignoranz so fürchterlich zum Bewußtsein gekommen. Für England hatte ich (Sp. 1203 [lies: 1293]) darauf hingewiesen, daß Kapitalismus und „kapitalistischer Geist“ schlechthin bereits im 16. Jahrhundert wirksam waren, also vor dem Eindringen der reformierten Berufsethik, und daß auch später, unbeeinflußt von dieser, Kapitalismus und kapitalistischer Geist ihre Wege gegangen sind. Das veranlaßt Weber abermals zu einem Ausrufe, der meine ganze Torheit an den Pranger stellt: „Was aber ist das für ein Methodiker, der die sonderbare These aufstellt: in England sei die ,Existenz des kapitalistischen Geistes auch ohne dies‘ (das religiöse Moment) zu begreifen, ,obschon wir keineswegs seinen Einfluß leugnen wollen‘. Also ein ,Moment‘, welches kausal wichtig war, welches aber dennoch der ,Historiker‘ auch als irrelevant beiseite lassen kann, wenn er jenen Zusammenhang [646],begreifen‘ will.“ Was mit meinem Satze gesagt sein sollte, ist wohl jedermann klar, außer dem wahren „Methodiker“ Weber: der kapitalistische Geist ist nicht einfach, wie Weber behauptet, in England aus der kalvinistischen Berufsethik hervorgegangen; aber diese kann seine Ausbildung in der Folgezeit gefördert und seine Wirkungen erhöht haben.

Aber nicht nur als „Methodiker“ errege ich Webers Anstoß, sondern auch als „Historiker“. Weil mir die puritanische Berufsethik, so läßt sich Weber vernehmen, nicht sympathisch ist und nicht in das begriffliche Schema hineinpaßt, welches ich mir vom Gange der Entwicklung der protestantischen Ethik gemacht habe, „wie er – eigentlich hätte sein sollen“, bewerfe ich sie mit Werturteilen, wie Verzerrung u. dergl.; entrüstet fragt er: „was ist das für eine Art von ,Historiker‘?“ Der Satz, dem Webers Ent[ED 760]rüstung gilt, lautete (Sp. 1325): „Und gewisse Eigenschaften, die Weber bereits im puritanischen Kapitalismus feststellt, wie selbstgerechte und nüchterne Legalität, Bewußtsein der Tadellosigkeit, formalistisch harter Charakter, pharisäisch gutes Gewissen usw., sind, wenn sie wirklich von ihren Trägern aus der kalvinischen Berufsethik abgeleitet, oder, wenn diese von ihnen als Rechtfertigung und Basis solcher Handlungsweise herangezogen wurde, als Auswüchse und Verzerrungen zu bezeichnen, als eine Verkümmerung des wahren Wesens reformierter Sittlichkeit.“

Man erkennt aus dem Wortlaute, aus dem beigefügten Wörtchen „wirklich“, daß ich hier nur hypothetisch spreche24)[646][ED 760] Als einen weiteren Beleg dafür, wie Weber mit hypothetisch verschränkten Urteilen des Gegners umspringt, führe ich an seinen Satz S. 194 Anm. 23: „Wo ich von einer ,absoluten‘ Herrschaft des Puritanismus im englischen Wirtschaftsleben gesprochen haben soll, ist mir unverständlich.“ Meine Bemerkung (Sp. 1293) lautete: „Nur eine Episode in der politischen Geschichte Englands war die volle Herrschaft des Puritanismus, und keineswegs ist die Frage schon vollkommen spruchreif, welches seine Bedeutung für die englische Wirtschaftsgeschichte ist, ob er auch auf diesem Gebiet jemals eine so absolute Herrschaft ausgeübt hat, wie es nach Weber der Fall sein müßte“, d. h. wenn die Webersche These von Wesen und Herkunft des „kapitalistischen Geistes“ richtig wäre. Das ist wohl doch etwas ganz Anderes. ; ich lasse deutlich genug den Zweifel durchblicken, ob diese Züge, wenn sie sich gleich im puritanischen Kapitalismus finden, so ohne weiteres auch zur puritanischen Berufsethik gehören. Wenn mir Herr Weber auf diese Sachlage hin die Qualität als „Historiker“ abspricht, so werde ich das zu ertragen wissen; darin aber eine „Bewertung“ puritanischer Ethik25) Troeltsch hinwiederum schreibt auf Grund dieser Ausführungen (ich wüßte nicht, welche Stellen er sonst dabei im Augen haben könnte) meiner Abhandlung „starke allgemein moralische Allüren“ zu; in pikantem Kontrast dazu findet er, daß manche meiner Sätze „zum barsten Geschichtsmaterialismus“ führen könnten. Ich notiere das nur, um die „Allüren“ der Polemik von Troeltsch zu beleuchten. zu erblicken, dazu gehört eine Aufgeregtheit, die Augenmaß und billiges Urteil ganz und gar geraubt hat.

Nicht minder unsubstanziiert ist Webers Antikritik hinsichtlich der Entwickelung in den Vereinigten Staaten. Er hilft sich hier mit einer längeren Anmerkung (188 Anm. 14), worin er sich in Erörterungen ergeht, die mit dem, was ich ihm entgegengehalten habe, [ED 761]zum Teile keine Beziehung haben, und auf die ich einzugehen daher keinen Anlaß habe.26)[ED 761] So hält er mir vor, daß mir „die innere Entwicklung Pennsylvaniens, die tragischen Konflikte der Quäkerethik mit der ,Welt‘ und ebenso die … Intensität der aus [647]Askese und Rationalismus gemischten Lebensluft … in ihrer Rolle für Lebensstil und Berufsauffassung völlig unbekannt zu sein scheint“ u. dgl. m. Meine Aufgabe war es, den wirklichen Manifestationen „kapitalistischen Geistes“ nachzugehen, nicht aber über Sachen zu reden, die Weber interessieren, mit meinem Thema aber eben nicht viel zu schaffen haben. Wer wird die Einwirkungen des Puritanismus auf die gesellschaftliche Entwicklung in den Vereinigten Staaten, auf den hier noch heutzutage herrschenden Lebensstil leugnen? Aber er war nicht der Boden für die Anfänge des kapitalistischen Systems im 18. Jahrhundert. Hier insbesondere variiert er das Thema, daß sein Habitus des kapitali[647]stischen Geistes es gar nicht mit dem Großkapitalismus zu tun habe. Für die Existenz eines „kapitalistischen Geistes“ in Nordamerika im 17. Jahrhundert, der diesen Namen verdienen würde, bringt er auch jetzt noch keinen Nachweis, sondern nur dafür, daß hier ein Geist des Fleißes, der Sparsamkeit, Strebsamkeit und ernster Berufsauffassung gewaltet hat; darin aber wird man schwerlich schon die Spuren eines „kapitalistischen Geistes“ entdecken und höchstens daraus schließen, daß Webers Habitus „kapitalistischen Geistes“ gar nicht als „kapitalistischer Geist“ gelten kann. Es ist ihm sehr unangenehm, daß ich ihn darauf festgenagelt habe, daß er hier aus der frühen Blüte des Handwerks auf die Existenz kapitalistischen Geistes geschlossen hat. Da zieht er denn flugs wieder meine Historiker-Qualität in Zweifel: „daß ein Historiker kein Unterscheidungsvermögen für die ökonomischen Existenzbedingungen des Gewerbes in einem Kolonialland, wie das alte Neuengland es war, und im europäischen Mittelalter hat – wie die höhnische, aber meines Erachtens etwas lächerliche Bemerkung Sp. 1294 unten zeigt – ist schlimm genug“. Hier handelt es sich einfach um die Frage, ob kapitalistischer Geist nachweisbar ist, und aus einer noch so frühen Blüte des Handwerkes darf das eben noch nicht geschlossen werden. Das Handwerk des deutschen Mittelalters mußte sich gleichfalls aus primitiven ökonomischen Bedingungen, aus dem Zustande der Naturalwirtschaft heraus in die Höhe arbeiten, [ED 762]wie das im amerikanischen Koloniallande; im Gegenteile konnten hier durch die Beeinflussung von Europa aus mit seinen entwickelteren Zuständen viel schnellere Fortschritte erzielt werden. Die Quintessenz der Ansichten Webers über das Verhältnis von puritanischem Lebensstil und kapitalistischem Systeme in Nordamerika gibt jetzt der folgende Satz (192 Anm. 22a): „Ich habe aus dem Auftauchen des ,kapitalistischen Geistes‘ (in meinem Sinne!) an einer Stelle, wo die ökonomischen Bedingungen dafür (damals noch!) so ungünstig wie möglich waren, gerade geschlossen, daß die Methodik der Lebensführung, welche (damals) Neuengland und Pennsylvanien beherrschte, von sich aus die Antriebe dazu in sich barg. Daß ein solcher Keim dann der erforderlichen ,Bedingungen‘ bedurfte, um zur Entstehung eines kapitalistischen ,Wirtschaftssystems‘ mitwirken (mitwirken!) zu können … habe ich … gesagt.“ Tatsächlich sind für die Entstehung und Entwicklung des kapitalistischen Wirtschaftssystems, als die „Bedingungen“ dafür gegeben waren, in Nordamerika in der Hauptsache ganz andere Faktoren maßgebend gewesen, und die Mitwirkung der „Methodik der Lebensführung“ war, wenn sie stattfand, eine recht bescheidene.

Am luftigsten sind die Vorstellungen, die sich Weber über den Gang der Dinge in Holland gebildet hat, und der Kommentar, den ich dazu geliefert habe, hat Webers hellsten Zorn entfacht. Ich muß hier etwas länger verweilen, zumal da Weber für Holland – abermals mit Freundeshilfe – ein neues Argument vorgebracht hat, dem er zugleich eine fundamentale Bedeutung für seine These überhaupt zuschreibt. Weil er in dem bekannten Ausspruche, „die Ketzerei“ begünstige den Handelsgeist, unter „Ket[648]zerei“ schlechtweg Kalvinismus verstand, hatte ich ihm bedeutet, daß er von der eigentlichen Art der holländischen „Ketzerei“ wenig wisse. Darüber ist er sehr entrüstet. Er nennt das „ein starkes Stück“, da ich selber „nichts Neues von Belang“ darüber beigebracht habe, und erwidert, daß er sehr wohl vom Arminianismus in den führenden Schichten des holländischen Großbürgertums geredet habe. Ich kann darauf nur antworten, daß das Problem der „holländischen Ketzerei“ mit dem späteren Gegensatze zwischen Arminianismus und kalvinisch-orthodoxer Theo[ED 763]logie noch keineswegs erschöpft ist.27)[648][ED 763] Nicht minder verzerrt gibt Troeltsch meine Ansichten hier wieder. Spalte 463 schiebt er mir den Satz unter, daß die Niederlande „zu ihrem ihnen eigentlich natürlichen Geiste, der erasmischen Aufklärung, und damit zur historischen Größe erst durch den Arminianismus gelangt“ seien! Wo habe ich solchen Unsinn gesagt? In dieselbe Kategorie gehört es, wenn er behauptet, ich sähe „im Arminianismus nur den Geist der Niederlande zu sich selber kommen“. Gegen diesen Ausspruch, den ich, nebenbei gesagt, nie getan habe, erhebt er den Einwand, man könne dann „ebensogut behaupten, daß der deutsche Geist erst im Altkatholizismus sich erfaßt habe“. Sollte nicht immerhin der Arminianismus in der holländischen Geistesgeschichte eine etwas andere Rolle spielen, als in der deutschen der Altkatholizismus? Wenn er endlich die Meinung, daß „Erasmus den niederländischen Nationalgeist darstellt[], für eine unbegreifliche Übertreibung hält, so mag er sich doch mit Busken-Huet, der sonst Webers Autorität für Holland ist, auseinandersetzen, der (Rembrandts Heimat I 120) das Urteil gefällt hat: „Trotz der reformierten Staatskirche und des Heidelberger Katechismus läßt sich die allgemeine Denkweise der Holländer mit den Worten bezeichnen: La Hollande est de la religion d’Erasme.“ Mit welcher Kunst es Weber versteht, aus den Schriften des Gegners etwas ganz anderes herauszulesen, als drin steht, dafür hier ein besonders schlagendes Beispiel. Ich hatte (Sp. 1290 f.) von dem „Siege“ gesprochen, den die Orthodoxie mit Hilfe des Prinzen Moritz und einer bestimmten Amsterdamschen Kapitalistenklique auf der Synode zu Dordrecht über den Arminianismus errang, und hinzugefügt, daß ihr dieser „Sieg“, da sie ihn nicht aus eigener Kraft gewonnen hatte, keine Frucht auf die Dauer zu bringen vermochte: es ist bekannt, daß die Orthodoxie trotz ihres damaligen Triumphes nicht einmal den Arminianismus auszurotten, geschweige denn eine wirkliche Herrschaftsstellung durch Unterdrückung aller abweichenden freieren Regungen zu behaupten im Stande war. Damit habe ich natürlich nicht bestreiten wollen, daß sie auch weiterhin noch große Massen hinter sich hatte, ein starker Machtfaktor blieb; aber sie hat weder dem Staate noch auch der Kultur in Holland ihr eigentümliches Gepräge aufzudrücken vermocht. Was macht Weber (S. 187, Anm. 14) daraus? „Daß ein Historiker von den Dordrechter Dekreten als von etwas für Holland fast Irrelevantem reden kann, ist nur verständlich, wenn er von der modernen holländischen Kirchen- und politischen Geschichte [ED 764]keine Ahnung hat.“ Jede Bemerkung darauf ist überflüssig. Kurz zuvor hatte er bezweifelt, daß ich über die holländischen Dinge mehr wisse als er. Das ist sehr unvorsichtig, denn das gibt immerhin der Deutung Raum, daß der eine ungefähr soviel wisse wie der andere, und da er mir andererseits hinwiederum vorwirft, daß ich „gar keine Ahnung“ habe, so könnte man daraus den Schluß ziehen, daß es nach seinem eigenen Eingeständnis mit seiner Kennerschaft auf diesem Gebiete nicht gerade von sehr weit her ist.

Aber Weber hat noch einen neuen Beweis nicht nur für die Richtigkeit seiner Auffassung der holländischen Verhältnisse, sondern auch für seine These überhaupt. Er hat [649]ihn nicht selbst gefunden; er verdankt ihn der Mitteilung seines „Herrn Kollegen H. Levy“, wodurch also die „besonders glücklich sich ergänzende Arbeitsgemeinschaft in Heidelberg“ um ein neues Mitglied bereichert worden ist. Das von Herrn Levy gelieferte Argument stammt aus Pettys Political Arithmetic (S. 23), einem Werk, das ich, wie Weber mir strafend vorhält, doch sonst „recht gut“ kenne und sogar einmal als Autorität gegen ihn, wenngleich „sehr verkehrter Weise“, verwertet habe. Indem nämlich Petty davon spricht, daß die Holländer mit Spanien gebrochen hätten, um dem Drucke des Klerus zu entrinnen, fährt er fort: „Dissenters of this kind, are for the most part, thinking, sober and patient Men, and such as believe that Labour and Industry is their Duty towards God.“ Triumphierend ruft Weber nun aus: „Mir scheint fast, daß die Stelle so sehr geeignet ist, eine der Grundthesen meines Aufsatzes zu einem, leider unbewußten, Plagiat an Petty zu stempeln, daß ich dem Leser die Wahl zwischen der Autorität Pettys und derjenigen meines modernen Kritikers überlassen darf, und scheide also meinerseits aus dieser Diskussion aus.“ Ich freue mich einerseits, Weber von diesem Selbstvorwurfe des Plagiates entlasten zu dürfen, bedaure aber andererseits lebhaft, nicht zugestehen zu können, daß er aus der Diskussion ausscheidet. Denn was sagt denn Petty eigentlich? Nichts weiter, als daß die Holländer „Arbeit und Fleiß“ als ihre Pflicht gegen Gott betrachten. Das hat aber nichts mit irgendwelcher „asketischer Berufsethik“ zu tun; das hat auch Luther gelehrt, der dem Christenmenschen den Müßiggang verbot, [ED 765]nicht nur, um der Übung seines Leibes willen, sondern seiner göttlichen Bestimmung halber, weil er „zum Arbeiten geboren ist, wie der Vogel zum Fliegen“.28)[649][ED 765] Vergl. z. B. K. Eger, Die Anschauungen Luthers vom Beruf. 1900. S. 152. Keinesfalls hat das etwas mit dem „kapitalistischen Geiste“ von irgendwelchem „Habitus“ zu tun; es gilt ebensogut für den Tagelöhner, der von der Hand in den Mund lebt, und hat nicht im geringsten etwa die Bedeutung, wie die von Weber herangezogenen Aussprüche Baxters über die Profitlichkeit des Kapitals. Daß Petty dabei an Kapitalismus und Kapitalisten nicht denkt, zeigt der bei ihm auf die zitierte Stelle folgende Passus: „These people believing the Justice of God, and seeing the most licentious persons, to enjoy most of the World, and its best Things, will never venture to be of the same Religion, and Profession with Voluptuaries, and Men of extreme Wealth and Power, who they think have their Portion in this World.“ Weber verbirgt diese Stelle keineswegs vor dem Leser; er findet sich aber mit ihr in seiner Weise ab, indem er eben daraus schließt, die Träger des kapitalistischen Geistes (daß es sich darum handelt, wird einzig aus den Worten labour and industry geschlossen) seien eben nicht die Großkapitalisten, sondern deren Gegner, die wesentlich breiteren Schichten bürgerlicher, aufsteigender Mittelstände. Dabei passiert ihm das Mißgeschick, daß er die Worte „these people“, welche sich offenbar auf die Holländer zur Zeit des Aufstandes beziehen, ganz sinnwidrig glossiert: „nämlich die puritanischen Dissenter“ (Antikritik S. 188). Die „holländische Ketzerei“ zur Zeit des Bruches mit Spanien hat mit den puritanischen Dissenters gar nichts zu tun, und Weber „hob“ ja, wie ihm Troeltsch (Sp. 452) bezeugt, „ausdrücklich hervor“, daß es sich bei seiner These „nicht um eine unmittelbare Wirkung des primitiven Genfer Kalvinismus, sondern um eine solche des späteren puritanischen Kalvinismus handle“. Oder gibt Troeltsch hier einmal wieder Webers Intentionen unrichtig wieder? Keinesfalls ist es leicht, aus diesem Labyrinth der Irrsale und Widersprüche einen Ausweg zu finden. Dazu kommt aber noch etwas ganz anderes: Petty schrieb sein Buch etwa hundert Jahre nach dem Bruche Hollands mit Spanien, zu [650]einer Zeit, [ED 766]da die Engländer bereits die Holländer zu überflügeln begannen und jene Entwicklung einsetzte, derzufolge der Holländer vom Unternehmer „kapitalistischen Geistes“ zum Rentner, d. h. zum Kapitalisten des „traditionalistischen“ Typus Webers, herabsank; er kann also keineswegs als eine Quelle für diejenige Epoche der holländischen Wirtschaftsgeschichte angesehen werden, in welche die eigentlichen Manifestationen kapitalistischen Geistes für Holland fallen; was er gibt, trägt überhaupt den Charakter einer zufälligen subjektiven Bemerkung, und er denkt dabei an eine bestimmte – nicht kapitalistische – Klasse der holländischen Bevölkerung zu seiner eigenen Zeit, der er ganz willkürlich für die Ausbildung des Toleranzgedankens in Holland eine Bedeutung zuschreibt, die den tatsächlichen Verhältnissen nicht unbedingt entspricht. Aber solche Erwägungen verursachen dem korrekten „Methodiker“ Weber keine Bedenken. Wie man sieht, hat Weber mit seinen freiwilligen Mitarbeitern wenig Glück; er sollte sich doch ihre Beiträge etwas näher ansehen, ehe er sie, allzu gutgläubig, akzeptiert. Und der neueste Akt „soziologischer Befruchtung des wissenschaftlichen Denkens gerade dieser Südwestecke Deutschlands“ hat ein recht bescheidenes Produkt gezeitigt.29)[650][ED 766] Nicht einmal beim Ausbruche des Aufstandes war das kalvinistische Element in der Geschäfts- und Handelswelt alleinherrschend. Wenn Weber die Publikationen Groens van Prinsterer wirklich kennen würde (daß er sie nicht kennt, hindert ihn freilich nicht, Prinsterer als Autorität auf wirtschaftsgeschichtlichem Gebiete gegen mich auszuspielen), würde er über die „holländische Ketzerei und ihr Verhältnis zur kapitalistischen Entwicklung“ einigermaßen besser gegründete Vorstellungen haben. Sehr interessant ist z. B. (Archives de la maison d’Orange-Nassau I, T. II S. 328 ff.) die Note sur la situation d’Anvers, in der sich ein Verzeichnis der hervorragendsten Kalvinisten und Lutheraner Antwerpens findet. Für beide Bekenntnisse ist die Zugehörigkeit zu den einzelnen Berufsständen ungefähr dieselbe, und reiche Kaufleute finden sich hier wie da. Es gab wohl einige sehr reiche Kaufleute, die sich zu den Kalvinisten hielten (darunter einige spanische Judenchristen, bei denen der kapitalistische Geist also vom „Judaismus“, nicht von der reformierten „Askese“ kam); aber bei den Straßenkämpfen im März 1567 machten die Kaufleute, und nicht nur die fremden, gemeinsame Sache mit den Katholiken gegen die Kalvinisten, zu denen „la plus grande partie des citoyens des mestiers“ gehörte, und die sich zumeist aus dem raublustigen Proletariat rekrutierten. Was es mit der „holländischen Ketzerei“ jener Zeit für eine Bewandtnis hat, das zeigt der [ED 767]auf der kalvinistischen Liste befindliche Name: „Me Jan Rubens echevin de leur temps“. Es ist dies jener Dr. Rubens, der nachher im Exil der Geliebte der Prinzessin Anna von Oranien wurde: dieses Muster von „Askese“ hielt sich später in Deutschland zum Luthertum und gab von seinem Gefängnisse in Dillenburg aus der Gattin den Rat, nach Antwerpen zurückzukehren und „katholisch zu leben“; das tat sie denn auch nach seinem Tode, wodurch ihr Sohn, der berühmte Maler, zum Katholizismus zurückgeführt wurde. Und unter den niederländischen Exulanten, die als Träger höheren Wirtschaftslebens wirksam in Deutschland waren, gab es auch Lutheraner. In Frankfurt a.Μ. sind Großkaufmannstand, Industrie und Exporthandel durch die niederländische Einwanderung entstanden; an ihr waren wohl großenteils, nicht aber ausschließlich Kalvinisten beteiligt, worauf Heldmann in seiner im letzten Heft der Jahrb[ücher] für Nat[ional]-Ök[onomie] erschienenen Besprechung von Bothe (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Reichsstadt Frankfurt [1906]) aufmerksam macht.

[651][ED 767]V.

Ich komme jetzt zum Hauptvorwurf, den Weber meiner Kritik macht, und in den Troeltsch natürlich (Sp. 452) einstimmt, gleich als ob er nie den Genossen mißverstanden hätte, daß ich nämlich gegen etwas polemisiere, was er (Weber) nun und nimmer gesagt hätte. Niemals, so betont Weber mit Energie, habe er behauptet, daß man das kapitalistische Wirtschaftssystem aus religiösen Motiven überhaupt oder aus der Berufsethik des „asketischen“ Protestantismus ableiten könne. Er selber habe, wie er hinzufügt, diese Unterstellung „töricht“ genannt und hervorgehoben, daß es kapitalistischen Geist [ED 768]ohne kapitalistische Wirtschaft und umgekehrt geben könne: trotzdem hätte ich in meiner Kritik diese „Unterstellung“ gegen ihn gebracht.

Nichts ist unrichtiger als das. Ausdrücklich habe ich im Eingange meines Resumés seiner Theorie (Sp. 1219) erklärt: „Nicht als ob Weber den Kapitalismus schlechthin aus dem Kalvinismus ableiten wollte. Er verwahrt sich dagegen, ,eine so töricht-doktrinäre These‘ verfechten zu wollen, ,wie etwa, daß der kapitalistische Geist oder wohl gar der Kapitalismus nur als Ausfluß bestimmter Einflüsse der Reformation hätte entstehen können.‘“

[[ED 775]]Wenn es auch kapitalistischen Geist ohne kapitalistisches Wirtschaftssystem geben kann, so hat es doch für die Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit nur Wert, den Manifestationen kapitalistischen Geistes nachzugehen, wenn er von der Tendenz getragen war und dazu beigetragen hat, Kapital zu sammeln, das kapitalistische Wirtschaftssystem zu statuieren, aufrecht zu erhalten und auszubauen. Und gewiß hat Weber ausgesprochen, daß es kapitalistische Wirtschaft ohne kapitalistischen Geist gebe. Ich habe ihm aber gar nicht „unterstellt“, daß er das kapitalistische Wirtschaftssystem nur aus religiösen Motiven abgeleitet habe; bloß darauf habe ich vielmehr aufmerksam gemacht, daß es bei Webers Fassung des kapitalistischen Geistes unendlich viel Kapitalismus gibt, der ohne kapitalistischen Geist entstanden sein müßte, und daß sein „kapitalistischer Geist“ eben nicht imstande ist, die Kapitalsbildung und das kapitalistische Wirtschaftssystem der Neuzeit auch nur annähernd zu erklären, daß er ihm weiterhin einen viel zu großen Einfluß auf diesem Gebiete zugeschrieben hat.

Es ist aber nicht nur eine falsche Unterstellung, so setzt Weber auseinander, wenn man ihm vorwirft, er hätte den Kapitalismus der Neuzeit aus der Reformation ableiten wollen, sondern auch wenn man von ihm behauptet, daß er das gleiche bezüglich des kapitalistischen Geistes für die Neuzeit versucht hätte: keineswegs habe er die ursprünglich religiös bedingten Momente asketischen [ED 776]Charakters mit dem kapitalistischen Geiste identifiziert, sondern sie nur als einen konstitutiven Bestandteil neben andern hingestellt. Es war, wie er versichert, lediglich sein Ziel, „eine bestimmte konstitutive Komponente des Lebensstiles, der an der Wiege des modernen Kapitalismus stand, an dem sie – mit zahlreichen anderen Mächten – mitgebaut, zu analysieren und in ihren Wandlungen und ihrem Schwinden zu verfolgen“. Der kapitalistische Geist, wie er ihn versteht, ist also nicht der kapitalistische Geist der Neuzeit in seinem ganzen Umfange, sondern nur eine bestimmte Art oder ein bestimmter „Habitus kapitalistischen Geistes“, der durch Aktivität im Berufsleben und asketischen Sparzwang charakterisiert wird, und nur diesen will er auf Wesen, Herkunft und Wirkungen untersuchen. Kapitalistischer Geist ist ihm somit identisch mit Berufsethik, angewandt auf das Erwerbsleben und verbunden mit asketischem Sparzwang. Die ganze Frage spitzt sich (S. 183) für ihn zu nach der Entwicklung desjenigen Habitus, den er (ad hoc und ledig[652]lich für seine Zwecke) ,kapitalistischen Geist‘ getauft hat. Und feierlich wäscht er seine Hände in Unschuld, wenn seine scheinbaren Anhänger durch eine falsche Auffassung seiner These Unheil gestiftet haben: „Dafür verantwortlich zu sein, wenn andere die von mir ausdrücklich und mit denkbar größtem Nachdrucke als eine Einzelkomponente bezeichneten religiösen Momente verabsolutieren und mit dem ,Geist‘ [ED 777]des Kapitalismus überhaupt identifizieren oder gar den Kapitalismus daraus ableiten, – habe ich schon einmal abgelehnt. Ein solcher Versuch wird nicht dadurch bekämpft, daß man eine Reihe anderer Komponenten aufzählt, die zu jeder Zeit kapitalistische Expansion begleitet haben, wie kein Mensch bezweifelt.“

Der „kapitalistische Geist“, von dem Weber gehandelt hat, ist also gar nicht der „kapitalistische Geist“ schlechthin, sondern eine besondere Spezies von „kapitalistischem Geist“, der erst in der Neuzeit aufgekommen ist30)[652][ED 777] Vgl. S. 200: „Geist des (in meinem Falle: des neuzeitlichen) Kapitalismus“; dazu Anm. 34: „Denn nur von diesem ist ja bei mir die Rede“. , oder anders ausgedrückt, ein Zug des allgemeinen kapitalistischen Geistes, den dieser in der Neuzeit unter dem Einflusse des „asketischen“ Protestantismus angenommen hat; daneben ist auch der ältere Typus bestehen geblieben. Webers „kapitalistischer Geist“ ist also nicht einmal identisch mit dem „kapitalistischen Geiste“ der Neuzeit in seiner Totalität. Er bedeutet lediglich eine Redefigur, und zwar diejenige, die man schulgemäß pars pro toto nennt. Noch niemals hat sich Weber so bestimmt und klar über das Verhältnis seines kapitalistischen Geistes zum kapitalistischen Geiste überhaupt ausgesprochen, mit aller Schärfe anerkannt, daß es sich dabei nur um einen besonderen Zug, eine bestimmte Nuance des kapitalistischen Geistes auch in der Neuzeit handelt. Er hat sich vielmehr bisher über diesen Punkt nur ziemlich schwer faßbar geäußert; denn sonst hätte er doch wohl nicht allein von seinen Gegnern, sondern auch gerade von seinen Anhängern so bedauerlich mißverstanden werden können; wir kommen darauf noch bald zurück. Früher hatte er31) Archiv 21, S. 107. gesprochen von der aus dem Geiste der christlichen Askese geborenen rationalen Lebensführung auf Grund der Berufsidee als einem „konstitutiven Bestandteil des kapitalistischen Geistes“. Dieser Ausdruck ließ noch zwei Deutungen Raum. Wollte er damit sagen: Das religiös-asketische Moment und das Produkt seiner Säkularisation ist im modernen kapitalistischen Stile eine konstitutive Komponente, und zwar, wie er jetzt ausdrücklich betont, „neben anderen“, und nämlich solchen (so fügen wir hinzu), die ihm gleichwertig [ED 778]sind? Oder gibt es andere gleichwertige Komponenten nicht, so daß es ein konstitutiver Faktor ist, nämlich in dem Sinne, daß es ein Faktor neben anderen ist, aber der konstitutive, durch den schließlich das Wesen des kapitalistischen Geistes in der Neuzeit bestimmt wird? Ich glaube, daß die zweite Deutung ursprünglich seinen Intentionen in höherem Grade entsprach. Denn das bezeichnete er ja von Anfang an als seine Aufgabe, die religiösen Einflüsse festzustellen, die „bei der qualitativen Prägung und quantitativen Expansion“ des kapitalistischen Geistes mitbeteiligt gewesen sind. Μ.a. W.: er nahm an, daß bestimmte Züge, die für das Wesen des kapitalistischen Geistes der Neuzeit charakteristisch seien, aus den von ihm ins Auge gefaßten religiösen Momenten stammten, und daß diese weiterhin die räumliche Verbreitung des Kapitalismus, wo wir ihn immer seit der Reformation diesseits und jenseits des Ozeans finden, zum mindesten stark gefördert haben.

[653]Dem gegenüber muß ich feststellen: Ich habe nirgends die von Weber reprobierte Identifikation von Bestandteilen, die aus religiös-„asketischer“ Wurzel stammen, und kapitalistischem Geiste der Neuzeit überhaupt vorgenommen. Ich habe im Gegenteil stets zwischen „kapitalistischem Geiste“ im Sinne Webers und „kapitalistischem Geiste“ im üblichen Sinne oder schlechthin unterschieden. Weber hat diese meine Ausführungen, indem er sie zitierte, mit einem Ausrufungszeichen versehen; er wird aber wohl nicht behaupten wollen, daß der Begriff vom kapitalistischen Geiste, wie er ihn geprägt hat, der „übliche“ sei; denn bisher hat noch niemand asketisches Verhalten gegenüber dem Reichtum (wie Weber das beim Unternehmer „neuen Stils“ getan hat) als ein wesentliches Merkmal des Begriffes vom kapitalistischen Geiste gehalten. Ich leugne es nicht, daß diese Verbindung oft genug vorkommen mag, und daß sie in hohem Grade geeignet ist, wo sie vorhanden ist, sei es bei einem einzelnen, das Emporkommen, sei es[,] wo sie gleichsam als Massenerscheinung auftritt, die kapitalistische Entwicklung ganzer Gruppen und der gesamten Volkswirtschaft zu fördern. Charakteristisch ist sie aber nicht für das Wesen des kapitalistischen Geistes, wie sehr sie auch seine Wirksamkeit zu verstärken imstande ist, und er vermag ihrer auch recht gut zu entraten, [ED 779]wo er sonst mit der nötigen Intensität ausgestattet ist, und wo schon vorhandene Kapitalansammlung es erlaubt.

Keineswegs habe ich somit, um den von Weber gebrauchten Ausdruck zu akzeptieren, die von ihm als Einzelkomponente bezeichneten religiösen Momente „verabsolutiert“. Ich habe nur darauf hingewiesen, daß diese Einzelkomponente nicht bestimmend ist für das Wesen des kapitalistischen Geistes in der Neuzeit, daß sie also keine „konstitutive“ Bedeutung hat, und daß sie nicht entfernt ausreicht, das kapitalistische System der Neuzeit zu erklären. Eben dies gibt ja Weber jetzt selber zu, wenn er jetzt ausführt (S. 193 f.): Der kapitalistische Geist, mit dem er sich beschäftige, beziehe sich gar nicht auf die großkapitalistische Entwickelung: von jeher gebe es den Typus der skrupellosen moneymaker vom Altertum an bis zum Imperialismus der City. Mit andern Worten: Es gibt, wie Troeltsch (Sp. 452) sagt, einen zu allen Zeiten wirksam gewesenen Erwerbstrieb32)[653][ED 779] Die Schwäche der psychologischen Position des „Erwerbstriebes“ ist mir sehr wohl bekannt. Aber Weber sagt selbst (S. 153) „Ganz entbehrlich ist er wohl nicht“, und auch Troeltsch (s. o.) kommt nicht um ihn herum. Seine Erhebung von einem „naiv-triebhaften, irrationalen Faktor auf das Niveau des Rationalen“ innerhalb der christlichen Kulturwelt ist aber keineswegs lediglich das Werk „asketisch“-reformierter Berufsethik oder eines Prozesses ihrer Säkularisierung. Wenn mir Weber weiterhin vorhält, er habe sich über das Verhältnis des Erwerbstriebes zum kapitalistischen Geiste „so eindeutig ausgesprochen, daß ich diese Erörterung nur aus bösem Willen oder Vergeßlichkeit nicht beachten konnte“, so könnte ich ihm mit gleicher Münze heimzahlen, wenn ich ihn erst daran erinnern muß, daß ich mich des längeren (Sp. 1234 ff.) gerade mit seinen Erörterungen über das Verhältnis von Erwerb und Erwerbstrieb zum kapitalistischen Geiste auseinandergesetzt habe. , der aber für den „kapitalistischen Geist“ als nichts spezifisch modern-kapitalistisches außer Acht bleiben kann.

Demgemäß erklärt es Weber (S. 186 Anm. 14) für falsch, wenn bei der Untersuchung über die Geschichte des kapitalistischen Geistes, das „Auge nur an den, in Nichts Wesentlichem von den Erscheinungen aller Zeiten und Ländern unterschiedenen großen Geldleuten haftet“ … „Es sind eben nicht die, in allen Zeitaltern kommerzieller oder kolonialer Expansion immer wiederkehrenden ganz großen Konzessionäre und [654]Monopolisten: ökonomische ,Übermenschen‘, sondern deren [ED 780]Gegner: die wesentlichen Schichten bürgerlicher, aufsteigender Mittelstände, welche typische Träger der puritanischen Lebensauffassung waren.“ Den Inhalt des letzten Satzes wird niemand bezweifeln, wohl aber, worauf wir schon hinwiesen, daß diese Mittelklassen allgemein wieder Quelle und Träger des Reichtums geworden sind, und wir werden weiterhin fordern müssen, daß eine Untersuchung[,] die sich mit der Entwicklung des kapitalistischen Geistes in der Neuzeit beschäftigt, die „ganz großen Konzessionäre und Monopolisten, die ökonomischen Übermenschen“ nicht unter den Tisch fallen lasse: denn Träger kapitalistischen Geistes sind sie ohne Zweifel gewesen, und es kann noch viel weniger Ungewißheit darüber herrschen, wer für die Ausbildung des kapitalistischen Systems mehr geleistet hat, sie oder die aufstrebenden bürgerlichen Mittelklassen. Mit Emphase erinnert Weber daran, er habe stets betont, „daß der ganze Typus, wie ihn die großen italienischen, deutschen, englischen, holländischen und überseeischen Finanziers darstellen, eben ein Typus ist, den es gegeben hat, so lange wir überhaupt eine Geschichte kennen, der in seiner Eigenart schlechterdings gar nichts dem ,Frühkapitalismus‘ der Neuzeit irgendwie charakteristisches ist“. Wenn diese Elemente für Weber bei seinen Studien über die Geschichte des kapitalistischen Geistes in der Neuzeit ausscheiden, so ist das ungefähr dasselbe, wie wenn jemand über das „Pferd“ schreiben will; aber er bemerkt von vornherein: ich verstehe unter „Pferd“ nur Schimmel; wo man bei mir von „Pferden“ liest, sind also nur „Pferde in meinem Sinne“, d. h. Schimmel, zu verstehen. Vielleicht findet Weber dieses Niveau meiner Argumente wieder einmal zu „niedrig“, oder auch zu „trivial“ oder „subaltern“ (zur Abwechslung würde ich hier „banausisch“ vorschlagen); aber es ist schwer, in solchem Falle nicht drastisch zu werden. Zum mindesten hätte Weber seinen Lesern und zumal seinen Anhängern manche fatale Mißverständnisse erspart, wenn er von Anfang an, um seine These hier nun mal ganz schlicht wiederzugeben, seine Aufgabe klar und deutlich dahin bestimmt hätte: es hat sich unter dem Einfluße reformierter Berufsethik eine bestimmte Abart kapitalistischen Geistes im Laufe der Neuzeit entwickelt; ich will ihren [ED 781]Ursprung, die Grenzen ihrer Expansion feststellen, sowie der Frage der „qualitativen Prägung“ nachgehen, d. h. zu ermitteln trachten, ob der „kapitalistische Geist“, der das kapitalistische Wirtschaftssystem der Gegenwart geschaffen hat, aus dieser Quelle bestimmte Züge empfangen hat, die für sein Wesen von „konstitutiver“ Bedeutung geworden sind.

Nehmen wir einmal an, daß sich Weber das Problem in dieser Formulierung gestellt hätte, und sehen wir zu, was er zu seiner Lösung beigetragen hat. Wertvoll ist seine Untersuchung über den Ursprung des Sondertypus, dem er nachgeht auf grund seiner Analyse der einschlägigen religiösen Schriften, wenngleich man ihm nicht folgen kann, wenn er dabei die reformierte Berufsethik als eine „Askese“ bezeichnet. Dagegen war ich nicht in der Lage, mich seinen Ausführungen über die räumliche Expansion des kapitalistischen Geistes in seinem Sinne anzuschließen. Ich hatte darauf hingewiesen, daß sie teils zu unbestimmt, teils zu weitgehend waren, und daran die Forderung geknüpft, daß wenigstens der Versuch gemacht würde, die Stärke ihrer Wirkung im Verhältnis zu der anderer Komponenten des kapitalistischen Geistes im allgemeinen Sinne abzuschätzen. Das bezeichnet Weber nunmehr als eine „schwerlich lösbare Aufgabe“; er fügt hinzu: „Rachfahls Zumutung vollends, hier eine Art Statistik zu treiben, halte ich meinerseits, und muß jeder … für etwas reichlich harmlos halten.“ Ein neuer Beleg dafür, wie Weber mit den Argumenten des Gegners umspringt! In seinen Aufsätzen hatte Weber bemerkt, daß, was den Einfluß des Kalvinismus auf die Kapitalbildung [655]anbelange, ziffernmäßig naturgemäß „jede exakte Bestimmung“ unmöglich sei; das hatte ich mit den Worten glossiert: „Immerhin hätte der Versuch einer approximativen Schätzung gemacht werden können“. Was ich damit sagen wollte, liegt auf der Hand; der Nachdruck liegt auf der Gegenüberstellung von „exakter Bestimmung“ und „approximativer Schätzung“. Natürlich wäre es Unsinn, wenn man daran gehen wollte, Tragweite und Wirkungen eines „weltanschauungsmäßigen Motivs zu messen“. Das habe ich aber auch gar nicht gefordert; ich habe nicht von „messen“ gesprochen, sondern von „schätzen“. Was ich verlangte, das lief darauf hinaus: die kapitalistischen [ED 782]Erscheinungen in Holland, England und Nordamerika daraufhin zu prüfen, ob bei ihrer Entstehung die reformierte Berufsethik beteiligt war oder beteiligt sein konnte, und in welchem Verhältnisse ungefähr zu den anderen „Komponenten“ kapitalistischen Geistes. Es hätte sich dann herausgestellt, und ich habe in meiner Abhandlung das angedeutet, indem ich die Skizze einer solchen „approximativen Schätzung“ dort gab, daß bei einer großen Masse kapitalistischer Phänomene der Einfluß der Weberschen „Askese“ direkt ausgeschlossen ist, sodaß der in den genannten Ländern tatsächlich vorhandene Kapitalismus gar nicht auf eben dieses Moment ohne weiteres zurückgeführt werden kann. Weber und Troeltsch hatten sich in dieser Hinsicht ihre Aufgabe von vornherein viel zu leicht gemacht, indem sie für die Länder reformierten Bekenntnisses in so unbestimmter und weitgehender Fassung von den Wirkungen des religiösen Momentes sprachen, den Anteil der libertinistisch, aufklärerisch und religiös indifferent gesinnten Elemente an der kapitalistischen Entwicklung daselbst so vollkommen ignorierten, daß da eine ins einzelne gehende Prüfung der Verhältnisse unumgänglich notwendig wurde.33)[655][ED 782] Noch jetzt operiert Troeltsch mit seinen unbestimmten Redensarten. So sagt er (Sp. 451/2), für Weber handele es sich bei seiner These darum, „den modernen Arbeits- und Berufsmenschen zu erklären, der die Verpflichtungen gegen seine Arbeit und sein Vermögen wie eine objektive Notwendigkeit empfindet und damit innerhalb des modernen Kapitalismus einen bedeutsamen Grundstock bildet“, mit anderen Worten: der moderne Kapitalist stammt als Arbeits- und Berufsmensch aus der Askese (vgl. darüber die folgenden Ausführungen oben im Texte), und diese hat also „einen bedeutsamen Grundstock des Kapitalismus“ geschaffen. Und ebenso spricht er daselbst im Sinne Webers vom „bürgerlich-puritanischen Kapitalismus vor allem Englands und Nordamerikas“ als einem „der wichtigsten Haupttypen modernen Kapitalismus“. Dann müßte er zum mindesten den Versuch machen, sich mit meinen Ausführungen über den Anteil von Puritanismus und Aufklärung für Entstehung und Entwicklung des nordamerikanischen Kapitalismus auseinanderzusetzen. Aber es ist seine Maxime: nur immer flott die alten Behauptungen zu wiederholen, gleich als ob darüber kein Zweifel bestände und bestehen könnte, – das macht doch schließlich Eindruck! Größere Exaktheit war da sehr wohl zu fordern; von einer „ziffernmäßig“ herzustellenden exakten Bestimmung war nie die Rede.34) Wo sich Kapitalismus kalvinistisch-puritanischer [ED 783]Provenienz konstatieren läßt, da kommen übrigens für den darin herrschenden Geist als Quelle in Betracht nicht nur die „asketische Berufsethik“, sondern auch der Einfluß einer an alttestamentlichen Traditionen und Vorbildern orientierten Lebensführung, also Momente judaistischen Ursprungs. Hier kann darauf nicht eingegangen werden.

[ED 783]Wir kommen nun zur Frage des Maßes der religiös-„asketischen“ Einflüsse bei der „qualitativen Prägung“ des kapitalistischen Geistes im allgemeinen, d. h. des Verhältnisses zwischen kapitalistischem Geiste überhaupt und solchem im Sinne Webers. Hat der Zug des neuzeitlichen Kapitalismus, den Weber willkürlich „Geist des Kapitalis[656]mus“ nennt, den gesamten Geist des Kapitalismus der Neuzeit in dem Grade beherrscht, wie Weber behauptet? Welches war der Einfluß, den er tatsächlich ausübt? Hat Weber Recht, wenn er behauptet, daß seinem „kapitalistischen Geist“ zum mindesten für den kapitalistischen Geist im allgemeinen die Rolle eines „konstitutiven Faktors“ zukommt?

Berufsethik, angewandt auf das Erwerbsleben, in Verbindung mit einem „asketischen Sparzwange“, das sind die charakteristischen Merkmale des „kapitalistischen Geistes“ im Sinne Webers. Was wir bereits oben (Sp. 85 [lies: 780]) vom „asketischen Verhalten“ gegenüber dem Reichtum gezeigt haben, das gilt auch vom „asketischen Sparzwange“. Er ist keineswegs von „konstitutiver“ Bedeutung für den Begriff des kapitalistischen Geistes, sondern lediglich ein akzessorisches Moment, das von großem praktischen Werte sein kann. Er ist aber auch nichts, was dem kapitalistischen Geist der Neuzeit im Gegensatze zur Vergangenheit eine charakteristische Eigenart verleiht. Denn der Geist der Sparsamkeit ist zu allen Zeiten als Hilfskraft des kapitalistischen Geistes aufgetreten; er hat gewirkt zu jeder Zeit. Keineswegs soll geleugnet werden, daß er, wo er in der Neuzeit wirksam gewesen ist, ganz besonders gut auf dem Boden der reformierten Sittlichkeit gedieh und seine fördernde Kraft zu entfalten vermochte; aber so liegt doch die Sache nicht, daß er, sei es erst als Produkt reformierter Sittlichkeit, aufkam, sei es, wo er in neuerer Zeit bis in die Gegenwart hinein tätig ist und obwaltet, ohne weiteres als eine „Säkularisation“ religiös-„asketischer“ Motive betrachtet werden konnte. Es handelt sich vielmehr bei ihm um einen konstanten Faktor, der unter dem Einflusse [ED 784]jener Motive ohne Zweifel gesteigert und für die Entfaltung kapitalistischen Geistes besonders fruchtbar gestaltet worden ist.

Ebensowenig, wie Sparsamkeit, ist ethische Auffassung des Berufes, Hingabe an den Beruf, Aktivität im Berufe erst ein Produkt reformierter Sittlichkeit, und ebensowenig ist die Verbindung dieser beiden Momente bereits „kapitalistischer“ Geist. Auch jetzt behauptet Weber wiederum: der „asketische“ Protestantismus habe für den (von jeher vorhandenen) Kapitalismus erst die entsprechende „Seele“ geschaffen, nämlich die Seele des Berufsmenschen, der sich einig fühle mit seinem Tun, was im Mittelalter nicht der Fall gewesen sei. Er hält mir vor, daß die Berufsethik für eine bestimmte Tätigkeit nicht immer dieselbe sei, sondern mit der historischen Entwicklung wechsle. Das habe ich natürlich nie bezweifelt; wenn er mir aber weiterhin nachsagt, ich hätte zum Schlusse meiner „Kritik“ behauptet, daß die Berufsethik, wie sie der „asketische“ Protestantismus kannte, schon im ganzen Mittelalter herrschend gewesen sei, so ist das wiederum eine jener Entstellungen gegnerischer Ausführungen, aus denen sich leider seine ganze Antikritik zusammensetzt. Ich hatte im Einklange mit Troeltsch selber (Sp. 1321) nichts anderes behauptet, als daß Berufsethik und sogar mit religiöser Färbung nicht erst ein Produkt der Reformation sei, sondern daß durch diese lediglich für die Berufsethik die mönchisch-asketischen Einschränkungen in Wegfall kämen; daraus hatte ich geschlossen, daß ethische Auffassung des Berufes, geschweige denn Hingabe an den Beruf, Aktivität im Berufe keineswegs erst als Wirkungen einer Säkularisation reformierter Sittlichkeit in den kapitalistischen Geist der Neuzeit eingedrungen wären. Wenn das unrichtig sein sollte, müßte sich Weber mit seinem Freunde und Kollegen Troeltsch auseinandersetzen, auf dessen Lehre meine Ansichten fußen; hatte ich sie doch mit ausdrücklicher Erwähnung seines Namens übernommen.35)[656][ED 784] Im übrigen hatte ich darauf aufmerksam gemacht, daß sich jeder Beruf seine [657]besondere Ethik schaffe; diese Bemerkung reizt Troeltsch (Sp. 460) zum Ausfalle, das sei „nicht sehr tiefsinnig“: „In Wahrheit liegt in solchen Fällen stets eine Heranziehung allgemeiner ethischer oder metaphysischer Vorstellungen für diese bestimmten Zwecke vor.“ Er wirft mir [ED 785]dabei vor, meine „Sätze würden zum barsten Geschichtsmaterialismus führen“. Als ob ich je geleugnet hätte, daß die besondere Berufsethik, wie sie aus den speziellen Bedürfnissen und Verhältnissen eines bestimmten Berufes resultiert, zumal in gewissen Zeitaltern, eine allgemein-ethische oder metaphysische Färbung getragen hat! Daß das nicht der Sinn meiner „Sätze“ gewesen sein kann, geht schon daraus hervor, daß ich – eben unter Berufung auf Troeltsch selber – davon spreche, daß es im Mittelalter bereits nicht nur eine Berufsethik, sondern noch dazu eine solche mit religiöser Motivation gegeben habe, da ja die christliche Rechtfertigung des Erwerbslebens nicht erst von Luther stamme. Was sich wohl Troeltsch unter „Geschichtsmaterialismus“ vorstellen mag? Was aber macht [657]Weber? Er [ED 785]schiebt mir die Behauptung unter, daß ich die Berufsethik des „asketischen“ Protestantismus schon rückwärts in das Mittelalter projiziert habe. Solche Kampfesweise beweist nichts anderes, als die innere Schwäche der Position desjenigen, der sie zur Anwendung bringt.36) Noch einige drastische Belege für Webers Polemik. In seinen Aufsätzen hatte Weber die Äußerung Jakob Fuggers herangezogen, „er wolle gewinnen, dieweil er konnte“. Daraus hatte Weber geschlossen, Fugger habe noch nicht den richtigen „kapitalistischen Geist“ gehabt, da diesem Ausspruch noch der „Charakter einer ethischen Maxime, die Idee der Berufspflicht“ fehle. Darauf hatte ich erwidert, daß diese Folgerung übereilt sei, da der Ausspruch für sich allein noch nichts beweise; ich hatte gefragt: „Woher weiß denn Weber, daß sich Fugger nicht seinem Berufe innerlich verpflichtet fühlte, daß nicht auch ihm die Idee vorschwebte, der Mensch habe die Pflicht, seine Aufgabe treu und gewissenhaft zu erfüllen, vor die ihn das Leben nun einmal gestellt hätte?“ Was macht Weber (S. 188, Anm. 15) daraus: „Rachfahl fragt, woher ich denn wisse, daß der von ihm (nach mir) zitierte Ausspruch Jakob Fuggers Ausdruck einer anderen (als der puritanischen) ,Berufsethik‘ sei[] Das ist keine richtige Wiedergabe meines Gedankens. – In meinen Ausführungen über den erwähnten Ausspruch Fuggers findet Weber (S. 181, Anm. 7) einen Widerspruch: „Das gleiche Streben nach dem Gewinn um des Gewinnes willen, welches auf Sp. 1320 (bei Fugger) sehr wohl einer ,ethischen Maxime der Lebensführung‘ entsprungen sein kann, kann auf Sp. 1250, 1255 überhaupt nicht ,ethisch‘ genannt werden, weil es R[achfahl] verwerflich findet.“ Ich habe es Sp. 1250 (auf Sp. 1255 habe ich über diese Dinge gar nicht gehandelt) als zweifelhaft erklärt, ob eine Wirksamkeit, die den Gelderwerb als reinen Selbstzweck statuiert, überhaupt noch das Prädikat „ethisch“ verdienen würde, da aus solcher „Berufsethik“ Handlungen entspringen könnten, die sich nicht mit den allgemein ethischen Grundsätzen vertragen; auf Sp. 1320 habe ich ausgeführt, daß Abscheu vor bloßem Genusse ohne Arbeit den Wert einer ethischen Maxime haben könnte: worin liegt da ein Widerspruch?

[ED 786]Tatsächlich sind die charakteristischen Züge des „kapitalistischen Geistes“ der Neuzeit dieselben, wie sie es zu allen Zeiten waren. Es gibt solchen mehr „triebhafter Natur“ und solchen, der rationalisiert und von einer bestimmten Berufsethik getragen ist, von jeher, und sie bestehen noch heutzutage neben einander. Ein gewisses Maß von Rationalisierung aber ist immer erforderlich, damit sich der bloße Erwerbstrieb auf das Niveau eines wahren „kapitalistischen Geistes“ erhebe, aber nicht eine Rationalisierung der Lebenshaltung schlechthin, sondern des Erwerbstriebes selber, indem das spekulativ-rechenhafte Moment als regulierender Faktor bei der Betätigung eben des [658]Erwerbstriebes zur gebührenden Geltung gelangt. Und daß dieses Moment nicht aus einer Säkularisation reformierter Berufsethik entstanden ist, liegt auf der Hand, wenngleich sie ihn, wie ich schon so oft und von vornherein zugegeben habe, zu fördern in hohem Grade geeignet war. Aber der kapitalistische Geist der Neuzeit ist das, was er ist, nicht erst auf dem Umwege über die protestantische „Askese“ geworden; diese ist nicht die Wurzel der Rechenhaftigkeit, die das charakteristische Merkmal am Geiste des Kapitalismus ist. Bei weitem übertreibt Weber (S. 196) die Zerrissenheit und die Notwendigkeit von Beschwichtigungsmitteln für den Kapitalisten der vorreformatorischen Zeit: nicht erst und nicht nur durch die Einflüsse religiöser „Askese“ ist der Kapitalist zum „Berufsmenschen“ geworden, der sich innerlich eins fühlt mit seinem Berufe.37)[658][ED 786] Ich setze mich hier am besten mit den Ausführungen von Troeltsch (Sp. 455 bis 458) zur Frage der Berufsethik auseinander. Ihnen zufolge begnüge ich mich, „bei der Bestreitung der religiösen Herleitung (sc. des Kapitalismus aus dem Kalvinismus) lediglich damit, Webers Auffassung Kalvins und des primitiven Kalvinismus zu bemängeln und zu behaupten, daß von diesem aus keine besondere Disposition des Puritanismus für den Kapitalismus gefolgert werden könne“. Das ist eine totale Verschiebung meiner Ansichten. Ich habe nirgends das „behauptet“, was mir Troeltsch zuschreibt; ich habe vielmehr selber (Sp. 1324) gezeigt, daß der Satz von der Profitlichkeit des Kapitals in allgemeiner Wendung schon von Kalvin gelehrt worden ist; aber ich habe zugleich (ebd. und Sp. 1254) betont, daß zwar solche und ähnliche Äußerungen förderlich auf die kapitalistische Entwickelung wirken konnten, daß jedoch sowohl bei Kalvin als auch bei den Puritanern die Berufsethik, insoweit sie dem Kapitalismus günstig war, eine Norm und Grenze an den Anforderungen der allgemeinen Ethik, an [ED 787]den Geboten der christlichen Nebenliebe [lies: Nächstenliebe] fand, und daß daraus Züge flossen, die mit dem modernen kapitalistischen Geiste unvereinbar sind. Das zu widerlegen, haben weder Weber noch auch Troeltsch versucht. In diesem Zusammenhange wird auch die Haltlosigkeit gewisser weiterer Vorwürfe von Troeltsch offenbar: meine Würdigung der wirtschaftlichen Ethik Kalvins als einer Anbahnung freierer Betrachtung des ökonomischen Lebens und damit einer freieren Berufsethik auch für die kapitalistische Unternehmung sei ebenso unvollständig und nichtssagend, wie meine „Phrase“, daß Kalvin die „Durchdringung der Arbeit mit dem Geiste christlicher Sittlichkeit“ bewirkt habe. Troeltsch bringt dabei eine lange Erörterung über das Verhältnis lutherischer und kalvinischer Ethik zu Arbeit und Besitz, die ich zu bestreiten ebensowenig Grund habe, wie ich Grund hatte, meinerseits auf diese Probleme einzugehen. Wie konnte ich leugnen wollen, daß die freiere Stellung Kalvins zum Wirtschaftsleben aus seiner besonderen Berufsethik folgt? Denn ich erkenne ja vollkommen die Existenz einer besonderen kalvinistisch-puritanischen Berufsethik an und behaupte nur, daß sie stets an der allgemeinen Ethik dieser Richtung in der Reformation orientiert war und blieb, und eben dazu hatte ich (im Gegensatze zu Weber, der diesen Punkt ganz unberücksichtigt ließ) allen Anlaß. Troeltsch sagt (Sp. 458) kategorisch: „Kalvin hatte keinen allgemeinen Geist christlicher Sittlichkeit, mit dem er die Arbeit durchdringen konnte“. Nun, schließlich ist ja doch die besondere Berufsethik Kalvins nur eine Applikation seiner allgemeinen Ethik, und diese war (bei allen ihren Besonderheiten, bei allen Abweichungen von der der anderen christlichen Richtungen) ein Ausfluß des allgemeinen Geistes christlicher Sittlichkeit. Oder ist dieser nur eine veraltete Utopie, an die nur noch der „Nicht-Fachmann auf theologischem Gebiete“ glaubt? Es bleibt trotz [ED 788]Troeltsch dabei, daß die Durchdringung der Arbeit mit dem Geiste christlicher Sittlichkeit nebst der freieren Stellung zum Wirtschaftsleben charakteristische [659]Züge der allgemeinen Wirtschaftsanschauungen Kalvins waren, wozu dann aber noch seine spezielle Berufslehre kam. Und es bleibt weiterhin dabei, daß der „eigene Geist“, mit dem er die Arbeit durchdrang, an der allgemeinen christlichen Liebesmoral in einem Grade orientiert war, der nicht nur vom triebhaften Erwerbsdrange, sondern auch vom kapitalistischen Stile der Jetztzeit (als dessen rationalisierter Form) in entscheidenden Punkten ebenso abwich, wie späterhin die Soziallehren der Puritaner. „Unerhört“ aber ist es – leider sehe ich mich hier genötigt, diesen von Weber gegen mich gerichteten Ausdruck im vorliegenden Falle auf Troeltsch zu beziehen, – wenn dieser mir (Sp. 456) vorwirft, ich hätte mir betreffend die Stellung Kalvins zum Wirtschaftsleben meine Belehrung „bloß“ aus Elster und Kampschulte geholt. Ausdrücklich habe ich die Übereinstimmung meiner Ansichten mit Lang, dem Autor der jüngsten besten zusammenfassenden Biographie Kalvins, konstatiert und die entscheidende Stelle aus Lang (Sp. 1329 f.) zitiert. Der Unterschied zwischen gesicherten Ergebnissen historischer Einzelforschung und „reiner Konstruktion“ scheint für Troeltsch noch nicht aufgegangen zu sein, wenn er als solche (Sp. 504) meine, wie gesagt, mit Lang sich deckende Charakteristik des Einflusses von Kalvin auf die ökonomische Entwickelung Genfs und überhaupt erklärt. Gewiß wird niemand dem reformierten Theologen Lang „innerliche Abneigung“ gegen Kalvin nachsagen können. Aber es gehört nun eben zu den polemischen „Allüren“ von Troeltsch, durch die Zeilen (Sp. 468) durchblicken zu lassen, ich hätte den Kalvinismus „bloß aus dem ihm innerlich abgeneigten Kampschulte studiert“. Das ist eine Insinuation, deren Motiv mehr als durchsichtig ist.

[659][ED 787]Nicht energisch genug kann Weber jetzt versichern, daß er die religiös-„asketischen“ Einflüsse nur als eine Komponente für den modernen kapitalistischen Geist angesehen wissen will. Sein Ziel war es lediglich, so beteuert er, Bedeutung und Wirksamkeit gerade dieser einen Komponente festzustellen, und ein solcher Versuch, so beschwert er sich, wird nicht dadurch bekämpft, daß man „eine Reihe anderer Komponenten“ aufzählt, die zu jeder Zeit kapitalistische Expansionen begleitet haben, „wie kein Mensch bezweifelt“. Oder, wie er mir in das Stammbuch schreibt: „Solch erstaunliche Wahrheiten allerdings, wie: daß das Streben nach ,Glück‘, nach ,Nutzen‘, nach ,Genuß, Ehre, Macht, Zukunft der Nachkommen‘ und dergleichen bei der Auslösung des Strebens nach dem Höchstmaß von Gewinn überall in sehr verschiedenen Kombinationen mitbeteiligt waren und sind, hätte Rachfahl, glaube ich, sich sparen können, da schwerlich [ED 788]jemand zu finden sein wird, der sie bestreitet.“ Weber hat Recht: man sollte meinen, ich hätte mir diese erstaunlichen Wahrheiten sparen können; aber er irrt sich, wenn er sagt, daß schwerlich jemand zu finden sein wird, der sie bestreitet: eben deshalb, weil sich jemand fand, der sie bestritt, konnte ich mir ihre Aufzählung nicht „sparen“, – und dieser jemand war niemand anders, als – Herr Weber selber, der demnach ein sehr kurzes Gedächtnis zu haben scheint. Erinnert er sich denn gar nicht an seine lebhafte und temperamentvolle Schilderung des „Unternehmers neuen Stils“, der im Gegensatze zum „traditionalistischen“ Kapitalisten der Träger des wahren „kapitalistischen Geistes“ ist, der die Geschäfte nur aus der „irrationalen Empfindung der Berufserfüllung“ heraus betreibt, dem von seinem Reichtum nichts für seine Person bleibt, der Ostentation und Aufwand scheut, dem nichts an bewußtem Genuß von [ED 789]Macht und gesellschaftlichem Ansehen liegt, der, ein wahrer Asket, Austern kaum auf ärztliche Verordnung hin ißt?38)[ED 789] Noch ein Beitrag zur Charakteristik Weberscher Polemik! Er sagt S. 197 Anm. 29: „Schier unglaublich ist es, wenn Rachfahl (Sp. 1251) die ,agonalen Triebe‘, von denen ich hervorgehoben habe, daß sie heute vielfach an die Stelle des erloschenen asketi[660]schen ,Geistes‘ getreten sind, mir als einen von mir übersehenen Bestandteil im Begriffe vom ,Geist‘ des Kapitalismus entgegenhält.“ Zunächst tue ich das gar nicht an der zitierten Stelle, sondern anderswo (Sp. 1222), und zwar konstatiere ich da lediglich einen Unterschied zwischen Webers Charakteristik des Unternehmers neuen Stils, dem er tatsächlich das Streben nach bewußtem Genusse der Macht abspricht, der doch aber für ihn der wahre Träger „kapitalistischen Geistes“ ist, und der Schilderung, die Troeltsch vom modernen Kapitalismus gibt, und worin diesem ein „agonales Siegesbedürfnis“ zugeschrieben wird. Weber selbst hat, soviel mir erinnerlich ist, nur einmal von „rein agonalen Leidenschaften“ (Archiv 21 S. 109) gesprochen, die sich in den Vereinigten Staaten heutzutage mit dem Erwerbsstreben „assoziieren und ihm nicht selten geradezu den Charakter des Sportes aufprägen“. Nach seinen eigenen neuesten Erklärungen würde das aber nicht in die Sphäre des „kapitalistischen Stils“ in seinem Sinne, sondern des wilden, ungezügelten Erwerbstriebes fallen, der in „allen Stadien der Kulturentwicklung“ auftritt.

[660]Wie gesagt, immer wieder betont Weber, daß er nur eine Komponente des kapitalistischen Stils zur Erkenntnis hat bringen wollen. Aber ist dem wirklich so? Von Anfang an betont er die Wichtigkeit dieser Komponente für die quantitative Expansion und die qualitative Prägung des kapitalistischen Geistes mit dem denkbar stärksten Nachdrucke; er weist ihr bei der Durchführung seiner These im einzelnen, sowohl was die begriffliche als auch was die historische Erörterung anbelangt, eine Rolle zu, derzufolge sie tatsächlich, um Webers eigenen Ausdruck zu gebrauchen, „verabsolutiert“ erscheint; es wird im Leser der Eindruck erweckt, zumal da ihr ja auch der Name des Ganzen beigelegt wird, als ob es sich bei dieser Komponente nicht nur um eine Teilerscheinung, sondern eben um das Ganze handelt, als ob dieser konstitutive Faktor so bedeutsam sei, daß er dem Ganzen seinen Stempel aufprägt und es gleichsam restlos in sich aufnimmt. So und nicht anders haben Webers Freunde und Anhänger die Sache aufgefaßt. Sie haben nicht daran gezweifelt, daß Webers „kapitalistischer Lebensstil“ wirklich identisch sei mit dem kapitalistischen Geist der Neuzeit [ED 790]in seinem ganzen Umfange. Die Schriften von Troeltsch sind von dieser Ansicht, wie wir sahen, getragen; jetzt hat er allerdings erklärt, Webers These unzulässig generalisiert zu haben; aber die Tatsache bleibt bestehen, daß er sie zuerst in diesem Sinne aufgefaßt hat. Auch Gothein hat einfach den Geist des Kapitalismus aus dem Geiste des Kalvinismus heraus entstehen lassen, und v. Schubert sagte in Beziehung auf Weber: „Mit Recht hat man den ,Geist des Kapitalismus‘, den Kern moderner Wirtschaftsgeschichte,39)[ED 790] Dazu gehören nun freilich nach Webers neuester Kundgebung die ökonomischen Übermenschen, die großen Finanziers usw., nicht mehr. abgeleitet aus dem entschlossenen Individualismus der Puritaner.“ Weber erklärt jetzt, er habe solche mißverständliche Auffassung durch andere schon einmal mit aller Schärfe abgelehnt, und zwar, wie er hinzufügt, „ohne daß Rachfahl die Pflicht fühlte, dies, obwohl er es weiß, zu berücksichtigen“. Ich muß dazu bemerken, daß ich das keineswegs „weiß“; mir ist, als ich meine Abhandlung niederschrieb, von dieser Ablehnung nichts bekannt gewesen; ich muß sie wohl übersehen haben, und ich habe sie auch bis jetzt noch nicht zu finden vermocht. Es ist jedenfalls sehr sonderbar, daß noch vor zehn Monaten, zu der Zeit, als ich mit der eingehenden kritischen Nachprüfung der Weberschen These begann, diese ihre irrtümliche Interpretation in der Aula der Heidelberger Universität durch den Festredner bei der Kalvin-Säkularfeier vorgetragen worden ist: daraus ist zu schließen, daß die besagte Aufklärung oder Desavouierung selbst am Wohnorte des [661]Autors, im Kreise seiner Kollegen und Anhänger, damals noch unbekannt war oder auch übersehen worden ist. Wenn solches aber am Sitze der „glücklich sich ergänzenden Arbeitsgemeinschaft“ möglich war, so wird man mir es wohl auch verzeihen, daß ich von jener „Ablehnung“ nichts erfahren habe.

Bei Weber mögen sich seine Anhänger bedanken, wenn er sie jetzt also rauh abschüttelt, wenn er sie, die doch nur seiner Entdeckung Apostel, seines Ruhmes Verkünder sein wollten, grausam bezichtigt, ihn nicht verstanden zu haben. Daß dadurch ihre Anhänglichkeit und Begeisterung nicht erschüttert worden ist, zeigt das Beispiel von Troeltsch, der die Zurechtweisung, die ihm zu Teil geworden ist, mit gebührendem [ED 791]Danke hingenommen hat. Da nun aber auch ich (was ich freilich zurückweisen muß) von Weber beschuldigt worden bin, auf der gleichen Spur zu wandeln, so muß ich mich umsomehr der Genossen meines Unglücks annehmen, als ich ja dadurch auch für mich, wenn der Vorwurf doch berechtigt wäre, mildernde Umstände erwirken könnte. Bei allem Vorbehalt, daß er keineswegs den Kapitalismus und den kapitalistischen Geist „nur als Ausfluß bestimmter Einflüsse der Reformation“ betrachte, hatte er diesen doch, wie wir sahen, für die Ausprägung des modernen kapitalistischen Lebensstils eine solche Rolle zugeschrieben, daß der Leser den Eindruck erhalten mußte, er sei durch sie im Wesentlichen geschaffen worden. In derselben Richtung wirkte seine Schilderung vom Unternehmer neuen Stils, die Gegenüberstellung dieses Typs als alleinigen Trägers kapitalistischen Geistes im Verhältnisse zum „traditionalistisch“ gebundenen Kapitalisten, seine Auseinandersetzung, daß der richtige kapitalistische Geist (gegenüber dem nur „triebhaften“ Erwerbsdrange) auf einer „ethisch gefärbten Maxime“ beruhe, nämlich auf der irrationellen Idee einer besonderen Berufspflicht, die ihrerseits wieder das Produkt der Säkularisation der innerweltlichen Askese des reformierten Protestantismus sei, des Puritanismus, der also „an der Wiege des modernen Wirtschaftsmenschen stand.“ Und wenn ein Autor fortwährend von kapitalistischem Geiste spricht, dabei aber nicht diesen schlechthin und in seinem ganzen Umfange, sondern nur einen besonderen Habitus meint, dürfte das nicht dem Leser zur Entschuldigung dienen, wenn er den wahren Intentionen des Verfassers gegenüber in Konfusion gerät?

Aber noch jetzt ist es mir nicht absolut sicher, ob Webers Anhänger und eventuell auch ich selber wirklich auf Irrpfaden gegangen sind. Wie sehr er jetzt auch betont, das religiös-„asketische“ Moment sei nur eine Komponente „neben andern“, so ist er im geheimsten Winkel des Herzens doch noch immer der Überzeugung, daß diese Komponente die anderen so überragt und zurückdrängt, daß sie das Wesen des modernen kapitalistischen Lebensstils erschöpfend in sich darstellt. Sogar noch in seiner letzten Polemik gegen mich, in der er doch (m. E. allerdings mit Unrecht) zeigen will, daß ich demselben Mißverständnisse verfallen bin, wie Troeltsch, [ED 792]Gothein und v. Schubert, entschlüpfen ihm einige Stellen, die schlecht zu seinen sonstigen Protesten und Beteuerungen passen. So auf S. 183: „Für die Entwicklung desjenigen ,Habitus‘, den ich (ad hoc und lediglich für meine Zwecke) ,kapitalistischer Geist‘ getauft habe, kam es ganz offenbar darauf an, wem die Toleranz im konkreten Falle zu Gute kam. Waren dies z. B. Juden oder ,asketische‘ christliche Denominationen, dann wirkte sie regelmäßig im Sinne der Verbreitung dieses ,Geistes‘.“ Hier ist noch immer scheinbar lediglich von einem „Habitus“ die Rede; aber was bedeutet dieser „Habitus“ in Wahrheit? Durch ihn bzw. durch das ihm zugrunde liegende religiös-„asketische“ Moment wird nicht nur das Streben nach Gewinn seines „triebhaften“ Charakters entkleidet, „rationalisiert“ und zugleich in die Sphäre einer „irrationellen“ Berufsethik hinübergeleitet, d. h. der kapi[662]talistische Stil der Jetztzeit in seinen charakteristischen Merkmalen in Wahrheit geschaffen; sondern Weber sagt noch dazu selber geradezu: „Nicht um die triebmäßige Gier nach Geld, nach Glück, nach dem splendor familiae usw. handelt es sich, … sondern darum, daß der ,asketische‘ Protestantismus für den Kapitalismus auch die entsprechende ,Seele‘ schafft, die Seele des ,Berufsmenschen‘.“ Also ist der Webersche „Habitus“ kapitalistischen Geistes doch schließlich die „Seele des Kapitalismus“, allerdings in Gänsefüßchen.

Was nun? Deutlich steht hier zu lesen: der Kapitalismus der Jetztzeit hat seine „Seele“ empfangen durch den asketischen Protestantismus; dabei müssen wir in Rücksicht auf seine soeben zitierten Ausführungen allerdings die Einschränkung hinzufügen, insoweit er nicht jüdischen Ursprungs ist. Judaismus und „asketischer“ Protestantismus sind somit für Weber die beiden Wurzeln des heutigen Kapitalismus; die Erforschung der ersteren überläßt er bekanntlich Sombart. Insoweit der Kapitalismus also nicht jüdischer Provenienz ist, hat er schlechthin und in seinem ganzen Umfange seine „Seele“ erhalten durch das „asketische“ Element in der Reformation. Ich will nicht noch einmal in ausführlicher Wiederholung auseinandersetzen, daß das eine bloße Behauptung ist, für die Weber den Beweis nicht erbracht hat: der „Berufsmensch“ ist keineswegs erst ein Produkt reformierter Ethik. Aber ganz davon abgesehen: Ist die [ED 793]„Seele“ denn nur eine Komponente, die nicht mehr bedeutet, als die andern Komponenten auch? Wenn der Kapitalismus der Jetztzeit, d. h. der nichtjüdische, seine „Seele“ aus dieser Quelle empfangen hat, haben denn nicht doch die, welche die von Weber so herb gerügte „Verabsolutierung“ der einen Komponente vornahmen, einigermaßen Recht, und wird man es nicht mindestens verzeihlich finden, wenn sie in so schweren Irrtum verfielen, Webers Intention dahin aufzufassen, daß der kapitalistische Geist der Neuzeit schlechthin und in seinem ganzen Umfange aus der protestantischen „Askese“ hervorgegangen sei? Oder ist hier die „Seele“, weil sie in Gänsefüßchen gerückt ist, etwas anderes als das, was man sonst unter „Seele“ versteht? Handelt es sich hier wiederum, wie bei dem Wörtchen „Geist“ um einen Kunstausdruck, den er „ad hoc und lediglich für seine Zwecke“ angewandt hat, um also irgend ein Ding zu „taufen“, das ihm dabei gerade vorschwebte? Oder bedeutet „Seele“ etwas anderes als „Geist“? Ich bin zu wenig „Fachmann“ auf dem Gebiet der Nationalökonomie, um zu wissen, ob man hier zwischen „Geist“ und „Seele“ irgendwelche feinen Unterschiede macht, die auf den vorliegenden Fall zutreffen könnten. Ich bin nur Historiker, dem vom Anfange seiner Studien an stets eingeprägt worden ist, daß historische Methode nichts anderes ist, als lediglich Anwendung des gesunden Menschenverstandes auf das unserer Forschung zugewiesene Gebiet menschlichen Erkennens, und unter dem Drucke des Bewußtseins dieses meines trivial-subalternen Standpunktes40)[662][ED 793] Er kommt mir so recht niederschmetternd zum Bewußtsein, wenn ich Webers zornige Philippika (S. 196 Anm. 28) lese: „Beiläufig: der Einfluß religiöser Momente ist denn doch auf politischem Gebiete von ganz anderer, fundamentalerer Bedeutung, als nach dem Eindrücke der ,Nichts-als-Politiker‘ unter den Historikern, die unter den ,großen Mächten‘ nur die großen Bataillone verstehen, mit denen freilich der liebe Gott auf dem Schlachtfelde zu gehen pflegt. Noch so viele ,Mächte‘ dieser Art haben z. B. den einen Satz der Bibel ,Man soll Gott mehr gehorchen als den Menschen‘, solange er den Glauben entschlossener Männer, und seien es auch kleine Minderheiten, wie die Puritaner fast überall es waren, beherrschte, nicht außer Gefecht zu setzen ver[663]mocht. An ihm scheiterten die ,Kulturkämpfer‘ des 17. und 19. Jahrhunderts, und beide Male hatte ihre Niederlage Konsequenzen von einer in Generationen nicht zu [ED 794]überwindenden Tragweite.“ – Welche Fülle der Anregungen für uns „klugen Leute“, die wir uns solche Dinge nie hätten „träumen lassen“. Eine neue Epoche bricht an nicht nur für die Wirtschaftsgeschichte, nein, auch für die politische Geschichte! Ganze Generationen von Historikern werden zu tun haben, um diese neuen und originellen Ideen zu verarbeiten. bescheide ich mich, aus diesem [ED 794]Labyrinth der Zweifel und Möglichkeiten keinen Ausweg mehr zu finden.

[663]––––––––

Mögen mir meine Leser verzeihen, wenn ich von meinem „Antikritiker“ nicht Abschied nehmen kann, ohne ihnen in kurzer Übersicht das ganze Maß der Verworfenheit und der Ignoranz vorzuführen, das er bei mir festgestellt hat. Des wuchtigeren Eindruckes halber wiederhole ich dieses und jenes, wovon ich schon in den vorhergehenden Zeilen en passant Notiz genommen hatte; erst in ihrer Totalität vermag diese Symphonie des Zornes und der Verachtung ihre ganze Wirkung zu entfalten. S. 176 „wenig loyale Praxis“. – S. 177 Anm. 2 „illoyale Kleinlichkeit“. – S. 178 „denkbar größte Breite“. – S. 179 kann sich Weber keine „sterilere Polemik“ denken. – „Professoreneitelkeit“. – S. 182 „eine ziemlich (warum diese Einschränkung?) wertlose Art der Diskussion“. – „Rachfahls verschwommenes Plädoyer“. – „Er lebt von der durch bloße Wortkritik künstlich und absichtsvoll angerichteten Konfusion“. – S. 186 „etwas lächerlich“, – „ganz oberflächliche Sentiments“. – S. 190 „eine durch fünf Artikel dauernde wunderliche Kanonade“. – S. 191 „Reichlich harmlos“. – S. 192 „recht anmaßende Bemerkungen“. – S. 195 Rachfahl behauptet „ins Blaue hinein“. – „Völlige Verständnislosigkeit für das, worum es sich bei diesen Problemen handelt“. – S. 197 „schier unglaublich“. – S. 202 „recht subaltern“.

Diese Blütenlese dürfte wohl für einen Artikel von etwa 25 Druckseiten genügen. Der Leser weiß jetzt, was er von mir zu halten hat, und ich bin zerschmettert von solcher – Geistesüberlegenheit. Wenn ich mich mit ihm auf einen Wettstreit in der Anwendung solcher Kraftausdrücke einlassen wollte (daß ich es so gut könnte, wie er, bezweifle ich freilich), könnten wir ein Bild darbieten, wie weiland die homerischen Helden, oder wie man es wohl mitunter auf dem [ED 795]Gemüsemarkte sehen kann. Etwas unvorsichtig ist Webers Verfahren doch wohl aber: ein naiver Leser, der mit den Gepflogenheiten wissenschaftlicher Polemik nicht zur Genüge vertraut ist, könnte gar auf den Glauben verfallen, daß mein Herr Antikritiker eines solchen Tones bedarf, weil er sich in seiner Position nicht übermäßig sicher fühlt. Ich habe ein Anderes gar nicht erwartet; wer die „Anmaßung“ hat, Webersche „Entdeckungen“ zu bezweifeln, muß sich schon auf so etwas gefaßt machen; auch ist mir der Hut schon mehr als einmal naß geworden. Einigermaßen sonderbar mutet es an, wie Weber auf meine Eigenschaft als Professor anspielt. Er ist doch selber Professor und zwar älteren Datums als ich. Oder will er etwa zum Ausdrucke bringen, daß es zwei Arten Professoren gibt: den professor communis vulgaris, der mit allen schlechten Eigenheiten seiner Kaste behaftet ist, wozu übler professoraler Ton, Überhebung, Professoreneitelkeit usw. gehören, – und dann den Überprofessor, der als Höhenwanderer in der bengalischen Beleuchtung seiner eigenen Geistesgröße einsam seine Straße zieht, und der, seines besonderen individuellen Wertes bewußt, für den er einer offiziellen Etikette nicht bedarf, auf die Plebs der Nur- und Kommiß-Professoren mit unendlicher Geringschätzung herabschaut? Und so wundere ich mich auch nicht, wenn er es für nötig hält, mir das Zeugnis auszustellen, daß man [664]aus meinen Ausführungen „nichts lernen kann“; ich kann auch meinerseits nur bestätigen, daß er wenigstens nichts daraus gelernt hat. Woher ich alle meine Weisheit habe, verrät er seinen Lesern: „Alles (mit gänzlich irrelevanten Ausnahmen), was Rachfahl gesagt hat, hat er meinen Aufsätzen entnommen und ,verballhornt‘.“ Dafür gibt er auch im einzelnen Belege: Wenn ich z. B. seiner These eine bedingte Richtigkeit zugestehe, so macht er (S. 196 Anm. 28) daraus, daß ich sie „mir selbst aneigne“. Oder er macht darauf (vgl. z. B. S. 188 Anm. 15 und S. 190) aufmerksam, daß das oder jenes Zitat aus älteren Schriften schon bei ihm zu lesen steht. Daß es mir in solchen Fällen gar nicht darauf ankommt, Webers Priorität zu verschleiern, geht doch wohl schon daraus [ED 796]hervor, daß ich gegen die Deutung polemisiere, die Weber diesen Aussprüchen zuschreibt, oder daraus Beweise für meine davon abweichende Meinung zu holen versuche. Aber das geniert Weber nicht: für ihn bin ich gleichsam ein Geier, der sich vom Aas des Gegners nährt.

Weber faßt das Ergebnis der Kontroverse dahin zusammen: „Es ist bedauerlich, daß die Antwort auf eine ganz sterile, mit dem höhnischen Tone, den sie anschlägt, wie mit ihrem Nichtverstehenwollen einen üblen professoralen Typus darstellende Kritik auch ihrerseits steril ausfallen mußte.“ Daß ihm meine Kritik „übel“ gefallen hat, glaube ich recht gern, muß aber die Verantwortlichkeit dafür auf das kritisierte Objekt abwälzen. Und da ich leider bisher in der Regel so unhöflich sein mußte, anderer Meinung zu sein wie Weber, so ist meine Freude um so größer, daß ich ihm nun einmal, ich will nicht gerade sagen, beistimmen kann, aber wenigstens nicht gerade zu widersprechen Anlaß habe – nämlich in seinem eigenen Urteile über seine „Antikritik“. Und eben deshalb, weil dem so ist, hat es schwerlich einen Wert, die Diskussion fortzusetzen. Ich kann mit ihrem Ergebnisse durchaus zufrieden sein. Mein Zweck ist erreicht: die Aufrichtung einer Warnungstafel, damit die „Weber-Troeltsch’sche These“ (als solche wird sie doch trotz des Einspruches beider auch weiterhin gelten) nicht unbesehen akzeptiert werde, und damit sie nicht noch mehr Verwirrung anrichte, wie bisher, sei es, daß der eigentliche Urheber daran unschuldig ist oder nicht. So vollständig habe ich diesen Zweck erreicht, daß Weber selbst die Folgerung, die Freund und Feind, ob mit Recht oder Unrecht, aus seinen Erörterungen herauslesen zu dürfen vermeinten, förmlich desavouiert hat. Und so darf man sich wohl der Hoffnung hingeben, daß die „Entdeckung“, die wenigstens andere zu einer solchen stempeln wollten, ein für allemal beseitigt ist. Die schillernde Seifenblase, die am Neckarufer aufstieg, ist geplatzt. Der Beifall, den ihr Erscheinen hervorrief, war blinder Lärm, und vom ersten Rausche der Begeisterung wird den Beteiligten vermutlich auf die Dauer nicht viel mehr bleiben, als ein nicht gerade sehr behagliches Gefühl der Ernüchterung.